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Forum für Restauratoren, Konservatoren und Denkmalpfleger
INTEGRIERTE SCHÄDLINGSBEKÄMPFUNG IN MUSEEN
KULTURGUTERHALTUNG IN CHINA
VISUALISIERUNG VON COMPUTERTOMOGRAFIEN
ERHALTUNG VON NACHKRIEGSARCHITEKTUR
NATURSTEINFASSADEN: TAUSCHEN ODER KONSERVIEREN?
VORSCHAU ZUR LASERTAGUNG »APLAR 3« IN ITALIEN
MODERN CHINESE OIL PAINTING
www.restauro.de
4
Juni 2010
INHALT
20 Jahre IFS
216
Konservierung in China
234
Schädlingsbekämpfung
245
Tauschen oder Konservieren?
Foto/© Bernhard Furrer, CH-Bern
Foto/© IFS
Foto: Michaela Morelli (Sammlung Wagenburg/
Monturdepot, Kunsthistorischen Museums Wien)
210
RESTAURO AKTUELL
207
210
212
220
227
Editorial
Werkstätten und Institute
Blickpunkt
Unterwegs
Internet
228
230
231
232
Nachruf
Rezension
Ausstellungen
Firmen + Produkte
RESTAURO THEMEN
228
234
Pascal Querner und Michaela Morelli
Integrierte Schädlingsbekämpfung in Museen
Erfahrungen einer Umstellung
242
Imke Berg
Visualisierung von Computertomografien (CT) in der archäologischen Forschung
Einsatz von VG Studio MAX 2.0
245
Ulrich Gräf
Tauschen oder konservieren?
Überlegungen zu Maßnahmen an Natursteinfassaden
250
Uwe Zäh
Erprobung eines Bindemittels für die Natursteinkonservierung
Aktuelle Ergebnisse aus der Münsterbauhütte
252
Yao Erchang
The History, Materials and Techniques of Modern Chinese Oil Painting
A sketch
Workshop in Sarjah
Foto/©: Andrea Sartorius
225
Nachruf Otto Wächter
261
Anna-Catharina Wagner
The German Connection
A link between a German master and an eminent Victorian designer is found in a
modest Cambridge church.
RESTAURO RUBRIKEN
268
268
208
Autoren
Termine
269
270
Stellenanzeigen
Impressum
4/2010
INHALT
Ölmalerei in China
261
Viktorianische Kunst
Foto/© A.Wagner
252
Forum für Restauratoren, Konservatoren und Denkmalpfleger
INTEGRIERTE SCHÄDLINGSBEKÄMPFUNG IN MUSEEN
KULTURGUTERHALTUNG IN CHINA
VISUALISIERUNG VON COMPUTERTOMOGRAFIEN
ERHALTUNG VON NACHKRIEGSARCHITEKTUR
NATURSTEINFASSADEN: TAUSCHEN ODER KONSERVIEREN?
VORSCHAU ZUR LASERTAGUNG »APLAR 3« IN ITALIEN
MODERN CHINESE OIL PAINTING
Titelbild
Unbekannter Künstler.
Portrait einer Dame, Detail.
Öl auf Leinwand, spätes
19. Jahrhundert, China
Central Academy of Fine
Arts, Beijing, China.
www.restauro.de
4
Juni 2010
Die in RESTAURO veröffentlichten Ansichten der Autoren
müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen.
Bildnachweis: Soweit nicht anders angegeben,
stammen die Abbildungen von den Autoren.
Forum für Restauratoren,
Konservatoren und
Denkmalpfleger
116. Jahrgang
4/2010
Für die Zukunft gestalten.
209
UNTERWEGS
Foto/©: Bruno Maldoner
1
Nobody’s Darling
Rückschau auf eine Tagung zur Erhaltung,
Konservierung-Restaurierung und Dokumentation von Nachkriegsarchitektur
1
In vorbildlicher Weise vermittelt
das instandgesetzte Strandbad
Gänsehäufel den humanistischen
Geist seiner Bauzeit.
2
Die Ausflüge am zweiten Veranstaltungstag führten unter anderem
auch zum Museum des 20. Jahrhunderts.
