Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin

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Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin
Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin
Margareta von Oswald
Es ist schlichtweg einmalig auf dieser Welt, dass ein Tätervolk einen Gedenkort für sein größtes Verbrechen im Herzen des Täterlandes platziert.
Gideon Joffe, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Berlin
Selten wurde die Entstehung eines Denkmals so kontrovers und vielschichtig
diskutiert wie die des Denkmals für die ermordeten Juden Europas in Berlin.
Über ein Jahrzehnt hat die Realisierung des Holocaust-Mahnmals gedauert. Heute steht das Denkmal weltweit als Symbol für die Auseinandersetzung Deutschlands mit der eigenen Vergangenheit.
Das Holocaust-Mahnmal, 2005 eröffnet, setzt sich zusammen aus dem Denkmal für die ermordeten Juden Europas, einem Betonstelenfeld inmitten des Berliner Zentrums und dem Ort der Information, einem Informationszentrum und
Archiv, das über die Dimension des Genozids an den europäischen Juden aufklären soll.
1. Politischer und kultureller Kontext
Die Idee der Publizistin Lea Rosh und des Historikers Eberhard Jäckel zur Errichtung eines Denkmals für die ermordeten Juden Europas stößt von Anfang an
in Politik und Gesellschaft auf positive Resonanz.
Schnell bilden sich jedoch um die Kernpunkte der Realisierung des Projektes
Kontroversen. Diskussionen in Politik und Medien entstehen einerseits in Bezug
auf die direkte Umsetzung des Denkmals: Der Standort, die hohen Kosten, Form
und Ästhetik der Gedenkstätte bilden dabei die zentralen Diskussionspunkte.
Andererseits entstehen Widerstände bezüglich der allgemeinen Rechtfertigung
und des Sinnes und Zieles eines solchen Denkmals. Hierbei geht es zum einen
um die Frage der Hierarchisierung der Opfer. Die Opfergruppen der Sinti und
Roma sowie der Homosexuellen treten dabei besonders hervor.22 Zum anderen
22
Die Debatte um die Hierarchisierung der Opfer führte u. a. dazu, dass der Bau eines Berliner
Mahnmals für die in der NS-Zeit ermordeten Sinti und Roma 2007 vom Bundesrat genehmigt
und 2008 das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen eröffnet
wurde.
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stellen sich identitätspolitische Fragen, z. B. für wen das Denkmal errichtet werden soll.
Die Idee für ein Denkmal für die ermordeten Juden Europas wird 1989 das
erste Mal formuliert, als Lea Rosh und Eberhard Jäckel den ersten Aufruf der
Bürgerinitiative „Perspektive Berlin“ zur Errichtung eines solchen Denkmals
veröffentlichen, aus der sich anschließend der „Förderkreis Denkmal für die
ermordeten Juden Europas“ gründet. Unterstützung erhält die Initiative von
Bundeskanzler Helmut Kohl, der 1992 die Ministergärten neben dem Berliner
Brandenburger Tor für die Errichtung des Denkmals genehmigt. Der erste Architekturwettbewerb, ausgeschrieben von der Berliner Senatsverwaltung für Bauund Wohnungswesen, scheitert an Helmut Kohl, da er sich gegen den von der
Jury ausgewählten Entwurf ausspricht. Das Projekt gerät in eine erste Krise.
1997 wird vom Bund, dem Land Berlin und dem Förderkreis abermals ein
Architekturwettbewerb ausgelobt, der sich durch das Wettbewerbsverfahren als
zielgerichteter gestaltet. Nach einer öffentlichen Debatte der letzten vier Entwürfe stellt sich das Konzept des amerikanischen Teams von Peter Eisenmann und
Richard Serra als Favorit heraus. Die Veränderungsvorschläge Helmut Kohls
veranlassen Richard Serra 1998, das Projekt zu verlassen. Aufgrund des Wahlkampfes und des anschließenden Regierungswechsels zu einer rot-grünen Koalition liegt das Projekt still, wird danach jedoch um so mehr auch für politische
Zwecke benutzt. Der neue Kulturminister Michael Naumann sowie der neue
Bundeskanzler Gerhard Schröder ergänzen die Diskussion um einen weiteren
Aspekt, als sie einen von Eisenmann gestalteten Entwurf für ein Bibliotheks- und
Forschungszentrum, das sog. „Haus der Erinnerung“, anstatt eines Denkmals
vorlegen.
