Hexen und Hexenwerk - Burgenverein Untervaz
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Hexen und Hexenwerk - Burgenverein Untervaz
Untervazer Burgenverein Untervaz Texte zur Dorfgeschichte von Untervaz 1985 Hexen und Hexenwerk Email: [email protected]. Weitere Texte zur Dorfgeschichte sind im Internet unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/dorfgeschichte erhältlich. Beilagen der Jahresberichte „Anno Domini“ unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/annodomini. -21985 Hexen und Hexenwerk Terra Plana - Heft Nr. 2. 1985. Seite 29-37. Alois Senti -3Alois Senti, Bern/Flums Hexen und Hexenwerk Die Annahme, Hexen und Hexenwerk wären nur der Fantasie mittelalterlicher Theologen, Richter und ihrer zu Tode gequälten Opfer entsprungen und hätten damit ihr Bewenden, reicht nicht aus, um den Hexenwahn mehrerer Jahrhunderte zu erklären. Hexen gab es nicht nur in den Gerichtssälen, sondern auch in den Vorstellungen des Volkes und der gefolterten und verurteilten Angeschuldigten selber. Niemand weiss, wieviele Menschen sich ausserhalb die Gnade Gottes stellen und in Gedanken, Worten und Zeichen den Mitmenschen und den Tieren Schaden zuzufügen versuchen. Wer das macht, ob mit oder ohne Erfolg, ist das, was die Sagenerzähler als Hexe oder Hexenmeister bezeichnen. Wenn Teufelskunst und Hexenwerk ins Recht gefasst werden könnten, wären die Gerichte heute noch damit beschäftigt. Man hat dabei ja nicht nur an den vordergründigen Schadenzauber, die Begehrlichkeit nach Geld und die weit verbreitete Wahrsagerei, sondern auch an die übrigen Verführungen und an die Hetzjagd der Medien nach Sündenböcken zu denken. Im Sarganserland ist die Quellenlage über die Hexenverfolgung und deren Folgen eher dürftig. Möglicherweise waren die Hexenprozesse weniger zahlreich als in der Nachbarschaft, oder die Akten gingen im Laufe der Zeit verloren. Um so eindrücklicher sind die Spuren, die der Hexenglaube in der mündlich überlieferten Volkserzählung hinterlassen hat. Da verschreiben sich Frauen dem Teufel und nehmen an Hexenversammlungen teil, verwandeln sich in Tiere und rauben Kleinkindern und älteren Menschen den Schlaf. In Hunderten von Belegen überliefern die Erzähler, was unsere Vorfahren im 18. und 19.Jahrhundert darüber dachten. Teufelskunst und Hexenwerk waren ei ne ernste Sache, über die nicht zu spassen war. Bezeichnenderweise kommen die Hexen im reichen Schatz der Anekdoten, Schwänke und Witze kaum vor. Bis in die Mitte unseres Jahrhunderts kannte man im Sarganserland auch an der Fasnacht keine Hexen. Die Hexen und ihr Umfeld waren mit dem Tod und dem Heiligen kein Gegenstand, über den man scherzte. -4Der Hexenwahn Die vor allem Mittel- und Nordeuropa heimsuchende Hexenverfolgung erreichte unser Land im ausgehenden Mittelalter, als Papst Innozenz VIII. in der Bulle Summis desiderantes 1484 die Hexenfrage als Angelegenheit der geistlichen Gerichte bezeichnete und die Inquisition mit dem Malleus maleficarum ein Gesetzbuch zur Bekämpfung des Teufels- und Hexenglaubens erhielt. Der Malleus maleficarum oder «Hexenhammer» erschien in den Jahren 1487-1489 und enthält ein Kapitel über die Prädestination der Frau zur Zauberin, Teufelskonkubinin und Hexe. Er diente der geistlichen und weltlichen Gerichtsbarkeit als Handbuch. Dabei unterschieden sich die altgläubigen und die reformierten Gerichte in ihrer Denkart in keiner Weise. Man sah im Hexenwesen den Abfall vom Glauben und die Verbindung mit dem Bösen schlechthin. Sache der Gerichte war es, die darin zum Ausdruck kommende Ketzerei aufgrund der neuen Erkenntnisse der Theologie zu untersuchen und zu bekämpfen. Die Hexenprozesse richteten sich nicht gegen die Hexen selber, sondern gegen den Satan, der sich ihrer bemächtigt hatte. Als die geistlichen Gerichte in der Mitte des 16. Jahrhunderts von den weltlichen Instanzen abgelöst wurden, erwiesen sich diese in der Anwendung der Tortur noch als grausamer als zuvor die Kirche. Am schlimmsten wütete der letztlich unerklärliche Hexenwahn zwischen 1550 und 1750. Hinter jedem Unglücksfall vermutete man die Untat einer Hexe oder eines Hexenmeisters. Verdächtigungen und Denunziationen folgten Einvernahmen, Verhöre, Folterungen, Verurteilungen und Hinrichtungen. Die Zahl der Verurteilten schwankte von Landesgegend zu Landesgegend. In der Stadt St. Gallen wurden zehn Hexen hingerichtet. Das Toggenburg kam auf 23 Verurteilungen. Appenzell Innerrhoden hatte gut zwanzig, Ausserrhoden etwa 30 Hexenprozesse. Im Prättigau wurden hingegen allein zwischen 1652 und 1660 über hundert Hexen und Hexenmeister hingerichtet. Das heutige Fürstentum Liechtenstein war als «Hexenland» verschrien. Etwa 300 Frauen und Männer endeten auf dem Scheiterhaufen oder am Galgen. Aus dem Sarganserland hat Werner Manz in seiner Schrift «Volksbrauch und Volksglaube des Sarganserlandes» (Basel 1916) im Zürcher Staatsarchiv aufbewahrte Prozessakten aus der Mitte des 17. Jahrhunderts veröffentlicht. -5Erst im 18. Jahrhundert gelang es, den Teufels- und Hexenglauben allmählich wenigstens aus der Gesetzgebung zu verbannen und den Justizmorden ein Ende zu setzen. Die letzte Enthauptung einer als Hexe verurteilten Frau erfolgte 1782 im Glarnerland. Damit war der im Laufe mehrerer Jahrhunderte eingepflanzte Teufels- und Hexenglaube aber nicht