Quantitative Niederschlagsvorhersage

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Quantitative Niederschlagsvorhersage
Das Schwerpunktprogramm SPP 1167 der Deutschen Forschungsgemeinschaft
„Quantitative Niederschlagsvorhersage“
Andreas Hense (Sprecher), Gerd Adrian, Christoph Kottmeier,
Clemens Simmer und Volker Wulfmeyer
Seit 1. April 2004 läuft das neue Schwerpunktprogramm 1167 der Deutschen Forschungsgemeinschaft
DFG zum Thema „Quantitative Niederschlagsvorhersage“. Es ist das erste Schwerpunkt-Programm
für die Meteorologie seit Beendigung des Schwerpunktprogramms „Orographie und Fronten“ vor etwa
15 Jahren. Beteiligt sind insgesamt 23 Projekte, die sich an dem Gesamtantrag zur Einrichtung des
SPP orientieren. Dieser Gesamtantrag ist von G. Adrian (DWD, Offenbach), C. Kottmeier (Universität
Karlsruhe), V. Wulfmeyer (Universität Hohenheim), C. Simmer und A. Hense (Universität Bonn)
formuliert und der DFG im Februar 2003 vorgelegt worden. Da das Thema ein aktuelles Problem der
Wettervorhersage aufgreift, ist der Deutsche Wetterdienst von Anfang an der Planung beteiligt
gewesen und jetzt mit seiner Infrastruktur, dem Hintergrundwissen seiner Mitarbeiter und den
internationalen Kontakten in vielfältiger Art und Weise im SPP involviert und somit eine wesentliche
Säule für die geplanten Arbeiten.
Der Gesamtantrag ist im Mai 2003 durch den Senat der DFG genehmigt worden. Die Einzelprojekte
konnten dann in der Folge beantragt werden. Ein Begutachtungskolloquium fand Anfang Dezember
2003 im Kloster Walberberg in Bornheim zwischen Köln und Bonn statt, bei dem ein international
besetztes Gutachtergremium die endgültige Auswahl über die Teilprojekte für die erste Förderperiode
2004/2005 traf. Ein Kick-off Treffen am 5. und 6. April 2004 am Meteorologischen Institut der
Universität Bonn läutete dann den endgültigen Start des neuen SPP ein. Der folgende Artikel gibt
einen Überblick über die Ziele des neuen Programms, das insgesamt über drei Förderperioden bis
2009 laufen wird. Die Koordination erfolgt am Meteorologischen Institut der Universität Bonn und
Sprecher des SPP ist Andreas Hense. Weiter Informationen finden sich im Internet unter der Adresse
http://www.meteo.uni-bonn.de/projekte/SPPMeteo .
1. Einleitung
Wasser ist die Voraussetzung für die wichtigsten Lebensprozesse. Die Atmosphäre regelt maßgeblich
durch den Niederschlag die Verfügbarkeit von Wasser. Die Vorhersagbarkeit der Atmosphäre im
Allgemeinen und die des Niederschlags im speziellen sind daher von herausragender gesellschaftlicher
und volkswirtschaftlicher Bedeutung, ihre Verbesserung ein Mandat der Daseinsfürsorge. Land- und
Wasserwirtschaft, Luft- und Schiffsverkehr, Straßentransport und Energiewirtschaft hängen
unmittelbar vom Atmosphärenzustand ab. Schäden, die durch extreme Niederschlagsereignisse
entstehen, belasten in besonderem Maße die Haushalte von Wirtschaftunternehmen, Bund und
Ländern. Menschen, die von extremen Niederschlagsereignissen betroffen sind, stehen oft vor dem
wirtschaftlichen Ruin. Die Anfälligkeit gegenüber Extremereignissen wie Starkniederschlägen oder
Hagelschlag und Sturm wird sich in den Industrienationen angesichts der zunehmenden Anhäufung
von Sachwerten und der Optimierung wirtschaftlicher Abläufe weiter verstärken. Dies hat sich im
Jahr 2002 in Europa wieder nachdrücklich gezeigt. Aber auch die quantitative Vorhersage von nichtextremen Niederschlagsereignissen ist von mindestens vergleichbarem Nutzen, auch wenn die
vermeidbaren Verluste meist nicht so spektakulär erscheinen. Ergänzt durch Abschätzungen über ihre
möglichen Unsicherheiten sind solche Vorhersagen als Eingangsvariable für hydrologische
Anwendungen oder bei der land- und bauwirtschaftlichen Beratung von unschätzbarem Wert.
