Hexen und Hexenwerk - Burgenverein Untervaz

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Hexen und Hexenwerk - Burgenverein Untervaz
Untervazer Burgenverein Untervaz
Texte zur Dorfgeschichte
von Untervaz
1985
Hexen und Hexenwerk
Email: [email protected]. Weitere Texte zur Dorfgeschichte sind im Internet unter
http://www.burgenverein-untervaz.ch/dorfgeschichte erhältlich. Beilagen der Jahresberichte „Anno Domini“ unter
http://www.burgenverein-untervaz.ch/annodomini.
-21985
Hexen und Hexenwerk
Terra Plana - Heft Nr. 2. 1985. Seite 29-37.
Alois Senti
-3Alois Senti, Bern/Flums
Hexen und Hexenwerk
Die Annahme, Hexen und Hexenwerk wären nur der Fantasie mittelalterlicher
Theologen, Richter und ihrer zu Tode gequälten Opfer entsprungen und hätten
damit ihr Bewenden, reicht nicht aus, um den Hexenwahn mehrerer
Jahrhunderte zu erklären. Hexen gab es nicht nur in den Gerichtssälen, sondern
auch in den Vorstellungen des Volkes und der gefolterten und verurteilten
Angeschuldigten selber. Niemand weiss, wieviele Menschen sich ausserhalb
die Gnade Gottes stellen und in Gedanken, Worten und Zeichen den
Mitmenschen und den Tieren Schaden zuzufügen versuchen. Wer das macht,
ob mit oder ohne Erfolg, ist das, was die Sagenerzähler als Hexe oder
Hexenmeister bezeichnen. Wenn Teufelskunst und Hexenwerk ins Recht
gefasst werden könnten, wären die Gerichte heute noch damit beschäftigt. Man
hat dabei ja nicht nur an den vordergründigen Schadenzauber, die
Begehrlichkeit nach Geld und die weit verbreitete Wahrsagerei, sondern auch
an die übrigen Verführungen und an die Hetzjagd der Medien nach
Sündenböcken zu denken.
Im Sarganserland ist die Quellenlage über die Hexenverfolgung und deren
Folgen eher dürftig. Möglicherweise waren die Hexenprozesse weniger
zahlreich als in der Nachbarschaft, oder die Akten gingen im Laufe der Zeit
verloren. Um so eindrücklicher sind die Spuren, die der Hexenglaube in der
mündlich überlieferten Volkserzählung hinterlassen hat. Da verschreiben sich
Frauen dem Teufel und nehmen an Hexenversammlungen teil, verwandeln sich
in Tiere und rauben Kleinkindern und älteren Menschen den Schlaf. In
Hunderten von Belegen überliefern die Erzähler, was unsere Vorfahren im 18.
und 19.Jahrhundert darüber dachten.
Teufelskunst und Hexenwerk waren ei ne ernste Sache, über die nicht zu
spassen war. Bezeichnenderweise kommen die Hexen im reichen Schatz der
Anekdoten, Schwänke und Witze kaum vor. Bis in die Mitte unseres
Jahrhunderts kannte man im Sarganserland auch an der Fasnacht keine Hexen.
Die Hexen und ihr Umfeld waren mit dem Tod und dem Heiligen kein
Gegenstand, über den man scherzte.
-4Der Hexenwahn
Die vor allem Mittel- und Nordeuropa heimsuchende Hexenverfolgung
erreichte unser Land im ausgehenden Mittelalter, als Papst Innozenz VIII. in
der Bulle Summis desiderantes 1484 die Hexenfrage als Angelegenheit der
geistlichen Gerichte bezeichnete und die Inquisition mit dem Malleus
maleficarum ein Gesetzbuch zur Bekämpfung des Teufels- und Hexenglaubens
erhielt. Der Malleus maleficarum oder «Hexenhammer» erschien in den Jahren
1487-1489 und enthält ein Kapitel über die Prädestination der Frau zur
Zauberin, Teufelskonkubinin und Hexe. Er diente der geistlichen und
weltlichen Gerichtsbarkeit als Handbuch. Dabei unterschieden sich die
altgläubigen und die reformierten Gerichte in ihrer Denkart in keiner Weise.
Man sah im Hexenwesen den Abfall vom Glauben und die Verbindung mit
dem Bösen schlechthin. Sache der Gerichte war es, die darin zum Ausdruck
kommende Ketzerei aufgrund der neuen Erkenntnisse der Theologie zu
untersuchen und zu bekämpfen. Die Hexenprozesse richteten sich nicht gegen
die Hexen selber, sondern gegen den Satan, der sich ihrer bemächtigt hatte.
Als die geistlichen Gerichte in der Mitte des 16. Jahrhunderts von den
weltlichen Instanzen abgelöst wurden, erwiesen sich diese in der Anwendung
der Tortur noch als grausamer als zuvor die Kirche. Am schlimmsten wütete
der letztlich unerklärliche Hexenwahn zwischen 1550 und 1750. Hinter jedem
Unglücksfall vermutete man die Untat einer Hexe oder eines Hexenmeisters.
Verdächtigungen und Denunziationen folgten Einvernahmen, Verhöre,
Folterungen, Verurteilungen und Hinrichtungen. Die Zahl der Verurteilten
schwankte von Landesgegend zu Landesgegend. In der Stadt St. Gallen wurden
zehn Hexen hingerichtet. Das Toggenburg kam auf 23 Verurteilungen.
Appenzell Innerrhoden hatte gut zwanzig, Ausserrhoden etwa 30
Hexenprozesse. Im Prättigau wurden hingegen allein zwischen 1652 und 1660
über hundert Hexen und Hexenmeister hingerichtet. Das heutige Fürstentum
Liechtenstein war als «Hexenland» verschrien. Etwa 300 Frauen und Männer
endeten auf dem Scheiterhaufen oder am Galgen. Aus dem Sarganserland hat
Werner Manz in seiner Schrift «Volksbrauch und Volksglaube des
Sarganserlandes» (Basel 1916) im Zürcher Staatsarchiv aufbewahrte
Prozessakten aus der Mitte des 17. Jahrhunderts veröffentlicht.
-5Erst im 18. Jahrhundert gelang es, den Teufels- und Hexenglauben allmählich
wenigstens aus der Gesetzgebung zu verbannen und den Justizmorden ein Ende
zu setzen. Die letzte Enthauptung einer als Hexe verurteilten Frau erfolgte 1782
im Glarnerland.