ausgelöscht. Seine Wurzeln gründeten tiefer. Die Vorstellungen lebten, wenn auch in veränderter und abgeschwächter Form, weiter. In der überlieferten S. 30: Gedankenwelt aufgewachsene Menschen unterliegen in angespannten Situationen auch heute noch der Versuchung, Ängste, Hoffnungen und Sehnsüchte in die magische Welt zu projizieren und ihrer Not durch Zauber und Gegenzauber Abhilfe zu schaffen. Wie anders könnte man sich sonst den wachsen den Zulauf der Wahrsager und Heiler oder Vorfälle, wie sie von der Boulevardpresse erst vor kurzem aus Flums verbreitet worden sind, erklären? Nichts deutet darauf hin, dass der aus dem Mittelalter bis in unsere Zeit reichende Schatten des Hexenglaubens schmaler würde. Hexenverbrennung. Die Zahl der aus dem Sarganserland bekannten Hexenprozesse dürfte kaum den tatsächlich erfolgten Verurteilungen entsprechen. Sie war zweifellos höher. Holzschnitt von O. Benteli nach einer Zeichnung von E. Leuenberger. 19. Jh. -6Die Teufelskunst In der mündlichen Überlieferung des Sarganserlandes sind Hexen in der Regel ältere und alleinstehende Frau en. Namen sind nur wenige bekannt. In Vilters hört man von einem Nänni, am Melser Berg von der altä Chaschperi, von Schleigel Jöüris Madeili, Schleigel Friidis Mareiä und deren Schwester und in Weisstannen von der Joggi Baabä und der Xander Annä. Die Gewährsleute halten mit näheren Angaben zurück. Häufig versuchen sie, die Bosheit der angeschuldigten Personen zu relativieren, indem auf deren Hilfsbereitschaft und Freigebigkeit gegenüber Bedürftigen hingewiesen wird. Man erfährt auch, dass nicht alle Hexen aus freien Stücken Hexen wurden. Manchen «isch d Häx aagworfä wordä». Andere wurden an einem «verworfnä Taag» geboren oder von ihren Müttern dazu angehalten. Möglicher weise stammen diese Vorbehalte wie die Flurnamen Häxäbödili (Weisstannen), Häxätapp (Mels), Häxäbühel (Calfeisental), Häxämüürli (Flums) erst aus dem 19. und 20. Jahrhundert. Soweit es sich bei den als Hexen bekannten Personen um ältere Frauen handelt, sucht man ihnen auszuweichen. Sie bringen ohnehin nur schlechte Nachrichten oder wenden sich ab. Daran glaubt man, die Hexen auch im Gottesdienst während der Wandlung oder beim feierlichen Segen zu erkennen. Sie wenden den Blick gegen den Ausgang der Kirche und verlassen den Gottesdienst vorzeitig. Daneben verfügen sie über die erstaunliche Fähigkeit, Unglücksfälle vorauszusagen und sich gleichzeitig an mehreren Orten aufzuhalten. In Mels will man die alt Chaschperi am gleichen Tag in den Rheinauen und zuhinterst im Weisstannental gesehen haben. Auffallend sind ferner die altmodischen Kleider, Hüte, Kopftücher, Schürzen und Strümpfe der Hexen. Halstücher und Strümpfe sind häufig rot. Rot ist ihre Lieblingsfarbe. Was die Anzahl angeht, vernimmt man aus Vilters, dass die Schüler zur Zeit von Pfarrer Ferdinand Good (1891-1948) sieben ortsansässige Hexen aufzählten. Auf die gleiche Zahl kam ein gewisser Vöügili Chrischti für Weisstannen. Im Taminatal wurden seinerzeit zwölf in Katzen verwandelte Hexen ermittelt. Die Kunst, sich in ein Tier zu verwandeln, gilt im Sarganserland als untrügliches Zeichen einer Hexe. Nach den Vorstellungen der Erzähler können Hexen ihre dem Teufel verschriebene Seele in einen Fuchs, in eine Katze oder in eine Elster verwandeln. -7Das sind die drei hauptsächlichsten Tiere, die dafür in Betracht fallen. Ihre List und ihr räuberisches Verhalten sind bekannt. Dennoch geraten sie den Jägern vor den Lauf des Gewehres oder gar in eine Falle. In einem solchen Fall ist Vorsicht ratsam. Ein voreiliges Schiessen könnte den Jäger das Gewehr oder eine Hand kosten. Den S. 31: Hexen bei solchen Begegnungen zugefügte Wunden bleiben bestehen, wenn sich die Hexe zurückverwandelt. Sie bilden ein wichtiges Beweisstück für die Hexerei. Aus diesem Grunde raten die Erzähler, verdächtige Tiere mit einem Messer an den Ohren oder auf der Nase zu zeichnen. -8Als ein Wangser Jäger auf eine fremde Katze schoss, vernahm er anderntags, dass eine Frau am Melser Berg mit einer Schussverletzung im Bett lag. Um die Jäger zu narren, lassen die falschen Füchse auf der Flucht ein Kleidungsstück zurück. Auf Valö glaubte ein Flumser Wilderer sieben Füchse erlegt zu haben. Als er die Beute holen wollte, fand er jedoch nur noch sieben rote Strümpfe. Einem Melser Kollegen erging es ähnlich. Ihn foppten die Hexen mit einigen abgenutzten Besen. In Mels wechselte die von einem Jäger im Schnee verfolgte Fuchsspur in eine Katzenspur. In Flums heisst es, dass ein Vater eine fremde Katze, in der er die Verursacherin der Krankheit eines Kindes vermutete, über die Treppe hin untergeworfen habe. Als die Nachbarin am andern Morgen mit einem zerschundenen Kopf in der Haustüre er schien, brauchte er nicht mehr länger nach der Hexe zu suchen. In Berschis wurde eine als Katze umgehende Hexe mit einer Ofengabel für ihr ganzes Leben gezeichnet. Auf einen Fuchs geschossen Ich haa nä na kinnt. Äs ischt än altä, routä, ä gstäppetä Maa gsii. Dr alt Rächi, hät män em gsäit. Där häig ämoul dumenä Fuggs ds Frässä gläit und ä zäucht und gschossä und troffä. Häi där Fuggs Schräi gluu! Aber nid pliibä. Är isch gä luegä und dem Bluet noi. Duä seig das Bluet in ä Huus yhi, und duä sei än alts Wyb, än aagschosses alts Wyb hinderemä Oufä joub ghogget. Mehr Glück hatte