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Briten haben ein deutlich besseres Bild von
Deutschland
10.07.2014
Kulturelle Unterschiede zwischen dem Vereinigten Königreich und Deutschland werden
weiterhin unterschätzt/ Von Annika Pattberg
London (gtai) - Die deutsch-britischen Beziehungen sind nach Meinung langjähriger Beobachter so gut wie nie
zuvor. Das Deutschlandbild in britischen Medien hat sich vor allem seit der Fußballweltmeisterschaft 2006 in
Deutschland deutlich verbessert. Die Briten bewundern deutsche Technik ebenso wie deutschen Fußball. Aller­
dings sorgen kulturelle Unterschiede weiterhin für Stirnrunzeln. So haben Briten vor allem mit der deutschen Di­
rektheit Probleme, sagen es aber natürlich nicht.
Jahrzehntelang war das Verhältnis der Briten zu den Deutschen von den Ereignissen in der ersten Hälfte des 20.
Jahrhunderts geprägt. Inzwischen hat aber ein Generationswechsel stattgefunden. Auf der Internetseite http://
www.deutsche-in-london.net  bemerkt ein Forumsmitglied in einem Beitrag vom 27.6.14, "wie radikal sich das
Deutschlandbild in den (britischen) Medien in den vergangenen Jahren gewandelt hat." Die Bemerkungen über
die deutsche Vergangenheit haben deutlich abgenommen. Besonders die Mehrheit der jungen Briten ist sehr
positiv gegenüber Deutschland eingestellt.
Vertreter der deutschen Tourismus-Branche berichten über Rekordzahlen britischer Touristen, die für ein Wo­
chenende nach Berlin, Köln oder München jetten. Beobachter meinen, dass vor allem auch die Fußballweltmeis­
terschaft im Jahr 2006, die in mehreren deutschen Städten stattfand, das Deutschlandbild auf der Insel deutlich
verbessert hat. Während des deutschen "Sommermärchens" hätten sogar Zeitungen wie "Sun" und "Mirror" po­
sitiv über Deutschland berichtet, erklärt ein anderer Autor am 27.6.14 auf http://www.deutsche-in-london.net .
Die deutsche Wirtschaft profitiert mehrfach von dem guten Verhältnis der beiden Länder. Aus keinem anderen
Land der Welt importiert das Vereinigte Königreich so viele Waren wie aus Deutschland (Importanteil 2013:
13,22%). Die Einfuhren aus Deutschland stiegen 2013 gegen den Trend um 1,6% auf Euro-Basis, während die Ge­
samtimporte des Vereinigten Königreiches deutlich um 8,2% abnahmen.
Vor allem deutsche Technik ist bei den Briten begehrt. Über der Hälfte der britischen Einfuhren aus Deutschland
sind deutsche Autos und Maschinen (52,3%). Bei den Pkw-Neuzulassungen auf der britischen Insel machen
deutsche Automarken einen Anteil von unglaublichen 30% aus. Fast jeder dritte gekaufte Neuwagen im Verei­
nigten Königreich ist also entweder direkt "Made in Germany" oder wurde von einem deutschen Automobilun­
ternehmen produziert.
Ganz vorne mit dabei sind deutsche Unternehmen und Ingenieure beispielsweise auch beim Bau der riesigen
Offshore-Windkraftanlagen in den britischen Gewässern. Alle 175 Windkraftanlagen des 2013 eröffneten welt­
weit größten Offshore-Windparks "London Array" stammen von Siemens. Gebaut wurde der Park unter ande­
rem von Eon.
Kulturelle Unterschiede zwischen Briten und Deutschen werden unterschätzt
Die Beispiele zeigen, dass die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Ländern bereits sehr gut sind. Er­
fahrene Landeskenner weisen aber immer wieder darauf hin, dass es zwischen den beiden Kulturen sehr wohl
große Unterschiede gibt.
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BRITEN HABEN EIN DEUTLICH BESSERES BILD VON DEUTSCHLAND
"Die kulturellen Unterschiede zwischen dem Vereinigten Königreich und Deutschland werden sehr oft unter­
schätzt", betont Sven Riemann, Leiter der Marketing-Abteilung der Deutsch-Britischen Handelskammer (AHK
UK, Internet: http://grossbritannien.ahk.de ). Nicht ohne Grund bietet die AHK für ihre Mitglieder und andere
interessierte Unternehmen Seminare zu diesem Thema an. Auch diverse kulturelle Trainer im Vereinigten König­
reich und in Deutschland versuchen Vertreter beider Kulturen für die jeweils andere zu sensibilisieren.
Briten haben vor allem Schwierigkeiten mit deutscher Direktheit
"Einer der größten kulturellen Unterschiede zwischen dem Vereinigten Königreich und Deutschland ist das Maß
an Direktheit", sagt Clare Gallagher, die als Cross-cultural Specialist in London tätig ist und Mitarbeiter von
deutschen und britischen Firmen für die jeweils andere Kultur sensibilisiert. "Briten meinen manchmal, dass
Deutsche grob und unhöflich sind. Dabei sind Deutsche nur direkter im Umgang", erklärt Gallagher.
