Deutscher Text als PDF-Datei - Institut für Konsum

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Der Code der AntiWeihnachtsbewegung
Eine systemtheoretische Analyse
Kai-Uwe Hellmann
Dafür und dagegen
Innerhalb des Forschungsfeldes der Soziologie sozialer Bewegungen gibt
es eine besondere Befassung mit dem Verhältnis von sozialen Bewegungen und speziell gegen sie gerichteter Gegenbewegungen. 1 Gewinnt eine
einzelne Pro-Issue-Bewegung nach einer gewissen Zeit deutlich an Stärke und Sichtbarkeit, provoziert sie häufig eine eigene Anti-„Pro-IssueBewegung“-Bewegung, die in allem, was diese unternimmt, geradezu parasitär auf jene Pro-Issue-Bewegung und deren Aktivitäten als ihrem
nicht-kontingenten Entstehungsanlaß bezogen ist, so daß beiderlei Mobilisierungsprozesse wechselseitig sich beeinflussend, beinahe synchron, ja
fast schon miteinander synchronisiert ablaufen können. Einschlägige
Beispiele hierfür wären etwa der Konflikt zwischen den nordamerikanischen „Pro Choice“- und „Pro Life“-Bewegungen (vgl. McCarthy 1987)
− oder zwischen deutschen Rechtsextremen und Autonomen als jeweils
bewegungsförmige Akteurstypen, die sich sogar strikt antagonistischkonfrontal zueinander verhalten.
In der Konsumsoziologie, speziell den Cultural Studies und der Consumer Research, wurde nun ebenfalls der Versuch unternommen, auf die Soziologie sozialer Bewegungen zurückzugreifen und vor allem das äußert heterogene Feld der Konsumismus-Gegner, Anti-Corporate-Aktivisten und
1
Vgl. Mottl 1980; Zald/Useem 1987; Saltzman/Dworkin 1989; Meyer/Staggenborg 1996.
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Culture Jam/Adbusters-Anhänger, um nur Beispiele zu nennen, als eine
hoch zersplitterte soziale Bewegung zu konzipieren.2
Kommt man vor diesem Hintergrund auf die Anti-Weihnachtsproteste
zu sprechen, die sich seit Jahren weltweit beobachten lassen, könnte man
sogar von einer Anti-Weihnachtsbewegung sprechen. Denn betrachtet
man Weihnachten vom Standpunkt der Anti-Weihnachtsproteste, handelt
es sich quasi um eine jährlich wiederkehrende, zeitlich begrenzte, äußerst
erfolgreiche Mobilisierungsmaßnahme, die weltweit Millionen von Menschen in ihren Bann zieht, wenngleich nur für rund vier Wochen und auf
einen vergleichsweise singulären Anlaß bezogen. Insofern liegt es nahe,
von einer zeitlich begrenzten Pro-Weihnachtsbewegung zu sprechen, der
gegenüber sich eine entsprechende Anti-Weihnachtsbewegung ausbildet,
die strikt auf die Pro-Weihnachtsbewegung bezogen ist. Zumindest kann
gesagt werden, daß sich die Anti-Weihnachtsbewegung so verhält, als
gäbe es eine Pro-Weihnachtsbewegung, und genau unter dieser Bedingung, daß hier die Sichtweise der Anti-Weihnachtsbewegung eingenommen wird, erscheint es zweckmäßig, zwischen einer Pro- und einer AntiWeihnachtsbewegung zu unterscheiden.
Im folgenden soll nun geprüft werden, ob und inwiefern sich nachweisen läßt, daß sich die Anti-Weihnachtsbewegung in einer strukturellen
Abhängigkeit von der Pro-Weihnachtsbewegung befindet. Denn während
sich die Pro-Weihnachtsbewegung seit jeher allgemeiner Unterstützung
und Anerkennung erfreuen kann, maßgeblich gefördert durch die Kirchen, die Unternehmen, die Medien und weitere renommierte Institutionen, aber auch massiv nachgefragt durch die Konsumenten, speziell Eltern und ihre Kinder, besteht der Kampf der Anti-Weihnachtsbewegung
vornehmlich darin, sich mit unterschiedlichen Argumentationsfiguren
gegen die Hypertrophie der Pro-Weihnachtsbewegung zu wehren, auf die
sie ganz und gar bezogen ist. Das geht soweit, daß man fast schon sagen
könnte: Würde es die Pro-Weihnachtsbewegung nicht geben, gäbe es
auch die Anti-Weihnachtsbewegung nicht, während die Pro-Weihnachtsbewegung demgegenüber ungleich autonomer auftritt und sich in keiner
vergleichbaren Abhängigkeit befindet.
Diese strukturelle Abhängigkeit der Anti-Weihnachtsbewegung könnte sich nun darin zeigen, daß sie über eine Antihaltung nicht wirklich
hinaus kommt. Systemtheoretisch würde das heißen können: Innerhalb
2
Vgl. Kozinets/Handelman 2004; Hilton 2005; Hellmann 2005; Iyer/Muncy 2008.
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Der Code der Anti-Weihnachtsbewegung
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des Codes, den die Anti-Weihnachtsbewegung kommunikativ benutzt, ist
ihr Präferenzwert paradoxerweise ein Rejektionswert, weil sie ihre Anschlußfähigkeit allein durch die fortwährende Ablehnung und Zurückweisung all dessen bewahren kann, was die Pro-Weihnachtsbewegung
positiv auszeichnet. Wenn ansonsten Anschlußfähigkeit immer über einen Präferenzwert hergestellt wird, der durchweg für bestimmte Optionen votiert, während der Reflexionswert als Gegenwert zum Präferenzwert lediglich die ständige Möglichkeit der Re-Aktualisierung jener Negativ-Selektionen bereit hält, die der Präferenzwert zugunsten bestimmter
Alternativen aussortiert hat − wodurch sich der Reflexionswert sozusagen im permanenten Stand by-Modus befindet −, handelt sich beim Präferenzwert der Anti-Weihnachtsbewegung im Prinzip um einen Rejektionswert. Kurzum: Die Präferenz lautet Rejektion. 3 Positives Profil erfährt die Anti-Weihnachtsbewegung demnach wesentlich nur durch Negativurteile, d.h. durch die Rejektion dessen, was die ProWeihnachtsbewegung ausmacht. Sicher gibt es auch Versuche, einen positiven Gegenentwurf zu entwickeln, etwa für ein anderes Weihnachten
3
Hier könnte eine interessante Parallele zum Medizinsystem aufgemacht werden:
Im medizinischen System wird die Kommunikation nämlich über den Code Gesundheit/Krankheit organisiert, wobei „Krankheit“ als Präferenzwert mit Anschlußfähigkeit fungiert, weil Ärzte sich primär auf Krankheiten konzentrieren, die es zu
heilen gilt, während „Gesundheit“ kontraintuitiv nur der Reflexionswert mit der
Funktion der Kontingenzreflexion ist, um aufzuzeigen, daß jede Krankheitsbehandlung Gesundheit zum Ziel haben sollte (Luhmann 1990). − Übertragen auf die „Anti-Weihnachtsbewegung“, könnte man sagen, daß diese Bewegung mit der Leitdifferenz „Pro Weihnachten/Contra Weihnachten“ operiert, wobei „Contra Weihnachten“ als Präferenzwert mit Anschlußfähigkeit fungiert, weil es dieser Bewegung
primär darum geht, alles abzulehnen und zurückzuweisen, was mit Weihnachten zu
tun hat, während „Pro Weihnachten“ der Reflexionswert mit der Funktion der Rejektionsreflexion ist, weil dieser Wert, anders als beim medizinischen Code, nicht
dazu dient, die Kommunikation und Aktivitäten der „Anti-Weihnachtsbewegung“
darauf positiv aus-, sondern negativ davon wegzurichten. Insofern ist die „AntiWeihnachtsbewegung“ eine primär negative Bewegung, die ihre Kraft, Orientierung und Identität daraus bezieht, was sie ablehnt und zurückweist, während ihre
positiven, bejahenden Seite immer unter den Kauteln des „Anti“, des „Dagegen“
steht. Deswegen ist die „Anti-Weihnachtsbewegung“ auf die „Weihnachtsbewegung“ auch parasitär bezogen: Sie existiert und kann nur existieren, weil und solange sie sich von der Positivität „Weihnachtsbewegung“ im Sinne Michel Foucault
negativ absetzt. Es handelt sich somit um ein Abhängigkeitsverhältnis, das nur für
die „Anti-Weihnachtsbewegung“ so unmittelbar gilt.