220
Die Erziehung von Architekten an Universitäten
und Fachhochschulen legt bekanntlich weithin
ihr Schwergewicht auf die Projektierung von mehr
oder minder »feschen« Neubauten. Instandsetzung, Instandhaltung, Denkmalpflege gelten als
langweilig und führen daher ein weithin wenig
beachtetes Schattendasein. Dieses negative Bild
kann sich aber auch ins Positive wandeln, wenn
Restauratoren, die sich bisher mit einzelnen, meist
kleineren Objekten beschäftigten, nun ihren Blick
auf ganze Bauwerke erweitern. Im konkreten Fall
rückten Bauten der Moderne in den Fokus.
Der internationale Dialog, wie er an der Wiege
der Modernen Architektur stand, befruchtete
auch die am 26. und 27. Februar vom Institut für
Restaurierung an der Universität für angewandte
Kunst in Wien in Zusammenarbeit mit Docomomo Austria und dem Bundesdenkmalamt veranstaltete Tagung »Nobody’s darling? Preservation,
conservation and documentation of Postwar
Modernism«. In den Begrüßungsworten von Gabriela Krist in ihrer Funktion als Leiterin des Instituts für Restaurierung, Barbara Neubauer als
Präsidentin des Bundesdenkmalamtes wie auch
Norbert Mayr als Docomomo-Präsident spiegelte
sich dieser neue Weg der Annäherung.
Der Verfasser dieser Rückschau stellte im Einleitungsreferat den sozialen Auftrag der Bautätigkeit in den Nachkriegsjahren und das Bemühen
um verbindliche Lösungen für die Gesellschaft
vor. Mit der Bautätigkeit wollte man einer demokratisch orientierten Gesellschaft den Weg bereiten. Der Pathos der großen Aufmärsche und das
Krieg und Vertreibung begleitende Chaos sollten
so überwunden werden.
Gastreferenten aus Brasilien (Fernando Diniz
Moreira von der Federal University of Pernambuco) und aus Venezuela (Maria-Elena Ghersi Rassi
und Alvaro Gonzalez Bastidas von IDEA Caracas)
bewiesen den Willen der Universitäten, die enormen Herausforderungen anzunehmen, welche
sich aus dem großen und vielfältigen Bestand an
Bauten des 20. Jahrhunderts ergeben. Als unverzichtbar erweist sich die fachliche Weiterbildung
für Architekten und Ingenieure. Dafür gilt es,
nationale und internationale Netzwerke auf verschiedenen Ebenen zu entwickeln. Die Bauten
sind in höchstem Maß bedroht, für deren fehlende breite Akzeptanz mag das Wissensdefizit
verantwortlich sein.
Der Verwendung von Kunststoffen als Bau- und
Ausstattungsmaterial in der jüngeren Architekturgeschichte spürte Friederike Waentig (Fachhochschule Köln) nach. Sie konnte beweisen, dass
moderne Baustoffe über die – vorerst handwerkliche – Vorfertigung Eingang ins Baugeschehen
fanden. Von den vielen Versuchsbauten haben
nur wenige überlebt, denn der Werkstoff Plastik
impliziert scheinbar auch das Wegwerfen. Dennoch wird einzelnen Objekten bereits Denkmalcharakter zugestanden.
Wie die Nachkriegsarchitektur trotz ihrer – wohl
auch politisch motivierten – Ablehnung in weiten
Kreisen der Bevölkerung zu erforschen und zu
4/2010
UNTERWEGS
dokumentieren ist, zeigte das Beispiel aus der
Slowakei (Peter Szalay, Slowakische Akademie
der Wissenschaften). Das Archiv sammelt und
bearbeitet nicht nur systematisch Projektunterlagen und Baumaterialien, sondern erforscht und
dokumentiert auch die Beziehung zu dem jeweiligen Baustoffangebot anhand von (Firmen-)Katalogen, Materialmustern und Annoncen.
Der Erforschung und Darstellung von Zusammenhängen zwischen Entwicklung, Marktangebot
und Anwendungsmöglichkeiten, gezeigt für Stahlbeton, widmete sich die Darstellung von Thomas
Danzl (Akademie der Schönen Künste, Dresden).
Die Oberfläche als baukünstlerische Aussage verdient demnach besondere Beachtung.
