Neurokognitive Therapie des Morbus Bechte

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Neurokognitive Therapie des Morbus Bechte
Fassung vom 4. November 2006
Neurokognitive Therapie des Morbus Bechterew: Was ist das?
von Dr. phil. Eckehard Wüst, München
Nach den im Bechterew-Brief Nr. 46
und Nr. 55 veröffentlichten Berichten über
die Ergebnisse der Neurokognitiven Therapie des Morbus Bechterew, vor allem
aber nach dem Erfahrungsbericht von
Frau Lehmann im Bechterew-Brief Nr. 57
fragen viele Mitpatienten sowie Ärzte und
Krankenkassen an, wie man sich diese
Therapie denn vorzustellen hat und wie
sie funktioniert. Dr. Wüst, der diese
Methode entwickelt hat und inzwischen so
viele Erfahrungen gesammelt hat, daß er
bald beginnen kann, Ärzte darin auszubilden, gibt im folgenden eine Einführung
in die Methode. Gegenüber seinem Bericht von vor 3 Jahren hat er die Neurokognitive Therapie wesentlich weiterentwickelt.
Die Redaktion
Seit meinem ersten Artikel über die
„Neurokognitive Therapie“ (NKT) der
Spondylitis ankylosans (Morbus Bechterew) im Bechterew-Brief Nr. 46 sind drei
Jahre vergangen. In dieser Zeit konnte ich
die Therapie-Methode durch die Arbeit
mit über 100 Bechterew-Patienten verbessern und weiterentwickeln. Der damals
beschriebene theoretische Ansatz, daß das
Nervensystem einen entscheidenden Einfluß auf die Entstehung und den Verlauf
der Spondylitis ankylosans ausübt, hat
sich in diesen drei Jahren voll bestätigt.
Es kann heute nicht mehr überraschen,
daß es möglich ist, mit „kognitiven“ (von
lateinisch cognoscere = wahrnehmen,
erkennen*) Methoden auf den Organismus
einzuwirken und Heilungsprozesse anzuregen: Man weiß längst um die Wirksamkeit imaginativer (mit bildhaften Vorstellungen arbeitender) Methoden in der
*) Erklärungen der kursiv gedruckten Fachausdrücke sind im Fremdwörterverzeichnis am
Ende dieses Aufsatzes zusammengestellt
Bechterew-Brief Nr. 59 (Dezember 1994)
Medizin. Der texanische Radiologe Carl
Simonton wies schon Anfang der siebziger Jahre auf den therapeutischen Wert
von Visualisierungen in der Krebstherapie
hin.
Die Resultate der NKT stehen im Einklang mit den Erkenntnissen der "PsychoNeuro-Immunologie", eines neuen medizinischen Forschungszweigs, der sich mit
den Zusammenhängen zwischen Psyche,
Nervensystem und Immunsystem befaßt.
Eine grundlegende Erkenntnis dieser
Fachrichtung besagt, daß das Immunsystem nicht autonom ist, sondern über
das Gehirn nachhaltig beeinflußt werden
kann. (Siehe dazu auch die Besprechung
des Buchs „Die innere Heilkraft“ von Dr.
Hans Grünn im Bechterew-Brief Nr. 58
vom September 1994. Anmerkung der
Redaktion).
Es muß betont werden, daß die Neurokognitive Therapie keine Psychotherapie
ist, sondern eine andere Therapieform
darstellt. Bei ihr wird versucht, mit
kognitiven Methoden gezielt auf das Nervensystem und damit auch auf andere
Organsysteme einzuwirken. Obwohl eine
Ähnlichkeit zwischen dem methodischen
Vorgehen bei der NKT und beim sogenannten „Katathymen Bild-Erleben“ besteht, stellt die NKT einen völlig neuen
Ansatz dar, die Selbstheilungskräfte des
Körpers gezielt zu aktivieren.
Das Endogene Training
Die „endogene Kognition“ (innere
Wahrnehmung), eine bei fast allen Patienten durch ein kurzes Training zu aktivierende Wahrnehmungsform innerer organischer Strukturen, bildet die Grundlage der
NKT. Daher beginnt die NKT mit dem
„Endogenen Training“.