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oder eine Zeit-ohne-Weihnachten. Doch anders als Utopien, die sich gerade durch eine halbwegs ausgeglichene Balance von Rejektion und Präferenz auszeichnen, bleibt die Anti-Weihnachtsbewegung doch vorwiegend dem Rejektionsmuster verhaftet und kann sich davon kaum lösen.
Sollte dieser Fall empirisch belegbar sein, wäre dies ein Nachweis für die
strukturelle Abhängigkeit der Anti-Weihnachtsbewegung, ja im Grunde
für ihre Heteronomie durch die Pro-Weihnachtsbewegung. 4
Die vorliegende Studie hat lediglich explorativen Charakter. Nachdem
in einem ersten Schritt nachgezeichnet wird, was das Kernproblem der Soziologie sozialer Bewegungen ist, soll in einem zweiten Schritt kurz erläutert werden, welche Bewandtnis es mit dem systemtheoretischen Konzept
des Kommunikationscodes in Anwendung auf soziale Bewegungen hat. Im
dritten Schritt soll dann auf Äußerungen Bezug genommen werden, die in
entsprechenden Internetforen zum Thema „Anti-Christmas“ auffindbar
sind, um daran zu überprüfen, ob und inwieweit die These der strukturellen
Abhängigkeit der Anti-Weihnachtsbewegung zutrifft. Eine knappe Schlußbetrachtung rundet diese Studie kurzerhand ab.
Paradigmen der Bewegungsforschung
Die Bewegungsforschung beschäftigt sich mit den Bedingungen der
Möglichkeit sozialer Bewegungen, ihrer Vorgeschichte, Entstehung, Entfaltung und weiteren Entwicklung, ihren Funktionen, Strukturen und
Prozessen sowie mit den Beziehungen, die sie zu ihrem relevanten Umfeld unterhalten. Dabei kann eine soziale Bewegung als ein auf gewisse
Dauer gestelltes und durch kollektive Identität abgestütztes Handlungssystem mobilisierter Netzwerke von Personen und Organisationen definiert
werden, die sozialen Wandel mit Mitteln des Protests herbeiführen, verhindern oder rückgängig machen wollen. 5
4
Nur am Rande sei angemerkt, daß die oben angeführte Opposition von Pro Choice- und Pro Life-Bewegung demgegenüber keinen strukturellen „Verlierer“ aufweist, weil beide Bewegungen eine dezidiert positive Grundhaltung haben, und
ähnlich mag dies auch für die Opposition von Rechtsextremen und Autonomen
sein, so paradox dies für diesen letzteren Fall auch klingen mag. Interessant dürfte
sein, dies entsprechend auch für Anti-Brand-Proteste zu prüfen, vgl. Lüdicke 2006;
Lüdicke/Giesler 2007.
5
Vgl. Neidhardt 1985; Raschke 1985; Rucht 1994; Melucci 1996.
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Der Code der Anti-Weihnachtsbewegung
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Aufgrund der Tatsache, daß soziale Bewegungen zwar Organisationen
beinhalten, selbst aber keine sind, ist das Kernproblem sozialer Bewegungen gerade in ihrer Bewegungsförmigkeit zu sehen, d.h. in dem unabwendbaren Erfordernis, fortlaufend Anhänger für ihre Belange mobilisieren (können) zu müssen, um wenigstens vorübergehend Bestand zu
haben. Kurzum: Bestand haben heißt für Bewegungen, ständig in Bewegung zu bleiben. Joachim Raschke (1985: 187) hat hierfür eine sehr prägnante Formulierung gefunden: „Ohne Mobilisierung keine soziale Bewegung.“ Anschlußfähigkeit bedeutet im Falle sozialer Bewegungen somit Mobilisierungsfähigkeit, worauf Heinrich W. Ahlemeyer (1995) sehr
deutlich hingewiesen hat – Mobilisierungsfähigkeit verstanden als die
Fähigkeit, Personen vom Normalzustand der Passivität, d.h. Nichtmobilisiertheit, in einen Zustand der Aktivität, d.h. Mobilisiertheit, zu transformieren, und dies in relativ kurzer Zeit für eine relativ kurze Zeit, mithin
vorübergehend (Etzioni 1968; Melucci 1989).
Die Lösung dieses Problems der Bewegungsförmigkeit, oder um es
mit Niklas Luhmann zu sagen: der Unwahrscheinlichkeit erfolgreicher
Mobilisierung kann auf drei Aspekte konzentriert werden: (1) Anhängerschaft, (2) Organisation und (3) Framing. 6
(1) Basis jeder Bewegung sind präexistente Netzwerke von Personen,
die als Freund-, Nachbar- oder Bekanntschaften, aber auch Mitgliedschaften in Organisationen schon ein Eigenleben führen, bevor es zu ihrer Mobilisierung kommt. Diese Netzwerke stellen das zumeist latent bleibende
Rekrutierungspotential dar, auf welches die Bewegungen zugreifen, und je
nachdem, wer sich mobilisieren läßt, ergibt sich daraus die Größe, Zu-
6
Eine systematische Darstellung aller Erklärungsansätze der Bewegungsforschung
findet sich bei Hellmann/Koopmans (1998). Berücksichtigt wurden folgende
Aspekte: erstens strukturelle Gegebenheiten, häufig eine Problematik, die durch eine bestimmte Population erlitten wird und diese derart unter Leidensdruck setzt,
daß ihre Betroffenheit sie zum Handeln, sprich: Protest zwingt; zweitens kollektive
Identität, die sich gerade in der Auseinandersetzung über diesen Leidens- und
Handlungsdruck ergibt; drittens Framing, d.h. die Ausbildung entsprechender Deutungsmuster zwecks Problemdiagnose und Problemtherapie; viertens Ressourcenmobilisierung, also die Aktivierung von Ressourcen zur Durchsetzung jener Ziele,
wie sie die Problemtherapie definiert; und fünftens politische Gelegenheitsstrukturen, d.h. die Orientierung am Bewegungsumfeld hinsichtlich positiver wie negativer
Faktoren, etwa Freunde und Förderer auf der einen Seite, Gegner und andere Akteure auf der anderen.
