- Familienunternehmer des Jahres

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- Familienunternehmer des Jahres
Unternehmer & Ideen
Bescheiden Das Bild von
William Turner im Hintergrund sei aus dessen günstiger Phase, sagt Firmenchef Heinrich Deichmann
Der Leisetreter
Heinrich Deichmann Seinen Namen kennt jeder. Die Person dahinter kaum einer. Still und
unauffällig hat Heinrich Deichmann das Erbe seines Vaters angetreten und das Unternehmen
zu Europas größtem Schuhhändler gemacht. Sein Rezept: traditionelle Werte
[ Text: Hanna Grabbe ]
Netzhaut/Dirk Hoppe
E
ines müsse man wissen, sagt Heinrich
Deichmann. Das Ganze hier, also wirklich, man dürfe das nicht falsch interpretieren, aber das alles sei absolut
nicht typisch für ihn.
„Herr Deichmann, ein Foto! Hierhin gucken,
bitte. Ja. Super. Passt. Daaanke!“
„Dürfen wir auch ein Bild machen? Mit dem
iPhone? Geht auch ganz schnell.“
„Schauen Sie mal, die Pumps habe ich bei
Deichmann gekauft!“
„Wo gibt’s Champagner?“
Hätte es nicht ein Theologenkongress sein
können? Einer seiner Ethikvorträge an der Uni?
Irgendwas Dezentes? Irgendwas mit Gott?
Doch es ist das Foyer des schicken Hamburger
Curio-Hauses. Die Sängerinnen Daisy Dee und
Jasmin Wagner sind da, ein Haufen Models und
ein paar mittelbekannte Schauspieler. Kameras.
Blitzlicht. Mittendrin Deichmann. Er trägt einen
feinen Anzug, hat Haarspray benutzt und guckt
wie ein Informatikstudent in der Mädchenumkleide: befremdet, aber durchaus interessiert.
Er sagt: „Glamour und roter Teppich, das ist
nicht so meins.“ Dabei hat er diesen Abend –
mit Glamour und rotem Teppich – höchstselbst
zu verantworten: Sein Unternehmen verleiht
den „Shoe Step of the Year“, den bekommen
Menschen, die sich mit Schuhen beschäftigen –
Modejournalisten, Fotografen, Blogger. RTLBlondine Frauke Ludowig moderiert. Es wird
eine Modenschau geben, Häppchen, Disco.
Noch vor wenigen Stunden hat Deichmann
im Flugzeug gesessen, hatte sich ein wenig gefürchtet wegen des Sturms. Er war am Morgen
nicht dazu gekommen, in der Bibel zu lesen, obwohl das sein Ritual ist. Das Gebet. Jeden Morgen, vor dem Essen und zusätzlich „bei Bedarf“.
Dann sagt er, dass es durchaus spannend sei,
e­ inen Abend mit diesen netten jungen Leuten
zu verbringen. „Eine attraktive Sache.“ Er habe
Spaß.
Schließlich geht es um Schuhe. Ums Geschäft. Und damit letztlich doch um Gott. Das
mit dem Glauben und das mit dem Geldverdienen sollte man nicht trennen. So jedenfalls
sieht Deichmann das. Und man könnte meinen,
dass Gott das auch so sieht. Es wäre jedenfalls
eine Erklärung: Warum ist gerade dieses Unternehmen so erfolgreich?
Deichmann ist der größte Schuhhändler in
Europa. Gut 4 Mrd. Euro setzt der Essener Familienkonzern um, verteilt auf 3300 Filialen
in 22 Ländern. Während die Deutschen immer
weniger Geld für Schuhe ausgeben, ein Fachhändler nach dem anderen seinen Laden
schließt und selbst große Filialisten wie Görtz
oder Leiser straucheln, verkauft Deichmann
Jahr für Jahr noch mehr Schuhe: 156 Millionen
Paar waren es zuletzt. Nach Deichmann kommt
im deutschen Schuhhandel lange, lange nichts.