Durch die Weiterentwicklung von Vorhersageverfahren und Beobachtungssystemen hat wohl in den
letzten Jahren die Qualität der kurz- (bis 3 Tage) und mittelfristigen (bis 10 Tage) Wettervorhersage
z.B. für Temperatur und Wind stetig zugenommen. Im Gegensatz dazu gibt es beim Niederschlag
heute noch die gleichen Defizite wie vor 16 Jahren. Diese Befunde werden durch Abbildung 1 (DWD,
2002) belegt, in der die Verbesserungen der Vorhersagegüte der 24 h Vorhersage beim Deutschen
Wetterdienst (DWD) zwischen 1984 und 2000 dargestellt ist. Verwendet wird das Verhältnis der
Differenzen der Fehlervarianz zwischen 1984 und 2000 zur Fehlervarianz in 1984 (RV: Reduction of
Variance) für verschiedene vorhergesagte Variablen. Positive Werte stellen einen Gewinn an
Vorhersagefähigkeit dar, Werte um Null keinen Gewinn. Bestimmt wurde diese Zahl als Mittel für 14
Stationen in ganz Deutschland. Temperatur, Bedeckungsgrad und mittlere Windvorhersagen (MIN:
Minimumtemperatur, T: Termintemperatur, MAX: Maximumtemperatur; dd,ff Windrichtung und
Windstärke) zeigen deutliche Verbesserungen.
Dagegen ist es in den Jahren zwischen 1984 und 2000 nicht gelungen, die Vorhersage zu verbessern,
ob überhaupt Niederschlag in einem gewissen Gebiet fällt (Niederschlag ja/nein) und ob Windböen
über 12 m/sec .auftreten. Noch unbefriedigender ist die Situation bei der quantitativen
Niederschlagsvorhersage (QNV). Hier macht Abbildung 2 deutlich, dass die Vorhersagegüte umso
schlechter wird, je größer die beobachtete Niederschlagsmenge ist. Dargestellt ist der Heidke Skill
Score (HSS), der die Häufigkeit von korrekten Vorhersagen zur Überschreitung vorgegebener
Schwellwerte mit der Anzahl korrekter aber zufällig eintretender Vorsagen vergleicht. Verglichen
werden Vorhersagen für 6 – 18 Uhr UTC des Folgetages an 14 Stationen in ganz Deutschland, die sich
aus der direkten numerischen Ausgabe der beiden Vorhersagemodell LM und GME, aus einer
statistisch optimierten GME (GMOS) und der eigentlichen Endvorhersage durch synoptischen
Experten (SYN) ergeben. So ist z.B. die Vorhersagegüte bei Niederschlägen mit über 10 mm (Abb.2)
in 12 Stunden mit 20 % in einem nicht akzeptablen Bereich.
Diese Befunde sind keine DWD - spezifischen Probleme, ähnliche Aussagen finden sich auch bei
anderen Wetterdiensten (Ebert et al., 2003) Diese Unsicherheit ist eine generelle Eigenschaft von
deterministischen Modellen, auf denen heute weitgehend die operationelle Wettervorhersage beruht.
Sie liegt in der konzeptionellen Schwierigkeit begründet, das Auftreten von Ereignissen mit kurzen
Lebensdauern vorherzusagen.
Es lässt sich also feststellen, dass die Verbesserung der quantitativen Niederschlagsvorhersage mit den
gesellschaftlichen Anforderungen an unsere Prognosesysteme nicht Schritt gehalten hat. Damit einher
geht die mangelnde Akzeptanz der Prognoseergebnisse durch die Öffentlichkeit. Das Vertrauen der
Bevölkerung in die Zuverlässigkeit der Niederschlagsvorhersage ist so gering, dass berechtigte
Warnungen häufig ignoriert werden. Dass es zur Zeit für den für viele Nutzer wichtigen Zeitbereich
zwischen einer und sechs Stunden keine brauchbaren objektiven Vorhersageverfahren gibt, die zur
Warnung vor lokalen Extremniederschlägen und damit zusammenhängenden extremen Ereignissen
dienen könnten, unterstreicht die derzeitige, sehr unbefriedigende Situation bei der Niederschlagsvorhersage.
