Neurokognitive Therapie des Morbus Bechte
Transcrição
Neurokognitive Therapie des Morbus Bechte
Fassung vom 4. November 2006 Neurokognitive Therapie des Morbus Bechterew: Was ist das? von Dr. phil. Eckehard Wüst, München Nach den im Bechterew-Brief Nr. 46 und Nr. 55 veröffentlichten Berichten über die Ergebnisse der Neurokognitiven Therapie des Morbus Bechterew, vor allem aber nach dem Erfahrungsbericht von Frau Lehmann im Bechterew-Brief Nr. 57 fragen viele Mitpatienten sowie Ärzte und Krankenkassen an, wie man sich diese Therapie denn vorzustellen hat und wie sie funktioniert. Dr. Wüst, der diese Methode entwickelt hat und inzwischen so viele Erfahrungen gesammelt hat, daß er bald beginnen kann, Ärzte darin auszubilden, gibt im folgenden eine Einführung in die Methode. Gegenüber seinem Bericht von vor 3 Jahren hat er die Neurokognitive Therapie wesentlich weiterentwickelt. Die Redaktion Seit meinem ersten Artikel über die „Neurokognitive Therapie“ (NKT) der Spondylitis ankylosans (Morbus Bechterew) im Bechterew-Brief Nr. 46 sind drei Jahre vergangen. In dieser Zeit konnte ich die Therapie-Methode durch die Arbeit mit über 100 Bechterew-Patienten verbessern und weiterentwickeln. Der damals beschriebene theoretische Ansatz, daß das Nervensystem einen entscheidenden Einfluß auf die Entstehung und den Verlauf der Spondylitis ankylosans ausübt, hat sich in diesen drei Jahren voll bestätigt. Es kann heute nicht mehr überraschen, daß es möglich ist, mit „kognitiven“ (von lateinisch cognoscere = wahrnehmen, erkennen*) Methoden auf den Organismus einzuwirken und Heilungsprozesse anzuregen: Man weiß längst um die Wirksamkeit imaginativer (mit bildhaften Vorstellungen arbeitender) Methoden in der *) Erklärungen der kursiv gedruckten Fachausdrücke sind im Fremdwörterverzeichnis am Ende dieses Aufsatzes zusammengestellt Bechterew-Brief Nr. 59 (Dezember 1994) Medizin. Der texanische Radiologe Carl Simonton wies schon Anfang der siebziger Jahre auf den therapeutischen Wert von Visualisierungen in der Krebstherapie hin. Die Resultate der NKT stehen im Einklang mit den Erkenntnissen der "PsychoNeuro-Immunologie", eines neuen medizinischen Forschungszweigs, der sich mit den Zusammenhängen zwischen Psyche, Nervensystem und Immunsystem befaßt. Eine grundlegende Erkenntnis dieser Fachrichtung besagt, daß das Immunsystem nicht autonom ist, sondern über das Gehirn nachhaltig beeinflußt werden kann. (Siehe dazu auch die Besprechung des Buchs „Die innere Heilkraft“ von Dr. Hans Grünn im Bechterew-Brief Nr. 58 vom September 1994. Anmerkung der Redaktion). Es muß betont werden, daß die Neurokognitive Therapie keine Psychotherapie ist, sondern eine andere Therapieform darstellt. Bei ihr wird versucht, mit kognitiven Methoden gezielt auf das Nervensystem und damit auch auf andere Organsysteme einzuwirken. Obwohl eine Ähnlichkeit zwischen dem methodischen Vorgehen bei der NKT und beim sogenannten „Katathymen Bild-Erleben“ besteht, stellt die NKT einen völlig neuen Ansatz dar, die Selbstheilungskräfte des Körpers gezielt zu aktivieren. Das Endogene Training Die „endogene Kognition“ (innere Wahrnehmung), eine bei fast allen Patienten durch ein kurzes Training zu aktivierende Wahrnehmungsform innerer organischer Strukturen, bildet die Grundlage der NKT. Daher beginnt die NKT mit dem „Endogenen Training“. Das Endogene Training erzeugt einen Bewußtseinszustand, der dem „hypnago15 Fassung vom 4. November 2006 gen Zustand“ ähnelt, einer Art Zwischenzustand zwischen Wachsein und Schlaf, der manchmal vor dem Einschlafen eintritt. In diesem stellen sich oft, wie im Traum, lebhafte spontane Eindrücke und Empfindungen ein, die teilweise den Charakter von Halluzinationen haben. Im Unterschied zum natürlichen hypnagogen Zustand bleibt der Patient aber bei der NKT völlig wach, was z. B. seine kommunikativen Fähigkeiten anbelangt. Er kann die auftretenden hypnagogen Phänomene beschreiben und mit dem Therapeuten besprechen. Er bleibt sich der Situation bewußt und kann sich auch nachher an alles erinnern. Durch die Lenkungstechniken des Endogenen Trainings wird nun bewirkt, daß die spontanen Phänomene dieses „partiellen“ hypnagogen Zustands einen Bezug zur Wirklichkeit entwickeln, den man als „Projektion“ bezeichnen kann. Wird z. B. die Aufmerksamkeit eines Bechterew-Patienten auf das Gehirn gelenkt, so stellt sich oft die eine Großhirnhälfte spontan als dunkler und dichter dar als die andere Hälfte, was immer ein erster Hinweis dafür ist, daß eine Störung vorliegt. Die erste Stufe des Endogenen Trainings, die man Stufe des „gelenkten Tagtraums“ nennen kann, wird durch Techniken erreicht, wie sie ähnlich auch beim „Katathymen Bilderleben“ angewandt werden, einer von Hanscarl Leuner entwickelten psychotherapeutischen Methode. Die Sitzungen beginnen jeweils damit, daß der Therapeut bei dem mit geschlossenen Augen daliegenden Patienten durch Worte einen Zustand leichter Ruhe und Entspannung einleitet, ähnlich wie beim Autogenen Training. Anschließend wird vom Therapeuten eine dialogische Situation eröffnet, in der das kommunikative Verhalten des Patienten bestimmten Spielregeln unterworfen ist, die von Anfang an eingeübt werden. In dieser durch Regeln strukturierten kommunikativen Situation 16 stellt sich sehr schnell ein „partieller“ hypnagoger Zustand ein, in dem sich spontane Eindrücke, Bilder, Empfindungen, Gefühle und Körperreaktionen des Patienten fließend aneinanderreihen. Ist diese erste Stufe des Endogenen Trainings verwirklicht, regt der Therapeut die Entwicklung von Eindrücken und Bildern an, die sich auf organische Strukturen des Patienten beziehen. Dabei bewirken die spezifischen direktiven (richtungweisenden) Lenkungstechniken des Endogenen Trainings, daß der imaginative (vorstellungsbedingte) Gehalt dieser Eindrücke immer mehr abnimmt und ihr realitätsbezogener Gehalt immer mehr zunimmt. Auf diese Weise entwickelt sich eine neue Art der Wahrnehmung: die „endogene Kognition“ (innere Wahrnehmung). Mit Hilfe der endogenen Kognition ist es möglich, in den eigenen Körper kognitiv (wahrnehmend) einzudringen und die eigenen Organe symbolisch-projektiv wahrzunehmen. Im Gegensatz zur exogenen (von außen verursachten) Wahrnehmung kann in der endogenen Wahrnehmung ein Organ unmittelbar unter Ausblendung aller Gewebe, die es umgeben und verdecken, „wahrgenommen“ werden. Der Therapeut steuert die endogene Wahrnehmung des Patienten durch Anregung zahlreicher „Transformationen“ (Umwandlungen, Übergänge), die der Patient zu vollziehen hat. Die für die NKT wichtigste kognitive Transformation ist die „projektive Identifikation“. Bei ihr geht es darum, daß sich die Eigenschaften eines wahrgenommenen organischen Objekts in die menschliche Person derart projizieren, als wäre die Person mit dem Objekt identisch. Die ganze Person (als körperliches, seelisches und denkendes Wesen) muß sich für projektive Prozesse öffnen. Die