Diese Flitzer klingen nach lahmem Polo

Transcrição

Diese Flitzer klingen nach lahmem Polo
REPORT vw scirocco i
Wolfsburgs heißer
Wustenwind
Ford Capri, Opel Manta? Schön, aber das wahre Coupé der 70er-Jahre
baute Karmann in Osnabrück. 504 153 VW Scirocco I liefen von 1974 bis
81 vom Band. Hier erzählen fünf Autofans von der Liebe ihres Lebens
Gregor liebt die lahmen Sportcoupés Seite 42 Peter und die Liebe fürs Leben Seite 44 Fritzi fährt einen, den
illinge:
ide sehen aus,
d seine blauen Zw
un
t
rd
ha
on
Le
d haben 50 PS. Be
or
un
Greg
76
19
n
vo
d
Beide Scirocco sin
rage gestanden
n immer in der Ga
als hätten sie scho
Ach herrje! War das schön!
Deutschland 1974. WIR sind
Fußball-Weltmeister, WIR tanzen zum ABBA-Hit „Waterloo“,
WIR flirten vor unserem ersten
Farbfernseher mit Ilja Richter
(„Licht aus, Spot an!“). Den heißesten Hit der Zeit lieferte aber
nicht die ZDF-„Disco“, sondern
Autobauer Karmann in Osnabrück. Hier lief im Februar 1974
der erste Scirocco vom Band.
Ach herrje! War der schön!
Scirocco. Welch ein Name!
Plötzlich wehte ein heißer Wüs-
tenwind durch die
niedersächsische
VW-Provinz. Einer
mit Motor vorn statt
hinten, mit Wasser- statt Luftkühlung, mit Frontstatt Heckantrieb.
Der Neue war rein
technisch ein Golf,
kam aber drei Monate früher
auf den Markt. VW wollte testen, wie sich diverse Bauteile in
Großserie schlagen, um mit dem
Golf ja keine Bruchlandung zu
oOrdnung: Scirocc
ner-)Welt noch in
e Koteletten!
di
f
au
Da war die (Män
e
re. Man acht
ah
-J
er
70
r
de
ng
Werbu
erleiden. Einer
der Scirocco-Väter war Giorgio
Giugiaro, dessen
Firma Ital Design
1971 den StylingAuftrag für Wolfsburgs heißen Wüs­
tenwind erhielt. Und so rollte
der allererste Scirocco mit der
internen Bezeichnung Typ 53 im
April 1974 zu den Händlern:
drei Motoren (50, 70 und 85 PS),
drei Ausstattungsvarianten und
zehn Außenfarben. Nach den
Sommerferien 1977 gab’s das
große Facelift: Kunststoff- statt
Chromstoßstangen, Blinker, die
in den Kotflügel reichen. Sportliche Fahrer hatten sich da
längst in den 110-PS-GTI verliebt, den VW 1976 für 16 125
Mark offerierte. Im Februar 1981
war Schluss mit dem Scirocco I,
es folgte Typ 53B. Aber das ist
eine andere Geschichte.
es nicht geben darf Seite 46 Matthias und die Jugendliebe Seite 48 Andreas und die geklaute Liebe Seite 49
Gregor Leonhardt (40) genügen 50 PS
Diese Flitzer klingen
nach lahmem Polo
Ein Sportcoupé mit dem Herz eines Kleinwagens? Ja,
das hat VW wirklich mal verkauft. Dieser Schlossermeister
aus Frankfurt braucht nicht mehr, um glücklich zu sein
fotos: t. ruddies, hersteller
‡ Also nee! So was hätte sich Gregor Leonhardt nie denken können. Nee, nicht so was.
