Davao überarbeitet

Transcrição

Davao überarbeitet
Dr. Konrad - Jürgen Kleinicke
Davao auf Mindanao
Januar 2014
„Hey, come on, Alter!“ – Ich klopfe mir zur Ermunterung imaginär auf die
Schulter und trete mit Rucksack und Reisetasche aus dem Airport der
Millionenstadt Davao („Dawau“ spricht man das) in die ziemlich glühende
Nachmittagssonne. Ich bin unbeweglicher geworden: nicht in den Knochen, aber
im Kopf, obwohl …..
Meine letzte Indienreise zu Freunden in Kolkata liegt nur knapp 1 Jahr zurück,
aber danach wurde ich spürbar sesshafter in meinem kleinen Bungalow in
Alcoy, Provinz Cebu auf den Philippinen. Und noch ein Unterschied zur
genannten Indienreise fällt ins Gewicht: In Kolkata habe ich Freunde, mit denen
ich unterwegs war, in Davao nicht. „Schluss mit trüben Gedanken gleichwohl“,
rufe ich mir unausgesprochen zu. „Niemand hat Dich gezwungen, nach SüdMindanao zu fliegen. Jetzt bist Du hier, mach‘ was draus!“ Ehrlicherweise sei
hinzu gefügt, dass mein Freund S. in Deutschland das Ticket online buchte,
mein Zögern unterlief. „Du musst mal was anderes sehen!“, schrieb er… und ich
antwortete aus dem Sessel meines behaglichen Ambientes in Alcoy zustimmend.
„Er hat ja Recht“, dachte ich. „Immer der gleiche Trott hier: Kehren, putzen,
waschen, einkaufen, kochen, an den Nachmittagen Strandspaziergang und
Schwimmritus in fest gelegten Bahnen“.
Ich sollte und wollte mich also endlich einmal wieder auf den Weg machen, um
etwas Neues zu sehen und zu erleben, und die Initiative meines Freundes kam
mir da gerade Recht. Wenn es noch einen kleinen Moment des Zauderns gab:
Die Taxifahrer, die mich sofort nach Verlassen des Flughafengebäudes ins
Visier nehmen, fegen es hinweg. „Nein!“ – „brauche nicht!“ – „vielleicht
später!“ Überall die gleiche Zeremonie. Unwillkürlich zuckt ein Lächeln über
mein Gesicht: Das Eis möglicher Unentschlossenheit ist weggefegt. Ich
entdecke mein Lächeln und lasse es sofort wieder eisig erstarren, denn es würde
nur unnötig Hoffnung erwecken. Ein paar Schritte, hin zum weiträumigen
Parkplatz. „Ich werde mir jetzt erst einmal ein Pfeifchen gönnen!“ Noch einmal
muss ich mich der „Anmache“ erwehren, obwohl es doch verlockend ist, für 200
Ps (4.- Euro) die 7km-Strecke bis vor die Hoteltür zu buchen. Ich bleibe
standhaft, entzünde den mehrere Stunden entbehrten Vanilletabak, der sich
sogleich in duftende Wölkchen verwandelt und in den sonnigen Himmel
schwingt. Ich studiere den Lageplan meines Hotels, das S. zusammen mit dem
Flug gleich mit gebucht hatte. Früher pflegte ich das selbst vor Ort zu besorgen,
und die Suche nach einem Billigquartier war meist mühsam. „Ja, ich bin
bequemer geworden“, murmelte es in mir, „und ganz so billig wird’s diesmal
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auch nicht (17 Euro mit Frühstück). Dafür angenehmer!“ Ja, die Ansprüche
wachsen im Alter: air-condition, Kühlschrank, Fernseher (den ich allerdings
nicht brauche) und vor allem freier Internetzugang zur Verbindung mit den
Lieben daheim. Das hat eben seinen Preis.
Ich studiere also den Hotelplan, bin ganz darin versunken und bemerke den
seitlich hinzu tretenden Polizisten nicht- „Sie dürfen hier nicht rauchen!“. Ein
zweiter Gesetzeshüter bestärkt seinen Kollegen mit etwas grimmiger Miene. Ich
befand mich bereits ca. 400 m vom Airport entfernt. „Ich schade hier doch
Niemanden“, entgegnete ich ziemlich verärgert. „Sie schaden sich selbst“, war
die Antwort, der ich nichts entgegen zu halten hatte, obwohl meine Lungen
nichts von meinem Vergnügen mit bekommen: Ich „paffe“ nur. Gleichwohl:
Gesetz ist Gesetz, und im Nachhinein bin ich froh, ohne Strafzahlung davon
gekommen zu sein.