projektive Identifikation mit gestörten Bereichen des Nervensystems führt zu aufschlußreichen projektiven Phänomenen (durch Übertragung bewirkten ErscheiBechterew-Brief Nr. 59 (Dezember 1994) Fassung vom 4. November 2006 nungen) wie z. B. Muskel-Anspannungen, Angstzuständen oder aggressiven Gefühlen. Durch therapeutisch gelenkte Prozesse der projektiven Identifikation können dauerhafte Veränderungen im Nervensystem bewirkt werden. Die neurofokale Komponente der Spondylitis ankylosans Die NKT geht von der Annahme aus, daß die wahrgenommenen Phänomene reale organische Sachverhalte symbolischprojektiv darstellen. So kann man vermuten, daß den wahrgenommenen „Zentren“, die sich oft als verdichtete und abgekapselte Bereiche des Gehirns darstellen, bestimmte funktionale Aspekte von gestörten Bereichen des Gehirns entsprechen. Der Begriff „Zentrum“ ist – wie alle anderen Begriffe der Theorie – also kein neurologischer, sondern ein phänomenologi- zentrales Nervensystem scher Begriff. Die Theorie geht davon aus, daß zu den Ursachen der Spondylitis ankylosans – neben vielen anderen Faktoren – auch neurologische Faktoren gehören. Bei der Charakterisierung dieser Faktoren spielt der Begriff „Fokus“ (Herd) eine wichtige Rolle. Der Grundgedanke ist, daß von solchen neurologischen „Herden“, den sog. „Zentren“, pathogene Signale ausgehen, die sich über das Nervensystem ausbreiten. Die an der Erzeugung und Weiterleitung der Signale beteiligten Strukturen stellen sich in der endogenen Wahrnehmung als „neurofokale Systeme“ dar, die schädigend gegen das Gesamtsystem "Mensch" gerichtet sind. Die pathogene Rolle eines neurofokalen Systems läßt sich mit der Zündung in einem Verbrennungsmotor vergleichen: Dem explosiven Gasgemisch entspricht primäres Zentrum neurofokales System peripheres Nervensystem Ziel-Organe/Gewebe Bechterew-Brief Nr. 59 (Dezember 1994) 17 Fassung vom 4. November 2006 die Gesamtheit aller körperlichen und genetischen (erblichen) Voraussetzungen des Leidens, und den Funken entsprechen die pathogenen Signale (Informationen) des neurofokalen Systems. Ohne das „Gasgemisch“ würden die „Funken“ nicht die spezifischen Krankheitsprozesse bewirken, und ohne „Funken“ würde es, trotz Vorhandenseins des „explosiven Gemisches“, ebenfalls nicht zu diesen Prozessen kommen. Die Existenz eines neurofokalen Systems stellt also eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für die Entstehung der Spondylitis ankylosans dar. Ein neurofokales System besteht bei der Spondylitis ankylosans nach meiner Erfahrung immer aus einem oder mehreren Zentren (Herden) im zentralen Nervensystem sowie gewissen Unterstrukturen, die sich teilweise bis zu den geschädigten bzw. betroffenen Geweben und Organen hinziehen. Diese "Zielbereiche" sind typische Gewebe und Organe des Bewegungsapparats; es können aber auch andere Organsysteme, wie z. B. der Magen-Darm-Trakt, betroffen sein. Die Unterstrukturen stellen sich als „Leitungen“ und als „Knotenpunkte“ (Kreuzungs- bzw. Verzweigungspunkte der Leitungssysteme) dar. Die Zentren erscheinen in der endogenen Wahrnehmung häufig als verdichtete und abgekapselte Zonen oder Punkte der linken oder rechten Großhirnhälfte. Sie stellen sich als Bereiche dar, von denen eine zielgerichtete negative Aktivität ausgeht. Ein wichtiges (projektives) Merkmal der Zentren ist eine krankhafte Aufmerksamkeitshaltung (Hab-AchtHaltung), die u. a. auf bestimmte Arten von Informationen aus dem umgebenden