Da sitzt er zwischen zwei Scirocco, beide mit
mickrigen 50 PS unter der Haube, und der
Schlossermeister aus Frankfurt/Main platzt
vor Stolz: „Meine, die verkaufe ich nie.“
Scirocco L, Polo-Motor, dünnes Plastik-Lenkrädchen und eckige Lampen. Leute, ehrlich:
Damit konnte man in den 80ern keine Braut
abschleppen! Sah Gregor genauso. 1991 hatte er ein 50-PS-Modell, aber bei den Ausfahrten seines Scirocco-Klubs war er immer Letzter. Also sattelte er um, kaufte einen weißen
Scirocco GTI mit 180 000 km, bei dem ihm
schon während der Probefahrt das Leerlaufventil um die Ohren flog. Egal, er musste die
Karre für 4800 Mark unbedingt haben, das
Scirocco-Virus hatte ihn erwischt. Aber ständig war was, ständig musste er den GTI reparieren. Da erinnerte er sich an den 50-PSScirocco: nicht so verbastelt, nicht so runtergeritten. 1993 stieß er in Wuppertal auf
einen blauen Scirocco L aus einer Sammlungsauflösung: 24 000 km, zweite Hand,
scheckheftgepflegt, 7500 Mark. Gekauft!
Sieben Jahre später, das Internet lieferte
die ersten Angebote, entdeckte der .
42 www.autobild-klassik.de | Nr. 4 ∧ 20. November 2009
Alles original: Gregor Leonhardts Scirocco L wurde im
Mai 1976 mit genau diesen Stahlrädern ausgeliefert
Stiller Genießer: Gregor in seinem 50-PS-Scirocco.
Das große Lenkrad sieht gar nicht nach Coupé aus
20. November 2009 ∧ Nr. 4 | www.autobild-klassik.de 43
REPORT vw scirocco i
40-Jährige das Zwillingsmodell: gleiches Baujahr, gleiche Farbe, gleiche Ausstattung. Und so kaufte er den
zweiten Polo im Scirocco-Kostüm: 19 000 km, aus erster Oma-Hand, 6500 Mark. Der Wagen stand in Österreich, die Heimreise auf eigener Achse war kein Pro­
blem, sondern Genuss: „Du fährst wie in einem Panzer“,
sagt Gregor und strahlt, „alles ist so vertraut, du fühlst
dich zurückversetzt in deine Jugendzeit.“
Und was wurde aus dem
weißen GTI? Das, was in
den 90ern aus vielen
anderen wurde. Motor
von 1,6 auf 1,9 Liter aufgebohrt, schwarze BMW-Rückleuchten, Breitreifen, härter, tiefer. Eben der ganz normale Tuning-Wahn dieser Zeit, als PS-Verrückte noch
süchtig waren nach D&W-Hochglanzkatalogen. „Der
röhrt wie ein Turbo“, sagt Gregor, „und wenn du um
die Kurve fährst, fühlst du dich wie im Kart.“
Aber Hand aufs Herz, warum ausgerechnet Scirocco?
Gregor muss nicht lange überlegen: „Die Keilform ist
einfach der Hit.“ Er ist sogar so vernarrt, dass er die Internetseite „sciroccokartei.de“ ins Leben gerufen hat,
auf der schon 900 Typ-53-Modelle verzeichnet sind.
Auch die blauen Zwillinge, die klingen wie lahme Polo.
Man achte auf die Feinheiten: Türgriffe vom Audi
80, riesiger Rieger-GTO-Heckflügel und schwarze
Rückleuchten vom BMW 3er (E30). Damit war Gregor Leonhardt in den 90ern bei den Scirocco-Treffen im osthessischen Hohenroda ganz weit vorn ...
Sammelbesteller
im Tuning-Katalog:
32er-Momo-Lenkräder und eine
Pedalerie aus gelochtem Alu brauch­
te man in den
90er-Jahren, um in
Scirocco-Kreisen
Anerkennung
zu erfahren. Bei
diesem Modell
fehlt die Mittelkonsole. Der Schaltknauf war mal
eine Billlardkugel
hat er zum
inen 1979er GTI
Se
rt
e:
nd
sü
nd
ge
Ju
hlergrill verbreite
Gregors
umgebaut, den Kü
l
el
od
tm
lif
ce
Fa
Vor-
Peter Stammerjohann (60) ist Erstbesitzer
Der Grüne ist (s)ein treuer Begleiter
Mit 28 Jahren zahlte der Wolfsburger 15 681 Mark für seinen nagelneuen Scirocco GT. Seitdem
sind 32 Jahre und 197 000 Kilometer vergangen. Für ihn ist klar: „Wir werden gemeinsam alt“
‡ Da sitzt er im Esszimmer und hält die Akte seiner
einzigen großen Autoliebe in den Händen. Alle Rechnungen der vergangenen 32 Jahre hat Peter Stammerjohann aus Wolfsburg fein säuberlich abgeheftet.