Damit war der im Laufe mehrerer Jahrhunderte eingepflanzte Teufels- und
Hexenglaube aber nicht ausgelöscht. Seine Wurzeln gründeten tiefer. Die
Vorstellungen lebten, wenn auch in veränderter und abgeschwächter Form,
weiter. In der überlieferten
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Gedankenwelt aufgewachsene Menschen unterliegen in angespannten
Situationen auch heute noch der Versuchung, Ängste, Hoffnungen und
Sehnsüchte in die magische Welt zu projizieren und ihrer Not durch Zauber
und Gegenzauber Abhilfe zu schaffen. Wie anders könnte man sich sonst den
wachsen den Zulauf der Wahrsager und Heiler oder Vorfälle, wie sie von der
Boulevardpresse erst vor kurzem aus Flums verbreitet worden sind, erklären?
Nichts deutet darauf hin, dass der aus dem Mittelalter bis in unsere Zeit
reichende Schatten des Hexenglaubens schmaler würde.
Hexenverbrennung. Die Zahl der aus dem Sarganserland bekannten
Hexenprozesse dürfte kaum den tatsächlich erfolgten Verurteilungen
entsprechen. Sie war zweifellos höher.
Holzschnitt von O. Benteli nach einer Zeichnung von E. Leuenberger. 19. Jh.
-6Die Teufelskunst
In der mündlichen Überlieferung des Sarganserlandes sind Hexen in der Regel
ältere und alleinstehende Frau en. Namen sind nur wenige bekannt. In Vilters
hört man von einem Nänni, am Melser Berg von der altä Chaschperi, von
Schleigel Jöüris Madeili, Schleigel Friidis Mareiä und deren Schwester und in
Weisstannen von der Joggi Baabä und der Xander Annä. Die Gewährsleute
halten mit näheren Angaben zurück. Häufig versuchen sie, die Bosheit der
angeschuldigten Personen zu relativieren, indem auf deren Hilfsbereitschaft
und Freigebigkeit gegenüber Bedürftigen hingewiesen wird. Man erfährt auch,
dass nicht alle Hexen aus freien Stücken Hexen wurden. Manchen «isch d Häx
aagworfä wordä». Andere wurden an einem «verworfnä Taag» geboren oder
von ihren Müttern dazu angehalten. Möglicher weise stammen diese
Vorbehalte wie die Flurnamen Häxäbödili (Weisstannen), Häxätapp (Mels),
Häxäbühel (Calfeisental), Häxämüürli (Flums) erst aus dem 19. und 20.
Jahrhundert.
Soweit es sich bei den als Hexen bekannten Personen um ältere Frauen handelt,
sucht man ihnen auszuweichen. Sie bringen ohnehin nur schlechte Nachrichten
oder wenden sich ab. Daran glaubt man, die Hexen auch im Gottesdienst
während der Wandlung oder beim feierlichen Segen zu erkennen. Sie wenden
den Blick gegen den Ausgang der Kirche und verlassen den Gottesdienst
vorzeitig. Daneben verfügen sie über die erstaunliche Fähigkeit, Unglücksfälle
vorauszusagen und sich gleichzeitig an mehreren Orten aufzuhalten. In Mels
will man die alt Chaschperi am gleichen Tag in den Rheinauen und zuhinterst
im Weisstannental gesehen haben. Auffallend sind ferner die altmodischen
Kleider, Hüte, Kopftücher, Schürzen und Strümpfe der Hexen. Halstücher und
Strümpfe sind häufig rot. Rot ist ihre Lieblingsfarbe. Was die Anzahl angeht,
vernimmt man aus Vilters, dass die Schüler zur Zeit von Pfarrer Ferdinand
Good (1891-1948) sieben ortsansässige Hexen aufzählten. Auf die gleiche Zahl
kam ein gewisser Vöügili Chrischti für Weisstannen. Im Taminatal wurden
seinerzeit zwölf in Katzen verwandelte Hexen ermittelt.
Die Kunst, sich in ein Tier zu verwandeln, gilt im Sarganserland als
untrügliches Zeichen einer Hexe. Nach den Vorstellungen der Erzähler können
Hexen ihre dem Teufel verschriebene Seele in einen Fuchs, in eine Katze oder
in eine Elster verwandeln.
-7Das sind die drei hauptsächlichsten Tiere, die dafür in Betracht fallen. Ihre List
und ihr räuberisches Verhalten sind bekannt. Dennoch geraten sie den Jägern
vor den Lauf des Gewehres oder gar in eine Falle. In einem solchen Fall ist
Vorsicht ratsam. Ein voreiliges Schiessen könnte den Jäger das Gewehr oder
eine Hand kosten. Den
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Hexen bei solchen Begegnungen zugefügte Wunden bleiben bestehen, wenn
sich die Hexe zurückverwandelt. Sie bilden ein wichtiges Beweisstück für die
Hexerei. Aus diesem Grunde raten die Erzähler, verdächtige Tiere mit einem
Messer an den Ohren oder auf der Nase zu zeichnen.
-8Als ein Wangser Jäger auf eine fremde Katze schoss, vernahm er anderntags,
dass eine Frau am Melser Berg mit einer Schussverletzung im Bett lag. Um die
Jäger zu narren, lassen die falschen Füchse auf der Flucht ein Kleidungsstück
zurück. Auf Valö glaubte ein Flumser Wilderer sieben Füchse erlegt zu haben.
Als er die Beute holen wollte, fand er jedoch nur noch sieben rote Strümpfe.
Einem Melser Kollegen erging es ähnlich. Ihn foppten die Hexen mit einigen
abgenutzten Besen. In Mels wechselte die von einem Jäger im Schnee verfolgte
Fuchsspur in eine Katzenspur. In Flums heisst es, dass ein Vater eine fremde
Katze, in der er die Verursacherin der Krankheit eines Kindes vermutete, über
die Treppe hin untergeworfen habe. Als die Nachbarin am andern Morgen mit
einem zerschundenen Kopf in der Haustüre er schien, brauchte er nicht mehr
länger nach der Hexe zu suchen. In Berschis wurde eine als Katze umgehende
Hexe mit einer Ofengabel für ihr ganzes Leben gezeichnet.
Auf einen Fuchs geschossen
Ich haa nä na kinnt. Äs ischt än altä, routä, ä gstäppetä Maa gsii. Dr alt Rächi,
hät män em gsäit. Där häig ämoul dumenä Fuggs ds Frässä gläit und ä zäucht
und gschossä und troffä. Häi där Fuggs Schräi gluu! Aber nid pliibä. Är isch
gä luegä und dem Bluet noi. Duä seig das Bluet in ä Huus yhi, und duä sei än
alts Wyb, än aagschosses alts Wyb hinderemä Oufä joub ghogget.
