Bericht in der NLZ

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Bericht in der NLZ
Tagesthema
Samstag, 21. Januar 2012 / Nr. 17 Neue Luzerner Zeitung Neue Urner Zeitung Neue Schwyzer Zeitung Neue Obwaldner Zeitung Neue Nidwaldner Zeitung Neue Zuger Zeitung
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Nächster Halt: Schrottplatz
Ein Bild aus besseren Tagen: Schützenpanzer des Typs M113 bei einem Defilee im
Jahr 2008 in Winterthur. Heute haben die Panzer Schimmel angesetzt.
Keystone/Eddy Risch
Léa Wertheimer
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Sie lagerten «vergessen» in den Kavernen der ehemaligen Militärflugplätze
von Turtmann und Raron VS: über 300
Schützenpanzer der Schweizer Armee.
Wie sich im Oktober 2010 herausstellte,
wusste offenbar nicht einmal Verteidigungsminister Ueli Maurer von ihrer
Existenz. Man sei in einem Stollen im
Wallis auf die ausrangierten Schützenpanzer gestossen, sagte Maurer damals
zum «Tages-Anzeiger». Die Fahrzeuge
müssten liquidiert werden. Ein Unterfangen, das Millionen koste, prophezeite der Verteidigungsminister.
Heute ist alles anders. Davon, dass
man die Fahrzeuge eher zufällig wieder
entdeckt habe, will man in Bern nichts
mehr wissen. «Selbstverständlich kennt
die materialverwaltende Stelle der Armee den Standort der einzelnen Schützenpanzer», betont Kaj-Gunnar Sievert,
Sprecher der Armasuisse.
Verschrottung bringt Geld
Nun werden die Panzer verschrottet.
Die kostet die Armee nichts, im Gegenteil: «Für die Schweizerische Eidgenossenschaft wird ein Erlös resultieren»,
kündigt Sievert an, ohne aber zu präzisieren wie viel und weshalb. Der Gewinn
dürfte aus dem Wert des Altmetalls
entstehen. Ein Schützenpanzer des Typs
M113 bringt gegen 5,5 Tonnen Aluminium auf die Wage. Eine Tonne wird
heute zum Preis von knapp 2000 Franken gehandelt. Somit dürfte nur schon
Armee  330 Schützenpanzer lässt die Armee in Emmen
verschrotten. Und gleichzeitig klagen die Militärs darüber, dass sie
über zu wenige gepanzerte Fahr­zeuge verfügen würden.
das Metall der 330 Panzer über 3,5
Millionen Franken einbringen. Wie viel
davon, abzüglich der Kosten für die
Verschrottung, an die Armee zurückfliesst, ist unklar.
Für die Schweiz nicht gut genug
Doch wieso lässt die Armee überhaupt
Panzer verschrotten, wenn sie gleichzeitig einen Mangel an gepanzerten
Fahrzeugen geltend macht – jüngst etwa
bei der Diskussion um das Armeebudget? Klar ist, dass die Schützenpanzer
M113 schon etliche Jahre auf dem Buckel haben. «Die rund 45 Jahre alten
Fahrzeuge bieten keinen ausreichenden
Schutz für unsere Soldaten mehr», so
der Sprecher der Armasuisse. Doch
dieses Argument wirft wiederum Fragen
auf. Denn die gepanzerten Fahrzeuge
tragen die vollständige Bezeichnung
Schützenpanzer M113 63/89 – ein Zusatz, der verrät, dass die Fahrzeuge im
Jahre 1963 beschafft und 1989 kampfwertgesteigert, also modernisiert, worden sind. Für viel Geld montierte man
damals an den Seiten sowie an Front
und Heck der Fahrzeuge eine neue
Schutzpanzerung, ersetzte Motor und
Getriebe und verpasste dem M113 einen
neuen Flecktarnanstrich. Seit 1992 fährt
die Schweizer Armee in dieser Version.
Hans Schmid, ehemaliger Oberstleutnant, versteht die Welt nicht mehr: «Die
Panzerung ist ein israelisches Fabrikat
und zeitgemäss», fügt er an. Was für
Israel gut genug sei, könne ja für die
«Es ist mir ein Rätsel,
wie es zum
Schimmelbefall
kommen konnte.»
Hans Schmid, ehemaliger
O b e r st l e u t n a n t
Schweiz nicht schlecht sein, argumentiert der Kenner, der in seinen aktiven
Zeiten zwei Panzerbataillone befehligte.
Und Schmid führt ein weiteres Argument ins Feld: Die dänische Armee sei
mit den gleichen Panzern nach Afghanistan gezogen. «Wir in der Schweiz
beklagen immer wieder, wir könnten die
Truppen nicht ausrüsten», geschützte
Fahrzeuge seien Mangelware. «Gleichzeitig verschrotten wir genau solches
Material, das geht mir nicht in
den Kopf», sagt der ehemalige Offizier
weiter.
Zu schwach
Gemäss Armasuisse-Sprecher Sievert
ist nicht nur die Panzerung der Schwachpunkt der M113-Schützenpanzer. «Sie
verfügen nicht über die geforderte
Leistung, um im Verbund mit dem
­
Leopard-Kampfpanzer als Begleitfahrzeug eingesetzt werden zu können»,
argumentiert er. Der Leopard ist das
Schwer­­gewicht in der Panzerflotte der
Armee – ein Kampfpanzer, der rund 68
Stundenkilometer auf die Strasse bringt.
Tatsächlich liegt die maximale Geschwindigkeit des kleineren M113 bei
64 km/h. Deswegen musste er in den
vergangenen Jahren dem Schützenpanzer 2000 weichen.