Das Endogene Training erzeugt einen
Bewußtseinszustand, der dem „hypnago15
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gen Zustand“ ähnelt, einer Art Zwischenzustand zwischen Wachsein und Schlaf,
der manchmal vor dem Einschlafen eintritt. In diesem stellen sich oft, wie im
Traum, lebhafte spontane Eindrücke und
Empfindungen ein, die teilweise den
Charakter von Halluzinationen haben.
Im Unterschied zum natürlichen hypnagogen Zustand bleibt der Patient aber bei der
NKT völlig wach, was z. B. seine kommunikativen Fähigkeiten anbelangt. Er kann
die auftretenden hypnagogen Phänomene
beschreiben und mit dem Therapeuten
besprechen. Er bleibt sich der Situation
bewußt und kann sich auch nachher an
alles erinnern.
Durch die Lenkungstechniken des
Endogenen Trainings wird nun bewirkt,
daß die spontanen Phänomene dieses
„partiellen“ hypnagogen Zustands einen
Bezug zur Wirklichkeit entwickeln, den
man als „Projektion“ bezeichnen kann.
Wird z. B. die Aufmerksamkeit eines
Bechterew-Patienten auf das Gehirn
gelenkt, so stellt sich oft die eine Großhirnhälfte spontan als dunkler und dichter
dar als die andere Hälfte, was immer ein
erster Hinweis dafür ist, daß eine Störung
vorliegt.
Die erste Stufe des Endogenen Trainings, die man Stufe des „gelenkten Tagtraums“ nennen kann, wird durch Techniken erreicht, wie sie ähnlich auch beim
„Katathymen Bilderleben“ angewandt
werden, einer von Hanscarl Leuner entwickelten psychotherapeutischen Methode.
Die Sitzungen beginnen jeweils damit,
daß der Therapeut bei dem mit geschlossenen Augen daliegenden Patienten durch
Worte einen Zustand leichter Ruhe und
Entspannung einleitet, ähnlich wie beim
Autogenen Training. Anschließend wird
vom Therapeuten eine dialogische Situation eröffnet, in der das kommunikative
Verhalten des Patienten bestimmten Spielregeln unterworfen ist, die von Anfang an
eingeübt werden. In dieser durch Regeln
strukturierten kommunikativen Situation
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stellt sich sehr schnell ein „partieller“
hypnagoger Zustand ein, in dem sich
spontane Eindrücke, Bilder, Empfindungen, Gefühle und Körperreaktionen des
Patienten fließend aneinanderreihen.
Ist diese erste Stufe des Endogenen
Trainings verwirklicht, regt der Therapeut
die Entwicklung von Eindrücken und
Bildern an, die sich auf organische Strukturen des Patienten beziehen. Dabei
bewirken die spezifischen direktiven
(richtungweisenden) Lenkungstechniken
des Endogenen Trainings, daß der
imaginative (vorstellungsbedingte) Gehalt
dieser Eindrücke immer mehr abnimmt
und ihr realitätsbezogener Gehalt immer
mehr zunimmt. Auf diese Weise
entwickelt sich eine neue Art der Wahrnehmung: die „endogene Kognition“
(innere Wahrnehmung).
Mit Hilfe der endogenen Kognition ist
es möglich, in den eigenen Körper kognitiv (wahrnehmend) einzudringen und die
eigenen Organe symbolisch-projektiv
wahrzunehmen. Im Gegensatz zur exogenen (von außen verursachten) Wahrnehmung kann in der endogenen Wahrnehmung ein Organ unmittelbar unter
Ausblendung aller Gewebe, die es umgeben und verdecken, „wahrgenommen“
werden. Der Therapeut steuert die endogene Wahrnehmung des Patienten durch
Anregung
zahlreicher
„Transformationen“ (Umwandlungen, Übergänge), die
der Patient zu vollziehen hat.
Die für die NKT wichtigste kognitive
Transformation ist die „projektive Identifikation“. Bei ihr geht es darum, daß sich
die Eigenschaften eines wahrgenommenen
organischen Objekts in die menschliche
Person derart projizieren, als wäre die
Person mit dem Objekt identisch. Die
ganze Person (als körperliches, seelisches
und denkendes Wesen) muß sich für
projektive Prozesse öffnen.