Die mangelhafte Leistungsfähigkeit der Niederschlagsvorhersage macht deren Verwendung durch
potentielle Nutzern sehr schwierig. Eine wichtige Nutzergruppe für die QNV ist die Hydrologie. Der
Niederschlag ist die entscheidende Eingangsvariable für hydrologische Modelle. Ohne genaue
Abb.1: Zunahme der Prognosegüte des Deutschen Wetterdienstes innerhalb der letzten 16 Jahre für die
Modellvariablen Tagesminimumtemperatur (MIN), Tagesmaximumtemperatur (MAX), Termintemperatur (T),
Windrichtung (dd), Windstärke (ff), Wolkenbedeckungsgrad (B), Windspitzen > 12 m/s (fx) und Niederschlag
ja/nein (N.0) . Bei der Niederschlagsvorhersage wurde faktisch keine Verbesserung (RV=0.5%) erreicht (
DWD,2002).
Abb.2: Die im Jahr 2000 beim Deutschen Wetterdienst erzielte Güte der kurzfristigen Niederschlagsvorhersage
gemessen mit dem Heidke Skill Score (HSS) für vier verschiedene Arten von Vorgehensweisen bei der
Vorhersage. SYN: die Endvorhersage durch Interpretation der numerischen Vorhersagen durch einen
Meteorologen, GME und LM: direkte, dynamische Modellvorhersage, GMOS: Modellverbesserung durch eine
statistische Nachbehandlung (model output statistics) der numerischen Vorhersagen GME (DWD, 2002) .
Niederschlagsvorhersagen können hydrologische Modelle nur Abflussmengen und Pegelstände auf der
Grundlage bereits gefallener Niederschläge berechnen. Gegenwärtig können die Anforderungen der
Hydrologen an die QNV nicht erfüllt werden. So werden typischerweise 10 % Genauigkeit bei der
QNV bei räumlichen und zeitlichen Auflösungen von 10 km und bzw. einer Stunde gefordert. Die
QNV ist davon noch weit entfernt. Vorhersagen hydrologischer Modelle durch die Berücksichtigung
zu erwartender Niederschläge würden erheblich von einer verlässlicheren Niederschlagsvorhersage
profitieren. Vorhersagen von Überflutungen und damit eine rechtzeitige Vorwarnung der Bevölkerung
erfordern belastbare QNV, so dass deren Verbesserung höchste Priorität eingeräumt werden muss.
Auch die Effizienz von Wasserqualitätsmaßnahmen – als ein Beispiel sei die Klärwerksteuerung
genannt - würde massiv durch eine bessere QNV gewinnen. Das Schwerpunktprogramm wird u.a. die
Grundlagen schaffen, um durch genauere und langfristigere Vorwarnungen volkwirtschaftliche
Schäden durch extreme Niederschläge und Überflutungen zu vermindern; es wird weiter der
Wasserwirtschaft eine Basis für effizientere Regelmechanismen liefern.
2. Ziele des Schwerpunktprogramms
Das Forschungsprogramm stellt sich den Herausforderungen der Nutzergruppen an die QNV. Es
wurde von Atmosphärenforschern an Universitäten und Forschungsinstituten initiiert, die das
erforderliche Wissen zur Verbesserung der QNV sehr gut kombinieren. Es werden in den kommenden
Jahren Wissenschaftler aus Universitäten und Großforschungseinrichtungen zusammenarbeiten, die
Experten auf den folgenden Gebieten sind:
! Dynamik der Atmosphäre
! Physik der Wolken- und Niederschlagsbildung,
! Probabilistische Behandlung atmosphärischer Prozesse,
! Methoden der Datenassimilation,
! Entwicklung und Anwendung dynamischer Simulationsmodelle,
! Fernerkundung der Atmosphäre
Ein Schwerpunktprogramm, das diese Expertise kombiniert, trägt der Tatsache Rechnung, dass
angesichts des hohen Entwicklungsstandes der operationellen Wettervorhersagesysteme weitere
Verbesserungen der QNV nicht mehr durch isolierte Anstrengungen einzelner Forschergruppen
geleistet werden können. So hat zwar die meteorologische Forschung in Deutschland in den letzten
zwei Jahrzehnten wesentliches Grundlagenwissen über atmosphärische Prozesse erbracht; dieses
konnte aber nur teilweise in die Verbesserung der quantitativen Niederschlagsvorhersage eingehen.
