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SONDERHEFT # 01 / 10,– €
eisenbahn in bayern
1835 · 2010
edition
bayern
geschichte
die strecke
des adlers
geschichte der
eisenbahn in bayern
krauss & comp.
jubiläumsjahr 2010
haus der
bayerischen
geschichte
04
76
Editorial von Richard Loibl 89
02
DIE STRECKE DES ADLERS
16
40
Die Entstehung der Ludwigseisenbahn von Rainer Mertens
Zur Geschichte der Fürther StraSSe
von Regine Franzke und Matthias Murko
„Da geht’s ja zu wie am Plärrer!“ Nomen est omen – Hercules
Drei Villen und noch ein Palast
Mikrokosmos Fürther Straße „Erst mal seh’n was Quelle hat!“ Triumphale Zeiten von Helmut Schwarz
Schlafende Schönheiten: Triumph-Adler AEG – Aus Erfahrung gut? Schrauben – Spielzeug – Daten: Die (Vor-)Geschichte der DATEV eise n b a h n i n b ay er n von Emma Mages
Die Entwicklung des Hauptbahnnetzes 1835 bis 1880 Vizinal- und Lokalbahnen
Eisenbahnbau und Eisenbahnbauarbeiter Meisterwerke der Technik Exkurs: Die Wendelsteinbahn von Johann Vogt
Bahnhöfe, Stadt- und Raumentwicklung Ein neuer Berufsstand: Der Eisenbahner Die Eisenbahn und ihre Wirkungen: Alles verändert sich Mit der Eisenbahn ins Industriezeitalter
Strukturwandel in der Landwirtschaft
Eisenbahn und Personenverkehr: Mobilität für jedermann
Mythos Eisenbahn 04
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krau ss & co m p.
Lokomotiven für alle Spurweiten von Richard Winkler
94
stillg ele g te strecke n
Ein Prellbock in der Landschaft von Wilfried Ernst Hölzler
54
98
b a h n h o f asc h a f f e n b u r g
4 Aktionen von Evamaria Brockhoff / Udo Breitenbach
104
der z u g i n s f reie
Meine Isartalbahn 1926–1936 / München-Hauptbahnhof 21. März 1939
von H. Peter Sinclair ✝ / Evamaria Brockhoff und Ludwig Eiber
108
leide n sc h a f t eise n b a h n
Museen, Vereine, Nostalgiefahrten 112
das j u b il äu m s j a h r 2 0 1 0
104
Termine, Veranstaltungen, Service 116
Impressum / Bildnachweis
120
eisenbahn in bayern 1835 . 2010
2
edit o rial
edition
bayern
eisenbahn in bayern 1835 . 2010
Oben links: Postkartenmotive
(Nürnberger Plärrer und Eisenbahndamm in Lindau)
Oben rechts: Die Einstiegshalle
des Münchner Ostbahnhofs
Mitte: Freifahrtschein für Herrn
Hellerbrand nebst Gattin
Unten: Freistempler des Bahnsozialwerks und Modelleisenbahn
im Grundstein des Münchner
Maximilianeums
edit o rial
I
m Jahr 2007 etablierte das Haus der Bayerischen Geschichte
mit der EDITION BAYERN eine neue Schriftenreihe, die sich
zur Aufgabe gemacht hat, die Regionen Bayerns in ihrer historischen Eigenart und Tradition vorzustellen. Vorangegangen war ein
Auftrag des Bayerischen Landtags, den Regionen Bayerns besondere
Aufmerksamkeit zu widmen und sie in Ausstellungen und Publikationen einem breiten Publikum nahe zu bringen. Mit den Heften zum
„Passauer Land“, den „Haßbergen“, der Region „Unterallgäu und
Memmingen“, dem „Werdenfelser Land“ ist uns ein guter Start gelungen, der in nächster Zeit seine Fortsetzung findet in Beiträgen zum
Chiemgau, zu Amberg und zu Kronach.
Eine Reihe, die auf sich hält, veröffentlicht von Zeit zu Zeit Sonderhefte. Und so ist es auch bei der EDITION BAYERN. Die Sonderhefte greifen die Konzeption der früheren „Hefte zur Bayerischen
Geschichte und Kultur“ auf, indem sie ein Thema aus der Geschichte
Bayerns – Altes und Neues, Bekanntes und Abgelegenes – behandeln, wobei großer Wert darauf gelegt wird, nicht nur eine gut lesbare, sondern auch eine reich bebilderte Publikation vorzulegen, in
der die Bilder nicht bloß illustrativ eingesetzt sind; vielmehr werden
sie als historische Quelle ernst genommen und bilden so einen eigenen „Erzählstrang“.
Mit dem ersten Sonderheft zur EDITION BAYERN greifen wir ein Jubiläum auf, das in diesem Jahr allerorts begangen wird.
Vor 175 Jahren, am 7. Dezember 1835, fuhr in Deutschland die erste
reguläre Eisenbahn. Die Dampflok hatte kein Geringerer gebaut als
George Stephenson aus Newcastle, der „Vater der Dampflokomotive“.
Die Lok kam aber nicht etwa in Preußen zum Einsatz, wie man meinen könnte. Es war Bayern, das bereits im 19. Jahrhundert eine ganze Reihe von technischen Innovationen auf den Weg brachte. Vom
Nürnberger Plärrer, wo sich Tausende Zuschauer versammelt hatten,
startete der „Adler“ um 9 Uhr in der Früh, um bald darauf wohlbehalten im nahe gelegenen Fürth anzukommen.
Warum wurde ausgerechnet die Fürther Straße die erste Eisenbahnstrecke? Die Chaussee zwischen Nürnberg und Fürth galt in den
1820er-Jahren als die meist befahrene Straße des Königreichs Bayern.
Deshalb widmet das Nürnberger Museum Industriekultur seine
Jubiläumsausstellung der „Strecke des Adlers“ – unser Heft ist die
begleitende Publikation zur Ausstellung, die vom 17. Juni bis zum
12. Dezember 2010 gezeigt wird.
Im Mittelpunkt der Präsentation steht die Entwicklung
der Fürther Straße als Weg in die Moderne und als „Achse der Industrialisierung“. Die erste Eisenbahn in Deutschland war zugleich
die Initialzündung der Industrialisierung, die sich entlang des rasch
wachsenden Schienennetzes entwickelte und die Welt grundlegend
veränderte. Aufschwung und Niedergang, wirtschaftlicher, sozialer
und kultureller Wandel – das alles hat sich in der Fürther Straße abgespielt, von der Dampflok bis zur fahrerlosen U-Bahn.