Die projektive Identifikation mit gestörten Bereichen des Nervensystems führt zu
aufschlußreichen projektiven Phänomenen
(durch Übertragung bewirkten ErscheiBechterew-Brief Nr. 59 (Dezember 1994)
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nungen) wie z. B. Muskel-Anspannungen,
Angstzuständen oder aggressiven Gefühlen. Durch therapeutisch gelenkte Prozesse der projektiven Identifikation können
dauerhafte Veränderungen im Nervensystem bewirkt werden.
Die neurofokale Komponente der
Spondylitis ankylosans
Die NKT geht von der Annahme aus,
daß die wahrgenommenen Phänomene
reale organische Sachverhalte symbolischprojektiv darstellen. So kann man vermuten, daß den wahrgenommenen „Zentren“,
die sich oft als verdichtete und abgekapselte Bereiche des Gehirns darstellen, bestimmte funktionale Aspekte von gestörten Bereichen des Gehirns entsprechen.
Der Begriff „Zentrum“ ist – wie alle anderen Begriffe der Theorie – also kein neurologischer, sondern ein phänomenologi-
zentrales
Nervensystem
scher Begriff.
Die Theorie geht davon aus, daß zu den
Ursachen der Spondylitis ankylosans –
neben vielen anderen Faktoren – auch
neurologische Faktoren gehören. Bei der
Charakterisierung dieser Faktoren spielt
der Begriff „Fokus“ (Herd) eine wichtige
Rolle. Der Grundgedanke ist, daß von solchen neurologischen „Herden“, den sog.
„Zentren“, pathogene Signale ausgehen,
die sich über das Nervensystem ausbreiten. Die an der Erzeugung und Weiterleitung der Signale beteiligten Strukturen
stellen sich in der endogenen Wahrnehmung als „neurofokale Systeme“ dar, die
schädigend gegen das Gesamtsystem
"Mensch" gerichtet sind.
Die pathogene Rolle eines neurofokalen
Systems läßt sich mit der Zündung in
einem Verbrennungsmotor vergleichen:
Dem explosiven Gasgemisch entspricht
primäres Zentrum
neurofokales
System
peripheres
Nervensystem
Ziel-Organe/Gewebe
Bechterew-Brief Nr. 59 (Dezember 1994)
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die Gesamtheit aller körperlichen und
genetischen (erblichen) Voraussetzungen
des Leidens, und den Funken entsprechen
die pathogenen Signale (Informationen)
des neurofokalen Systems. Ohne das
„Gasgemisch“ würden die „Funken“ nicht
die spezifischen Krankheitsprozesse bewirken, und ohne „Funken“ würde es,
trotz Vorhandenseins des „explosiven Gemisches“, ebenfalls nicht zu diesen Prozessen kommen. Die Existenz eines neurofokalen Systems stellt also eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für die Entstehung der Spondylitis
ankylosans dar.
Ein neurofokales System besteht bei der
Spondylitis ankylosans nach meiner
Erfahrung immer aus einem oder mehreren Zentren (Herden) im zentralen Nervensystem sowie gewissen Unterstrukturen, die sich teilweise bis zu den
geschädigten bzw. betroffenen Geweben
und Organen hinziehen. Diese "Zielbereiche" sind typische Gewebe und Organe des Bewegungsapparats; es können
aber auch andere Organsysteme, wie z. B.
der Magen-Darm-Trakt, betroffen sein.
Die Unterstrukturen stellen sich als
„Leitungen“ und als „Knotenpunkte“
(Kreuzungs- bzw. Verzweigungspunkte
der Leitungssysteme) dar.
Die Zentren erscheinen in der endogenen Wahrnehmung häufig als verdichtete
und abgekapselte Zonen oder Punkte der
linken oder rechten Großhirnhälfte. Sie
stellen sich als Bereiche dar, von denen
eine zielgerichtete negative Aktivität
ausgeht. Ein wichtiges (projektives)
Merkmal der Zentren ist eine krankhafte
Aufmerksamkeitshaltung
(Hab-AchtHaltung), die u. a. auf bestimmte Arten
von Informationen aus dem umgebenden
Nervensystem gerichtet ist. Diese Informationen wirken als Reize, die das Zentrum erregen können, wodurch seine
schädlichen Aktivitäten ausgelöst oder
verstärkt werden.