Mehr Glück hatte der berühmte Fuchs, der Peter Geel auf dem Weg von Mels
nach Sargans um die Beine strich und von diesem kurzerhand in einen Sack
gesteckt und in Sargans auf den Ruf der Schwester wieder freigelassen wurde.
Als ein in Mels tätiger Schmiedegeselle mehrere Nächte nacheinander gequält
wurde, folgte er dem Rat eines Kollegen und führte den Quälgeist in die
Schmiede und beschlug ihn mit Eisen. Wunden an den Händen und Füssen der
Meisterin liessen keinen Zweifel mehr darüber, wer ihn gepeinigt hatte. Ein
Pfäferser Mönch hiess die von einer Hexe Geschädigten am St.
Margrethenberg, ein Büschel Haare in ein kleines Feuer zu werfen. Im
Taminatal fürchteten sich die Knechte auf einer Alp vor zwölf Katzen, die
jeweils am Vorabend der Alpentladung in der Hütte erschienen. Sie
verpflichteten einen in fremden Diensten ergrauten Mann, dem es gelang, der
ersten der zwölf Katzen eine Pfote abzuschlagen.
-9Nach der Alpfahrt, als sich die Knechte beim Alpmeister einfanden, stellte sich
heraus, dass dessen Frau bettlägerig war und einen Arm unter der Decke
verborgen hielt. Der alte Soldat griff nach der Katzenpfote in der Kitteltasche:
Es war eine Menschenhand. Sie passte genau an den verstümmelten Arm der
Alpmeisterin. Die Frau wurde mit den andern elf Hexen, deren Namen sie bei
der Einvernahme preisgeben musste, auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Bei
dieser Erzählung handelt es sich um das einzige Beispiel unter Hunderten von
Belegen, in dem die Hexen verurteilt und hingerichtet werden.
Die Verwandlung in ein Tier erfolgt vor allem dann, wenn die Hexe in den
Erzählungen zum Schrättlig wird. Dieser Quälgeist ist im Sarganserland fast
nicht von der Hexe zu unterscheiden und hat den Hexenglauben bis in unsere
Zeit getragen. Unter älteren Leuten bestand noch in der Mitte des 20.
Jahrhunderts kaum ein Zweifel an dieser Erscheinung. Der Schrättlig bringt die
Wiegenkinder um den Schlaf und macht sie krank. Er drückt und würgt die
älteren Leute im Bett, dass sie in Atemnot geraten und sich kaum mehr
bewegen können. Meist erreicht er sei ne Opfer über die Schultern oder auch
vom Fussende her. Er verschwindet,
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bevor die Geplagten erwachen und sich zurechtfinden. Wo der Schrättlig
gesehen wird, handelt es sich um eine Katze. Auf einem Maiensäss in Flums
gelang es einem vom Schrättlig geplagten Bauern, einen schwarzen Kater zu
fangen. Als er ihn mit dem Messer töten wollte, flehte die Katze um ihr Leben
und drohte dem Bauern mit der Rache ihrer Brüder. In Bad Ragaz glaubte ein
vom Schrättlig geplagter Knecht, ein schadenfrohes Gelächter zu hören.
- 10 Hexentänze auf dem Gafarrabüel
Auf dem Gafarrabüel im Weisstannental trafen sich die Hexen zu ihren Tänzen.
Frauen und Mädchen, die den Ort aus diesem Grunde kannten, gaben sich in
Paris, Mailand und Venedig den in fremden Diensten stehenden Melsern und
Weisstannern zu erkennen. Darunter auch eine Frau, die als junges Mädchen
die Mutter auf den Gafarrabüel begleitet hatte und bei dieser Gelegenheit in
die Gesellschaft eingeführt werden sollte. Es verweigerte aber seine
Unterschrift und wurde deshalb in einen Fuchs verwandelt und an eine Staude
gebunden. So fand es ein junger Bursche aus Mels, der sich auf der Jagd
befand, am andern Morgen. Als er in der Nähe auch noch einen goldenen Ring
liegen sah, traute er der Sache nicht mehr, band den Fuchs los und liess ihn
laufen. Den Ring nahm er zu sich. Als Tambour kam der junge Melser später
bis nach Paris. Dort lernte er eine Kellnerin kennen, die ihm eines Tages sagte,
dass er am kleinen Finger ihren Ring trage. Der Soldat lachte. Aber die
Kellnerin wusste ihm den Ort ganz genau zu beschreiben, an dem er den Ring
gefunden hatte. Wenn er jenen Fuchs getötet hätte, wäre er wohl nie mehr nach
Paris gekommen, sagte die Frau. Dem Melser wurde es warm und kalt
zugleich. Er gab der Kellnerin den Ring zurück und durfte sich dafür etwas
wünschen. Nach kurzem Besinnen bat er die Kellnerin um den Gefallen, am
kommenden Morgen, statt in der Kaserne, in Mels zu erwachen. Die Kellnerin
erfüllte den Wunsch mit ihrer Kunst. Als der Tambour am Morgen die Augen
aufschlug, lag er samt seinem Gepäck unter der Linde auf dem Marktplatz in
Mels, wo heute der Platzbrunnen steht.
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Wie sich die Hexe in einen Fuchs, eine Katze oder in eine Elster verwandelt, so
erscheint der Schrättlig als Hummel, Vogel, Wespe oder Fliege. Als Strohhalm
und Flaumfeder dringt das eigenartige, sich unversehens den Naturdämonen
(Grääggi, Bachgschrai usw.) nähernde Wesen des Schrättligs durch Ritzen,
Ast- und Schlüssellöcher in die Schlafkammern. Wenn man die Öffnung, durch
die er eingedrungen ist, rechtzeitig verschliessen kann, muss er bleiben. Ein in
Mels als Vogel in eine Kammer eingedrungener Schrättlig nahm, als er nicht
mehr fliehen konnte, die Gestalt eines Mädchens an. Der junge,
geistesgegenwärtige Bursche nahm es zur Frau.
- 11 Zwei Jahre später beging er aber den verhängnisvollen Fehler, den seinerzeit in
die Öffnung der Wand geschlagenen Zapfen auf die drängende Bitte der Frau
zu entfernen. Da fielen ihr die Kleider vom Leibe. Die Frau floh als Vogel und
sang: «Hei, wie klingen die Glöcklein in Venedig so schön!» Von einer
ähnlichen Verbindung erzählt man auch in Flums, wo es einem Burschen
gelang, den als Strohhalm in seine Schlafkammer eingedrungenen Schrättlig
festzuhalten, indem er etwas (wohl ein Kleidungsstück) auf ihn warf. Der
Strohhalm verwandelte sich in ein schönes Mädchen, das er in der Folge
heiratete. Auch in diesem Fall gelang es aber nicht, die Frau festzuhalten. Nicht
einmal die Kinder vermochten ihre Mutter ans Haus zu binden.
