Zwischen Grundlagentraining und „Code de Pointage“ – die Turn

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Zwischen Grundlagentraining und „Code de Pointage“ – die Turn
TITELTHEMA
Gerätturnen im NTB im Jahr der Weltmeisterschaften in Stuttgart
Zwischen Grundlagentraining und „Code de Pointage“ –
die Turn-WM motiviert und lockt
Vom 01. bis 09. September findet in Stuttgart die Turn-Weltmeisterschaft der Damen und Herren statt. Und wie mitreißend und motivierend
eine solche Veranstaltung im eigenen Land sein kann, ist seit den Weltmeisterschaften im Fußball und Handball hinreichend bekannt. Aber
wie sieht es im Vorfeld der WM mit den Nachwuchstalenten des Niedersächsischen Turner-Bundes aus? Steigert eine WM in Deutschland das
eigene Engagement im täglichen Training? Und wie ist generell die Stimmung in den Hallen am Olympiastützpunkt Hannover und im Stützpunkt der Damen in Badenstedt? Das NTB-Magazin begab sich auf Spurensuche.
offiziell das Prädikat DTB-Turn-Talentschule erhielt.
Durchaus berechtigt, wie Annette Lefebre bestätigt. „Wir hatten auch in
den vergangenen Jahren immer nationale Kaderturnerinnen, aber da sie
ein professionelleres Umfeld brauchten, sind sie verständlicherweise in
die Internate nach Chemnitz oder Bergisch-Gladbach gewechselt“, weiß
sie. Nun habe sie aber einige Talente - insbesondere bei den zehnjährigen Mädchen, die auf dem Sprung in den DTB-Kader seien. Mut machte
der zweite Platz bei den Deutschen-Mannschaftsmeisterschaften Ende
des vergangenen Jahres.
Doch wie kommen die jungen Mädchen in der heutigen Zeit zu einer so
komplexen und komplizierten Sportart, in der jahrelanges und hartes
Training vor dem Erfolg steht? Und wie sieht dieses Training genau aus?
Immerhin 30 Mädchen sind in der Turn-Talentschule im Stützpunkt Hannover-Badenstedt beheimatet. „Im Augenblick sichten wir mehr in den
Vereinen als in Schulen“, erklärt die Trainerin. Grund dieser Maßnahme
sei die spätere leichtere Rückführung in die Heimatvereine, wenn der
Sprung an die Spitze oder in einen Kader nicht gelingt. Je nach Alter trainieren sie zwischen zwei- und fünfmal in der Woche. „Gerade bei den
Jüngeren wird unglaublich viel Grundlagentraining absolviert“,
erläutert Peter Werner. Der Erwärmung folgen ein ausgiebiges Krafttraining und die intensive Dehnung. Um die Kraft
zu forcieren, wird an Stützgeräten gearbeitet, aber auch
immer wieder am Seil hoch gehangelt. Es ist ein regelrechter Kraftzirkel, abgestimmt auf die turnerischen Belange – und dieser Zirkel fordert und fördert die Mädchen
gleichermaßen. Horrorszenarien aber, wie kürzlich erneut im Magazin „Der Spiegel“ am Beispiel einer chinesischen Turnschule beschrieben, spielen sich in
Badenstedt gewiss nicht ab. „Hier wird niemand
gequält oder angeschrieen“, betont Annette Lefebre. „Wobei diverse Olympische Medaillen, die
im Falle der chinesischen Schule das Ziel sind,
oder nationale Kaderplätze wie hierzulande, natürlich durchaus differente Zielsetzungen sind.
Zwei Trainingszentren – zwei Welten. Während der männliche Turnnachwuchs seit Jahrzehnten im Olympiastützpunkt arbeitet, sind die jungen
Mädchen seit knapp vier Jahren in der Dreifeld-Tennishalle des TV Badenstedt beheimatet, in der der dritte Platz zu einer großen Trainingsfläche umgebaut wurde. Das ist alles andere als provisorisch, die Stimmung ist gleichermaßen angenehm wie ambitioniert. „Es ist alles da,
und mit den Tennisspielern haben wir uns hervorragend arrangiert“, bestätigt Landestrainerin Annette Lefebre, die mit ihren Kollegen Peter
Werner und Conny Hill sowie der Choreografin Irina Sherenkovskaya bis
zu sechs Tage in der Woche mit Turnerinnen zwischen sechs und 15
Jahren arbeitet. Das einst als mutig oder zumindest als innovativ bezeichnete Projekt erhielt im Dezember 2006 eine große Auszeichnung und Anerkennung, als der Stützpunkt
Hannover-Badenstedt
NTB-MAGAZIN 03/2007
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gesund bleibt, gehört er dazu und wird auch
2008 bei den Olympischen Spielen in Peking
starten“, ist sich Jörg Schmiedhold sicher, während sich Weber derzeit mit Landestrainer Reinhard Rückriem in Kienbaum auf die World-Cups
in Cottbus und Paris vorbereitet.