Der simultan zu bewältigende Aufgabenfächer ist so weit, dass hier eine gemeinsame und koordinierte
Anstrengung zwischen Universitätsinstituten und anderen Forschungseinrichtungen unter
Einbeziehung des operationellen Vorhersagesystems des Deutschen Wetterdienstes als Entwicklungs-,
Test- und Validationsinstrument angestrebt wird. Die gezielte Umsetzung benötigt einen Brennpunkt,
um auf diesem Gebiet dem hohen internationalen Standard zu entsprechen. Im Rahmen dieses SPP
wird das Angebot des Deutschen Wetterdienstes angenommen, sein operationelles Vorhersagesystem
als ein Experimentalsystem einschließlich einer Hochleistungsrechnerumgebung für Universitäten und
Forschungsinstitute zur Verfügung zu stellen. Dieses ist eine einmalige Chance für die Meteorologie
in Deutschland, die akuten Probleme bei der Erfassung und Modellierung atmosphärischer
Strömungen zu untersuchen mit dem Ziel, die quantitative Niederschlagsvorhersage entscheidend zu
verbessern.
Im Rahmen des Schwerpunktprogramms werden wir uns auf die folgenden wissenschaftlichen Ziele
konzentrieren:
I
II
III
Identifikation der für die Defizite verantwortlichen physikalischen und
chemischen Prozesse bei der QNV,
Bestimmung und Ausschöpfung der Potenziale vorhandener und neuer Daten
und Prozessbeschreibungen zur Verbesserung der QNV,
Bestimmung der Vorhersagefähigkeit von Wettervorhersagemodellen durch
statistisch-dynamische Analysen bezüglich der QNV
Eine Verbesserung der quantitativen Niederschlagsvorhersage kann nur erfolgreich sein, wenn die
Ursachen für deren Defizite aufgedeckt werden. Diese Defizite werden derzeit in Fehlern in den
Anfangsfeldern, in nicht adäquaten Modellierungen der Komponenten des Wasserkreislaufes, in
mangelhaften Methoden zur Assimilation von Datensätzen in die Modelle aber auch in grundsätzlichen Problemen bei der Interpretation von deterministischen Modellen gesehen. Um diese Ziele zu
erreichen, müssen koordinierte Forschungsarbeiten auf den folgenden Gebieten durchgeführt werden:
1. Zur Ursachenidentifikation ist eine systematische Evaluierung von Modellsimulationen mit
umfassenden Beobachtungsdaten notwendig. Auf dieser Basis müssen die bislang unzureichenden Beschreibungen der Wolken- und Niederschlagsprozesse sowie der Austauschprozesse des Wasserdampfs zwischen Landoberflächen und den untersten Atmosphärenschichten durch neue oder doch deutlich verbesserte Konzepte beschrieben werden. Tatsächlich fehlen dazu die notwendigen Grundlagen. Davon zeugt, dass die heutigen Verfahren
weitgehend auf formalisierten Plausibilitätsannahmen aufbauen denn auf nachgewiesenen
Wirkungsmechanismen. Damit ergibt sich zusammenfassend:
Das Verständnis für die atmosphärischen Prozesse, die für die Niederschlagsbildung
relevant sind, muss wesentlich vertieft werden. Diese Prozesse müssen realistischer
modelliert werden.