Regine Franzke, Rainer Mertens, Matthias Murko und Helmut
Schwarz stellen diese Entwicklung von der industriellen zur multikulturellen Städteachse Nürnberg-Fürth dar anhand großer Namen
wie Quelle, Triumph, Hercules, Schuco, AEG und DATEV. Die Bei-
träge von Richard Winkler zur Geschichte der Fa. Krauss & Comp.,
Wilfried Ernst Hölzler zum Thema der stillgelegten Strecken, Udo
Breitenbach über eine Kunstaktion zum Aschaffenburger Bahnhof
und H. Peter Sinclair mit einer sehr persönlichen Kindheits- und
Jugenderinnerung sind einzelnen Aspekten der Eisenbahngeschichte gewidmet. Emma Mages bietet wiederum den großen Überblick:
von der Privatbahn zur Staatseisenbahn, von der Lokalbahn und den
Meisterwerken von Technik und Architektur, den Brücken und den
Bahnhöfen, vom Strukturwandel in der Landwirtschaft bis zur Industrialisierung.
Dass sich Bayern den Eisenbahnverkehr nach der Reichsgründung von 1870/71 als Separatrecht behielt, wirft ein Licht auf seine
Bedeutung. Und auch wenn es in Zeiten von weltumspannendem
Flugverkehr und Weltraumflügen für (fast) jedermann ganz außer
Blick geraten ist: Es war die Eisenbahn, die den mobilen Menschen
unserer Zeit hervorgebracht hat. Mit der Eisenbahn wurde es zum
ersten Mal im großen Stil möglich, das von der Natur vorgegebene
Tempo der Fortbewegung eklatant zu erhöhen, unabhängig von der
eigenen Marschleistung, unabhängig von Pferdestärken und Seegang. Und so wurde die Eisenbahn in Kunst und Literatur auch rasch
ein Symbol nicht nur für den technischen Fortschritt, sondern vor
allem auch für die Unaufhaltsamkeit der Zeit, für die Vergänglichkeit, für das haltlose Hinabstürzen in den Tunnel, wie es Friedrich
Dürrenmatts gleichnamige Erzählung so bedrohlich beschreibt. Und
auch Karl Valentins „Hinaus ins Freie. Komische Soloszene“ ist weniger komisch als abgründig surreal:
„… Da haben nämlich ich, meine Freunde und wir vor kurzer Zeit
einen Ausflug gemacht, das heißt, das ist eigentlich auch scho wieder
drei Jahr her. Bei diesem Ausflug haben wir mehr Verdruß g`habt,
als wie Aerger. Am Bahnhof drauß`n is s`scho anganga, wie wir
nämlich in`n Zug einsteig`n woll`n, sehn wir, dass der Zug blos 12
Wäg`n g`habt hat; wir waren aber zu dreizehnt, jetzt hab ich mit`n
nächsten Zug nachfahr`n müssen … Die Fahrt war sehr ermüdend,
erstens wars furchtbar heiß an dem Tag`, und Aussicht hab`n wir
gar keine g`habt, als wie links und rechts lauter Schneefelder. Kurz
vor der Station entgleist auf einmal der Zug, fahrt über Böschung
`nunter und überrennt Häuser und Bäume, rennt ins Dorf nei und
direkt in ein Wirtschaftsgebäude hinein, mitten ins Lokal. Natürlich hab`n wir den Lokomotivführer glei die größten Grobheiten
g`macht und hab`n ihn g`fragt, warum dass er mit dem Zug da ins
Lokal nei fahrt, sagt er, dös muß er tun, vom Verkehrsministerium
aus, weil das a Lokalzug is ...“
Für die gute Kooperation danke ich dem Nürnberger Museum Industriekultur. Den Autoren und den Institutionen, die Bildmaterial zur Verfügung stellten, gilt mein Dank, vor allem aber den
Privatpersonen, die – wie Eva Detzel, Aribert Elpelt und Helmut List,
selbst ein ehemaliger Eisenbahner, sowie Alwin Reiter, Urenkel eines
Bahnwärterehepaars – ihre Schätze zur Verfügung stellten. Den Leserinnen und Lesern wünsche ich eine vergnügliche Fahrt durch unser
Eisenbahnheft mit interessanten Einblicken und Ausblicken.
Dr. Richard Loibl
Direktor des Hauses der Bayerischen Geschichte
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DIE STRECKE DES ADLERS
Die Entstehung der LudwigsEisenbahn
Die Wiege der deutschen Eisenbahn steht in Nürnberg. Als sich dort am Morgen
des 7. Dezember 1835 der Eröffnungszug der ersten deutschen Eisenbahn, gezogen
von der Lokomotive „Adler“, vom Plärrer in Richtung Fürth in Bewegung setzte,
war dies der Auftakt zu einer Entwicklung, die epochale Folgen haben sollte.
Der Adler in voller Fahrt – ein Publikumsmagnet
DIE STRECKE DES ADLERS
Fahrkarten der Ludwigseisenbahn
Z
war war das neue Verkehrssystem
mit der revolutionären Wirkung
nicht in Nürnberg oder Fürth erfunden worden, denn das Mutterland der Eisenbahn ist bekanntlich England. Auch war
die private Initiative hiesiger Kaufleute und
Honoratioren, die das Projekt auf die Beine
stellten, keineswegs einmalig in Deutschland; Eisenbahnkomitees gab es allerorten,
ob in München, Frankfurt, Dresden oder
Berlin. Genau genommen war die nur sechs
Kilometer lange Strecke zwischen Nürnberg
und Fürth nicht einmal die erste Eisenbahn
in Deutschland, denn in Österreich, damals
zum Deutschen Bund gehörig, hatte 1832
eine private Gesellschaft mit staatlicher Unterstützung eine Bahnlinie von Linz nach
Budweis verwirklicht, wenngleich die dabei
verwendete Technologie wenig innovativ
war: Die pferdebespannten Wagen liefen
auf mit Eisen beschlagenen Holzschienen.
Doch die Zukunft gehörte einer anderen
Technologie, der in England entwickelten
Kombination von Eisenschiene und Dampfwagen. Dieses System nach Deutschland
transferiert und dort erfolgreich umgesetzt
zu haben, ist das historische Verdienst der
Nürnberg-Fürther Eisenbahnpioniere.
Am Anfang war die Krise
Warum wurde die erste Eisenbahn Deutschlands ausgerechnet zwischen Nürnberg
und Fürth verwirklicht? Sucht man nach
den Gründen hierfür, so muss man auf
dem Zeitstrahl der Geschichte einige Jahrzehnte zurückgehen. Nürnberg war am
Ende des 18. Jahrhunderts immer noch
ein bedeutendes Wirtschaftszentrum. Die
großen Handelshäuser belieferten ganz Europa und die überseeischen Besitzungen
der europäischen Mächte mit Nürnberger
Gewerbeerzeugnissen. Zudem betrieben die
Nürnberger Kaufleute einen ausgedehnten
Durchgangshandel mit Waren aller Art
und machten dadurch die Region zu einer
Drehscheibe des europäischen Handels.
Allerdings hatte die Stadt seit dem Dreißigjährigen Krieg ihre einstige politische
Bedeutung eingebüßt und war in seinen inneren gesellschaftlichen Strukturen erstarrt.
