Nr. 12: 122 - Arznei

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Nr. 12: 122 - Arznei
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es selektiv gesunde Zellen bei Chemotherapie schütze, diese
verträglicher mache, die Lebensqualität verbessere und die
Nachsorgekosten reduziere.1 Die durch die Zulassung eng begrenzte Anwendung zum Schutz vor Neutropenie-bedingten
Infektionen bei fortgeschrittenem Ovarialkarzinom unter Behandlung mit Cisplatin (PLATINEX u.a.) und Cyclophosphamid (ENDOXAN u.a.) und zur Nephroprotektion bei
hochdosiertem Cisplatin wird überspielt.
Die französisch-amerikanische Firma Rhône-Poulenc Rorer, Hersteller des Taxans Docetaxel (TAXOTERE), steht in
den USA unter Anklage, durch angeheuerte Wissenschaftler
nicht zugelassene Anwendungsgebiete beworben zu haben.2
Dessen ungeachtet betreibt sie gleiches auf dem Bremer
Krebskongress. Die zugelassenen Indikationen als Reservemittel zur Behandlung Anthrazyklin-resistenten Brustkrebses
wird unzulässig erweitert. Die Vorsitzenden des „wissenschaftlichen Programms” intervenieren nicht, obwohl einer
von ihnen zugleich beratender Arzt der Krankenkassen ist.
Auch die Bristol GmbH bereitet die Expansion ihres Taxans Paclitaxel (TAXOL) vor. Als „Service” versendet sie an
Ärzte ein Interview zur „First-line-Therapie des metastasierten Mammakarzinoms” mit Paclitaxel,3 obwohl dieses lediglich nach Versagen der Standardtherapie zugelassen ist.
Für Ärzte bedeuten Indikationsausweitungen ein erhöhtes
Haftungsrisiko. Erfolgt die Anwendung eines Arzneimittels
in Therapiestudien außerhalb der zugelassenen Indikationen,
rechtlich also im Rahmen eines Heilversuches, muss sich im
Schadensfall der Prüfarzt rechtfertigen (Beweislastumkehr),
nicht der Sponsor (vgl. a-t 7 [1993], 66).
FAZIT: In Deutschland mangelt es Fachgesellschaften
an Gespür für Strategien von Herstellern, die durch honorierte Meinungsbildner auf Kongressen und Fortbildungsveranstaltungen Indikationsausweitungen betreiben
und Werbung als Wissenschaft ausgeben lassen. Ethikkommissionen sollten vorgebliche Therapie-Optimierungsstudien ablehnen, wenn es sich in Wirklichkeit um
Phase-III-Studien zur Ausweitung des Anwendungsgebietes handelt. Aufsichtsbehörden, Fachgesellschaften,
Fachkreise, Krankenhausverwaltungen und Krankenkassen sind darüber zu informieren.
Beteiligte Ärzte laufen in eine Haftungsfalle, wenn
keine arzneimittelrechtliche Haftpflichtversicherung vorliegt, weil im Schadensfall nicht der Hersteller, sondern
der prüfende Arzt haftet. Von den Aufsichtsbehörden ist
zu fordern, dass sie dem systematischen Unterlaufen des
Arzneimittelgesetzes ebenso gezielt entgegenwirken, wie
es die US-amerikanische Zulassungsbehörde FDA vormacht.
1 WAGNER, W.: Bremer Krebskongress, 13. bis 15. Nov. 1997
2 Wall Street Journal vom 15. Sept. 1997
3 Onkologie Dialog 2/1997
Neu auf dem Markt ALLERGIE: FEXOFENADIN (TELFAST)
STATT TERFENADIN (TELDANE u.a.)?
Noch bevor das Antiallergikum Terfenadin (TELDANE
u.a.) zum Jahreswechsel wegen potentieller Herzschädlichkeit
(a-t 5 [1997], 57) verschreibungspflichtig wird, bringt die
Hoechst AG das Nachfolgeprodukt Fexofenadin (TELFAST)
auf den Markt. Der wirksame Metabolit von Terfenadin (Terfenadinsäure) soll nach heutiger Kenntnis nicht die kardiotoxischen Risiken der Muttersubstanz besitzen. In Kombination
mit Erythromycin (ERYCINUM u.a.) oder Ketoconazol
(NIZORAL) steigen die Fexofenadin-Plasmaspiegel, anscheinend ohne das QTc-Intervall im EKG zu verlängern.
Die unerwünschten Wirkungen des relativ gering sedierenden Fexofenadin schließen Kopfschmerzen, Dysmenorrhoe (1,3%), Dyspepsie (1,3%), Übelkeit (1,6%) und Mü-
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TERFENADIN (TELDANE U.A.) MUSS VOM MARKT
Spätestens die Einführung von Fexofenadin (TELFAST)
wäre der geeignete Zeitpunkt für Hersteller und Arzneimittelbehörde, sich vom riskanten Terfenadin (TELDANE u.a.) zu
trennen.