Ich erkundige mich nach dem Weg zur Hauptstraße, die in die Stadt führt und
schleppe meine in der glühenden Nachmittagssonne seufzenden Knochen samt
Gepäck den Berg hinauf. Ein klappriger Bus nimmt mich auf. Die Richtung
stimmt, wenn auch weder der Schaffner noch angesprochene Fahrgäste mit der
Adresse, die ich vortrage, etwas anfangen können. „Terminal!“ ruft mir ein
beobachtender Zeitgenosse nach einigen Kilometern Fahrstrecke zu: ein
sonnendurchfurchtes, lächelndes Greisengesicht als helfender Geist! Ich zahle
das Ticket mit gerade einmal 20 Eurocent und lächele zurück. „Wie zu alten
Backpackerzeiten!“ blüht mein zuvor doch etwas angekratztes Selbstwertgefühl
auf. „Mit einem Lächeln kommt man immer weiter“, und stolz kann ich dem
Schaffner sogar einen der wenigen Visaya-Sprachbrocken zurufen, die ich
immerhin schon beherrsche: „Ako mo adto ko ug Terminal!“ Verstehendes
Lachen wandert durch die Sitzreihen, wenn auch meine Ausdrucksweise
wahrscheinlich nicht perfekt ist. Man pflegt zu sagen: „Glück hat auf die Dauer
nur der Tüchtige“ …. oder auch: „mehr Glück als Verstand“. Es kommt also auf
die Sichtweise an. Tatsache:
Der 1. Jeepney aus einem Gewirr von Dutzenden, die den Busterminal
passieren, ist bereits der richtige. Der Fahrer nickt, da ich ihm mein Ziel sage,
und bringt mich direkt vor die Tür des „Tinhat Boutique Hotel“, das mein
Freund S. im Internet für mich gebucht hatte. Der Besitzer ist ein Saudi, die
arabischen Schriftzeichen neben dem Reklameschild könnten seine Initialen
sein.
„Sie sind der erste Gast, der nicht mit einem Taxi kommt“, bemerkt die
Gastgeberin. „Wie haben Sie das hinbekommen?!“ Ich übe mich in
Bescheidenheit: „Bus und Jeepney sind doch wunderbare Verkehrsmittel in ihrer
Stadt.“ Dass das anerkennende Kopfnicken der Dame meine Seele streichelt,
will ich nicht bestreiten.
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Mein Zimmer: wahrer Luxus! Sanft fächelt „air condition“ Behaglichkeit über
mich. Ein Wasserkocher verheißt ungebremsten Kaffeegenuss, warme Dusche,
Kühlschrank, TV, sogar Bügeleisen mit Bügelbrett und vor allem: „free wifi!“
zur Kommunikation in die deutsche Heimat. Gerade will ich mir in Vorfreude
auf ein gutes Abendessen meine Pfeife stopfen, da fällt mein Blick auf eine
unübersehbare Bildtafel an der Wand, die das Rauchen im Zimmer untersagt.
Bei Nichtbefolgung wird über die Rufnummer 911 sofort die Polizei
eingeschaltet, heißt es im Text. Keine Chance: Ich entdecke mit wehmütigem
Seufzer einen „smoke-detector“ an der Decke, der mir die vor allem morgens so
geliebte Verbindung von Pfeife und Kaffee aus dem Sinn schlagen will. Ich
muffele diese ernste Bedrohung meines Wohlbefindens in mich hinein, begebe
mich (mit Pfeife!) zum Restaurant, nehme im Außenbereich an einem der
gedeckten Tische Platz. Ich bin der einzige Gast. Ich bestelle ein Hähnchen, das
mit anderen zusammen auf der Stange dicht neben mir verführerischen Duft in
meine Nase schickt. Dann stopfe ich mir eine Pfeife und beginne zu
schmauchen. „Sir, Sie dürfen hier nicht rauchen!“ – ruft der Küchenchef und
Kellner in einer Person vom Bratspieß her zu mir herüber. Ich bin stocksauer,
verzichte aus Höflichkeit gegenüber meinen Lesern auf den anschließenden,
nicht sehr freundlichen Disput, begebe mich auf den Bürgersteig vor dem
Restaurant… und rauche weiter. „Sir“, fährt der Mensch ungerührt fort: „Auch
hier dürfen Sie nicht…., aber wir haben einen Raucherbereich im 4. Stock!“
Nun gut. „Bringen Sie das „chicken“ („lechom“ in der Landessprache) bitte in
den 4. Stock!“ – „Sehr wohl, mein Herr!“ Ich stapfe nach oben und lande auf
einer riesigen, von einer kleinen Neonröhre dürftig beleuchteten Dachterrasse.