Aufgrund der nicht enden wollenden Debatte in Politik und Medien beschließt
die Koalition, den Deutschen Bundestag über die Realisierung des Denkmals
urteilen zu lassen. Nach mehrstündiger Debatte entscheidet sich der Bundestag
1999 für den Kompromiss zwischen einem allein stehenden Denkmal und dem
„Haus der Erinnerung“: das Betonstelenfeld soll durch einen „Ort der Information“ ergänzt werden, der Aufklärung über den Genozid an den europäischen
Juden geben soll (Protokoll 1999).
2. Akteure
Auffällig an der schrittweisen Realisierung des Holocaust-Mahnmals ist vor
allem die intensive nationale politische Debatte, die sich durch die gesamte Entstehungsgeschichte des Denkmals zieht. Initiiert von zwei deutschen Bürgern
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und institutionalisiert in Form des Förderkreises, entwickelt sich das Denkmal
zur nationalen politischen Angelegenheit, das vom Bund in Form der im Jahr
2000 gegründeten „Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ gänzlich übernommen wird. So ist das Holocaust-Mahnmal ein typisches Beispiel
einer Entwicklung von bottom-up zu top-down. Doch ist hierbei zu beachten,
dass sich diese Entwicklung nicht gradlinig vollzieht. Nach der Gründung des
Förderkreises wird das Projekt vom Bundeskanzler unterstützt, der erste Architekturwettbewerb wird jedoch durch die Berliner Senatsverwaltung für Bau- und
Wohnungswesen, d. h. durch das Land Berlin, ausgeschrieben. Nach dessen
Scheitern einigt man sich auf eine Ausschreibung durch drei Institutionen: Förderkreis, Land Berlin und Bund, um abschließend das Projekt ausschließlich
durch Bundesgelder finanzieren zu lassen.
So bildet das Holocaust-Mahnmal das erste nationale Denkmal Deutschlands.
Doch dient das Denkmal nicht nur der nationalen Erinnerung, sondern zielt
durch die Betonung auf die Ermordung der Juden Europas bereits auf eine Europäisierung der Erinnerung ab. Die enge Zusammenarbeit mit der israelischen
Gedenkstätte Yad Vashem weist sogar auf die Idee der Universalisierung der
Erinnerung an den Genozid an den Juden hin.
3. Identitäten
Die europäischen Juden werden im Ort der Information sowie auch durch das
Mahnmal als eine existierende, eigenständige Gruppe dargestellt.
Das WUNC-Modell lässt sich für die europäischen Juden folgendermaßen aufschlüsseln.
Die europäischen Juden sind ehrenhaft (W), denn sie haben einen klaren Opferstatus während der Zeit des Nationalsozialismus. Im Ort der Information wird
betont, dass die Juden Zivilisten waren und nur aufgrund ihrer Religion und
Kultur bzw. Abstammung umgebracht wurden.
Sie sind vereinigt (U), da sie seit Jahrhunderten als Gruppe eine Minderheit in
den europäischen Gesellschaften bilden. Gemeinsame kulturelle und religiöse
Werte verbinden sie auf europäischer Ebene trotz unterschiedlicher Nationalitäten.
Während des Nazi-Regimes wurden circa sechs Millionen Juden getötet, sie
sind zahlreich (N).
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4. Ziele
Die Ziele der Gedenkstätte sind sehr vielschichtig und interpretationsabhängig,
da das Holocaust-Mahnmal als Symbol deutscher Auseinandersetzung mit seiner
Vergangenheit unterschiedlich gedeutet werden kann. Es ist deswegen einfacher,
den Ort der Information und das Denkmal selbst zu trennen, um so deren unterschiedliche Zielsetzung nachvollziehen zu können.