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sammensetzung und Beweglichkeit einer Bewegung. 7 Darüber hinaus
können auch Bewegungen als „mobilisierte Netzwerke von Netzwerken“
beschrieben werden, wie Friedhelm Neidhardt (1985: 197) dies vorgeschlagen hat, weil sie selbst Netzwerke und nicht bloß Organisationen
sind. Insofern haben Bewegungen auch keine (formalen) Mitglieder, sondern (informale) Anhänger, oder anders gesagt: Das entscheidende Grenzkriterium sozialer Bewegungen ist nicht Mitgliedschaft, sondern Anhängerschaft, die ständig neu erzeugt und bestätigt werden muß.
(2) Aufgrund der Tatsache, daß sich die Anhängerschaft einer sozialen
Bewegung per se in einem passiv-latenten Zustand befindet, ist jede soziale Bewegung auf die Unterstützung bestimmter Organisationen angewiesen, die aufgrund ihrer Organisiertheit in sachlicher, sozialer und zeitlicher Hinsicht eine eminent wichtige Funktion für die Rekrutierung und
Mobilisierung dieser Anhängerschaft erfüllen (McCarthy/Zald 1977;
Zald 1992). Insofern könnte man auch sagen: Ohne Organisation keine
soziale Bewegung. Dabei heißt sachlich, daß den Organisationen die
Aufgabe zufällt, sämtliche Ressourcen wie Geld, Kontakte, Kompetenzen zur Verfügung zu stellen, die für eine erfolgversprechende Mobilisierung erforderlich sind; sozial heißt, daß die Organisationen – auch dies
ist eine Ressource – über ausreichend qualifiziertes Personal verfügen,
um diese Aufgabe bestmöglich wahrzunehmen; und zeitlich heißt, daß
die Organisationen von der Bewegungsförmigkeit und damit von der
strukturellen Instabilität sozialer Bewegungen entkoppelt sind. Denn Organisationen haben Dauer, Bewegungen nicht. Die Organisationen bieten
somit (relative) Konstanz, auf welche die Bewegungen notwendig angewiesen sind, weil sie selbst ohne Pause gegen ihren ständigen Zerfall
(Entropie) ankämpfen.
(3) Geht man davon aus, daß Bewegungen über ausreichende Mobilisierungsfähigkeit verfügen (können) müssen, um zumindest zeitweilig
Bestand zu haben, stellt sich die Frage, worin diese Mobilisierungsfähigkeit besteht. Wie gelingt es einer Bewegung, Menschen für sich zu mobilisieren? Wodurch stellt eine Bewegung es an, daß ihre Anhängerschaft
zusehends größer wird und schnellstmöglich eine Ausdehnung bekommt,
die sich massenmedial und damit auch politisch nicht mehr ignorieren
läßt? Die Bewegungsforschung gibt hierauf die Antwort: durch geschicktes Framing, d.h. durch eine umfassende, langfristig angelegte und mög7
Vgl. Snow et al. 1980; Diani 1995; Melucci 1996; Diani/McAdam 2003.
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Der Code der Anti-Weihnachtsbewegung
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lichst integrierte Kommunikationsstrategie, die einerseits gute Überzeugungsarbeit dafür leistet,
• daß es ein konkretes Problem gibt, gegen das sich der Protest der jeweiligen Bewegung richtet,
• daß legitime und dringliche Gründe dafür sprechen, sofort etwas dafür oder dagegen zu unternehmen,
• wer für dieses Problem verantwortlich gemacht werden kann,
• was zu tun ist, um dieses Problem möglichst umgehend zu lösen,
– und die andererseits dafür sorgt, daß sich fortlaufend mehr Menschen
dazu aufgefordert fühlen, sich dieser Bewegung anzuschließen und aktiv
bei ihr mitzumachen. 8 Man könnte hier übrigens auch zwischen Konsensund Handlungsmobilisierung unterscheiden, wie Bert Klandermans (1984:
586) dies vorgeschlagen hat: „Mobilization attempts by a movement organization have the aim of winning participants, that is, persuading people to
support the movement organization by material and nonmaterial means.
Mobilization attempts always contain two components. These are called
consensus mobilization and action mobilization.” Und je besser einer Bewegung beides gelingt, d.h. zu überzeugen und zum Mitmachen zu bewegen, desto höher ist ihre Mobilisierungsfähigkeit einzuschätzen.
Dabei fällt eine solche Kommunikationsstrategie hauptsächlich in den
Aufgabenbereich der Organisation(en) einer Bewegung und läßt sich
dementsprechend als eine Form von Ressourcenmobilisierung begreifen,
obgleich daran natürlich alle möglichen Akteure in der sozialen Umwelt
einer Bewegung mitwirken. Insofern stellt die Organisation einer solchen
Strategie wohl die zentrale Ressource für die Mobilisierungsfähigkeit einer sozialen Bewegung dar, ohne damit andere Ressourcen geringzuschätzen. Doch sind diese nur Mittel zum Zweck, denn mehr als ein
überzeugendes Framing kann eine Bewegung für die Mobilisierung ihrer
Anhängerschaft letztlich kaum aufbieten. Der Mobilisierungserfolg einer
sozialen Bewegung hängt somit größtenteils vom Erfolg ihrer Kommunikationsstrategie ab.
Was in solchen Kommunikationsstrategien kommuniziert wird, sind
„Frames“. Der Framingansatz ist es daher auch, der hier für die Übertragung der Bewegungsforschung auf die Konsumsoziologie in die engere
8
Vgl. Klandermans 1984; Snow et al. 1986; Snow/Benford 1988, 1992; Benford/Snow 2000.
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Wahl gezogen wird. Deshalb soll dieser Ansatz noch etwas genauer dargelegt werden.
Die Anfänge des Framingansatzes der Bewegungsforschung wurden
von David A. Snow et al. 1986 gelegt. In ihrem Aufsatz „Frame
Alignment Processes, Micromobilization, and Movement Participation“
beschäftigten sie sich mit den Funktionen und Strukturen der Kommunikationsprozesse, die bei der Konsens- und Handlungsmobilisierung zum
Tragen kommen. Hierfür wählten sie den Begriff „frame alignment“, den
man als strukturelle Kopplung der Deutungsmuster einer Bewegung und
ihrer Organisationen mit denen ihrer Anhänger und Sympathisanten umschreiben kann. Diese Kopplung von Bewegungs- und Individualebene
via Deutungsmuster erfolgt in viererlei Form: als „frame bridging“,
„frame amplification“, „frame extension“ und „frame transformation“.
• „Frame bridging“ meint, daß unterschiedliche Annahmen, Vorstellungen, Deutungen, soweit sie den Protestanlaß zum Gegenstand haben,
direkt miteinander verbunden werden, eine gemeinsame Plattform erhalten und sich dadurch wechselseitig stützen und verstärken.
• „Frame amplification“ bezeichnet Strategien, die Relevanz des Protestthemas für die individuelle Lebensführung aufzuzeigen. Snow et
al. (1986) unterschieden hierzu nochmals zwischen „value amplification“ und „belief amplification“, eine genaue Unterscheidung fällt jedoch schwer, da beides auf grundsätzliche Annahmen über die Welt,
ihre Ordnungen, Kausalitäten und Erfahrungen mit ihr referiert.
