Kurzweil auf 208 Meter

Transcrição

Kurzweil auf 208 Meter
© IPC Media
Wegweiser in der Radiolandschaft:
die DJs von „Radio Luxembourg“
Théo Mey, collection Jos. Pauly © archives RTL Group
Der hauptstädtische Bürgermeister Emile Hamilius in charmanter Begleitung: die „Beauty Queens“ vom „Two-O-Eight“
Kurz weil auf 208 M eter
The Station of the Stars und die Fröhlichen Wellen
Die Erinnerung an das
englischsprachige Radio
Luxembourg, auch liebevoll Luxy
oder Two-O-Eight genannt, sowie
an das deutschsprachige Radio
Luxemburg, lebt nicht nur bei
hartgesottenen Nostalgikern
weiter. So gibt es auf Facebook,
wie auch allgemein auf dem
World Wide Web mehrere
Tribute-Seiten oder Foren, die
sich dem Vermächtnis dieser
Kultsender verschrieben haben.
Auch Reminiszenzen
in der ausländischen Presse
sind keine Seltenheit. Einen
nachhaltigen Effekt auf eine ganze
Generation von Hörern kann
beiden Radiostationen auf jeden
Fall nicht abgestritten werden.
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„The colourful radiostation“
Die Popularität der englischsprachigen
Sendungen auf Langwelle, deren sich Radio
Luxembourg in den dreißiger Jahren in
Großbritannien erfreute, kennt auch nach
dem Krieg keinen Abbruch. Ab 1951 wird
das erfrischende Musikprogramm auf Mittelwelle (208 m) zu den britischen Inseln
und Skandinavien erfolgreich ausgestrahlt.
Trotz schwierigem Empfang gelingt es den
DJs, vor allem die Jugend in ihren Bann zu
ziehen und von der eher biederen BBC
fernzuhalten. Diese spielt Jazz- oder Rockmusik nur in homöopathischen Dosen,
zudem durften Schallplatten auf Bestreben
der Musikergewerkschaft nur in sehr
beschränkten Zeitabschnitten („needle
time“) über den britischen Äther laufen.
Was Wunder, dass die Jugendlichen mit
ihren Transistorradios unter der Bettdecke
bis spät in die Nacht Radio Luxembourg,
„The Station of the Stars“ hörten. Dies gibt
auch ein gewisser Keith Richards von den
Rolling Stones in seiner Autobiografie zu,
wenn er beschreibt, wie er das erste Mal
Elvis Presley im Radio hörte – eine Erfahrung, die ihn nachhaltig prägen sollte. Später bringt Radio Luxembourg sogar die
Stones ins Rollen, da die berüchtigten und
damals von allen braven Bürger gefürchteten wilden Jungs bei diesem Sender das
erste Mal überhaupt im Radio zu hören
sein werden. Dasselbe gilt übrigens auch
für eine weitere Kultband: The Beatles.
Diese Rockrevolution wird eingeleitet
von einer ganzen Reihe von DJs, die entweder direkt aus der Villa Louvigny senden
oder von jenen, die ihre Programme in den
Studios in London (Hertfordstreet) aufnehmen. Zu den bekanntesten zählen Pete
Murray, Keith Fordyce, der Australier Barry
Alldis (der mit der Sendung Top Twenty
Radiogeschichte schrieb), Paul Burnett,
Tony Prince, Dave Christian, der Kanadier
David “Kid” Jensen, Bob Stewart, Stuart
Kaum zu schlagen:
Barry Alldis (links)und
Keith Fordyce (rechts)
in der Sendung
„Smash Hits“
Fröhliche Wellen schwappen
über die Bundesrepublik
Das deutsche Nachrichtenmagazin Der
Spiegel macht 1971 folgende nüchterne
Feststellung: „Das erfolgreichste Hörfunkprogramm in deutscher Sprache - geringster
Aufwand, größter Gewinn - wird im Ausland
gemacht: von Radio Luxemburg”! Was im
Jahre 1957 als Hausfrauensender mit einem
leichten (und auch seichten) Musikprogramm begann, entwickelt sich bald zum
Trendsetter in der deutschen Radiolandschaft. Laut Die Zeit hören im Jahre 1970
bereits 15,5 Millionen Bundesbürger den
Sender aus der Villa Louvigny. Dieser, ganz
der Unterhaltung gewidmet, beglückt die
ältere Hörerschaft dank eines Camillo Felgen
mit Schlagermusik, wobei ein Frank Elstner
mit seinen originellen Programmideen eher
die Jugendlichen anspricht. Zwei von drei
Teenagern in der BRD zählen sich Anfang
der Siebziger zu den Stammkunden der Vier
Fröhlichen Wellen. Besonders beliebt ist
damals die Bravo-Musikbox. Das Erfolgsrezept fasst Helmut Stoldt, damaliger Programmdirektor, folgendermaßen zusammen:
„Wir senden Herzlichkeit!“. Man hat es
ganz einfach verstanden, den Hörer direkt
anzusprechen und nicht an ihm vor­
beizureden. Ja, und auch die DDR-Bürger
fühlen sich natürlich angesprochen! Ein
gefundenes Fressen für die Stasi, die vergeblich versuchte, die „kapitalistische Unterwanderung“ zu unterbinden und munter
Aktenberge anlegte.