Der Erforschung der Materialtechnologie widmete sich Walter Lukas (Universität Innsbruck), der
sich seit Jahrzehnten bemüht, brauchbare Werkstoffe für die Betoninstandsetzung zu entwickeln.
Die daraus resultierende Verfahrenstechnik ist
bestrebt, die Eingriffe möglichst gering zu halten,
wobei die Charakteristik der eingesetzten Werkstoffe ähnlich jenen der ursprünglichen sein sollte.
Die Darstellung einer – scheinbar unendlich
breiten – Palette von Möglichkeiten, sichtbar bleibende Betonoberflächen zu gestalten, stellte Karl
Langer (Docomomo Austria) in den Mittelpunkt
seines Referats. Er vermittelte eine Ahnung von
der Unmittelbarkeit, mit der dieser Werkstoff
Baugedanken zu vermitteln in der Lage ist.
Angesichts der Tatsache, dass viele Bauwerke
der Nachkriegsmoderne bereits verschwunden
sind oder zu verschwinden drohen, plädierte
Andreas Lehne (Bundesdenkmalamt) für möglichst vielfältige und von einer breiten Öffentlichkeit zu nutzenden Dokumentationsmethoden.
Diese zentral gesammelten Dokumentationen
sollten die Auswahl von zu schützenden Bauten
erleichtern und auch mithelfen, Interventionen
präzise zu setzen.
Wolfgang Salcher (Bundesdenkmalamt) führte
anschaulich vor, dass die Palette der Baudenkmäler und Denkmalgebiete, die erforscht, erhalten und betreut werden müssen, äußerst
vielgestaltig ist.
Foto/©: Bruno Maldoner
2
4/2010
THEMEN
Pascal Querner und Michaela Morelli
Integrierte Schädlingsbekämpfung in Museen
Erfahrungen einer Umstellung
Der nachfolgende Beitrag beschreibt die
Umstellung von der konventionellen Schädlingsbekämpfung mit Pestiziden auf ein integriertes Bekämpfungskonzept im Kunsthistorischen Museum (KHM) Wien. Einzelne Punkte
der Integrierten Schädlingsbekämpfung wie
Monitoring, Reinigung, Gebäude- und Klimaanpassungen und alternative Bekämpfungsmaßnahmen werden diskutiert. Der Artikel
veranschaulicht anhand mehrerer Beispiele,
dass Restauratoren, Reinigungspersonal,
Gebäudemanagement und interne oder externe Beauftragte für die Schädlingsbekämpfung
eng zusammenarbeiten müssen und die
Anwendung sehr komplex ist.
Michaela Morelli ist seit Februar 2000 Textilrestauratorin im Kunsthistorischen Museum
Einleitung
Das Konzept der Integrierten Schädlingsbekämpfung, im Englischen »Integrated Pest Management«
(IPM) genannt, wurde in den 1950er-Jahren in der
Nahrungsmittelproduktion und -lagerung entwickelt,
um die Applikation von Bioziden (hauptsächlich Insektiziden) zu reduzieren und gezielter einzusetzen.
Hierfür kommen unterschiedliche Methoden zur
Prävention und Erkennung eines Befalls sowie Alternativen zur Bekämpfung mit Chemikalien zum
Einsatz. Seit den 1980er-Jahren wird das Konzept
der Integrierten Schädlingsbekämpfung erfolgreich
auch in Museen und Depots angewendet (erstmals
beschrieben von Albert & Albert 1988 und Story
1986).
Heute gibt es kaum noch ein Museum in Europa,
in dem regelmäßig Pestizide gegen Schädlinge eingesetzt werden, da sich die meisten verwendeten
Chemikalien als schädlich für Objekt und Mensch
erwiesen haben. Strategien für Museen und Konzepte zur integrierten Schädlingsbekämpfung wurden von Jessup 1998, Kingsley et al. 2001 vorgestellt. Pinniger 2001 verfasste das bisher vollständigste Buch für Sammlungen und Museen zum
Thema IPM im Museum. Strang & Kigawa (2006)
beschreiben jeweils adäquate Vorgehensweisen
zur Prävention und Schädlingsbekämpfung für verschiedene bauliche Situationen und verweisen bei
begrenzten Umsetzungsmöglichkeiten auf entsprechende Alternativen. Nach Brokerhof et al. (2007)
ist die IPM Strategie grob in fünf zentrale Bereiche
234
Wien. Sie arbeitet für die Sammlungen Wagenburg, mit den dazugehörigen Depots das
Monturdepot, Teile des Lipizzanermuseums1
und ist u. a. zuständig für die präventive Konservierung, in dem Schädlingsmanagement
eine immer bedeutendere Rolle einnimmt.