Ich entdecke einen Plastiktisch ohne Decke, einige gestapelte Plastikstühle an
der Wand, 2 leere Fensterhöhlen in Brusthöhe (auf Zehenspitzen kann ich auf
die Straße schauen) und ein trostlos leerer, rot gestrichener Betonfußboden von
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der Größe eines Basketballfeldes,
das ist alles, nein ….: etwas habe
ich vergessen: 1 Aschenbecher auf
dem genannten Tisch und eine
Abfalltonne in der Ecke.
Ich ziehe das Tableau näher zur
Neonfunzel und erwarte mein
Brathuhn,
das
auch
bald
zusammen mit einem Schälchen
Sojasauce die Szene betritt,
allerdings ohne Servietten. Zum
Abnagen der Knochen muss ich Teile des Tieres ja in die Hand nehmen. Soll ich
die verschmutzten Finger etwa an der Tischdecke….? Nein! Zudem gibt es ja
gar keine. Sei’s drum, ich genieße mein Mahl, habe die Pfeife dabei fast
vergessen, doch gelüstet es mich nach einem Glas Bier. Ich will den Kellner
nicht beschweren, mache mich selbst auf den Weg nach unten, wobei meine
Fettfinger beim Öffnen der Tür und der Handhabung des Zimmerschlüssels
(zum Händewaschen in meinem Badezimmer) etwas hinderlich sind. Ich wasche
also meine Hände, steige die Treppe weiter hinunter und erbitte im Restaurant 1
Flasche Bier. „Wir dürfen keinen Alkohol ausschenken“, lautet die freundliche
Auskunft. „Sie können sich aber im Supermarkt nebenan Bier kaufen und mit
nach oben nehmen. Für Gäste des Hauses ist das erlaubt.“ Machen wir es kurz:
Ich habe auch diese Lektion gelernt, Bier gekauft, nach oben getragen und mit
den Resten des Hühnchens genossen, einschließlich einer sorgsam gestopften
Pfeife: als Nachtisch gewissermaßen.
Die „Tabak- und Alkohol-Lektion“ lautet: Tabakgenuss (sogar auf der Straße!)
und Alkohol sind hier ein weit gehendes „no go!“ Ich bin in ein Moslemgebiet
gereist und muss mein Verhalten danach einrichten. Natürlich trinken und
rauchen Filipinos in Davao ebenso intensiv wie in Cebu, und das Angebot an
billigen Alkoholica in den Läden ist reichlich. Nur eben in der Öffentlichkeit
darf man seinen Lastern nicht frönen. Hier ist Zurückhaltung geboten. Ich
erinnere mich mit einigem Schmunzeln an ähnliche Situationen in
moslemischem Teil der Millionenstadt Kolkata. Der Kellner bringt die bestellte
Flasche Bier, eingewickelt in Zeitungspapier (unterm Tisch zu deponieren) und
reicht als Trinkgefäß eine Teetasse. „Salem aleikum!“. Es sei hinzugefügt, dass
ich natürlich doch im Zimmer geraucht habe: gestützt auf mein Kopfkissen im
Fenster smoked ich nach draußen…. und der smoke-detector hat nichts gemerkt!
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Sonntagnachmittag: Ich schlängele mich durch eine schmale Bretterbuden Gasse
zum Strand.
Badehose und Handtuch bleiben im Rucksack, denn an Schwimmen ist hier
nicht zu denken. Der schwarzsandige Strand gleicht einer Müllhalde, die mit der
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träge treibenden Ebbe Plastik und Hausmüll vor sich hin schlappt. Kleine Kinder
finden darin ihren Spielplatz, bewerfen sich mit dem schlammigen Dreck.
Den Strand säumen wackelige Holzverschläge mit je einem Tisch und Bänken,
die man aus Bambusstangen zusammengefügt hat.
Man kann diese Picknickhütten für 2 bis 3.- Euro (100 bis 150 Peso) mieten, und
das tun viele Familien gerade am Wochenende: Sonntagsvergnügen am Strand.