Dann irgendwann taucht Hamm Reno auf – mit
einem Sechstel des Umsatzes.
Umsatz mal zwei, Filialen mal drei
Man mag das auf Gott schieben. Man kann aber
auch sagen: Heinrich Deichmann hat, seit er
vor 13 Jahren die Geschäftsführung von seinem
Vater übernahm, viele kluge Entscheidungen
getroffen. Leise, unauffällig und wie selbstverständlich hat er den Umsatz der Firma mehr als
verdoppelt, die Zahl der Filialen mehr als verdreifacht. Dass man den Namen Deichmann
heute in ganz Europa kennt, ist sein Verdienst.
Doch anders als der Vater, der einst ganze Handelsketten in der Schweiz, den USA und den
Niederlanden kaufte, hat sich der Sohn nie in
waghalsige Abenteuer gestürzt. Er hat Laden
Familienunternehmer
des Jahres 2012
Der Preis Seit 2004 zeichnen impulse und die Intes
Akademie für Familienunternehmen Personen aus,
die besondere Leistungen
als Familienunternehmer
erbracht haben, in diesem
Jahr Heinrich Otto Deichmann. In den Jahren davor
wurden Heinz Gries und Andreas Land, Stefan Messer,
Markus Miele und Reinhard
Zinkann, Bernhard S­ imon,
Jürgen Heraeus, Peter-Alexander Wacker, Michael Stoschek und ­Maria-Elisabeth
Schaeffler ausgezeichnet.
Die Jury Neben Peter May
(Intes) und Nikolaus Förster
(impulse): Stefan Bellinger
(Die Familienunternehmer
– ASU), Hans Demmel (NTV), Angelika Frölich (Ernst
& Young), Wilhelm von Haller (Sal. Oppenheim), Sabine Rau (WHU), Jörg Ritter
(Egon Zehnder International), ­Andreas van Loon
(Hauck & Aufhäuser), Holger Steltzner („FAZ“).
Die Laudatio auf den Preisträger von impulse-Chef­
Nikolaus Förster lesen Sie
unter www.impulse.de/
familienunternehmer
Dezember 2012
impulse
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Gott wird mich am
Ende nicht fragen,
wie viele Schuhe
ich verkauft habe
Heinz-Horst Deichmann 20
impulse
Dezember 2012
für Laden, Land für Land erobert. Stets mit dem
eigenen Geld und stets mit einem einfachen
Grundsatz, der das Geschäft der Familie von
Anfang an geprägt hat: Das Unternehmen muss
dem Menschen dienen.
Zugetraut hatten ihm das die wenigsten.
„Nach so einem Vater!“, hatte es geheißen.
Und: Unter großen Eichen wachsen nur Pilze.
Doch Heinrich Otto Deichmann – Jahrgang 62,
aschblondes Haar, Brille, 1,81 Meter groß – er
hat sie alle eines Besseren belehrt.
Nach so einem Vater.
Ihn muss man kennen, will man den Sohn
verstehen, das Unternehmen und die Sache mit
Zum Ausmisten in den Stall
Heinrich Deichmann steht jetzt unter dem
mächtigen Kronleuchter im Ballsaal des CurioHauses, ein Mikrofon in der Hand, einen gol­
denen Umschlag in der Jacketttasche. „Herr
Deichmann, Sie haben den Gewinnerumschlag
dabei …“, säuselt die Moderatorin auffordernd,
und Deichmann überlegt eine Sekunde zu lang,
ob das nun eine Frage war oder nicht. „Das
stimmt“, entgegnet er schließlich. Verdammt,
was soll man auch sagen?