Panzer in Kampfjet-Versteck
Bereits im Jahr 2009 hat der Bundesrat die Liquidierung der M113 beschlossen. Damals schon regte sich im Parla-
ment Widerstand, just aus der Partei
von Ueli Maurer. Doch die SVP stiess
auf taube Ohren.
In diesen Tagen wird die «Schrottpresse» definitiv eingeschaltet. Das
Unternehmen Gotthard Schnyder AG in
Emmen wird die Panzer zerlegen (siehe
Text unten). Sie seien nicht mehr in
einem guten Zustand, heisst es aus Bern.
Schliesslich seien sie bereits vor Jahren
in den Stollen von Raron und Turtmann
eingelagert worden. Stollen, die ursprünglich als Versteck für Kampfflugzeuge gedacht waren. Sie verfügen deshalb über eine ausgezeichnete Lüftung.
Und trotzdem sind die Schützenpanzer
von Schimmel überzogen, wie Fotos von
Hans Schmid belegen.
Unverständnis über die Lagerung
Die Armasuisse relativiert auch hier,
streitet aber nicht ab: «Materialien wie
Leder, Textilien, Kunststoff, welche während des Gebrauchs mit der Umwelt in
Berührung kommen, können unter bestimmen Bedingungen Schimmel ansetzen.» Dies sei etwa abhängig von der
Luftfeuchtigkeit, der Temperatur oder
der Luftzirkulation, so die Armasuisse.
Bei verschiedenen Fahrzeugen sei dies
der Fall. Hans Schmid schüttelt den Kopf
ob der Nachlässigkeit, mit welcher teures Armeematerial gelagert wird: «Es ist
mir ein Rätsel, wie es zum Schimmelbefall kommen konnte. Entweder wurde
die Lüftung vorsätzlich abgestellt, ging
vergessen oder kaputt.» Das wäre in
keinem Fall ein gutes Zeugnis für die
Armee.
Gemeinde Emmen und Armeegegner freuen sich
Reaktionen Bei der Gemeinde Emmen ist die Freude über den Verschrottungsauftrag für die Firma Gotthard
Schnyder gross. Gemeindepräsident
Thomas Willi: «Wir freuen uns für die
hoch spezialisierte Firma.» Dass das
Unternehmen in Emmen steht, sei ein
Glücksfall. Auch wenn der Verschrottungsauftrag alleine nicht ausschlaggebend sei für ein erfolgreiches Geschäftsjahr, «so ist er doch wichtig für
die Arbeitsplätze und Steuerleistungen», so Willi. Schon einmal zog die
Gotthard Schnyder AG einen Verschrottungsauftrag des Bundes an Land. Vor
knapp drei Jahren lieferte die Armee
255 Schützenpanzer und 50 Panzer-
haubitzen des Typs M 109 zur Verschrottung nach Emmen.
Einige Panzer für Irak vorgesehen
Josef Lang, Aktivist der GSoA (Gruppe für eine Schweiz ohne Armee) aus
Zug, ist erleichtert, dass die Panzer
verschrottet werden: «Endlich werden
diese Panzer auseinandergenommen.»
Langs Freude hat einen besonderen
Grund. Im März 2005, als er noch als
Nationalrat der Grünen in Bern politisierte und die Amerikaner im Irak
Saddam Hussein zu stürzen versuchten,
wollte der Bundesrat 180 Schützenpanzer des Typs M 113 für 12 Millionen
Franken an die Vereinigten Arabischen
Emirate verkaufen. Diese hätten die
Panzer in den Irak weiterliefern sollen.
Es hagelte Kritik, auch aus dem bürgerlichen Lager. Denn das Kriegsmaterialgesetz verbietet die Ausfuhr in Gebiete,
wo Krieg herrscht. Der damalige Wirtschaftsminister Joseph Deiss geriet
unter Druck. Denn anfänglich sagte er,
die Vereinigten Arabischen Emirate
hätten «Mannschafts-Transportfahrzeuge» bestellt. Erst nach und nach gelangte die Wahrheit ans Licht: Die
Panzer waren laut Militärangaben aus
den USA für eine irakische Panzerdivision bestimmt. Lang forderte deshalb
in einem Vorstoss die Vernichtung der
Panzer. Schliesslich zog der Bundesrat
den Export zurück. «Unter den 330
Schützenpanzern, die jetzt in Emmen
verschrottet werden, befinden sich auch
jene, die ursprünglich in den Irak geliefert werden sollten», sagt Lang. Die
Armasuisse bestätigt Langs Aussage.
«Verschrottung ist ein Skandal»
Überhaupt keine Freude hat Hermann Suter aus Greppen, Präsident ad
interim der Gruppe Giardino, die sich
laut Manifest auf ihrer Homepage für
eine «bestandesstarke und vollständig
ausgerüstete Armee» einsetzt. «Die Verschrottung ist ein Skandal», sagt Suter.
Die Schweizer Armee sei dringend auf
die Schützenpanzer angewiesen, da
sonst der Verteidigungsauftrag nicht
mehr wahrgenommen werden könne.
Dass die Panzer für einen Einsatz zu
alt seien, lässt die überparteiliche Gruppe Giardino, die mehrheitlich aus aktiven und ehemaligen Armeeangehörigen zusammengesetzt ist, nicht gelten.
«1989 wurde der Kampfwert gesteigert,
sie sind also noch voll funktionsfähig»,
sagt Suter. Dass die Schützenpanzer
nun in ihre Einzelteile zerlegt werden,
sei ein Scherbenhaufen, der kaum zu
kitten sei: «Ich bezweifle, dass dieses
Desaster gestoppt werden kann.»
Alexander von Däniken
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