Formen und Ursachen von Online-Abhängigkeit sowie Hinweise für
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Formen und Ursachen von Online-Abhängigkeit sowie Hinweise für
Formen und Ursachen von Online-Abhängigkeit sowie Hinweise für Betroffene und Angehörige Ein großer Dank geht an Familie Hirte und die Helfer von aktiv-gegen-mediensucht .de, die mich stets unterstützt haben. Inhaltsverzeichnis Vorwort..................................................................................III Literaturverzeichnis.............................................................V 1. Die Geschichte der Online-Abhängigkeit.......................1 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 Internet in Deutschland......................................................1 „Geburtsstunde“ der Online-Abhängigkeit..........................3 Erste Forschungen.............................................................4 Aktueller Stand der Wissenschaft.......................................6 Online-Abhängigkeit als eigenständige Krankheit?..........12 2. Wie Sucht entsteht und wie sie wirkt...........................17 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 Sucht und Abhängigkeit....................................................17 Belohnungszentrum und Dopamin...................................19 Vom Hobby zur Sucht.......................................................23 Wege in die Sucht............................................................27 Co-Abhängigkeit...............................................................34 3. Mögliche Folgen von Online-Abhängigkeit.................37 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 soziale Folgen..................................................................39 körperliche Folgen............................................................39 volkswirtschaftliche Folgen...............................................39 zivilrechtliche Bewertung..................................................39 strafrechtliche Bewertung.................................................40 Extremfälle.......................................................................40 4. Formen der Online-Sucht...............................................42 4.1 Online-Spielsucht.............................................................42 4.2 Online-Sexsucht...............................................................42 4.3 Chat-Sucht/soziale Netzwerke.........................................43 I Vorwort Vor etwa zwei Jahren sah ich mich veranlasst, mich dem Problem „Online-Sucht“ zu stellen. Eine mir nahestehende Person verbrachte täglich mehr Zeit am Computer, vernachlässigte Freundschaften und Kontakte zu ihrer Familie. Sie ging immer selteUnser Gehirn ist nicht dafür ner vor die Tür, kümmerte sich gebaut, dauernd glücklich zu sein. Aber es ist süchtig danach, nach lieber um ihr Spiel, ein OnlineGlück zu streben. Rollenspiel. Manfred Spitzer Ich bekam den sozialen Abstieg unmittelbar mit. Kontakte zu Freunden brachen ab, ehemalige Hobbys wurden aufgegeben, die Kontakte zu den Eltern beschränkten sich auf Themen des Spiels. Eine ganze Familie ist hier zugrunde gegangen. Die gereizte Stimmung dieser Person brachte Probleme im Beruf und ihrer Beziehung mit sich. Die krankheitsbedingten Fehltage nahmen zu. Schließlich begann sie, Geld für virtuelle Gegenstände im Spiel auszugeben und kannte dabei keine Grenze. Die tägliche Spielzeit stieg kontinuierlich an, die Schulden wuchsen ihr über den Kopf. Trotz aller Probleme spielt sie nach wie vor. Alle Versuche, diesen Menschen zum Nachdenken und zur Veränderung zu bewegen, scheiterten. Ob mit bösen Worten oder Verständnis, nichts fruchtete. Ich musste ihn sehenden Auges seinem Schicksal überlassen, immer noch hoffend, dass eines Tages ein Wendepunkt kommt. Aus zahlreichen Berichten von Betroffenen, Abhängigen und Aussteigern weiß ich, dass jeder Spieler irgendwann auf den Boden der Tatsachen zurückkommt. So wie jeder Seemann an Land zurückkehrt – auch wenn das Land 5.000 Meter unter dem Meeresspiegel liegt. Es gibt nur zwei Möglichkeiten, ins wahre Leben zurückzukehren: Durch Einsicht oder Absturz. III Dieses Martyrium, die lange Zeit der Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung treiben mich an, zumindest für andere Menschen in vergleichbarer Lage etwas zu tun. Ich selbst bin langjähriger Spieler von Computer- und Konsolenspielen, meine ersten Erfahrungen sammelte ich vor über 20 Jahren. Seitdem haben mich Spiele stets begleitet. Ich besitze zahlreiche Konsolen, habe LAN-Parties besucht, online gespielt. Es ist ein geliebtes Hobby. Immer noch, immer gewesen. Mein Anliegen mit diesem Werk kann daher nicht sein, Computerspiele zu verteufeln oder der Branche zu schaden. Wirtschaftlicher Umsatz ermöglicht erst neue und kreative Spielkonzepte. Ich möchte aber einen Beitrag zur Aufklärung leisten. Wenn ein Hobby zur Sucht wird und dadurch die wirklich wichtigen Dinge im Leben vernachlässigt werden, ist dies bedenklich. Jeder Menschen hat seinen Platz in der Welt – in der realen Welt. Am 7. November 1997 entwickelt SkyNet ein eigenes Bewusstsein. Das Netz ist nützlich und hilfreich, es kann unterhalten, informieren, Spaß Aus: Terminator 2 – Tag machen. Das Netz an sich ist harmlos, der Ab rechnung es ist ein Werkzeug, das uns das Leben leichter machen soll. Nie zuvor in der Menschheitsgeschichte war es so leicht, globales Wissen abzurufen, mit fremden Menschen in Kontakt zu treten und sich anderen mitzuteilen. Wenn aber der Mensch die Technik nicht mehr beherrscht, sondern ihr Sklave wird, läuft was falsch. Ich möchte da nicht tatenlos zusehen. Dies ist mein Beitrag dazu. Und ich werde noch mehr leisten, meine eigenen Erfahrungen sollen anderen helfen, es nicht nur anders, sondern auch besser zu machen. ~ April 2010 IV Literaturverzeichnis Beard, Keith W./Wolf, Eve M., Modification of the proposed diagnostic criteria for internet addiction, CyberPsychology and Behavior 2001, Vol. 4 (3), S. 377-383 Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (Hrsg.), Stellungnahme zum Thema „Online-Sucht“ für die Anhörung des Deutschen Bundestags - Ausschuss für Kultur und Medien am 9. April 2008, Ausschussdrucksache Nr. 16 (22) 143e Drogenbeauftragte der Bundesregierung (Hrsg.), Drogen- und Suchtbericht 2009, Bundesministerium für Gesundheit Eimeren, Birgit van/Frees, Beate, Der Internetnutzer 2009 - multimedial und total vernetzt? (Ergebnisse der ARD/ZDF-Onlinestudie 2009), Media Perspektiven 7/2009, S. 334-348 Fachverband Medienabhängigkeit e.V. (Hrsg.), Diagnostik, Behandlung und Prävention der Computerspielabhängigkeit - Von der internationalen Perspektive zur Entwicklung erster Leitlinien, Protokoll zum 1. Symposium des Fachverbandes Medienabhängigkeit e.V. am 22. und 23. Oktober 2009 in Hannover Grünbichler, Benjamin, Lost in Cyberspace? Chancen und Risiken von Online-Rollenspielen als Herausforderung für die Soziale Arbeit, Norderstedt 2008 Grüsser, Sabine M. u.a., Exzessive Computernutzung im Kindesalter - Ergebnisse einer psychometrischen Erhebung, Wiener Klinische Wochenschrift 2005, 117/5–6: S. 188–195 Hahn, André/Jerusalem, Matthias, Reliabilität und Validität in der Online-Forschung, In: Theobald/Dreyer/Starsetzki: OnlineMarktforschung: Theoretische Grundlagen und praktische Erfahrungen, 2. Auflage, Wiesbaden 2003 V Hirschhausen, Eckart von, Glück kommt selten allein..., Reinbek 2009 Johnson, Nicola F., The Multiplicities of Internet Addiction: the Misrecognition of Leisure and Learning, Surrey (UK) 2007 Kolitzus, Helmut, Ich befreie mich von deiner Sucht, München 2000 Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen e.V. (Hrsg.), Computerspielabhängigkeit im Kindes- und Jugendalter - Empirische Befunde zu Ursachen, Diagnostik und Komorbiditäten unter besonderer Berücksichtigung spielimmanenter Abhängigkeitsmerkmale, Forschungsbericht Nr. 108, Hannover 2009 Lober, Andreas, Virtuelle Welten werden real. Second Life, World of Warcraft & Co: Faszination, Gefahren, Business, Hannover 2007 Mücken, Dorothee, Computerspielsucht - eine qualitative Interviewstudie zu Symptomatik, Verlauf und Peerbeziehung (Masterthesis), Köln 2009 Petersen, Kay Uwe u.a., Pathologischer Internetgebrauch - eine Übersicht zum Forschungsstand, Zwischenbericht an das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) zum Projekt „Beratungsund Behandlungsangebote zum pathologischen Internetgebrauch in Deutschland“, Hamburg 2009 Petersen, Kay Uwe u.a., Pathologischer Internetgebrauch - Epidemiologie, Diagnostik, komorbide Störungen und Behandlungsansätze, Fortschritte der Neurologie · Psychiatrie 2009; Nr. 77: S. 263–271 Petersen, Sabine, Internetsucht und ihre Korrelate - eine empirische Studie (Diplomarbeit), Bremen 2008 Petry, Jörg, Dysfunktionaler und pathologischer PC- und Internet-Gebrauch, Göttingen 2010 VI Pfeiffer, Alexander/Primus, Thomas/Götzl, Xaver, MMORPGs 360°: Virtuelle Welten & moderne Mediennutzung wissenschaftlich betrachtet, Neckenmarkt 2008 Renner, Karl-Heinz/Schütz, Astrid/Machilek, Franz (Hrsg.), Internet und Persönlichkeit - Differentiell-psychologische und diagnostische Aspekte der Internetnutzung, Göttingen 2005 Ridder, Christa-Maria, Onlinenutzung in Deutschland, Media Perspektiven 3/2002, S. 121-131 Schuhler, Petra, Pathologischer PC/Internet-Gebrauch: Krankheitsmodell, diagnostische und therapeutische Ansätze, Sucht aktuell 2/2008, S. 36-40 Seif, Martina, Online-Computerspiele, Internetgebrauch und deren psychologische Wirkungen auf NutzerInnen (Magisterarbeit), Wien 2009 Spitzer, Manfred, Vorsicht Bildschirm! Elektronische Medien, Gehirnentwicklung, Gesundheit und Gesellschaft, 6. Auflage, München 2009 Sting, Stephan/Blum, Cornelia, Soziale Arbeit in der Suchtprävention, München 2003 Widyanto, Laura/Griffiths, Mark, ‘Internet Addiction’: A Critical Review, International Journal of Mental Health and Addiction 2006 (4), S. 31-51 Young, Kimberly S., Caught in the net: how to recognize the signs of Internet addiction - and a winning strategy for recovery, Amerikanische Originalausgabe, New York 1998 Young, Kimberly S., Internet addiction: The emergence of a new clinical disorder, CyberPsychology and Behavior, Vol. 1 (3), S. 237-244 VII 1. Die Geschichte der Online-Abhängigkeit 1. Die Geschichte der Online-Abhängigkeit 1.1 Internet in Deutschland Das Internet als weltweites Netzwerk zum Datenaustausch ging aus dem in den 1960er Jahren entwickelten und zum Teil militärisch genutzten Arpanet hervor, das durch seine dezentrale Struktur Stabilität und Zuverlässigkeit gewährleisten sollte. Knappe Rechnerkapazitäten der angeschlossenen Hochschulen erforderten einen solchen