ME 15/03/2007 - Helmut Massenkeil

Transcrição

ME 15/03/2007 - Helmut Massenkeil
KULTUR
Donnerstag, 15. März 2007
Schwein(e) gehabt
Auf der Saitenstraße
Loreena McKennitt in der Jahrhunderthalle Frankfurt
Helmut Massenkeil baut Installation in Galerie Metzger
JOHANNESBERG. Schweine, wohin das
Auge blickt: Auf dem Boden, in den Trögen, an den Wänden des ehemaligen
Stalles tummeln sich die Tiere. Mal als
gebrannte Keramik, mal als Abdruck auf
dem Fußboden oder als Eisenguss: Das
Borstenvieh bevölkert das Entrée der
Galerie Metzger in Johannesberg. »PigHome Home-Pig« nennt der Aschaffenburger Künstler Helmut Massenkeil sein
entstehendes Raumbild, das er anlässlich des zehnjährigen Bestehens des
Kunstraumes vor Ort entwickelt.
»Ich will dem Publikum bewusst machen, was das hier mal früher war: ein
Schweinestall. Gemauert, stabil, jedem
Wetter trotzend, ein Gebäude mit Charakter und einem Gesicht. Heutige Ställe
sehen doch alle gleich aus – aus Stahloder Kunststoffkonstruktionen. Eben
praktisch, aber glatt und kalt. Mit meiner
Installation möchte ich auch die heutigen
Haltungsbedingungen von Schweinen,
überhaupt von Nutztieren, unter einem
kritischen Blickwinkel betrachten«, erklärt der Bildhauer. Massenhaltung in
viel zu engen Ställen mit Spaltböden gehört heute zur Regel in der konventionellen Schweinezucht und -mast. Das ist
zwar hygienisch, aber meilenweit von der
Natur und einer artgerechten Tierhaltung entfernt, weil die Tiere einem extremen Stress ausgesetzt sind.
In dem Schweinestall von früher war
noch Beschaulichkeit angesagt, die Tiere
konnten sich bewegen, sich suhlen und
Kontakt mit den anderen pflegen, wie sie
wollten. Diese Gemütlichkeit konterkariert Massenkeil mit den vielen kleinen
Keramikschweinchen, die auf den Sandsteinmauern hocken, in Kästen eingesperrt sind und auf Haufen von Bauschaum sitzen, die sich in den alten Sandsteintrögen auftürmen. Unappetitlich
quillt die Kunststoffmasse über den Rand
der Tröge – wie krank machende Futter.
»Vielleicht färbe ich es giftgrün ein,
mal sehen, wie das aussieht«, erläutert
der Künstler. Alles ist im Werden, im
Entstehen, aber die Grundidee ist schon
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gut zu erkennen. Weiße Abdrücke von
Schweinehälften ziehen sich wie ein seltsames Muster über den Boden aus gebrannten Lehmziegeln. Massenkeil hat
hierfür Hasenleim mit Champagnerkreide vermischt, die er durch eine Schablone
malt. Die Rückwand des Stalles ist mit
rosa Schweinen bemalt, die sich in rosaroten Wolken auflösen– Träume von
glücklichen Rüsseltieren. »Das Ganze
soll subtil wirken, das ist mir wichtig, etwas mit dem Holzhammer vermitteln zu
wollen ist nicht meine Art«, sagt er. Als er
das erste Mal vor Ort war, wusste er, dass
er etwas Anderes, etwas Neues machen
musste. »Ich konnte da nicht einfach so
mein Zeug reinstellen, dafür war der
Raum zu eigen«, erklärt der Künstler.
Schweinehälften – rosa, braune,
schwarz-weiß gescheckte oder getüpfelte
– sind in einer kleinen Holzkiste mit
durchsichtigem Deckel eng zusammengepfercht: Massenkeils zarter Hinweis
auf das knallharte Geschäft mit dem
Fleisch der Tiere – und auf deren Leidenweg bis zum Schlachttag.
Von einem Band hört man Grunzen,
Kauen, Schnorcheln, Wiehern: tierische
Laute, die Massenkeil zu einer eigenartigen Toncollage verfremdet hat. Selbst
die klingen nicht mehr wie in der Natur,
sondern wie aus einer Konserve. Und
sind zusätzlich ein Verweis auf die ursprüngliche Funktion des Ortes. Leise
Melancholie macht sich breit, wenn man
den Stall betritt. Früher grunzten hier
wirklich mal zufrieden Schweine an den
Trögen, heute dient der Stall als Galerieraum. Helmut Massenkeils unaufdringliche Installation erinnert an die Vergangenheit des Ortes – ohne die Gegenwart
in Frage zu stellen.
Bettina Kneller
Eröffnung der Ausstellung am 22. April, 11
Uhr mit einer Einführung von Brigitte Schad.
B
Bis 15. Mai geöffnet jeweils Mittwoch 15 bis 19
Uhr, Samstag 15 bis 17 Uhr, Sonntag 11 bis 17
Uhr und nach telefonischer Vereinbarung unter
岼 06021/460224; Gang durch die Ausstellung mit
Helmut Massenkeil am Mittwoch, 16. Mai, um 18
Uhr.