der berühmte Fuchs, der Peter Geel auf dem Weg von Mels nach Sargans um die Beine strich und von diesem kurzerhand in einen Sack gesteckt und in Sargans auf den Ruf der Schwester wieder freigelassen wurde. Als ein in Mels tätiger Schmiedegeselle mehrere Nächte nacheinander gequält wurde, folgte er dem Rat eines Kollegen und führte den Quälgeist in die Schmiede und beschlug ihn mit Eisen. Wunden an den Händen und Füssen der Meisterin liessen keinen Zweifel mehr darüber, wer ihn gepeinigt hatte. Ein Pfäferser Mönch hiess die von einer Hexe Geschädigten am St. Margrethenberg, ein Büschel Haare in ein kleines Feuer zu werfen. Im Taminatal fürchteten sich die Knechte auf einer Alp vor zwölf Katzen, die jeweils am Vorabend der Alpentladung in der Hütte erschienen. Sie verpflichteten einen in fremden Diensten ergrauten Mann, dem es gelang, der ersten der zwölf Katzen eine Pfote abzuschlagen. -9Nach der Alpfahrt, als sich die Knechte beim Alpmeister einfanden, stellte sich heraus, dass dessen Frau bettlägerig war und einen Arm unter der Decke verborgen hielt. Der alte Soldat griff nach der Katzenpfote in der Kitteltasche: Es war eine Menschenhand. Sie passte genau an den verstümmelten Arm der Alpmeisterin. Die Frau wurde mit den andern elf Hexen, deren Namen sie bei der Einvernahme preisgeben musste, auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Bei dieser Erzählung handelt es sich um das einzige Beispiel unter Hunderten von Belegen, in dem die Hexen verurteilt und hingerichtet werden. Die Verwandlung in ein Tier erfolgt vor allem dann, wenn die Hexe in den Erzählungen zum Schrättlig wird. Dieser Quälgeist ist im Sarganserland fast nicht von der Hexe zu unterscheiden und hat den Hexenglauben bis in unsere Zeit getragen. Unter älteren Leuten bestand noch in der Mitte des 20. Jahrhunderts kaum ein Zweifel an dieser Erscheinung. Der Schrättlig bringt die Wiegenkinder um den Schlaf und macht sie krank. Er drückt und würgt die älteren Leute im Bett, dass sie in Atemnot geraten und sich kaum mehr bewegen können. Meist erreicht er sei ne Opfer über die Schultern oder auch vom Fussende her. Er verschwindet, S. 32: bevor die Geplagten erwachen und sich zurechtfinden. Wo der Schrättlig gesehen wird, handelt es sich um eine Katze. Auf einem Maiensäss in Flums gelang es einem vom Schrättlig geplagten Bauern, einen schwarzen Kater zu fangen. Als er ihn mit dem Messer töten wollte, flehte die Katze um ihr Leben und drohte dem Bauern mit der Rache ihrer Brüder. In Bad Ragaz glaubte ein vom Schrättlig geplagter Knecht, ein schadenfrohes Gelächter zu hören. - 10 Hexentänze auf dem Gafarrabüel Auf dem Gafarrabüel im Weisstannental trafen sich die Hexen zu ihren Tänzen. Frauen und Mädchen, die den Ort aus diesem Grunde kannten, gaben sich in Paris, Mailand und Venedig den in fremden Diensten stehenden Melsern und Weisstannern zu erkennen. Darunter auch eine Frau, die als junges Mädchen die Mutter auf den Gafarrabüel begleitet hatte und bei dieser Gelegenheit in die Gesellschaft eingeführt werden sollte. Es verweigerte aber seine Unterschrift und wurde deshalb in einen Fuchs verwandelt und an eine Staude gebunden. So fand es ein junger Bursche aus Mels, der sich auf der Jagd befand, am andern Morgen. Als er in der Nähe auch noch einen goldenen Ring liegen sah, traute er der Sache nicht mehr, band den Fuchs los und liess ihn laufen. Den Ring nahm er zu sich. Als Tambour kam der junge Melser später bis nach Paris. Dort lernte er eine Kellnerin kennen, die ihm eines Tages sagte, dass er am kleinen Finger ihren Ring trage. Der Soldat lachte. Aber die Kellnerin wusste ihm den Ort ganz genau zu beschreiben, an dem er den Ring gefunden hatte. Wenn er jenen Fuchs getötet hätte, wäre er wohl nie mehr nach Paris gekommen, sagte die Frau. Dem Melser wurde es warm und kalt zugleich. Er gab der Kellnerin den Ring zurück und durfte sich dafür etwas wünschen. Nach kurzem Besinnen bat er die Kellnerin um den Gefallen, am kommenden Morgen, statt in der Kaserne, in Mels zu erwachen. Die Kellnerin erfüllte den Wunsch mit ihrer Kunst. Als der Tambour am Morgen die Augen aufschlug, lag er samt seinem Gepäck unter der Linde auf dem Marktplatz in Mels, wo heute der Platzbrunnen steht. ----------- Wie sich die Hexe in einen Fuchs, eine Katze oder in eine Elster verwandelt, so erscheint der Schrättlig als Hummel, Vogel, Wespe oder Fliege. Als Strohhalm und Flaumfeder dringt das eigenartige, sich unversehens den Naturdämonen (Grääggi, Bachgschrai usw.) nähernde Wesen des Schrättligs durch Ritzen, Ast- und Schlüssellöcher in die Schlafkammern. Wenn man die Öffnung, durch die er eingedrungen ist, rechtzeitig verschliessen kann, muss er bleiben. Ein in Mels als Vogel in eine Kammer eingedrungener Schrättlig nahm, als er nicht mehr fliehen konnte, die Gestalt eines Mädchens an. Der junge, geistesgegenwärtige Bursche nahm es zur Frau. - 11 Zwei Jahre später beging er aber den verhängnisvollen Fehler, den seinerzeit in die Öffnung der Wand geschlagenen Zapfen auf die drängende Bitte der Frau zu entfernen. Da fielen ihr die Kleider vom Leibe. Die Frau floh als Vogel und sang: «Hei, wie klingen die Glöcklein in Venedig so schön!» Von einer ähnlichen Verbindung erzählt man auch in Flums, wo es einem Burschen gelang, den als Strohhalm in seine