Ansatz. Der Grundgedanke einer offenen Systemarchitektur fand sich auch im späteren Internet wieder. Das Internet bietet eine Vielzahl verschiedener Dienste, einer der ersten und wichtigsten war die EMail, die bereits in den 1970er Jahren genutzt wurde und in den 1980er Jahren ihren Durchbruch erlebte. Als erste deutsche Einrichtungen probierten in den 1980er Jahren die Universitäten Karlsruhe und Dortmund Möglichkeiten der Datenübertragung über große Strecken. An der Universität Karlsruhe wurde im Jahr 1984 die erste deutsche E-Mail empfangen, 1989 wurde eine Standleitung von Dortmund nach Amsterdam in Betrieb genommen. Im selben Jahr wurde an der Kernforschungseinrichtung CERN in der Schweiz ein Ansatz entwickelt, wissenschaftliche Daten miteinander zu vernetzen. Dies erfolgte mittels Hypertext, bei dem zwischen den einzelnen Texten Querverweise auf andere, thematisch ähnliche Texte eingefügt wurden. Tim-Berners Lee, der das Hypertext-Prinzip entwickelte, ist zugleich der Entwickler des WorldWideWeb (WWW). Das WWW nahm 1991 seinen weltweiten Betrieb auf. Bereits ein Jahr zuvor wurde das Arpanet abgeschaltet. Ende der 1980er Jahre wurden in Deutschland die ersten digitalen Telefonleitungen (ISDN) in Betrieb genommen. Anfang der 1990er Jahre kam auch in Deutschland das Bewusstsein auf, dass die weltweite Vernetzung zunehmend an Bedeutung gewinnt und daher entsprechende Technologien einzurichten seinen. Nach einer 1 1. Die Geschichte der Online-Abhängigkeit langen Diskussion über die technische Umsetzung, insbesondere die zu verwendenden Datenübermittlungsprotokolle, begann die Realisierung. Die ehemals universitären Netze in Dortmund und Karlsruhe wurden privatisiert, die ersten kommerziellen Internet-Anbieter traten ab 1994 auf. Der Zugang zum Netz war anfangs noch recht kostenintensiv, Standleitungen waren für Privatkunden nahezu unbezahlbar, die Einwahl über das Telefonnetz war mit hohen Gebühren verbunden. Ende der 1990er Jahre boten einige Anbieter Flatrate-Tarife an, bei denen nicht mehr nach Nutzungsdauer abgerechnet wird, sondern ein Pauschalpreis zu entrichten ist. Für die Anbieter stellte dies jedoch ein Geschäftsrisiko dar, weil diese die Anschlüsse selbst für Minutenpreise einkaufen mussten. 70,0% 60,0% 50,0% 40,0% 30,0% 20,0% 10,0% 0,0% 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 Abbildung 1: Online-Nutzung in Deutschland1 Die dem ISDN zugrunde liegende Übertragungstechnik wurde weiterentwickelt und zunehmend als DSL angeboten. Die schnellen Datenübertragungswege ermöglichten völlig neue Möglichkeiten wie z.B. das Ansehen von Videos in Echtzeit und andere Multimedia-Anwendungen über das Datennetz. Zunehmend änderte sich 1 2 ARD-Onlinestudie 1997, ARD/ZDF-Onlinestudien 1998–2009, zitiert nach: Eimeren/Frees, Der Internetnutzer 2009, S. 335 1.1 Internet in Deutschland auch das Nutzungsverhalten der Anwender, die mehr und mehr aus der Rolle des Konsumenten in die des Anbieters schlüpften und selbst Inhalte im Netz gestalten. Diese Form der Teilhabe wird als Web 2.0 bezeichnet. Heute gibt es zahllose Möglichkeiten, das weltweite Datennetz zu nutzen und mit anderen Personen zu interagieren. Foren, Chats, soziale Netzwerke, Wikis, Blogs, Video-Plattformen oder OnlineSpiele laden ein, mit anderen Nutzern in Kontakt zu treten und zu kommunizieren. 1.2 „Geburtsstunde“ der Online-Abhängigkeit Die erste Erwähnung von Online-Abhängigkeit erfolgte im Jahr 1995. Dr. Ivan Goldberg, ein US-amerikanischer Psychiater, erwähnte in einer Mailingliste unter dem Begriff „internet addiction disorder“ (IAD) eine neue Form der Sucht, die sich auf Online-Aktivitäten beziehe. Goldberg listete eine Reihe von Kriterien auf, anhand derer IAD zu identifizieren sei. Er leitete seine Kriterien aus dem DSM-IV ab, die dort für Glücksspielsucht angeführt waren. Goldberg wollte sich jedoch nur einen Scherz erlauben und ironisch auf die zunehmende Zahl von Suchterkrankungen hinweisen, was er kritisierte. Seiner Ansicht nach würden zu viele Verhaltensauffälligkeiten schnell zur Sucht erklärt. So „erfand“ er die Internet-Sucht als weitere Suchtform. Er selbst fand den Gedanken lächerlich, dass das Internet süchtig machen könnte. Doch sein Scherz wurde missverstanden. Anstatt sich mit Goldbergs Kritik auseinanderzusetzen, wurde sein Vorstoß ernst genommen. In der Folge meldeten sich bei ihm zahlreiche Personen per E-Mail, die angaben, unter dem von Goldberg beschriebenen Problem IAD zu leiden. Sie baten ihn um Hilfe und um Ratschläge zu Behandlungsmöglichkeiten. Kurz darauf berichtete die „New York Times“ über IAD und so wurde die Thematik auch außerhalb des Internets bekannt. 3 1. Die Geschichte der Online-Abhängigkeit Irritiert gründete Goldberg die „Internet Addiction Support Group“, eine Art Online-Selbsthilfegruppe. Später distanzierte er sich vom Begriff „addiction“ und wählte die Terminologie „pathological Internet-use disorder“. Wenn jedes von der Norm abweichende Verhalten als Sucht eingestuft würde, so Goldberg, dann müsse man auch von Menschen sprechen, die süchtig nach Büchern, Jogging oder anderen Menschen sind. 1.3 Erste Forschungen Die Äußerungen Goldbergs wurden von der US-amerikanischen Psychologin Kimberly S. Young aufgegriffen. Sie befragte 605 Internetnutzer zu ihrem Nutzungsverhalten. Anhand eines AchtPunkte-Kriterien-Kataloges wollte sie feststellen, ob die Befragten internetsüchtig sind. Bei fünf erfüllten Kriterien wurden die Nutzer als süchtig eingestuft. Es ergaben sich 496 verwertbare Ergebnisse, bei 396 Personen wurde Internetsucht festgestellt.2 Youngs Fragebogen (Diagnostic Questionnaire, DQ) enthielt folgende Fragestellungen: 1. Fühlen Sie sich gedankenverloren im Hinblick auf das Internet (denken Sie an ihre letzte Online-Aktivität oder im Voraus an die nächste)? 2. Spüren Sie das Bedürfnis, das Internet immer länger zu nutzen, um damit zufrieden sein zu können? 3. Haben Sie wiederholt erfolglos versucht, ihre Zeit im Internet zu kontrollieren, einzuschränken oder den Internetgebrauch zu beenden? 4. Fühlen Sie sich ruhelos, launisch, deprimiert oder reizbar, wenn Sie Ihren Internetgebrauch zu reduzieren oder zu beenden versuchen? 5. Bleiben Sie länger online als ursprünglich beabsichtigt? 2 4 Young, K.S., Internet Addition: Emergence 1.3 Erste Forschungen 6. Haben Sie wegen des Internets bereits den Verlust bedeutsamer Beziehungen, ihrer Arbeitsstelle oder Bildungs- bzw. Karrierechancen riskiert oder aufs Spiel gesetzt? 7. Haben Sie Angehörige, Therapeuten oder andere über das Ausmaß Ihres Internetgebrauchs belogen? 8. Nutzen Sie das Internet als eine Möglichkeit, Problemen aus dem Weg zu gehen oder zur Erleichterung schlechter Stimmungen (z.B. Gefühle von Hilflosigkeit, Schuld, Angst und Niedergeschlagenheit)? Neben der Abhängigenquote von etwa 80% ermittelte Young, dass die Abhängigen das Internet durchschnittlich 38,5 Stunden wöchentlich nutzten, die Personen, die als nicht-abhängig eingestuft worden jedoch im Durchschnitt nicht einmal fünf Stunden pro Woche online waren. Ferner ergab die Untersuchung Youngs, dass unter der Gruppe der Abhängigen jeweils über die Hälfte Beeinträchtigungen in den Bereichen Bildung, Beziehung, Finanzen und Beruf erlebt hatte, die auf die Internet-Nutzung zurückzuführen waren. Youngs Untersuchung wurde jedoch in methodischer Hinsicht kritisiert. Insbesondere wurde bezweifelt, dass die ausgewählten Personen tatsächlich einen Querschnitt aller Internetnutzer darstellten, also ob die Stichprobe auch repräsentativ war. Young rief nämlich gezielt „eifrige Internetnutzer“ auf, an ihrer Studie teilzunehmen. 3 Auch wurde bemängelt, dass Youngs Fragebogen aus den Kriterien des DSM-IV für Glücksspielsucht abgeleitet wurde, obwohl zwischen dieser und der Internetsucht gravierende Unterschiede bestünden. Sicher vermag Youngs Ergebnis nicht die wahren Verhältnisse wiederzugeben, aber immerhin ist es ihrer Pionier-Studie zu verdanken, dass die Wissenschaft auf die Problematik aufmerksam wurde und zunehmend weitere Forschungen unternommen wurden. Aus dem Diagnostic Questionnaire entwickelte Young zwei Jahre 3 Widyanto/Griffiths, Internet addiction, S. 33 5 1. Die Geschichte der Online-Abhängigkeit nach ihrer ersten Studie den „internet addiction test“ (IAT)4, einen 20 Fragen umfassenden Fragebogen. 2001 wurde Youngs Diagnostic Questionnaire von den Psychologen Keith Beard und Eve Wolf aufgegriffen. Sie forderten, dass die ersten fünf Punkte des Tests unbedingt kumulativ erfüllt sein müssten, von den letzten drei Punkten müsse zusätzlich mindestens einer erfüllt sein.5 Die fortschreitende Beschäftigung der Forscher mit der Thematik führte nicht nur dazu, dass ein Streit um die „richtigen“ Diagnosekriterien geführt wurde, sondern auch zu einer unüberschaubaren Begriffsvielfalt: „Internet-Sucht“, „Online-Sucht“, „Internet-Abhängigkeit“, „pathologischer Internetgebrauch“6 und andere Termini waren plötzlich gebräuchlich. 1.4 Aktueller Stand der Wissenschaft Insbesondere Jugendliche scheinen sich sehr für Online-Aktivitäten zu interessieren, was nicht verwundern kann, da diese Personen zur ersten Generation gehören, die in eine Welt geboren wurde, in der das Internet nahezu flächendeckend, verbindungsschnell und zunehmend auch mobil verfügbar ist. Aus diesem Grund konzentrieren sich die Studien zur Online-Abhängigkeit auch überwiegend auf die Gruppe der Jugendlichen.7 In den vergangenen Jahren wurden sowohl international als auch in Deutschland Studien durchgeführt, die Prävalenzraten bewegen sich im Bereich von unter 2% bis zu 15%. 8 Diese stark divergierenden Ergebnisse sind nicht nur auf die unterschiedlichen Testmethoden zurückzuführen, sondern auch auf die untersuchten Alters4 5 6 7 8 6 Young, K.S., Caught in the net, S. 31; online unter http://www.netaddiction.com Beard/Wolf, Modification Übersicht zu den Begrifflichkeiten: Petersen, K.U. u.a., Zwischenbericht an das BMG, S. 7; siehe auch: Hahn/Jerusalem, Reliabilität und Validität, S. 167 kritisch zu dieser Beschränkung: DHS, Stellungsnahme, S. 3 Petersen, K.U. u.a., Zwischenbericht an das BMG, S. 9; KFN, Computerspielabhängigkeit im Kindes- und Jugendalter, S. 11 1.4 Aktueller Stand der Wissenschaft gruppen und die jeweilige Internet-Zugänglichkeit in den untersuchten Ländern. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass derartige Studien mit der Zeit an Aussagekraft verlieren. Studien vor dem Jahr 2005 können beispielsweise die Auswirkungen des MMORPG „World of Warcraft“ noch gar nicht berücksichtigt haben, da es erst in diesem Jahr erschien. Auch kamen etwa zu dieser Zeit die ersten sozialen Netzwerke im Netz wie Facebook (2004) und MySpace (2005) auf. 2001 haben André Hahn und Matthias Jerusalem von der Berliner Humboldt-Universität folgende Kriterien vorgeschlagen, um Internet-Abhängigkeit feststellen zu können.9 ▪ über längere Zeitspannen wird der größte Teil des Tageszeitbudgets zur Internetnutzung verausgabt (hierzu zählen auch verwandte Tätigkeiten wie beispielsweise Optimierungsarbeiten am Computer) (Einengung des Verhaltensraums), ▪ die Person hat die Kontrolle über ihre Internetnutzung weitgehend verloren bzw. Versuche, das Nutzungsausmaß zu reduzieren oder die Nutzung zu unterbrechen, ▪ bleiben erfolglos oder erst gar nicht unternommen (obwohl das Bewusstsein für dadurch verursachte persönliche oder soziale Probleme vorhanden ist) (Kontrollverlust); im zeitlichen Verlauf ist eine Toleranzentwicklung zu beobachten, d.h. die “Verhaltensdosis” zur Erreichung der angezielten positiven Stimmungslage muss gesteigert werden ▪ es treten Entzugserscheinungen als Beeinträchtigungen psychischer Befindlichkeit (Unruhe, Nervosität, Unzufriedenheit, Gereiztheit, Aggressivität) und psychisches Verlangen (“craving”) nach der Internetnutzung als Folge zeitweiliger, längerer Unterbrechung der Internetnutzung, ▪ wegen der Internetaktivitäten sind negative soziale Konsequenzen in den Bereichen Arbeit und Leistung sowie soziale Bezie9 Hahn/Jerusalem, Reliabilität und Validität, S. 166 7 1. Die Geschichte der Online-Abhängigkeit hungen (z.B. Ärger mit Freunden oder Arbeitgeber) eingetreten. Sie gingen dabei von dem Ansatz aus, Internet-Abhängigkeit mit Suchterkrankungen zu vergleichen, die stoffgebunden sind, z.B. Nikotin, Alkohol, Heroin oder Kokain. Sie wiesen aber auch ausdrücklich darauf hin, dass ihre Kriterien rein beschreibend sind und keine Schlüsse auf Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge zulassen. Daher sei auch ihr Begriff „Internetsucht“ zulässig, weil es nicht zwingend das Netz sei, dass die Sucht verursache. Aus den fünf oben genannten Merkmalen leiteten Hahn und Jerusalem einen Katalog mit 20 Aussagen ab (Internetsuchtskala), bei denen die Teilnehmer auf einer vierstufigen Likert-Skala angeben sollen, ob die Aussage auf sie zutrifft. So konnte ein Punktwert zwischen 20 und 80 Punkten erreicht werden. Ab 50 Punkten wurde der Teilnehmer als „gefährdet“ angesehen, ab 60 Punkten als „internetsüchtig“. Der Fragekatalog wurde mit rund 6.400 Personen durchgeführt. Die Wissenschaftler ermittelten, dass 6,6% der Personen „gefährdert“ und weitere 3,2% „internetsüchtig“ sind. Sie schätzen diese Werte aber selbst als zu gering ein. Etwa ein Prozent der Süchtigen könne mit dem Verfahren nicht identifiziert werden, weil manche Teilnehmer zugunsten sozial erwünschter Antworten die Fragen nicht ehrlich beantworteten. Die Gruppe der Süchtigen verbringt nach dieser Studie durchschnittlich fast 35 Stunden pro Woche im Internet, ein Viertel der Süchtigen sogar über 53 Stunden. Einen ähnlichen Ansatz wie der „internet addiction test“ von Young und die Internetsuchtskala von Hahn und Jerusalem verfolgt der „Kurzfragebogen zu Problemen beim Computergebrauch“ (KPC) von Jörg Petry.10 Auch dieser Fragebogen umfasst 20 Aussagen, die anhand einer vierstufigen Likertskala zwischen „trifft gar nicht zu“ (Punktwert 0) und „trifft genau zu“ (Punktwert 3) zu bewerten sind. 10 Petry, PC- und Internetgebrauch, S. 168 8 1.4 Aktueller Stand der Wissenschaft Der deutsche Fachverband Medienabhängigkeit e.V. hat im Herbst 2009 eigene Kriterien entwickelt, die in drei Abschnitte eingeteilt sind, wobei der dritte Abschnitt ein Ausschlusskriterium ist:11 A) Zeitliche Persistenz der Symptomatik Die Symptomatik der Computerspielabhängigkeit muss über einen Zeitraum von mindestens 3 Monaten kontinuierlich bestanden haben. B) Diagnostik B1) Primäre Kriterien: Abhängigkeitsverhalten 1. Einengung des Denkens und Verhaltens 2. Kontrollverlust 3. Toleranzentwicklung 4. Entzugserscheinungen 5. Dysfunktionale Stimmungsregulation 6. Ängstliche Vermeidung realer Kontakte zugunsten virtueller Beziehungen 7. Fortsetzung des Spielens trotz bestehender oder drohender negativer Konsequenzen B2) Sekundäre Kriterien: Negative Konsequenzen 1. Körperliche Konsequenzen im Bereich Körperpflege, Ernährung und Gesundheit 2. Soziale Konsequenzen im Bereich Familie, Partnerschaft und Freizeit 3. Leistungsbezogene negative Konsequenzen im Bereich Ausbildung, Arbeit und Haushalt 11 Fachverband Medienabhängigkeit, Protokoll 1. Symposium, S. 17 9 1. Die Geschichte der Online-Abhängigkeit C) Ausschluss Pathologisches Computerspielverhalten lässt sich nicht durch eine Manie oder Zwangserkrankung erklären. Nicht ganz klar wird bei dem Kriterien-Katalog, ob er sich, wie die Wortwahl vermuten lässt, allein auf „Computerspielabhängigkeit“ bezieht, was sowohl Online- als auch Offline-Spiele einschließen würde. Möglicherweise hat der Katalog aber auch alle Formen von Internet-Abhängigkeit im Blick, weil das Kriterium „ängstliche Vermeidung realer Kontakte zugunsten virtueller Beziehungen“ bei Offline-Spielen leerlaufen würde, beispielsweise bei exzessiver Nutzung von Chats, sozialen Netzwerken oder Internetforen wiederum zu beachten wäre. Diesen Punkt will der Fachverband weiter diskutieren. Ebenfalls im Jahr 2009 legte das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen die Ergebnisse seiner bundesweiten Schülerbefragung vor.12 An der Befragung nahmen 44.610 Schülerinnen und Schüler der neunten Klassen teil. Über einen 31-seitigen Fragebogen wurde das Computerspielverhalten der Jugendlichen erfasst, ein Drittel der Teilnehmer erhielt einen weiteren Fragebogen mit Vertiefungsfragen zum Bereich Internetgebrauch und Computerspielabhängigkeit. Der Bogen mit den Vertiefungsfragen enthielt 14 Thesen, die den Bereichen „Einengung des Denkens und Verhaltens“ (4), „Negative Konsequenzen“ (4), „Kontrollverlust“ (2), „Entzugserscheinungen“ (2) sowie „Toleranzentwicklung“ (2) zugeordnet waren. Die Antworten waren nach einer vierstufigen Likert-Skala zwischen „stimmt nicht“ und „stimmt genau“ anzugeben. Dieser Fragebogen (Computerspielabhängigkeitsskala, KFN-CSAS-II) ist die Weiterentwicklung eines Fragebogens, der bereits 2005 bei einer Schülerbefragung eingesetzt wurde. Die Erhebung kam zu dem Ergebnis, dass in der Gruppe der 15Jährigen 2,8% gefährdet und 1,7% als abhängig einzustufen sind. 12 KFN, Computerspielabhängigkeit im Kindes- und Jugendalter 10 1.4 Aktueller Stand der Wissenschaft Dies wären bundesweit rund 23.600 Jugendliche allein aus diesem Altersjahrgang. Dabei sind Jungen deutlich mehr betroffen als Mädchen. Inzwischen sind auch die politischen Entscheidungsträger auf die Problematik pathologischen Computer- und Internetgebrauchs aufmerksam geworden. Im April 2008 führte der Ausschuss für Kultur und Medien des Bundestages eine öffentliche Anhörung zum Thema „Online-Sucht“ durch. Im Mai 2009 erschien der erste Drogenund Suchtbericht der Drogenbeauftragten der Bundesregierung, in dem Computerspiel- und Internetsucht überhaupt Erwähnung findet.13 Die Ausführungen in dem Bericht beschränken sich auf etwas über drei Seiten, es ist aber wahrscheinlich, dass das Thema künftig mehr Aufmerksamkeit erhalten wird. Es gibt in Deutschland rund 1,4 bis 1,9 Millionen Menschen, die medikamentenabhängig sind, glücksspielsüchtig sind etwa 100.000 Bundesbürger.14 Geht man bei der Online-Abhängigkeit von vorsichtigen Schätzungen anhand der bisher vorliegenden Forschungsergebnisse aus, dass etwa 2-3% der Bevölkerung betroffen sind, so entspricht dies rund 2 Millionen Menschen und damit sind von Online-Abhängigkeit mehr Personen betroffen als von Glücksspiel- und Medikamentensucht zusammen. Im Juni 2009 stellten eine Reihe Abgeordneter und die Fraktionen der CDU/CSU und SPD einen Antrag, dass der Bundestag sich dafür einsetzen möge, Medien- und Onlinesucht weiter zu erforschen und Aufklärung und Prävention zu fördern.15 Der Beschluss wurde mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen angenommen, FDP und Die Linke haben sich enthalten.16 13 14 15 16 Drogenbeauftragte, Drogen- und Suchtbericht 2009, S. B88 ff. Drogenbeauftragte, Drogen- und Suchtbericht 2009, S. B49, B83 Deutscher Bundestag, Drucksache 16/13382 Stenografischer Bericht zur 227. Sitzung des Bundestages vom 18.06.2009, S. 25311 f. 11 1. Die Geschichte der Online-Abhängigkeit 1.5 Online-Abhängigkeit als eigenständige Krankheit? Ein äußerst umstrittener Punkt ist die Frage, ob Online-Abhängigkeit selbst eine Krankheit ist, oder nur Ausdruck oder Symptom anderer, bereits vorhandener Störungen. Termini wie “Online Addiction”, “Internet Addiction Disorder”, “Pathological Internet Use” oder “Cyberdisorder” erweckten den falschen Eindruck, dass das Internet selbst die Ursache des Suchtverhaltens sei.17 Meines Erachtens muss man differenzieren: es gibt Erscheinungsformen der Online-Abhängigkeit, die grundsätzlich auch außerhalb des Internets denkbar sind und vorkommen und das Internet als Medium benutzt wird.18 Ein pathologischer Glücksspieler, der statt an Spielautomaten oder im Casino seine Abhängigkeit auslebt, ist nach meinem Verständnis nicht online-abhängig, wenn er Glücksspiel im Internet betreibt. Er verlagert lediglich den Austragungsort der eigentlichen Sucht. Ebenso wenig erscheint mir ein Sex-Süchtiger plötzlich online-süchtig, der bisher Bordelle und Sexkinos besucht hat und nun im Internet nach erotischen Angeboten Ausschau hält. Gleiches gilt für Kaufsüchtige, wenn sie ihr Suchtverhalten in Internet-Shops ausleben. Andererseits bieten sich im Netz Möglichkeiten, die im realen Leben kaum als Suchtverhalten vorstellbar sind. Fälle von Gesprächssucht oder Kontaktsucht dürften offline selten sein, es gibt aber zahlreiche Personen, die exzessiv mit anderen Menschen chatten oder viel Zeit in sozialen Netzwerken verbringen. Rollenspiele gibt es auch außerhalb der Online-Welt in Form von Pen & Paper-Rollenspielen oder LARPs, von Abhängigen dieser Spielformen hört man jedoch nichts. Exzessives Computerspielen kommt jedoch auch offline vor. Diese Unterscheidung ist meiner Ansicht nach bedeutsam, um die Frage beantworten zu können, welchen Einfluss das Internet auf 17 Hahn/Jerusalem, Reliabilität und Validität, S. 167, Seif, Online-Computerspiele, S. 30 18 Petry, PC- und Internetgebrauch, S. 101; Grünbichler, Lost in Cyberspace?, S. 51 12 1.5 Online-Abhängigkeit als eigenständige Krankheit? das Abhängigkeitsverhalten hat. Wenn eine Erscheinungsform der Online-Abhängigkeit außerhalb der virtuellen Welt nicht oder nur selten vorkommt, dürften die Besonderheiten des Internets einen großen Beitrag zur Entwicklung des Suchtverhaltens haben. Zwar wurde diese Unterscheidung schon früh getroffen 19, die bisherigen Studien behandeln den Problemkomplex „Online-Abhängigkeit“ aber nicht hinreichend differenziert. Angesichts der vielfältigen Erscheinungsformen unter dem Dach „Online-Abhängigkeit“ erscheint hier eine genaue Unterscheidung angezeigt.20 Hierbei muss aber beachtet werden, dass sich die Nutzungsformen nicht immer trennscharf abgrenzen lassen. Personen, die MMORPGs oder First-Person-Shooter spielen, sind auf Kommunikation angewiesen, um sich mit ihren Mitspielern zu verständigen. Diese Spiele fördern daher soziale Kontakte, was dazu führt, dass die Spieler auch außerhalb des Spiel miteinander in Kontakt treten. So geht die Nutzung dieser Spiele häufig mit der Nutzung von Chats oder Internet-Foren einher. Foren dienen auch dazu, sich für Spieltermine zu verabreden, Spielstrategien auszutauschen oder über spielbezogene Themen zu diskutieren. Neben dem eigentlichen Spielen kommen hier also Aspekte wie Pflege der sozialen Kontakte und Informationsbeschaffung hinzu. Die Komplexität der Thematik macht es schwer, die bisherigen Studien und Forschungsergebnisse zu vergleichen, zu bewerten und zu überprüfen. Hier muss genau darauf geachtet werden, was Untersuchungsgegenstand ist. Es gibt Studien, die sich allgemein auf den Internetgebrauch beziehen, andere betrachten nur die Nutzung von Online-Spielen, wiederum andere untersuchen Computerspiele allgemein, sowohl Online- wie Offline-Spiele. Es bestehen verschiedene Ansätze, die pathologische Internetnutzung einzustufen:21 19 Young, K.S., Internet Addition: Emergence 20 Mücken, Computerspielsucht, S. 19 21 Fachverband Medienabhängigkeit, Protokoll 1. Symposium, S. 11 13 1. Die Geschichte der Online-Abhängigkeit ▪ als Symptom bekannter psychischer Störungen ▪ als Impulskontrollstörung ▪ als Persönlichkeitsstörung ▪ als stoffungebundene Abhängigkeitserkrankung Es kristallisiert sich in der Wissenschaft eine Tendenz heraus, die pathologische Internetnutzung als Störung der Impulskontrolle einzustufen. Bei solchen Störungen neigt der Betroffene zu unkontollierten, nicht rational begründbaren Handlungen. Das System des Denkens und Planens, der Motivationsbildung und der Ausführung von Handlungen ist gestört. Impulskontrollstörungen weisen eine große Nähe zu Zwangserkrankungen auf. Bislang ist Internet-Abhängigkeit nicht in die Klassifikationen ICD10 und DSM-IV aufgenommen worden, also nicht als eigenständige Krankheit anerkannt. Im Jahr 2007 wurde eine Aufnahme der Diagnose in das DSM-IV abgelehnt, steht aber aktuell wieder zur Debatte. Wird ein Suchtverhalten mit Bezug auf das Internet als Impulskontrollstörung diagnostiziert, so liegt eine anerkannte Diagnose nach der ICD-10 (F63.8 - Sonstige abnorme Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle) vor. Hingenommen werden muss dabei, dass in diese Kategorie auch Krankheitsbilder wie pathologische Brandstiftung oder Trichotillomanie (Haareausreißen) fallen.22 Eine ICD-10-konforme Diagnose gewährleistet zumindest, dass die Übernahme der Kosten für eine Therapie durch die Träger der Krankenversicherung oder der Rentenversicherungsträger (bei Rehabilitation) möglich ist.23 22 Petersen, S., Internetsucht, S. 10 23 Pfeiffer/Primus/Götzl, MMORPGs 360°, S. 263; Petry, PC- und Internetgebrauch, S. 135 f. 14 1.5 Online-Abhängigkeit als eigenständige Krankheit? Gesicherte Erkenntnis ist, dass pathologische Internetnutzung sehr häufig mit anderen psychischen Krankheitsbildern auftritt.24 Zu diesen gehören unter anderem Depressionen, posttraumatische Belastungsstörungen, Angststörungen, dissoziative Identitätsstörungen, Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Störungen (ADHS) oder Selbstmordgedanken.25 Diese Zusammenhänge lassen darauf schließen, dass die Internet-Abhängigkeit nur ein Trigger, also eine Art Schalter ist, der die bereits vorhandenen Störungen sichtbar werden lässt. Man kann die exzessive Internetnutzung aber auch als Selbstbehandlung, als Lösungsversuch eines neurotischen Konfliktes verstehen26. Der Betroffene versucht, im Internet seine Schwächen und Unsicherheiten zu überwinden und in die reale Welt zu übertragen. Allerdings verstärkt sich das Abhängigkeitsverhalten zunehmend und wird schließlich behandlungsbedürftig. Ob und in welcher Form die Online-Abhängigkeit konkret Eingang in die Klassifikationen ICD-10 und DSM-IV findet, wird sich zeigen müssen. Die wissenschaftlichen Fachleute sind sich aber einig darin, dass es weiterer repräsentativer Längsschnittstudien bedarf, um Zusammenhänge zwischen psychischen Erkrankungen und pathologischem Internetgebrauch zu erkennen27. Erst so lässt sich untersuchen, welche Problemkreise die Ursache und welche die Auswirkungen sind. Des weiteren ist es unerlässlich, die unterschiedlichen DiagnoseInstrumente zu vereinheitlichen, um die Ergebnisse von Untersuchungen vergleichbar zu machen und eine gesicherte Diagnose treffen zu können. Prävalenzraten zwischen unter 2% und bis zu 24 te Wildt in: Lober, Virtuelle Welten, S. 69; DHS, Stellungsnahme, S. 2; Petersen, K.U. u.a., Pathologischer Internetgebrauch, S. 263; Widyanto/Griffiths, Internet addiction, S. 40; kritisch dazu: KFN, Computerspielabhängigkeit im Kindes- und Jugendalter, S. 28 f. 25 Schuhler, Pathologischer PC/Internet-Gebrauch, S. 36 26 te Wildt in: Lober, Virtuelle Welten, S. 70 27 Petersen, K.U. u.a., Pathologischer Internetgebrauch, S. 267; Seif, OnlineComputerspiele, S. 169 15 1. Die Geschichte der Online-Abhängigkeit 15% sind im jedem Fall besorgniserregend, das genaue Ausmaß der Problematik lässt sich aber derzeit nicht hinreichend genau abschätzen. Schließlich halte ich es für erforderlich, dass die mit Vorsorge, Behandlung und Therapie betrauten Fachkräfte an die recht neue Situation herangeführt und entsprechend aus- bzw. fortgebildet werFor the uninformed, it's easy den. Gerade exzessive MMORPGto dismiss the idea of Internet addiction. Spieler leben meist in ihrer eigenen Welt, der Therapeut muss dafür Kimb erly S. Young Verständnis aufbringen und ein gewisses Grundwissen über Spielmechanik, „Szene-Jargon“ und psychologische Wirkungsweise der Spiel-Elemente besitzen. Er muss zumindest im Ansatz die gleiche Sprache sprechen wie der Betroffene. Gleiches gilt für Angehörige, Partner und Freunde, die den Betroffenen unterstützen möchten. Youngs Aussage von 1998 hat leider bis heute ihre Gültigkeit behalten.28 Die virtuelle Welt ist komplex und unterliegt einem ständigen Wandel. Insbesondere Psychologen und Pädagogen müssen mit dieser Entwicklung Schritt halten, damit Prävention und Behandlung wirksam durchgeführt werden können. 28 Young, K.S., Caught in the net, S. 9 16 2. Wie Sucht entsteht und wie sie wirkt 2. Wie Sucht entsteht und wie sie wirkt 2.1 Sucht und Abhängigkeit Der Begriff „Sucht“ geht auf das germanische Wort „siech“ zurück, was „Krankheit“ bedeutet; die deutschen Wörter „Seuche“ und „Siechtum“ sowie das englische „sick“ (=krank“) gehören zum gleichen Wortstamm.29 Auch wenn es gern wortspielerisch heißt: „hinter jeder Sucht steckt eine Suche“30, haben diese beiden Begriffe sprachgeschichtlich jedoch nichts miteinander zu tun. Nicht selten aber ist Sucht zugleich Flucht. Die Weltgesundheitsorganisation WHO verwendete den Terminus „Sucht“ bis 1964 und ersetzte ihn dann durch „Missbrauch“ und „Abhängigkeit“. Anfangs war Sucht die periodische oder chronische Vergiftung durch Drogen, die für die Gesellschaft und den Einzelnen schädlich ist. Kennzeichen für eine solche Sucht waren das unbezwingbare Verlangen, den Konsum fortzusetzen, eine Neigung, die Dosis zu erhöhen sowie psychische und/oder physische Abhängigkeit. Sucht war ausschließlich auf rauscherzeugende Substanzen beschränkt.31 1968 wurde durch eine Entscheidung des Bundessozialgerichts auch die Alkoholabhängigkeit endgültig als Suchterkrankung anerkannt.32 Maßgebend war für das Gericht nicht, dass eine solche Krankheit zwingend körperliche oder psychische Folgeerscheinungen oder eine chronische Alkoholvergiftung erfordere. Entscheidend sei die körperliche sowie psychische Abhängigkeit vom Alkohol, „welche es dem süchtigen Trinker in den meisten Fällen nicht mehr erlaube, mit eigener Willensanstrengung vom Alkohol loszukommen“. Dieser Verlust der Selbstkontrolle erfordere eine ärztliche Behandlung, die die gesetzliche Krankenversicherung zu übernehmen habe. 29 30 31 32 Pfeiffer/Primus/Götzl, MMORPGs 360°, S. 256; Lober, Virtuelle Welten, S. 44 Hirschhausen, Glück, S. 217 Sting/Blum, Soziale Arbeit, S. 27 Bundessozialgericht, Urteil vom 18. Juni 1968, Aktenzeichen 3 RK 63/66 17 2. Wie Sucht entsteht und wie sie wirkt Aktuell sind stoffgebundene Abhängigkeitserkrankungen in der ICD-10 in den Kategorien F10 bis F19 klassifiziert, wobei diese jeweils eine ganze Familie von Substanzen umfassen (z.B. F11 – Cannabinoide, F16 – Halluzinogene). Die konkrete Ausprägung wird durch einen Nachsatz der Form .0 bis .9 ausgedrückt. Diese Ausprägungen reichen vom akuten Rausch über schädlichen Gebrauch bis zu Abhängigkeit und den (Spät-)Folgen des Konsums. Stoffungebundene Abhängigkeitsstörungen werden in den medizinischen Klassifikationen nicht unter der Kategorie „Sucht“, sondern in der Regel als Impulskontrollstörungen eingestuft (ICD-10: F63, DSM-IV: 312.3x). Bis auf pathologisches (Glücks-)Spiel sind die verschiedenen Formen von Verhaltenssüchten nicht konkret aufgelistet, sondern werden unter einer Auffangposition „Störung der Impulskontrolle, nicht näher bezeichnet“ einsortiert. Wenngleich der Begriff „Sucht“ negativ besetzt ist und in der Wissenschaft der Ausdruck „Abhängigkeit“ bevorzugt wird33, möchte ich beide Worte gleichbedeutend verwenden. Entscheidend ist für mich, dass der bisher nicht abschließend erforschte Problembereich „Online-Abhängigkeit“ oftmals behandlungsbedürftig ist. Um den Betroffenen diese Behandlung zu kommen zu lassen, ist es meiner Ansicht nach wichtiger, das Phänomen als Krankheit zu akzeptieren als sich über Begrifflichkeiten zu streiten. Wenn ich den Begriff „Internetsucht“ oder „Online-Abhängigkeit“ verwende, ist damit nichts über Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge gesagt.34 Welchen Anteil verborgene Verhaltens- oder Persönlichkeitsstörungen an dem Gesamtbild haben und inwieweit es auf das Medium „Internet“ zurückzuführen ist, ist Gegenstand der Forschung. Als Praktiker und mittelbar Betroffener betrachte ich die individuellen Wege in die Sucht und die konkreten Auswirkungen des Suchtverhaltens im sozialen Leben von Abhängigen. 