Nervensystem gerichtet ist. Diese Informationen wirken als Reize, die das Zentrum erregen können, wodurch seine schädlichen Aktivitäten ausgelöst oder verstärkt werden. In der Aufmerksamkeitshaltung äußert sich eine Schutz- und Abwehrhaltung, 18 die mit dem Bestreben des Zentrums verbunden ist, das Gehirn oder den Körper zu kontrollieren und zu beherrschen, um alles "im Griff" zu haben. Denn nur so ist es – in der Sicht des Zentrums – möglich, rechtzeitig auf (vermeintliche) Bedrohungen oder Angriffe zu reagieren. Ein Zentrum kann sich strukturiert darstellen, z. B. als kugeliger Bereich, bestehend aus einer festeren Hülle und einer „Kernstruktur“ im Inneren. Diese zeigt sich häufig im Mittelpunkt der Kugel. Die Kernstrukturen erwiesen sich als die eigentlichen „Steuerzentralen“ der neurofokalen Bereiche. Bei den Zentren muß zwischen „primären“ und „sekundären“ Zentren unterschieden werden. Die primären Zentren entwickeln sich allein aufgrund lebensgeschichtlicher (traumatisierender) Einwirkungen von außen auf das Nervensystem nach ganz bestimmten Gesetzen der Konditionierung. Bei der Entstehung eines sekundären Zentrums hingegen spielt der Einfluß eines schon vorhandenen Zentrums eine entscheidende Rolle. Ein neurofokales System ist ein MachtSystem, das prinzipiell hierarchisch aufgebaut ist. An der Spitze stehen die primären Zentren. Diese sind als die treibende Kraft in der Entwicklung eines neurofokalen Systems anzusehen. Auch die sekundären Zentren können sehr mächtig und einflußreich werden. Die Aktivität der Zentren unterliegt Schwankungen. Sie kann auch völlig erlöschen. So kann ein primäres Zentrum ganz inaktiv werden, während das von ihm geschaffene System sich noch immer durch die Aktivität untergeordneter Zentren oder Strukturen weiterentwickelt. Die Entstehung neurofokaler Systeme Neurofokale Systeme entwickeln sich nach bestimmten Gesetzen im Leben eines Individuums. Die Entwicklung beginnt sehr häufig mit einer ersten Einwirkung auf das Individuum, die zu einer „PräBechterew-Brief Nr. 59 (Dezember 1994) Fassung vom 4. November 2006 gung“ (Sensibilisierung) von Strukturen des Nervensystems führt. Ein Gesetz scheint dabei zu sein, daß eine Einwirkung oder ein Einfluß von außen umso stärker prägend ist, je früher das Nervensystem in der Entwicklung des Individuums davon getroffen wird. Die neurokognitive Analyse der Zentren von Patienten mit Spondylitis ankylosans ergab, daß primär prägende Einwirkungen auf das Nervensystem häufig bereits vor oder während der Geburt erfolgten. Bereiche des Nervensystems werden in einer primär prägenden Situation sehr stark erregt oder durch mechanische Einwirkungen (Druck, Stoß, Erschütterungen) traumatisiert. Es können aber auch länger andauernde Einflüsse oder immer wiederkehrende Reize prägend wirksam werden. Wenn die primär prägenden Situationen oder Einflüsse vorüber sind, befinden sich die betroffenen Nervenzellen nicht mehr im gleichen Zustand wie vorher. Als Folge der Einwirkungen entsteht die erwähnte ängstliche Hab-Acht-Haltung. Die Zellen haben eine negative Erfahrung gemacht, die sie quasi nicht mehr vergessen. Sie sind durch diese Erfahrung „geprägt“ (sensibilisiert) worden. Aufgrund der "Hab-Acht-Haltung" werden die sensibilisierten Zellen in der Folge durch bestimmte Reize immer wieder in einen starken Erregungszustand versetzt, wodurch sich ihre krankhafte Überempfindlichkeit weiterentwickelt. Dabei werden die „verletzten“ Zellen im