In der Aufmerksamkeitshaltung äußert
sich eine Schutz- und Abwehrhaltung,
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die mit dem Bestreben des Zentrums verbunden ist, das Gehirn oder den Körper zu
kontrollieren und zu beherrschen, um alles
"im Griff" zu haben. Denn nur so ist es –
in der Sicht des Zentrums – möglich,
rechtzeitig auf (vermeintliche) Bedrohungen oder Angriffe zu reagieren.
Ein Zentrum kann sich strukturiert darstellen, z. B. als kugeliger Bereich, bestehend aus einer festeren Hülle und einer
„Kernstruktur“ im Inneren. Diese zeigt
sich häufig im Mittelpunkt der Kugel. Die
Kernstrukturen erwiesen sich als die
eigentlichen „Steuerzentralen“ der neurofokalen Bereiche.
Bei den Zentren muß zwischen „primären“ und „sekundären“ Zentren unterschieden werden. Die primären Zentren
entwickeln sich allein aufgrund lebensgeschichtlicher (traumatisierender) Einwirkungen von außen auf das Nervensystem
nach ganz bestimmten Gesetzen der Konditionierung. Bei der Entstehung eines sekundären Zentrums hingegen spielt der
Einfluß eines schon vorhandenen Zentrums eine entscheidende Rolle.
Ein neurofokales System ist ein MachtSystem, das prinzipiell hierarchisch aufgebaut ist. An der Spitze stehen die primären Zentren. Diese sind als die treibende
Kraft in der Entwicklung eines neurofokalen Systems anzusehen. Auch die
sekundären Zentren können sehr mächtig
und einflußreich werden.
Die Aktivität der Zentren unterliegt
Schwankungen. Sie kann auch völlig erlöschen. So kann ein primäres Zentrum ganz
inaktiv werden, während das von ihm geschaffene System sich noch immer durch
die Aktivität untergeordneter Zentren oder
Strukturen weiterentwickelt.
Die Entstehung neurofokaler
Systeme
Neurofokale Systeme entwickeln sich
nach bestimmten Gesetzen im Leben eines
Individuums. Die Entwicklung beginnt
sehr häufig mit einer ersten Einwirkung
auf das Individuum, die zu einer „PräBechterew-Brief Nr. 59 (Dezember 1994)
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gung“ (Sensibilisierung) von Strukturen
des Nervensystems führt. Ein Gesetz
scheint dabei zu sein, daß eine Einwirkung oder ein Einfluß von außen umso
stärker prägend ist, je früher das Nervensystem in der Entwicklung des Individuums davon getroffen wird.
Die neurokognitive Analyse der Zentren
von Patienten mit Spondylitis ankylosans
ergab, daß primär prägende Einwirkungen auf das Nervensystem häufig bereits
vor oder während der Geburt erfolgten.
Bereiche des Nervensystems werden in
einer primär prägenden Situation sehr
stark erregt oder durch mechanische Einwirkungen (Druck, Stoß, Erschütterungen) traumatisiert. Es können aber auch
länger andauernde Einflüsse oder immer
wiederkehrende Reize prägend wirksam
werden.
Wenn die primär prägenden Situationen
oder Einflüsse vorüber sind, befinden sich
die betroffenen Nervenzellen nicht mehr
im gleichen Zustand wie vorher. Als Folge der Einwirkungen entsteht die erwähnte ängstliche Hab-Acht-Haltung. Die
Zellen haben eine negative Erfahrung
gemacht, die sie quasi nicht mehr vergessen. Sie sind durch diese Erfahrung „geprägt“ (sensibilisiert) worden.
Aufgrund der "Hab-Acht-Haltung" werden die sensibilisierten Zellen in der Folge durch bestimmte Reize immer wieder
in einen starken Erregungszustand versetzt, wodurch sich ihre krankhafte
Überempfindlichkeit
weiterentwickelt.
Dabei werden die „verletzten“ Zellen im
Laufe der Zeit meist bösartig-aggressiv.