33 Pfeiffer/Primus/Götzl, MMORPGs 360°, S. 259 f. 34 so auch Hahn/Jerusalem, Reliabilität und Validität, S. 167 18 2.2 Belohnungszentrum und Dopamin 2.2 Belohnungszentrum und Dopamin Vor über einem halben Jahrhundert sche Psychologen, James Olds und Ratten durch. Sie verabreichten den Gehirn kleine Stromstöße. Die Ratten ße sehr aggressiv und gereizt. führten zwei US-amerikaniPeter Milner, Versuche mit Tieren über Elektroden am reagierten auf die Stromstö- Bei einem Versuchsdurchlauf brachten die Wissenschaftler jedoch die Elektroden versehentlich an einer falschen Stelle an. Statt in Wut zu verfallen verspürten die Ratten Zufriedenheit, schauten sich um und schnüffelten. Olds und Milner bauten daraufhin eine Konstruktion mit einem Schalter, den die Ratte selbst betätigen konnten, um sich die Stromstöße zu verabreichen. Die Ratten betätigten den Schalter immer wieder, mehrere Tausend Anschläge pro Stunde wurden gemessen, die Ratten setzten ihr Verhalten über Stunden bis zur totalen Erschöpfung fort. Die Tiere überquerten sogar elektrisch geladene Gitter und nahmen die damit verbundenen Schmerzen in Kauf. Sie verweigerten die Nahrungsaufnahme und paarten sich nicht mehr, weil sie unablässig den Schalter drückten, um die Stromstöße genießen zu können. Das sogenannte „Belohnungssystem“ oder „Belohnungszentrum“ wird fachlich als mesolimbisches System bezeichnet. Es ist für positive Gefühle wie Freude zuständig. Es wird vermutet, dass sich das Belohnungssystem im Laufe der Evolution entwickelt hat, um das Überleben des Individuums sicherzustellen und damit Fortpflanzung und Arterhaltung zu gewährleisten. Das mesolimbische System fördert die Motivation und spielt eine wichtige Rolle in Lernprozessen. Wenn der Mensch Aktivitäten nachgeht, die der Arterhaltung dienen (z.B. Nahrungsaufnahme oder Sexualität) wird Dopamin ausgeschüttet. Dopamin ist ein Neurotransmitter, ein Botenstoff, der maßgeblich daran beteiligt ist, positive Gefühle zu erzeugen. Über 19 2. Wie Sucht entsteht und wie sie wirkt die mesolimbische Bahn gelangt Dopamin in den Nucleus accumbens, wo es auf Rezeptoren trifft. Die mesolimbische Bahn besitzt Angriffspunkte für verschiedene Suchtstoffe, die die Dopaminausschüttung direkt beeinflussen können. Über eine solche Manipulation lassen sich positive Empfindungen künstlich erzeugen. Das Gehirn unterscheidet dabei nicht, ob die Wirkung auf dem wiederholten externen Konsum von Drogen oder auf exzessivem Verhalten beruht, beides kann zu Abhängigkeit führen.35 Präfrontaler Kortex m oli m bis c he m pa Do n ah in b Nucleus accumbens es Abbildung 2: Belohnungssystem Das System achtet auf Veränderungen und vergleicht die Erwartungen mit den tatsächlichen Ereignissen. Ist ein Erlebnis besser als erwartet, so feuern die Dopaminneuronen und ein Belohnungsgefühl wird erzeugt. Entspricht das Ereignis der Erwartung, so bleibt das System ruhig. Wird eine Erwartung aber enttäuscht, so geht die Feuerrate der Neuronen zurück. Es entsteht ein Gefühl von Leere, die ausgefüllt werden will. 35 Grüsser u.a., Exzessive Computernutzung im Kindesalter, S. 190; KFN, Computerspielabhängigkeit im Kindes- und Jugendalter, S. 9 20 2.2 Belohnungszentrum und Dopamin Da das Belohnungssystem wohl das Überleben und die Arterhaltung sichern soll, ist es nicht darauf ausgelegt, ständig positive Gefühle zu erzeugen. Es verfügt über eine Ausgleichsfunktion. Nur dann, wenn das System in der Balance ist, kann der Mensch durch die Erinnerung an positive Empfindungen Motivation und Antrieb entwickeln und nach entsprechenden Handlungen die „Belohnung“ durch Dopaminausschüttung erhalten. Wird das Belohnungssystem ständig gereizt, so entwickelt es eine Art Resistenz, um den Gleichgewichtszustand wieder herzustellen. Eine ständige Dopaminausschüttung führt also dazu, dass die Schwelle zu positiven Gefühlen erhöht wird. Um solche Gefühle weiterhin zu erleben, muss mehr Dopamin ausgeschüttet werden. Dies ist der Punkt, wo Sucht das Belohnungssystem korrumpiert. Durch fortgesetzten Konsum des Suchtmittels entwickelt das Gehirn eine Toleranz, die Dosis des Mittels muss immer weiter gesteigert werden, Der Mensch kann zwar um überhaupt noch wirken zu können. tun, was er will, aber er kann nicht wollen, was Durch die erhöhte Reizschwelle und daer will. mit höhere Erwartungen entsteht bei Abstinenz ein Vakuum, eine Leere. Die Arthur Schopenhauer durch die Resistenz erhöhte Reizschwelle wird ohne das Suchtmittel unterschritten. Was vor der Sucht der Normalzustand, das Gleichgewicht war, ist nun ein Zustand von negativen Empfindungen.36 Wenn das System an seine Grenzen stößt, weil auch extremer Konsum die Reizschwelle nicht mehr überschreiten kann, sind positive Empfindungen nicht mehr möglich. Der Abhängige verfällt in Anhedonie, wo er nicht mehr in der Lage ist, Glück, Freude oder Vergnügen zu erleben. Das Suchtmittel kann nur noch dabei helfen, die negativen Empfindungen einigermaßen erträglich zu machen. 36 Mücken, Computerspielsucht, S. 32 21 2. Wie Sucht entsteht und wie sie wirkt Nutzen In der Wirtschaftslehre kennt man diesen Sättigungseffekt unter dem Begriff „abnehmender Grenznutzen“ oder „erstes Gossensches Gesetz“. Je mehr man konsumiert, desto weniger Zusatznutzen erzeugt eine einzelne Konsumeinheit. Bildlich dargestellt: wer einen Apfel hat, freut sich vielleicht über einen zweiten, wer aber schon 99 Äpfel besitzt, dem wird der 100. Apfel nur noch äußerst wenig oder gar keinen Zusatznutzen mehr bringen. Konsummenge Abbildung 3: Abnehmender Grenznutzen Der präfrontale Kortex gilt als rationales Kontrollzentrum des Gehirns, wo Sinneseindrücke verarbeitet und mit Erinnerungen und Gefühlen verknüpft werden. Aus dieser Verbindung entwickelt der präfrontale Kortex Handlungsmöglichkeiten. Die Ausschüttung von Dopamin beeinflusst über die mesokortikale Bahn die Prozesse im präfrontalen Kortex. Dopamin ist erforderlich für Motivation und Wahrnehmung sowie Prozesse wie Lernen, Planung und Entscheidung. Es wird vermutet, dass ein verschobener Dopaminhaushalt im Gehirn zur Entstehung von Schizophrenie beitragen kann („Dopaminhypothese“). Das Belohnungssystem ist einer der ältesten Bereiche des menschlichen Gehirns, es diente ursprünglich allein dem Überleben, der Fortpflanzung und Arterhaltung. Erst später entwickelte sich das Gehirn weiter und errichtete im präfrontalen Kortex das rationale Steuerungszentrum über die uralten Triebe. 22 2.2 Belohnungszentrum und Dopamin Suchtverhalten stört die Funktionsfähigkeit des präfrontalen Kortex, das rationale Denken und Handeln wird durchkreuzt und von der Sucht dominiert. Der Abhängige verliert die Kontrolle über sein Handeln und richtet sein Verhalten auf den weiteren Konsum aus. Selbst schädliche Folgen werden ignoriert, weil die Regulation durch rationale Erwägungen nicht mehr funktioniert. Auch die Motivationsbildung und das Erinnerungsvermögen werden gestört, wenn die Funktionsfähigkeit des präfrontalen Kortex beeinträchtigt ist. Ein gewisses Maß von Anhedonie zu entwickeln ist natürlich und Teil des menschlichen Lern- und Reifungsprozesses. In der Kindheit sind wir in der Lage, uns über Kleinigkeiten zu freuen. Diese Freude erzeugt Motivation und fördert das Lernen. Mit der Zeit flacht diese Freude ab. Wer als Kind noch über bunte Schmetterlinge gestaunt hat, wird dies im Erwachsenenalter nicht mehr in gleichem Ausmaß tun. Anhedonie lässt sich aber durch ständige Reizüberflutung und Stress beschleunigen. In einer modernen Zeit, wo Informationen umfassend und ständig verfügbar sind, ist es schwieriger, sich über etwas zu wundern, zu staunen, Neugier zu entwickeln und die Welt eigenständig zu entdecken. Wir verfügen heute über eine nahezu unbegrenzte Vielfalt an Freizeitgestaltungsmöglichkeiten, dennoch war die menschliche Gesellschaft nie zuvor derart freudlos. So lässt sich erklären, warum Menschen heute zu Suchtverhalten oder zum Teil selbstgefährdende Handlungen wie Extremsportarten neigen. Unzufriedenheit ist ein natürlicher Brutplatz für Süchte.37 2.3 Vom Hobby zur Sucht Computerspiele und das Internet sind faszinierende moderne Phänomene. In den letzten 25 Jahren haben sich die technischen Möglichkeiten rasant entwickelt, wo damals noch grobe Klötze mit wenigen Farben über den Bildschirm flackerten, werden heute in Spielen realistische und komplexe Welten erzeugt, die mit gesto37 Young, K.S., Caught in the net, S. 30 23 2. Wie Sucht entsteht und wie sie wirkt chen scharfer Grafik, Orchestersound und glasklarer Sprachausgabe aufwarten. Die Bedienung wird immer interaktiver über Lenkräder, bewegungsempfindliche Controller und allerlei anderes Zubehör. Die schnellen Datenverbindungen ermöglichen Interaktion und Kommunikation mit Millionen Spielern um den Globus herum. Im Netz finden sich massenhaft Informations- und Unterhaltungsangebote. Über Web-2.0-Anwendungen wie Blogs, Wikis, soziale Netzwerke oder Internet-Foren kann jeder an der weltweiten Gemeinschaft teilhaben und seine Erfahrungen, Erlebnisse und Kenntnisse teilen. Es lässt sich nicht verleugnen, dass die heutige Technik unsere Lebensqualität enorm gesteigert hat. Wer Informationen sucht, findet sie in Sekundenbruchteilen konsumentenfreundlich aufbereitet und muss nicht lange in Bibliotheken suchen. Information ist jederzeit verfügbar, untereinander verknüpft, unglaublich aktuell und oft kostenfrei. Wir haben alle Möglichkeiten, neue Kontakte zu knüpfen oder alte Kontakte trotz räumlicher Distanz zu pflegen. Für so gut wie jedes menschliche Interesse gibt es im Netz Gleichgesinnte, mit denen wir uns austauschen können. Wer sonst in seinem sozialen Umfeld als „Exot“ belächelt worden wäre, kann seine Vorlieben nun mit anderen teilen. Der rasante Wachstum der technischen Möglichkeiten scheint uns aber manchmal zu überfordern. Innerhalb von nur fünf Jahren hat das Internet 50 Millionen Nutzer erreicht; das Radio brauchte dafür etwa 40 Jahre, das Fernsehen 13 Jahre.38 Die gewaltige Flut an Informationen, Unterhaltungsmöglichkeiten und Gelegenheiten zum Austausch mit anderen Nutzern kann schnell zu Stress führen und lähmen. Neugier und Entdeckungsfreude sind natürliche menschliche Eigenschaften. Ebenso ist es das Spiel. In der Kindheit lernen wir durch Spiele grundlegende und notwendige Fähigkeiten wie Spra38 Ridder, Onlinenutzung in Deutschland, S. 121 24 2.3 Vom Hobby zur Sucht che, logisches Kombinieren, Zusammenhänge von Aktion und Reaktion sowie Motorik. Spielen ist daher äußerst nützlich, notwendig und nicht ohne Grund im Menschen und höheren Tierarten angelegt. Auch Erwachsene spielen. Wichtiges Merkmal für das Verständnis des Begriffs „Spiel“ ist die Zweckfreiheit. Ein Spiel verfolgt keinen bestimmten Zweck, sondern es wird um seiner Selbst gespielt. Ferner Der Mensch spielt nur, wo er erfolgt beim Spiel ein Wechsel des in voller Bedeutung des Realitätsbezuges. Gegenstände, Wortes Mensch ist, und er ist Handlungen und Personen können nur Mensch, wo er spielt. abweichend von der Realität andeFriedrich Schiller re Bedeutungen erhalten. Das Spiel ist dabei meist auf Gegenstände bezogen, z.B. Spielzeug, Sportgeräte oder Brettspiele. Ferner weisen Spiele etwas Regelhaftes auf und zeichnen sich durch festgelegte Abläufe und Wiederholungen aus.39 So verstanden hat es uns das Spielen erst ermöglicht, eine gesellschaftliche Kultur zu entwickeln. Dichtung, Musik, das Recht, Wissenschaft und andere Bereiche gehen auf die menschliche Lust und Fähigkeit zum Spielen zurück. 