In bestimmten Nächten (vorzugsweise in den kirchlichen Festtagen
vorausgehenden Nächten) versammelte der Teufel sein Gefolge aus der
näheren und weiteren Umgebung zu einer festlichen Veranstaltung. Im
Sarganserland trafen sie sich mitten im Tal auf dem Tiergget, auf der Wangser
Alp Mugg, auf der Pfäferser Allmend, auf Gaspus bei Vättis, auf dem
Hexenbühel am Eingang der Alp Sardona, auf dem Böüdili am Hinterberg in
Mels, auf dem Heidenberg am Kleinberg und auf dem Eggli, einem Platz
zwischen der Schuhegg und dem Berschnerbach, dann aber vor allem auf dem
Gafarrabüel im Weisstannental und im Schaaner- und Balzner-Ried im
Fürstentum Liechtenstein. Man erkannte diese Plätze leicht an der mangelnden
Vegetation. Der Boden, auf dem die Hexen tanzen, ist «plutt» und wird von
den Tieren gemieden. Kein Rind oder Schaf legt sich auf einem HexenTanzplatz nieder. Alpknechte und beerensuchende Kinder fanden in der Nähe
dieser Versammlungsorte kostbare Dinge, die den tanzenden Hexen abhanden
gekommen waren: Fingerringe, Kämme, goldene Schuhe, seidene Strümpfe
und Bänder. Man versteht, dass die Wangser Kinder in der Erwartung, etwas
von diesen Geheimnissen zu erfahren, häufig nach dem Gafarraboden
hinüberschauten.
Die Fahrten der Hexen nach diesen Versammlungsorten erfolgten in der Nacht.
Sie schmierten einen Besenstiel oder eine Ofengabel mit Hexensalbe, und
schon trug sie der verbreitete Zauberspruch: «Oben aus und nirgends an!» zum
offenen Kamin in die Nacht hinaus an den vor Mitternacht zu erreichenden
Bestimmungsort. Kiltgänger erzählten von den Büchsen mit Hexensalbe, die
sie in den Wohnungen der verdächtigen Frauen gesehen haben wollten.
- 12 An diesen Versammlungen pflegte der Buhlteufel neue Mitglieder
aufzunehmen. Diese hatten dem Christenglauben abzuschwören und sich zu
verpflichten, den Menschen und den Tieren sowie den Kulturen durch Zauber
zu schaden. Als im Weisstannental einmal eine ganze Brücke voll Katzen
gesehen wurde, brachte man die Erscheinung mit den Versammlungen der
Hexen auf dem Gafarrabüel in Verbindung.
Neben der schwankhaften Schilderung eines derartigen Steckenritts in Mels
(auch aus Flums liegt ein Bericht vor) ist in Vättis die Rede von zwei jungen
Männern, die im Calfeisental einer Hexe unbeabsichtigt den Weg versperrten.
Der eine der beiden, ein Fronfastenkind, musste der Unholdin die Durchfahrt
nach der Alp Sardona ausdrücklich gestatten. Nachdem er offenbar nichts
dagegen einzuwenden hatte, hob sie sich in die Luft und rauschte taleinwärts
davon. Einzelheiten über die Hexenversammlungen wusste der Geiger HansJöüri zu erzählen, der auf dem Weg von Sargans nach Vaduz unversehens
Zeuge einer solchen Veranstaltung wurde. Mitglieder einer noblen Gesellschaft
baten ihn, zum Tanze aufzuspielen. Als Entschädigung durfte er sich satt essen
und trinken soviel er wollte. Man bat ihn lediglich, von seinen Trinksprüchen
abzusehen.
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Als er sich aus Langeweile vergass und rief: «Gsundhäit, Hans! Gsäg drs Gott,
Hans! Fürcht dr nüt, so gschiet dr nüt!» war der Spuk verschwunden. Er befand
sich allein mit seiner Geige auf dem Vaduzer Galgen. Fronfastenkinder waren
in der Lage, solche Tanzveranstaltungen ohne Schaden zu beobachten. Andere
behalfen sich, indem sie einem Fronfastenkind über die linke Schulter
schauten.
Interessant sind die Erlebnisberichte, worin die aus fremden Diensten
zurückkehrenden Melser, Weisstanner und Sarganser behaupten, in Paris,
Mailand und Venedig, ja selbst in Neapel, schöne Frauen angetroffen zu haben,
die sich auf dem Gafarrabüel auskannten und im vertrauten Gespräch
gestanden, im Weisstannental an Hexenversammlungen teilgenommen zu
haben. Die Erzählungen beginnen mit einem Jagderlebnis. Ein Jäger stösst auf
einen oder auf mehrere Füchse, die durch ihr ungewöhnliches Verhalten
auffallen. Auf Gaspus bei Vättis sind zwei Füchse mit einer Waldrebe
festgebunden. Der Jäger befreit die Tiere und lässt sie laufen.
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Wie sich später herausstellen sollte, handelte es sich bei den beiden Füchsen im
Taminatal um zwei verwandelte Damen aus Mailand. Sie belohnten den
Burschen reichlich. Ähnlich erging es einem Melser, der neben dem befreiten
Fuchs einen goldenen Fingerring fand. Er kam in fremden Diensten nach Paris.
Eine Kellnerin erkannte den Ring und erzählte dem Soldaten, unter welchen
Umständen sie ihn im Weisstannental verloren hatte. Der erstaunte Melser
schenkte ihr den Ring. Als Gegenleistung schaffte die Frau den
heimwehkranken Tambour durch Zauberkraft noch in der gleichen Nacht nach
Hause. Er erwachte in der Morgenfrühe unter der grossen Linde auf dem Platz
in Mels.