Das Nürnberger Gewerbe fiel gegenüber der
europäischen Konkurrenz mehr und mehr
zurück, doch hielt sich die Region insgesamt
nicht schlecht, da vor allem die benachbarten hohenzollerschen Territorien wirtschaftlich erstarkten.
sens war die Verbesserung des Verkehrswesens eines der Hauptanliegen der bayerischen
Reformer. Leistungsfähige und vor allem
preiswerte Transitrouten sollten den europäischen Handel auf bayerisches Territorium
lenken. Auf diese Weise sollte der zwischen
den Großmächten Preußen und Österreich
eingeschnürte Binnenstaat respektive der
Nürnberger Raum (wieder) zum Herzland
des europäischen Handels werden.
Erst als Nürnberg 1806 mitsamt seinem
ausgedehnten Landgebiet dem neuen Königreich Bayern zugeschlagen wurde, wendete sich die Lage endgültig zum Schlechten. Das Handelsvolumen der Nürnberger
Kaufhäuser halbierte sich durch Krieg und
Kontinentalsperre binnen weniger Jahre
und nach 1815 lähmte die protektionistische
Wirtschaftspolitik Bayerns und aller übrigen
europäischen Staaten die exportorientierte
Wirtschaft vollends. Als 1817 eine durch
Missernten verursachte Hungersnot dazu
kam, geriet die Region an den Rand des
wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruchs.
Als wichtigstes Projekt galt die Verbindung
von Main und Donau. Hierzu gab es verschiedene Vorschläge – Chausseen, Kanäle,
auch die Eisenbahn wurden diskutiert. So
hatte der bayerische Bergbaubeamte Joseph
v. Baader um 1811 als Erster überhaupt in
Deutschland das Projekt einer Eisenbahn
erörtert. Baader, der während eines Aufenthalts in England um 1790 die dortigen
Grubenbahnen kennengelernt hatte, entwarf
mit seinem „System der fortschaffenden
Mechanik“ eine sehr eigentümliche Schienenbahn, deren Technologie sich erheblich
von der später verwirklichten Eisenbahn
unterschied. Im Bestreben, die Nachteile der
englischen Bergwerksbahnen zu vermeiden,
entwarf Baader ein ausgeklügeltes, aber auch
sehr kompliziertes System. Er sah auf Pfeilern montierte Schienen vor, auf denen Wagen auf spurkranzlosen Rädern laufen und
von zusätzlichen, waagrecht am Gleis laufenden Rädern in der Spur gehalten werden.
Die Wagen sollten von Pferden gezogen werden und sowohl auf der Schiene als auch auf
der Straße laufen. Am Berg sollten „Kompensationsmaschinen“ die Energie talwärts
fahrender Fuhrwerke mittels Federmechanik
speichern und zum Hochziehen bergwärts
fahrender Wagen nutzen.
Die prekäre Lage verschärfte sich durch die
Rückständigkeit des Nürnberger Gewerbes
hinsichtlich Organisation, Technologie und
Produktdesign. Insgesamt wirkten sich der
rigide Zentralismus und die restaurativ-reaktionäre Innenpolitik Bayerns lähmend auf
die wirtschaftlichen und sozialen Strukturen
aus und brachten das Land im Vergleich zu
den sozial und wirtschaftlich fortschrittlicheren Staaten Europas ins Hintertreffen.
Die dringend notwendigen Reformen nahmen Gestalt an in einer Bewegung, die ihre
Anhänger einerseits in der bayerischen Beamtenschaft, andererseits im liberalen Wirtschaftsbürgertum rekrutierte. Ihre Hochburgen lagen fast ausschließlich in Franken.
Neben den üblichen Forderungen der Zeit
nach Verfassung, wirtschaftlicher Liberalisierung und Erneuerung des Bildungswe-
Im Jahr 1814 baute Baader eine Demonst­
rationsanlage in München auf. Hierbei zog
unter anderem ein Schoßhündchen einen
mit drei Personen besetzten Wagen über das
Gleis, um den staunenden Zuschauern den
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6
DIE STRECKE DES ADLERS
Pferdebetrieb auf der Ludwigsbahn bei Fürth
geringen Reibungswiderstand der Schienenbahn zu demonstrieren. Drei Jahre später ließ er in München eine etwa 100 Meter
lange runde Bahn im Maßstab 1:2 aufbauen,
auf der er zwei Jahre lang beinahe wöchentlich Versuchsfahrten durchführte. Im Jahr
1818 tauchte in einem Vorschlag Baaders
erstmals die Idee auf, eine Strecke zwischen
Nürnberg und Fürth als Ausgangspunkt für
eine bayerische Eisenbahn anzulegen. 1819
debattierte der Bayerische Landtag erstmals
über die Frage einer Eisenbahn in Bayern.
Baader spielte in dieser Zeit mit seinen
Schriften und öffentlichen Vorführungen
die Rolle als unermüdlicher Werber für das
neue Verkehrsmittel und machte das Thema einer breiteren Öffentlichkeit bekannt.
1826 gelang es ihm, mit Finanzmitteln, die
ihm mit Unterstützung des Landtags von
der Regierung bewilligt worden waren, im
Nymphenburger Schlosspark eine Versuchs-
strecke mit seinem und dem „englischen
Sys­tem“ im Maßstab 1:1 zu errichten. Zu den
Vorführungen strömten mehrere Tausend
Menschen. Der junge König Ludwig I. war
begeistert von der Eisenbahnidee. Bei einem
Besuch in Fürth im September 1826 äußerte
der Monarch, eine Bahn zwischen den beiden Städten sei „wünschenswerth und leicht
ausführbar“.
Doch noch war die Skepsis groß im Lande. Unstreitig war, dass Bayern moderne
Verkehrswege brauchte, wie diese jedoch
beschaffen sein sollten, darüber schieden
sich die Geister. So setzte die bayerische
Bergbauverwaltung, der das Projekt einer
Verbindung von Main und Donau oblegen
hätte, wieder auf den Kanalbau. Eine Jury
unter der Leitung des Hofbaurates Leo v.
Klenze erteilte 1826 dem Baader’schen System eine vernichtende Kritik: Es sei viel
zu kompliziert und kostspielig. Auch die
mittelfränkischen Kaufleute zögerten zunächst, sich für die Eisenbahn zu entscheiden; zu riskant erschienen die Investitionen
in die neue Verkehrstechnologie. So meinte
Bürgermeis­ter Scharrer, später Direktor der
Ludwigsbahn, im Jahr 1827, dass gute Straßen den Bedürfnissen des Verkehrs durchaus genügen würden. Die Nürnberg-Fürther
Kaufmannschaft und viele liberale Beamten
waren sich ohnedies einig, dass für den Bau
moderner Verkehrswege eine Änderung der
wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen
in Richtung Freihandel unerlässliche Voraussetzung wäre. Seit 1827 war die Idee
einer großen Verbindungsbahn zwischen
Main und Donau somit praktisch tot. Auch
Ludwig I. wandte sich, enttäuscht von den
Baader’schen Versuchsergebnissen, von der
Eisenbahn ab und favorisierte nun den Kanalbau.