Schlafkammer eingedrungenen Schrättlig festzuhalten, indem er etwas (wohl ein Kleidungsstück) auf ihn warf. Der Strohhalm verwandelte sich in ein schönes Mädchen, das er in der Folge heiratete. Auch in diesem Fall gelang es aber nicht, die Frau festzuhalten. Nicht einmal die Kinder vermochten ihre Mutter ans Haus zu binden. In bestimmten Nächten (vorzugsweise in den kirchlichen Festtagen vorausgehenden Nächten) versammelte der Teufel sein Gefolge aus der näheren und weiteren Umgebung zu einer festlichen Veranstaltung. Im Sarganserland trafen sie sich mitten im Tal auf dem Tiergget, auf der Wangser Alp Mugg, auf der Pfäferser Allmend, auf Gaspus bei Vättis, auf dem Hexenbühel am Eingang der Alp Sardona, auf dem Böüdili am Hinterberg in Mels, auf dem Heidenberg am Kleinberg und auf dem Eggli, einem Platz zwischen der Schuhegg und dem Berschnerbach, dann aber vor allem auf dem Gafarrabüel im Weisstannental und im Schaaner- und Balzner-Ried im Fürstentum Liechtenstein. Man erkannte diese Plätze leicht an der mangelnden Vegetation. Der Boden, auf dem die Hexen tanzen, ist «plutt» und wird von den Tieren gemieden. Kein Rind oder Schaf legt sich auf einem HexenTanzplatz nieder. Alpknechte und beerensuchende Kinder fanden in der Nähe dieser Versammlungsorte kostbare Dinge, die den tanzenden Hexen abhanden gekommen waren: Fingerringe, Kämme, goldene Schuhe, seidene Strümpfe und Bänder. Man versteht, dass die Wangser Kinder in der Erwartung, etwas von diesen Geheimnissen zu erfahren, häufig nach dem Gafarraboden hinüberschauten. Die Fahrten der Hexen nach diesen Versammlungsorten erfolgten in der Nacht. Sie schmierten einen Besenstiel oder eine Ofengabel mit Hexensalbe, und schon trug sie der verbreitete Zauberspruch: «Oben aus und nirgends an!» zum offenen Kamin in die Nacht hinaus an den vor Mitternacht zu erreichenden Bestimmungsort. Kiltgänger erzählten von den Büchsen mit Hexensalbe, die sie in den Wohnungen der verdächtigen Frauen gesehen haben wollten. - 12 An diesen Versammlungen pflegte der Buhlteufel neue Mitglieder aufzunehmen. Diese hatten dem Christenglauben abzuschwören und sich zu verpflichten, den Menschen und den Tieren sowie den Kulturen durch Zauber zu schaden. Als im Weisstannental einmal eine ganze Brücke voll Katzen gesehen wurde, brachte man die Erscheinung mit den Versammlungen der Hexen auf dem Gafarrabüel in Verbindung. Neben der schwankhaften Schilderung eines derartigen Steckenritts in Mels (auch aus Flums liegt ein Bericht vor) ist in Vättis die Rede von zwei jungen Männern, die im Calfeisental einer Hexe unbeabsichtigt den Weg versperrten. Der eine der beiden, ein Fronfastenkind, musste der Unholdin die Durchfahrt nach der Alp Sardona ausdrücklich gestatten. Nachdem er offenbar nichts dagegen einzuwenden hatte, hob sie sich in die Luft und rauschte taleinwärts davon. Einzelheiten über die Hexenversammlungen wusste der Geiger HansJöüri zu erzählen, der auf dem Weg von Sargans nach Vaduz unversehens Zeuge einer solchen Veranstaltung wurde. Mitglieder einer noblen Gesellschaft baten ihn, zum Tanze aufzuspielen. Als Entschädigung durfte er sich satt essen und trinken soviel er wollte. Man bat ihn lediglich, von seinen Trinksprüchen abzusehen. S. 33: Als er sich aus Langeweile vergass und rief: «Gsundhäit, Hans! Gsäg drs Gott, Hans! Fürcht dr nüt, so gschiet dr nüt!» war der Spuk verschwunden. Er befand sich allein mit seiner Geige auf dem Vaduzer Galgen. Fronfastenkinder waren in der Lage, solche Tanzveranstaltungen ohne Schaden zu beobachten. Andere behalfen sich, indem sie einem Fronfastenkind über die linke Schulter schauten. Interessant sind die Erlebnisberichte, worin die aus fremden Diensten zurückkehrenden Melser, Weisstanner und Sarganser behaupten, in Paris, Mailand und Venedig, ja selbst in Neapel, schöne Frauen angetroffen zu haben, die sich auf dem Gafarrabüel auskannten und im vertrauten Gespräch gestanden, im Weisstannental an Hexenversammlungen teilgenommen zu haben. Die Erzählungen beginnen mit einem Jagderlebnis. Ein Jäger stösst auf einen oder auf mehrere Füchse, die durch ihr ungewöhnliches Verhalten auffallen. Auf Gaspus bei Vättis sind zwei Füchse mit einer Waldrebe festgebunden. Der Jäger befreit die Tiere und lässt sie laufen. - 13 - Wie sich später herausstellen sollte, handelte es sich bei den beiden Füchsen im Taminatal um zwei verwandelte Damen aus Mailand. Sie belohnten den Burschen reichlich. Ähnlich erging es einem Melser, der neben dem befreiten Fuchs einen goldenen Fingerring fand. Er kam in fremden Diensten nach Paris. Eine Kellnerin erkannte den Ring und erzählte dem Soldaten, unter welchen Umständen sie ihn im Weisstannental verloren hatte. Der erstaunte Melser schenkte ihr den Ring. Als Gegenleistung schaffte die Frau den heimwehkranken Tambour durch Zauberkraft noch in der gleichen Nacht nach Hause. Er erwachte in der Morgenfrühe unter der grossen Linde auf dem Platz in Mels. - 14 Während der Schadenzauber der Hexen allgemein bekannt ist und ihr Wesen ausmacht, bleiben die Hexenmeister oder Schwarzkünstler vielfach bis zu ihrem Tode unerkannt. Wie die Hexen verbinden sie sich mit dem Bösen und verstehen sich auf Schatzgräberei und auf das Bannen. Letzteres insbesondere als Jäger auf der Jagd. In Vättis schiesst ein Schwarzkünstler täglich eine