Laufe der Zeit meist bösartig-aggressiv. Um ihr aggressives "Programm" wirkungsvoll umsetzen zu können, sind die Zentren bestrebt, immer mehr Einfluß auf das Nervensystem zu gewinnen. Sie versuchen, andere Zellen oder Strukturen „umzupolen“, um damit ihre "Macht" und ihren Einfluß auf den Organismus immer mehr zu vergrößern. So wächst mit den Jahren das System, bis es – über das periphere Nervensystem – die betroffenen organischen Regionen erreicht. Bechterew-Brief Nr. 59 (Dezember 1994) Die Neurokognitive Therapie der Spondylitis ankylosans Es können drei Stadien der Therapie unterschieden werden, die sich in der Durchführung nicht scharf voneinander abgrenzen lassen: 1. das Anfangsstadium, 2. das neurofokale Stadium, 3. das neuro-organische Stadium. Im "Anfangsstadium" wird die endogene Wahrnehmung aktiviert, es werden die für die NKT wichtigen kognitiven Transformationen trainiert und es wird versucht, ein primäres Zentrum zu identifizieren. In diesem Therapiestadium, das 5–10 Sitzungen*) umfaßt, geht es hauptsächlich um die Frage, ob der Patient für eine NKT überhaupt geeignet ist und ob eine Aussicht auf einen Therapie-Erfolg besteht. Um diese Fragen zu beantworten, muß sich der Therapeut u. a. über folgende Punkte Klarheit verschaffen: z Wie deutlich und wie stabil werden die projektiven Eindrücke und Bilder? z Wie durchdringend ist die Wahrnehmungsfähigkeit? z Wie gut gelingt dem Patienten die projektive Identifikation? z Gelingt es dem Patienten, sich in der projektiven Identifikation mit einer organischen Struktur stabil in der ZeitDimension zu bewegen (d. h. gelingen ihm „Zeit-Transformationen“)? z Reichen die konzentrativen Kräfte des Patienten aus? z Ist der Patient ausreichend motiviert, eine solche – teilweise sehr anstrengende – Arbeit zu leisten? In der Regel vermag der erfahrene Therapeut nach maximal 10 (zweistündigen) Sitzungen die Fragen zu beantworten, ob ein Patient für die NKT geeignet und ein Therapie-Erfolg wahrscheinlich ist. Das Anfangsstadium geht fließend in das „neurofokale Stadium“ („GehirnStadium“) über. In diesem Stadium der *) Eine NKT-Sitzung dauert 2 Therapiestunden zu je 45–50 Minuten 19 Fassung vom 4. November 2006 NKT erfolgt hauptsächlich die Identifikation, Neutralisation und Integration der Gehirn-Zentren. Die neurofokale Therapie besteht aus analytischen und „operativen“ Prozessen. Dabei kann man die Analyse fokaler Bereiche nicht scharf von ihrer Therapie trennen, da bereits jede kognitive Fokussierung Prozesse in Gang setzen kann, die zu Veränderungen führen. Die „Identifikation“ der Zentren eines neurofokalen Systems kann sich einfach oder kompliziert gestalten. Die wichtigste Aufgabe ist das Aufspüren der Kernstrukturen der primären Zentren. Während in einigen Fällen diese Strukturen schon in den ersten Sitzungen des Anfangsstadiums gefunden werden konnten, bedurfte es in anderen Fällen komplexer analytischer Strategien, um sie immer mehr "einzukreisen". Die Erforschung der lebensgeschichtlichen Entwicklung eines Zentrums erfolgt durch „Zeit-Transformationen“. Dabei ergeben sich nach und nach die entscheidenden Situationen und Einwirkungen. Das Ergebnis der Analyse ist eine Art „Biographie“ (Lebenslauf) des Zentrums, die nun sein (Fehl-)Verhalten verständlich erscheinen läßt. Aus dieser „Biographie“ gewinnt der Therapeut wichtige Anhalts- Die Stadien der Neurokognitiven Therapie Anfangsstadium ● Endogenes Training ● Versuch der Identifikation