DIE STRECKE DES ADLERS
Zeitgenössische Darstellung der Ludwigsbahnstrecke
Die Ludwigsbahn – ein Werk des
Bürgertums
Um 1830 wendete sich jedoch das Blatt wieder zu Gunsten der Eisenbahn. Nun trat
eine Verkettung von Ereignissen ein, die
das Handeln der mittelfränkischen Bahnpioniere gewaltig beschleunigte. So wurde
ein Zusammenschluss der größten Staaten
des Bundes zu einem Zollverein immer
wahrscheinlicher; bereits 1828 waren Verträge zwischen Bayern und Württemberg
geschlossen worden und die Verhandlungen
mit Preußen gingen zügig voran. Damit
eröffnete sich die Aussicht auf eine rasche
Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Zudem wurde 1830 zwischen
Manchester und Liverpool die erste längere
Eisenbahnstrecke der Welt eröffnet, die ausschließlich mit Dampfkraft bedient wurde.
Ihr großer Erfolg verhalf der Kombination
Schiene – mobile Dampfmaschine endgül-
tig zum Durchbruch und zeigte vor allem,
dass Eisenbahnen nicht nur für den Warentransport geeignet waren, sondern auch Personen schnell und sicher befördern konnten.
Schließlich war 1832 die Pferdebahn Linz—
Budweis eröffnet worden. Diese immerhin
130 Kilometer lange Eisenbahnlinie verband
die Donau mit der Moldau und schuf eine
neue Handelsroute für die Warenströme
aus Südosteuropa in Richtung Sachsen und
Preußen. Die Nürnberger Kaufleute mussten
nun befürchten, dass die Handelsgüter noch
mehr als bisher einen Bogen um Bayern und
die Nürnberg-Fürther Region machen würden.
Die in Aussicht stehende Gründung des
Zollvereins, der Erfolg der Liverpool-Manchester-Bahn und der Linz-Budweiser „Bypass“ – all dies brachte die zögernde Nürnberg-Fürther Kaufmannschaft in Zugzwang,
in Sachen Eisenbahn aktiv zu werden. Den
Anfang machte Erhard Friedrich Leuchs,
Herausgeber der Nürnberger „Allgemeinen
Handelszeitung“, einem der wichtigsten Informationsmedien Süddeutschlands über
technische und wirtschaftliche Entwicklungen in aller Welt. Die Handelszeitung
hatte in den vergangenen Jahren immer
wieder über die Entwicklung der Eisenbahn
und ausführlich über den Lokomotiv-Wettbewerb von Rainhill und die Eröffnung der
Manchester-Liverpool-Bahn berichtet. Am
2. Januar 1833 erschien ein von Leuchs selbst
verfasster „Aufruf zur Gründung einer Eisenbahn von Nürnberg nach Fürth“. Dieser
wurde in 1800 Exemplaren in Nürnberg und
Fürth verteilt und fachte eine breite Diskussion in der Öffentlichkeit an. Zunächst
hielt sich die Unterstützung für das Projekt
in engen Grenzen: Während der Fürther
Bürgermeister Bäumen und der Nürnber-
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DIE STRECKE DES ADLERS
Plan der Ludwigseisenbahn von 1840
ger Handelsvorstand unter der Führung des
Marktvorstehers Georg Zacharias Platner
den Aufruf unterstützten, verhielten sich
die Gremien beider Städte abwartend. Vor
allem in Fürth wurden Bedenken laut, dass
durch die Eisenbahn Fuhrleute ihre Arbeit
verlieren könnten. Die Meinung der – erstaunlich breiten – Öffentlichkeit spiegelt
sich in den zahlreichen Leserzuschriften der
Handelszeitung wider. Positive Kommentare herrschten vor, viele Stimmen forderten
eine Beteiligung des Staates an der von der
Nürnberg-Fürther Bürgerschaft getragenen
Initiative.
Platner veranlasste, dass vorab Landtag und
Regierung um Erlaubnis für das Projekt
gebeten wurden. Am 12. Januar erfolgte
schließlich der entscheidende Schritt: An
diesem Tag traf er sich in seinem Haus im
östlich von Nürnberg gelegenen Vorort Erlenstegen mit dem Nürnberger Kaufmann
und Handelsvorstandsmitglied Johann Merkel, dem Fürther Bürgermeister Franz v.
Bäumen und seinem alten Freund Johannes
Scharrer, dem früheren Bürgermeister und
derzeitigen Leiter der Polytechnischen
Schule.
Dieser kleine Kreis bürgerlicher Honoratioren kam in wenigen Stunden zu der historischen Entscheidung, Deutschlands erste
Eisenbahn mit Dampfkraft zu realisieren. Es
mag heute erstaunen, mit welcher Zielstrebigkeit, die in vieler Hinsicht an modernes
Prozessmanagement erinnert, die vier ehrwürdigen Herren an die Sache herangingen.
Noch in jener Besprechung beschlossen sie
die nächsten Schritte: Als empirische Basis
sollte eine bereits begonnene Verkehrszählung an der Fürther Straße weitergeführt
werden, um zu ermitteln, ob das Verkehrsaufkommen zwischen den Nachbarstädten
ausreicht, um eine Bahnlinie wirtschaftlich
betreiben zu können. Würde das Ergebnis
positiv ausfallen, wollte man als nächsten
Schritt das Terrain vermessen lassen. Danach sollte über die technische Bauart der
neuen Eisenbahnlinie und der Fahrzeuge
entschieden werden. Hierzu beabsichtig­
ten die Eisenbahnpioniere Informationen
vor allem aus England einzuholen. Nach
der Entscheidung für die Bauart sollten die
Kosten des Projekts ermittelt werden, um
schließlich das Kapital zu beschaffen. Der
gesamte Prozess sollte mit der Veröffentlichung einer Einladungsschrift zur Gründung einer Eisenbahngesellschaft spätestens
im Mai abgeschlossen werden, um dann in
die Phase der konkreten Planung und des
Baus der Bahnlinie einzutreten.
Die Ergebnisse der Verkehrszählung, die
Ende März vorlagen, übertrafen alle Erwartungen: Danach verkehrten pro Jahr zwischen den beiden Städten 612 470 Personen,
zu Fuß und auf Wagen, sowie 39 420 Fuhrwerke mit 86 140 Pferden. In den folgenden
Wochen fällten die Nürnberger Eisenbahnpioniere zwei wichtige Entscheidungen. Da
war zunächst die Art der technischen Ausführung. Trotz des Erfolgs der Manches­
ter-Liverpool-Bahn war zu dieser Zeit die
Systemfrage noch keineswegs zu Gunsten
des dort verwendeten „englischen Systems“
DIE STRECKE DES ADLERS
entschieden. Hierbei wurde die Trasse
möglichst gerade und eben geführt, Flüsse
wurden mit aufwändigen Brückenbauten
überspannt, Höhenzüge mit Tunneln oder
Einschnitten durchquert. Massive Schienen
aus gewalztem Eisen trugen die Züge, die im
Fall der Manchester-Liverpooler Linie ausschließlich mit Dampflokomotiven bewegt
wurden. Die Vorteile dieser Bauart lagen in
ihrer Haltbarkeit und der direkten Linienführung, die relativ hohe Geschwindigkeiten
erlaubte. Nachteil waren die hohen Herstellungskosten.