Gemse, bis ihn ein Mönch aus dem Kloster Pfäfers darauf aufmerksam macht, dass es kein anderer als der Teufel selber ist, der ihm die Tiere am Hals festhält. Auf Verachta in Berschis lässt ein Schwarzkünstler zum Erstaunen der Umstehenden ein ganzes Rudel Gemsen den Weg überqueren. Schwarzkünstler beteiligen sich auch an Schatzgräbereien und haben einen schweren, abstossenden Tod. Der von ihnen angerichtete Schaden muss noch in dieser Welt verbüsst werden. «Si chünnd fascht nid stärbä», heisst es in den Sagen. Vor ihren An gehörigen verfallen sie dem Teufel, dem sie sich in Ausübung ihrer Kunst verschrieben haben. Der Schadenzauber Niemand ist vor dem Schadenzauber der Hexen und des Schrättligs sicher, weder die Kinder noch die Erwachsenen. Am stärksten gefährdet sind die Wiegenkinder, die älteren Menschen und die Haustiere. Unter den Tieren werden die Schweine am häufigsten erwähnt. Die Hexen und der Schrättlig schädigen aber auch die Kulturen, verursachen schwere Unwetter und lösen Rüfen und Lawinen aus. «Zläidwärchä» ist ihre einzige Absicht. Schwangere Frauen und Mütter mieden daher die Nähe verdächtiger Personen und fürchteten sich vor dem Schrättlig. Mütter, die sich nach der Geburt eines Kindes in der Kirche «uussägnä» liessen, nahmen den Säugling vorsichtshalber mit. Es hiess, dass unbewacht zurückgelassene Kleinkinder vom Schrättlig gegen eine Missgeburt ausgetauscht worden seien. Man sah es auch nicht gerne, wenn bestimmte Frauen ein Geschenk ins Haus brachten oder einen Säugling in der Wiege oder im Kinderwagen auffallend rühmten. Auf das Lob: «Häsch du jetz ä rars Mäitili!» antwortete die Mutter vorsichtshalber für sich: «Bhüets Gott und erhalts Gott!» Denn die Hexen können ein Kind «verschräiä», es um den Schlaf bringen, krank machen oder wie in Vilters sogar töten. - 15 Gesunden Säuglingen schwellt grundlos die Brust an, so dass sich die Mütter besorgt an den Pfarrer wenden. «Häxä brüschtli» nannte man diese Erscheinung. Als ein Vasöner mit seinen Kindern auf den Bachbergen übernachtete, waren die Zöpfe der Mädchen am Morgen so fest zusammengebunden, dass sie nur noch ein Kapuziner zu lösen vermochte. In Sargans warnt man die Schulkinder davor, mutwillig in den Trüllwind zu treten. Im Trüllwind tanzen die Hexen. Sie könnten ein Kind lähmen. Wer ein Messer in das von Wind aufgewirbelte Laub oder Heu wirft, findet es nicht mehr. Auch die Erwachsenen, vor allem aber die älteren Menschen, waren dem Schadenzauber der Hexen ausgeliefert und wurden nachts vom Schrättlig gedrückt und gewürgt, dass die Würgmale am Hals beim Erwachen noch zu sehen waren. Wenn jemand «wiä aagworfä» erkrankte, lag die Vermutung nahe, dass es sich um eine Behexung handeln könnte. Die Frage, ob Hass und Rache im Spiel sein könnten, stellte sich auch bei unerwarteten Todesfällen. Wurde der Tote vielleicht von jemand «vernagglet»? Das «Vernagglä» bestand darin, dass der Nagler ein Loch in einen Baum bohrte, den Namen seines Opfers auf einen Streifen Papier schrieb und diesen in das Loch hineinschob und verschloss. Der davon Betroffene lebte nach der Meinung der Gewährsleute noch so lange wie der beschädigte Baum. Manchmal wurden in der gleichen Absicht mehrere Nägel in einen bestimmten Baum S. 34: geschlagen. In Wangs soll ein hasserfüllter Sohn seinen Vater auf diese Weise ins Grab gebracht haben. Die gleiche Wirkung versprachen auch in einen Strick gemachte Knoten. - 16 - Noch reichhaltiger ist der Katalog des Schadenzaubers, den die Hexen und der Schrättlig im Stall ausüben. Wie bei den Kleinkindern die Brust, so schwellen den Zicklein unter dem Einfluss des Schrättligs die Euter an. Die Bauern sagen, dass sie vom Schrättlig gesogen würden. Entzündete oder angeschwollene Euterzitzen der Ziegen und Kühe lassen wie die mit Blut durchzogene Milch auf Hexenwerk schliessen. Hexen vermögen den Milchtieren die Milch auf grössere Entfernung zu entziehen. - 17 Ein nichtsnutziger Ziegenhirt auf der Langwiese im Weisstannental löschte seinen Durst, indem er mit Hilfe eines Hütersteckens eine auf der andern Talseite weidende Kuh molk. Die Milch floss ihm zu den Mundwinkeln heraus. Hexen brauchen daher keine Milch zu kaufen. Wie in Flums erzählt wird, melken sie selbst den Geschirrlappen an der Wand in ein darunter gestelltes Krüglein. Dieses Abmelken ist mehrfach belegt. Eine Bestätigung für dieses Unwesen glauben die Gewährsleute darin zu sehen, dass sich die Tiere vor den Hexen fürchten. Wenn sich eine solche Frau in der Stalltüre zeigt, beginnen die Tiere zu schwitzen, dass es ihnen «wiä Bäch abärünnt». Den Hexen lasteten die Bauern im Taminatal die 1909 ausgebrochene Maul- und Klauenseuche an. Hexen sind es auch, die zwei oder gar drei Kühe oder Ziegen über Nacht in die gleiche Kette zwingen. Als in Vilters einmal zwei Ziegen in der gleichen Kette angetroffen wurden, vermochte sie der Besitzer nicht zu unter scheiden und zeichnete daher beide mit dem Sackmesser auf der Nase. Einige Tage später begegnete er einer Frau mit einer verunstalteten Nase. Im Taminatal riet ein Kapuzinerpater, die mittlere der drei in zwei Ketten verhängten Kühe zu schlachten. Die Frau des Dorfvorstehers lag andern tags erschlagen im Bett. Und in Mels schnitt ein Bauer dem verhexten Tier kurzentschlossen ein Ohr ab. Damit war auch die Hexe