„15 681 Mark habe ich für den Scirocco bezahlt. Die
gleiche Summe noch mal für Wartung und Reparatur
reingesteckt. Aber in Euro“, erklärt er und lächelt.
Der 8. September 1977 war ein verregneter Donnerstag. Der 60-Jährige weiß es noch genau. Es ist der Tag,
an dem er seinen Scirocco GT in Empfang nimmt.
Viperngrün-Metallic, 1,5 Liter, 70 PS. Statt Rabatt gibt’s
einen leeren Tank. Zumindest das Kassettenradio
(Blaupunkt Essen) und die Kugel-Lautsprecher bauen
die VW-Leute von Auto Damke in Braunschweig kostenlos ein. Ja, so ist das zu dieser Zeit. Peter Stammerjohann ist gerade junger Verwaltungsleiter bei Karstadt
in Dortmund und hat genau nachgerechnet. BMW
1502, Porsche 924 oder VW Scirocco? „Ich bin nach
wirtschaftlichen Gesichtspunkten vorgegangen und
habe die Folgekosten verglichen“, erklärt er. Der Scirocco hat gewonnen. Ein Glück. Denn Peter Stammerjohann ist ein penibler, gewissenhafter Mensch, einer,
dem man ruhigen Gewissens sein Sparbuch und seine
Münzensammlung anvertrauen kann. All die ganzen
Jahre hegt und pflegt er den Scirocco. Er zieht mit ihm
um von Braunschweig nach Dortmund, Hannover, Kamen, Wolfsburg. Er bringt ihn regelmäßig zum Service,
lässt ihn 2004 sogar von der VW-Werkstatt komplett
entrosten und neu lackieren. Das gesamte
Scheckheft ist voller
Stempel von VW-Ver-
ele
zusammen als vi
nn.
nem Auto länger
ter Stammerjoha
Pe
gt
r Frau“, sa
k
Männer mit ihre
ar
M
cco GT für 15 681
ufte er den Sciro
Vor 32 Jahren ka
„Ich bin mit mei
tragshändlern. So viel Treue wird belohnt. Als die VWLeute einen Ur-Scirocco für die Vorstellung der dritten Generation suchen, finden sie den viperngrünen
von Peter Stammerjohann. In Lissabon muss der Scirocco als Fotowagen herhalten, einmal räkelt sich sogar ein Model auf der Motorhaube und zerkratzt mit
seinen spitzen Pumps den Lack. Der 60-Jährige lächelt:
„VW hat alles wieder picobello in Ordnung gebracht.“
Vor fünf Jahren, als der Scirocco wieder wie neu war,
kaufte sich Peter Stammerjohann einen Skoda, fährt
seinen grünen Freund nur noch bei gutem Wetter. Denn
er hat beschlossen: „Der Wagen und ich, wir werden
gemeinsam alt.“ Bis dahin genießt er jede Fahrt.
Und muss noch mal lächeln, als er sagt: „Wenn
ich nicht gerade in den Rückspiegel schaue,
fühle ich mich hinterm Lenkrad wie mit 30.“
fotos: t. ruddies
Seht her, mein Serviceheft: Seit Kauf
am 8. 9. 1977 hat Peter Stammerjohann alle
Wartungen bei VW machen lassen
Spucknapf-Lenkrad, Drehzahlmesser, Voltmeter in der Mittelkonsole: So bestückte VW den Scirocco GT 1977. Er schnurrt noch immer wie ein Kätzchen
44 www.autobild-klassik.de | Nr. 4 ∧ 20. November 2009
Um die Schottenkarositze zu schonen, hat sich Stammerjohann Bezüge anfertigen lassen. Der Motorraum mit dem 1,5-Liter-Vierzylinder ist wie geleckt
20. November 2009 ∧ Nr. 4 | www.autobild-klassik.de 45
REPORT vw scirocco i
Scirocco-Kauf
Jörg Fritz (44) besitzt ein Einzelstück
Fritz und sein
in (11) fährt er
eht ihm gut: Jörg
mit Tochter Krist
am
ns
ei
m
Ge
o.