Um ihr aggressives "Programm" wirkungsvoll umsetzen zu können, sind die
Zentren bestrebt, immer mehr Einfluß auf
das Nervensystem zu gewinnen. Sie versuchen, andere Zellen oder Strukturen
„umzupolen“, um damit ihre "Macht" und
ihren Einfluß auf den Organismus immer
mehr zu vergrößern. So wächst mit den
Jahren das System, bis es – über das periphere Nervensystem – die betroffenen organischen Regionen erreicht.
Bechterew-Brief Nr. 59 (Dezember 1994)
Die Neurokognitive Therapie der
Spondylitis ankylosans
Es können drei Stadien der Therapie
unterschieden werden, die sich in der
Durchführung nicht scharf voneinander
abgrenzen lassen:
1. das Anfangsstadium,
2. das neurofokale Stadium,
3. das neuro-organische Stadium.
Im "Anfangsstadium" wird die endogene Wahrnehmung aktiviert, es werden die
für die NKT wichtigen kognitiven Transformationen trainiert und es wird versucht, ein primäres Zentrum zu identifizieren. In diesem Therapiestadium, das 5–10
Sitzungen*) umfaßt, geht es hauptsächlich
um die Frage, ob der Patient für eine NKT
überhaupt geeignet ist und ob eine Aussicht auf einen Therapie-Erfolg besteht.
Um diese Fragen zu beantworten, muß
sich der Therapeut u. a. über folgende
Punkte Klarheit verschaffen:
z Wie deutlich und wie stabil werden die
projektiven Eindrücke und Bilder?
z Wie durchdringend ist die Wahrnehmungsfähigkeit?
z Wie gut gelingt dem Patienten die projektive Identifikation?
z Gelingt es dem Patienten, sich in der
projektiven Identifikation mit einer organischen Struktur stabil in der ZeitDimension zu bewegen (d. h. gelingen
ihm „Zeit-Transformationen“)?
z Reichen die konzentrativen Kräfte des
Patienten aus?
z Ist der Patient ausreichend motiviert,
eine solche – teilweise sehr anstrengende – Arbeit zu leisten?
In der Regel vermag der erfahrene Therapeut nach maximal 10 (zweistündigen)
Sitzungen die Fragen zu beantworten, ob
ein Patient für die NKT geeignet und ein
Therapie-Erfolg wahrscheinlich ist.
Das Anfangsstadium geht fließend in
das „neurofokale Stadium“ („GehirnStadium“) über. In diesem Stadium der
*) Eine NKT-Sitzung dauert 2 Therapiestunden
zu je 45–50 Minuten
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NKT erfolgt hauptsächlich die Identifikation, Neutralisation und Integration der
Gehirn-Zentren.
Die neurofokale Therapie besteht aus
analytischen und „operativen“ Prozessen.
Dabei kann man die Analyse fokaler Bereiche nicht scharf von ihrer Therapie
trennen, da bereits jede kognitive Fokussierung Prozesse in Gang setzen kann, die
zu Veränderungen führen.
Die „Identifikation“ der Zentren eines
neurofokalen Systems kann sich einfach
oder kompliziert gestalten. Die wichtigste
Aufgabe ist das Aufspüren der Kernstrukturen der primären Zentren. Während in
einigen Fällen diese Strukturen schon in
den ersten Sitzungen des Anfangsstadiums gefunden werden konnten, bedurfte
es in anderen Fällen komplexer analytischer Strategien, um sie immer mehr "einzukreisen".
Die Erforschung der lebensgeschichtlichen Entwicklung eines Zentrums erfolgt
durch „Zeit-Transformationen“. Dabei
ergeben sich nach und nach die entscheidenden Situationen und Einwirkungen.