Es wieselt und wuselt darin. Das Essen wird ausgepackt, vielleicht auch ein Grill
aufgebaut: „Lunchtime“. Dass Niemand daran denkt zu schwimmen, steht
weniger mit der schlechten Wasserqualität, vielmehr mit philippinischer
Mentalität zusammen. Auch am Palmen bestandenen, sehr sauberen
Traumstrand der nahen Insel Talikud, die ich besuchte und von der ich noch
erzählen will, war das nicht anders. Filipinos kultivieren das Glück der
Großfamilie, pflegen Gemeinschaft vorzugsweise an ihren tausend Stränden.
Das Rauschen der Wellen scheint ihre Freude an entspanntem Miteinander zu
beflügeln und mischt sich meist mit der Wucht ungezügelt lauter Teccno- und
Karaokemusik.
Wenn ein Filipino tatsächlich einmal ins Wasser geht, dann in unmittelbarer
Strandnähe: zum Planschen, nicht zum Schwimmen. Mein Freund Markjoseph
besucht das „Marine College“ auf Bohol (einer Nachbarinsel von Cebu). Als
angehender Matrose sollte er eigentlich einigermaßen „Wasser verbunden“ sein.
„Komm, wir gehen schwimmen!“ sagte ich zu ihm einmal, da er mich in Alcoy
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besuchte. Er kam mit. Er schwamm mit… immer ein paar Züge hinter mir: für
etwa 5 Minuten, dann drehte er zurück zum Ufer und rief mit breitem Grinsen
zu mir herüber: „Beware the sharks!“- Immer wenn wir auf das Thema
„Schwimmen“ zurückkamen, wurde dieser Satz zum geflügelten Warnruf vor
Haien, die es hier nicht gibt. Von der gesamten, überwiegend aus Filipinos
bestehenden, Schiffsmannschaft der „Hapag Lloyd“, die ich auf einer
6wöchigen Vergnügungsreise in die Arktis als Pianist begleitete, sagte man, dass
keiner der Matrosen schwimmen könne. Es scheint also an der Abneigung
gegenüber dem Wasser, an dem sie doch so dicht leben, aus welchen Gründen
auch immer, etwas dran zu sein.
Zurück zum Sonntag-Nachmittag am Müllstrand des „Davao-Golf“. Touristen
scheinen in diesem Gebiet eher die Ausnahme zu sein, und ich werde aus jedem
Blickwinkel aufmerksam beäugt. Filipinos sind von Natur aus neugierig, das ist
mir von meinen nachmittäglichen Spaziergängen zum „Tingko Beach“ in Alcoy
vertraut. Man grüßt freundlich „maayong buntag“ am Morgen, „m.-udto“ zur
Mittagszeit, nachmittags heißt es „m.-hapun“ und abends „m.-gabie“. Man lernt
diese Begriffe schnell, allein schon deshalb, weil es unhöflich wäre, den Gruß
nicht zu erwidern. Oft versuchen die Menschen, ein kleines Gespräch zu führen.
Sie fragen „Unsai pangalan nemu?“ (Wie heißt du?), sie wollen auch wissen,
wohin man geht: „Ako mo udto ko ug dagat“, habe ich deswegen eingeübt: „Ich
gehe zum Strand“. Ich fühle mich in solchem „small talk“ als Fremder
angenommen, vielleicht sogar akzeptiert. Hier in Davao fehlt dieser Ansatz zur
Kommunikation: vielleicht mit Ausnahme der beiden „Ladies“, die sich vor
einer der „Bretterbuden“ in Pose setzten und gerne fotografiert werden wollten.
Meist werde ich wortlos angestarrt und fühle mich wie ein exotisches Tier hinter
Gittern. Scharen von kleinen Kindern, Steppkes von etwa 3 – 10 Jahren laufen
mir nach. Sie lachen mich als Fremden nicht an sondern aus, und im Lärmen
fehlen ihnen nicht die Worte: „Hey Joe!“ rufen sie und rennen fort, wenn ich
mich nach ihnen umdrehe. „Give money!“ folgt dann unweigerlich, und jetzt
laufen sie nicht weg, wenn ich mich ihnen zuwende. Sie strecken ihre
Patschhändchen zu mir aus, zupfen auch vielleicht an meiner Hose oder am
Rucksack: nicht gefährlich wohl aber unangenehm. Von Alcoy, Cebu, Bohol,
den Visayas also, kenne ich überwiegend lachende Gesichter, hier in Davao
erschrecken sie mich, vor allem die Kinder gleichen kleinen grimmigen
Erwachsenen. Die Kriminalität sei hier sehr gering, sagt man. Drückt sich in
abweisender wie auch fordernder Gebärde dann vielleicht die Not der Menschen
aus und darin eine latente Aggressivität gegenüber Ausländern, die ja schon
alleine ihrer teuren Flugreise wegen reich sein müssen?