Der Ort der Information hat das Ziel, dem Besucher die europäische Dimension des Mordens unter Hitler zu verbildlichen. Die Opfer sollen ein Gesicht bekommen, die Geschichte der sechs Millionen Opfer soll nachvollziehbarer werden. Auf wissenschaftlicher Ebene wird in dem Ort der Information weiterhin
nach den Opfern gesucht, sie werden identifiziert, die Daten werden dort archiviert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Es ist weitaus komplexer, die Ziele des Denkmals zu analysieren. Durch die
Wahl des Ortes im Zentrum Berlins, die symbolträchtige Architektur, die zahlreiche Interpretationen zulässt, und den hohen Kostenaufwand setzt Deutschland
mit dem Holocaust-Mahnmal international ein Zeichen.
Das Denkmal steht einerseits als Zeichen für Vergangenheitsbewältigung, andererseits dient es der Erinnerung an die Gräueltaten und fordert die Konsequenz
des „Nie wieder“.
Die direkte Auseinandersetzung des Besuchers mit dem Denkmal und somit
mit Geschichte ist abstrahiert. Das Denkmal gibt keine klare Botschaft, jedem
Besucher wird eine eigene Erfahrung ermöglicht.
5. Mittel
Auch bei den verwendeten Medien sollte zwischen dem Ort der Information und
dem Denkmal unterschieden werden.
Das Denkmal setzt sich aus mehreren tausend Betonstelen unterschiedlicher
Höhe zusammen, die schmale labyrinthartige Gänge bilden. Durch diese Abstraktion können Gefühle der Angst, Beklemmung, Enge und Unfreiheit beim
Besucher hervorgerufen werden. Besondere Bedeutung sollte der Wahl des Ortes
im heutigen Regierungsviertel Berlins zugewiesen werden. Teile des „GoebbelsBunker“ liegen unter dem Denkmal. Durch die Nähe zu Reichstag, Brandenburger Tor und Potsdamer Platz befindet sich das Denkmal im Zentrum des touristischen Berlins.
Die Personalisierung der Opfer bildet die wichtigste Methode des Ortes der
Information. In vier Räumen wird die Dimension des Genozids verdeutlicht und
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erläutert. Dazu werden zum Beispiel Originaldokumente wie Fotografien, Briefe
oder Tagebucheinträge genutzt.
Die unterirdische Ausstellung ist architektonisch und methodisch sehr modern
gestaltet. Medien wie Filme, Ton- und Lichtinstallationen wie auch die interaktive Erfahrung am Computer ermöglichen dem Betrachter eine vielseitige Herangehensweise an die Ausstellung.
Während der Entstehung des Holocaust-Mahnmals erhält die Debatte um das
Denkmal eine enorme Medienaufmerksamkeit, teilweise gefördert durch das
aufmerksamkeitsheischende Verhalten des Förderkreises bzw. dessen Vorsitzender Lea Rosh. Dies trägt dazu bei, dass deutschlandweit und international über
das Holocaust-Mahnmal diskutiert und Stellung bezogen wird.
6. Effektivität
Seit der Eröffnung haben circa acht Millionen Menschen das Denkmal besichtigt, während mehr als 1,5 Millionen auch den Ort der Information besuchten.
Das Denkmal hat mehrere Architekturpreise gewonnen, u. a. den Preis des
American Institute of Architects, den Institute Honor Award, der als höchste
Auszeichnung für Architektur in den USA gilt.
7. Quellenangaben
www.holocaust-mahnmal.de
www.holocaust-denkmal-berlin.de
Protokoll der Debatte im Deutschen Bundestag. Bonn, 25.06.1999.
Geil, K. (2006) „Ratlos im Steinemeer. Initiatoren, Betreiber und Besucher ziehen Bilanz: Ein Jahr Holocaust-Mahnmal mitten in Berlin“. Die Zeit, 4.
Naumann, M. (2005) „Ohne Antwort, ohne Trost. Das Holocaust-Mahnmal in
Berlin ist ein rätselhaftes Monument. Doch sechs Millionen ermordete Juden
sind kein Rätsel“. Die Zeit, 19.
Rauterberg, H. (2004) „Verwirrte Sinne, verlorene Namen. Nur ein paar Tage
noch, dann steht die letzte Stele des Holocaust-Mahnmals in Berlin. Eine
Wanderung durch diese Selbsterfahrungslandschaft, die von der Gegenwart
erzählt und von der Geschichte schweigt“. Die Zeit, 51.
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