gezeichnet. In den meisten Fällen springt die Kette jedoch nach der Anrufung der drei höchsten Namen oder mit Hilfe von Weihwasser auf, ohne dass die Tiere Schaden nehmen. So bedrohlich die Situation der in der gleichen Kette verhängten Kühe geschildert wird, so geht dabei doch nie ein Tier zugrunde. Als in Mels ein mal ein Kind in der Kette einer Ziege S. 35: gefunden wurde, behalf sich der Vater erfolgreich mit Fluchwörtern. Die Hexen oder der Schrättlig fordern auch die Alpknechte heraus, indem sie ganze Viehherden während der Melkzeit in die Flucht jagen. Das bis in die Mitte unseres Jahrhunderts auf fast allen Alpen bekannte «Veiruggä» oder «Stoufelruggä» wird von den Gewährsleuten ausdrücklich als Hexenwerk bezeichnet. In Wangs, in Vasön, im Weisstannental, in Flums und auf den Quartner Alpen wird das Viehrücken unter genauer Angabe des Orts und des Jahres bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts zurück belegt. Das Viehrücken führte unter den Alpknechten, die sich durch Zauber und Gegenzauber zu erwehren suchten, zu Streit. - 18 - Im Taminatal warf ein Knecht bei einem Viehrücken das Messer und überführte auf diese Weise die Hexe. Ein anderer stiess das Messer bei einem Rücken in den zu Boden geworfenen Kittel. Wie sich herausstellte, erstach er einen Kollegen auf einer andern Alp, der den Zauber bewirkt hatte. Ein ähnlicher Vorfall mit tödlichem Ausgang wird auch von der Alp Wisen in Flums er zählt. Als auf der Wangser Alp Mugg die Alpknechte ratlos vor der rot verfärbten Milch standen, riefen sie nach dem Vilterser Pfarrer. Dieser kam, verrichtete die erwarteten Gebete und liess hier auf Wachs einer brennenden Kerze ins Käsekessi tropfen, so dass die Knechte im Wachs die Gesichtszüge der Hexe erkannten. Das gleiche Vorkommnis erzählt man auch von Vermil. Auf einer anderen Wangser Alp plagten die Knechte eine arme, um Milch oder Schotte bettelnde Frau, die sich mit Hilfe der Zauberei zu rächen verstand. Sie verwandelte die im Milchgaden zum Aufrahmen bereitgestellte Milch in saure, süsse und rote Milch. Die Knechte sahen sich gezwungen, die Hilfe eines Kapuziners aus Mels in Anspruch zu nehmen. In ganz besonderer Weise scheinen die Schweine dem Schadenzauber der Hexen ausgeliefert zu sein. Wie beim Menschen genügt schon der «böüs Bligg» oder der «böüs Wind», um ein Schwein krank zu machen. - 19 - Die gefährdeten Tiere verweigern plötzlich die Nahrungsaufnahme. In Pfäfers warf die Nachbarin eines Bauern nur einen flüchtigen Blick auf ein eben erworbenes Schwein. Schon erkrankte das Tier und ging ein. Der «böüs Wind» wird von den Gewährsleuten als warmer Hauch geschildert. Wer das Unglück hat, in den «böüsä Wind» zu geraten, muss mit einem geschwollenen Kopf rechnen. Schliesslich fügten die Hexen und der Schrättlig auch den Kulturen Schaden zu. Sie bewirkten Unwetter und lösten Rüfen und Lawinen aus. In Hagelkörnern wurden Frauenhaare gefunden, die von Hexen stammen sollen, welche die Unart haben, sich am offenen Fenster zu kämmen. Um die Jahrhundertwende, als die Weinberge vom gefürchteten Mehltau heimgesucht wurden, glaubten Melser Rebbauern, auch darin Hexenwerk zu erkennen. Über Valens lösten die Hexen, die von einem Anlass auf dem Gafarrabüel her überkamen, eine Lawine aus, die bis zu den Häusern vordrang. Die Schneemassen wurden glücklicherweise von der Kirchenpatronin, der heiligen Katharina, im letzten Augenblick aufgehalten. Als seinerzeit der Vilterser Bach das Dorf zu überführen drohte, hörte man wüste Beschimpfungen einer Hexe über das Läuten des Glöckleins der oberen Kapelle. Ohne Parallelen ist der Bosheitszauber zweier Hexen in Murg, die einen gutmütigen Burschen über mehrere Jahre hinweg in einen Esel verwandelten. Eine Jungfer in Berschis grub mit Liebeskraut eine Grube und stürzte selber hinein. - 20 Der von ihr ins Auge gefasste Alpknecht misstraute dem Liebestrank und schüttete ihn in den Schweinetrog, so dass sich anderntags die Schweine um die liebeshungrige Frau bemühten. Abwehr des Bösen So listenreich und breit die Auswahl des Schadenzaubers der Hexen und des Schrättligs erscheinen mag: Menschen und Tiere sind ihm nicht schutzlos ausgeliefert. Die Sagenerzähler verweisen auf das Angebot an kirchlichen und weltlichen Abwehrmitteln: Gebete, Besegnungen, Beschwörungen, Weihwasser, geweihtes Salz und so weiter auf der einen Seite und Fluchworte, Verwünschungen und handgreifliche Abhilfe auf der andern Seite. Aller Gefahr zum Trotz braucht niemand zu verzagen. Jeder Zauber hat seinen Gegenzauber. Als einfachstes und sicherstes Abwehrmittel gegen Schadenzauber jeder Art gilt das Kreuzzeichen. Es hilft gegen jede Art von Verhexung, den «böüsä Bligg» und den «böüsä Wind». Kinder und Erwachsene bekreuzigten sich in Gefahr rasch und unauffällig. Auch die notfalls zu Hilfe gerufenen und in den drei höchsten Namen wirkenden Geistlichen und Heiler benützten das Kreuzzeichen. Die vorformulierten Besegnungen und Beschwörungen verlangen meist drei Kreuzzeichen. Sie bringen den Teufel und seine Gehilfen in Verwirrung. Das erfuhren Kinder, die sich auf den Rat älterer Kameraden vor vermeintlichen Hexen bekreuzigten, am eigenen Leibe. Beschimpfungen oder eine Ohrfeige waren ihnen gewiss. Aus diesem Grunde zeichneten Vorsichtige das Kreuzzeichen mit dem rechten Fuss in den