2. Die Fehler in der Beschreibung der Anfangsbedingungen gerade bezüglich des Wasserdampffeldes und der atmosphärischen Dynamik sind sehr groß. Unter Ausschöpfung der Potenziale
müssen diese Fehler durch Einsatz moderner Beobachtungs- und Analysemethode deutlich
verringert werden. Raum-zeitliche Strukturen des Wasserfeldes in allen Phasen müssen
adäquat in den Anfangsbedingungen für eine numerische Simulation repräsentiert sein. Allein
die gegenwärtigen Fehler dieser Felder sind weitgehend unbekannt. Ein großes Potenzial
bieten die bislang nicht oder nicht adäquat in der Wettervorhersage genutzten Datenquellen,
z.B. die vielen hochauflösenden Niederschlagsmessnetze der Wasserwirtschaftverbände,
Wolkenbeobachtungen, moderne experimentelle Satellitensensoren und Daten aus RadarVerbünden. Es lässt sich also feststellen:
Die Anfangsverteilung des atmosphärischen Wassergehaltes in den drei Phasen Dampf,
Flüssigkeit und Eis muss durch bisher nicht genutzte und neue Daten verbessert werden.
Deren Potential für die quantitative Niederschlagsvorhersage muss quantifiziert werden.
3. Neben der mangelnden Datenverfügbarkeit sind für Defizite der QNV fehlende Methoden der
Datenassimilation verantwortlich, welche die irregulär verteilten und indirekten
Beobachtungen des atmosphärischen Wassergehaltes und anderer Zustandsvariablen (neben
den Niederschlagsmessungen selbst sind dies z. B. Wolkenbeobachtungen, Messungen der
globalen Satelliten-gestützten Navigationssysteme) zu einem mit der restlichen Dynamik der
Atmosphäre konsistenten vierdimensionalen Feld verarbeiten. Dies erfordert u.a. die
Simulation des Messprozesses für die Assimilation der Beobachtungsdaten. Für Vorhersagen
über 6 bis 12 Stunden (Kurz- und Kürzestfristvorhersagen) fehlen generell geeignete
Datenassimilationsverfahren. Daraus ergibt sich als ein weiterer Bereich zur Ausschöpfung
der Potenziale:
Die Assimilationsverfahren von Messdaten in atmosphärische Simulationsmodelle und
die Anwendung der Verfahren auf Daten aller Art zu einer statistisch-dynamisch
konsistenten Erfassung der Anfangsverteilung des Wassers und damit der optimalen
Nutzung aller Daten müssen verbessert werden.
4. Der stochastische Charakter von Niederschlagsvorhersagen und -beobachtungen und der damit
verbundenen Wasserdampfvariationen wird bislang wenig berücksichtigt. Zur Bestimmung
der Vorhersagefähigkeit muss die Identifikation der relevanten Skalen in Raum und Zeit
vorangetrieben werden, aber auch von Strömungsstrukturen, die die quantitative
Niederschlagsprognosen einschließlich Abschätzungen über Unsicherheiten erlauben.
Innovative Vorhersagestrategien sind ins Auge zu fassen, die dieses besser berücksichtigen;
diese müssen nicht unbedingt den bisher verwendeten deterministischen Strategien folgen.
Entsprechende Untersuchungen und Entwicklungen sind nur möglich, wenn eine verbesserte
Bewertung durchgeführt wird durch Integration der Neuerungen in ein atmosphärisches
Simulationsmodell und durch Validierung der Simulationen an Beobachtungen. Somit folgt
als letztes wichtiges Arbeitsgebiet:
Der stochastische Charakter des Niederschlags muss bei der Nutzung der Beobachtungsdaten, bei der Interpretation von deterministischen Simulationen und bei der
Entwicklung alternativer Vorhersagestrategien berücksichtigt werden.
Generell lässt sich feststellen, dass für eine Verbesserung der QNV eine Präzisierung der räumlichen
und zeitlichen Skalen, auf denen Niederschlag quantitativ vorhersagbar ist, essentiell ist. Außerdem ist
die Identifikation der dynamischen Prozesse und der vierdimensionalen Strukturen atmosphärischer
Strömungen, die zu der Vorhersagbarkeit beitragen, notwendig. Reale Strukturen und Prozesse können
aber nur durch die Verknüpfung von Modellierung und Aggregation von Beobachtungsdaten
identifiziert und durch Validierung von realistischen Vorhersagen mit Beobachtungen nachgewiesen
werden. Aus diesen Betrachtungen ergeben sich zwangläufig vier Kernarbeitsgebiete für das
Schwerpunktprogramm (Abbildung 3). Die vier Arbeitsgebiete umfassen die folgenden Aufgaben:
BEREICH A) Untersuchungen atmosphärischer Prozesse, die zur Niederschlagsbildung
beitragen
Hauptziel ist das bessere Verständnis niederschlagsrelevanter Prozesse zur adäquaten Modellierung
dieser Prozesse im Bereich unterhalb der üblichen Modellgitterweiten (subskalige Prozesse).
