lesen - Herbstwind

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Vom Wasgau zur Sickingerhöhe
von Otmar Weber
Der Wasgau
Dahn – Busenberg – jüdischer Friedhof Busenberg – Erlenbach – Vorderweidenthal
Wer sich für jüdische Zeugnisse in der Pfalz interessiert, wird bei einem
Besuch im Wasgau über die Vielfalt der noch erhaltenen Reste jüdischen
Lebens überrascht sein, denn hier ist auf engstem Raum das gesamte
jüdische Ambiente erhalten.
Die Besucher des reizvollen Dahner Felsenlandes können natürlich auch
die Dahner Burgen, das Schuhmuseum in Hauenstein oder den Baumwipfelpfad in Fischbach besuchen.
Dahn
Der erste Hinweis auf Dahner Juden stammt aus dem Jahre 1590, der
zweite von 1755. Im Jahre 1836 hatte die Gemeinde 103 Mitglieder, 1900
waren es 83, 1925 zählte sie 62 Mitglieder und 1939 nur noch 7 Personen. Die jüdische Gemeinde Dahn besaß eine  Synagoge, eine jüdische
Schule, eine  Mikwe.
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In Dahn fand der  Novemberpogrom 1938 einen Tag später statt. Am
Spätnachmittag des 10. November 1938 stürmten SA-Männer, fanatisierte
Jugendliche und Westwallarbeiter das Anwesen Julius Levy in der Weißenburgerstraße 2, setzten
die Bewohner in Angst
und Schrecken und verwüsteten die Wohnung.
Anschließend zog die
Meute in die Kanalstraße 10, wo sie das
Geschäftshaus von Dr.
Willy Katz demolierte.
Tags darauf setzten die
Täter ihr Vernichtungswerk fort. Sie zerrten
am Vormittag den jüdiFünf ehemalige jüdische Geschäfts- und Wohnhäuser
s ch en L eich en w a g en
in der Marktstraße Nr. 14, 16, 20, 22 und 24 (von rechts nach
links)
aus seinem Unterstand
auf die Marktstraße, wo sie diesen, Parolen wie „Jud verrecke“ grölend,
mit Zuschlaghämmern zertrümmerten. Familie Julius Levy erlebte ein
Jahr später ihre zweite Pogromnacht. Im August 1939 verfrachtete man
eines Nachts alle Familienmitglieder auf einen LKW, brachte sie zum
Rohrwoog, einem Weiher in Richtung Hinterweidenthal, und drohte, sie
dort zu ertränken. Mit der Evakuierung der Familie Julius Levy (sieben
Personen) am 01.09.1939 endete jüdisches Leben in Dahn.
Ende der 1940er Jahre kamen Familie Simon Levy und Anfang der 1950er
Jahre Familie Lemberger nach Dahn zurück. Seit Familie Lemberger 1981
aus Dahn verzogen ist, gibt es hier keine Juden mehr.
Auf dem Dahner Gefallenendenkmal befinden sich die Namen dreier im
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Ersten Weltkrieg gefallenen jüdischen Soldaten. Ihre Namen wurden während der NS-Zeit aus den Tafeln herausgemeißelt und in den 1960er Jahren
wieder eingefügt. Beim Heimattreffen der Dahner Juden im Juli 1991 wurde am jüdischen Schulgebäude eine Gedenktafel angebracht. Im Juli 2006
und November 2007 wurden für 20 jüdische Opfer Stolpersteine verlegt.
Rundgang
Die Besuchstour beginnt in
der Stadtmitte von Dahn an
der kath. Kirche. Von hier
aus geht es vorbei an ehemaligen jüdischen Häusern:
Marktstraße Nr. 14, Josef
Katz (zwei Stolpersteine)
– Nr. 16, Julius Katz (ein
Stolperstein) – Nr. 20 und
22 Halfen/Kullmann (ein
Stolperstein) – Nr. 24 Sigmund Rosenstiel (ein StolSynagoge und jüdische Schule in Dahn
perstein) – bis zur WeißenZustand 2013
burgerstraße 2, heute eine
Bushaltestelle, wo für die Familie Julius Levy 6 Stolpersteine verlegt
sind. Nach Überquerung der Weißenburgerstraße kommt man in die
Schäfergasse, ehemals Judengasse, wo sich Synagoge (heute Sarglager)
und jüdische Schule (heute Wohnhaus) befinden.