cc
ich
1979er Sciro
s), sehr erfolgre
man sieht (recht
ie
W
.
es
ly
al
-R
er
Oldtim
Der kleine Rote st
Das müssen
Sie wissen
Das Auto, das es nie
geben durfte
fotos: t. ruddies
Der VW-Werker
aus Gifhorn fährt
ein Auto, das
eigentlich längst verschrottet sein sollte.
Aber irgendwie schaffte es der Scirocco
Turbo nach draußen – leider ohne Turbo
Der Motor sieht aus wie ein stinknormaler 1.6er mit 85 PS. Das war aber nicht immer so. Früher war hier mal ein
Turbolader eingebaut, das Hitzeschild (siehe Markierung) beweist es. Damit leistete der Scirocco etwa 145 PS
46 www.autobild-klassik.de | Nr. 4 ∧ 20. November 2009
„Scirocco Fuelinjection“ – allein das
Schild vom US-Export wurde bei Ebay
schon für 250 Euro gehandelt. Mann,
was würde da erst das Cockpit bringen?
Es ist im Holzdesign gehalten, die
Amis standen drauf, wirklich wahr. Mit
den drei Hebeln unterm Original-Radio
lässt sich die Klimaanlage (!) bedienen
‡ Pssst. Streng geheim. Im März
1980 will VW einen Scirocco Turbo in
den USA verkaufen. 2000 Exemplare sollen mit einem 130 PS starken
Motor ausgestattet werden. Dazu
Sportsitze, Lederlenkrad, Frontspoiler, rot abgesetzte Zierteile,
185er-Breitreifen, blaugrüner Metalliclack. Testversuche laufen seit
Ende der 70er. Aber es läuft nicht
gut. Man sagt, dass von 26 Testwagen 17 Feuer fingen, weil es Probleme mit der Dichtheit des Vergasers gab. Irgendwann wird es VW zu
heiß. Versuch gestoppt, alle Autos
vernichtet. Alle? Nee, einer lebt...
...und der hat es richtig gut, steht bei
Jörg Fritz in Gifhorn in der Garage,
schön weich auf Teppich. Dass die
beiden zusammenkamen – reiner
Zufall. 1993 gibt der 44-Jährige
(„Nenn mich einfach Fritzi“) eine
Kleinanzeige im „Heißen Draht“ auf:
„Suche Innenausstattung für Scirocco I“. Ein Anrufer sagt, er habe da
was, einen kompletten Wagen, zwar
arg vergammelt, aber mit ordentlichen Sitzen, noch dazu mit Klimaanlage. Fritzi zahlt 200 Mark, nimmt
ihn mit: Er ist mausgrau und löchrig
wie ein Schweizer Käse. Wenig später steht er ohne Sitze, Ablagen und
Teppiche in der Scheune. Und steht.
Und steht. Bis Fritzis Vater droht:
„Jetzt mache ich ihn klein.“ Da sieht
der Junge noch mal genau hin, erspäht einen Aufkleber an der Unterseite der Motorhaube. Es geht um die
Einstellung des Turboladers. Turbo?
Scirocco? Fritzi forscht nacht. Findet
ein Wärmeschutzblech an der Spritz-
wand im Motorraum. Hier war er,
der Turbolader. Aber wo ist er?
Fritzi beschließt: Den macht keiner
klein, den baue ich auf. 500 Stunden
Arbeit steckt der VW-Werker in den
Youngtimer, 1995 lackiert er ihn,
aber nicht in der Originalfarbe: „Alle meine acht Sciroccos zuvor waren
rot, also musste auch dieser rot werden.“ Die Geburt des roten Scirocco.