Dem gegenüber stand das „amerikanische
System“. Hier wurde die Trasse dem Gelände angepasst angelegt: Steile Anstiege und
enge Kurven wurden in Kauf genommen,
dafür wurden teure Brücken- und Tunnelbauten vermieden. Der Fahrweg bestand
aus eisenbeschlagenen Holzschienen, die auf
hölzernen Schwellen befestigt waren. Die
Wagen – längere Züge fuhren kaum – wurden sowohl von Dampflokomotiven als auch
von Pferden gezogen. Diese Bauart hatte den
Vorteil, dass sie wenig kostete und schnell
herzustellen war. Mitte der 1830er-Jahre
bestanden in den USA bereits 46 derartige
Eisenbahnlinien, weitere 137 waren in Planung. Darunter waren schon echte Fernbahnen wie die über 500 Kilometer lange
Linie von Baltimore nach Pittsburgh. Auch
die erwähnte Eisenbahn von Linz nach
Budweis war nach dem „amerikanischen
System“ ausgeführt. Viele Eisenbahnpioniere, unter ihnen auch Friedrich List, der die
US-Bahnen aus eigener Anschauung kannte,
befürworteten diese Bauart.
Auch Baader schaltete sich noch einmal
in die Diskussion ein und empfahl seine
„fortschaffende Mechanik“ für das geplante
Projekt. Damit standen drei Systeme zur
Diskussion, doch die Nürnberg-Fürther
Eisenbahnpioniere favorisierten von Beginn an das „englische System“. Schon der
Leuchs’sche Aufruf hatte sich für eine Linie
nach dem Vorbild Liverpool-Manchester
ausgesprochen. Nach einem Kostenvergleich entschieden sie sich für das englische
System, obwohl dies nicht das günstigste
war. Sie setzten damit einen Standard, dem
fast alle Eisenbahnprojekte in Deutschland
folgten.
Weitblickend war auch die Entscheidung,
die Bahn als mit privatem Kapital finanzierte
Aktiengesellschaft zu organisieren. Diese in
Deutschland noch wenig verbreitete Gesellschaftsform gab den Betreibern die für ein
derartiges Unternehmen notwendige Entscheidungsfreiheit.
Mit diesen Festlegungen sowie der Verkehrszählung und der Kostenermittlung waren die Voraussetzungen für die Gründung
einer Bahngesellschaft erfüllt. Nun gingen
die noch informell agierenden Eisenbahnpioniere daran, ihrem Projekt eine feste Form
zu geben: Am 14. Mai 1833 veröffentlichten sie die „Einladung zur Gründung einer
Gesellschaft für die Errichtung einer Eisenbahn mit Dampfkraft zwischen Nürnberg
und Fürth“. Damit entfachten sie eine Diskussion, die weit intensiver geführt wurde
als beim Leuchs’schen Aufruf. Hier kamen
alle – teilweise durchaus berechtigten – Bedenken der Zeit zum Tragen: Die Fuhrleute
würden arbeitslos, die Eisenbahn sei wenig
zukunftsträchtig, ein Dampfwagen könne
explodieren, der Übergang von Schiene zu
Straße sei schwierig herzustellen, bei dem
Verkehr auf Kanälen bleibe mehr Geld im
Lande und vieles mehr. Die heute noch gerne zitierte Warnung bayerischer Ärzte, die
hohe Geschwindigkeit der Eisenbahn würde die Fahrgäste wie die Passanten in den
Wahnsinn treiben, muss dagegen ins Reich
der Legenden verwiesen werden. Vermutlich wurde sie fünfzig Jahre später von Heinrich v. Treitschke in die Welt gesetzt. Für
die Popularität sorgte dann wieder fünfzig
Jahre später Adolf Hitler, der die Geschichte
immer dann zum Besten gab, wenn er sich
über den Rat von Fachleuten hinwegsetzen
wollte.
Neben den Bedenken gab es aber auch breite Zustimmung aus der Bürgerschaft. Die
Oberste Königliche Baubehörde stand dem
Projekt wohlwollend gegenüber. So unentschieden die öffentliche Meinung war, so
schleppend kamen die Gelder zusammen:
Erst bis zum November hatte man die für
den Bau nötigen 175 000 Gulden (nach heutigem Wert etwa fünf bis sechs Millionen
Euro) aufgebracht. Zum Vergleich: Das zwei
Jahre später ausgeschriebene Aktienkapital
für den Bau der Leipzig-Dresdner Eisenbahn in Höhe von einer Million Talern (1,5
Millionen Gulden) war innerhalb weniger
Stunden gezeichnet. Federführend bei der
Finanzierung der Nürnberg-Fürther Bahn
waren die großen Handelshäuser der Region. Allein Georg Zacharias Platner, Hauptinitiator der Eisenbahn, erwarb Aktien im
Wert von 11 000 Gulden, nach heutigem
Wert rund 330 000 Euro. Unter den 207 Aktionären fanden sich aber auch 101 Kleinaktionäre, Dienstboten, Krämer, städtische
Angestellte, die jeweils nur eine oder zwei
Aktien im Wert von 100 oder 200 Gulden
erwarben. Enttäuschend fiel das finanzielle
Engagement des bayerischen Staates aus, der
nur zwei Aktien kaufte und diese erst nach
mehrmaliger Ermahnung bezahlte.
der Bau der LudwigsEisenbahn
Am 18. November 1833 fand im Nürnberger
Kleinen Rathaussaal die offizielle Gründung
der ersten Eisenbahngesellschaft Deutschlands statt. Georg Zacharias Platner wurde
zum Direktor gewählt, Scharrer war sein
Stellvertreter und folgte ihm ein Jahr später auf den Direktorsposten, den er dann
bis zu seinem Tod 1844 bekleidete. Weitere
Mitglieder des Direktoriums waren unter
anderem der Nürnberger Erste Bürgermeister Binder und der Buchhändler Carl
Mainberger, ein Vertrauter Scharrers. Hier
waren wieder die Vertreter der bürgerlichen
Oberschicht versammelt, die seit zwei Jahrzehnten versuchten, mit sozialen und wirtschaftlichen Reformen die schwere Krise der
Region zu überwinden und zu ihr neuem
Gewicht in der Welt zu verhelfen. Mit der
Gründung der Eisenbahngesellschaft schien
dieser Gruppe erstmals ein Projekt zu gelingen, das weit über die Grenzen der Stadt hinaus Beachtung fand.