Das Ergebnis der Analyse ist eine Art
„Biographie“ (Lebenslauf) des Zentrums,
die nun sein (Fehl-)Verhalten verständlich
erscheinen läßt. Aus dieser „Biographie“
gewinnt der Therapeut wichtige Anhalts-
Die Stadien der
Neurokognitiven Therapie
Anfangsstadium
● Endogenes Training
● Versuch der Identifikation
eines Zentrums
Zugleich Test
der Eignung
für eine NKT
Neurofokales Stadium (GehirnStadium)
● Identifikation, Neutralisation und Integration
der neurofokalen Strukturen des Gehirns
Neuro-organisches Stadium
(Organstadium)
● Systematische Behandlung der Organe/
Gewebe des Bewegungsapparats
● Eventuell Neutralisierung autoaggressiver
Tendenzen des Immunsystems
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punkte für das weitere therapeutische Vorgehen, das zunächst die Beseitigung des
Fehlverhaltens zum Ziel hat.
Die "Neutralisierung" eines primären
Zentrums wird u. a. mit einem wiederholten "Durchleben" der prägenden Situationen in der projektiven Identifikation mit
seiner Kernstruktur erreicht. Dabei kommt
es zu einer Art Aufarbeitung der Vergangenheit aus der Sicht des Zentrums. Der
Zweck solcher Transformationen ist es,
einerseits eine Art Bewußtsein und Verständnis für die Ursachen des programmierten Fehlverhaltens zu erzeugen und
andererseits durch Provokation körperlicher und emotionaler Zustände die Bereitschaft zu fördern, dieses Verhalten
schließlich aufzugeben. Dabei spielt sehr
häufig die Überwindung von Ängsten
eine entscheidende Rolle.
Diese zeigen sich deutlich, wenn der
Patient (in der projektiven Identifikation
mit der Kernstruktur des Zentrums) versucht, „loszulassen“ und sich zu entspannen. Die Ängste sind eine Folge vergangener „Erfahrungen“, die zu der „Vorstellung“ geführt haben, daß jederzeit etwas
geschehen kann, was die Existenz gefährdet. Man „muß“ also immer abwehrbereit
sein. Es hat sich gezeigt, daß zur Überwindung dieser Ängste – zusätzlich zu
den Zeit-Transformationen – bestimmte
verhaltenstherapeutische Übungen besonders geeignet sind.
Haben nun die "Zellen" des Zentrums
ihr Fehlverhalten aufgegeben und "losgelassen", erfolgt die funktionelle "Integration" der Zellen in das übrige Nervensystem. Sie wird therapeutisch durch spezielle Transformationen und Übungen
angeregt. Jetzt finden die Zellen zu ihrer
Aufgabe und werden aktiv für das
Gesamtsystem. Charakteristische projektive Gefühle der Verbundenheit und Kommunikation bilden das neurokognitive
Kriterium einer geglückten Integration.
Die "Zentren" lösen sich völlig auf, so daß
sie sich nicht mehr von der umgebenden
Hirnmasse abheben.
Bechterew-Brief Nr. 59 (Dezember 1994)
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Im neurofokalen Stadium beginnt man
mit der Therapie der primären Zen-tren.
Dann wendet man sich den sekundären
Zentren und allen anderen neurofokalen
Strukturen des Gehirns zu. Die Aufgabe
besteht immer in der funktionellen Wiedereingliederung der Nervenzellen. Das
neurofokale Therapie-Ziel ist nur dann
erreicht, wenn sich alle fokalen Phänomene aufgelöst haben und die ganze Hirnmasse homogen (bezüglich Helligkeit,
Dichte etc.) erscheint.
Im „neuro-organischen Stadium“
(„Organ-Stadium“) der NKT werden alle
übrigen Teile des neurofokalen Systems
aufgelöst und Teilbereiche des zen-tralen
und peripheren Nervensystems, die in
ihrer Funktion gestört oder gehemmt sind,
reaktiviert. Daß dies gelingt, ist eine
Voraussetzung dafür, daß in den Organen
regenerative Prozesse in Gang kommen
können.
Man geht den Bewegungsapparat systematisch durch, um in jedem geschädigten
Bereich die Versorgung durch das
vegetative Nervensystem mit Hilfe kognitiver Transformationen anzuregen. Um
„Blockaden“ im Nervensystem zu beseitigen, muß man unter Umständen wieder
versuchen, im Gehirn die Ursachen aufzuspüren. Das Ziel ist erreicht, wenn sich bei
allen Organen und Geweben die typischen
projektiven Empfindungen einer gut funktionierenden Versorgung durch das Nervensystem eingestellt haben.