• „Frame extension“ richtet sich auf die Erweiterung dessen, was hinsichtlich des Protestthemas als relevant erachtet wird; es werden sozusagen fernerliegende Aspekte in die Protestkommunikation aktiv
miteinbezogen.
• „Frame transformation“ bezieht sich schließlich auf den strukturellen
Umbau des jeweiligen Deutungsmusters, um es mobilisierungsfähig
zu erhalten, wenn sich im Umfeld einer Bewegung die Verhältnisse
ändern sollten.
Zum Abschluß führten Snow et al. (1986) noch eine weitere Ebenendifferenz ein, die sich auf die unterschiedliche Reichweite von Deutungsmustern bezog, indem sie zwischen einem „master frame“, der das Gesamtgeschehen organisiere und gewissermaßen eine eigene Weltanschauung
darstelle, und Deutungsmustern mit sehr viel eingeschränkterem Geltungsbereich unterschieden, und sie warfen die interessante Frage der
höchst kontingenten Wirkung des „frame alignment“ auf die Individuen
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auf, die sie mit Bedacht als „frame resonance“ bezeichneten, also ohne
ein klares Kausalitätsverhältnis zu unterstellen.
In einer weiteren Studie von 1988 unternahmen David A. Snow und
Robert D. Benford eine Präzisierung der Unterscheidung zwischen Konsens- und Handlungsmobilisierung von Klandermans, indem sie eine
Auffächerung in drei Funktionen vornahmen, die ein erfolgversprechendes Protest-Framing erfüllen können sollte: „(1) a diagnosis of some
event or aspect of social life as problematic and in need of alteration; (2)
a proposed solution to the diagnosed problem that specifies what needs to
be done; and (3) a call to arms or rationale for engaging in ameliorative
or corrective action.“ (Snow/Benford 1988: 199) Ersteres nannten
Snow/Benford „diagnostic framing“, zweiteres „prognostic framing“,
letzteres „motivational framing“. Das „diagnostic framing“ hat die Funktion, den Problembezug plausibel zu machen, der dem Protest zugrunde
liegt; das „prognostic framing“ befaßt sich mit der Problemlösung einschließlich Adressierung der Problemverursachung an eine bestimmte
Person oder Organisation; und das „motivational framing“ ist mit der Aktivierung der Anhängerschaft betraut, die vor allem durch Moralisierung
zu erreichen versucht wird. 9
Als Zwischenfazit ist festzuhalten, daß das Framing für eine erfolgreiche Konsens- und Handlungsmobilisierung von entscheidender Bedeutung
ist. Es weist mehrere Formen auf, die auch getrennt auftreten können, ihre
größte Erfolgschance aber erst dann erreichen, wenn sie sich wechselseitig
unterstützen und verstärken. Und mit Blick auf soziale Bewegungen und
deren Funktion kann gesagt werden: „Movements function as carriers and
transmitters of mobilizing beliefs and ideas, to be sure; but they are also
actively engaged in the production of meaning for participants, antagonists
and observers.“ (Snow/Benford 1988: 198) Mithin treten Bewegungen
nicht nur als Vermittler, sondern auch Hersteller von Bedeutungen auf,
beides zu dem Zweck, ihre Anhängerschaft zu mobilisieren.
Übrigens macht dieses Zitat zudem deutlich, daß sich soziale Bewegungen bei der Vermittlung und Herstellung bestimmter Bedeutungen für
ihre Anhänger, Gegner und das Publikum durchweg in einem hochdynamischen Umfeld bewegen, das nicht nur andere gleichsinnige Akteure umfaßt, mit denen sie Allianzen schmieden, sondern auch feindselig gesonnene Akteure, mit denen sie in Konkurrenz und Rivalität stehen könnten (vgl.
9
Vgl. Snow/Benford 1988: 202f.; Hellmann 1996.
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Rucht 2004). Genau das meint die Emergenz von Gegenbewegungen, die
mitunter aufkommen, wenn eine bestimmte Bewegung zuviel öffentliche
Aufmerksamkeit erzielt, zuviel Aufhebens von sich macht, ein gewisses
Maß an stiller Tolerierbarkeit überschreitet und dann entsprechende Gegenmaßnahmen provoziert, bis hin zur Ausbildung einer eigenständigen
Gegenbewegung, die als Anti-Bewegung freilich denselben Möglichkeitsbedingungen erfolgreicher Mobilisierung unterworfen ist wie die ProBewegung. 10 Bewegung und Gegenbewegung beobachten sich dann
wechselseitig daraufhin, was sie jeweils tun, und ggf. werden sie währenddessen sogar noch von einer amorphen Masse anonymer Beobachter via
Massenmedien beobachtet, die zwar (noch) nicht dazu gehören, aber
durchaus dafür oder dagegen Stellung beziehen (könnten).
Konsumentenbewegungen als Kommunikationssysteme
Bevor es jetzt darum geht, einzelne Anti-Konsum-Aktivisten als Anhänger einer größeren Anti-Weihnachtsbewegung zu identifizieren, 11 bedarf
es noch einer systemtheoretischen Rekonstruktion dessen, was bislang
über soziale Bewegungen gesagt wurde. Ausgangspunkt ist die Annahme, daß der Erfolg sozialer Bewegungen vor allem davon abhängt, wie
geschickt ihr Framing es versteht, ein bestimmtes Problem als gesellschaftlich relevant herauszustellen, u.a. weil dessen Ursache nicht subjekt-, sondern systembedingt ist, wie eine möglichst konkrete und in
überschaubarer Zeit noch erreichbare Lösung dieses Problems aussehen
könnte, und wie es gelingt, möglichst viele Anhänger für diesen Protestanlaß zu mobilisieren (vgl. Snow/Benford 1988). Alle diese Maßnahmen
sind somit rein kommunikativer Natur. Es geht mithin um die Entwicklung einer möglichst erfolgversprechenden Kommunikationsstrategie und
die Planung und Umsetzung entsprechender Kommunikationsmaßnahmen. Systemtheoretisch gefaßt folgt aus dieser Tatsache die Möglichkeit,
10
Vgl. Mottl 1980; Zald/Useem 1987; Saltzman/Dworkin 1989; Meyer/Staggenborg 1996.
11
Zu Vorarbeiten, wenngleich nicht auf Anti-Weihnachtsproteste bezogen, vgl.
Klein 2000; Kozinets/Handelman 2004; Hellmann 2005.
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Der Code der Anti-Weihnachtsbewegung
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soziale Bewegungen als soziale Systeme zu konzipieren. 12 Dies bedeutet,
daß soziale Bewegungen anhand bestimmter Strukturen konzipiert werden, die in der Sache zwar allesamt schon genannt wurden, nur eben
noch nicht eingebunden in einen größeren Theoriekorpus. Mit der Systemtheorie steht ein solcher Korpus zur Verfügung.
Ohne hier eine ausführliche Darstellung der Systemtheorie sozialer
Bewegungen vornehmen zu können, kann die Spezifik dieser Perspektive
doch schon anhand weniger Aspekte aufgezeigt werden, die auch für die
anschließende Analyse herangezogen werden und die teilweise schon bei
Kozinets/Handelman (2004) zur Anwendung kamen.