Er ist es nicht gewohnt, sich in den Vordergrund zu spielen. Nicht hier, nicht bei Bürgermeistern oder Verbandschefs. Sie kennen den
hgm-presse; Stock4B/Michael Dannenmann
Vater und Sohn Während Heinz-Horst Deichmann (o. l.) sich heute viel um Hilfsprojekte in
Schwellenländern kümmert, führt sein Sohn
Heinrich (u.) das Geschäft. 2005 kaufte er die
Markenrechte der Elefanten-Kinderschuhe
Gott. Heinz-Horst Deichmann, geboren 1926,
in einer Zeit, in der die Essener Kohlekumpels
ihre Schuhe noch reparierten, statt neue zu
kaufen, weshalb schon der Großvater sein Geld
genau damit verdiente: Schuhreparatur Elektra, Borbecker Straße 77.
Doch statt den Betrieb zu übernehmen, meldet Deichmann sich bei den Fallschirmjägern.
Er ist jung und vom Krieg unbeeindruckt. Bis
ihn ein Granatsplitter trifft. Es ist die Todesangst, die ihn beschließen lässt, sein Leben Gott
zu widmen, später, sollte er nur überleben – das
Geschoss bleibt wenige Zentimeter von der
Halsschlagader entfernt stecken. Deichmann
kehrt heim und studiert Theologie. Später
­Medizin. Er will Menschen helfen, arbeitet als
Arzt. Noch heute nennt man ihn „den Doktor“.
Erst Mitte der 50er-Jahre widmet er sich ganz
der Firma. Seine Idee: Die Kunden bedienen
sich selbst. Das senkt die Hemmschwelle und
spart Personal. Damals eine Revolution. Deichmann eröffnet ein Geschäft nach dem anderen – und versucht nun als Unternehmer, sein
Versprechen gegenüber Gott einzulösen.
Die Gewinne steckt Deichmann in faire Löhne, später auch in Krankenhäuser und Schulen
in Indien und Afrika. „Gott wird mich am Ende
nicht fragen, wie viele Schuhe ich verkauft habe. Er wird wissen wollen, ob ich wie ein wahrer Christ gelebt habe“, sagt der Alte. Er ist ein
Patriarch, soll Ehen gerettet und Kunden zum
Glauben bekehrt haben. Einem Lieferanten
­habe er einmal, so erzählt er es, einen Schuh
hinterhergeworfen. Beim Betriebsausflug reitet
Heinz-Horst Deichmann auf einem Elefanten.
Das ist die Welt, in die nach und nach drei
Mädchen und, endlich, ein Sohn geboren werden. Er bekommt den Namen des Großvaters:
Heinrich. Genauer: Heinrich Otto. Heino, sagen
sie zu ihm.
Heinrich Deichmann Unternehmer & Ideen
Größten ihrer Zunft „vom Sehen“, nicht weil er
sich wichtig macht.
Er hat früh gelernt, sich zurückzunehmen:
Der Vater baut neben dem eigenen ein Waisenhaus. Heinrich muss teilen. Den Garten, die
Spielsachen, die Aufmerksamkeit. Die Mutter
schickt den Sohn einmal die Woche in den benachbarten Stall zum Ausmisten. Körperliche
Arbeit sei wichtig für die Entwicklung, findet
sie. Es stinkt und strengt an, abends fällt er erschöpft ins Bett.
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Dennoch: Heinrich macht, was er soll. Auch
später. Abitur. Wehrdienst. BWL-Studium. Examen, Note: sehr gut. Deichmann sagt, dass er
gern Theologie oder Geschichte studiert hätte.
Da habe der Vater gefragt: „Willst du Lehrer
werden?“ Damit war die Sache erledigt.