Schließlich wendet man sich dem
Immunsystem zu, um zu prüfen, ob es hier
noch (auto-)aggressive Tendenzen gibt.
Ist dies der Fall, so können sie meist leicht
neutralisiert werden, da das „anstiftende“
neurofokale System nicht mehr vorhanden
ist.
Die neuro-organische Therapie versucht, im Nervensystem optimale Voraussetzungen für regenerative und restaurative Prozesse zu schaffen. Immer wieder
hatte es den Anschein, als ob dabei die
„Zellen“ der ehemaligen Zentren eine
wichtige Rolle spielen könnten. Aufgrund
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der gewonnenen „Einsichten“ über das
frühere schädigende Fehlverhalten stellte
sich oft bei diesen Zellen (projektiv) eine
Art „schlechtes Gewissen“ ein, das als
starker Motor eines "Willens" zu wirken
schien, die verursachten Schäden wieder
zu beseitigen.
Ob eine NKT erfolgreich abgeschlossen ist, wird mit Hilfe neurokognitiver
Kriterien entschieden. Die Aussage, sie
sei abgeschlossen, ist aber stets nur eine
Annahme, die durch die Wirkungen bestätigt werden muß. Übersehene, nicht integrierte Teil-Strukturen des pathogenen
neurofokalen Systems z. B. können sich
durch später auftretende Beschwerden
bemerkbar machen. In einem solchen Fall
muß die Therapie fortgesetzt werden.
Wirkungen der Neurokognitiven
Therapie
Das Therapie-Ziel einer Neurokognitiven Therapie der Spondylitis ankylosans ist die vollständige Remission.
Die therapiebedingten Remissionen
beginnen häufig schon, ehe die NKT
abgeschlossen ist. Nach Beendigung des
neuro-organischen Stadiums klingen oft
alle
rheumatischen
Beschwerden
(Schmerzen, Morgensteifigkeit etc.) rasch
ab. Die Patienten spürten selbst dann keine Beschwerden mehr, wenn sie sich
bewußt spezifischen auslösenden Reizen
(Kälte, Nässe, Erschütterungen, Streß etc.)
aussetzten.
Begleitende Erkrankungen der Spondylitis ankylosans, wie z. B. eine Colitis
ulcerosa, können vom gleichen neurofokalen System mitverursacht sein. Werden im neuro-organischen Stadium der
NKT die entsprechenden Organbereiche
mit einbezogen, kann auch bei diesen
Leiden mit einer Auflösung der Krankheitserscheinungen gerechnet werden. Da
die Zentren sich auch auf psychische
Funktionen auswirken können, sind häufig positive seelische Veränderungen eine
Folge der NKT.
Ob eine therapiebedingte Remission der
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Spondylitis ankylosans vorliegt, muß mit
Hilfe einer Reihe von Kriterien überprüft
werden. Neben subjektiven Kriterien der
Befindlichkeit werden für eine Therapiekontrolle objektive medizinische Parameter herangezogen.
Statistische Erfahrungswerte
Die folgenden statistischen Aussagen
beruhen auf Erfahrungen mit bisher über
100 Bechterew-Patienten. Sie müssen
durch zukünftige wissenschaftliche Studien erhärtet und präzisiert werden.
Im Anfangsstadium der NKT erwiesen
sich 60–70 % der jüngeren Patienten als
für die NKT geeignet und 30–40% als
problematisch oder ungeeignet. Diese
Aufteilung scheint sich erheblich zu verschlechtern, wenn das Patientenalter über
50 Jahren liegt.
Wenn ein Patient psychische Widerstände gegen die Methode der NKT entwickelt, liegt ein „problematischer Fall“
vor. Manchmal können sie in Gesprächen
beseitigt werden.
Ein Patient ist definitiv „ungeeignet“,
wenn er nicht über die erforderliche Kon-
zentrationsfähigkeit verfügt, wenn er
Schwierigkeiten mit der projektiven Identifikation hat, oder wenn er nicht hinreichend motiviert ist.