Der erste Aspekt betrifft den Code sozialer Bewegungen, einschließlich ihrer Programmierung. Systemtheoretisch betrachtet, ist jedes soziale
System darauf angewiesen, sich von seiner Umwelt selbständig abgrenzen zu können. In dieser Sicht müssen soziale Systeme über ausreichende
Eigenselektivität verfügen. Für diesen Zweck gibt es idealtypisch Codes.
Codes bezeichnen Unterscheidungen, die zwei Seiten umfassen. Auf der
einen Seite gibt es einen Wert, der den eindeutigen Vorzug genießt, weshalb er auch als Präferenzwert bezeichnet wird. Jede Kommunikation des
Systems bezieht sich zunächst auf diesen Präferenzwert; der Präferenzwert organisiert quasi die Anschlußfähigkeit des Systems. Auf der anderen Seite dieser Unterscheidung befindet sich der Reflexionswert, der die
Möglichkeit bereit hält, gegenüber dem Präferenzwert, der relativ festgelegt ist in dem, was er präferiert, alle anderen, nicht aktualisierten, d.h.
verworfenen Alternativen wieder ins Gespräch zu bringen, sofern dies erforderlich werden sollte.
Im Falle sozialer Bewegungen besteht der Code nun aus einem Präferenzwert, den man wie folgt umschreiben könnte: „Es gibt Probleme,
durch die wir unmittelbar betroffen sind und die jene, die dafür direkte
Verantwortung tragen, unverzüglich lösen müssen.“ Demgegenüber umfaßt der Reflexionswert alle jene, die für diese Probleme verantwortlich
gemacht werden und von denen man sich entsprechende Problemlösungen erwartet. Jede soziale Bewegung steuert ihre Kommunikation demnach über diesen Code, unabhängig von ihrer spezifischen Programmierung, d.h. vom konkreten Problem, um dessentwillen es Protest gibt.
Übertragen auf die Anti-Weihnachtsbewegung bedeutet das, dokumen12
Vgl. Smelser 1972; Luhmann 1984, 1996; Bergmann 1987; Japp 1993; Stewart et
al. 1994; Ahlemeyer 1995; Hellmann 1996.
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Kai-Uwe Hellmann
tierbare Beiträge der Bewegungsanhänger danach zu sortieren, um welche Probleme es sich für sie handelt, wen sie dafür verantwortlich machen und wie sie sich eine Lösung dieses Problems vorstellen.
Der zweite Aspekt richtet sich auf die Art und Weise, wie soziale Bewegungen nicht sachliche − dies geschieht maßgeblich über den Code −,
sondern soziale Bindung zwischen ihren Anhängern erreichen. Heinrich
Ahlemeyer (1995) hat hierzu den interessanten Vorschlag unterbreitet,
daß soziale Bewegungen sich durch eine spezifische Form der Kommunikation auszeichnen, die es auf konkrete Mit-Mach-Mobilisierung anlegt. Nimmt man hierzu nochmals die Unterscheidung zwischen Konsens- und Handlungsmobilisierung von Bert Klandermans heran, geht es
insbesondere darum, Menschen zur aktiven Unterstützung der Bewegung
zu motivieren, d.h. um Handlungsmobilisierung. Das Besondere nach
Ahlemeyer ist dabei, daß der Mobilisierungserfolg wesentlich davon abhängt, inwieweit der Mobilisierende den Zu-Mobilisierenden davon
überzeugen kann, daß es ihm ernst mit seinem Anliegen ist, indem er seine Mobilisiertheit ihm gegenüber glaubhaft zu machen versteht. Mit anderen Worten, setzt die erfolgreiche Fremdbindung von anderen eine
glaubwürdige Selbstbindung voraus. Hinzu kommt, daß jede Mobilisierungsmaßnahme mit gewissen Sanktionen arbeitet, die häufig moralischer Natur sind. Mobilisierung erfolgt demnach durch Moralisierung:
Bist Du für uns oder gegen uns? Mobilisierung operiert oft offensiv mit
der Zuteilung oder Verweigerung sozialer Anerkennung, mit dem Versprechen auf Inklusion in oder der Androhung von Exklusion aus bestimmten Netzwerken. Gepaart ist diese Strategie nicht selten mit einer
Unterscheidung zwischen den Eingeweihten und Ahnungslosen, zwischen der Elite und der Masse, zwischen den Guten und den Bösen. Diese Strategie ist aber auch schon in der Zwei-Seiten-Form des Codes
selbst angelegt. Übertragen auf die Anti-Weihnachtsbewegung bedeutet
das, dokumentierbare Beiträge der Bewegungsanhänger danach zu sortieren, wie sich die Protagonisten über sich selbst („Wir“) in Abgrenzung zu
allen anderen („Die“) äußern, wie sie glaubhaft machen, es mit ihrem
Engagement tatsächlich ernst zu meinen, und welche Strategie der Moralisierung sie jeweils einsetzen.
Ein dritter und letzter Aspekt, der auch bei Kozinets/Handelman
(2004) mit Verweis auf den Begriff der Historizität von Alain Touraine
auftaucht, betrifft die Tendenz sozialer Bewegungen, ihre Problemstellung auf der Basis ihres Kommunikationscodes zu universalisieren und
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Der Code der Anti-Weihnachtsbewegung
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sich in direkte Opposition zur Gesellschaft an sich zu setzen, so als ob sie
nicht dazu gehören würden. Hierdurch kommt die Unterstellung einer
Totalität ins Spiel, die sich freilich ganz der Suggestion und Inszenierung
der Anhänger der jeweiligen Bewegung verdankt, oder anders gesagt: Es
handelt sich dabei vollständig um einen Framing-Effekt.
Bei der nun folgenden Analyse des Materials, das aus mehreren Internetforen gewonnen wurde, soll versucht werden, diese drei Aspekte nach Häufigkeit und Prägnanz aufzuspüren und nachzuweisen. 13 Ziel der Analyse ist
es vor allem, deutlich zu machen, daß die Anti-Weihnachtsbewegung vorwiegend in einer Rejektions- und Obstruktionshaltung verharrt und dadurch
in ihrer kommunikativen Beweglichkeit stark eingeschränkt, ja blockiert ist,
was als Indiz für die strukturelle Abhängigkeit der Anti-Weihnachtsbewegung von der Pro-Weihnachtsbewegung gewertet werden kann.
„Kick the Christ out of Christmas“ 14
Geht man zunächst von der Selbstbeschreibung des Feldes aus, steht außer
Frage, daß sich viele Anti-Christmas-Aktivisten einer „movement“, also
einer Anti-Weihnachtsbewegung selbst zurechnen oder eine solche zumindest identifizieren. 15 So heißt es bei Sara Parks Ricker: „We are SO
THRILLED that this movement is taking off. I never would have guessed
it so be possible. Thank you all so much!” Und Treasure meint: „I want to
say thank you for starting this movement.” Zumal es auch direkt im Netz
eine Initiative gibt, die sich selbst „The Christmas Resistance Movement“
13
Die „Datenbasis“ bezieht sich im Kern auf 321 Postings aus folgenden englischsprachigen Websites: antichristmas.org, buynothingchristmas.org, forums.civfanatics.
com/archive/index.php/t-256387.html,
rip747.wordpress.com/2006/12/07/i-hatechristmas und xmasresistance.org.
14
So lautet ein Beitrag von Bob Dog.