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Kids auf Bohol
Kids in Davao
Zugegeben: Die Bilder sind ein wenig überzeichnet, denn die Bohol-Kinder
fotografierte ich bei einer Weihnachtsfeier für die „victims“ der
Taifunkatastrophe, die „kids“ in Davao aber an einem „normalen“
Sonntagnachmittag. Trotzdem erscheint mir der Unterschied in Mimik und
Gestik auffallend. Auch die Erwachsenen wirkten auf mich in ihrer Haltung
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weniger natürlich als verkrampft: die beiden Damen, die ich beim Bingospiel
traf, wie auch der junge Fischer vor seinem Boot. Sie wollten gerne fotografiert
werden, es war ihnen aber wichtig, vor der Kamera Pose anzunehmen, um im
„rechten Licht“ zu erscheinen.
Auf dem Weg zurück zum Hotel begegnen mir zahllose Fahrrad-Rikshas.
Niemand geht hier selbst kurze Strecken zu Fuß, und 5 Pesos hat man eben
dafür immer in Reserve. Die nicht eben freundlichen Blicke, die mich auch hier
trafen, habe ich mir wohl selbst zuzuschreiben. „Wir wollen hier nicht begafft
werden“, mag das heißen… oder „Halt‘ dich da raus!“ Wer da wen begafft, sei
dahin gestellt; wohl fühlt man sich in einer solchen Umgebung nicht.
Als ich kurze Zeit danach das Geschäftsschild eines „Pawnshops“ aufnehme,
kommt der Besitzer verärgert auf mich zu. Erst nachdem ich ihm anbiete, das
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Foto zu löschen, entspannen sich seine Züge, und wir wechseln durchaus
freundliche Worte.
Pawnshops findet man in jeder philippinischen Stadt, selbst in kleinsten
„Barangay’s“ an jeder Ecke. Es zeichnet ein besonderes Verhaltensmuster, das
mit deutschen „Leihhäusern“ nur entfernt etwas zu tun hat. Philippinische
Lebensart spiegelt sich darin. Man kommt mit dem nur schmal verfügbaren
Monatsbudget niemals aus und sucht die Lösung der Notlage zunächst im
„Anschreiben“ beim „Store“ gleich nebenan, ohne zu bedenken, dass sich der
Geschäftsinhaber/in diesen Dienst mit monatlichen Zinsen von 10% bezahlen
lässt. Die Schulden wachsen, sodass man schließlich alle etwa noch
vorhandenen Werte in einem Pawnshop „versilbern“ muss. Auch dort hat man
allerdings mit 3% Monatszinsen zu rechnen, und wenn man schließlich nicht
zurückzahlen kann, verfällt der Eigentumsanspruch. Dieser „graue“ Finanzmarkt
wird weitgehend von Chinesen beherrscht, die man hasst, ohne an ihnen vorbei
zu kommen. War das ein Kern des Judenproblems der 20er Jahre in Deutschland? …… und so endete mein Sonntagsspaziergang in Davao. …. Spanferkel:
getötet, gegrillt, verkauft und verspeist. Wer und wie lebt man davon?
Von den etwa 7000 Inseln der Philippinen sind etwa 2000 bewohnt und 500
davon größer als 1 km². Cebu mit dem Städtchen Alcoy, in dem ich lebe, gehört
mit 5000 km² zu den kleinsten, Mindanao ist nach Luzon (105000 km²) mit
knapp 95000 km² die zweitgrößte Insel des Landes. Luzon, mit der Hauptstadt
der Philippinen: Manila, liegt im Norden, die Visayas, zu denen Cebu gehört, in
der Mitte und Mindanao mit der Hauptstadt Davao im Süden des Landes.
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Warum ich diesen geografischen Exkurs hier eingefügt habe? Um Maßstab und
Blickwinkel für das Folgende zu schärfen.