Doch während die vielerorts bereits gegründeten oder in Gründung befindlichen Eisenbahnkomitees ihre Blicke nach Nürnberg
richteten, galt der Prophet im eigenen Land
wenig. Die bayerische Regierung verhielt
sich weiterhin zögerlich; immerhin half sie
bei der Suche nach einem Bauingenieur: Auf
Vermittlung des Hofbaurates Klenze kam
Platner zu Beginn des Jahres 1834 in Kontakt mit dem im Dienst der königlichen Regierung stehenden Ingenieur Paul Camille
Denis. Ungewöhnlich großzügig gewährte
die Regierung ihm Sonderurlaub, um die
Trasse zu projektieren. Zudem erhielt die
Bahngesellschaft vom König persönlich das
Privileg der Personenbeförderung zwischen
Nürnberg und Fürth für dreißig Jahre erteilt. Hier hatten sich die Nürnberger zwar
mehr erwartet, dennoch benannten sie nun
ihr Projekt zu Ehren ihres Monarchen „Königlich privilegierte Ludwigs-EisenbahnGesellschaft“. Der von seinen Pflichten freigestellte Denis begann seine Arbeit Anfang
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10
DIE STRECKE DES ADLERS
Juli 1834. Nach gut drei Monaten übergab
er dem Direktorium die fertigen Pläne am
14. Oktober. Am 31. Oktober erteilte ihm die
Regierung die Erlaubnis, weiter für die Bahn
zu arbeiten. Denis übernahm in der Folge
auch die Bauleitung.
Eine besondere Schwierigkeit stellte der
Erwerb der für den Bau der Bahn nötigen
Grundstücke dar. Da es kein Enteignungsgesetz gab, war die Gesellschaft gezwungen, mit
allen Grundstücksbesitzern einzeln zu verhandeln. Obwohl mit der Mehrzahl der etwa
90 Eigentümer eine rasche Einigung möglich
war, zogen sich die Verhandlungen von März
1834 bis September 1835 hin. Als besonders
hartnäckig erwies sich die Grundstücksbesitzerin – nomen est omen – Witwe Sperr, die
schließlich für ihr Grundstück im Burgfrieden
einen völlig überzogenen Preis herausschlug.
Im Mai 1835, noch bevor alle Grundstücke
erworben waren, begannen endlich die Arbeiten. Die Bauaufgabe war verhältnismäßig leicht: Entlang der Südseite der Fürther
Chaussee musste auf einer Länge von 6 132
Metern eine nahezu schnurgerade Strecke
gebaut werden, die einen Höhenunterschied
von nur etwa sechs Metern, abfallend von
Nürnberg nach Fürth, aufwies. Gemäß dem
„englischen System“ fiel die Bauweise sehr
solide aus: Die Strecke verlief auf einem 4,37
Meter breiten Damm von durchschnittlich
4 bayerischen Fuß (1,17 Metern) Höhe. Die
größte Höhe wurde mit 3,5 Meter bei Fürth
erreicht. Auf dem Damm sollten Schienen
in gusseisernen Befestigungen auf Steinquadern befestigt werden. Zwischen den Schienen war ein aus gestampftem Kies bestehender Weg für Pferde vorgesehen, denn ein Teil
des Betriebs sollte mit Pferdekraft bewerkstelligt werden. Drei Bahnübergänge mit
Schranken und Warnschildern für den kreuzenden Straßenverkehr waren vorgesehen.
Zwischen 20 und 100 Tagelöhner, dazu 15
bis 30 Fuhrleute, Akkordarbeiter, Pflasterer,
Steinbohrer und Steinbrecher arbeiteten unter der Aufsicht von Denis auf der Baustelle.
Während Material und Arbeitskräfte für die
Erd- und Steinarbeiten vor Ort vorhanden
waren, mussten die Schienen und Fahrzeuge
anderenorts gefertigt werden. Deutschland
war damals für diese Aufgabe in technologischer Hinsicht bei Weitem nicht up to date.
Belastbare Schienen müssen aus Walzeisen
bestehen, nicht aus sprödem Gusseisen, das
jedoch kaum jemand in Deutschland herstellen konnte. Der Import aus England war
aber wegen des hohen Einfuhrzolls zu teuer.
Nach langer Suche fand sich das heute noch
bestehende Eisenwerk Remy in Rasselstein
bei Neuwied, das Schienen nach den Anforderungen der Ludwigsbahn liefern konnte.
Nun fehlte nur noch der Dampfwagen. Als
Fans der englischen Eisenbahn dachten die
Nürnberg-Fürther Bahnpioniere von Anfang an daran, die bekanntesten englischen
Lokomotivbauer zu beauftragen: George
Stephenson und seinen Sohn Robert aus
Newcastle. Bereits im Frühjahr 1833 hatte die Ludwigsbahn-Gesellschaft über die
Londoner Firma Suse & Libeth Kontakt zu
Stephenson aufgenommen, der am 9. Mai,
also noch vor Herausgabe des Subskriptionsaufrufs, den Nürnbergern antwortete,
er könne eine Lokomotive bauen. Am 4.
Juli schickte Stephenson ein Angebot für
den Bau von zwei Lokomotiven für 1 800
Pfund Sterling (= 21 600 Gulden, entspricht
etwa 650 000 Euro). Dies überstieg jedoch
deutlich die Kalkulation der LudwigsbahnGesellschaft, die mit 12 000 Gulden gerechnet hatte.
Nun begann die Suche nach Alternativen:
Nachdem sich bis Ende 1834 im Gebiet des
gerade gegründeten Deutschen Zollvereins kein seriöser Anbieter gefunden hatte,
muss­ten sich die fränkischen Eisenbahngründer im Ausland umschauen. Sie kamen
in Kontakt zum belgischen Maschinenbauer Cockerill in Lüttich, der die Ausrüstung
für die Bahnstrecke Brüssel–Mechelen
geliefert hatte, die am 5. Mai 1835 als erste öffentliche Eisenbahn mit Dampfkraft
auf dem europäischen Kontinent eröffnet
werden sollte. Doch auch Cockerill war
nicht der richtige Mann: Als Platner und
Mainberger Ende April 1835 von Neuwied
aus, wo sie mit dem Eisenwerk Remy den
Vertrag zur Lieferung der Schienen abgeschlossen hatten, nach Lüttich fuhren,
stellte sich heraus, dass Cockerill keinerlei Erfahrung im Bau von Lokomotiven
hatte. Dafür erfuhren sie, dass sich Robert
Stephenson anlässlich der Eröffnung der
Eisenbahn Brüssel–Mechelen in Brüssel
aufhielt. Kurz entschlossen machten sie
sich dorthin auf und trafen tatsächlich Stephenson. Die Eröffnung der Bahn, auf der
auch eine Stephenson’sche „Patentee“-Lok
zum Einsatz kam, scheint die beiden endgültig von den Qualitäten des Lokomotivbauers aus Newcastle überzeugt zu haben,
denn nach ihrer Rückkehr in die Heimat
wurde der Dampfwagen umgehend bei
Stephenson bestellt. Die Engländer bauten nun innerhalb der nächsten vier Monate eine Lokomotive für ihre deutschen
Auftraggeber. Es war ihre 118. Maschine,
eine Zahl, die zeigt, dass die Stephensons
schon fast in Serie produzierten. Die Lok
gehörte zu dem bewährten „Patentee“-Typ,
der schon alle wichtigen Merkmale einer
klassischen Dampflokomotive aufweist:
ein von zahlreichen Heizrohren durchzogener Langkessel, Dampfdom, Rauchkammer und Schornstein. Der Dampfwagen,
der später den Namen „Adler“ erhalten
sollte, war das kleinste bisher gebaute Patentee-Exemplar. Das Leergewicht betrug
6 Tonnen; zusammen mit Tender, Wasser
und Kohle war es etwa 11 Tonnen schwer.