15
Vgl. Jones 1996, 1997, ferner den Beitrag von leroy mxswain: „I never buy or ask
for christmas gifts because, since becoming an adult, I look for the deeper meaning
of Christmas. i never realised that I was part of a movement, though! … anyway,
god bless you in your movement (or I should say our movement) and keep up the
good work.” Sowie Fern: „I didn’t know that my husband, daughter and I were in
so much company.” Oder Corinne: „Wow, there are a lot of us on the same page.”
Schließlich noch Neil: „I really can’t think of anything to add. I’m just amazed that
there are as many people that despise this time of year.”
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Kai-Uwe Hellmann
nennt und die auf ihrer Website einen typischen Mobilisierungsappell implementiert hat: „Join the Christmas Resistance Movement!“
Schaut man sich daraufhin die Probleme und Motive an, deretwegen
eine solche Anti-Weihnachtsbewegung begrüßt oder gar aktiv unterstützt
wird, ergeben sich mindestens drei verschiedene Argumentationsfiguren:
1. Die häufigste Nennung von Gründen rekurriert darauf, daß die Weihnachtszeit ganz und gar dem „consumerism“ bzw. „materialism“ zum
Opfer gefallen sei. 16 „Christmas is nothing more than guilt induced
consumerism”, so Gary, and Pass_the_Whiskey writes yet: „Christmas
has been perverted into a feast of massive material consumption and it
SUCKS!!! … Forget the terrorists, we are sabotaging ourselves.” 17
Kommerzialisierung, Konsumzwang und Materialismus sind die dominanten Beweggründe für Weihnachten, so die Problemdiagnose,
während der christliche Ursprung dieses Festes kaum noch zur Geltung
komme (vgl. Seißler 1999). Dies geht so weit, daß gesagt wird, es handele sich sogar um eine „anti-christian celebration“, christliche Werte
durch Weihnachten also beschädigt werden würden. 18 Ansonsten wurde noch festgestellt, daß das Weihnachtsfest gänzlich „meaningless“ 19
sei, d.h. überhaupt keine tiefere Bedeutung mehr habe, was wiederum
in Richtung des Konsumismusvorwurfs geht. 20
16
Vgl. die Beiträge von Cline o.J.
Vgl. Restad (2004), der seinen Artikel, der sich mit Weihnachtskritik Ende des
19. Jahrhunderts befaßt, so beginnt: „Christmas has become too commercial.“
17
18
Vgl. Andriacco (2000), der u.a. von der christlich-orientierten Organisation
„Simple Living“ berichtet, die Weihnachten („Christmas“) kurzerhand in „Consumas“ umgetauft haben: „The central figure of the Christian Chistmas is Jesus
Christ. The central figure of Consumas is Santa Claus.”
19
Vgl. den Beitrag von LesCanadians: „This mindless consumerism is an abomination
to God. … Christmas has become a linchpin of our economy. … their mindless consumerism …” Ferner ein Beitrag in Rip’s Domain vom 7. Dezember 2006: “Yes you
read right, I hate Christmas. I think know the holiday has lost all meaning and people
are only concerned about receiving gifts. It’s so commercialized now, what good is it.”
Oder von Trixie: „There is no meaning to it anymore … it’s just an overbloated gorging
of materialism. … Thank GOD I’m not the only one who feels this way!”
20
Vgl. den Beitrag von Sharon zum Schenken: „Why single out one day to be special? Buy people you love presents when you think of them and try to be nicer year
round rather than all this fake one day a year shit. Getting me a christmas present
doesn't make me think you care about me, it just pisses me off. Why do charities
09:19:40, 13.08.2008, Vortrag (d).doc
Der Code der Anti-Weihnachtsbewegung
15
2. Daneben wurden mehrfach Klagen vorgebracht, welche die Atmosphäre in den Städten ab dem „black friday“ 21 betrafen, dem Tag
nach Thanksgiving, dem vierten Donnerstag im November, wenn die
Weihnachtssaison in Nordamerika offiziell losbricht. Denn das Einkaufsverhalten der Konsumenten würde dann ungleich ruppiger, gieriger, hysterischer werden, als es sonst schon üblich sei. Alle befänden sich gleichsam im Kauffieber. „i am so sick of the way christmas
makes everyone worse, not nicer. do you see the way people act
when it comes to buying gifts for the holidays? like freakin' savages.
it's disgusting, the way people get so worked up over crap, most of
which is cheap shit made in China anyway. Come on, people, get
your head out of your asses and stop feeding the capitalist monster!!!
Amen” (F.L.P.) Die Straßen, Wege und Kaufhäuser wären hoffnungslos verstopft. Überall werden über Wochen hinweg die immer
gleichen Weihnachtslieder gespielt, so daß eine sehr streßvolle Zeit
der Unausweichlichkeit komme, die genau das Gegenteil von dem
bewirke, was man traditionell mit Weihnachten verbunden hätte: Ruhe, Besinnlichkeit, innere Einkehr.
3. Schließlich wurde problematisiert, daß der Versuch, sich diesem
Weihnachtsgebaren, insbesondere was das wechselseitige Schenken
angehe, zu entziehen, oftmals mit Unverständnis, wenn nicht Vorwürfen („Scrooge“, d.h. Geizhals 22 ) und anderen Sanktionen beantwortet werden würde 23 − bis hin zum Abbruch der Kommunikation,
wie Donna Stewart es berichtet, als sie beabsichtigte, das Schenken
think that hunger or cold goes away on Boxing day? I'm tired of people thinking I'm
obligated to get them a gift at christmas.”
21
Die Bezeichnung „black friday“ stammt von der Metapher, rote oder schwarze
Zahlen zu schreiben: Der Tag nach Thanksgiving ist für den Einzelhandel der umsatzstärkste, also buchungstechnisch „schwärzeste“ Tag in Nordamerika, vgl. Erb
1985; Okleshen et al. 2000.
22
Vgl. Henry (1990) sowie den Beitrag von Russ: „If a person doesn’t go with the end
the rest of the sheep with Xmas (and writes it with an X instead of the full title) they flip
out on you, call you names of characters made up to make you feel bad about yourself,
like Scrooge, Grinch, etc. … telling me I’m bad if I sin yet on the other hand…”
23
Vgl. den Beitrag von AB: „Two years ago I stopped sending out Christmas cards,
which cost me some friends. Last year I stopped putting up decorations and a tree,
which earned me the label of being a Grinch. And after this year, I’m done with the
gift giving, which will probably lead to me being labelled cheap.”
09:19:40, 13.08.2008, Vortrag (d).doc
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Kai-Uwe Hellmann
einzustellen: „I tried this last year, and my sister hasn’t spoken to me
since.” Mit anderen Worten zeichnet die Weihnachtszeit eine ausgeprägte Intoleranz gegenüber abweichenden Meinungen und Verhalten
gegenüber den vorherrschenden Weihnachtsgepflogenheiten aus,
nichts darf die Inszenierung stören, so daß man sich mitunter regelrecht verfolgt fühle, wenn man anderer Meinung sei als die Mehrheit
der Bevölkerung.