Mein erster Tagesausflug führte von Davao zu einer der vielen winzigen
Inselchen, zum „Isla Reta Resort“ auf Talikud: einem Stecknadelkopf nur im
riesigen Archipel der Philippinen und doch einem zauberhaften Fleckchen Erde,
wie ich es auf meinen Reisen zuvor nur einmal auf einem namenlosen Eiland im
Südwesten Thailands vor Augen hatte: Palmen, weißer Sandstrand und sanfte
Wellen eines blau-grün schimmernden klaren Wassers. Hier möchte wohl
„Lieschen Müller“ unter strahlend blauem Himmel ihren Traumurlaub
verbringen. Ich neige aber eher dazu, ihre Fiktion und damit die poetischen
Pfade schwärmerischer Phantasie zu verlassen und mit dem Tuckerbootchen
„Pacific“ die einstündige Fahrt auf harter Holzbank inmitten eines bunten
Völkchens Einheimischer samt Kisten, Kasten, Federvieh und Reissäcken „in
reality“ zu „er-fahren“.
Zur Linken begleitet uns die lang gestreckte Küste von Samal-island, zur
Rechten die Konturen der kleineren Schwester Talikud. Das Schiffshorn tutet
unsere Ankunft, die Mitreisenden sind in wenigen Augenblick im angrenzenden
Dörfchen verschwunden und ich suche mir am wenig bevölkerten Strand ein
schattiges Plätzchen. Ich schaue aufs Meer und nach Samal hinüber und bin
glücklich mit der Stille um mich, die sich einzig vom Flüstern der leichten
Brandung in Takte teilt. Ich sitze lange, sehr lange hier und staune im Schauen
von Meer, Sand und Bäumen um mich über diese in Form gegossene Schönheit
der Natur.
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Ich schwimme auch, empfinde die ersten Züge fast als störendes Eindringen in
dieses Paradies, bald aber genieße ich es. Das Wasser ist handwarm. Ich liege
auf dem Rücken, schließe die Augen und spüre tiefen Frieden. Damit die Poesie
nicht überschäumt, füge ich das störende Plappern der Frauen hinzu, die mit
Körben und Harken vom Resort näher und näher kommen. Sie kehren sich nicht
um den Fremden, kehren vielmehr den nicht vorhandenen Schmutz, selbst
Blättchen und Hölzchen mit ihren groben Schaufeln zusammen, durchquasseln
ihre Umgebung in fröhlicher Unbedenklichkeit nichtigen Tuns. Die Ruhe ist
durchbrochen, mein Bewusstsein
fängt sich im Unbehagen der
kurzen Zeit, die mir bis zur
Rückahrt bleibt. Nur 3 Stunden
sind es insgesamt, einschließlich
eines köstlichen Lunch mit
frischem Grillfisch, Reis und
Tomatensalat. Ich sitze wieder
im Boot und ergebe mich
seufzend der Wirklichkeit in
Gestalt einer unübersehbar, in
großen
Lettern
gefassten
Warnung:
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Sei’s drum: Ich bin noch eine Weile an das zuvor gebuchte „Tinhat-Hotel“
gebunden, aber dann werde ich nach Talikud zurück kommen, eine 4TageBuchung für das Resort „Isla Reta“ ist bereits perfekt. Am Abend vor der
Abreise schaue ich online den Wetterbericht an und erfahre allerdings, was mich
diesmal erwartet: Für die nächsten beiden Wochen ist nieselnder wie auch
heftiger Dauerregen mit heftigen Böen angesagt. Was wird wohl aus meinen
paradiesischen Gefühlen? Fassen wir dieses Kapitel rasch zusammen: Ja, das
Wetter schlug um. Ich hatte mir zuvor in weiser Voraussicht im Chinesenviertel
am Hafen einen Regenschirm gekauft, dazu einen Wasserkocher. Der sollte mir
bei Regenwetter zu ge-mütlichen Kaffeestündchen auf der Veranda meines
Bungalows helfen. Mein Laptop würde mit Internetsurfen seinen redlichen
Beitrag dazu leisten. Wie sah die Wirklichkeit aus? „Der Mensch denkt, … „Isla
Reta“ lenkt. Zum einen gab es kein „wifi“, zum anderen zwischen 6 Uhr
morgens und 15 Uhr keinen Strom. Ich hätte die Nacht zum Tag machen
müssen, und niemand konnte mir eine Erklärung dafür geben, dass Elektrizität
ausgerechnet zur Schlafenszeit, nicht aber für einen heißen Morgenkaffee und
wenigstens für die Schreibfunktion des Laptops über Tag verfügbar sein sollte.
Not macht erfinderisch, wenn auch unter Schmerzen: Ich stelle die
Weckfunktion meines Handy’s auf 5.45 Uhr, koche Wasser, versuche noch
einmal eine „Mütze Schlaf“ und habe auf diese Weise gegen 7 Uhr wenigstens
warmen, wenn auch nicht heißen Kaffee. Ein 50jähriger Stoppelbart-Mensch
kommt vorbei, spricht mich an. Es ist Zoran aus Kroatien.