40 Spielen ist also nützlich und völlig natürlich. Es hilft uns beim Lernen wichtiger Fähig- und Fertigkeiten, es dient zur Zerstreuung und Ablenkung und fördert soziale Kontakte zu anderen Menschen. Problematisch wird es dann, wenn das spielerische Verhalten außer Kontrolle gerät und das Spiel andere Lebensbereiche dominiert. Viele menschliche Verhaltensweisen können ein schönes Hobby oder eine Leidenschaft sein. Vernünftigerweise wägen wir bei unseren Handlungen immer das Kosten-Nutzen-Verhältnis ab. Wie viel Energie, Kraft und Zeit erfordert eine Handlung und welchen Nutzen, welchen Lustgewinn kann man erzielen? 39 siehe dazu auch Petry, PC- und Internetgebrauch, S. 45 f. 40 Petry, PC- und Internetgebrauch, S. 51 f. 25 2. Wie Sucht entsteht und wie sie wirkt Angewohnheit (habit) Vorliebe (preference) Neigung (like) Besessenheit (obsession) Sucht (addiction) Abbildung 4: Suchtkreislauf41 Der Übergang vom unbedenklichen Hobby zur Verhaltenssucht verläuft fließend und unauffällig. Dem Betroffenen und seiner Umwelt wird dieser schleichende Prozess nicht sofort bewusst. Das Bezugsobjekt, das Suchtmittel erhält einen immer höheren Stellenwert, demgegenüber werden andere Lebensinhalte in ihrer Wertigkeit zurückgestuft. Irgendwann kippt das Kosten-Nutzen-Verhältnis ins Negative, ein deutliches Kriterium für das finale Stadium des pathologischen Internetgebrauchs.42 Der Betroffene ist dann aber bereits so gefangen, dass er dies in Kauf nimmt und nach Rechtfertigungen für sein fortgesetztes Verhalten sucht. Die Selbstwahrnehmung der Abhängigen unterscheidet sich je nach Stadium deutlich. Viele Internetnutzer, die deutliche Anzeichen eines pathologischen Gebrauchs zeigen, leugnen und bagatellisieren die Problematik. Auch deutliche negative Folgen werden verharmlost, das Suchtverhalten gerechtfertigt. Zum Teil wird vehement bestritten, dass es Online-Abhängigkeit überhaupt geben kann. Allerdings wird dies zum Teil verständlich, wenn man berücksichtigt, wie leidenschaftliche Computerspieler in der öffentlichen Dis41 Darstellung angelehnt an: Johnson, Mutiplicities, S. 128 42 Six/Gimmler/Schröder in: Renner/Schütz/Machilek, Internet und Persönlichkeit, S. 227 26 2.3 Vom Hobby zur Sucht kussion teilweise angeprangert werden.43 Insbesondere die zum Teil unsachliche und oberflächliche Debatte um sogenannte „Killerspiele“ und deren Verbot hat die Fronten zwischen Spielern und den Verantwortlichen aus Politik und Wissenschaft verhärtet. Viele Spieler vermuten hinter jedem neuen Diskussionsansatz einen weiteren Versuch, ihr Hobby zu dämonisieren und sie pauschal als aggressive, gewalttätige Menschen darzustellen. Dabei gibt es bislang keine belastbaren Nachweise über Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge zwischen der Nutzung bestimmter Spielinhalte und der Entwicklung aggressiven Verhaltens. Andere Nutzer haben eine erstaunliche Einsichtsfähigkeit und ein Problembewusstsein entwickelt. Sie erkennen die Aussichtslosigkeit ihrer Situation, möchten etwas ändern und suchen Rat und Hilfe. Bemerkenswert ist hierbei, dass sich diese Personen selbst als „süchtig“ oder „abhängig“ bezeichnen und andere vor den Gefahren warnen, obwohl sie selbst noch unter dem Einfluss ihrer Abhängigkeit stehen. Bei der Beurteilung des Nutzungsverhaltens als Abhängigkeit einer Person muss das Alter und der Entwicklungsstand berücksichtigt werden. Die bisher vorliegenden Studien weisen darauf hin, dass überwiegend Jugendliche einen problematischen Internetgebrauch aufweisen. Dies kann jedoch ein Teil der Persönlichkeitsentwicklung sein, Heranwachsende zeigen prinzipiell abweichende Verhaltensweisen. Sofern der Internetgebrauch keine deutlichen Anzeichen für eine pathologische und behandlungsbedürftige Dimension zeigt und die negativen Konsequenzen nicht ausufern, muss davon ausgegangen werden, dass das Verhalten keine dauerhafte Störung, sondern nur ein vorübergehendes Problem ist.44 2.4 Wege in die Sucht Die Ursachen für Sucht und insbesondere Online-Abhängigkeit sind komplex und vielschichtig. Ein einfaches Ursache-Wirkungs43 vgl. Pfeiffer/Primus/Götzl, MMORPGs 360°, S. 240 ff. 44 Petry, PC- und Internetgebrauch, S. 89 f. 27 2. Wie Sucht entsteht und wie sie wirkt Gefüge lässt sich nicht aufstellen.45 Weder kann gesagt werden, dass nur Personen mit bestimmten Charaktereigenschaft suchtgefährdet sind, noch dass bestimmte Suchtstoffe automatisch in die Sucht führen. Vielmehr wird der Weg in die Abhängigkeit durch persönliche und soziale Faktoren sowie die Eigenschaften des Suchtmittels bestimmt. Diese drei Elemente stehen in komplexen Wechselbeziehungen zueinander. Auf die Suchtpotenziale der verschiedenen Online-Nutzungsmöglichkeiten und insbesondere der Spiele wird in Kapitel 4 (Seite 42) und Kapitel 5 (Seite 45) näher eingegangen. Persönlichkeit Disposition Entwicklung Gebrauch Missbrauch Abhängigkeit Suchtmittel Angebot Wirkungen Umwelt Sozialfeld Gesellschaft Abbildung 5: Suchtfaktoren Die Faktoren lassen sich bei der Online-Abhängigkeit nicht trennscharf abgrenzen. Während bei klassischen Suchtmitteln die Unterscheidung zwischen „Droge“ und „Umwelt“ recht einfach ist, muss bei Internet-Nutzung beachtet werden, dass die Umwelt, die Gesellschaft ein Teil der virtuellen Welt und damit des Suchtmittels selbst ist. 45 Petry, PC- und Internetgebrauch, S. 97, Petersen, S., Internetsucht, S. 14; Grünbichler, Lost in Cyberspace?, S. 45 28 2.4 Wege in die Sucht An dieser Stelle soll betont werden, dass kein Mensch seine Sucht freiwillig auswählt, sondern selbst zum Opfer wird. Statt einem Abhängigen Vorwürfe zu machen, sollte ihm Verständnis entgegen gebracht und Hilfe angeboten werden. Abhängigkeit in jeder Form ist ein Leiden, das den Betroffenen und ihm nahestehende Menschen belastet. Suchtfaktor Persönlichkeit Wie bereits dargestellt ist Online-Abhängigkeit in der Regel ein Hinweis auf bereits vorhandene psychische Störungen (siehe Kap. 1.5, S. 15). Die Persönlichkeit des Betroffenen selbst ist bei der Suchtneigung ein wichtiger Faktor. Gewisse Eigenschaften und Fähigkeiten können die Gefahr, in Abhängigkeit zu verfallen, erhöhen oder reduzieren. Viele Menschen, nicht nur Online-Abhängige, nutzen das Netz als Möglichkeit, dem Alltag zu entfliehen und zu entspannen. Das ist grundsätzlich unbedenklich, denn diese Funktion erfüllen alle menschlichen Hobbys und Freizeitaktivitäten. Unterhaltung und Zerstreuung sind für den inneren Ausgleich sehr wichtig. Bedenklich wird es dann, wenn das Netz zunehmend als Zufluchtsort genutzt wird, um dauerhaft den realweltlichen Problemen entgehen zu wollen.46 Dies lässt auf unzureichende Copingstrategien schließen. Der Versuch, Schwierigkeiten dauerhaft zu verdrängen statt sie zu lösen, kann natürlich nicht funktionieren. Wenn die übermäßige Internetnutzung zu weiteren Problemen führt, beginnt ein gefährlicher Spiraleffekt.47 Die negativen Konsequenzen im Alltag werden durch zunehmende Internetnutzung weiter verdrängt, die Flucht wird zur Sucht und verfestigt sich immer mehr. Das Suchtverhalten wiederum erzeugt beim Betroffenen ein Gefühl von schlechtem Gewissen und Reue, das jedoch nicht an- 46 Mücken, Computerspielsucht, S. 18 47 Six/Gimmler/Schröder in: Renner/Schütz/Machilek, Internet und Persönlichkeit, S. 226 29 2. Wie Sucht entsteht und wie sie wirkt gemessen verarbeitet, sondern durch weitere Internetnutzung wieder nur verdrängt wird.48 Eng mit diesem Aspekt verknüpft ist der Erklärungsansatz, dass Online-Abhängige das Netz als Möglichkeit der Selbstbehandlung nutzen.49 Vorhandene Unsicherheiten und mangelnde soziale Kompetenzen sollen im Internet überwunden werden, um die Erlebnisse und Erfahrungen dann auf das reale Leben zu übertragen. Allerdings führt der übermäßige Internetgebrauch zur Verkümmerung sozialer und emotionaler Ressourcen, so dass dieser Versuch der Selbstbehandlung ebenfalls zum Scheitern verurteilt ist. Die noch vorhandenen Ansätze angemessener Copingstrategien werden nicht mehr genutzt und zunehmend verlernt.50 Bedeutenden Einfluss auf die Entwicklung einer Abhängigkeit haben sogenannte fehlangepasste Kognitionen, also die Wahrnehmung und Informationsverarbeitung. Diese fehlgeleiteten Kognitionen kann man unterscheiden in das Denken über sich selbst und das Denken über die Umwelt.51 Solche Störungen können zu Selbstzweifeln und einem geringen Selbstwertgefühl führen. Ferner werden Erfahrungen verallgemeinert, der Betroffene glaubt, das Internet sei der einzige Ort, wo er respektiert und anerkannt wird. Bei der Mehrzahl der Online-Abhängigen wurden Depressionen festgestellt.52 Das Internet dient somit einerseits als Zufluchtsort, um realweltliche Probleme und Konfrontationen ausblenden zu können. Andererseits suchen Abhängige im Netz nach Erfahrungen, die sie im „Real Life“ nicht bekommen, insbesondere nach Bestätigung, Anerkennung und Beachtung. Das Internet fungiert als Ersatzbefriedigung, um grundlegende menschliche Bedürfnisse zu bedienen. 