Geht man sodann auf mögliche Verursachungsfaktoren ein, die für diese
Perversion der Weihnachtszeit verantwortlich gemacht werden, kommen
zunächst die Unternehmen in den Blick, die Weihnachten gezielt dazu
nutzen, um einen Großteil ihrer jährlichen Umsätze innerhalb der Weihnachtszeit zu erzielen. Hier wird ein klarer „anti-corporate“-Bias sichtbar, wie man an Ricardos Beitrag erkennen kann: „Anyway I loath the
idea of Santa. His whole image is nothing more than a pitchfork that
capitalist fat-cats use to penetrate the wallets of the mindless drowns that
take part in this twisted backwater ‘Holiday’.” 24 Dieser Vorbehalt weitet
sich mitunter auch auf das „System“ als solches aus, das hinter allem
stecke. So teilt Jamie Howard mit: „It seems that Christmas and it’s true
meaning is lost and taken over by the machine that is capitalism.” 25
Schließlich kommen noch die Pro-Xmas-Aktivisten selbst in den Blick,
also all jene Konsumenten, die sich für eine solche Inszenierung und
Kommerzialisierung von Weihnachten aussprechen und einsetzen − und
bisweilen als „brain washed“ denunziert werden, wie bei Nikola: „I
despised brainwashed people.” Nur am Rande wird demgegenüber auch
24
Siehe ferner Steve-o: „In my opinion Christmas is nothing more than a grotesque
trade fair that has been hijacked by trade, retail and commerce.” Sowie bella: „i
don’t hate Christmas but sometimes I despise it because the only reason we have
Christmas is to celebrate the birth of jesus and family but now its just a time were
stores and corporate use to sell their merchandise and its not right at all. … Christmas is now a materialistic holiday.” Oder bei Thorpe (2006): „Christmas is the
credit card industry’s favourite day of the year. … Peace, goodwill towards men,
hope, and a new beginning − this is forgotten, this is not really encouraged by Corporate Christmas beyond using it as justification for consumerism.”
25
Siehe ferner Val: „We live in a society that sets up such completely unrealistic expectations of how we are supposed to live, unrealistic expectations of what we are
supposed to have or do to be happy.” Sowie gallego: „The commercial culture turns
gift-buying into a presupposition − you are expected to buy something from the getgo, and all the ads are competing for the money that you are supposed to spend.”
09:19:40, 13.08.2008, Vortrag (d).doc
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eingestanden, daß persönliche Probleme in der privaten Lebensführung
(Einsamkeit, kein Familienanschluß, Armut etc.) ebenfalls dafür verantwortlich sein mögen, daß man an der Pro-Weihnachtsbewegung nicht
partizipieren könne. 26
Bei der Frage nach der Lösung der angeführten Probleme ergeben sich
naheliegenderweise mehrere Optionen. Zunächst wurde mehrfach kund
getan, daß allein schon das Auffinden der entsprechenden Websites und
der Austausch mit Gleichgesinnten eine enorme Erleichterung darstelle,
wie bei Sue: „I am so glad to find this on the screen! … Now I find
maybe it’s not all my fault and perhaps there is something important behind it.” Denn nicht allein zu sein mit dem Problem, das der Weihnachtstrubel für viele Menschen bedeutet, wird schon für sich als eine (Teil)Lösung bewertet. 27 Damit eng zusammen hängt eine Art basaler Motivations- und Moralisierungseffekt in dem Sinne, daß sich die Betroffenen
ermutigt, bestätigt und bestärkt fühlen in ihrer Anti-Weihnachtshaltung
und das Wissen um eine solche Anti-Weihnachtsbewegung als inspirierend beschreiben, wie bei Susan Mazzara: „Thank you for the encouragement and inspiration your web site provides. Marry Christmas!” 28
Wendet man sich daraufhin den mehr aktivistischen Reaktionen zu,
geht die Tendenz in Richtung Mitmachen und Verändern. Hier fächert
sich das Spektrum an Reaktionsmöglichkeiten erwartungsgemäß aus. Für
manche ist allein schon die Partizipationschance, d.h. das VerlassenKönnen (selbst)gewählter Isolation und Eintauchen-Können in einen
größeren Handlungszusammenhang, reizvoll und ein psychischer wie sozialer Gewinn, wie bei Aiden Schlichting Enns: „As I participate in a Buy
26
Vgl. den Beitrag von Denise: „I am a fellow Christmas hater. For me, it means
feeling left out home. I have no close family connections.” Sowie wikkd: „I probably would not hate it so much if I were not so poor … it’s just too depressing to
think about celebrating…”
27
Vgl. den Beitrag von Sandra: „I was so glad to find out that I am not alone in my
despair.” Sowie Lorraine Udell: „Thanks for your web site and the ‘action’ you are
taking to confront this issue. … Your web-site has made me feel I can do something
more constructive, and cut back without spoiling things or being seen to be mean!”
Oder Sue Pettitt: „Suddenly I’m not alone here in old England (Birmingham)!
Thank God there are people like you starting this message. Will tell my kids about
it (I’m a teacher). I wish you all great peace.”
28
Vgl. ferner den Beitrag von Aiden Schlichting Enns: „It’s empowering for me to
shed this self-concept and take an anti-consumerist stance.”
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Kai-Uwe Hellmann
Nothing Christmas, I’m seeking to re-assert my political power, which,
when combined with the actions of others, is quite empowering, and even
offers a hint of hope.” 29 Konkrete Aktionen sind dabei Verweigerung
und Widerstand leisten, den eingeschlagenen Anti-Weihnachtskurs also
beibehalten, bis hin zum Boykott („Buy Nothing Christmas“). Darüber
hinaus gibt es ab und zu auch Überlegungen, die Verhältnisse zu verändern, Weihnachten wieder seiner ursprünglichen Bestimmung zuzuführen, den Konsum- und Geschenke-Wahn etwas zurückzudrängen, wie bei
Brendan Shaughnessy: „i was horrified knowing the extent of commercialism and lack religion found in most families Christmas including
ours. Your site supports my beliefs and gives me strength to refuse to
give or receive physical gifts this season.” 30 In diesen Zusammenhang
paßt auch der Dank dafür, sich für die „education of the masses“ einzusetzen, wie bei Robert Gillespie: „Thank for providing education to the
masses.” Insgesamt jedoch zeichnet sich das Feld durch eine Ausweichund Verweigerungshaltung aus. Positive Gegenentwürfe sind rar, das Gefühl, einer Minderheit anzugehören, die zwar das Richtige will, in ihrer
Wirksamkeit aber begrenzt bleibt, herrscht weitgehend vor.
Kommt man schließlich auf den letzten Aspekt der Mobilisierung zu
sprechen, so finden sich nur wenige Anhaltspunkte dafür, daß Fremdmobilisierung durch Selbstmobilisierung, also die Aufforderung zum Mitmachen durchs Vormachen erfolgt. Relativ gut gelingt der Nachweis
zwar für die Rhetorik der beiden Initiativen „Buy Nothing Christmas“
und „The Christmas Resistance Movement“. In den Postings selbst jedoch taucht dieser Zusammenhang kaum auf, wenigstens läßt er sich
nicht eindeutig dokumentieren. 31
29
Siehe ferner Alisa Stucky: „Your website has given us the motivation to do something.”
30
Siehe ferner Jen Winnipeg: „I hope it provokes some alternative thinking on gift
giving, using barter and trade where the actual creation of a gift is not possible (or
desirable!).” Sowie Homie: „I’m a Christian and I agree with your sentiment. But
banning it wouldn’t be right, it has to be a change in the attitudes of people.”