Er wohnt gleich nebenan und wir schlendern zu „seiner“ philippinischen
Familie, wie er sie nennt ins nahe Dörfchen. Gemeinsames Mittagessen,
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Gastgeber Gili mit seiner Frau
das sich in munterem Gespräch am Abend bei einem Glas Rotwein auf meiner
Veranda fortsetzt.
Zoran ist ein sehr schlauer „Allerweltskerl“, stelle ich bald fest. Als Kind lebte
er mit seiner Familie in München, spricht somit gut Deutsch, wenn wir uns auch
über weite Strecken Englisch unterhalten. Er studierte an einem „Finanzcollege“
in Genf Marketing, schaffte sich später in seiner kroatischen Heimat mit Kauf
und Verkauf von Immobilien und allerlei Handel („blablabla“ sagt er dazu) eine
finanzielle Basis, die es ihm erlaubt, nach Trennung von seiner Frau und einer
jetzt 7jährigen, anscheinend künstlerisch hoch begabten Tochter, die mit der
Mutter jetzt in England lebt und die er offenbar sehr vermisst, die kalten
europäischen Wintermonate mit dem angenehmen Klima der Philippinen zu
tauschen. Ich erfahre seine interessante Lebensgeschichte, die er auf Talikud bis
März fortzusetzen gedenkt. Er ist sehr Kontakt freudig, nach wenigen Tagen
bereits mit der Familie eines Fischers im Dörfchen nebenan befreundet, mit
Essen und Wohnung versorgt. Er hat offensichtlich Geld genug, um einen
Bungalow in „Isla Reta“ zu bezahlen, aber er liebt das einfache Leben in
Verbundenheit mit den Menschen hier und schont zudem sein „budget“ ganz
erheblich, denn die für 3 Monate gemietete Wohnung kostet ihn monatlich so
viel wie 2 Nächte im Resort. Eine Filipina hat man ihm bereits angeboten (das
geht sehr schnell hier!), er wird mit seiner Harpune auf Fischfang gehen und hat
so eine gemütliche Zeit vor Augen. Ich schätze seine wendige, aufgeschlossene,
immer sehr geschickt manipulierende Wesensart nicht unbedingt. Sie baut auf
dem Prinzip: „Gibst du mir etwas, gebe ich dir ein klein wenig davon zurück, …
sofern es mir ins Konzept passt.“ Für eine echte Freundschaft wäre mir das zu
wenig, aber für die 4 Regentage, die ich zu Recht kommen muss, bietet mir
Zoran ein gutes Stück Anschauung und Unterhaltung. Trotz Dauerregen
schwimme ich bei allerdings etwas unfreundlichem Wellengang regelmäßig,
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spaziere durch meine Umgebung, einmal über 3 km in das Bergdorf St.Cruz,
genieße abends frischen Fisch vom Grill …. und immerhin: Ich habe ja ab 15
Uhr Strom zum Kaffeekochen und zur Nutzung meines Laptops …. und Zoran,
meinen kroatischen „Freund auf Zeit“. Im Übrigen löste sich die Sonne an
meinem letzten Nachmittag für eine knappe Stunde aus einem leichten
Wolkenschleier und schenkte damit der Bucht von Talicud eine Ahnung von
schimmerndem Glanz meiner Erinnerung.
Es ist 15 Uhr: Die Tagesgäste haben die Insel mit dem letzten Boot verlassen,
Strand und Meer gehören mir, mir allein. Wenn ich morgen über Davao weiter
in den Süden Mindanaos reise, wird sie mich begleiten, auch wenn es regnen
sollte. Als Nationalemblem ziert sie die Fahne der Philippinen: Oben ein links
spitz zulaufender blauer, unten ein links spitz zulaufender roter Streifen;
zulaufend auf ein weißes Dreieck mit 3 fünfzackigen Sternen und einer Sonne
mit 8 Strahlen. Die Sterne verdeutlichen die Dreiteilung der Philippinen: Luzon
– Visayas – Mindanao. Die 8 Strahlen präsentieren die ersten 8 Provinzen, die
1872 gegen die spanische Kolonialherrschaft revoltierten. Sie laufen auf die
Sonne als Symbol der Freiheit zu, die mit der vollen Unabhängigkeit des Landes
1946 erreicht wurde. Der blaue Streifen steht für Gleichheit und Einheit, der rote
weist auf die Bereitschaft des philippinischen Volkes hin, für ihr Land bis aufs
Blut zu kämpfen.
