Lernen mit attraktiven Experimenten am Beispiel Orgelpfeifen und

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Lernen mit attraktiven Experimenten am Beispiel Orgelpfeifen und
Lernen mit attraktiven Experimenten am Beispiel
Orgelpfeifen und stehende Wellen
Prof. Dr. Georg Loos
Fachhochschule Nürnberg, Fachbereich Allgemeinwissenschaften
[email protected]
Zusammenfassung:
Die Physik wird von Studierenden technischer Fachrichtungen oft als schwierig, trocken und
überflüssig eingestuft. Daher soll versucht werden, am Beispiel eines attraktiven Experiments
eine Verbindung zwischen Themen der Schwingungslehre und der Freizeitbeschäftigung mit
einem Musikinstrument herzustellen. Damit kann eine Motivation zur Beschäftigung mit physikalischen Themen erreicht werden und es können Anregungen vermittelt werden, sich mit
dem quantitativen Hintergrund näher zu beschäftigen. Die Erzeugung von Klängen am Beispiel der Orgelpfeife ist der erste Anknüpfungspunkt. Der zweite Anknüpfungspunkt ist die
Analyse von Klängen durch Aufnahme mit einem Mikrofon und Spektralanalyse mit Fouriertransformation: Klänge werden sichtbar. Eine Demonstrationswindlade mit zehn
verschiedenen Pfeifen gleicher Tonhöhe wird vorgeführt.
1 Einleitung
Die Physik wird von Studierenden oft als schwierig, trocken und überflüssig eingestuft. Zahlreiche Veröffentlichungen und Tests dazu liegen vor, um den Ursachen auf die Spur zu kommen. Ein Grund ist sicher, dass man erst das Handwerkszeug der klassischen Physik und der
Mathematik lernen muss, um dann aktuelle und komplizierte Probleme zu verstehen. Ein typisches Beispiel ist die Funktionsweise eines Lasers. Viele physikalische Probleme aus verschiedenen Gebieten der Physik mussten gelöst werden, bis der erste funktionsfähige Laser
arbeitete. Vergleicht man das Lernen der Physik mit dem Erlernen eines Musikinstruments, so
sind es die langweiligen Tonleitern und Dreiklänge, die geübt werden müssen, bevor ein
Stück technisch beherrscht und dann erst künstlerisch interpretiert werden kann. Aber: Auch
Tonleitern kann nur man herunterhacken oder auch virtuos spielen.
Ich will damit sagen: Auch einfache physikalische Zusammenhänge können interessant und
aktuell vermittelt werden. Es gehören vor allem Experimente dazu, an denen der Stoff vermittelt wird. An ihnen lernt man auch, dass sie manchmal nicht perfekt funktionieren und dass
Messergebnisse mit Fehlern behaftet sind. Daher können Computer-Simulationen nur die
Versuche im Unterricht ergänzen, aber nicht ersetzen. Natürlich erfordern Experimente mehr
Geld zur Anschaffung und mehr Zeit für Aufbau und Erprobung als komfortable Simulationsprogramme.
2 Anlass für den Bau einer Demonstrationswindlade
Die üblichen Experimente zum Thema Stehende Wellen und Resonanz werden z. B. mit gespannten Federn oder Seilen ausgeführt und sind sicher notwendig und sinnvoll.
Um die Demonstration attraktiver zu gestalten, entstand die Idee, von einem Orgelbaumeister
verschiedene Pfeifenformen mit gleichen Tonhöhen (Kammerton a’) auf eine Windlade bauen
zu lassen. Es soll die Studenten anregen, sich über die Entstehung von Klängen und die Verbindung zwischen Physik und Musik Gedanken zu machen, denn wie jedes Musikinstrument
arbeiten Orgelpfeifen auf der Basis stehender Wellen bzw. Resonanz /1/. Ich will im folgenden gedrängt die vielfältigen Demonstrationsmöglichkeiten dieses Geräts aufzeigen.