Pascal Querner ist Biologe und auf Integrierte
Schädlingsbekämpfung in Museen und Depots spezialisiert. Er hat seit 2004 Monitorings
in unterschiedlichen Museen in Wien durchgeführt, u. a. auch für das Kunsthistorische
Museum in der Wagenburg, dem Monturdepot, der Schatzkammer und dem Lipizzanermuseum. Derzeit ist er als Spezialist
für Schädlingsbekämpfung am Rathgen
Forschungslabor Berlin für die Staatlichen
Museen Berlin tätig.
zu unterteilen: avoid (vermeiden), block (abwehren),
detect (kontrollieren), confine (isolieren), act (bekämpfen).
Häufige Schädlinge in Museen Zentraleuropas sind
z. B. die Kleidermotte (Tineola bisselliella),2 die Pelzmotte (Tinea pellionella), der Brotkäfer (Stegobium
paniceum), der Gemeine Nagekäfer (Anobium punctatum), unterschiedliche Pelzkäfer (z. B. Attagenus
smirnovi), Wollkrautblütenkäfer (Anthrenus sp.),
Silberfischchen (Lepisma saccharina), Mäuse, Tauben und Schimmel. Auf letzteren wird in dieser
Arbeit nicht eingegangen.
Im Gegensatz zum englischsprachigen Raum sind
Veröffentlichungen in Restauratorenzeitschriften
und Forschungen zu diesem Thema im deutschsprachigen Raum gering.
In der vorliegenden Arbeit wollen wir einen Überblick über den Stand der Wissenschaft über die Integrierte Schädlingsbekämpfung in Museen geben,
der die Bereiche historische Bekämpfung, Prävention, Monitoring und alternative Bekämpfungsmaßnahmen berücksichtigt. Die Umstellung von der
konventionellen Schädlingsbekämpfung mit Pestiziden auf ein integriertes Bekämpfungskonzept in
großen Museen gestaltet sich oft schwierig, weshalb im vorliegenden Beitrag die Erfahrungen der
Autoren aus dem Kunsthistorischen Museum Wien
Eingang finden. Meilensteine auf dem Weg zur Integrierten Schädlingsbekämpfung im KHM waren der
Bau einer hausinternen N2-Anlage und die Durchführung von regelmäßigen Kontrollen mithilfe von Fallen.
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THEMEN
1
hängig von der Innentemperatur kann sich jährlich
eine bis mehrere Generationen von Schädlingen
entwickeln. Das Klima darf allerdings nur so weit
reguliert werden, wie es für die Objekte verträglich
und vertretbar ist. In den meisten Fällen decken
sich die Interessen jedoch. (3) Die in festen Abständen angelegte Reinigung von Böden, Fensterbänken (Abb. 1), Nischen, Schächten etc. reduziert die
potenziellen organischen Nahrungsquellen vieler
Insekten. Dabei kommt es auch zu wiederkehrenden Störungen der Tiere, was ihre Lebensbedingung verschlechtert (Strang & Dawson 2001). Bei
der Reinigung, besonders durch geschultes Personal, wird der gesamte Zustand der Sammlung in
regelmäßigen Abständen kontrolliert, so lassen sich
Veränderungen feststellen wie z. B. neue Fraßschäden. (4) Durch Quarantäne kann das Einschleppen
von Schädlingen bei einem Neuerwerb von Objekten oder nach der Rückkehr von Leihgaben verhindert werden. Dafür ist ausreichend Platz notwendig,
um diesen Bereich vollständig vom Rest der Sammlung zu trennen.