48 49 50 51 Pfeiffer/Primus/Götzl, MMORPGs 360°, S. 289 te Wildt in: Lober, Virtuelle Welten, S. 70; Mücken, Computerspielsucht, S. 33 Mücken, Computerspielsucht, S. 30 Petersen, S., Internetsucht, S. 43, Six/Gimmler/Schröder in: Renner/Schütz/Machilek, Internet und Persönlichkeit, S. 225 52 Petersen, K.U. u.a., Zwischenbericht an das BMG, S. 11 30 2.4 Wege in die Sucht Suchtfaktor Umwelt Dieser Faktor ist bei der Online-Abhängigkeit besonders interessant, weil hier zwei Dimensionen zu betrachten sind. Zum einen hat der Betroffene eine realweltliche Umwelt, zum anderen seine Sozialbeziehungen im Internet. Beide Fraktionen sind bemüht, den Betroffenen auf die jeweilige Seite zu ziehen, wodurch ein Spannungsgefüge entsteht. Die realweltlichen Kontakte zu Angehörigen, Freunden, Partnern, Kollegen und der Familie tragen zum Teil mit zur Suchtentwicklung bei. Auseinandersetzungen und Konflikte mit diesen Personen werden oftmals nicht angemessen bewältigt und nachhaltig gelöst. Bekommt der Betroffene von seinem sozialen Umfeld nicht die gewünschte Aufmerksamkeit und Anerkennung, so kann er in die Versuchung kommen, diese im Netz zu suchen. Die Umwelt im „Real Life“ sieht den Betroffenen zunehmend in der virtuellen Welt verschwinden. Menschen, die dem Betroffenen nahestehen, versuchen ihn zu anderen Aktivitäten zu motivieren. Meist hat sich dann aber schon ein soweit fortgeschrittenes Suchtverhalten entwickelt, dass der Betroffene eher zu Unternehmungen in der virtuellen Welt neigt. Die Fluchttendenzen werden noch verstärkt, wenn sich die negativen Folgen des übermäßigen Internetgebrauchs zeigen und der Betroffene von seinem Umfeld darauf hingewiesen wird. Auf der anderen Seite steht die „Peergroup“ im Netz, die soziale Gruppe anderer, gleichgesinnter Nutzer. Diesen gegenüber fühlt sich der Betroffene verpflichtet. Lange Offline-Zeiten müssen vor den Internetkontakten gerechtfertigt werden, insbesondere OnlineSpieler sind einem hohen Erwartungsdruck ausgesetzt, an den Aktivitäten der Gruppe im Spiel regelmäßig teilzunehmen und ihren Beitrag zum Gruppenerfolg zu leisten. Je weiter sich ein Betroffener von der realen Welt entfremdet und in die virtuelle Welt abtaucht, desto mehr vernachlässigt er die Gemeinsamkeiten mit seinem realweltlichen Umfeld. Frühere Hobbys 31 2. Wie Sucht entsteht und wie sie wirkt und Interessen werden aufgegeben und damit Ansatzpunkte zur Kommunikation mit den realen Bezugspersonen. Wenn das Internet zum dominierenden Lebensinhalt wird, kann der Betroffene bald nur noch mit seinen Kontakten im Netz über seine Interessen sprechen, was zu weiterer Entfremdung vom „Real Life“ führt. Suchtfaktor Suchtmittel Auch wenn Online-Abhängigkeit in verschiedenen Formen auftritt, so lassen sich dennoch Gemeinsamkeiten entdecken, die bei allen Formen das Suchtpotenzial bestimmen. Ein wesentliches Merkmal aller Internetangebote ist die Eigenschaft, ständig verfügbar zu sein und sich kontinuierlich fortzuentwickeln. Ob Chat, soziales Netzwerk oder Online-Spiel, die virtuelle Welt schreitet voran, auch wenn der Nutzer nicht online ist. Daraus ergibt sich ein gewisser Druck, denn der Abhängige muss immer mit der Angst leben, etwas zu verpassen.53 Diesem Druck nachzugeben wird immer einfacher. Universitäten bieten zum Teil kostenlose Internetzugänge, mobiles Internet ist mittlerweile sehr preisgünstig und Internetcafés stehen zueinander im Wettbewerb. Wer will, kann nahezu jederzeit und überall online gehen. Dies führt zu einem weiteren Merkmal, den Kommunikationsmöglichkeiten im Netz. Je weiter die realweltlichen Kontakte zurückgefahren werden, umso wichtiger werden die Online-Beziehungen. Dies weist auf eine seltsame Tendenz hin: zwischenmenschliche Kontakte werden immer seltener, viele Dinge des täglichen Lebens erledigen wir per Computer oder an Automaten. Das menschliche Grundbedürfnis nach sozialen Begegnungen besteht aber nach wie vor. Um dieses zu befriedigen, nutzen wir wiederum Maschinen und suchen nach Kontakten im Netz. Dies hat allerdings zur Folge, dass der Umgang mit Menschen im „Real Life“ noch weiter reduziert wird. 53 Grünbichler, Lost in Cyberspace?, S. 54 32 2.4 Wege in die Sucht Bittere Ironie dieser Entwicklung ist, dass internetsüchtige Menschen einsamer sind als die Nicht-Süchtigen. 54 Dieses Phänomen ist als „Internet Paradoxon“ bekannt geworden. Die vielfältigen Kommunikationsmöglichkeiten des Internets führen nicht, wie man erwarten sollte, zu sozialer Integration, sondern im Gegenteil zu Ausgrenzung, Einsamkeit und zu zunehmenden Anzeichen von Depressionen.55 Viele Angebote im Netz sind kostenfrei nutzbar. In der Regel finanzieren sich die Angebote über Werbung, die Anbieter haben daher ein großes Interesse daran, die Zielgruppe zu locken und zu binden. Neben der Kostenfreiheit spielt daher eine große Rolle, dass die Angebote einfach zugänglich, optisch ansprechend und komfortabel zu bedienen sind. Dies macht es insbesondere neuen Nutzern leicht, ein Angebot zu verwenden. Und schließlich trägt die Vernetzung von Inhalten zum Suchtpotenzial bei. Das Internet ist nicht wie ein Film oder ein Buch linear und endlich, sondern diffus und verzweigt. So kann es geschehen, dass ein Nutzer auf der zielgerichteten Suche nach bestimmten Inhalten von „seinem Weg abkommt“ und unbemerkt Inhalte betrachtet, die er für sein Anliegen nicht benötigt und ursprünglich auch nicht ansteuern wollte. Zurückgeführt werden kann ein solches Verhalten auf die menschliche Neugier und die Unsicherheit.56 Eine neuartige, mehrdeutige und komplexe Umwelt erzeugt im Menschen Unsicherheit, die er dadurch zu reduzieren versucht, dass er seiner Neugier nachgibt und so viele Informationen wie möglich aufnimmt. Ich selbst habe oft die Erfahrung gemacht, dass die Informationssuche z.B. bei Wikipedia ausuferte und ich mich nach einer Weile in völlig anderen Themenbereichen wiederfand. Ähnliche Verlockungen findet man auf Videoportalen wie Youtube, wo automa54 Petersen, S., Internetsucht, S. 46; Grünbichler, Lost in Cyberspace?, S. 61; Spitzer, Vorsicht Bildschirm!, S. 228 55 Seif, Online-Computerspiele, S. 50 56 Petry, PC- und Internetgebrauch, S. 37 f. 33 2. Wie Sucht entsteht und wie sie wirkt tisch „ähnliche Videos“ angeboten werden. Sagt man sich anfangs „nur noch dieses eine Video“, so verliert man schnell das Zeitgefühl und es gibt keine Werbeunterbrechung, die es einem zurückgeben kann. Ein weiterer Punkt, der den Reiz des Internets ausmacht, ist die Anonymität sowie die Möglichkeit, sich hinter einer Art Maske zu verstecken. Niemand muss mehr Informationen über sich herausgeben als er möchte und jeder kann sich eine virtuelle Persönlichkeit zulegen, die seinem wahren Charakter nicht ansatzweise entsprechen muss. 2.5 Co-Abhängigkeit Unter Co-Abhängigkeit versteht man die Einbeziehung eines Angehörigen, Partners oder Freundes in das Suchtverhalten des Abhängigen. Abhängige leben zumindest bei Beginn der Sucht selten allein und isoliert, so dass auch andere Personen die Sucht miterleben und in die Problematik eingebunden sind. Den Angehörigen wurde lange Zeit zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Erst auf Initiative Helmut Kolitzus', Psychiater und Buchautor, erklärte die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen57 das Jahr 2000 zum „Jahr der Angehörigen Suchtkranker“.58 Co-Abhängigkeit verläuft ähnlich wie die eigentliche Sucht: sie beginnt schleichend, unbemerkt. Allmählich verfestigt sie sich, gräbt sich tiefer und tiefer, nimmt den Co-Abhängigen immer mehr gefangen. Sie aktiviert in ihm Kräfte, die er zuvor unentdeckt ließ und richtet alle Energie auf das Ziel aus: „Hilf dem Abhängigen! Opfere Dich dafür selbst, hilf ihm bis zur Selbstaufgabe!“. Der Co-Abhängige macht es zu seiner wichtigsten Angelegenheit, den Süchtigen zu unterstützen und ihm helfen zu wollen. Dadurch, dass er Verantwortung für einen anderen Menschen übernimmt, 57 gegründet als „Hauptarbeitsgemeinschaft zur Abwehr der Suchtgefahren“, zwischenzeitlich unter dem Namen „Deutsche Hauptstelle gegen Suchtgefahren“ aktiv 58 Kolitzus, Ich befreie mich, S. 9 34 2.5 Co-Abhängigkeit gibt er zugleich die Verantwortung für sich selbst ab. Der Abhängige dient dem Co-Abhängigen als Erklärung dafür, dass es ihm selbst schlecht geht. Wenn wir im Vertrauen auf die bisherigen Studien und Untersuchungen von Prävalenzraten bei Online-Abhängigkeit um zwei bis drei Prozent ausgehen, bedeutet dies zugleich, dass ein Großteil der Internetnutzer einen vernünftigen, zielgerichteten und kontrollierten Umgang mit dem Netz pflegt. Nicht erfasst sind aber die Zahlen der Co-Abhängigen. Jeder Süchtige zieht andere Menschen mit in seine Sucht. Co-Abhängigkeit verläuft in Phasen. In der ersten Phase ist der Co-Abhängige ein Bewahrer und Beschützer. Er unterstützt das Verhalten des Abhängigen, verteidigt es nach außen und hilft ihm, es zu verheimlichen, zu verharmlosen und zu rechtfertigen. Zudem fördert der Co-Abhängige das Ausleben der Sucht, indem er dem Abhängigen notwendige Aufgaben abnimmt. Insbesondere in einer Partnerschaft, aber auch im Eltern-Kind-Verhältnis zeigt sich dies dadurch, dass der Co-Abhängige die Arbeiten im Haushalt weitgehend allein erledigt und dem Abhängigen die Mahlzeiten an den Computer bringt. Der Angehörige bittet den Abhängigen immer wieder, das Suchtverhalten einzuschränken, wird aber regelmäßig enttäuscht. Er macht sich Vorwürfe, dass es ihm nicht gelingt, eine Besserung zu erreichen, die wiederholten Enttäuschungen mindern das Selbstwertgefühl des Co-Abhängigen. In einem späteren Stadium erkennt der Co-Abhängige, dass die Entwicklung der Sucht allmählich bedrohlich wird und die bisherigen Hilfsangebote fruchtlos waren. Er entwickelt Selbstzweifel und versucht, das Verhalten des Süchtigen zu kontrollieren. Der Abhängige wiederum beginnt auch dem Co-Abhängigen gegenüber, das Suchtverhalten zu verheimlichen, zu leugnen und über das wahre Ausmaß zu lügen. Das Verhältnis wird zunehmend angespannter und gereizter. Das Selbstwertgefühl des Co-Abhängigen wird maßgeblich vom aktuellen Suchtverhalten des Abhängigen 35 2. Wie Sucht entsteht und wie sie wirkt geprägt. Reduziert dieser sein Suchtverhalten, so steigert sich das Selbstwertgefühl des Angehörigen. In der Anklagephase wird dem Abhängigen die Schuld zugewiesen. Der Co-Abhängige macht nicht mehr sich selbst Vorwürfe. Die bisherigen Enttäuschungen münden in Ablehnung des Süchtigen und Distanzierung. Zunehmend treten Konflikte auf, der Co-Abhängige sucht Rat und Unterstützung bei Freunden und Bekannten. Es zeigt sich, dass Co-Abhängigkeit ebenfalls viele Merkmale einer Sucht aufweist.59 Auch als „Helfer-Syndrom“ umschrieben, ist es in gewisser Weise die Sucht, gebraucht zu werden, für den Abhängigen unentbehrlich zu sein. Ein Co-Abhängiger nimmt große Einschränkungen auf sich und vernachlässigt sich selbst, weil er sein Leben nach dem Süchtigen ausrichtet. Bis ein Co-Abhängiger sein Problem erkennt, hat er meist schon viel Kraft, Zeit und Energie geopfert. Und statt dem Süchtigen wirklich geholfen zu haben, hat er dessen Sucht verstärkt und gefördert. 59 Kolitzus, Ich befreie mich, S. 23 36 Glossar Glossar Ätiologie Ursachenlehre, Teil der Medizin, der sich mit Ursache-WirkungsZusammenhängen von Krankheiten befasst und erforscht, welche Ursachen kausal für welche Krankheit verantwortlich sind. Avatar Spielfigur in Computerspielen, der virtuelle Vertreter des Spielers. Buff Vorübergehende Verbesserung der Charakterwerte in MMORPGs durch Zauber. Chat Dt.: Plauderei, eine text-, sprach- oder videogestützte Anwendung zur Kommunikation zwischen Online-Nutzern. Chat-Anwendungen ermöglichen es, in Echtzeit mit anderen Personen zu kommunizieren. Viele Online-Spiele bieten ein in das Spiel integriertes ChatSystem, es gibt aber auch eigenständige Chat-Anwendungen, die zum Teil parallel zum Spiel verwendet werden. Clan Siehe Eintrag „Gilde“. Client Der Client (dt.: Kunde, Nutzer) ist ein Programm, das mit einem Server kommuniziert und bei diesem Dienste abruft und nutzt. Bei client-basierten Online-Spielen installiert der Spieler den Spiel-Client auf seinem heimischen Rechner und kann darüber die Spielfunktionen nutzen und mit anderen Spielern in Kontakt treten. 