© Jugendzeitschrift „Bravo“
Henry sowie der Amerikaner Benny Brown.
Dieser Sound of freedom vermittelt ein
völlig neues Lebensgefühl und macht auch
vor politischen Grenzen nicht halt. Der
Jugend hinter dem Eisernen Vorhang bietet
Radio Luxembourg in der Zeit des Kommunismus ein willkommenes Fenster zum
freien Westen, das als solches auch heute
noch gefeiert wird.
Das Aufkreuzen der Piratensender wie
Radio Caroline in den Sechzigern sowie die
Genehmigung lokaler kommerzieller Sender in Großbritannien machen dem Sender
aus Luxemburg dann aber zunehmend das
Leben schwer. 1992 wird der Kultsender
schließlich abgeschaltet, doch er hallt
immer noch im kollektiven Gedächtnis
einer ganzen Generation weiter.
Mehr unter www.radioluxembourg.co.uk
1970
In jungen Jahren
bei „Radio Luxemburg“:
Anke Engelke
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Zwei Rundfunkgrößen
im Duell: Thomas Gottschalk (links)
und Frank Elstner (rechts)
© Foto Peter Langenbach
© Foto Peter Langenbach
Kult
Jochen Pützenbacher (links)
und Willi Knupp (rechts)
© Moulinsart
Camillo Felgen inmitten
der Fröhlichen Welle
Radio Luxemburg lebt von der Popularität seiner Sprecher, die praktisch unsichtbar neben den Leuten am Küchentisch oder
im Auto sitzen. Die Liste der beliebten Sprecher, von denen einige den erfolgreichen
Sprung auf den Bildschirm schaffen werden,
scheint schier unendlich: neben Camillo Felgen und Frank Elstner greifen noch Hugo
Egon Balder, Iff Bennett, Karl Dall, Jörg
Ebner, Anke Engelke, Thomas Gottschalk,
Helga Guitton, Dieter-Thomas Heck, Edy
Hildebrandt, Rainer Holbe, Chris Howland,
Harald Juhnke, Matthias Krings, Mike Krüger, Volker Lechtenbrink, Hans Meiser,
Désirée Nosbusch, Thomas Ohrner, Jochen
Pützenbacher, Bill Ramsey, Max Schautzer,
Conny Scheel, Björn Schimpf, Fritz Walter,
Victor Worms und noch viele mehr zum
Mikrofon im Luxemburger Stadtpark. Es
gelingt ihnen, die beliebtesten Schlagerstars
nach Luxemburg zu locken, und an manchen Tagen sind es ganze Horden von deutschen und luxemburgischen Fans, die zu der
Villa Louvigny gepilgert kommen und dort
stundenlang auf ein Autogramm warten.
Unter dem Impuls von Frank Elstner,
der im Jahr 1972 zum Programmdirektor
wird, kommt der Popmusik eine immer größere Bedeutung zu, was sich ebenfalls in
den Siegerlisten des begehrten Löwen von
Radio Luxemburg wiederspiegelt. Zudem
wird der erste deutsche Verkehrsfunk eingeführt und die Nachrichten werden deutlich ausgebaut. Damit etabliert sich der
Sender aus dem Großherzogtum definitiv
als Trendsetter, und die öffentlich-rechtlichen Sender der BRD sehen sich gezwungen, dieses Konzept nach und nach zu
übernehmen. Dies und die Lizenzierung des
Privatfunks in Deutschland Mitte der 1980er
Jahre bringen jedoch den einstigen Eisverkäufer in der Wüste zunehmend in Bedrängnis. Dennoch: den Kultstatus von Radio
Luxemburg erreicht sonst kein Sender!
DDM
Sogar „Dupond
et Dupont“ hören
„Radio Luxembourg“
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Bibliographie:
- Nichols, Richard, Radio Luxembourg, the Station of the
Stars: An Affectionate History of 50 Years of
Broadcasting, London, W.H. Allen, 1983;
- Richards, Keith, Life, Little, Brown and Company, New
York, 2010;
- „Wir senden Herzlichkeit!“, Die Zeit Nr. 19 - 08. Mai 1970;
- Der Spiegel 37/1971;
- 50 Jahre RTL Radio Luxemburg 1957-2007, RTL Radio,
Luxemburg, 2007.