Berücksichtigung finden neue und effiziente Ansätze bei den folgenden Prozessen: Konvektion,
Wolken- und Niederschlagsbildung, Strahlung, Turbulenz und Vertikalaustausch allgemein sowie
speziell in der planetaren Grenzschicht. Wie auch in Bereich C (siehe unten) sollen probabilistische
Ansätze, welche die inhärenten Unsicherheiten jeglicher subskaligen Parametrisierung
berücksichtigen, entwickelt und geprüft werden.
Die Entwicklung und Validierung soll vorrangig mit Daten aus laufenden und geplanten nationalen
und internationalen Großexperimenten erfolgen. Zur Validierung und Weiterentwicklung speziell der
subskaligen Prozesssimulation wird im vierten Projektjahr in Verbindung mit einer ganzjährigen
mindestens landesweiten, intensiven Beobachtungsphase ein gezieltes Feldexperiment zu
Niederschlagsprozessen durchgeführt. Hierzu ist vorgesehen, die kleinräumigen bis turbulenten
Wechselwirkungen zwischen Wasserdampf, Wolken und Niederschlag vierdimensional zu erfassen.
Während der ersten drei Jahre des Schwerpunktprogramms wird auf der Basis von theoretischen und
konzeptionellen Untersuchungen und bisherigen Experimenterfahrungen eine geeignete Messstrategie
und ein Experimentplan entwickelt, welche die Grundlagen für eine gutachterliche Bewertung und
Zusammenführung von Anträgen zur Messtechnik für des geplanten Experiment bilden werden.
BEREICH B) Datenbasis und –bereitstellung
Die Erfassung des Wasserkreislaufs in der Atmosphäre beginnt bei den Quellen und Senken an der
Erdoberfläche und führt über die räumlich-zeitliche Verteilung des Wasserdampfs in der Grenzschicht
zu komplexen Mehrphasen-Prozessen in der Troposphäre. Hier sollen neue Satellitensensoren, neue
bodengebundene, ballon- und flugzeuggetragene Messtechniken für den Wassergehalt in der
Atmosphäre sowie Verfahren für situationsadaptierte Messungen vorrangig berücksichtigt werden.
Dabei ist es für das Schwerpunktsprogramm erforderlich, die Integration der Daten in das bestehende
Vorhersagesystem zu ermöglichen, dieses in enger Verbindung mit Bereich (C) bezüglich
Assimilation und Qualitätskontrolle entsprechend zu erweitern und den Einfluss der neuen Daten auf
die Qualität der quantitativen Niederschlagsvorhersage zu überprüfen und bewerten.
BEREICH C) Entwicklung von Datenassimilationssystemen sowie Studien zur Validierung und
Vorhersagbarkeit
Der Niederschlag stellt durch die enge Verknüpfung mit kleinskaligen atmosphärischen Prozessen
(Bereich A) besondere und bislang nicht erfüllte Anforderungen an entsprechende
Assimilationsverfahren. So soll einerseits die Entwicklung und der Einsatz von 3d- bis 4dAssimilationsverfahren für alle Wasserphasen einschließlich einer umfassenden Qualitätskontrolle der
Eingangsdaten gefördert werden. Neben der Fortentwicklung bereits bestehender Verfahren wäre
dabei die Entwicklung des adjungierten und tangenten-linearen Modells des gemeinsam zu nutzenden
hochauflösenden Atmosphärenmodells von Vorteil. Ferner sollen physikalisch basierte
Vorhersageverfahren für den Kurz- und Kürzestfristbereich von 0 bis 12 Stunden entwickelt werden,
die aber durchaus den bisher verfolgten Weg der deterministischen Modellsimulation erweitern oder
verlassen können.