Direkt nach dem Diplom fängt er in der Firma an. Der Alte drängt. Es sei dem Vater wichtig gewesen, dass er sofort einsteige, erzählt
Deichmann. „Das hab ich dann auch getan.“
Er war kein Rebell. Der Vater stets Vorbild
statt Antipode. Einmal sagt Deichmann fast
entschuldigend: „Ich fand das eben immer gut,
was mein Vater gemacht hat.“ Fragt man ihn,
was denn das Verrückteste sei, das er je getan
habe, dann erzählt Deichmann vom Bergsteigen. Er liebe die Berge. Dann überlegt er kurz:
„Ich weiß nicht, ist das jetzt verrückt?“
Als Deichmann von der Bühne steigt, sieht er
erleichtert aus. Später steht er beim Büfett, hält
sich an einem Glas Weißwein fest, während
­seine PR-Agentin ausgewählte Gäste an ihm
vorbeischleust: Die Miss Turkuaz, eine Art Miss
­Migrationshintergrund, ist darunter und der
Modechef der „Für Sie“. Menschen, die heute
Abend wichtig sind. Denn Deichmann hat sich
vorgenommen, nicht mehr nur billig, sondern
auch cool zu sein. „Modisch“ nennt er es. So
wie H&M oder Zara.
Weil seine Läden lange nur über die Coolness eines Aldi verfügten, kauft Deichmann
Stars und hippe Girlbands ein, um für seine
Schuhe zu werben. In der durch und durch
Die norddeutsche Art.
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Unternehmer & Ideen Heinrich Deichmann
Laden für Laden Mit seinem
damals revolutionären
Selbstbedienungskonzept
eroberte Deichmann im Nu
den deutschen Markt
konservativen Firmenzentrale ein absolutes Novum.
„Diese Popgruppen, das ist nicht meine
Sache“, raunt der Alte. Und so viel ist sicher, die Sache des Sohns, der Schumann
liebt und sich klassische Musiker zu Hauskonzerten einlädt, ist es auch nicht. Doch
er erkennt, dass die jungen Mädchen, die
bei ihm Schuhe kaufen, „diese Popgruppen“
gut finden. Und er weiß, dass sie nicht nur
Grace­land, eine von Deichmanns Eigenmarken, tragen wollen, sondern auch Puma oder
Adidas. So beginnt er, bei Markenherstellern
zu ordern – oder kauft die Marke gleich ganz,
so wie Gallus oder Elefanten.
Derzeit wirbt das Bond-Girl Halle Berry
für Deichmann. Als die beiden sich zum ersten Mal begegnen, an einem kühlen Märztag
in Berlin, erzählt Berry Deichmann von ihrem
Scheidungsärger, den Problemen mit dem Sorgerecht, dass sie auf Mallorca gewesen sei und
sich den Fuß gebrochen und ein Schäfer sie
­gerettet habe. Und Deichmann? „Oh, ich habe
über unser Unternehmen gesprochen.“
Er tut sich schwer, persönlich zu werden. Das
sagt er selbst. Doch man weiß nicht so recht, ob
er einfach seine Ruhe haben will. Oder ob er
tatsächlich zu bescheiden ist, um zu begreifen,
dass die Menschen nicht nur über seine Firma,
sondern auch etwas über ihn, den Schuhkönig,
wissen wollen. „Schuhkönig? Schreiben Sie lieber, dass der Kunde bei uns König ist.“
Nächstes Jahr feiert das Unternehmen sein
100-jähriges Jubiläum. In dieser ganzen Zeit
hat Deichmann genau vier Pressekonferenzen
gegeben. „Der Heinrich schnurrt im Hintergrund, und irgendwann sind die Dinge, wie sie
sind“, sagt einer, der die Familie kennt.
So war das auch mit dem, was die Branche
„Vertikalisierung“ nennt: Heinrich Deichmann
hat sich nicht damit zufrieden gegeben, Schuhe nur zu verkaufen, sondern bringt auch das
Schuhmachen unter seine Kontrolle, schaltet
die Zwischenhändler aus und lässt selbst in China und Vietnam produzieren. Seine Einkäufer
bestimmen Design, Materialien und Verarbeitung. So ist Deichmann unabhängig, kann
schneller auf Trends reagieren – und am Ende
die gesamte Marge kassieren.