- 14 Während der Schadenzauber der Hexen allgemein bekannt ist und ihr Wesen
ausmacht, bleiben die Hexenmeister oder Schwarzkünstler vielfach bis zu
ihrem Tode unerkannt. Wie die Hexen verbinden sie sich mit dem Bösen und
verstehen sich auf Schatzgräberei und auf das Bannen. Letzteres insbesondere
als Jäger auf der Jagd. In Vättis schiesst ein Schwarzkünstler täglich eine
Gemse, bis ihn ein Mönch aus dem Kloster Pfäfers darauf aufmerksam macht,
dass es kein anderer als der Teufel selber ist, der ihm die Tiere am Hals
festhält. Auf Verachta in Berschis lässt ein Schwarzkünstler zum Erstaunen der
Umstehenden ein ganzes Rudel Gemsen den Weg überqueren. Schwarzkünstler
beteiligen sich auch an Schatzgräbereien und haben einen schweren,
abstossenden Tod. Der von ihnen angerichtete Schaden muss noch in dieser
Welt verbüsst werden. «Si chünnd fascht nid stärbä», heisst es in den Sagen.
Vor ihren An gehörigen verfallen sie dem Teufel, dem sie sich in Ausübung
ihrer Kunst verschrieben haben.
Der Schadenzauber
Niemand ist vor dem Schadenzauber der Hexen und des Schrättligs sicher,
weder die Kinder noch die Erwachsenen. Am stärksten gefährdet sind die
Wiegenkinder, die älteren Menschen und die Haustiere. Unter den Tieren
werden die Schweine am häufigsten erwähnt. Die Hexen und der Schrättlig
schädigen aber auch die Kulturen, verursachen schwere Unwetter und lösen
Rüfen und Lawinen aus. «Zläidwärchä» ist ihre einzige Absicht.
Schwangere Frauen und Mütter mieden daher die Nähe verdächtiger Personen
und fürchteten sich vor dem Schrättlig. Mütter, die sich nach der Geburt eines
Kindes in der Kirche «uussägnä» liessen, nahmen den Säugling vorsichtshalber
mit. Es hiess, dass unbewacht zurückgelassene Kleinkinder vom Schrättlig
gegen eine Missgeburt ausgetauscht worden seien. Man sah es auch nicht
gerne, wenn bestimmte Frauen ein Geschenk ins Haus brachten oder einen
Säugling in der Wiege oder im Kinderwagen auffallend rühmten. Auf das Lob:
«Häsch du jetz ä rars Mäitili!» antwortete die Mutter vorsichtshalber für sich:
«Bhüets Gott und erhalts Gott!» Denn die Hexen können ein Kind
«verschräiä», es um den Schlaf bringen, krank machen oder wie in Vilters
sogar töten.
- 15 Gesunden Säuglingen schwellt grundlos die Brust an, so dass sich die Mütter
besorgt an den Pfarrer wenden. «Häxä brüschtli» nannte man diese
Erscheinung. Als ein Vasöner mit seinen Kindern auf den Bachbergen
übernachtete, waren die Zöpfe der Mädchen am Morgen so fest
zusammengebunden, dass sie nur noch ein Kapuziner zu lösen vermochte. In
Sargans warnt man die Schulkinder davor, mutwillig in den Trüllwind zu
treten. Im Trüllwind tanzen die Hexen. Sie könnten ein Kind lähmen. Wer ein
Messer in das von Wind aufgewirbelte Laub oder Heu wirft, findet es nicht
mehr.
Auch die Erwachsenen, vor allem aber die älteren Menschen, waren dem
Schadenzauber der Hexen ausgeliefert und wurden nachts vom Schrättlig
gedrückt und gewürgt, dass die Würgmale am Hals beim Erwachen noch zu
sehen waren. Wenn jemand «wiä aagworfä» erkrankte, lag die Vermutung
nahe, dass es sich um eine Behexung handeln könnte. Die Frage, ob Hass und
Rache im Spiel sein könnten, stellte sich auch bei unerwarteten Todesfällen.
Wurde der Tote vielleicht von jemand «vernagglet»? Das «Vernagglä» bestand
darin, dass der Nagler ein Loch in einen Baum bohrte, den Namen seines
Opfers auf einen Streifen Papier schrieb und diesen in das Loch hineinschob
und verschloss. Der davon Betroffene lebte nach der Meinung der
Gewährsleute noch so lange wie der beschädigte Baum. Manchmal wurden in
der gleichen Absicht mehrere Nägel in einen bestimmten Baum
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geschlagen. In Wangs soll ein hasserfüllter Sohn seinen Vater auf diese Weise
ins Grab gebracht haben. Die gleiche Wirkung versprachen auch in einen Strick
gemachte Knoten.
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Noch reichhaltiger ist der Katalog des Schadenzaubers, den die Hexen und der
Schrättlig im Stall ausüben. Wie bei den Kleinkindern die Brust, so schwellen
den Zicklein unter dem Einfluss des Schrättligs die Euter an. Die Bauern sagen,
dass sie vom Schrättlig gesogen würden. Entzündete oder angeschwollene
Euterzitzen der Ziegen und Kühe lassen wie die mit Blut durchzogene Milch
auf Hexenwerk schliessen. Hexen vermögen den Milchtieren die Milch auf
grössere Entfernung zu entziehen.
- 17 Ein nichtsnutziger Ziegenhirt auf der Langwiese im Weisstannental löschte
seinen Durst, indem er mit Hilfe eines Hütersteckens eine auf der andern
Talseite weidende Kuh molk. Die Milch floss ihm zu den Mundwinkeln heraus.
Hexen brauchen daher keine Milch zu kaufen. Wie in Flums erzählt wird,
melken sie selbst den Geschirrlappen an der Wand in ein darunter gestelltes
Krüglein. Dieses Abmelken ist mehrfach belegt.