Von den 20–50 Jahre alten BechterewPatienten im Bechterew-Stadium I–III
benötigen die "geeigneten" Patienten nach
bisherigen Erfahrungen im Durchschnitt
30–40 (2-stündige) Sitzungen, um die
NKT gemäß neurokognitiven Kriterien
abzuschließen. Einige Patienten schaffen
dies mit weniger als 20 Sitzungen, andere
benötigen bis zu 60 Sitzungen.
Es besteht ein deutlicher Zusammenhang zwischen der benötigten Anzahl der
Therapie-Sitzungen und dem Stadium der
Erkrankung: Je weiter die Erkrankung
fortgeschritten ist, umso mehr Sitzungen
sind im Mittel erforderlich. Auch in
fortgeschrittenen Stadien der Erkrankung
(Bechterew-Stadium IV) konnten anhaltende Therapie-Erfolge erzielt werden.
Ideal ist natürlich, wenn die NKT bereits
im Anfangsstadium der Erkrankung
durchgeführt wird.
Fremdwörterverzeichnis
auto-aggressiv
Analyse
Biographie
dialogisch
direktiv
emotional
endogen
exogen
Fokus
Fokussierung
hierarchisch
homogen
hypnagog
Identifikation
identifizieren
imaginativ
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gegen den eigenen Körper gerichtet
Zerlegung, Auflösung (zur Feststellung der Bestandteile)
Lebensbeschreibung
in Form eines Zwiegesprächs, einer Wechselrede
richtungweisend, Verhaltensregeln gebend
gefühlsmäßig
innen verursacht
von außen verursacht
Brennpunkt, Herd
Konzentration (auf den Brennpunkt)
in (mächtigere und untergeordnete) Rangstufen untergliedert
einheitlich
zum Schlaf hinüberleitend
Erkennung, Gleichsetzung (hier auch Hineinversetzung)
gleichsetzen, als das Gleiche erkennen, hineinversetzen
auf Vorstellungen / Einbildungen beruhend
Bechterew-Brief Nr. 59 (Dezember 1994)
Fassung vom 4. November 2006
Einpassung, Vereinigung zu einer harmonischen Ganzheit
auf die Seele wirkend
Wahrnehmung, Erkenntnis
wahrnehmend, auf Wahrnehmungen beruhend, erkenntnismäßig
Verbindung, Mitteilung
mitteilend
Anpassung (an die erforderlichen Bedingungen), eine Reaktionsweise
bewirken
neurofokal
in Bezug auf Herde im zentralen Nervensystem
Neurologie
Lehre von den Nerven und Nervenkrankheiten
neutralisieren
unwirksam machen, unschädlich machen
operativ
eingreifend, verändernd
partiell
teilweise
pathogen
krankheitserzeugend
periphere Nerven
vom zentralen Nervensystem zu den einzelnen Organen führende Nerven
Phänomen
Erscheinung, Ereignis
Phänomenologie
Lehre von den Erscheinungen
primär
ursprünglich, zuerst entstanden
Projektion
Übertragung (z. B. auch von Gefühlsinhalten)
projektive Identifikation Hineinversetzung in ein Objekt, die mit einer Übertragung von Eigenschaften des Objekts in die Erlebnisdimension der Person einhergeht
Provokation
Herausforderung, Aufreizung
Psycho-Neuro-Immuno- Lehre von den Wirkungen seelischer und nervlicher Prozesse auf das
logie
Abwehrsystem
regenerativ
erneuernd, wiederherstellend
Remission
Besserung, Nachlassen der Krankheitserscheinungen
restaurativ
ausbessernd, wiederherstellend
sekundär
an zweiter Stelle, nachgeordnet
sensibilisieren
empfindlich machen
Transformation
Umwandlung, Übergang (z. B. in eine andere Perspektive oder eine
andere Zeit)
traumatisieren
verletzen, schädigen (auch seelisch)
vegetatives NervenGesamtheit der Nerven, die dem Willen entzogen sind und die Regelung
system
der Lebensfunktionen besorgen (= autonomes Nervensystem)
visualisieren
in Bilder umsetzen, sich bildlich vorstellen
Zentralnervensystem
Gehirn und Rückenmark
Integration
katathym
Kognition
kognitiv
Kommunikation
kommunikativ
Konditionierung
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