Anfang der 1820er Jahre wurde eine erste   Synagoge erbaut. Diese
wurde 1871/1872 abgerissen und an gleicher Stelle, Schäfergasse 8, durch
eine neue ersetzt. Sie ist heute noch in ihrer Substanz als einzige Synagoge
im Wasgau erhalten. Der schlichte Bau, aus Bruchsteinen errichtet, ist
9 m lang und 8 m breit. Das Portal und die Originaltüren sind in ihrer
ursprünglichen Farbe vollständig erhalten. Die Frauen gingen durch die
linke Portaltüre in eine Art Windfang aus Holz. Von hier aus gelangten sie
über eine Holzstiege, die mit Geländer noch gut erhalten ist, auf die Frauenempore, die ca. 35 Sitzplätze aufweist. Durch die rechte Portaltüre betrat
man die Männersynagoge, die ca. 60 Sitzplätze hatte. Links und rechts vom
Mittelgang befanden sich Pulte. Das Ende der Dahner Synagoge begann
bereits 1935/36, als das  Minjan nicht mehr erbracht werden konnte.
Schon zuvor haben nationalsozialistische Provokateure den Gottesdienst
systematisch gestört.
Die jüdische Kultusgemeinde hat das Synagogengebäude samt
Schule am 18.08.1938
an den Schreinermeister Ludwig Flory aus
Busenberg verkauft,
der es unverzüglich in
 Florale Ausmalungen
eine Schreinerwerkstatt
in der Frauenabteilung der Dahner Synagoge
umbaute. So blieb das
Gebäude in der Pogromnacht 1938 vor der Zerstörung bewahrt. Die florale
Ausmalung der Synagoge, durch einen Leimfarbenanstrich konserviert,
dürfte mit dem Sternenhimmel an der Kassettendecke einmalig in der
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Pfalz sein und lohnt einen  Besuch.
Die im Jahre 1843 neben der Synagoge errichtete jüdische Schule ist heute
noch in ihrer Substanz erhalten. Schulraum und Lehrerzimmer befinden
sich im ursprünglichen Zustand. Die  Mikwe im Keller des Gebäudes
wurde in den 1980er Jahren in einen Heizungsraum umgebaut. Die originale Steintreppe, die Nische für die Kleiderablage, das Tonnengewölbe
und die Fenster in Lichtschachtform sind noch erhalten.
Busenberg
Von Dahn geht es über die B 427 nach Busenberg (ca.6 km), der ältesten
und ursprünglich größten jüdischen Gemeinde im Wasgau. Im Jahre 1784
hatte die Gemeinde 79
Mitglieder, 1848 waren
es 170, 1900 ging ihre
Zahl auf 50 zurück,
1924 waren es 30 Mitglieder und 1938 nur
noch 2 Personen.
Die jüdische Gemeinde
Busenberg besaß eine
Synagoge, zwei jüdische
Schulen, eine  Mikwe
und den jüdischen
Die Busenberger Synagoge um 1930
Rekonstruktion: R. Repp
Friedhof.
Der erste Hinweis auf eine  Synagoge in Busenberg stammt aus dem
Jahre 1769. Man darf davon ausgehen, dass die Synagoge Mitte des 18.
Jahrhunderts errichtet wurde. Sie stand in der Hauptstraße 80, war ein
68 qm großes Fachwerkgebäude und verfügte über 30 Männer- und 20
Frauensitze. Im Erdgeschoss war die jüdische Schule untergebracht. 1939
wurde die Synagoge von
der jüdischen Kultusgemeinde an einen Metzg erm eister v erk a u ft.
Während des Krieges
wurde das Dach durch
Artilleriebeschuss
beschädigt. 1951 ging
die Synagoge an einen
anderen Besitzer über,
der das Gebäude noch
im gleichen Jahr abreißen ließ. Direkt neben
der ehemaligen Synagoge befindet sich die gut
Vom Verfall bedroht: Das Mikwenhaus in Busenberg
erhaltene alte jüdische
Ein restauriertes Badehaus könnte durch seine zentrale Lage
als Museum für die Geschichte der Juden im Wasgau dienen.
Schule. Die neue SchuWiederhergestellt wäre das Mikwehäuschen einerseits Zeugnis
le steht gegenüber der
dafür, dass deutsch-jüdische Kulturgeschichte in unserer Heimat
einmal möglich war, andererseits könnte es eine Attraktion für
Mikwe in der Talstraße.
den Fremdenverkehr werden.
Der jüdische Friedhof,
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ein Verbandsfriedhof, lässt sich seit 1824 nachweisen.
Mit der Evakuierung am 01.09.1939 endete jüdisches Leben in Busenberg.
Auf dem Busenberger Gefallenendenkmal am Aufgang zur kath. Kirche
befindet sich der Name eines im Ersten Weltkrieg gefallenen jüdischen
Soldaten. Seit 1993 ist in der Hauptstraße 80, unterhalb der kath. Kirche,
eine Gedenktafel angebracht. Im November 2007 wurden in Busenberg
zehn  Stolpersteine verlegt.