Eine Bestätigung für dieses Unwesen glauben die Gewährsleute darin zu sehen,
dass sich die Tiere vor den Hexen fürchten. Wenn sich eine solche Frau in der
Stalltüre zeigt, beginnen die Tiere zu schwitzen, dass es ihnen «wiä Bäch
abärünnt». Den Hexen lasteten die Bauern im Taminatal die 1909
ausgebrochene Maul- und Klauenseuche an. Hexen sind es auch, die zwei oder
gar drei Kühe oder Ziegen über Nacht in die gleiche Kette zwingen. Als in
Vilters einmal zwei Ziegen in der gleichen Kette angetroffen wurden,
vermochte sie der Besitzer nicht zu unter scheiden und zeichnete daher beide
mit dem Sackmesser auf der Nase. Einige Tage später begegnete er einer Frau
mit einer verunstalteten Nase. Im Taminatal riet ein Kapuzinerpater, die
mittlere der drei in zwei Ketten verhängten Kühe zu schlachten. Die Frau des
Dorfvorstehers lag andern tags erschlagen im Bett. Und in Mels schnitt ein
Bauer dem verhexten Tier kurzentschlossen ein Ohr ab. Damit war auch die
Hexe gezeichnet. In den meisten Fällen springt die Kette jedoch nach der
Anrufung der drei höchsten Namen oder mit Hilfe von Weihwasser auf, ohne
dass die Tiere Schaden nehmen. So bedrohlich die Situation der in der gleichen
Kette verhängten Kühe geschildert wird, so geht dabei doch nie ein Tier
zugrunde. Als in Mels ein mal ein Kind in der Kette einer Ziege
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gefunden wurde, behalf sich der Vater erfolgreich mit Fluchwörtern. Die
Hexen oder der Schrättlig fordern auch die Alpknechte heraus, indem sie ganze
Viehherden während der Melkzeit in die Flucht jagen. Das bis in die Mitte
unseres Jahrhunderts auf fast allen Alpen bekannte «Veiruggä» oder
«Stoufelruggä» wird von den Gewährsleuten ausdrücklich als Hexenwerk
bezeichnet. In Wangs, in Vasön, im Weisstannental, in Flums und auf den
Quartner Alpen wird das Viehrücken unter genauer Angabe des Orts und des
Jahres bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts zurück belegt. Das Viehrücken
führte unter den Alpknechten, die sich durch Zauber und Gegenzauber zu
erwehren suchten, zu Streit.
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Im Taminatal warf ein Knecht bei einem Viehrücken das Messer und
überführte auf diese Weise die Hexe. Ein anderer stiess das Messer bei einem
Rücken in den zu Boden geworfenen Kittel. Wie sich herausstellte, erstach er
einen Kollegen auf einer andern Alp, der den Zauber bewirkt hatte. Ein
ähnlicher Vorfall mit tödlichem Ausgang wird auch von der Alp Wisen in
Flums er zählt.
Als auf der Wangser Alp Mugg die Alpknechte ratlos vor der rot verfärbten
Milch standen, riefen sie nach dem Vilterser Pfarrer. Dieser kam, verrichtete
die erwarteten Gebete und liess hier auf Wachs einer brennenden Kerze ins
Käsekessi tropfen, so dass die Knechte im Wachs die Gesichtszüge der Hexe
erkannten. Das gleiche Vorkommnis erzählt man auch von Vermil. Auf einer
anderen Wangser Alp plagten die Knechte eine arme, um Milch oder Schotte
bettelnde Frau, die sich mit Hilfe der Zauberei zu rächen verstand. Sie
verwandelte die im Milchgaden zum Aufrahmen bereitgestellte Milch in saure,
süsse und rote Milch. Die Knechte sahen sich gezwungen, die Hilfe eines
Kapuziners aus Mels in Anspruch zu nehmen.
In ganz besonderer Weise scheinen die Schweine dem Schadenzauber der
Hexen ausgeliefert zu sein. Wie beim Menschen genügt schon der «böüs
Bligg» oder der «böüs Wind», um ein Schwein krank zu machen.
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Die gefährdeten Tiere verweigern plötzlich die Nahrungsaufnahme. In Pfäfers
warf die Nachbarin eines Bauern nur einen flüchtigen Blick auf ein eben
erworbenes Schwein. Schon erkrankte das Tier und ging ein. Der «böüs Wind»
wird von den Gewährsleuten als warmer Hauch geschildert. Wer das Unglück
hat, in den «böüsä Wind» zu geraten, muss mit einem geschwollenen Kopf
rechnen.
Schliesslich fügten die Hexen und der Schrättlig auch den Kulturen Schaden
zu. Sie bewirkten Unwetter und lösten Rüfen und Lawinen aus. In
Hagelkörnern wurden Frauenhaare gefunden, die von Hexen stammen sollen,
welche die Unart haben, sich am offenen Fenster zu kämmen. Um die
Jahrhundertwende, als die Weinberge vom gefürchteten Mehltau heimgesucht
wurden, glaubten Melser Rebbauern, auch darin Hexenwerk zu erkennen. Über
Valens lösten die Hexen, die von einem Anlass auf dem Gafarrabüel her
überkamen, eine Lawine aus, die bis zu den Häusern vordrang. Die
Schneemassen wurden glücklicherweise von der Kirchenpatronin, der heiligen
Katharina, im letzten Augenblick aufgehalten. Als seinerzeit der Vilterser Bach
das Dorf zu überführen drohte, hörte man wüste Beschimpfungen einer Hexe
über das Läuten des Glöckleins der oberen Kapelle.
Ohne Parallelen ist der Bosheitszauber zweier Hexen in Murg, die einen
gutmütigen Burschen über mehrere Jahre hinweg in einen Esel verwandelten.
Eine Jungfer in Berschis grub mit Liebeskraut eine Grube und stürzte selber
hinein.
- 20 Der von ihr ins Auge gefasste Alpknecht misstraute dem Liebestrank und
schüttete ihn in den Schweinetrog, so dass sich anderntags die Schweine um
die liebeshungrige Frau bemühten.
Abwehr des Bösen
So listenreich und breit die Auswahl des Schadenzaubers der Hexen und des
Schrättligs erscheinen mag: Menschen und Tiere sind ihm nicht schutzlos
ausgeliefert. Die Sagenerzähler verweisen auf das Angebot an kirchlichen und
weltlichen Abwehrmitteln: Gebete, Besegnungen, Beschwörungen,
Weihwasser, geweihtes Salz und so weiter auf der einen Seite und Fluchworte,
Verwünschungen und handgreifliche Abhilfe auf der andern Seite. Aller Gefahr
zum Trotz braucht niemand zu verzagen. Jeder Zauber hat seinen Gegenzauber.
Als einfachstes und sicherstes Abwehrmittel gegen Schadenzauber jeder Art
gilt das Kreuzzeichen. Es hilft gegen jede Art von Verhexung, den «böüsä
Bligg» und den «böüsä Wind». Kinder und Erwachsene bekreuzigten sich in
Gefahr rasch und unauffällig. Auch die notfalls zu Hilfe gerufenen und in den
drei höchsten Namen wirkenden Geistlichen und Heiler benützten das
Kreuzzeichen. Die vorformulierten Besegnungen und Beschwörungen
verlangen meist drei Kreuzzeichen. Sie bringen den Teufel und seine Gehilfen
in Verwirrung. Das erfuhren Kinder, die sich auf den Rat älterer Kameraden
vor vermeintlichen Hexen bekreuzigten, am eigenen Leibe. Beschimpfungen
oder eine Ohrfeige waren ihnen gewiss. Aus diesem Grunde zeichneten
Vorsichtige das Kreuzzeichen mit dem rechten Fuss in den Strassenstaub oder
waren so erfinderisch wie jene Frau in Plons, von der es hiess, dass sie das
Schutzzeichen auf dem Velo mit der Zunge im Mund mache.