Und die Vorgeschichte? Irgendwann
lernt Fritzi Horst Rosenblatt kennen,
zeigt ihm ein Foto des mausgrauen
Scirocco. Rosenblatt erinnert sich:
Das war mein Dienstwagen! Im Oktober 1979 (damals war er Ingenieur
in der Motorenentwicklung) übernahm der heute 69-Jährige den Scirocco. Er sagt: „Er war einer von zwei
Prototypen, die überlebt haben. Er
hatte etwa 145 PS.“ Und: „Er lief 210
km/h!“ Einmal fuhr Rosenblatt mit
dem Turbo von Wolfsburg nach Kiel.
Im Kofferraum standen vier 20-Liter-Kanister mit bleifreiem Benzin,
denn: „Damals gab es ja nur verbleites, und der Wagen hatte einen Katalysator.“ Ende 1980 findet das
Nullserienfahrzeug irgendwie den
Weg aus dem Werk, leider ohne Turbo, und – mysteriös: Laut Brief ist
Fritzi Zweitbesitzer, vom VW-Werk
steht da nichts.
Vielleicht kommen die Geheimnisträger von einst ja mal auf eine Tasse Kaffee vorbei. Denn einmal im
Jahr veranstaltet der Mann, der auch
nach Feierabend mit VW verheiratet
ist, sein „Kaffee schlabbern bei Fritzi“ nur für Scirocco-Fahrer. Und das
ist alles andere als streng geheim.
‡ Die Wahrscheinlichkeit, günstig
an einen guten Scirocco I zu kommen, ist so hoch wie die Deutsche
Meisterschaft für Arminia Bielefeld. Unverbastelte GTI gibt es gar
nicht mehr, für 2500 bis 3000 Euro ist höchstens ein GT mit 70 PS
drin. Wer so was kauft, sollte aber
schweißen können. Denn der Rost
ist das Hauptproblem des Einsers.
Stehbleche für Kotflügel, Windfang
vor der Frontscheibe, Schweller,
Radläufe, Endspitzen, Radkästen –
es gammelt einfach alles. Die Ersatzteilversorgung ist ebenso erschütternd: VW-Classic-Parts hat
für das Facelift-Modell nur noch die
rechte Tür (583,10 Euro), nicht aber
die linke. Karosserie- und Zierteile
sind rar, viele Stoffbezüge gibt es
schon gar nicht mehr. Zumindest
bei Motor- und Fahrwerkteilen
sieht es gut aus: Golf-I-Technik.
Stehbleche der Kotflügel rosten,
oft wurde hier schon geschweißt
¤ www.sciroccokartei.de Verzeich¤
¤
¤
¤
nis für Roccos. Bitte registrieren!
www.roterscirocco.de.tl Alles
über Fritzis roten Renner. Kultig!
www.typ53.com Tipps und Kniffe
der Scirocco Original-IG. Klasse!
www.roccofan.de Private Seite
mit Link zum Forum. Informativ!
www.vw-classic.net Teile für wassergekühlte VW-Oldies. Pflicht!
CODE*:
9RCQ
* Schicken Sie den Artikel-Code per SMS an die Nummer 5 35 35. Ihr per­sön­liches AUTO BILD KLASSIKArchiv finden Sie auf www.xnip.com. SMS zum Nor­
mal­tarif. Eine ausführliche Erklä­rung finden Sie un­ter autobild.de/go/xnip
20. November 2009 ∧ Nr. 4 | www.autobild-klassik.de 47
REPORT vw scirocco i
AUTO BILD-Redakteur Andreas May (38)
So klauten sie meinen Scirocco
≤2
Drei Jahre schraubte er an seinem GTI. Dann, im Sommer 1993,
verschwand der VW. Die traurige Geschichte einer Autoliebe
Matthias Schwalm (41) bastelt immer noch
Diese (Jugend-)Liebe hält ewig
1988 kauft der Mechaniker seinen GTI, holt 150 PS aus dem Motor.
Als Sohn Kevin kommt, stellt er den Scirocco weg – 17 lange Jahre
‡ Das Ding hüpft wie ein Bock, geht ab wie die Sau und
röhrt wie ein Hirsch. Bis 1992, dann ist Schluss damit.