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Abb. 1: Bild der Demonstrationswindlade
3 Das einfache Modell: Akustische stehende Longitudinalwellen in Röhren
Mit Abb. 2 werden die Eigenschwingungen in offenen und einseitig geschlossenen Röhren
mit gleichen Grundfrequenzen erklärt. Letztere nennt der Orgelbauer gedackt. Man sieht die
Auslenkungsamplituden der Luftmoleküle.
Nimmt man zur Anregung einer dieser Eigenschwingungen z. B. einen Sinusgenerator mit
angeschlossenem Lautsprecher, so kann man durch Abstimmung auf Resonanz die Luftsäule
im Rohr zu einer stehenden Welle anregen: Sie ist deutlich hörbar.
Abb. 2: Stehende Wellen in Orgelpfeifen /2/
Der Student glaubt bei dieser Darstellung, eine solche Röhre strahlt nur harmonische Wellen
ab. Wie langweilig würde die Orgel oder auch jedes Blasinstrument klingen! Woher kommt
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die Klangvielfalt der Orgelpfeifen oder der Blasinstrumente? Man muss klarstellen, dass immer gleichzeitig mehrere Eigenschwingungen angeregt werden, deren Mischung die Klangfarbe einer Pfeife ergibt. Ursache ist die nichtharmonische Anregung der Luftsäule beim Anblasen. Analoges gilt bei allen Blasinstrumenten. Bei Saiteninstrumenten geschieht die nichtharmonische Anregung durch Zupfen (Gitarre), Anschlagen (Klavier) oder Streichen mit einem Geigenbogen. So sind viele Überlegungen zu Orgelpfeifen auch auf andere Musikinstrumente übertragbar.
Die einfache Darstellung zeigt nebenbei, dass man Material sparen kann, wenn man eine
Pfeife einseitig verschließt: Halbe Länge bei gleicher Frequenz, verglichen mit einer offenen
Pfeife. Man erhält jedoch einen dumpferen Klang, weil die geraden Eigenschwingungen fehlen, wie Abb. 2 zeigt.
4 Vorgänge in der Labialpfeife
Es gibt in einer Orgel zwei große Gruppen von Pfeifen: Labial- oder Lippenpfeifen und Zungenpfeifen.
Abb. 3: Längsschnitt durch eine Labialpfeife (links), Zungenpfeife (rechts) /2/
Bei der Labialpfeife Abb. 3 (links) strömt die Luft zunächst in den Fuß der Pfeife und von
dort durch einen schmalen Spalt, die Kernspalte. Der dadurch erzeugte Luftstrom trifft anschließend auf eine Schneide, das Oberlabium, und pendelt dort periodisch zwischen Pfeifeninnerem und Äußerem. Dadurch entsteht eine Schwingung in Resonanz mit der Luftsäule.
Dasselbe Tonerzeugungsprinzip liegt z. B. auch bei einer Blockflöte vor.
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Misst man die Pfeifenlänge nach und vergleicht sie mit der Rechnung wie bei Abb. 2 skizziert, so stellt man fest, dass sie kürzer ist. Der Grund ist, dass die schwingende Luftsäule an
den offenen Enden übersteht, also länger als die Pfeife ist. Es muss bei der Längenberechnung
eine Mündungskorrektur angebracht werden. Eine Gleichung dazu stammt von dem berühmten Physiker Hermann von Helmholtz.
Die Klangfarbe wird unter anderem vom Pfeifendurchmesser und der Pfeifenform beeinflusst.
Große Durchmesser geben obertonarme Frequenzspektren, kleine hingegen „strahlende“
obertonreiche Spektren. Konisch zulaufende Formen fördern den Obertonreichtum.
Die Spektralanalyse von Klängen lässt sich mit einem Fourieranalysator durchführen. Abb. 4
zeigt das Amplitudenspektrum der Prinzipal-Pfeife, aufgenommen mit einem gängigen Fourieranalysator.