S. 36:
In den meisten Häusern war es bis in die dreissiger Jahre unseres Jahrhunderts
üblich, beim Verlassen des Hauses mit Weihwasser das Kreuzzeichen zu
machen. Das galt erst recht vor Antritt einer Reise oder vor einer schwierigen
Aufgabe. Die Kinder erhielten das Kreuzzeichen von ihren Müttern beim
Zubettgehen auf die Stirn gezeichnet. Es gehörte auch zu jedem Kirchen- oder
Gräberbesuch. Fuhrleute, welche die Pferde an bestimmten Stellen aus
unerklärlichen Gründen nicht mehr vom Fleck brachten, schlugen mit der
Geissel ein Kreuz über den Rücken der Tiere oder auf die Strasse und brachen
damit den Zauber.
- 21 -
Schrättlig. Hexen können sich nach den Vorstellungen der Gewährsleute in
Füchse, Katzen und Elstern verwandeln. Von dieser Kunst machen sie auch
Gebrauch, wenn sie Menschen und Tiere als Schrättlig quälen. Der Schrättlig
ist im Sarganserland fast nicht von der Hexe zu unterscheiden. Erscheint der
Schrättlig als Schmetterling, als Hummel und Fliege oder gar als Strohhalm
oder Flaumfeder, verliert er die Konturen der verwandelten Hexe. Er nähert
sich den Naturdämonen und dient den Gewährsleuten als Erklärung, wenn der
Schadenzauber nicht ohne weiteres einem Menschen bzw. einer Hexe unter
stellt werden kann. Wo der Mensch den Schrättlig als Alpdrücken erfährt und
sieht, ist im Sarganserland die Rede von einer fremden Katze. In den Tälern
mit Walser-Einschlag heisst der Schrättlig Toggeli oder Doggi, in Deutschland
ist es die Trud. - Der Schrättlig beim Verlassen einer Schlafkammer.
Bleistiftzeichnung, 20. Jh.
Beim Bau eines Hauses kerbten die Zimmerleute oder der Eigentümer in die
Türschwelle und in die Fensterbalken Kreuze und verwehrten damit dem Bösen
den Zutritt. Auf dem Felde wurden Kreuze zum Schutz vor Unwettern gesetzt.
Am Dreikönigstag zeichnen die Quartner Sternsinger neben die Initialen CMB
drei Kreuze über die Eingangstüren der Wohnhäuser. Manche Bauern schnitten
den für die Sömmerung auf den Alpen bestimmten Rindern ein Kreuzzeichen
ins Fell. Kühen und Ziegen, die zu zweit oder zu dritt in der gleichen Kette
vorgefunden wurden und in Gefahr waren, zu ersticken, schlug man mit der
Axt oder mit einer Mistgabel in den drei höchsten Namen ein Kreuz auf die
angespannte Kette.
- 22 Auch ein gewöhnliches Messer verheisst Schutz vor dem Einfluss des Bösen,
erst recht ein sogenanntes »Chrüzlimässer«, ein Taschenmesser mit einem auf
der Klinge eingestanzten Kreuz, In Bad Ragaz wurde ein «Chrüzlimässer» ins
Weihwasser getaucht und in den drei höchsten Namen in ein Türgericht
gestossen. Die Hexe war für ihr Leben gezeichnet. In Flums warf der Vater
eines vom Schrättlig geplagten Kindes ein Messer erfolgreich nach der
Stubendiele.
Mit der Säkularisierung des Denkens und dem Verlust der übernommenen
Vorstellungen hat das Kreuzzeichen viel von seiner Bedeutung als Abwehrmassnahme eingebüsst. Es dürfte von jüngeren Leuten kaum mehr mit jener
Selbstverständlichkeit verwendet werden, die den Eltern und Grosseltern noch
eigen war. Das trifft wohl auch auf das Weihwasser zu. Weihwasser, vor allem
Dreikönigswasser, wurde bei drohender Gefahr in eine Öffnung der
Türschwelle gegossen. Von jüngeren Müttern soll es da und dort auch dem
Badewasser der Kleinkinder beigegeben worden sein. Drohte die Maul- und
Klauenseuche, tauchten Bauern die Füsse der Kühe in einen mit Weihwasser
gefüllten Zuber. Ähnliche Wirkungen versprach man sich von geweihtem Salz
und Wachs, von Palmzweigen und verschiedenen Kräutern. Wachs und Salz
mischte man den Tieren unter das Futter. In Heiligkreuz wurde geweihtes Salz
so lange auf der Herdplatte geröstet, bis die Hexe an der Haustüre erschien und
sich zu erkennen gab. Geweihtes Wachs, am begehrtesten war «houchgwiches
Waggs» oder Malefizwachs, nähten die Frauen in ein «Püntschäli»
(Stoffsäcklein) und legten es den Kindern unter das Kopfkissen. Wer im
Kapuzinerkloster in Mels um «Gwiches» bat, erhielt neben Wachs auch
Medaillen. Musste in besonderen Fällen ein Geistlicher beigezogen werden,
wandte man sich an einen frommen, in jeder Hinsicht untadeligen Herrn. «Ar
hät dinn schu suuber Schuä aahaa müessä.
Unter den zahlreichen Besegnungen und Beschwörungen sei lediglich auf die
gebräuchlichsten beiden Anrufungen hingewiesen, die von älteren Leuten
gegen den Schrättlig empfohlen werden: «Jesus, Maria und Josef!» und «Das
heilige Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt!» Neben
Anrufungen dieser Art kannte man gedruckte Haus- und Stallsegen,
Gebetszettel und Schutzbriefe sowie unscheinbare Andachtsbildchen, die mit
einem Reissnagel an eine Wand geheftet wurden.
- 23 Auch so konnte natürlich noch etwas Verdächtiges im Raum bleiben. Wenn der
Loch-Tuuni in Sargans am Morgen in den Stall trat und etwas «Uurichtigs»
vermutete, griff er nach der Mistgabel und schritt mit den beschwörenden
Worten: «Ischt er dou nid, ischt er döt, ussi muess er!» von einer Ecke in die
andere.
Neben den kirchlichen Mitteln kannte man auch weltliche Massnahmen zur
Abwehr des Bösen. Man stellte den Besen hinter die Türe, nagelte ein
Sensenblatt über die Türe oder legte ein Messer unter die Schwelle. In Vilters
klebte anderntags Blut an der Klinge. Ähnlichen Schutz versprach man sich
S. 37
auch von der weissen Wurzel einer Haselstaude. Haselwurzeln helfen, wenn
die Kühe unter dem Einfluss des Zaubers nicht mehr aufnehmen.