Als Matthias Schwalm (41) seine schwangere Frau ins
Krankenhaus fährt, zwängt sie sich zum letzten Mal in
den engen Schalensitz. Dann rebelliert sie, mit Erfolg.
Nach der Geburt holt er sie und Kevin im Audi 80 ab.
Und die blaue Knallkiste? Die stellt Matthias weg.
Vier Jahre zuvor kauft er den GTI im hessischen Schwalmstadt. Der VW ist in erbärmlichem Zustand. Gerade mal
neun Jahre alt und total mürbe. Wie gut, dass Matthias
Kfz-Mechaniker ist, in einer VW-Werkstatt gelernt hat.
Er baut die Kamei-Verbreiterung ab, schweißt kiloweise Bleche ein, lackiert seinen Traumwagen in Effektrot-
Metallic. 1990 glitzert er wie ein Autoscooter und ist
der Star vor der elterlichen Gastwirtschaft. Dabei ist er
nicht allein. Matthias muss schmunzeln: „Plötzlich standen da vier Scirocco, meine drei Brüder hatten nämlich
auch einen.“ Aber nicht so einen. Die 110 PS waren ihm
nicht schnell genug. Er bohrte den 1.6er-Block auf 1,9
Liter auf, investierte in geschmiedete Kolben und größere Ventile, eine scharfe Nockenwelle und einen 45erVergaser. Ergebnis: 150 eingetragene PS und Zoff zu
Hause: „Für den Motor ging ein Bausparvertrag drauf.
Mein Vater hat einen Monat nicht mit mir geredet.“ Matthias ist das schnuppe. Er gründet 1990 mit 14 Kumpeln
den „Scirocco Club Schwalmstadt“, bastelt munter wei-
ter. SupersprintAuspuff, Fichtel-&Sachs-Fahrwerk,
neuer Lack in AudiRS-4-Blau. Aber dann kommt Kevin. Und der Scirocco
steht. Bis 2009. Nach 17 Jahren holt der 41-Jährige seine Jugendliebe aus der Scheune, gibt wieder Gas, so wie
früher. Bis gar nichts mehr geht. Landstraße, leichte
Steigung, zweiter Gang. Plötzlich macht es Peng, eine
weiße Wolke – Motorschaden! Den Mechaniker erschüttert das nicht. Jetzt will er seinen Scirocco zum 180-PSBoliden umbauen, neu lackieren, komplett überarbeiten. Alte (Jugend-)Liebe rostet eben nicht wirklich.
Dickes Lenkrad, Extra-Rundinstrumente, Schalensitze, Hosenträgergurte: Der Scirocco von Matthias Schwalm
versprüht den Tuning-Charme der 90er. Der Kaufvertrag sieht aus wie eine Einladung zum Kindergeburtstag
48 www.autobild-klassik.de | Nr. 4 ∧ 20. November 2009
wollt ihr, dass mein Freund wieder in den
Knast geht?“ Ihr Freund heißt Ataman E.,
er droht uns in gebrochenem Deutsch.
Michael und mir schlottern die Knie, als
wir später bei der Kripo Anzeige erstatten. Der nächste Schock fährt mir in die
Glieder, als ich einige Wochen später mit
meinem Vater beim Anwalt bin und meine Mutter anruft: „Kommt schnell nach
Hause, der Typ steht vor der Tür.“
Juni 1994. Ein Jahr ist vergangen. Ataman
E. muss wegen der Bedrohung 800 Mark
zahlen. Den Diebstahl kann man ihm nicht
nachweisen („Teile hat mir Bekannter ge­
ge­ben“), Motor, Räder, Auspuff, Rückleuchten muss er rausrücken. Von der Versicherung bekomme ich 6055 Mark und 50
Pfennig. Einige Wochen später ruft die Polizei noch mal an: „Gehört Ihnen das Fahrzeug mit dem Kennzeichen HR-ZK 77?“ –
„Das war der Scirocco meines Sohnes“,
sagt mein Vater. Der Polizist: „Holen Sie
die Karosserieteile ab, sie liegen im Wald
bei Alsfeld.“ Die Diebe haben meinen Scirocco in neun Teile zersägt. Mit Tränen in
den Augen lese ich sie ein letztes Mal zusammen, bringe sie zum Schrotthändler.