„Ein extrem professionell geführtes Unternehmen“, sagt Matthias Händle. Er ist der
Chef von Hamm Reno, der Nummer zwei in
Deutschland. Vertikal seien inzwischen zwar
alle Großen im Business, doch kaum einer
und – leider – man selbst auch nicht, gehe dabei so weit wie Deichmann.
Deshalb kann er der Billigste sein – und bleiben. Ein Paar Deichmann-Schuhe kostet heute
das Gleiche wie vor 50 Jahren: 20 Euro im
Durchschnitt. Die kann selbst ein Hartz-IV-
Vom Absatzmacher zum Milliardär
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Grundstein Reparatur
Krieg und Aufschwung
Ungebremstes Wachstum
Großvater und Namensvetter
Heinrich Deichmann (mit Tochter Ellen) legt den Grundstein
für das Unternehmen: mit der
1913 eröffneten Schuhreparatur
Elektra in Borbeck, das damals
noch nicht zu Essen gehörte.
Die erste Filiale eröffnet bereits
1930. Zum Kriegsende hin geht
das Geschäft fast zugrunde.
Doch dann folgt ein rasanter
Aufschwung. Vater Heinz-Horst
Deichmann versorgt die ganze
Region mit günstigen Schuhen.
1978 errichtet Deichmann sein
erstes großes Distributionszentrum in Bottrop. Heute sind es
europaweit acht, ein weiteres
ist geplant. Das Unternehmen
verkauft mittlerweile 156 Millionen Paar Schuhe pro Jahr.
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Weg zur Lifestylemarke
Seit Enkel Heinrich die Geschäfte führt, hat sich die Zahl
der Filialen verdreifacht. Die
Firma verkauft und produziert
international. Läden und Schuhe sind heute nicht nur preiswert, sondern auch modisch.
Deichmann (3); ddp images Imago/Hans Blossey
Mit einem kleinen Laden fing alles an. In dritter Generation managt Heinrich Deichmann heute ein Schuhimperium
auf Firmenkosten, übertarifliche Bezahlung, eine Notkasse, Hochzeits- und Geburtenprämien.
Die ganze Palette.
Nein, Deichmann sei bei den Gewerkschaftssprechstunden kein Thema, sagt Verdi-Sekretär
Folkert Küpers, der in Nordrhein-Westfalen für
Handel zuständig ist. Dass Deichmann vor zwei
Jahren sogar die 400-Euro-Jobs abgeschafft
hat, weil die zu Altersarmut führen, findet Küpers aber nicht christlich, sondern nur klug.
„Weniger Fluktuation. Erhöht die Bindung ans
Unternehmen.“ Die Liste der Firmenjubilare ist
lang: Frau Schopinski aus Verkaufsstelle 0002
in Oberhausen, 35 Jahre dabei. Frau Kirsch, aus
der 0035 in Neuss, 40 Jahre. Frau Herrmann,
Hauptverwaltung, 45 Jahre.
Seltener Moment 2011 enthüllt Heinrich
Deichmann das modernisierte Logo. Ansonsten ist der große Auftritt nicht seine Sache
Empfänger mal entbehren. Auch das versteht
Deichmann unter Nächstenliebe.
Umso mehr ärgert es ihn, wenn die Presse
sagt, dass es dort, wo seine Schuhe hergestellt
werden, nicht fair zuginge. Mehr als zehn Jahre ist es her, dass ein Journalist schwere Vorwürfe gegen die Firma erhob. Später stellte
sich heraus, dass das meiste gar nicht stimmte,
doch noch immer wird Deichmann bei dem
Thema schmallippig: „Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht.“
Mehr noch. Er hat seine Regeln extra aufgeschrieben, von Kinderarbeit bis Umweltschutz,
für jeden einsehbar, um sich daran messen zu
lassen. Und trotzdem: Sie suchen alle, immer
aufs Neue. Vielleicht weil man denkt, dass bei
dieser ganzen Menschenfreundlichkeit doch
­irgendwo der Wurm drin sein müsse: Kururlaub
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All das könnte Deichmann lauter sagen, es würde sich gut machen. Fürs Marketing zum Beispiel. Auch dass sein Unternehmen jedes Jahr
mehr als 10 Mio. Euro für Hilfsprojekte ausgibt,
wissen die wenigsten. Deichmann sagt: „Warum sollte ich das tun?“ Diesen Satz hört man
oft von ihm. „Das ist mir eine Herzensangelegenheit.“ Worte, die abgedroschen klingen.