Strassenstaub oder waren so erfinderisch wie jene Frau in Plons, von der es hiess, dass sie das Schutzzeichen auf dem Velo mit der Zunge im Mund mache. S. 36: In den meisten Häusern war es bis in die dreissiger Jahre unseres Jahrhunderts üblich, beim Verlassen des Hauses mit Weihwasser das Kreuzzeichen zu machen. Das galt erst recht vor Antritt einer Reise oder vor einer schwierigen Aufgabe. Die Kinder erhielten das Kreuzzeichen von ihren Müttern beim Zubettgehen auf die Stirn gezeichnet. Es gehörte auch zu jedem Kirchen- oder Gräberbesuch. Fuhrleute, welche die Pferde an bestimmten Stellen aus unerklärlichen Gründen nicht mehr vom Fleck brachten, schlugen mit der Geissel ein Kreuz über den Rücken der Tiere oder auf die Strasse und brachen damit den Zauber. - 21 - Schrättlig. Hexen können sich nach den Vorstellungen der Gewährsleute in Füchse, Katzen und Elstern verwandeln. Von dieser Kunst machen sie auch Gebrauch, wenn sie Menschen und Tiere als Schrättlig quälen. Der Schrättlig ist im Sarganserland fast nicht von der Hexe zu unterscheiden. Erscheint der Schrättlig als Schmetterling, als Hummel und Fliege oder gar als Strohhalm oder Flaumfeder, verliert er die Konturen der verwandelten Hexe. Er nähert sich den Naturdämonen und dient den Gewährsleuten als Erklärung, wenn der Schadenzauber nicht ohne weiteres einem Menschen bzw. einer Hexe unter stellt werden kann. Wo der Mensch den Schrättlig als Alpdrücken erfährt und sieht, ist im Sarganserland die Rede von einer fremden Katze. In den Tälern mit Walser-Einschlag heisst der Schrättlig Toggeli oder Doggi, in Deutschland ist es die Trud. - Der Schrättlig beim Verlassen einer Schlafkammer. Bleistiftzeichnung, 20. Jh. Beim Bau eines Hauses kerbten die Zimmerleute oder der Eigentümer in die Türschwelle und in die Fensterbalken Kreuze und verwehrten damit dem Bösen den Zutritt. Auf dem Felde wurden Kreuze zum Schutz vor Unwettern gesetzt. Am Dreikönigstag zeichnen die Quartner Sternsinger neben die Initialen CMB drei Kreuze über die Eingangstüren der Wohnhäuser. Manche Bauern schnitten den für die Sömmerung auf den Alpen bestimmten Rindern ein Kreuzzeichen ins Fell. Kühen und Ziegen, die zu zweit oder zu dritt in der gleichen Kette vorgefunden wurden und in Gefahr waren, zu ersticken, schlug man mit der Axt oder mit einer Mistgabel in den drei höchsten Namen ein Kreuz auf die angespannte Kette. - 22 Auch ein gewöhnliches Messer verheisst Schutz vor dem Einfluss des Bösen, erst recht ein sogenanntes »Chrüzlimässer«, ein Taschenmesser mit einem auf der Klinge eingestanzten Kreuz, In Bad Ragaz wurde ein «Chrüzlimässer» ins Weihwasser getaucht und in den drei höchsten Namen in ein Türgericht gestossen. Die Hexe war für ihr Leben gezeichnet. In Flums warf der Vater eines vom Schrättlig geplagten Kindes ein Messer erfolgreich nach der Stubendiele. Mit der Säkularisierung des Denkens und dem Verlust der übernommenen Vorstellungen hat das Kreuzzeichen viel von seiner Bedeutung als Abwehrmassnahme eingebüsst. Es dürfte von jüngeren Leuten kaum mehr mit jener Selbstverständlichkeit verwendet werden, die den Eltern und Grosseltern noch eigen war. Das trifft wohl auch auf das Weihwasser zu. Weihwasser, vor allem Dreikönigswasser, wurde bei drohender Gefahr in eine Öffnung der Türschwelle gegossen. Von jüngeren Müttern soll es da und dort auch dem Badewasser der Kleinkinder beigegeben worden sein. Drohte die Maul- und Klauenseuche, tauchten Bauern die Füsse der Kühe in einen mit Weihwasser gefüllten Zuber. Ähnliche Wirkungen versprach man sich von geweihtem Salz und Wachs, von Palmzweigen und verschiedenen Kräutern. Wachs und Salz mischte man den Tieren unter das Futter. In Heiligkreuz wurde geweihtes Salz so lange auf der Herdplatte geröstet, bis die Hexe an der Haustüre erschien und sich zu erkennen gab. Geweihtes Wachs, am begehrtesten war «houchgwiches Waggs» oder Malefizwachs, nähten die Frauen in ein «Püntschäli» (Stoffsäcklein) und legten es den Kindern unter das Kopfkissen. Wer im Kapuzinerkloster in Mels um «Gwiches» bat, erhielt neben Wachs auch Medaillen. Musste in besonderen Fällen ein Geistlicher beigezogen werden, wandte man sich an einen frommen, in jeder Hinsicht untadeligen Herrn. «Ar hät dinn schu suuber Schuä aahaa müessä. Unter den zahlreichen Besegnungen und Beschwörungen sei lediglich auf die gebräuchlichsten beiden Anrufungen hingewiesen, die von älteren Leuten gegen den Schrättlig empfohlen werden: «Jesus, Maria und Josef!» und «Das heilige Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt!» Neben Anrufungen dieser Art kannte man gedruckte Haus- und Stallsegen, Gebetszettel und Schutzbriefe sowie unscheinbare Andachtsbildchen, die mit einem Reissnagel an eine Wand geheftet wurden. - 23 Auch so konnte natürlich noch etwas Verdächtiges im Raum bleiben. Wenn der Loch-Tuuni in Sargans am Morgen in den Stall trat und etwas «Uurichtigs» vermutete, griff er nach der Mistgabel und schritt mit den beschwörenden Worten: «Ischt er dou nid, ischt er döt, ussi muess er!» von einer Ecke in die andere. Neben den kirchlichen Mitteln kannte man auch weltliche Massnahmen zur Abwehr des Bösen. Man stellte den Besen hinter die Türe, nagelte ein Sensenblatt über die Türe oder legte ein Messer unter die Schwelle. In Vilters klebte anderntags Blut an der