Wiegenkindern, die vom Schrättlig geplagt wurden, band man eine Hanfhechel
mit den Spitzen nach aussen auf die Brust. In Vilters wurde am Morgen ein
Büschel blonder Haare in der Hechel gefunden. Nachdem die Patin des Kindes
blondhaarig war, wusste man nun über den Quälgeist Bescheid. Auf diese
Weise wurde in Vättis eine der Hexerei verdächtigte Frau an der Stirn
geschunden. Die Hexen drücken mit dem Kopf gegen die Brust ihrer Opfer.
Ein einfaches Mittel, um dem Schrättlig beizukommen, besteht darin, den Ge
quälten beim Namen zu rufen.
In mehreren Berichten wird das Nachtwasser in eine Flasche abgefüllt und
diese fest verschlossen. Von diesem Augenblick an kann die Hexe das Wasser
nicht mehr lösen. Sie gerät in Not und sieht sich gezwungen, im Haus des
- 24 Geschädigten etwas auszuleihen. Man durfte aber nicht auf ihre Wünsche
eingehen, so dass sie mehrmals zurückkehren und sich schliesslich zu erkennen
geben musste. Diese Prozedur wurde in Wangs noch verschärft, indem man das
Nachtwasser in einer alten Pfanne auf den Herd stellte und erwärmte. Dadurch
geriet die Hexe in Panik. Sie versprach der geschädigten Familie, keinen
weiteren Schaden mehr zuzufügen. Als sich in Flums Rahm nicht mehr zu
Butter verarbeiten liess, brachte ihn der Bauer ebenfalls auf den Herd und
zwang die Hexe auf diese Weise ins Haus. Zur Strafe zog er sie durch die
Sprossen einer Leiter. Auf die gleiche Weise gelang es in Flums auch, den
Zauber an einer euterkranken Ziege zu brechen. Am Kleinberg warf man zwei
Ferkel in siedend heisses Wasser, um eine Hexe zu entlarven.
Schutzzettel. Zum Schadenzauber der Hexen gehört der Gegenzauber. Jeder
Zauber hat einen kirchlichen oder weltlichen Gegenzauber. Stark verbreitet
waren die Agatha-Zettel mit dem Spruch: Mentem sanctam + spontaneam +
honorem Deo + et patriae liberationem, Sancta Agatha, ora pro nobis. (Wir
erflehen einen heiligen, bereitwilligen Sinn, Gottes Ehre und die Befreiung des
Vaterlandes, bitte für uns, heilige Agatha.) Im abgebildeten, fehlerhaften Text
eines Agatha -Zettels, der über Generationen an einer Wiege in Sargans hing,
wird die heilige Agatha überdies gegen Feuergefahr angerufen.
Wenn die Selbsthilfe nicht ausreichte, half vielleicht der Rat eines
Weisskünstlers. Im Gegensatz zum Schwarzkünstler oder Hexenmeister
betreibt er nicht die schwarze, sondern die weisse Magie. Ein Tiroler
Weisskünstler schoss einen stich- und kugelfesten Franzosen in Vättis mit
Hilfe einer silbernen Kugel vom Pferde. Drei auf Garmina lebende Schwestern
verwandelten sich zeitweise in Gemsen und versuchten, einen ihnen
missliebigen Jäger über die Felsen hinunterzustürzen. Da gab ein in diesen
Dingen bewanderter Vazer dem Jäger den Rat, das nächste Mal Dreikönigssalz
unter das Pulver zu mischen und eine silberne Kugel zu benützen. Eine der drei
Schwestern wurde tödlich getroffen. Der Weisskünstler beschwört das Böse im
Namen Gottes. Nach der Meinung der Gewährsleute kann daher nichts
Unrechtes daran sein.
- 25 Im Namen Gottes kann man nichts Unrechtes tun. Von dieser Überzeugung
zehren auch die Heiler beim Warzenvertreiben, Blutstillen und Diebe bannen.
Als letztes Mittel nennen die Volkserzählungen die Erlösung der Hexen von
der ihrem Meister gegenüber eingegangenen Verpflichtung. In Flums bemerkte
ein Bursche, der sich mit seiner Liebsten auf dem Heimweg befand, dass sich
diese unversehens in eine schwarze Katze verwandelte und in dieser Gestalt
über eine Hauswand in die Schlafkammer hinaufkletterte. Darüber zur Rede
gestellt, gestand sie, an einem verworfenen Tag geboren zu sein und daher als
Schrättlig Menschen und Tiere plagen und schädigen zu müssen. Es gelang
ihm, das unglückliche Mädchen zu erlösen, indem er ihr gestattete, etwas, das
ihm gehörte, zu Tode zu drücken. Er verlor dabei seine schönste Kuh. Dem
Mädchen wurde die Hexe genommen. Den gleichen Vorfall erzählt man auch
in Plons.
Alte und neue Spuren
Die um die Jahrhundertwende und in den späten sechziger Jahren gesammelten
Berichte über das Unwesen der Hexen und des Schrättligs im Sarganserland
bestätigen den eingangs erwähnten, bis in unsere Zeit reichenden Schatten des
Hexenglaubens. Er scheint zur menschlichen Existenz zu gehören. Alles deutet
darauf hin, dass der Mensch auf Sündenböcke angewiesen bleibt. Die
Erzählungen lassen aber auch deutlich werden, wie sich Figuren und Motive in
der Volkserzählung im Laufe der Zeit verändern und doch in allen Einzelheiten
erkenntlich bleiben. Im Schwankhaften eines Steckenritts und in der
Verwandlung einer Hexe in einen Fuchs oder in eine Katze glaubt man Züge
älterer Erzählungen zu erkennen. Sie zählen heute zweifelsohne zum passiven
Sagengut. Die vielfältigen Spuren des Schadenzaubers an Hab und Gut
stammen aber wohl aus neuer und neuester Zeit. Sie sind noch frisch oder noch
nicht verwischt und lassen sich im ganzen Sarganserland leicht nachweisen.
Quellennachweis
Jakob Kuoni, Sagen des Kantons St. Gallen (St. Gallen 1903),
Alois Senti, Sagen aus dem Sarganserland (Basel 1974),
Werner Manz, Volksbrauch und Volksglaube des Sarganserlandes (1916).
Internet-Bearbeitung: K. J.
Version 11/2015
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