Busbahnhof in Davao: Ich sitze in einem winzigen „5.-Euro-Zimmer“, mein
„Equiptment“ in buntem Wirrwarr auf dem Boden um mich verteilt. Ein
Wochenausflug zum „Lake Sebu“ liegt hinter mir. Zunächst ging es über Gran
Santo und Koronadel in 7stündiger Busfahrt nach Surallah. Dort quartierte ich
mich ein und fuhr mit einem Jeepney zum „Lake Lahit“: Die „7 Wasserfälle“
wollte ich erwandern. Ich verschmähte das Angebot eines Motorradfahrers, der
mich bequem dorthin bringen würde. Ich wollte laufen. Strömender Regen.
Mein Regenschirm tat gute Dienste, aber das Wasser, das meinen Geröllweg
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durchströmte, war schon beinahe so etwas wie ein Wasserfall, den ich
durchwaten musste. Urwaldgeschlinge, dazwischen eingestreut Maisfelder, eine
Blumenplantage, in den Steilhang eingestreute Hütten und ein verwahrloster
Friedhof mit auffallend vielen jungen Menschen, die um die 30 Jahre alt
gestorben waren. Ich stieg und stieg. 1 Stunde war in meinem Reiseführer für
den Weg angezeigt, fast 1 ½ Stunden Regenmarsch lagen schon hinter mir, und
dann landete ich auf der Hauptstraße, die mich an den Ausgangspunkt zu eben
jenem Motorradfahrer zurückführte. Ich war „im Kreis“ gelaufen, ohne es zu
merken und ließ mich nun doch fahren, ein zweiter Anstieg zu Fuß wäre etwas
zu viel gewesen. Zwei Wasserfälle bekam ich so zu Gesicht mit Photos, denen
man das schlechte Wetter ansieht:
Marvin Caxtero begleitete mich auf schlüpferigem Pfad sehr freundlich und
hilfsbereit. Er ist 26 Jahre alt, nutzt das Motorrad seines Vaters zu schmalem
Geldverdienst. Alles in allem ein schöner, „runder“ Tag trotz wahrer
Wolkenbrüche.
Am Tag darauf fand ich mich unversehens in einem Kajak auf dem Lake Sebu
wieder und paddelte unter Anleitung des begleitenden Vermieters durch das
teilweise dichte hypertrphe Schlingpflanzennetz, das den See langfristig zu
zerstören droht.
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Die in den Schlingpflanzenteppich eingebetteten Wasserhyazynthen werden in
besonderer Weise gepflegt und genutzt, denn man erntet die Muscheln, die sich
an deren Wurzelenden festsetzen
Die Bootsfahrt endete mit
einem
„Pomelo-Picknick“,
das meinem Magen zum
Verhängnis werden sollte.
Der Pomelobaum schenkt
pfundschwere Früchte, die
einer Grapefruit ähneln.
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Die Früchte, die mir die
reizende
Lady
reichte,
schmeckten süßlich-fad, nicht
eben sehr fruchtig, dafür recht
bitter, und bitter kam mich die
Mahlzeit
zu
kosten.
Magenkrämpfe brachten mich
nachts ins Krankenhaus, denn
Übelkeit und Erbrechen ließen
sich nicht stoppen. Ich erfuhr
freundliche und schließlich,
nach einem zweiten Besuch,
hilfreiche
Betreuung
mit
zahlreichen Injektionen und Tabletten: Gesamtkosten für 2 Behandlungen incl.
Medizin 1700 Ps, gerade einmal 30 Euro.
Nun bin ich zurück in Davao in dem erwähnten kleinen Zimmerchen und werde
heute, am 3. Tag meines „Martyriums“ zum ersten Mal wieder etwas essen
können. Was hier im Bahnhofsviertel wohl abgeht? Das Werbeschild des
benachbarten Domizils lässt es erahnen:
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Ich schere mich nicht drum, unterhalte mich lieber im „small talk“ mit einem
jungen Mann, der durch Kinderlähmung an einen Rollstuhl gefesselt ist. Wir
schauen meine Reisebilder an; so ist er etwas beschäftigt und dreht
zwischendurch seine kleinen Runden im Hofeingang. Morgen geht es mit „Cebu
Air Pacific“ zurück nach Cebu. Zwei erlebnisreiche Wochen wandern in mein
„Fach der Erinnerung“.
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