Die optimale Datennutzung umfasst aber neben der Verwertung der Beobachtungen als Eingangsdaten
(Bereich B) auch die Interpretation der Simulationsergebnisse in der Validierung und in der
statistischen Aufbereitung von numerischen Simulationen. Die Validierung (Modellbeurteilung) und
die statistisch-dynamische Interpretation zur optimalen Nutzung der Modellergebnisse (Model Output
Statistics, MOS) soll dazu beitragen, die räumlich-zeitlichen Skalen und die Prozesse (Bereich A) zu
identifizieren, die relevante Informationen für eine quantitative Niederschlagsvorhersage enthalten.
Insofern vernetzen diese Arbeiten neben dem gemeinsamen atmosphärischen Simulationsmodell die
Bereiche A bis D. Fortschritte bei der quantitativen Niederschlagsvorhersage im probabilistischen
Sinn können z.B. von Monte Carlo Ensemblesimulationen sowie deren Auswertung und Bewertung
erwartet werden.
BEREICH D) Vernetzung der Ziele durch Integration, Test und Evaluierung in einem
operationellen Modellsystem
Ein hochauflösendes, realitätsnahes und modernes Simulationssystem für atmosphärische Strömungen
wird vom Deutschen Wetterdienst allen Beteiligten zur Verfügung gestellt und durch die Ergebnisse
zu den Arbeitsgebieten (A) bis (C) weiterentwickelt.
Die Bereiche A bis C können nicht isoliert voneinander betrachtet werden (s. Abb. 3). Neue Ansätze
zur Beschreibung niederschlagsrelevanter Prozesse (A) können nur durch eine verbesserte und
verbreiterte Datenbasis (B) effizient überprüft werden (C). Die Optimierung der Datennutzung in
Modellen und die Verringerung der Unsicherheiten in den Anfangs- und Randbedingungen (C) insbesondere beim Wasserdampffeld - ist ebenfalls nur mit Hilfe einer breiten Datenbasis (B) möglich.
Die in die Datenassimilation einzuschließende Qualitätskontrolle für Eingangsdaten (C) erlaubt erst
eine quantitative Beurteilung neuer Datenquellen (B). Deren Einfluss auf die Qualität der Vorhersage
in den verschiedenen Skalenbereichen wird durch die Validierung im operationellen Umfeld (D)
untersucht. Die Datenassimilation (C) liefert neben den Anfangsbedingungen für die Vorhersage auch
immer ein Maß für die Größe und Struktur der Unsicherheit, das Eingang in die probabilistische
quantitative Niederschlagsvorhersage (D) finden muss. Die Integration der Neuentwicklungen im
Rahmen eines bestehenden quasi-operationellen Systems, das der Deutsche Wetterdienst
einschließlich einer Rechnerumgebung zur Verfügung stellen wird, führt zu einer massiven
synergistischen Verstärkung der einzelnen in den Bereichen A bis C erreichbaren Ziele.
3. Großräumige Beobachtungsperiode und Niederschlagsexperimente
Die dringend notwendige Vertiefung der Kenntnisse über die relevanten Prozesse als Grundlage für
Modellverbesserungen im Zusammenhang mit der derzeitig eklatanten Unsicherheit der QNV kann
nur erreicht werden, wenn Daten zur Verfügung gestellt werden, die einen deutlich höheren Standard
erfüllen als die Messwerte, die routinemäßig für die Wettervorhersage und Klimaerfassung
aufgezeichnet werden. Wichtige Schlüsselprozesse, wie die Auslösung von Konvektion, werden
gegenwärtig mit Standardinstrumenten überhaupt nicht erfasst. Deshalb ist es unabdingbar, die
Datenbasis mit Feldexperimenten zu erweitern, bei denen Messinstrumente die Beobachtung
entscheidender atmosphärischer Variablen erlauben. Dazu gehören die atmosphärische Dynamik, das
Wasserdampffeld sowie Wolken- und Niederschlagsgrößen. Eine neue Generation von
Messinstrumenten, die in der Lage ist, diese Variablen zeitlich hochaufgelöst dreidimensional zu
erfassen, soll dabei zum Einsatz kommen.