Im Olympiastützpunkt am hannoverschen
Maschsee ist mit Rückriem, Schmiedhold, Peter Scholtz sowie den beiden ehemaligen
Weltklasseturnern Ralf Büchner und Adrian
Catanoiu ein Quintett damit beschäftig, den
männlichen turnerischen Nachwuchs in den
verschiedenen Altersstufen zu formen. „Wenn
alle da sind, wuseln hier schon einmal 30 Athleten rum“ berichtet Schmiedhold, der sich immer noch
viel an den Schulen
umsieht, dort Talente
sichtet und testet.
„Für uns ist das ein
bewährtes System“,
erklärt er.
Anja Brinker und Robert Weber
als Zugpferd
Und tatsächlich arbeiten augenblicklich in derselben Halle, in der einst Andreas Aguilar, Marius Toba und Ralf Büchner die Grundlagen für
Weltmeistertitel und zahlreiche internationale
Medaillen legten, mit Andreas Toba, Murat Yildirim, Max Wittenberg-Voges, Alexander Hellmold und Lion Sundermann gleich eine ganze
Reihe von Turnern, die zum Bundeskader gehören. Grundlagentraining ist bei den jungen
Männern längst absolviert, hier geht es um
die Feinarbeit an den Geräten, um immer
neuere Schwierigkeiten, angepasst an den
internationalen „Code de Pointage“. In Zusammenarbeit mit der Humboldtschule, der
Eliteschule des Sports, können auch morgendliche Trainingseinheiten angeboten
und absolviert werden. Und die Frage nach einer Reise zur WM erübrigt sich: „Wir fahren da
alle zusammen hin, das ist keine Frage“, erklären Trainer und Turner gemeinsam.
Wenn aber die Weltmeisterschaften im
September stattfinden, ist es durchaus
möglich, dass mit Anja Brinker, die lange in Hannover trainiert, nach langer
Zeit wieder einmal eine niedersächsische Turnerin dabei ist. Und insbesondere jene Athletinnen, die bereits mit
Brinker gemeinsam trainierten, planen bereits eine Reise nach Stuttgart. „Wenn Anjas Name fällt, geht
ein Ruck durch die Turnerinnen“,
berichtet Lefebre. Der Name motiviert, denn sie hat einen Traum
Realität werden lassen.
Und auch bei den Männern
ist mit Robert Weber ein
niedersächsischer Athlet
im engsten Kreis des Nationalteams. „Wenn er
Sybille Schmidt
Neues Prädikat NTB-Turnschule
wuchses im Olympischen und Nichtolympischen Leistungs- und Spitzensport in einem System der flächendeckenden Einrichtung von
NTB-Turnschulen sowie in der Zusammenführung dieser Sportler in
DTB-Turn-Talentschulen und DTB-Turnzentren.
Im Rahmen des Spitzensportkonzeptes des Deutschen Turner-Bundes ist es vorgesehen, in den Olympischen Spitzensportarten die
Grundlagenausbildung zu forcieren und den Nachwuchs in einem
System der flächendeckenden Einrichtung von DTB-Turn-Talentschulen und DTB-Turn-Zentren besonders zu fördern. „Sinn und Zweck der
Einrichtung von Turn-Talentschulen (TTS) ist“ laut Rahmenkonzept
des DTB „die optimale Sichtung und Förderung von Talenten für alle
Olympischen Turnsportarten.“
Die Zielsetzungen des NTB betrachten jedoch ebenso die Nichtolympischen wie auch Olympischen Sportarten in ihrer Entwicklung im
Rahmen einer NTB-Turnschule. Ziel hierbei ist eine fundierte Grundlagenausbildung und professionelle Schulung des Turnsport-Nach-
Mit der Einführung des Prädikats „NTB-Turnschule“ geht es um die
Sicherung einheitlicher Qualitätsstandards:
- Einheitliche Trainingsinhalte
- Einheitliche Wettbewerbe und Form der Talentsichtung
- Entsprechende Qualifikation der verantwortlichen Trainer
- Betreuung der Aktiven
- Gemeinsame Präsentation nach außen
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