Prävention
In der Integrierten Schädlingsbekämpfung ist die
Prävention eines Befalls der erste Schritt, die Sammlung vor Schädlingen zu schützen. (1) Ein sehr wichtiger Bestandteil ist der Schutz vor einem Befall von
außen. Eine dichte Gebäudehülle verhindert das
Eindringen von Schädlingen und ist der sicherste
Schutz (Strang & Dawson 2001). Linnie (1987) hat
gezeigt, dass ein Befall von Schädlingen häufig über
offene Fenster oder Türen erfolgt. Deren Abdichtung, z. B. mit feinen Insektengittern, ist eine einfache und kostengünstige Variante, um das Eindringen von Schädlingen zu verhindern. (2) Ein entsprechend reguliertes Klima im Gebäude kann die
Lebensbedingungen der Tiere verschlechtern und
ihre Entwicklung verlangsamen oder stoppen. Ab-
Monitoring
Im Rahmen eines Monitorings wird das Auftreten
von Tieren, z. B. von Mäusen oder Insekten, frühzeitig mithilfe von Köder-, Klebe- oder Pheromonfallen erkannt (Child & Pinniger 1993, Pinniger et al.
2004, Cox et al. 1996). Klebefallen werden entlang
von Wänden und in Ecken aufgestellt. Die darin
gefangenen Tiere, egal ob Schädlinge oder zufällige
»Gäste«, geben einen Überblick über die im Gebäude aktiven Tiere (Abb. 2).
Unter Restauratoren ist noch immer die Angst
weit verbreitet, dass Pheromone zusätzlich Objektschädlinge von außen in ein Museum oder Depot
locken. Der Sexuallockstoff der Pheromonfalle zieht
jedoch nur männliche Insekten (beispielsweise Motten) an, die für die Objekte keine Gefahr darstellen.
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Foto: Michaela Morelli (Sammlung Wagenburg/
Monturdepot, Kunsthistorischen Museums Wien)
Historische Schädlingsbekämpfung in Museen
Seit der Sammlung und Lagerung von kunst- und
naturhistorischen Objekten in Museen verursachen
Tiere, darunter hauptsächlich Insekten, Schäden an
Sammlungsobjekten. Zu den natürlichen Nahrungsquellen der Schädlinge gehören organische Materialien wie Totholz, Federn, Felle, Naturfasern, stärkehaltige Materialien oder tote Tieren und Pflanzen,
sodass Sammlungen mit z. B. Holzobjekten, Tierpräparaten, Textilien aus Tierwolle, Objekten mit Federn oder stärkehaltigen Klebstoffen und anderen
organischen Materialien bei Schädlingsbefall stark
geschädigt bis völlig zerstört werden können. Um
diesen Befall zu stoppen und vorzubeugen, erfolgte noch bis vor etwa 15 Jahren die regelmäßige Behandlung der Objekte mit Bioziden (z. B. DDT, Lindan,
Methylbromid oder Blausäure), oft ohne sich eines
Befalls von Objektschädlingen 100 Prozent sicher
zu sein. Der Einsatz von Pestiziden wurde als die
einzig sichere Maßnahme angesehen. Durch die
Entwicklung von Resistenzen der Schädlinge gegen die eingesetzten Gifte (Stein 1986) erfolgte der
Befall immer wieder aufs Neue; keine langfristige
und nachhaltige Lösung stand in Aussicht. Zum Beispiel kamen häufig Naphthaline zum Einsatz, die
aber über die Jahre an Effektivität verloren (Linnie
& Keatinge 2000).
Mit der Entwicklung konservatorischer, restauratorischer und naturwissenschaftlicher Methoden in
der Kunst- und Kulturguterhaltung wurde deutlich,
dass der Einsatz von Chemikalien auch negative
Reaktionen an den Objekten hervorrufen kann, z. B.
Korrosionen an Metallen (Babin 1990, Hammick
1989, Kerr & Hammick 1989). Gleichzeitig ist das
Gesundheitsbewusstsein der Restauratoren gestiegen, die sich nicht mehr den schädlichen Pestizidrückständen aussetzen wollten (Linnie 1997, Florian
1988). Nach Child (mündl. Mitteilung) können alle
Objekte, die über zehn Jahre in Museen lagern, Pestizidrückstände enthalten. Seit Verbreitung dieser
Erkenntnisse hat der Einsatz von Chemikalien in
Museen abgenommen (Dawson & Strang 1992).
1
Reinigung der Fensterbänke in der
Schauhalle der Sammlung Wagenburg/Monturdepot des Kunsthistorischen Museums Wien.