Stephenson stellte für die Lok 800 Pfund
Sterling in Rechnung, das entsprach knapp
10 000 Gulden.
Ende September, Wochen später als ge­
plant, wurde der Dampfwagen, zerlegt in
100 Einzelteile und verpackt in 19 Kisten,
nach Rotterdam verschifft. Die Umstände
des Transports nach Nürnberg lieferten
den schlagenden Beweis, wie dringend Europa ein modernes Transportsystem benötigte: Die 1500 Kilometer lange Reise von
Newcastle nach Nürnberg per Segelschiff,
Lastkahn und Fuhrwerk dauerte beinahe
neun Wochen. Als der Dampfwagen eintraf, waren die Arbeiten an der Ludwigsbahn erheblich hinter dem Zeitplan. Zwar
hatten auf einer Teilstrecke schon erste
DIE STRECKE DES ADLERS
Der Nachbau des Adlers von 1935 und sein Zug auf einer heutigen Fahrt
Probefahrten mit den von heimischen Betrieben hergestellten Wagen stattgefunden,
von denen der erste bereits Ende August
betriebsbereit war; doch die Gesamtstrecke war noch nicht fertig, außerdem musste der Dampfwagen erst zusammengebaut
werden. Dies erledigte der Fabrikant Wilhelm Späth in seiner großen Werkstätte
am Dutzendteich. Späth galt gegenüber den
Zollbehörden als der eigentliche Empfänger
des Dampfwagens; auf den Rat der Behörde
selbst hin hatte die Ludwigsbahn-Gesellschaft den Dampfwagen zum Muster für den
Nachbau durch Späth erklärt, um den hohen
Einfuhrzoll zu vermeiden. So verzögerten
sich die Tests für die Lokomotive weiter: Die
erste Probefahrt mit dem Dampfwagen fand
am 16. November unter großer Anteilnahme
der Bevölkerung statt. Der auf den 24. November festgesetzte Eröffnungstermin konnte nicht eingehalten werden.
Eröffnung und historische Bedeutung
Die Eröffnung fand schließlich am 7. Dezember statt. Mehrere Tausend Menschen
wohnten dem Ereignis am Nürnberger Plärrer, von wo der Zug um neun Uhr morgens
startete, entlang der Strecke und in Fürth
bei. Zahlreiche Zeitungskorrespondenten
berichteten und die Eisenbahnkomitees
in ganz Deutschland schickten begeisterte
Grußbotschaften. Einzig die bayerische
Obrigkeit glänzte durch Abwesenheit: Kein
Angehöriger des Königshauses wohnte der
Eröffnung bei, als ranghöchster Regierungsvertreter war der Regierungspräsident von
Mittelfranken entsandt worden.
Doch auch ohne die Unterstützung von
König und Regierung wurde die NürnbergFürther Eisenbahn zu einem Erfolg, der die
Erwartungen seiner Gründer weit übertraf
und in ganz Europa Widerhall fand. Zudem
erwies sich das Unternehmen rasch als Erfolg: Bereits im ersten Jahr transportierte
die Bahn die schier unglaubliche Zahl von
475 219 Passagieren. Entsprechend hoch fiel
der Gewinn aus: Im ersten Geschäftsjahr erhielten die Aktionäre eine Dividende von 20
Prozent. Auch in den folgenden Jahren betrugen die Ausschüttungen zwischen 15 und
17 Prozent. Damit hatte die Ludwigsbahn
den Beweis erbracht, dass sich Eisenbahnbau auszahlte. In ganz Deutschland brach
ein regelrechtes Eisenbahnfieber aus; endlich wagten die anderen Eisenbahnkomitees
und ihre Kapitalgeber, die Verwirklichung
ihrer Pläne anzugehen. In nur wenigen Jahren entstanden überall im Deutschen Bund
Eisenbahnstrecken, sodass bereits fünf Jahre
nach der Eröffnung der Ludwigsbahn 541
Kilometer Gleise verlegt waren.
Rainer Mertens
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12
DIE STRECKE DES ADLERS
Zur Geschichte
der Fürther StraSSe
regine franzke · matthias murko
I
m Jahr 1796 übernahm Carl August Freiherr von Hardenberg, der
spätere preußische Staatskanzler, als
Staatsminis­ter des preußischen Königs Friedrich Wil­helm II. die Regierungsgeschäfte in
Ansbach. Zwar hatte der König, Herr über
die Fürs­tentümer Ansbach und Bayreuth,
von einer Übernahme Nürnbergs Abstand
genommen, Hardenberg aber sah das anders. Der ‚Erwerb‘ Nürnbergs schien ihm
notwendig, ein preußisches Nürnberg sei
„vorteilhaft für das Commerz“, schrieb er
1797. Die hoch verschuldete alte Reichsstadt, die wahrlich schon bessere Tage gesehen hatte, war wirtschaftlich immer noch
von Bedeutung, die alteingesessenen Nürnberger Handelshäuser genossen auch in diesen Krisenzeiten einen untadeligen Ruf. Und
konnte man der Stadt Nürnberg wirklich
nicht habhaft werden, „so muß man suchen,
die Vorstädte emporzubringen“.
Das geschwächte Nürnberg hatte
der Besetzung seiner Vororte bis unmittelbar vor die Tore der Stadt nichts entgegenzusetzen. Auch die Verlegung der markgräflichen Bank von Ansbach nach Fürth war
ein deutliches Zeichen, wen man zu stärken
bzw. zu schwächen gedachte. Neue Straßenplanungen schließlich sollten zur Förderung
des in- und ausländischen Handels beitragen, die heimische Wirtschaft fördern und
in einem speziellen Fall, der geplanten Land-
chaussee zwischen Fürth und Nürnberg,
den Nürnbergern empfindliche Einbußen
bringen, erhoben diese bis dato doch immer
noch Zoll- und Geleitgebühren für die alten
Nürnberger Handelswege über Land. Mit
der Planung der neuen Direktverbindung
zwischen den beiden Nachbarstädten, als
Weiterführung der Fernstraße von Frankfurt, deren Instandsetzung schon bis vor die
Tore Fürths gediehen war, wurde im Jahr
1800 begonnen. Nach Begutachtung mehrerer Expertenvorschläge über deren Verlauf
und Beschaffenheit entschied sich Hardenberg für die Strecke der heutigen Fürther
Straße, für Pflasterbelag aus Wendelsteiner
Quarzit und beidseitige Alleebepflanzung
mit Pappeln. Da der Wendelsteiner Steinbruch Nürnberg gehörte, standen der Stadt
Abgaben aus dem Verkauf der Steine zu.
Wendelstein aber stand unter preußischer
Hoheit, weshalb die Ansbacher Regierung
keinerlei Anstalten machte, zu bezahlen.