Rundgang und Friedhofsbesuch
Die Besichtigung beginnt am  Mikwenhaus in der Talstraße gegenüber
der ehemaligen jüdischen Schule bei Haus Nr. 8. Sie ist das einzig erhaltene
Mikwehaus der Pfalz. In einem Schreiben des königlichen Landkommissariats Pirmasens vom 17.11.1859 wird das Bürgermeisteramt Busenberg aufgefordert, das dortige Judenbad wegen Gesundheitsgefährdung
polizeilich zu schließen. In einem ausführlichen Schriftverkehr mit dem
königlichen Landkommissariat in Pirmasens
zwischen 1859 und
1869 weist der Synagogenausschuss immer
wieder daraufhin, dass
die Verunreinigung der
Mikwequelle von einem
Abtritt, Dunggruben
und Schw einestä llen
herrühre, die sich rund
um die Mikwe befänden
und erst später errich Der jüdische Friedhof Busenberg (Luftaufnahme von 1998)
tet wurden. Wie der
Streit ausging, ist aus der Aktenlage nicht ersichtlich. In einer Kostenberechnung vom 14.01.1861 „Zur Wiederherstellung und neuen Einrichtung
des jüdischen Badehauses zu Busenberg“ wird die vorhandene Einrichtung
der Mikwe detailliert beschrieben: Wasserzuleitung, Wasserbehälter, Pumpenstock für die Badewanne, ein Kesselherd für warmes Wasser und der
Bau eines neuen Kamins. Heute arbeitet die Zeit gegen das Mikwehäuschen
in der Talstraße, denn die Bausubstanz wird von Jahr zu Jahr sichtbar
schwächer. Das Mikwehaus kann nur von außen besichtigt werden.
In Busenberg sind zwei jüdische Schulen in ihrer ursprünglichen Form
erhalten. Das jüngere Schulgebäude steht in der Talstraße 8 gegenüber
dem Mikwehaus. Über dem Türeingang zur Schule befindet sich die teils
noch lesbare Inschrift: „Erbaut von … Bloch 1895“.
Wenige Meter weiter, in der Hauptstraße 78 neben der ehemaligen Synagoge, steht das ältere Schulgebäude, erbaut Mitte des 18. Jahrhunderts. Die
Fachwerkstruktur wurde erst vor wenigen Jahren mit einer Putzschicht
überzogen.
Von hier aus geht es zum jüdischen Friedhof, der für den Besucher leicht
zu finden ist. Man fährt auf der B 427 in Richtung Bad Bergzabern; 700
m nach dem Ortsende von Busenberg zeigt ein Hinweisschild den Friedhof an; man biegt jetzt rechts in Richtung Weißensteiner Hof auf den
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Parkplatz am Feldkreuz ein. Von hier aus sieht man den jüdischen Friedhof
als Wäldchen auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Vom Parkplatz
aus überquert man die B 427 und gelangt
auf einem Trampelpfad nach ca. 100 m zum
jüdischen Friedhof.
 Der jüdische Friedhof war die zentrale
Begräbnisstätte der Juden im Wasgau. Er
liegt auf der Busenberger Gemarkung an der
Straße „Bei der Lehmgrube“. Dort wurden
über 150 Jahre lang jüdische Tote aus den
vier jüdischen Wasgaugemeinden beerdigt.
Heute ist er ein steinernes Zeugnis des vernichteten pfälzischen Landjudentums. Der
Jude Benjamin Lefy hat 1824 den „Judenkirchhof“ von Josef Barthole gekauft. Damals
hatte der Friedhof mit Zufahrt eine Fläche
von insgesamt 1.866 qm. Heute hat er eine
Mehrfach geschändet
Hier Spuren der Schändung des
Fläche von 2.580 qm. Der Friedhof ist harjüdischen Friedhofs von 1994
monisch in die Wasgaulandschaft eingebettet
und wird von einer Hainbuchenhecke umgeben. Baumgruppen beschatten
noch 285 Grabsteine, die in 25 Reihen museal aufgestellt sind. Die Ruhe
der hier Bestatteten
wurde immer wieder
Auf dem Friedhof befinden sich die Gräber von drei
jüdischen Soldaten, die im Ersten Weltkrieg gefallen sind.
gestört. Im Sommer
Die Inschrift auf dem Grabstein 13 in der Grabreihe 6 lautet:
1938 wurden fast alle
„Siegmund Kullmann, Rechtpraktikant u. U’offzr. d. Res.,
geb. 14. April 1887. Er starb den Heldentod fürs Vaterland,
Grabsteine umgeworverw. Am 20. Aug. in der Schlacht bei Mörchingen, gest. im
fen und viele zerstört.