eines Zentrums Zugleich Test der Eignung für eine NKT Neurofokales Stadium (GehirnStadium) ● Identifikation, Neutralisation und Integration der neurofokalen Strukturen des Gehirns Neuro-organisches Stadium (Organstadium) ● Systematische Behandlung der Organe/ Gewebe des Bewegungsapparats ● Eventuell Neutralisierung autoaggressiver Tendenzen des Immunsystems 20 punkte für das weitere therapeutische Vorgehen, das zunächst die Beseitigung des Fehlverhaltens zum Ziel hat. Die "Neutralisierung" eines primären Zentrums wird u. a. mit einem wiederholten "Durchleben" der prägenden Situationen in der projektiven Identifikation mit seiner Kernstruktur erreicht. Dabei kommt es zu einer Art Aufarbeitung der Vergangenheit aus der Sicht des Zentrums. Der Zweck solcher Transformationen ist es, einerseits eine Art Bewußtsein und Verständnis für die Ursachen des programmierten Fehlverhaltens zu erzeugen und andererseits durch Provokation körperlicher und emotionaler Zustände die Bereitschaft zu fördern, dieses Verhalten schließlich aufzugeben. Dabei spielt sehr häufig die Überwindung von Ängsten eine entscheidende Rolle. Diese zeigen sich deutlich, wenn der Patient (in der projektiven Identifikation mit der Kernstruktur des Zentrums) versucht, „loszulassen“ und sich zu entspannen. Die Ängste sind eine Folge vergangener „Erfahrungen“, die zu der „Vorstellung“ geführt haben, daß jederzeit etwas geschehen kann, was die Existenz gefährdet. Man „muß“ also immer abwehrbereit sein. Es hat sich gezeigt, daß zur Überwindung dieser Ängste – zusätzlich zu den Zeit-Transformationen – bestimmte verhaltenstherapeutische Übungen besonders geeignet sind. Haben nun die "Zellen" des Zentrums ihr Fehlverhalten aufgegeben und "losgelassen", erfolgt die funktionelle "Integration" der Zellen in das übrige Nervensystem. Sie wird therapeutisch durch spezielle Transformationen und Übungen angeregt. Jetzt finden die Zellen zu ihrer Aufgabe und werden aktiv für das Gesamtsystem. Charakteristische projektive Gefühle der Verbundenheit und Kommunikation bilden das neurokognitive Kriterium einer geglückten Integration. Die "Zentren" lösen sich völlig auf, so daß sie sich nicht mehr von der umgebenden Hirnmasse abheben. Bechterew-Brief Nr. 59 (Dezember 1994) Fassung vom 4. November 2006 Im neurofokalen Stadium beginnt man mit der Therapie der primären Zen-tren. Dann wendet man sich den sekundären Zentren und allen anderen neurofokalen Strukturen des Gehirns zu. Die Aufgabe besteht immer in der funktionellen Wiedereingliederung der Nervenzellen. Das neurofokale Therapie-Ziel ist nur dann erreicht, wenn sich alle fokalen Phänomene aufgelöst haben und die ganze Hirnmasse homogen (bezüglich Helligkeit, Dichte etc.) erscheint. Im „neuro-organischen Stadium“ („Organ-Stadium“) der NKT werden alle übrigen Teile des neurofokalen Systems aufgelöst und Teilbereiche des zen-tralen und peripheren Nervensystems, die in ihrer Funktion gestört oder gehemmt sind, reaktiviert. Daß dies gelingt, ist eine Voraussetzung dafür, daß in den Organen regenerative Prozesse in Gang kommen können. Man geht den Bewegungsapparat systematisch durch, um in jedem geschädigten Bereich die Versorgung durch das vegetative Nervensystem mit Hilfe kognitiver Transformationen anzuregen. Um „Blockaden“ im Nervensystem zu beseitigen, muß man unter Umständen wieder versuchen, im Gehirn die Ursachen aufzuspüren. Das Ziel ist erreicht, wenn sich bei allen Organen und Geweben die