Lärm – ein verkanntes Umweltproblem
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Lärm – ein verkanntes Umweltproblem
Lärm – ein verkanntes Umweltproblem OA DI Dr. med. Hans-Peter Hutter St. Pölten, 7. Oktober 2008 Hintergrund Lärm = ubiquitärer Umweltfaktor und unterschätztes Gesundheitsrisiko • ~ 20% der Bevölkerung in EU (80 Mio.): Gegenüber Schallpegeln exponiert, von denen sich die meisten Menschen gestört fühlen • Österreich Mikrozensus 2003: 1/3 der Bevölkerung durch Lärm gestört LÄRM = unerwünschter (störender, belästigender) und ev. schädigender Schall = allgegenwärtiger Stressor Schall Druckschwankungen zwischen ca. 20 und 20.000 Hz, die sich in einem Medium ausbreiten Schalldruck in Pa (Pascal), 1Pa =1N/m² Schallpegel in dB (Dezibel) p2 p dB = 10 log 2 = 20 log po po Bezugsschalldruck bei Hörschwelle bei 1000 Hz = 20 µPa Technische Grundlagen • Grundgeräuschpegel (LA,Gg) niedrigster Wert, den Meßgerät wiederholt anzeigt, der nur durch entfernte Geräusche verursacht, bei dessen Einwirkung Ruhe empfunden wird • Basispegel (LA,95) der in 95% der Messzeit überschrittene ermittelte Schalldruckpegel der Schallpegel-Häufigkeitsverteilung eines beliebigen Geräusches • Energieäquivalenter Dauerschallpegel (LA,eq) „Durchschnittswert“ für die über die Zeit gemittelte Schallenergie (Maßstab für die Langzeitlärmbelastung) • Maximalpegel (LA,max) höchster, während der Meßzeit aufgetretene Schallpegel • Weitere Geräuschcharakteristika Ton-, Impuls- und Informationshaltigkeit Lärmwirkungen Aurale Lärmwirkungen: Effekte auf das Hörorgan (akustische Variablen ausschlaggebend) akutes Schalltrauma Tinnitus Innenohr-Schwerhörigkeit Extraaurale Lärmwirkungen: Effekte auf den Gesamtorganismus (akustische und nichtakustische Variablen ausschlaggebend) Beeinträchtigung zentralnervöser Funktionen und von Regel-Erholungsvorgänge Extraaurale Lärmwirkungen Gesamtorganismus Zentralnervöse Funktionen Regel- und Erholungsvorgänge akustische & nichtakustische Variablen Physiologische, seelisch/geistige, soziale Sy (lärmbedingter Stress) Schall Moderatoren Physikalische Persönliche u. situative Faktoren Faktoren Schallpegel Frequenz Dauer zeitliche Variabilität Indiv. Lärmempfindlichkeit Einstellung zur Lärmquelle Vorhersehbarkeit Kontrollierbarkeit Tageszeit bzw. Tätigkeit zur Zeit der Exposition Seelisch/geistig geistige Leistungsfähigkeit Gedächtnis Aufmerksamkeit Wohlbefinden Stressverarbeitungspotenzial Frustrationstoleranz, Anspannung, Ärger Sozial Kommunikationsstörung Sprachentwicklung Verhaltensänderungen Physiologisch Hormon-, Stoffwechsel, Blutdruck und Kreislauf Schlafqualität und -quantität Entspannung und Erholung Straßenverkehr Luftverschmutzung (Klimawandel) Lärm Unfälle Ökologische Schäden psychosoziale Folgen Körperliche Inaktivität NaRoMI-Studie 2004: Lärm und Herzinfarkt N = 4.115 Patienten LAeq ≥ 65/55 und ≤ 60/50 dB(A): Personen an stark befahrenen Straßen: Herzinfarktrisiko um ca. 20-30% Ab 65/55 dB(A): Gesundheitsschäden (bei langdauernder Einwirkung) 55/45 dB(A): Vorsorgewert Aufteilung der Lärmstörung auf Verursachergruppen (UBA 7. Umweltkontrollbericht 