51 Glossar Coping Unter Coping (dt.: bewältigen, verkraften, überstehen) versteht man Bewältigungsstrategien, um mit negativen Erlebnissen oder Belastungen umgehen zu können. Copingstrategien lassen sich in adaptive, also auf die nachhaltige Lösung des Problems ausgerichtete und maladaptive, d.h. verdrängende und ablenkende Strategien unterscheiden. DSM-IV Das „Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders“ (dt.: Diagnostisches und statistisches Handbuch psychischer Störungen) ist eine von der American Psychiatric Association herausgegebene Klassifikation zur Einteilung psychischer Störungen. Zweck ist die Vereinheitlichung der Diagnosen und Erleichterung der Behandlung. Das DSM-IV kommt neben dem ICD-10 zum Einsatz, wobei aber zu bedenken ist, dass das DSM-IV ein rein US-amerikanisches Werk ist. Eine überarbeitete Fassung (DSM-5) soll im Mai 2013 veröffentlicht werden. Ursprünglich war sie für Mai 2012 angekündigt, wurde im Dezember 2009 aber um ein Jahr verschoben. Ego-Shooter Siehe Eintrag „First-Person-Shooter“. First-Person-Shooter Spielform, bei der der Spieler seine Spielfigur nicht sieht, sondern „durch ihre Augen“, also aus der Ich-Perspektive, die dreidimensionale Spielwelt betrachtet. Bei diesen Spielen steht die bewaffnete Auseinandersetzung mit anderen Spielern im Vordergrund. Ein anderer Begriff lautet „Ego-Shooter“. Als Untervariante legen TaktikShooter größeren Wert auf strategische Elemente wie die Abstimmung mit befreundeten Spielern. 52 Glossar Gilde Langfristig angelegte Zusammenschlüsse bzw. Vereinigungen von Spielern, die gemeinsam ein Spiel spielen und gegen andere Gilden antreten, um sich mit diesen zu messen. Der Begriff „Gilde“ wird überwiegend bei MMORPGs verwendet, bei First-Person-Shootern spricht man von Clans. Professionelle Gilden bzw. Clans sind als Personenvereinigungen registriert und nehmen an großen Wettbewerben wie Turnieren oder Ligen teil. ICD-10 Die „International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems“ (dt.: internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und ähnlicher Gesundheitsprobleme) ist ein System zur Einteilung von Krankheiten und wird von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) veröffentlicht. Mit dem System werden diagnostizierte Krankheiten alphanumerisch codiert. Die Codierung ist in Deutschland gesetzlich vorgeschrieben. In den USA wird für psychische Erkrankungen neben der ICD-10 das DSM-IV verwendet. Instant Messaging Kommunikationsform zur sofortigen Übermittlung von Textnachrichten. Die Mitteilungen werden über einen Client zum Empfänger geleitet. Neben der reinen Textkommunikation bieten heutige Instant Messenger auch die Möglichkeit, Dateien zu übersenden oder Sprach- und Videochats zu führen. Komorbidität Dieser Begriff bezeichnet das Zusammentreffen mehrerer Krankheitsbilder, weist also auf Mehrfachdiagnosen hin. Hier stellt sich die Frage, welches Krankheitsbild die Grunderkrankung darstellt und welche lediglich Symptome sind. 53 Glossar Korrelation In der Statistik liegt Korrelation vor, wenn zwei oder mehrere Beobachtungen stets zusammen auftreten oder zusammen ausbleiben. Daraus allein lässt sich aber noch nicht auf kausale Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge schließen. So kann Beobachtung A Ursache, aber auch Folge von Beobachtung B sein. Ferner ist es möglich, dass A und B voneinander unabhängig sind oder ihnen in Wahrheit eine bisher unentdeckte Ursache C zugrunde liegt, auf der A und B beruhen. Bei negativer Korrelation ergibt sich ein Zusammenhang nach dem Schema „je mehr A, desto weniger B und umgekehrt“. Lag Dt.: Verzögerung, Bezeichnung für Behinderungen bei EchtzeitSpielen, die auf eine schlechte Datenverbindung oder überlastete Server zurückzuführen sind. Durch Lags wird der betroffene Spieler benachteiligt, weil er der wirklichen Spielsituation hinterherhinkt. Längsschnittstudie Eine wissenschaftliche Unterschung, die mehrmals in gleichen Abständen wiederholt wird. Im Gegensatz zur Querschnittsstudie lassen sich so Entwicklungen und Zusammenhänge erkennen. LARP Live Action Role Playing, eine Rollenspielform, in der die Spieler selbst die Spielfiguren verkörpern, also „live“ agieren. LARP-Spieler kleiden sich gern in aufwendige Gewänder und tragen ungefährliche Kunststoffwaffen. Ausgetragen werden diese Spiele meist in Burgkulissen oder Wäldern und sind in ein Fantasy-Szenario eingebettet. Level Ein Level (dt.: Spielstufe oder -abschnitt) bezeichnet einen abgeschlossenen Spielbereich, insbesondere bei Einzelspielerspielen. 54 Glossar Bei Rollenspielen steht der Begriff für die Erfahrungsstufe der Spielfigur. Likert-Skala Dieses nach dem Soziologen Rensis Likert benannte Messverfahren dient der Ermittlung persönlicher Einstellungen von Personen zu bestimmten Fragen oder Thesen. Die Person kann auf einer gestuften Skala angeben, ob sie der These zustimmt oder sie ablehnt bzw. ob die These zutrifft oder nicht zutrifft. Oft haben LikertSkalen vier oder fünf Stufen, wobei eine gerade Anzahl von Stufen zumindest die Angabe einer Tendenz erzwingt. Eine ungerade Anzahl von Stufen erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die befragte Person nicht hinreichend über ihre Einstellung nachdenkt und deshalb die mittlere Stufe („teils-teils“) wählt. Map Der Begriff Map (dt.: Landkarte) wird für ein abgegrenztes Spielgebiet verwendet, in dem sich das Spielgeschehen abspielt. Er wird vor allem bei First-Person-Shootern verwendet. MMORPG Massively Multiplayer Online Role-Playing Game (dt.: MassenMehrspieler-Online-Rollenspiel. Über das Internet spielbares Rollenspiel, an dem zum Teil mehrere Tausend Spieler teilnehmen. Meist sind die Spiele in einem Fantasy- oder Science-Fiction-Szenario angesiedelt und stellen eine umfangreiche Spielwelt zur Verfügung. Mob Abgeleitet von „mobile“ bezeichnet der Begriff bewegliche Gegner in MMORPGs, die nicht von Spielern, sondern vom Programm gesteuert werden. 55 Glossar NPC Abkürzung für „Non-player character“, ein Nicht-Spieler-Charakter in MMORPGs, der vom Spieleprogramm gesteuert wird. pathologisch Krankhaft, von der Norm abweichend. Im Zusammenhang mit Internetnutzung wird oft zwischen funktionalem (zielgerichtet, selbstbestimmt und kontrolliert), dysfunktionalem (weniger kontrolliert, aber ohne typische Anzeichen für Abhängigkeit) und pathologischem (Kontrollverlust, deutlich negative Kosten-Nutzen-Bilanz und wesentliche Suchtmerkmale) Gebrauch unterschieden. Pen & Paper-Rollenspiel Die ursprüngliche Rollenspiel-Form, bei der die Spieler die Handlungen ihrer Figuren verbal beschreiben und der Spielleiter erläutert, welche Auswirkungen die Handlungen haben. Er führt die Spielhandlung, indem er den Spielern die Umgebung beschreibt und die NPC agieren lässt. Kämpfe werden durch Würfelwürfe simuliert, wobei die Charakterwerte der Figuren großen Einfluss auf Sieg oder Niederlage haben. Die Werte seiner Figur vermerkt jeder Spieler auf einem Charakterbogen (pen & paper = dt.: Bleistift und Papier). Die gesamte Handlung findet in der Fantasie der Teilnehmer statt. Statt messbarer Erfolge steht oft die gemeinsame Entwicklung einer Handlung und Geschichte im Vordergrund. Prävalenz Rate der Krankheitshäufigkeit. Sie gibt an, in welchem Verhältnis zur Gesamtheit von untersuchten Personen ein bestimmtes Krankheitsbild auftritt. Querschnittsstudie Eine wissenschaftliche Studie, die einmalig mit einer Stichprobe durchgeführt wird. Aus der Stichprobe wird auf die Grundgesamtheit (z.B. Bevölkerung des gesamten Landes) geschlossen. Querschnittsstudien sind Momentaufnahmen eines Zustandes; um Ent56 Glossar wicklungen einschätzen zu können, müssen Längsschnittstudien durchgeführt werden. Quest Dt.: Suche, ein Auftrag oder eine Mission in einem MMORPG. Quests werden den Spielern von Nicht-Spieler-Charakteren erteilt, für die Erledigung der Aufgabe wird der Spieler mit Geld, Ausrüstungsgegenständen oder anderem belohnt. Raid Ein Raid (dt.: Überfall, Raubzug) ist die Zusammenarbeit von vielen MMORPG-Spielern, die gemeinsam gegen einen starken Gegner antreten oder andere herausfordernde Aufgaben bewältigen wollen. Real Life Dt.: wirkliches Leben, Abkürzung RL. Wird von Online-Spielern verwendet, um Ereignisse außerhalb des Spiels, die also im „wahren Leben“ stattfinden, von Erlebnissen innerhalb der Spielwelt abzugrenzen. Server Ein Server (dt: Diener) ist ein Programm, das mit anderen Programmen kommuniziert und diesen Dienste und Funktionen bereitstellt. Bei Online-Spielen laufen über den Server die wesentlichen Spielfunktionen ab. Die mit dem Server kommunizierenden Programme heißen Clients. Symptom Ein Krankheitsbild, das auf eine Krankheit hindeutet. Anhand des Symptoms oder der Symptome wird auf die tatsächlich zu diagnostizierende Krankheit geschlossen. 57 Glossar Taktik-Shooter Siehe Eintrag „First-Person-Shooter. Tank Ein besonders starker und widerstandsfähiger Charakter in MMORPGs, der Gegner reizen und auf sich ziehen soll, während andere Charaktere den Gegner ungestört bekämpfen. 58 Stichwortverzeichnis Stichwortverzeichnis A H abnehmender Grenznutzen 22 Alkoholabhängigkeit 17 Anhedonie 21 Arpanet 1 B Belohnungssystem 19 Bewältigungsstrategie 29 Bundessozialgericht 17 C CERN 1 Co-Abhängigkeit 34 Coping 29 Hahn, André 7 Helfer-Syndrom 36 I IAD 3 IAT 6 ICD-10 14, 18 Impulskontrollstörung 14, 18 internet addiction disorder 3 Internet Addiction Support Group 4 internet addiction test 6 Internet Paradoxon 33 Internetsuchtskala 8 ISDN 1 J D Diagnostic Questionnaire 4 Dopamin 19 Dopaminhypothese 22 DQ 4 Drogenpolitik 37 DSL 2 DSM-IV 3, 14 E Jerusalem, Matthias 7 K Killerspiele 27 Komorbidität 15 Kosten-Nutzen-Verhältnis 25 Kostenübernahme 14 L E-Mail 1 erstes Gossensches Gesetz 22 Eskapismus 29 F Fachverband Medienabhängigkeit 9 Flatrate 2 G Glücksspiel 18 Goldberg, Ivan 3 Gossensches Gesetz 22 M mesokortikale Bahn 22 mesolimbisches System 19 Milner, Peter 19 MMORPG 45 N Nucleus accumbens 20 Die fett gedruckten Zahlen beziehen sich auf Seitenzahlen 59 Stichwortverzeichnis O Olds, James 19 P Peergroup 31 präfrontaler Kortex 22 Prävalenz 6 Q R S Schutzauftrag 37 Selbstgefährdung 37 Selbstwahrnehmung 26 Spiel 24 stoffungebundene Sucht 14 Suchtfaktoren 28 Suchtkreislauf 26 Suchtpolitik 37 T Therapiekosten 14 U V W Web 2.0 3, 24 WorldWideWeb 1 WWW 1 Y Young, Kimberly S. 4 Die fett gedruckten Zahlen beziehen sich auf Seitenzahlen 60 Z