Doch Deichmann meint es genau so: Herzensangelegenheit.
„Wer wissen will, wie der Unternehmer tickt,
muss nur ins Unternehmen gucken“, sagt der
Gründer der Intes Akademie für Familienunternehmen, Peter May, der auch der Jury zum
­„Familienunternehmer des Jahres“ vorsitzt. Bei
Deichmann sehe man „einen Kapitalisten, klar,
aber einen mit ethischem Fundament“.
Er bringt das manchmal etwas hölzern rüber.
Nicht wie der Vater, der in Indien die Leprakranken herzt, Kinderhände hält und von Hilfsprojekt zu Hilfsprojekt jettet. Der Sohn stellt
Fragen: Kann man diesen Leuten vertrauen?
Können die das? Bringt das was? „Heinrich ist
ein knochenharter Rechner“, sagt Heiner Beilharz, ein mit der Familie befreundeter Unternehmer. Er meint das anerkennend. Deichmann ist Christ, nicht dumm.
Er sei eben keiner, der nur mit strahlenden
Augen Halleluja ruft, sagt ein Freund, ein CDUMann, der es in der Partei weit gebracht hat.
Wenn die beiden abends zusammensitzen, will
Deichmann über Bibelstellen diskutieren. Im
Urlaub liest er Theologiebücher. Zu Hause
manchmal „Asterix“.
Deichmann ist Mitglied einer evangelischen
Freikirche, eine rund 50 Mitglieder zählende
Gemeinde, zu deren Regeln gehört, dass nicht
dpa Picture-Alliance/Julian Stratenschulte
Christ und knochenharter Rechner
Heinrich Deichmann Unternehmer & Ideen
nur der Pfarrer predigen darf, sondern jeder, nach seinem ersten Tag in der Firma, ins Büro
dem das wichtig ist. So kommt es vor, dass des Vaters geht und sagt, dass er, Heinrich, ja
Deichmann ein ganzes Wochenende lang die faktisch längst die Geschäfte führe, ob man das
Bibel studiert – und unzählige Auslegungen. nicht auch mal so nennen möge?!
Denkt. Formuliert. Um dann am Sonntag in
Deichmann schweigt, sieht einen Moment
­einem bis auf das Kreuz schmucklosen Raum fast vergnügt aus und sagt: „Kurz darauf haben
über Gott zu sprechen. „Sehr solide exegetische wir das Organigramm geändert.“ Er weiß, wie
Arbeit“, kommentiert sein ehemaliger Gemein- viele Familienunternehmen an diesem Punkt
deleiter Dietrich Kuhl. Sehr solide, das glaubt scheitern, weil der Alte nicht loslassen kann
man ihm sofort.
und der Junge zu viel will.
Inzwischen wird das Büfett im
Der Vater habe das nicht ganz
Curio-Haus wieder abgeräumt. Deichmann ist ein so toll gefunden, sagt DeichKapitalist, klar,
Deichmann steht noch immer
mann später. Aber alles in allem
an derselben Stelle, hat noch
sei die Sache so gewesen. Kein
aber einer mit
­immer nichts gegessen. „Ein GeStreit, keine Intrigen. Nur das
ethischem
sprächsmarathon“, murmelt er,
Organigramm. „Viele in der
Fundament
und dass es langsam anstrenBranche haben anfangs gePeter May Gründer der
gend werde. Er könnte jetzt auf
glaubt, dass die Schuhe des VaIntes Akademie für
Durchzug schalten, ein wenig
ters für den Sohn zu groß sind,
Familienunternehmen
­lächeln, ein wenig nicken, aha,
aber das waren sie nicht. Er hat
den Generationswechsel hervorhmm und Ja, Ja sagen. Keiner
würde das merken. Doch selbst an einem Abend ragend gemeistert“, sagt sein Geschäftspartner,
wie diesem, zwischen Bussis und Schampus, der Tamaris-Schöpfer Horst Wortmann. Deichwill Deichmann jedem zuhören, nachfragen mann hat die Außenstehenden überrascht. Mal
und das Gesprochene in seinem Kopf bewegen. wieder. Im Hintergrund geschnurrt.
