„Die Kunst im Stillen“
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„Die Kunst im Stillen“
LEIPZIG Freitag, 20. November 2009 Seite 19 Mildes Wetter versüßt das Warten auf den Weihnachtsmarkt Frühlingshafte Temperaturen – auch in den nächsten Tagen immer im zweistelligen Bereich – locken die Leipzigerinnen und Leipziger ins Freie. So werden auch die wenigen noch vorhandenen Freisitze genutzt. Clevere Gastwirte, wie hier an der Markt- galerie, laden zu Kaffee, Eis und erfrischenden Getränken zwischen letzter Sommerbepflanzung und den ersten Tannenzweigen - kurz bevor gleich nebenan am 24. November der diesjährige Weihnachtsmarkt eröffnet wird. Foto: Volkmar Heinz Notruf bei Liebeskummer, Mobbing und Stellung 69 Seit 15 Jahren berät das Kinder- und Jugendtelefon in Leipzig „Leipzig hilft Kindern“: Der Erlös der von Gewandhaus, Verbundnetz Gas AG und Leipziger Volkszeitung initiierten Benefizaktion kommt jedes Jahr wohltätigen Projekten zugute. Die LVZ stellt die Vereine vor, die sich beim Großen Concert am 29. November über einen Spendenscheck freuen dürfen. Heute: das Kinder- und Jugendtelefon des Deutschen Kinderschutzbundes. Jeden Tag klingelt in einer unscheinbaren Wohnung irgendwo in Leipzig 80- bis 90-mal das Telefon. Meistens geht es schnell, die Anrufer scherzen schlüpfrig mit stimmbrüchiger Stimme, andere testen einfach nur, wer unter dieser Nummer ans Telefon geht. Doch jeder fünfte Anrufer, meist weiblich und zwischen 12 und 16 Jahre, meint es ernst. Problembeladen und unsicher hat er die 0800 1110333 gewählt und stellt dem Berater die bestimmenden Fragen des Erwachsenwerdens: Ich bin verliebt, was kann ich tun? Meine Freundin will mit mir schlafen, was muss ich beachten? Wie geht Stellung 69? Ich werde im Freundeskreis gemobbt, was mache ich falsch? Ich bin zu dick, wie kann ich das ändern? Susann Pruchnik ist seit zehn Jahren Beraterin des Kinder- und Jugendtelefons des Deutschen Kinderschutzbundes, 2002 wurde sie Koordinatorin der Hotline. „Unser Telefon gibt es seit fünfzehn Jahren in Leipzig, jedes Jahr registrieren wir 20 000 Anrufe“, sagt die Sozialpädagogin. 80 Prozent der Anrufer kommen sofort durch, der Rest muss sich in der Warteschleife gedulden. 30 ehrenamtliche Berater stehen dem Kinder- und Jugendtelefon zur Verfügung, um Tag für Tag zwischen 14 und 20 Uhr erreichbar zu sein. Sie sind Sozialarbeiter und Hausfrauen, Bankangestellte und Die Beratung unter der kostenfreien Telefonnummer 0800 1110333 bleibt anonym – für die Anrufer genauso wie für die Berater. Foto: Deutscher Kinderschutzbund Rentner, haben eine 90-stündige Fortbildung hinter sich, verfügen über Empathie und eine weitere wichtige Voraussetzung: „Unsere Helfer müssen sich abgrenzen können und sich die Probleme der Anrufer nicht zu eigen machen“, sagt Pruchnik. Sich abzugrenzen ist nicht immer leicht, wenn am Telefon von Missbrauch und Gewalt in Familie und Freundeskreis, Ausgrenzung und viel zu frühen Schwangerschaften gesprochen wird. Alle vier bis sechs Wochen finden Treffen mit Psychologen statt, um über besondere Fälle zu sprechen. „Die meisten Probleme unserer Anrufer befassen sich mit Liebe, Partnerschaft und Sexualität“, so Pruchnik. In den letzten Jahren sei allerdings ein Anstieg von Anrufern feststellbar, die über Mobbing klagen, das sich als „Cybermobbing“ immer öfter auch im Internet abspielt. Zusammen mit dem Verein Nummer gegen Kummer will der Kinderschutzbund deshalb eine OnlineBeratung etablieren. Keines der Probleme wird abgetan, sei es auch nur das Zerwürfnis mit der besten Freundin. Pruchnik: „Wir können doch nicht abschätzen, wie sehr es die Psyche des Anrufers belastet.“ Seit 2001 bietet der Kinderschutzbund auch ein Elterntelefon, es ist in der gleichen anonymen Wohnung untergebracht und ebenfalls von einem ehrenamtlichen Berater besetzt. Während Kinder und Jugendliche meist nur Antworten auf ihre Fragen suchen, geht es den Erwachsenen um mehr: „Viele Eltern wollen einfach nur ihren Ballast loswerden.