Und zahle 100 Mark für die Beerdigung
meines Jugendtraums.
1≥
≤3
als 20)
dreas May (dam
olz wie Bolle: An
st
,
92
19
irocco GTI
er
m
m
So
(1) vor seinem Sc
a
en
-L
na
An
te
posiert mit Nich
1
2
3
Sommer 1994, der Scirocco ist zersägt. Diebe haben den VW
gestohlen, Motor ausgebaut, Räder abgeschraubt, das
Interieur samt Schalensitzen und Hosenträgergurten völlig
zerfleddert – und den Rest mit der Flex in neun Stücke geteilt, im Wald bei Alsfeld (Hessen) abgelegt. Andreas May ist
heute 38 und AUTO BILD-Redakteur, Anna-Lena ist 18, macht
Abitur – und fährt mittlerweile selbst Auto: einen VW Lupo
20. November 2009 ∧ Nr. 4 | www.autobild-klassik.de 49
fotos: t. ruddies, r. timm, privat
ias Schwalm in
kt
ber König: Matth
wartet nach Defe
kstatt. Der Motor
er
W
ybb
Ho
er
in
se
en
Jahr 180 PS leist
ng, soll nächstes
auf Überarbeitu
au
Hier ist der Schr
‡ Das Pils perlt. Noch eins und noch eins
und... Nach dem vierten beschließe ich,
mein Auto stehen zu lassen. Das war am
25. Juni 1993. Der Tag, an dem sie meinen
Scirocco klauten.
Baujahr 1980. Ein GTI. Als ich ihn kaufte,
war ich 18. Das ganze Geld, das ich als Reporter der „Hessisch/Niedersächsischen
Allgemeinen“ in Schwalmstadt (Hessen)
verdiente, steckte ich in den VW. Kaufte
Aluräder und Breitreifen, versuchte mich
mit Flex und Ratsche. Ergebnis: hart wie
ein Brett dank Bilstein-Fahrwerks, kerniger
Klang dank Gillet-Auspuffs, rote Rückleuchten dank Fenstermalfarbe. Mein Scirocco,
ein Traum in Dark-Violett-Perleffekt.
Als ich ihn am 26. Juni 1993 abholen will,
ist er weg. Geklaut. Ein Drama beginnt.
Anzeige, Fassungslosigkeit, Bangen. Würde ich ihn jemals wiedersehen?
Drei Wochen später: Am Bahnhof steht ein
runtergerockter Scirocco. Mausgrau, ein
Kotflügel rot, einer silbern. Die Alus, der
ovale Endtopf, die roten Rückleuchten lassen mich stutzen. Und der Typ neben dem
Wagen: braun gebrannt, lange dunkle Locken, das Hemd bis zum Bauchnabel aufgeknöpft, Goldkettchen. Ich spreche ihn
an. „Geile Rücklichter. Wo hast du die her?“
– „Hat Kumpel besorgt“, stammelt er.
Dann startet er den Motor, und ich weiß:
Das ist meiner. Notiere das Kennzeichen,
gehe zur Polizei. Der Beamte brummelt
lustlos: „Jetzt ist Wochenende.“ Da rastet
mein Lehrmeister aus. Manni Schaake,
„HNA“-Chef in Schwalmstadt, faltet die
Wache zusammen wie ein Akkordeon. Vier
Tage später meldet sich ein Polizist: „Wir
haben den Wagen, kommen Sie morgen
um 13 Uhr zur Esso-Tankstelle in Stadtallendorf.“ Ich: „Aber nur, wenn dieser Typ
nicht da ist.“ Er: „Keine Sorge!“
13 Uhr, Esso-Tankstelle. Gemeinsam mit
Schrauber-Kumpel Michael identifiziere
ich die Teile: Den 1.8er-Motor mit 112 PS,
Auspuff, Räder – alles meins. Plötzlich
kommt er – lange dunkle Locken –, Hand
in Hand mit seiner blonden Freundin. Als
die Beamten weg sind, reden beide auf uns
ein. Sie: „Nehmt die Anzeige zurück, oder