Abb. 4: Amplitudenspektrum des Prinzipal
Beschreibung des Experimentalaufbaus:
Das Gerät besteht aus einer schallgedämmten Windmaschine im separaten Gehäuse. Sie wird
über ein kurzes Rohr mit dem Sockel, d. h. der Windlade verbunden, auf der 10 Pfeifen untergebracht sind. Auf zwei Plätzen können die Pfeifentypen gewechselt werden. Jede Pfeife kann
über eine Ventilbetätigung zum Erklingen gebracht werden; alle Pfeifen sind auf den Kammerton a' gestimmt. Auf einen Balg zur Konstanthaltung des Winddrucks wurde verzichtet.
Jede der zwölf Pfeifen repräsentiert bei einer Orgel ein Register. Es sind die wichtigsten Register vertreten. In Abb. 1 sind von links nach nach rechts zu sehen:
Labialpfeifen:
1)
2.)
3)
4.)
5.)
6.)
Flûte harmonique (austauschbar gegen eine Hohlflöte)
Salicional
Prinzipal (austauschbar gegen ein Gemshorn)
Viola da Gamba
Holzflöte, offen
Holzflöte, gedackt
Zungenpfeifen:
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7.)
8.)
9.)
10.)
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Trompete
Trompette harmonique
Krummhorn
Regal
Die Registernamen haben historischen Ursprung. Holzpfeifen sind obertonarm. Zudem hat die
gedackte Pfeife die dunkelste Klangfarbe, weil nur ungerade Eigenschwingungen mit sehr
kleinen Amplituden angeregt werden.
Demonstrationsbeispiele für den Einsatz in der Vorlesung:
Es gibt verschiedene Verfahren, die Pfeifenlänge zu verändern, präziser die Länge der
schwingenden Luftsäule. Man kann z. B. eine Metallhülse zur Längenänderung verwenden.
Bei der Vorführung wird über das Ende einer der ersten vier Pfeifen ein zusammengerolltes
Stück Pappe gestülpt und verschoben. Die offene Holzpfeife kann durch Anheben bzw. Absenken des Metall-Stimmdeckels gestimmt werden. Dadurch wird die überstehende Luftsäule
beeinflusst, so wie es auch ein Jazztrompeter mit einem Hut macht. Die gedackte Holzpfeife
wird durch Verschieben des Spunds gestimmt.
Man kann auch sehr gut Schwebungen hörbar machen. Die Erscheinung wird beim Stimmen
verwendet. Verschwindet die Schwebung, so schwingen zwei Pfeifen mit exakt gleichen Frequenzen.
Verschließt man das obere Ende z. B. der Prinzipalpfeife, wird sie gedackt und schwingt eine
Oktave tiefer.
Eine Besonderheit ist die flute harmonique: Sie arbeitet in der 2. Eigenschwingung, weil in
Pfeifenmitte ein kleines Loch dort einen Schwingungsbauch provoziert. Hält man das Loch
zu, so schwingt sie in der 1. Eigenschwingung, also eine Oktave tiefer.
5 Vorgänge in der Zungenpfeife
Abb. 3 (rechts) zeigt den schematischen Aufbau einer Zungenpfeife. Im Fuß befindet sich als
Tonerzeuger eine Blattfeder, Zunge genannt. Sie wird durch den Luftstrom zur Schwingung
angeregt, ähnlich der Tonerzeugung mit den Blattfedern einer Mundharmonika oder mit dem
Rohrblatt einer Klarinette. Die Zunge wird mit der Stimmkrücke gestimmt.
Bei den Zungenpfeifen wird die Tonhöhe von der 1. Eigenfrequenz der schwingenden Metallzunge bestimmt, außerdem aber auch noch von Länge und Form des Schallbechers. Länge
und Form beeinflussen zudem die höheren Eigenschwingungen in ihren Amplituden. Man
findet in verschiedenen Orgeln einen großen Formenreichtum an Schallbechern.