235
THEMEN
ihm vorliegenden Materials zu beobachten (Abb. 10).
Die Bearbeitungstools der Software erlauben einen
geradezu chirurgisch genauen Schnitt durch die Objekte (Abb. 11). Hier können Materialstärke und tiefreichende Schädigungen wie Risse und Fehlstellen
erkannt und genau vermessen werden.
Die 3D-Ansichten haben zumeist eine so hohe
Qualität, dass sie für Publikationen eindrucksvolle
Foto/© Berg, NLD Hannover
8
Illustrationen bieten (Abb. 12). Für den musealen
Bereich lassen sich bereits mit geringem Aufwand
kleinere animierte 3D-Präsentationen erstellen.
Die Visualisierungs- und Bearbeitungsmöglichkeiten von CT-Datensätzen mit VG Studio MAX 2.0
bieten dem Archäologen wie dem Restaurator gute
Möglichkeiten zur Vorauswertung archäologischer
Objekte, speziell auch archäologischer Blockbergungen. Ohne den Block in aufwendiger Kleinarbeit
freilegen zu müssen, ist der Archäologe in der Lage,
mithilfe der Tools genaue Informationen über Objektansprache, die daraus resultierende Datierung,
Ausstattung des vorliegenden Grabes und die Insitu-Lage der Einzelobjekte, deren genauen Maße
und aufgrund bestimmter Dichtewerte auch Erkenntnisse über das vorhandene Material zu gewinnen.
Für den Restaurator bietet das Programm die optimale Vorbereitung zur genauen Arbeitsplanung
für eine schonende Freilegung, gegebenenfalls
lassen sich präventive Festigungsmaßnahmen besser in den Arbeitsablauf einplanen und gezielter
durchführen.
10
Foto/© Berg, NLD Hannover
11
Volume Graphics, Wieblinger Weg 92a,
69123 Heidelberg, Tel. 06 22 1/7 39 20-60,
Fax -88, [email protected],
www.volumegraphics.com
Imke Berg
Visualization of computer tomographies (CT)
in archaeological research via VG Studio
MAX 2.0
The storage and regeneration of more than 200 excavated
block units from the old Saxonian burial ground in
Immenbeck near Buxtehude cause serious problems that
8
Im Test-Block farbig markierte
Bügelfibel.
9
Unter einer Organikschicht
verborgener Spiralapparat einer
Scheibenfibel.
Foto/© Berg, NLD Hannover
are often underestimated, especially because the blocks
12
contain, among other things, highly sensitive pieces made
of glass and partially hundreds of very small beads. In
view of the dimension of such finds, Monika Lehmann,
the leader of the restoration workshops of the State Office
for Historical Monuments Hannover (NLD), and Michael
Meier, restorer at the NLD, developed a research project
focussing on the possibilities and limits of computer tomographies for the evaluation of excavated block units.
Under the leadership of Dr. Jan-Joost Assendorp, the
restorer Imke Berg (M.A.) analyses a selection of exca-
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Blockinhalt mit Messer und
Schlüssel in 3D-Ansicht.
11
Geschnittenes Messer, zur Visualisierung der Materialstärke.
12
Geschnittene Glasperle mit Lufteinschlüssen.
244
µCT/© Leibnitz-Universität Hannover,
Abt. Werkstoffkunde
9
Foto/© Berg, NLD Hannover
Weitere Informationen
vated block units by means of conventional X-ray images
(MPA Hannover), industrial computer tomographies
(VW Hannover) and micro computer tomographies (Leibnitz University Hannover, Department of Material Science).
She holds a postgraduate scholarship of PRO*Niedersachsen.
Keywords: excavation of block units, software programme,
non-destructive exposure of layers, reproduction of images, CT data, data sets, illustration, computer programme
4/2010
THEMEN
Ulrich Gräf
Tauschen oder konservieren?
Überlegungen zu Maßnahmen an Natursteinfassaden
Ist das Auswechseln von Steinen langfristig
günstiger als konservierende Maßnahmen?
Ulrich Gräf ist dieser Frage in seiner langjährigen Praxis als Kirchenoberbaudirektor auf den
Grund gegangen und kommt zu recht eindeutigen Ergebnissen.