Lazarett zu Karlsruhe am 17. September 1914.“
Die andere Hälfte des Steins, für seinen Vater vorgesehen,
In den Jahren 1994 und
blieb leer. Dieser wurde 1942 im Alter von 88 Jahren nach
1997 folgten weitere
Theresienstadt deportiert, wo er umgekommen ist.
schwere Schändungen
durch Neonazis. Grabsteine wurden umgeworfen, zerstört und mit NS-Parolen besprüht. Die
Gemeinde Busenberg hat nach den Schändungen immer wieder geholfen,
dem Friedhof eine würdige Form zu geben.
Eine erste umfassende Renovierung im neuen Teil hat 1955 stattgefunden.
Im Jahre 1972 wurden
auf dem neuen Teil
alle Grabsteinfassungen entfernt und eine
Rasenfläche angelegt.
1981 entfernte man
die noch vorhandenen
Grabsteinfassungen und
Sockel auch im alten
Teil, um eine leichtere
Pflege zu erreichen.
Die Beerdigung von Frau Johanna Levy
Der Gang über den jüdiam 12.05.2011 war die bislang letzte Beerdigung auf dem
schen Friedhof Busenjüdischen Friedhof Busenberg. Nach 1945 fanden auf dem
Busenberger Friedhof vier Beerdigungen statt, drei in den 1970er
berg dient nicht nur der
Jahren.
Betrachtung und Besinnung, sondern ist zugleich auch ein Gang durch die Kunstgeschichte und
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die verschiedenen Architekturstile. Die Steine des frühen 19. Jahrhunderts
im alten oberen Teil sind noch ganz in der Tradition einer einfachen und
schlichten Grabsteingestaltung geschaffen. Wir finden aber auch hervorragende Steinmetzarbeiten im Biedermeierstil, des Klassizismus oder
neoorientalischer Ausprägung. An vielen Grabsteinen sind heute noch die
Signaturen der Steinmetze Würschmitt und Sanwald aus der Bergzaberner
Bildhauerschule zu finden. Der jüdische Friedhof ist immer geöffnet.
Vom jüdischen Friedhof Busenberg geht es auf der B 427 und L 490 nach
Erlenbach und Vorderweidenthal (ca. 5 km).
Erlenbach
In Erlenbach sind keine Reste jüdischen Lebens erhalten. Die Synagoge
stand auf dem heutigen Gartengrundstück links der Hausnummer 24 in der
Hauptstraße. Sie war ein einstöckiges Gebäude in verputztem Bruchsteinmauerwerk. Bereits Anfang Oktober 1938 wurde die Synagoge ausgeräumt,
die Inneneinrichtung demoliert und das Gebäude in ein Zementlager
für den Westwallbau umgewandelt. Im März 1945 wurde die Synagoge
bei einem Luftangriff auf Erlenbach zerbombt. Heute befindet sich dort
ein Gartengelände. Eine Gedenktafel oder ein Hinweisschild fehlt. Im
November 2007 wurden in Erlenbach 6 Stolpersteine in der Hauptstraße
gesetzt: Nr. 4b (drei Stolpersteine), Nr. 23 (zwei Stolpersteine), Nr. 40
(ein Stolperstein).
Vorderweidenthal
Auch in Vorderweidenthal finden sich keine Reste jüdischen Lebens
mehr. Die jüdische Kultusgemeinde wurde 1875 aufgelöst. Die wenigen
Mitglieder schlossen sich der jüdischen Kultusgemeinde Erlenbach an.
Die schönsten und wertvollsten Grabsteine auf dem jüdischen Friedhof
Busenberg wurden von Familie Blum aus Vorderweidenthal gesetzt.
Weitere Ressourcen zur Region
finden Sie unter:  www.christen-und-juden.de/html/DAHN/
Praktische Hinweise
 Synagoge Dahn
Termine für Besichtigungen können vereinbart werden unter:
 06391-2331
B41
B270
A6
A8
Wallhalben
B423
A6
B40
Homburg
B10
Herschberg
A8
Hoheinöd
B10
St. Ingbert
Thaleischweiler-Fröschen
A8
Zweibrücken
A6
B270
B10
Blieskastel
A8
B423
B424
A8
Rodalben
B10
B10
Pirmasens
B427
Dahn
B423
Vorderweidenthal
Gersheim
B427
Busenberg
Sarregemines
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Erlenbach
bei Dahn
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