Das Gesamtexperiment wird aus einer Kombination einer einjährigen großräumigen
Beobachtungsphase (General Observations Period, GOP) und einem mehrmonatigen dezidierten
Experiment zum Niederschlagsprozess (Intensive Observations Period, IOP) mit hochauflösenden
vierdimensionalen Messungen atmosphärischer Variablen bestehen. Nach der GOP wird durch
Einbeziehung von operationell nicht erhobenen oder gespeicherten Daten das derzeitig erreichbare
Informationsoptimum über den Atmosphärenzustand für ein regionales Vorhersagesystem zur
Verfügung stehen. Durch die Kombination mit den IOP soll nicht nur ein deutlich verbesserter
Datensatz zur Assimilation und zur Validierung von Modellen erstellt, sondern auch eine wesentliche
Vertiefung des Prozessverständnisses erzielt werden. Die Auswertung der gewonnenen Datensätze im
Schwerpunktprogramm wird zu einer besseren Darstellung der relevanten Prozesse in Modellen und
damit zu einer Verbesserung der QNV führen.
Die Planung der IOP wurde von den Universitäten Hohenheim und Karlsruhe in die Wege geleitet.
Dazu ist ein Projektbüro an der Universität Hohenheim und eine Webseite (www.unihohenheim.de/spp-iop) eingerichtet sowie ein International Science Steering Committee (ISSC)
zusammengestellt worden. Koordinator und Kontaktperson für an der Teilnahme interessierte
Institutionen ist Dr. Andreas Behrendt ([email protected]). Der erste IOP-Workshop soll am
13.09.-14.09.2004 in Hohenheim stattfinden.
Quantitative Niederschlagsvorhersage (QNV)
Untersuchung von atmosphärischen Prozessen und Modellen, um
eine signifikante Erhöhung der Vorhersagefähigkeit in Bezug auf den
Niederschlag zu erreichen
E) GOP und Feldexperiment
A) Prozesse und
Modellphysik
B) Datenbasisund Bereitstellung
C) Assimilation und
stat.-dyn. Methoden
D) Operationelle
Testumgebung
DFGSchwerpunktprogramm
Universitäten und
Forschungsinstitute
Wettervorhersagemodell
DWD
Abb. 3: Struktur des SPP
Das Schwerpunktprogramm wird in der Lage sein, seine Erfolge objektiv zu dokumentieren. Die Güte
von Wettervorhersagen wird seitens der Vorhersagezentralen regelmäßig durch Beobachtungen
kontrolliert, die Ergebnisse können daher zu kommerziell verwertbaren Aussagen herangezogen
werden. Der Einfluss von Verbesserungen ist somit dokumentierbar, wenn Ziele und
Arbeitsprogramm
des
Schwerpunktprogramms
durch
ein
bestehendes
operationelles
Simulationssystem an Beobachtungen überprüfbare Ergebnisse ergeben. Daher ist die Integration
eines hochauflösenden Atmosphärenmodells, das vom DWD hierfür bereitgestellt wird, in die
Schwerpunktaktivitäten eine wichtige zentrale Komponente.
4. Schlußbemerkung
Dieser Artikel soll die meteorologische Gemeinschaft, die sich bislang noch nicht mit dem neuen SPP
„Quantitative Niederschlagsvorhersage“ befasst hat, informieren und Interesse wecken. Die oben
genannten Internet Adressen werden in Kürze eine Plattform darstellen, in der aktuelle Information
rund um den SPP zu finden sein werden. Weitere Aktivitäten des SPP, insbesondere das geplante
große internationale Feldexperiment in einer Mittelgebirgsregion im Jahr 2007 und seine Einbettung in
eine einjährige intensive Beobachtungsperiode (Kasten E in Abb.3) werden noch eingehender an
dieser Stelle vorgestellt. Tabelle 1 gibt mit Titel und Projektleitern einen summarischen Überblick
über die geförderten Vorhaben.
5. Literatur
Ebert, Elizabeth E., Damrath, Ulrich, Wergen, Werner, Baldwin, Michael E. 2003: The
WGNE Assessment of Short-term Quantitative Precipitation Forecasts. Bulletin of the
American Meteorological Society: Vol. 84, No. 4, pp. 481–492.
Deutscher Wetterdienst 2002: Wie gut sind unsere Wettervorhersagen?, Geschäftsbereich
Basisdienste, 21pp, Kontakt: Dr. Martin Göber, Ref. Entwicklung von Anwendungen
Tabelle (1): Überblick über die im SPP 1167 “Quantitative Niederschlagsvorhersage” in der
Antragsperiode 2004-2006 geförderten Vorhaben.