Diese Geschichte passt zu ihm. Es würde aber
Die Oberfläche ist nicht sein Terrain.
Er versucht, Dinge durch Nachdenken zu lö- auch passen, dass er einfach nichts Schlechtes
sen. Das hat er von der Uni, nicht vom Vater. sagen will, den Alten schützen, so wie alle, die
Dessen berühmtes Bauchgefühl ersetzt der ihm lieb sind. Vor allem seine Familie.
Deichmanns Sohn studiert Wirtschaft. Die
Sohn lange durch Fleiß und Akribie. Entscheidungen zu treffen fällt ihm nicht immer leicht, Frage, ob auch er dem Vater folgen wird, drängt
sich auf. Deichmann schweigt. Er will keinen
schließlich will er alles richtig machen.
Doch am Ende ist es diese zurückhaltende, Druck aufbauen, dem Jungen die Wahl lassen.
manchmal etwas zu grüblerische Art, mit der er Die Tochter geht auf ein Internat. Ohne die Kinsich gegenüber dem Vater durchsetzt. Er spielt der fühlt es sich einsamer an in dem Haus, das
nicht den Konkurrenten, sondern erledigt, was er für seine Familie gebaut hat. Kein großes,
gerade dran ist. Aufgabe für Aufgabe. Das kann aber ein perfekt gelegenes, im vornehmen Esman langweilig nennen. Oder souverän.
sener Süden mit freiem Blick in die Natur. Und
ein Schwimmbad, das hat er sich, bei aller BeEs geht nicht mit dem Bauch allein
scheidenheit, dann doch gegönnt.
„Der Heino hat nie mit den Füßen gescharrt“,
Es ist kurz vor elf. Deichmann sitzt auf einem
sagt Henning Kreke. Der Douglas-Vorstand ist Hocker neben der Tanzfläche, sagt, dass er nie
seit Jahren ein guter Freund. Deichmann gibt einen Tanzkurs gemacht habe. „Aber ein bissdem Vater Zeit loszulassen. Sich daran zu ge- chen rumhüpfen, das kann ich schon.“ Macht
wöhnen, dass der Sohn Dinge anders macht, er aber nicht. Dabei hat man ihn jüngst durchdass man in einem internationalen Milliarden- aus bei dem, was er Rumhüpfen nennt, gesekonzern nicht nur auf den Bauch hören darf. hen, spät nachts und nicht mal schlecht.
Doch das ist heute nicht dran. Nicht DeichDass es nicht mehr mit handgeschriebenen
­Karteikarten funktioniert, sondern Programme manns Aufgabe. Das Geschäft wartet nicht, bis
braucht, die den unschönen Namen „Gesamt- er ausgeschlafen hat. So sieht man ihn kurze
Zeit später, gerade als die Musik lauter und das
planungsliste“ tragen.
Deichmann sagt: „Ach, ich könnte viele Din- Publikum lockerer wird, in ein Taxi steigen. Er
ge nennen, die ich ganz anders mache. Aber: will noch vor Mitternacht im Bett sein.
Sollen ihn die anderen doch langweilig nenWarum sollte ich das tun?“ Stattdessen erzählt
er, wie er eines Tages, 1999 war es, zehn Jahre nen. Oder souverän.
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