“ Michael Sellger „Die Kunst im Stillen“ Pünktlich zum Totensonntag erscheint eine neue Schriftenreihe „Die Kunst im Stillen“. Dahinter verbirgt sich ein Kompendium der Kunstschätze auf Leipziger Friedhöfen, das Alfred E. Otto Paul herausgibt. Der Leipziger Sepulkralforscher widmet sich seit mehr als zwei Jahrzehnten der Kunst– und Kulturgeschichte der Leipziger Friedhöfe. Im Erstling der Reihe werden 25 bedeutende Meisterwerke der Grabmalkunst des Leipziger Südfriedhofes in leicht verständlichen Texten gut bebildert vorgestellt. Bei seinen zahlreichen Führungen und Vorträgen ist der Experte gebeten worden, seine detailreichen Forschungsergebnisse niederzuschreiben. Seiner Meinung nach haben es 1000 Kunstwerke verdient, näher vorgestellt zu werden. Für die Reihe „Die Kunst im Stillen“ ist also noch genügend Stoff vorhanden. Hinzu kommt: Viele Grabmale sind marode, vernachlässigt oder zerstört. Nicht alle können restauriert werden. Deshalb ist absehbar, dass es einige in den nächsten Jahrzehnten nicht mehr geben wird. Paul erinnert dabei auch an bedeutende Leipziger Familien, die die Grabmäler in Auftrag gegeben haben. Und er beleuchtet, wie es dazu kam. Die Namen sind nicht unbedingt allen geläufig: Wer kennt schon den Husarenleutnant Alfred Naumann? Der 25-jährige Sohn einer angesehenen Leipziger Kommerzienrat-Familie zog 1914 gleich zu Beginn des Frankreich-Feldzuges in den Krieg – und starb am zweiten Weihnachtsfeiertag den Heldentod für sein Vaterland, wie es damals hieß. Nachdem die Leiche nach Foto: privat Erstling einer neuen Publikationsreihe zu Leipziger Friedhöfen erscheint am Sonnabend Die bronzene Grabmalplastik für den gefallenen Husarenleutnant Alfred Naumann. Leipzig überführt worden war, erwarb der Vater, Kommerzienrat Alfred Naumann, eine Begräbnisstätte mit einer Laufzeit von 100 Jahren für 5400 Goldmark und bestattete dort nach Errichtung einer Gruft seinen einzigen Sohn. Im April 1915 errichtete der Leipziger Bildhauer Ernst Prösdorf die gewaltige Findlingsgruppe, deren Mittelteil vier Meter hoch ist. Das Grabmal wird verziert von einem lorbeerumkränzten und bändergeschmückten Eisernen Kreuz, darunter steht der Name des gefallenen Husarenleutnants. Erst nach dem Ende des Krieges ent- stand im Jahre 1920 die beeindruckende bronzene Plastik der vor dem Sarkophag ihres einzigen Sohnes knieenden trauernden Mutter – ein Unikat des bedeutenden Leipziger Bildhauers und Leiters der Bildhauerklasse an der Kunstakademie Professor Adolf Lehnert (1862-1948). Weiterhin werden das Grabmal Heineckes, des Kommerzienrates Ludwig Hupfeld, des Bankdirektors Arthur Schindler, der Alma Freifrau von Stoltzenberg und vieler anderer in dem Buch vorgestellt. Der Autor ehrt damit auch Bildhauer und Architekten, die mit ihren Werken die Grabstätten der großen bürgerlichen Familien auf Leipzigs Friedhöfen schmückten. „Paul liefert damit eine längst überfällige Publikation zur kunst– und kulturgeschichtlichen Erlebbarkeit der Leipziger Friedhöfe“, meint Albrecht Graichen, der Leiter der kommunalen Friedhöfe. Die Publikation wird in der Leipziger Verlagsagentur Texturama herausgegeben. Der Verkauf zum Preis von 9,30 Euro beginnt ab Sonnabend auf Leipziger Friedhöfen – Bestellungen signierter Exemplare können ab sofort über die Paul-Benndorf-Gesellschaft zu Leipzig unter [email protected] oder telefonisch unter 034297 12305 aufgegeben werden. Bei einer Sonderführung am Sonnabend um 14 Uhr erläutert Paul die in der Publikation veröffentlichten Grabmale, zuvor ab 13 Uhr können Interessierte signierte Exemplare in der Geschäftsstelle der Paul-Benndorf-Gesellschaft am Haupteingang Prager Straße erwerben. Mathias Orbeck