Es widerspricht den Grundsätzen des vorbeugenden Verbraucherschutzes, ein Mittel weiterhin anzubieten, das keine
Vorteile gegenüber Fexofenadin oder anderen geringer sedierenden Antiallergika besitzt, aber lebensbedrohliche Risiken
birgt.
Wir vermissen eine vorwärts gerichtete Strategie, erkannte
Gefahren wirksam zu verhindern. Auf der anderen Seite zahlt
Hoechst Wiedergutmachung für angerichtetes Leid (Seite
127). Was nützt ein „weltweit gespanntes Sicherheitsnetz”,
dessen sich Hoechst rühmt,5 wenn daraus keine Maßnahmen
zur Risikoabwehr folgen?
In Belgien, Frankreich, Griechenland, Italien und Luxemburg haben die Behörden Terfenadin vom Markt genommen,
in den USA und in der Schweiz wird versucht, die Rücknahme
zu bewirken (a-t 1 [1997], 16).
digkeit (1,3%) ein.1 „Auch wenn Fexofenadin gut vertragen
zu werden scheint, sollten sich die Fachkreise darüber im Klaren sein, dass die Zulassung auf Studien von zweiwöchiger
Dauer basiert,”2 kommentieren Autoren der australischen
Arzneibehörde. Nach Auffassung von Hoechst gelten die umfangreichen Erfahrungen mit Terfenadin hingegen auch für
die Neuerung, die „uns die Leber geschenkt” hat.3,4
Die Kosten der Tagesdosis zu 120 mg Fexofenadin
(TELFAST; 1,35 DM) liegen 10% unter denen des CetirizinOriginals ZYRTEC (1,51 DM/10 mg) und auf gleichem Niveau wie importiertes ZYRTEC (1,36 DM). Die 180 mg
Dosis ist indes mit 1,78 DM 18% bzw. 30% teurer.
Warenzeichen in
Österreich
und Schweiz
(Beispiele)
Cetirizin:
ZYRTEC
(A, CH)
Cisplatin:
PLATINOL
(A, CH)
Cyclophosphamid:
ENDOXAN
ASTA
(A, CH)
Docetaxel:
TAXOTERE
(A, CH)
Erythromycin:
MONOMYCIN
(A, CH)
Fexofenadin:
TELFAST
(CH, vorgeseh.
Handelsname in A)
Heparin,
unfraktioniert:
LIQUEMIN
(A, CH)
FEXOFENADIN IM KOSTENVERGLEICH
50 Tbl DM/Tag
Ketoconazol:
NIZORAL
(A, CH)
Fexofenadin
TELFAST 120 mg
TELFAST 180 mg
Hoechst Marion R.
Hoechst Marion R.
67,72
88,96
1,35
1,78
Cetirizin
ZYRTEC
ZYRTEC-Import
UCB
z.B. Emra-med
75,74
68,16
1,51
1,36
Paclitaxel:
TAXOL
(A, CH)
FAZIT: Der aktive Terfenadin (TELDANE u.a.)-Metabolit Fexofenadin (TELFAST) scheint nicht die kardiotoxischen Risiken der Muttersubstanz zu besitzen, deren
Marktrücknahme überfällig ist (Kasten). Solange größere
dokumentierte Erfahrungen mit Fexofenadin fehlen, halten wir andere wenig sedierende Antiallergika wie Cetirizin (ZYRTEC) für besser geeignet.
1
2
3
4
5
Terfenadin (ALLEGRA [USA])-Werbung: Arch. Int. Med. 156: 16 (1996)
Austral. Prescr. 20 (1997), 48
Hoechst Marion Roussel: Austral. Prescr. 20 (1997), 83
Pharm. Ztg. 142 (1997), 4228
Hoechst: Broschüre „Entscheidungen”, März 1992
Übersicht WELCHES HEPARIN
ZUR VORBEUGUNG UND BEHANDLUNG
TIEFER VENENTHROMBOSEN?
Vor gut zehn Jahren kam mit EMBOLEX NM* das erste niedermolekulare (fraktionierte) Heparin auf den Markt. Inzwischen stehen sechs Varianten zu Wahl (Tabelle 1). Eine therapeutische Überlegenheit der Neuerungen war lange Zeit
nicht zweifelsfrei nachgewiesen. Unfraktioniertes Heparin
(„Standardheparin”, LIQUEMIN N u.a.) blieb daher in den
meisten Anwendungsgebieten Mittel der Wahl (a-t 7 [1993],
68). Neue Erkenntnisse erfordern inzwischen bei einigen Indikationen eine Neubewertung.
*
1986 als Fixkombination mit Dihydroergotamin und Lidokain eingeführt.
Terfenadin:
TRILUDAN
(A)
TELDANE
(CH)