Gleicher Meinung ist ein britischer Guardian-Leser, der am 27.6.14 auf http://www.theguardian.com  schrieb:
"Germans are much more direct - which is something we will never be. It's sort of refreshing, but at the same ti­
me a little hard to deal with! We see our indirectness as an art form!" - Für viele Briten ist damit ihre Indirekt­
heit eine Form der Kunst.
Die im Vereinigten Königreich obligatorische Frage "How are you", die an jeder Supermarktkasse und an jedem
Bankschalter gestellt wird, ohne dass eine detaillierte Antwort erwartet wird, mag auf Ausländer oberflächlich
wirken. Ohne sich aber nach dem Befinden des anderen zu erkundigen, sollte kein Gespräch oder Telefonat mit
einem Briten begonnen werden - und ebenso keine E-Mail.
"Das Problem ist..." lautet eine typische Formulierung von Deutschen, die das Glas eher halb leer als halb voll se­
hen und vor allem weniger gute Nachrichten und Probleme ("issues") deutlich offener und direkter als andere
Nationen ansprechen. Briten denken nicht nur positiver, sie schieben auch immer eine nette Aussage vorweg,
bevor sie Unangenehmes - in netten Worten kunstvoll verpackt - äußern. Um nicht mit der Tür ins Haus zu fal­
len, helfen den Briten Formulierungen wie "I am afraid", Hilfsverben wie "might", "could" und "would", passive
Ausdrücke oder Verniedlichungen. "I am afraid we might face a bit of a problem", mag für deutsche Ohren we­
nig dramatisch klingen, bedeutet aber dem Sinn nach übersetzt dennoch so viel wie: "Alarmstufe rot. Es
brennt!" Es handelt sich also um eine klare Bitte um Hilfe.
Deutschen Vorgesetzten empfiehlt Cross-cultural Specialist Gallagher, keine direkten Befehle auszuteilen, son­
dern Wünsche und Aufträge höflich als Bitte, Idee oder Frage zu formulieren. Auch eine passive Formulierung ist
möglich. Beispielsweise: Könnte dies auch anders gemacht werden?
Auch die interkulturelle Trainerin Heike Saxer-Taylor beschäftigt sich in ihren Seminaren mit der Beziehung zwi­
schen Vorgesetzten und Mitarbeiterin aus beiden Kulturen. "Im Vereinigten Königreich ist "Casual leadership"
üblich. Das heißt, dass Chefs in der Regel ihre Mitarbeiter weniger kontrollieren und ihnen mehr Freiraum ge­
ben", erklärt Saxer-Taylor.
Briten verarbeiten Emotionen mit Humor
Da Briten Emotionen nach außen weniger direkt zeigen als andere, bleibt die Frage, wie sie Emotionen verarbei­
ten. Eine mögliche Antwort könnte der britische Humor sein. Die Politikerin Lady Nancy Astor soll zu Churchill
gesagt haben: "Winston, if I were your wife, I would poison you." Churchill soll geantwortet haben: "If I were
your husband, I would drink it."
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BRITEN HABEN EIN DEUTLICH BESSERES BILD VON DEUTSCHLAND
Briten lieben Humor, ganz egal, ob im Privat- oder im Businessleben. Es dürfte kaum ein anderes Land geben, in
dem Stand-up-Comedy-Shows so boomen. In Liverpool kann man beispielsweise auch eine spezielle Stadtfüh­
rung nur zum Thema Humor buchen.
Briten können vor allem gut über sich selbst lachen. Es gibt diverse Bücher, in denen sich die Briten selbst auf
die Schippe nehmen. Deutsche hingegen gelten immer noch als humorlos und kühl, weil sie nicht über sich
selbst lachen, sondern sich und/oder ihre Arbeit äußerst ernst nehmen. Auch wenn Briten das natürlich nicht so
offen und direkt zugeben.
Eine Rede ohne einen Witz ist im Vereinigten Königreich keine gute Rede. Selbst trockene Statistiken werden
hier in einfachen Worten leserfreundlich erklärt und manchmal sogar mit anschaulichen Bildern und Humor auf­
bereitet. Der britische Automobilverband versucht die Neugierde für seine Statistiken zu wecken, in dem er bei­
spielsweise verrät, in welcher britischen Stadt die meisten rosafarbenen Autos herum flitzen.
Wer im Vereinigten Königreich Präsentationen hält, sollte diese kürzer und lebendiger als in Deutschland halten.
Viel Text auf einer Folie ist tabu. Humorvolle Bilder sind hingegen hochwillkommen. Professoren im Vereinigten
Königreich sehen es übrigens als ihre Pflicht an, sich so auszudrücken, dass der kleine Mann auf der Straße sie
versteht. Sich kompliziert auszudrücken gilt als arrogant.