Ulrich Gräf ist gelernter Steinmetz und studierter Architekt. Er war 15 Jahre als Gebietsreferent beim Landesdenkmalamt BadenWürttemberg und danach 16 Jahre als
Kirchenoberbaudirektor für die evangelische
Landeskirche in Württemberg tätig. Seit Juni
2009 ist er im Ruhestand.
Seit mehr als 30 Jahren habe ich mich immer wieder mit der Frage beschäftigt, wann es wirtschaftlich sinnvoll ist, bei anstehenden Natursteinarbeiten an Fassaden Steine zu konservieren. Alle in der
Steinrestaurierung Tätigen kennen die Verfahren
der letzten Jahrzehnte, den Glauben der MinerosAnhänger, mit Steinersatz alles reparieren zu können, und auch das viel gepriesene Allheilmittel hydrophober Kieselsäureesther.
Heute muss festgestellt werden, dass
sich viele methodische Ansätze nicht
bewährt haben und deshalb die Anhänger der Steinauswechslung immer noch in der Mehrzahl sind.
Aus der langjährigen Zusammenarbeit vor allem mit dem Steinrestaurator Albert Kieferle und dem Amtsrestaurator für Stein im Landesamt
für Denkmalpflege, Otto Wölbert, haben wir einige Überlegungen für die
Praxis abgeleitet. Es geht dabei nicht
um eine wissenschaftliche Studie,
sondern um Erfahrungen, die sich aus
der langjährigen Praxis entwickelt und zur
Gewissheit verdichtet haben. Es ging dabei immer um die dringliche Entscheidung: Ist die Reparatur, d. h. das Auswechseln von Steinen, langfristig kostengünstiger als konservierende
Maßnahmen, die in regelmäßigen Abständen wiederholt werden müssen
und letztendlich doch ebenfalls rasch
in eine Auswechslung von Steinen
führen?
Ich möchte meinen methodischen Ansatz am Beispiel von Steinkirchen aufzeigen. Meine Mitarbeiter und ich haben dabei in vielen Diskussionen ein einfaches
Konzept erarbeitet, das ermöglichen soll,
eine schnelle Abschätzung der besten Methode für die Steinrenovierung vornehmen zu
können und damit auch eine grobe Einschätzung
der voraussichtlichen Kosten zu geben.
Um eine Finanzierung für eine Maßnahme vorzubereiten, ist es unerlässlich, Kostengrößen zu benennen, damit die für die konkreten Planungen erforderlichen Aufträge erteilt werden können. Eine Maßnahme kann in der Regel nicht begonnen werden,
wenn die Finanzierung nicht gesichert ist. Und genau
dazu bedarf es bereits vor der konkreten
Planung einer möglichst verlässlichen Einschätzung der Kostengrößen. Die Kostenaussage muss meist zu einem Zeitpunkt
erfolgen, an dem noch keine konkrete
Steinschadenskartierung erfolgt ist. Allerdings ist eine genauere Kostenabschätzung erst mit einer solchen Kartierung möglich.
Für Steinkirchen in der evangelischen Landeskirche in Württemberg ist es inzwischen üblich, dass Maßnahmen an den Steinfassaden
durch eine Steinschadenskartierung und
die darauf aufbauende Maßnahmenplanung mit Ausschreibungskonzept vorbereitet werden. Nur so ist es für den
planenden Architekten heute noch möglich, Natursteinarbeiten an Steinkirchen
zu bewältigen.
Der nicht unerhebliche Aufwand für
eine Schadenskartierung, die in der
Regel auch eine Gerüststellung erforderlich macht, muss für den Bauherrn
in einem erkennbaren Nutzen zum Gesamtaufwand stehen. Für den Bauherrn ist es deshalb absolut notwendig, eine Einschätzung der entstehenden Kosten
und eine schlüssige Begründung für den
zu leistenden Aufwand für eine Steinschadenskartierung zu erhalten, die sich
selbstverständlich nur aus Erfahrungswerten ergeben kann, die auf methodischen Ansätzen basieren. Für die bessere Einschätzung von Natursteinarbeiten unterscheiden wir dabei die
folgenden drei Einordnungen von Steinkirchen, sich daraus ergebende Verhältnisse von Mauersteinen zu Profilsteinen und verschiedene Verwitterungszustände:
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