31
Vgl. höchstens den Beitrag von Jenny Truax vom Chatholic Action Network:
„I’m writing from st. louis. We’re planning on doing a ‘sweat-free christmas’ campaign, using many of the resources on your site. Hopefully we will get people in
Catholic parishes to sign a pledge to buy nothing produced in sweatshops, and provide alternatives.”
09:19:40, 13.08.2008, Vortrag (d).doc
Der Code der Anti-Weihnachtsbewegung
19
Ganz anders schaut es mit Äußerungen für konkrete Mobilisierungserfolge aus. Hier lassen sich mehrfach Mitteilungen feststellen, die deutlich
machen, daß der Kontakt mit anderen Betroffenen und Aktivisten der
Anti-Weihnachtsbewegung einen echten Impuls zur Mobilisierung weiterer Personen auslöst, wie bei Joel Butler: „This Christmas season I put up
‘Buy Nothing Day’ posters around the city in an attempt to introduce the
idea of freedom from consumerism. I also convinced my family that instead of our usual practice of each person giving other person a Christmas gift, this year we would each draw a name and give a gift to only
that person.” Oder im Falle von Mike Kaethler: „You can expect me to
be campaigning my campus this Christmas.” Ebenso Claire Cummings:
„I have forwarded it to everyone I know.” 32 Insofern verfängt der Mobilisierungsappell offensichtlich. Schließlich gibt es durchaus Indizien dafür, daß sich derartige Mobilisierungsinitiativen der Moralisierung bedienen, um entsprechende Verhaltensveränderungen bei Nahestehenden,
d.h. Mobilisierung im privaten Netzwerk, zu bewirken33 − ob strong oder
weak ties, das sei erst einmal dahingestellt.
Nimmt man an dieser Stelle die These von der strukturellen Abhängigkeit der Anti-Weihnachtsbewegung wieder auf, so kann festgestellt
werden, daß die These von der strukturellen Abhängigkeit einer unterstellten Anti-Weihnachtsbewegung als bestätigt betrachtet werden kann.
Ausgehend von einer entsprechenden Umschreibung dieses Präferenzwertes − „Es gibt Probleme mit der Art und Weise, wie heutzutage
Weihnachten zelebriert wird, durch die ich/wir unmittelbar betroffen
bin/sind und die jene, die dafür direkte Verantwortung tragen, unverzüglich lösen müssen.“ −, können für den ersten Teil dieser Selbstbeschreibung hinreichend viele Mitteilungen aufgeführt werden. Und auch für die
32
Siehe ferner Adam Friedman: „I perused your website and sent your ‘Why Buy
Nothing?’ essay on a few friends.” Sowie Lillie-Kate: „My youth group is soon to
be involved, and I am so excited! Many of my teachers are now full supporters. …
Good luck, I’ll keep the chain going!” Ferner LeeAnn: „This is all true inspiring. As
I walked through the mall today (just to drop off my library books at the new City
Place location, honest), and looked around me at the incredible flood of plastic
stuff, I felt a sense of relief or the first time during this season, knowing that I won’t
have to participate. I tell as many people as I can.” Und Bronwen Roberts: „I shall
tell as many people as a I can about BNV. Thank you for having the courage and
imagination to start this amazing project you have my support 100%.”
33
Vgl. den Beitrag von Kathcart: „It is obscene to keep hogging global resources.”
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Identifizierung von Verantwortlichen lassen sich geeignete Stellungnahmen nachweisen, wenngleich diese deutlich unbestimmter ausfallen.
Wendet man sich daraufhin den Lösungsvorschlägen zu, reduziert sich
das Spektrum, sieht man von persönlichen „incentives“ und kleinteiligen
Ausweichmanövern 34 einmal ab, im wesentlich auf eine Rejektions- und
Obstruktionshaltung, die fast schon an eine Trotzreaktion erinnert. Zwar
sollen Überlegungen, die vorgebracht werden, um die Menschen wieder
zur Besinnung und auf den rechten Pfad zurückzuführen, nicht verschwiegen werden. Doch sind alle diese Vorschläge zur Richtungs- und
Verhaltensänderung von einer gewissen Zaghaftigkeit und Ratlosigkeit
gezeichnet. Eine starke positive Vision dessen, was anstelle der gängigen
Praxis der Pro-Weihnachtsbewegung treten sollte, fehlt weitgehend. Insofern bleibt die Anti-Weihnachtsbewegung, läßt man sich auf dieses Konstrukt soweit ein, eher einer negativen Erwartungshaltung verhaftet. Sie
reagiert bloß, agiert aber kaum. Vorherrschend sind Haltungen wie Verweigerung, Rückzug ins Private, Selbstverschanzung und Boykottbereitschaft, nicht aber eine forcierte, souveräne Bemühung um eine Verkehrung der Verhältnisse. Dazu sind Übermacht und Rückhalt der ProWeihnachtsbewegung einfach zu groß, geradezu unüberwindlich, während die Gelegenheitsstrukturen der Anti-Weihnachtsbewegung demgegenüber miserabel organisiert sind und sie kaum mit öffentlicher Anerkennung versorgen können. Insofern kann gesagt werden, daß sich die
Anti-Weihnachtsbewegung, soweit es diese Datenbasis hergibt, tatsächlich in einer strukturellen Abhängigkeit zur Pro-Weihnachtsbewegung zu
befinden scheint, der gegenüber sie sich zwar zu behaupten sucht, von
der sie sich aber kaum zu lösen vermag, um nicht bloß eine negative,
sondern auch eine positive Selektion und Präferenz zum Ausdruck bringen zu können. Das „crossing“ dieser Unterscheidung mißlingt, hier
sprechen die Daten für sich.
34
Vgl. die Vorschläge von Dan Andriacco (2000): Six Ways Take Commercialism Out
of Christmas. Quelle: www.americancatholic.org/Messenger/Dec2000/feature3.asp.
Ferner gibt es natürlich entsprechende Happenings wie eine „Anti-Consumption Xmas
Party!“ (http://bristol.indymedia.org/article/24403).
09:19:40, 13.08.2008, Vortrag (d).doc
Der Code der Anti-Weihnachtsbewegung
21
Schlußbemerkung
Aufgrund des Datenbestandes gleich dieser Text eher einem Essay, zumindest hat diese Studie allenfalls explorativen Charakter. Weitere Forschung
sollte dazu beitragen, den Datensatz quantitativ wie qualitativ zu verbessern,
um die These der strukturellen Abhängigkeit einer AntiWeihnachtsbewegung besser belegen zu können. Bislang ist nicht mehr geleistet worden als ein dürftiger Indizienbeweis dafür, daß die Existenzchance
einer solchen Anti-Weihnachtsbewegung auf einer parasitären Basis beruht.
Führt man in diesem Zusammenhang freilich weitere Studien heran, die sich
mit Anti-Konsum-Aktionen befassen, wie bei Kozinets (2002) oder
Heath/Potter (2004), wird relativ schnell deutlich, daß sich derartige Protestformen durchweg in einer prekären Situation befinden, was ihre Autonomie
betrifft. Vielmehr kann berechtigter Zweifel daran angemeldet werden, inwiefern solche Aktionen ein tatsächliches Eigenleben führen können, ähnlich der Frage Robert V. Kozinets’: „Can Consumers Escape the Market?“
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