typischen projektiven Empfindungen einer gut funktionierenden Versorgung durch das Nervensystem eingestellt haben. Schließlich wendet man sich dem Immunsystem zu, um zu prüfen, ob es hier noch (auto-)aggressive Tendenzen gibt. Ist dies der Fall, so können sie meist leicht neutralisiert werden, da das „anstiftende“ neurofokale System nicht mehr vorhanden ist. Die neuro-organische Therapie versucht, im Nervensystem optimale Voraussetzungen für regenerative und restaurative Prozesse zu schaffen. Immer wieder hatte es den Anschein, als ob dabei die „Zellen“ der ehemaligen Zentren eine wichtige Rolle spielen könnten. Aufgrund Bechterew-Brief Nr. 59 (Dezember 1994) der gewonnenen „Einsichten“ über das frühere schädigende Fehlverhalten stellte sich oft bei diesen Zellen (projektiv) eine Art „schlechtes Gewissen“ ein, das als starker Motor eines "Willens" zu wirken schien, die verursachten Schäden wieder zu beseitigen. Ob eine NKT erfolgreich abgeschlossen ist, wird mit Hilfe neurokognitiver Kriterien entschieden. Die Aussage, sie sei abgeschlossen, ist aber stets nur eine Annahme, die durch die Wirkungen bestätigt werden muß. Übersehene, nicht integrierte Teil-Strukturen des pathogenen neurofokalen Systems z. B. können sich durch später auftretende Beschwerden bemerkbar machen. In einem solchen Fall muß die Therapie fortgesetzt werden. Wirkungen der Neurokognitiven Therapie Das Therapie-Ziel einer Neurokognitiven Therapie der Spondylitis ankylosans ist die vollständige Remission. Die therapiebedingten Remissionen beginnen häufig schon, ehe die NKT abgeschlossen ist. Nach Beendigung des neuro-organischen Stadiums klingen oft alle rheumatischen Beschwerden (Schmerzen, Morgensteifigkeit etc.) rasch ab. Die Patienten spürten selbst dann keine Beschwerden mehr, wenn sie sich bewußt spezifischen auslösenden Reizen (Kälte, Nässe, Erschütterungen, Streß etc.) aussetzten. Begleitende Erkrankungen der Spondylitis ankylosans, wie z. B. eine Colitis ulcerosa, können vom gleichen neurofokalen System mitverursacht sein. Werden im neuro-organischen Stadium der NKT die entsprechenden Organbereiche mit einbezogen, kann auch bei diesen Leiden mit einer Auflösung der Krankheitserscheinungen gerechnet werden. Da die Zentren sich auch auf psychische Funktionen auswirken können, sind häufig positive seelische Veränderungen eine Folge der NKT. Ob eine therapiebedingte Remission der 21 Fassung vom 4. November 2006 Spondylitis ankylosans vorliegt, muß mit Hilfe einer Reihe von Kriterien überprüft werden. Neben subjektiven Kriterien der Befindlichkeit werden für eine Therapiekontrolle objektive medizinische Parameter herangezogen. Statistische Erfahrungswerte Die folgenden statistischen Aussagen beruhen auf Erfahrungen mit bisher über 100 Bechterew-Patienten. Sie müssen durch zukünftige wissenschaftliche Studien erhärtet und präzisiert werden. Im Anfangsstadium der NKT erwiesen sich 60–70 % der jüngeren Patienten als für die NKT geeignet und 30–40% als problematisch oder ungeeignet. Diese Aufteilung scheint sich erheblich zu verschlechtern, wenn das Patientenalter über 50 Jahren liegt. Wenn ein Patient psychische Widerstände gegen die Methode der NKT entwickelt, liegt ein „problematischer Fall“ vor. Manchmal können sie in Gesprächen beseitigt werden. Ein Patient ist definitiv „ungeeignet“, wenn er nicht über die erforderliche Kon- zentrationsfähigkeit verfügt, wenn er Schwierigkeiten mit der projektiven Identifikation hat, oder