Helmut Massenkeil
und seine Schweine: Der 1949 in
Oberlahnstein geborene Künstler
lebt und arbeitet
seit 1980 in
Aschaffenburg.
2006 erhielt der
Bildhauer gemeinsam mit seiner
Lebensgefährtin
Andrea Müller den
Kulturpreis der
Stadt Aschaffenburg. In der
Johannesberger
Galerie Metzger
entwirft er derzeit
eine Installation in
einem alten
Schweinestall
(oben). Dazu hat
der Künstler jede
Menge Keramiken
in Schweineform
in dem Raum verteilt (unten).
Fotos: Bettina Kneller
FRANKFURT. Es heißt, dort beginne die
Ewigkeit, wo sich zwei parallel verlaufende Linien berühren. Was scheinbar so
unmöglich scheint: Mit Linien – was ja
letztlich auch Straßen, Flüsse, Saiten
sein können – hat die Wirklichkeit viele
Beispiele, dass es immer wieder Wege in
die Ewigkeit gibt.
Brian Hughes an seinen Gitarren, der
Oud und der Bouzouki, Hugh Marsh ander Violine streichen zwei solche parallele Linien mit ihren Saiteninstrumenten
und der Berührungspunkt ist dort, wo
Loreena McKennitt die Töne in ihrer elfengleichen Stimme bündelt und sie in
Klangkaskaden in den Raum ergießt. So
ist denn das Konzert der kanadischen
Bardin mit ihrer Band am Montag in der
ausverkauften Jahrhunderthalle Frankfurt eines für die Ewigkeit: weil sich über
dem basslastigen Fundament von Ben
Grossman (Hurdy Gurdy) und Tim Landers (Bass) die beiden Eckpunkte Hughes
und Marsh – jener mit Unterstützung von
Caroline Lavelle am Cello und Sokratis
Sinopoulus mit Lyra und griechischer
Laute – mit ihren Saitenspielen immer
wieder aufeinander zu bewegen, obwohl
jeder der beiden für sich selbst in Harmonie versinkt und eine Klanglinie von
nachhallender und nicht endend wollender Schönheit zeichnet.
Neun Jahre nach ihrer grandiosen
»Book-of-secrets«-Tour also ist die im
Februar 50 Jahre alt gewordene Harfenistin, Pianistin und Akkordeonspielerin Loreena McKennitt wieder auf Konzertreise. Nach dem Titel ihres neuen Albums »An ancient muse« beschreitet sie –
nach mehreren Todesfällen in der Familie und dem darauf folgenden Rückzug
ins Private – nun den Weg auf der aus
Sagen gewobenen und Kulturen verbindenden Seidenstraße aus dem Nahen in
den Fernen Osten: aus dem Nichts der
seelischen Leere mit fein gesponnenen
Mythen und Märchen in die Unendlichkeit der Klangwelten und selbst bei den
stillen Passagen vom lebensmutigen Dur
geprägt.
Und obwohl die Kulisse der aktuellen
Tournee der nahezu eine Dekade zurückliegenden bis ins Detail gleicht – sogar die
Musiker haben wieder ihre Plätze auf der
Bühne –, ist »An ancient muse« als Gesamtkunstwerk doch in sich geschlossener, geradliniger, stringenter. Das begründet sich vor alle in dem größeren
Freiraum, den McKennitt ihren neun
Mitmusikern lässt: Die Kompositionen
geraten so im Live-Spiel nicht zuletzt
durch den wuchtigen Einsatz der Schlagwerke – Tal Bergman, Rick Lazar und Donald Quan an den Trommel und Perkussions-Batterien – energetischer, körperbetonter, im ursprünglichen Wortsinn
die Saiten der Empfindungen berührender.
Und doch ist es letztlich die Komponistin, die die Linien der Musik und der darin verborgenen Philosophie zusammenführt: die Zeitlosigkeit keltischer, osmanischer und maghrebinischer Rhythmen
mit indianischem Schamanengesang, europäischem Barock und Metal-Beat eint
und so eine universelle Mäanderlandschaft schafft, in der einem lebenden Organismus alles auseinanderfließt und im
Saitenspiel und Trommelpuls wieder zusammenströmt.
So sicher ist Loreena McKennitt sich
denn ihres Weges, dass sie nach einem
orgiastisch aufbrausenden »The old way«
aus einem frühen Album mit einem an
Lautmalerei mählich versickernden »Never ending road« des aktuellen »Ancientmuse«-Albums das Konzert beenden
kann – und mit dem Shakespeare-Zitat
als Zugabe, alles auf dieser Welt werde zu
Staub zerfallen, denn alles Sein sei vergänglich.
Die Wirklichkeit aber ist manchmal eine ganz andere: Dieser Abend beispielsweise ist für die Ewigkeit, weil aus der
Parallelität von Melodien und Gefühlen
ein Gleichklang entstand. Mehr – und das
ist selten genug – kann Musik nicht leisten.
Stefan Reis
Loreena McKennitt: An ancient muse, CD
2006 – Live in Paris and Toronto 1998, DopB
pel-CD (beide (Quinlan Records)