Klinge. Ähnlichen Schutz versprach man sich S. 37 auch von der weissen Wurzel einer Haselstaude. Haselwurzeln helfen, wenn die Kühe unter dem Einfluss des Zaubers nicht mehr aufnehmen. Wiegenkindern, die vom Schrättlig geplagt wurden, band man eine Hanfhechel mit den Spitzen nach aussen auf die Brust. In Vilters wurde am Morgen ein Büschel blonder Haare in der Hechel gefunden. Nachdem die Patin des Kindes blondhaarig war, wusste man nun über den Quälgeist Bescheid. Auf diese Weise wurde in Vättis eine der Hexerei verdächtigte Frau an der Stirn geschunden. Die Hexen drücken mit dem Kopf gegen die Brust ihrer Opfer. Ein einfaches Mittel, um dem Schrättlig beizukommen, besteht darin, den Ge quälten beim Namen zu rufen. In mehreren Berichten wird das Nachtwasser in eine Flasche abgefüllt und diese fest verschlossen. Von diesem Augenblick an kann die Hexe das Wasser nicht mehr lösen. Sie gerät in Not und sieht sich gezwungen, im Haus des - 24 Geschädigten etwas auszuleihen. Man durfte aber nicht auf ihre Wünsche eingehen, so dass sie mehrmals zurückkehren und sich schliesslich zu erkennen geben musste. Diese Prozedur wurde in Wangs noch verschärft, indem man das Nachtwasser in einer alten Pfanne auf den Herd stellte und erwärmte. Dadurch geriet die Hexe in Panik. Sie versprach der geschädigten Familie, keinen weiteren Schaden mehr zuzufügen. Als sich in Flums Rahm nicht mehr zu Butter verarbeiten liess, brachte ihn der Bauer ebenfalls auf den Herd und zwang die Hexe auf diese Weise ins Haus. Zur Strafe zog er sie durch die Sprossen einer Leiter. Auf die gleiche Weise gelang es in Flums auch, den Zauber an einer euterkranken Ziege zu brechen. Am Kleinberg warf man zwei Ferkel in siedend heisses Wasser, um eine Hexe zu entlarven. Schutzzettel. Zum Schadenzauber der Hexen gehört der Gegenzauber. Jeder Zauber hat einen kirchlichen oder weltlichen Gegenzauber. Stark verbreitet waren die Agatha-Zettel mit dem Spruch: Mentem sanctam + spontaneam + honorem Deo + et patriae liberationem, Sancta Agatha, ora pro nobis. (Wir erflehen einen heiligen, bereitwilligen Sinn, Gottes Ehre und die Befreiung des Vaterlandes, bitte für uns, heilige Agatha.) Im abgebildeten, fehlerhaften Text eines Agatha -Zettels, der über Generationen an einer Wiege in Sargans hing, wird die heilige Agatha überdies gegen Feuergefahr angerufen. Wenn die Selbsthilfe nicht ausreichte, half vielleicht der Rat eines Weisskünstlers. Im Gegensatz zum Schwarzkünstler oder Hexenmeister betreibt er nicht die schwarze, sondern die weisse Magie. Ein Tiroler Weisskünstler schoss einen stich- und kugelfesten Franzosen in Vättis mit Hilfe einer silbernen Kugel vom Pferde. Drei auf Garmina lebende Schwestern verwandelten sich zeitweise in Gemsen und versuchten, einen ihnen missliebigen Jäger über die Felsen hinunterzustürzen. Da gab ein in diesen Dingen bewanderter Vazer dem Jäger den Rat, das nächste Mal Dreikönigssalz unter das Pulver zu mischen und eine silberne Kugel zu benützen. Eine der drei Schwestern wurde tödlich getroffen. Der Weisskünstler beschwört das Böse im Namen Gottes. Nach der Meinung der Gewährsleute kann daher nichts Unrechtes daran sein. - 25 Im Namen Gottes kann man nichts Unrechtes tun. Von dieser Überzeugung zehren auch die Heiler beim Warzenvertreiben, Blutstillen und Diebe bannen. Als letztes Mittel nennen die Volkserzählungen die Erlösung der Hexen von der ihrem Meister gegenüber eingegangenen Verpflichtung. In Flums bemerkte ein Bursche, der sich mit seiner Liebsten auf dem Heimweg befand, dass sich diese unversehens in eine schwarze Katze verwandelte und in dieser Gestalt über eine Hauswand in die Schlafkammer hinaufkletterte. Darüber zur Rede gestellt, gestand sie, an einem verworfenen Tag geboren zu sein und daher als Schrättlig Menschen und Tiere plagen und schädigen zu müssen. Es gelang ihm, das unglückliche Mädchen zu erlösen, indem er ihr gestattete, etwas, das ihm gehörte, zu Tode zu drücken. Er verlor dabei seine schönste Kuh. Dem Mädchen wurde die Hexe genommen. Den gleichen Vorfall erzählt man auch in Plons. Alte und neue Spuren Die um die Jahrhundertwende und in den späten sechziger Jahren gesammelten Berichte über das Unwesen der Hexen und des Schrättligs im Sarganserland bestätigen den eingangs erwähnten, bis in unsere Zeit reichenden Schatten des Hexenglaubens. Er scheint zur menschlichen Existenz zu gehören. Alles deutet darauf hin, dass der Mensch auf Sündenböcke angewiesen bleibt. Die Erzählungen lassen aber auch deutlich werden, wie sich Figuren und Motive in der Volkserzählung im Laufe der Zeit verändern und doch in allen Einzelheiten erkenntlich bleiben. Im Schwankhaften eines Steckenritts und in der Verwandlung einer Hexe in einen Fuchs oder in eine Katze glaubt man Züge älterer Erzählungen zu erkennen. Sie zählen heute zweifelsohne zum passiven Sagengut. Die vielfältigen Spuren des Schadenzaubers an Hab und Gut stammen aber wohl aus neuer und neuester Zeit. Sie sind noch frisch oder noch nicht verwischt und lassen sich im ganzen Sarganserland leicht nachweisen. Quellennachweis Jakob Kuoni, Sagen des Kantons St. Gallen (St. Gallen 1903), Alois Senti, Sagen aus dem Sarganserland (Basel 1974), Werner Manz, Volksbrauch und Volksglaube des Sarganserlandes (1916). Internet-Bearbeitung: K. J. Version 11/2015 --------