Briten lieben guten Service
Recht gewöhnungsbedürftig finden nicht wenige Briten, die eher mit einer positiven "can do"-Mentalität groß
geworden sind, die für sie nicht selten verbesserungswürdigen Servicedienstleistungen in Deutschland. Mitar­
beiter in Callcentern, Kassierer in Supermärkten und Bankangestellte im Vereinigten Königreich nehmen sich in
der Regel deutlich mehr Zeit für den einzelnen Kunden, packen die Waren für ihn ein oder geben dem Käufer
zumindest alle Zeit der Welt, damit dieser selbst in Ruhe seine Sachen verstauen kann. Auch halten viele Ver­
käufer durchaus einen längeren Small Talk.
"Keep calm" heißt das oberste Motto
Wie alles hat auch die intensive Betreuung des einzelnen Kunden ihre Schattenseiten: Die anderen Personen in
der Warteschlange müssen sich länger gedulden, bis sie an der Reihe sind. Die meisten Briten, deren oberstes
Motto "Keep calm" ist, stört dies anscheinend weniger. Sie sind in Geduld geübt oder lassen sich ihren Ärger
nach der Devise "Don't make a fuss" zumindest äußerlich nicht anmerken.
Für ungeduldige Kunden haben die meisten britischen Supermärkte zudem eine pragmatische Lösung: Sie bie­
ten Selbstbedienungskassen ("Self Checkout") an, die dem Kunden Zeit und dem Einzelhandelsunternehmen
Personalkosten sparen.
Briten sind pragmatisch
Die von den Briten perfektionierte indirekte Ausdrucksweise ist selbst für geschulte ausländische Diplomaten
nicht immer klar. Davon abgesehen lieben die Briten aber einen zielführenden Pragmatismus.
U-Bahnstationen in London sind in der Regel deutlich besser mit eindeutigen Hinweisschildern ausgestattet als
in vielen anderen Städten der Welt. Darüber hinaus stehen zumindest in der Londoner Innenstadt an fast jedem
U-Bahnsteig serviceorientierte Mitarbeiter für Auskünfte bereit. Auch warnen Lautsprecheransagen in den Lon­
doner U-Bahn-Stationen Passagiere bei Regen vor dem rutschigen Boden und erinnern bei starker Hitze daran,
ausreichend zu trinken.
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BRITEN HABEN EIN DEUTLICH BESSERES BILD VON DEUTSCHLAND
Für Fußgänger steht am Straßenrand deutlich zu lesen, ob sie links oder rechts nach ankommenden Autos
schauen sollen. Financial Times-Autor Tim Hayward, der kürzlich nach einem Urlaub im Ausland an einem briti­
schen Flughafen eine Art "Hinweis-Schock" erlitt, verarbeitete diesen übrigens auf einer ganzen Seite der jüngs­
ten Ausgabe des Financial Times Magazine. Seiner Meinung nach sei sein Volk regelrecht süchtig nach Hinweisen
("notices").
Die Buchautoren Stefan Schmid und Alexander Thomas betonen in ihrem Standardwerk "Beruflich in Großbri­
tannien" ebenfalls den auf der Insel üblichen Pragmatismus: "Man findet bei den Briten wenig Liebe zu detail­
lierter, weitreichender Planung, eine profunde Abneigung gegen Prinzipien (...) und eine ablehnende Haltung ge­
genüber theoretischen Überlegungen, die weit über eigene Erfahrungen hinausgehen." Briten seien "down to
earth", handeln nach "common sense" oder wursteln sich irgendwie durch (auf Englisch: "muddling through").
Kulturhistorisch werden der im Vereinigten Königreich vorherrschende Pragmatismus sowie die deutsche Vorlie­
be für eine ausführliche und komplexe Planung nach Alfred Weber mit der ursprünglichen Form der Bewirt­
schaftung erklärt: In England war dies die vom Wetter weitestgehend unabhängige Schafszucht. Im Gegensatz
dazu war für den sehr stark vom Wetter abhängigen Ackerbau in Deutschland eine komplexe Planung und eine
Berücksichtigung diverser Eventualitäten notwendig.
Briten sind Rund-um-die-Uhr-Betreuung gewöhnt
Shopping Center haben im Vereinigten Königreich auch an wichtigen Feiertagen wie Ostern oder Weihnachten
geöffnet und nicht wenige Banken und Ärzte auch samstags. Das gehört zu einem guten Service. Für eine
schlechte Kundenbetreuung haben Briten schlechtweg kein Verständnis. Erst vor Kurzem bemängelte ein briti­
scher Abnehmer einer teuren deutschen Maschine, dass er nach einem Maschinenschaden aufgrund der Brück­
entagregelung in Deutschland tagelang niemanden ans Telefon bekam, der ihm hätte helfen können. Die Folge
war ein tagelanger Produktionsausfall. Da Briten eine derartige Feiertagsregelung nicht kennen, ging das briti­
sche Unternehmen einfach davon aus, dass der deutsche Maschinenbauer insolvent ist.
(A.P.)
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Oliver Döhne
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