2004) Bevölkerung (%), die Schallpegeln über angegebenen Werten ausgesetzt sind (UBA 7. Umweltkontrollbericht 2004) L A ,e q Tag L A ,e q N acht Ö W ie n > 55 > 45 6 0 ,9 67 > 60 > 50 44 > 65 > 55 3 2 ,2 9 ,8 1 7 ,1 > 70 > 60 4 ,6 1 1 ,0 > 75 > 65 1 ,0 3 ,4 Ab 65/55 dB(A): Gesundheitsschäden bei langdauernder Einwirkung 55/45 dB(A): Vorsorgewert Strategien zur Lärmbelästigung 1. Maßnahmen des aktiven Schallschutzes = Reduktion der Schallemission an der Quelle z.B. Verwendung leiser FZ, Maschinen, Verlagerung von Schallemittenten in unempfindliche Bereiche (RO) 2. Organisatorische Maßnahmen = v.a. Zeitbeschränkungen für Aktivitäten z.B. Beschränkung von LKW-, Individualverkehr 3. Maßnahmen des passiven Schallschutzes = Behinderung der Ausbreitung unvermeidlicher Schallemissionen z.B. Schallschutzwände, Wälle, Fenster Letzter Ausweg wg. Gefühl erzwungenen Isolation, Behinderung der Fensterlüftung, Ästhetik, etc. Nur sinnvolle Kombination mehrerer Strategien kann wirksame Abhilfe schaffen EU-Richtlinie 2002/49/EG EU-Umgebungslärmrichtlinie Ziel: gemeinsames Konzept, um negative Auswirkungen (inkl. Belästigung) durch Umgebungslärm zu verhindern, vorzubeugen, zu mindern Maßnahmen: Erstellung von Lärmkarten nach einheitlichen Methoden, Sicherstellung der Information der Öffentlichkeit, Erarbeitung von Aktionsplänen basierend auf Lärmkarten Umsetzung in Ö auf Bundesebene: Bundes-Umgebungslärmschutzgesetz - Maßnahmen bzgl. Umgebungslärm im Freien (Verkehr auf Bundesstraßen, Eisenbahnverkehr, ziviler Flugverkehr, Aktivitäten auf Geländen für industrielle Tätigkeiten) BGBl. I Nr. 60/2005 Diskussion rund um die Umsetzung 1. Erstellung der Lärmkarten bzw. Aktionspläne: länder- und bundesländerweise unterschiedliche Fortschritte (zumeist Hinterherhinken) 2. Für alle Verkehrsträger wurden die gleichen (aus vorsorgemedizinischer Sicht zu hohe) Schwellenwerte in der Verordnung verankert 3. Mangelnde Einbindung der Öffentlichkeit bei der Erstellung der Aktionspläne Lärmschutz Dienstanweisung betreffend Lärmschutz an Bundesstraßen (BMwA 1999; zuständig BMVIT) • Dauerschallpegel (dB): 50 (nachts) 60 (tags) • Bei Neuplanung (ohne Vorbelastung „grüne Wiese“ weitere 5 dB weniger) • Entsprechende Richtlinien zur Errichtung von Lärmschutzmaßnahmen Lärmschutzwände „Wildwuchs stoppen“, für viel Autofahrer sei es „unangenehm, an kilometerlangen Lärm-schutzwänden entlang zufahren“ (Gorbach) „Menschen schützen, nicht Wald“ (Kukacka) Korrektur der Dienstanweisung: nur noch tendenzieller Anspruch auf Lärmschutzfenster für Häuser ca. 700-800 m von Autobahn entfernt (Baubewilligung vor 1.1.1996) Lärmschutzwände max. 4 m (statt 5,5 m) Zusammenfassung • Lärm wirkt auf vielen Ebenen, vielfältiges Beschwerdebild • Hinweise mehren sich, dass die „klassischen Richtwerte“ („65/55“) zu hoch sind • 24-Stunden Gesellschaft: weitere räumliche und zeitliche Ausdehnung von Lärm; weniger Ruhezeiten - Lärmbeschwerden • Bewusstseinsbildung vorantreiben: Lärm an Quelle bekämpfen, Schaffung von Ruhezonen • Zukunft: mehr Anstrengungen/Aufgaben zur Erhaltung/Rettung von Ruhe Danke für ihre Aufmerksamkeit!