Sin City - Philip Koch

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Sin City - Philip Koch
Sin City
Die Filmgeschichte hat ihn, endlich, den furiosen Höhepunkt eines in der Trivialität
versinkenden Genres – der Comic-Verfilmung. Nach vielen mehr oder weniger
geglückten Versuchen wie „Fantastic Four“, „Van Helsing“, „Hellboy“ oder „The
Punisher“ hat nun Kult-Regisseur Robert Rodriguez Frank-Millers berühmtes Comic
„Sin City“ auf die Leinwand gebracht. Wobei „übersetzen“ – so wie der Regisseur es
ausgedrückt hat – der viel, viel adäquatere Terminus ist. Sind doch die
Kameraeinstellungen exakte Replika von Millers Comic-Zeichnungen, und besonders
die Stilistik fällt bei den Farborgien anderer zeitgenössischer Genre-Genossen
mächtig auf: Wie die Vorlage nämlich, ist „Sin City“ in Schwarz-Weiß. Nur ein paar
farbige Elemente gibt es: Hier ein gelbes Gesicht, da blaue Augen, dort goldenes Haar
– und überall viel, viel rotes Blut. Alles wie in Millers Comic – „Sin City“ ist nicht
nur die wohl getreueste, demütigste Comic-Verfilmung aller Zeiten, sondern gewiss
auch die eigenwilligste, stilisierteste, die coolste – sagen wir es einfach: Es ist die
beste. Der „Pulp Fiction“ sozusagen, unter den Comic-Filmen. Dessen Regisseur
nämlich, Quentin Tarantino – ein langjähriger Freund von Rodriguez – hat ebenfalls
eine Szene inszeniert – für einen Dollar; als Gegenleistung dafür, dass Rodriguez ihm
für denselben symbolischen Betrag die Filmmusik zu „Kill Bill, Vol.2“ komponiert
hat...
Aber nicht nur die Namen, die unerhörte Coolness und die unglaubliche Brutalität
erinnern an Tarantinos Kino-Meilenstein von 1994 – auch die aufgebrochene,
postklassische Erzählstruktur, die den Zuschauer in ihren Bann zieht. In „Sin City“
gibt es im Wesentlichen drei Geschichten: Eine davon handelt vom Polizisten
Hartigan (Bruce Willis), der ein kleines Mädchen aus den Händen eines
Kinderschänders (Nick Stahl) rettet, aber dafür selbst in den Knast muss. Jahre später,
nachdem die nun groß gewordene Nancy Callahan (Jessica Alba) abermals entführt
wurde, geht der herzkranke Polizist wieder seiner Pflicht nach... Die zweite
Geschichte dreht sich um den Auftragskiller und Ex-Knacki Marv (Mickey Rourke),
der sich auf einen brutalen Rachefeldzug begibt, nachdem dessen große Liebe – die
Hure Goldie (Jaime King) – umgebracht wurde... Und da ist die dritte Geschichte, in
der Dwight (Clive Owen) aus Liebe zur Kellnerin Shelly (Brittany Murphy) zusieht,
wie die Huren von Oldtown, die einen Pakt mit der Polizei haben, Shellys brutalen
Peiniger (Benicio del Toro) ums Leben bringen. Nachdem sich herausstellt, dass
gerade dieser ein Undercover-Cop ist, droht der für die Huren existenziell wichtige
Pakt zu brechen – es ist Dwights Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Leiche ohne
jegliche Spur verschwindet...
Wie ernst es Rodriguez mit der reinen Formalität seiner „Übersetzung“ hat, lässt sich
anhand eines kleinen Eklats im Vorfeld der Dreharbeiten ablesen: Er stieg aus der
„Director’s Guild of America“ aus, weil diese nicht anerkannte, dass er Frank Miller
als Co-Regisseur in den Titeln aufführen wollte... Jetzt sind sie beide die Regisseure
des Filmes, und Rodriguez steht ganz allein da, in Amerika, ohne den rechtlichen
Schutz der Guild... Rodriguez der Rebell, der Einzelgänger – auch diesen Film hat er
quasi wieder im Alleingang gemacht. Regie, Kamera, Schnitt, auch Teile der Musik –
und gedreht hat er alles in seinem eigenen Filmstudio, das er direkt neben sein Haus
hat erbauen lassen und bezeichnend „Troublemaker Studios“ genannt hat. Dass er
sämtliche Szenen ausschließlich im Studio gedreht hat, und nicht an
Originalschauplätzen, war nur insofern möglich, als „Sin City“ einer der ersten Filme
neben „Sky Captain and the World of Tomorrow“ (2004) ist, die gänzlich vor Green-
Screen gedreht wurden. Sämtliche Hintergründe und Kulissen wurden per Computer
nachträglich hinzugefügt – kein Funken Realismus also, steckt in diesem Film...
„Sin City“ ist sicherlich der stilisierteste Film der letzten Jahre – die Inhaltslosigkeit
aber, die ihm Kritiker bisweilen vorwerfen, ist zwar nicht unbegründet, aber völlig
fehl am Platze – dieser Film kümmert sich gar nicht erst um Inhalte, er feiert die
Schönheit, die Wildheit, die Zerbrechlichkeit und die Coolness der Form. „Sin City“
ist mehr als Formalismus – hier wird die Form zu ihrem eigenen Inhalt, und zelebriert
sich selbst. Eine derartige Eitelkeit können sich nur die ganz großen Film erlauben –
„Sin City“, das steht fest, darf es.