Die beiden Trompetenpfeifen zeigen eine sich nach oben erweiternde konische Becherform,
die für den trompetenartigen und lauten Klang verantwortlich ist. Die Trompette harmonique
schwingt in der 2. Eigenschwingung und ist daher doppelt so lang wie die Trompete.
Das Krummhorn hat zylindrische Form und verengt sich am unteren Ende stark trichterförmig. Ihr Klang geht mehr in Richtung Klarinette. Obwohl sie oben offen ist, ist ihre Länge
nur etwas größer als ein Viertel der Wellenlänge, vergleichbar also mit einer gedackten Labialpfeife.
Hier kann man einen wichtigen Vergleich mit Oboe und Klarinette anbringen. Eine Oboe hat
eine Bohrung, die sich vom Mundstück aus gesehen ebenfalls (leicht) konisch erweitert.
Abb. 5 zeigt dazu das Bild der Molekülausschläge.
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Abb. 5: Molekülausschläge bei Blasinstrumenten mit konischer Bohrung /3/
Sie entspricht von der Länge her näherungsweise einer beidseitig offenen Labialpfeife, wie
der Vergleich mit Abb. 2 zeigt. Die Oboe überbläst in die 2. Eigenschwingung, also in die
Oktave. Die Klarinette hingegen ist zylindrisch gebohrt. An der Anblasöffnung befindet sich
eine Stelle mit den größten Druckschwankungen. Dies ist aber eine Stelle ohne periodische
Molekülbewegungen, also eine Stelle mit einem Bewegungsknoten. Diese Bauart entspricht
somit einer gedackten Labialpfeife. Dieser Typ ist aber nur halb so lang wie eine offene Labialpfeife. Dies ist am Demonstrationsaufbau deutlich zu sehen. Die Klarinette überbläst also in
die 3. Eigenschwingung, d. h. in die Duodezime.
Der Schallbecher des Regals ist nur 55 mm lang. Es ist das Register mit der kleinsten Lautstärke, weil die Becherlänge viel zu kurz für Resonanzen bei niedrigen Eigenschwingungen
ist.
Die Spektren der Zungenpfeifen (Trompete Abb. 6) zeigen die höheren Eigenschwingungen
mit großen Amplituden. Dies ist die Ursache für den sehr obertonreichen trompetenartigen
Klang.
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Abb. 6: Amplitudenspektrum der Trompete
6 Zusammenfassung
Es steht ein Versuch zur Verfügung, der Studenten im Physikunterricht gut anspricht. Für die
angewandte Mathematik und für technische Fächer steht in Kombination mit einem Spektralanalysator ein Gerät zur Vorführung der Fourieranalyse von Klängen bereit. Die Software
arbeitet mit der üblichen FFT-Methode (fast fourier transformation). Man kann also Klänge
auf dem Monitor sehen, indem man den Schwingungsverlauf und das zugehörige Amplitudenspektrum betrachtet. Obwohl die Schwingungsform oft nur scheinbar geringfügig von der
Sinusform abweicht, hat dies auf die Klangfarbe großen Einfluss. Software für den PC gibt es
auch als Freeware, sodass jeder Student zuhause Schwingungsanalyse durchführen kann,
wenn Soundkarte und Mikrofon vorhanden sind.
Der Aufbau ist daher sehr vielseitig einsetzbar und hat sich an der Fachhochschule Nürnberg
schon bestens bewährt. Das Gerät könnte sicher auch im Unterricht an Musikhochschulen von
Nutzen sein.
Literatur:
/1/ G. Loos: Versuche zu stehenden akustischen Wellen mit der Demonstrationswindlade.
Der mathematische und naturwissenschaftliche Unterricht 53 (2000) Nr. 6
/2/ N. H. Fletcher, S. Thwaites: Orgelpfeifen - in: Die Physik der Musikinstrumente.
Spektrum Akademischer Verlag, 2. Auflage 1998
/3/ O. Steinkopf: Zur Akustik der Blasinstrumente. Moeck Verlag Celle 1983

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