wenn er nicht hinreichend motiviert ist. Von den 20–50 Jahre alten BechterewPatienten im Bechterew-Stadium I–III benötigen die "geeigneten" Patienten nach bisherigen Erfahrungen im Durchschnitt 30–40 (2-stündige) Sitzungen, um die NKT gemäß neurokognitiven Kriterien abzuschließen. Einige Patienten schaffen dies mit weniger als 20 Sitzungen, andere benötigen bis zu 60 Sitzungen. Es besteht ein deutlicher Zusammenhang zwischen der benötigten Anzahl der Therapie-Sitzungen und dem Stadium der Erkrankung: Je weiter die Erkrankung fortgeschritten ist, umso mehr Sitzungen sind im Mittel erforderlich. Auch in fortgeschrittenen Stadien der Erkrankung (Bechterew-Stadium IV) konnten anhaltende Therapie-Erfolge erzielt werden. Ideal ist natürlich, wenn die NKT bereits im Anfangsstadium der Erkrankung durchgeführt wird. Fremdwörterverzeichnis auto-aggressiv Analyse Biographie dialogisch direktiv emotional endogen exogen Fokus Fokussierung hierarchisch homogen hypnagog Identifikation identifizieren imaginativ 22 gegen den eigenen Körper gerichtet Zerlegung, Auflösung (zur Feststellung der Bestandteile) Lebensbeschreibung in Form eines Zwiegesprächs, einer Wechselrede richtungweisend, Verhaltensregeln gebend gefühlsmäßig innen verursacht von außen verursacht Brennpunkt, Herd Konzentration (auf den Brennpunkt) in (mächtigere und untergeordnete) Rangstufen untergliedert einheitlich zum Schlaf hinüberleitend Erkennung, Gleichsetzung (hier auch Hineinversetzung) gleichsetzen, als das Gleiche erkennen, hineinversetzen auf Vorstellungen / Einbildungen beruhend Bechterew-Brief Nr. 59 (Dezember 1994) Fassung vom 4. November 2006 Einpassung, Vereinigung zu einer harmonischen Ganzheit auf die Seele wirkend Wahrnehmung, Erkenntnis wahrnehmend, auf Wahrnehmungen beruhend, erkenntnismäßig Verbindung, Mitteilung mitteilend Anpassung (an die erforderlichen Bedingungen), eine Reaktionsweise bewirken neurofokal in Bezug auf Herde im zentralen Nervensystem Neurologie Lehre von den Nerven und Nervenkrankheiten neutralisieren unwirksam machen, unschädlich machen operativ eingreifend, verändernd partiell teilweise pathogen krankheitserzeugend periphere Nerven vom zentralen Nervensystem zu den einzelnen Organen führende Nerven Phänomen Erscheinung, Ereignis Phänomenologie Lehre von den Erscheinungen primär ursprünglich, zuerst entstanden Projektion Übertragung (z. B. auch von Gefühlsinhalten) projektive Identifikation Hineinversetzung in ein Objekt, die mit einer Übertragung von Eigenschaften des Objekts in die Erlebnisdimension der Person einhergeht Provokation Herausforderung, Aufreizung Psycho-Neuro-Immuno- Lehre von den Wirkungen seelischer und nervlicher Prozesse auf das logie Abwehrsystem regenerativ erneuernd, wiederherstellend Remission Besserung, Nachlassen der Krankheitserscheinungen restaurativ ausbessernd, wiederherstellend sekundär an zweiter Stelle, nachgeordnet sensibilisieren empfindlich machen Transformation Umwandlung, Übergang (z. B. in eine andere Perspektive oder eine andere Zeit) traumatisieren verletzen, schädigen (auch seelisch) vegetatives NervenGesamtheit der Nerven, die dem Willen entzogen sind und die Regelung system der Lebensfunktionen besorgen (= autonomes Nervensystem) visualisieren in Bilder umsetzen, sich bildlich vorstellen Zentralnervensystem Gehirn und Rückenmark Integration katathym Kognition kognitiv Kommunikation kommunikativ Konditionierung Bechterew-Brief Nr. 59 (Dezember 1994) 23