Das diesbezügliche Anschreiben des Nürnberger Rats blieb gänzlich unbeantwortet.
Nun begann ein regelrechter Kleinkrieg mit
allerlei findigen Unternehmungen, die Pflasterlieferungen aus Wendelstein zu behindern bzw. zu forcieren. Es half alles nichts,
die auf ca. eine Million Stück veranschlagten Steine erreichten dennoch ihr Ziel, der
Ausbau, begonnen im Frühling 1801, schritt
voran. Nach knapp vier Jahren, im Winter
1804, war die neue Straße fertig gestellt.
1806, nachdem sowohl Nürnberg als auch
Fürth bayerisch geworden waren, spielten
die einstigen Konkurrenzgedanken und
Hardenbergs Versuch, die preußische Provinz auf Kosten Nürnbergs voranzubringen, keine Rolle mehr. Es entstand ein
lebhafter blühender Handel zwischen den
beiden Städten, der durch die schnelle,
komfortable Verbindung wesentlich erleichtert wurde.
Allerdings wurden schon bald erste Mängel
im Straßenbau deutlich, Risse, Löcher und
schlimmer noch, wegen der zu geringen Wölbung und des Verzichts auf seitliche Gräben,
blieb bei Regen das Wasser auf der Straße
stehen, bei Frost verwandelte sich die Pflas­
terfläche in eine Eisbahn, für Mensch und
Tier gefährlich und zeitweise unpassierbar.
Nach einer Flut von Beschwerden erfuhr die
Fürther Straße von 1820 bis 1823 den Umbau
von der Pflasterstraße zur Landchaussee – im
Grunde ein Neubau, da Pflaster und Packlage entfernt werden mussten, das Pflaster zuunterst gelegt wurde, darauf Schotter aus der
wieder verwendeten Packlage und zu guter
Letzt eine Auflage aus Kies – fertig war die
Chaussee! Nun konnten Pferd und Reiter,
Fuhrwerke, Kutschen und Fußgänger wieder
ohne Beeinträchtigung ihr Ziel erreichen.
Erst im Zuge der Kanalisierung, die 1879
abgeschlossen war, bekam die Fürther Straße
erneut einen Pflasterbelag und von Gaslaternen beleuchtete, breite Gehsteige.
DIE STRECKE DES ADLERS
Ballonfahrt des Nürnberger Fotografen Herbert Liedel entlang der Fürther
Straße: In der Bildmitte rechts ist der helle Klinkerbau des Quelle-Versands
zu sehen, gegenüber die Gebäudekomplexe von TA und AEG.
Schon 1820 galt die Chaussee zwischen
Nürnberg und Fürth als meist befahrene
Straße des Königreichs Bayern. Sie war so
stark frequentiert, dass Überlegungen zu
ihrer Entlastung angestellt wurden, wie die
Idee einer von Pferden gezogenen Schienenbahn. Bis zur Realisierung der ersten Eisenbahn in Deutschland, ihrer feierlichen Eröffnung und Jungfernfahrt entlang der rund
6 Kilometer langen Chaussee am 7. Dezember 1835 hatten die Nürnberger und Fürther
Eisenbahnvisionäre viele Hindernisse zu
überwinden, die sich in ihrer ganzen Bandbreite erst nach und nach herausstellten.
Rückblickend betrachtet, war das Projekt
Ludwigsbahn eine unerhört beeindruckende
unternehmerische Leistung, dabei eine
„Gleichung mit vielen Unbekannten“, Neuland für alle Beteiligten und der Aufbruch in
ein neues Zeitalter.
Staatsminister Carl August Freiherr von Hardenberg, der Nürnberg
so gern preußisch gesehen hätte.
Nachdem sich die erste Neugier gelegt und
die in- und ausländische Presse sich beruhigt
hatte, gehörte die Adlerlokomotive mit ihren
gelben Wagen schon bald zum Alltagsbild
der beiden Nachbarstädte. Ausgehend vom
Ludwigsbahnhof am vorstädtischen Plärrer,
dem noch bescheiden bebauten, weiten Platz
am Spittlertor, passierte die Ludwigsbahn den
Vorort Gostenhof, folgte Wiesen, Feldern
und vereinzelten Dörfern um nach gut sechs
Kilometern den zweiten Ludwigsbahnhof am
Fürther Stadtrand zu erreichen.
Der groSSe Erfolg der Ludwigseisenbahn übertraf wohl selbst die kühnsten Erwartungen ihrer Initiatoren und Aktionäre.
Hunderttausende verkaufter Billetts schon im
ersten Jahr, der Andrang vor den Cassahäuschen der Bahnhöfe Nürnberg und Fürth muss
beachtlich gewesen sein. Und die Zahlen stie-
gen weiter. Die im Vorfeld prognostizierte
Gefahr schwerer Unfälle blieb ebenso aus
wie der Untergang der Fuhrwerksleute. Die
Eisenbahn machte nicht nur Gewinn, sie war
einer! Anfang der 1850er-Jahre waren stärkere, im Betrieb günstigere Loks der Kasseler
Henschel-Werke angeschafft worden, der Adler wurde 1857 ausgemustert. Seit 1881 verkehrte auch eine Pferdestraßenbahn parallel
zur Ludwigsbahn, was zwar Auswirkungen
auf die Fahrpreispolitik, nicht aber auf die
Fahrgastzahlen hatte. Der Vorteil der Straßenbahn bestand in den Zustiegsmöglichkeiten, während die Eisenbahn die „Expressverbindung“ zwischen den Nachbarstädten
blieb. Das Straßenbahnnetz wurde unterdessen zügig in verschiedene Richtungen erweitert, was für die stetig wachsende Stadt und
ihre Bevölkerung notwendig geworden war.
R. F.
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14
DIE STRECKE DES ADLERS
Auf diesem von Hand kolorierten Nürnberg-Panorama aus der Mitte des 19. Jahrhunderts ist auch der Adler, entlang der
von Pappeln gesäumten Chaussee in Richtung Fürth dampfend, zu sehen.
Die Ludwigseisenbahn auf ländlicher Strecke, weit im Hintergrund ist die Stadtsilhouette Nürnbergs zu erkennen.
DIE STRECKE DES ADLERS
Nicht alle waren begeistert vom
neuen Verkehrsmittel Eisenbahn,
wie dieser Vierzeiler auf dem
Porzellaneinsatz eines Bierkrugdeckels aus der Zeit um 1850
verdeutlicht.
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DIE STRECKE DES ADLERS
„Da geht’s ja zu wie am Plärrer!“
Z
weifellos gebührt der Adler-Dampflokomotive als technischem Novum hierzulande die Ehre, dem
Dampfmaschinen-Zeitalter sozusagen
vor­an­gefahren zu sein. „Impulsgeber“ für
die fortschreitende Industrialisierung wird
sie genannt und „Initialzündung“ für die
Ansiedlung neuer Industriezweige, die
durch den Einsatz von Dampfmaschinen
aus Manufaktur-Werkstätten Fabriken erwachsen ließen. Und tatsächlich erfolgte
der erste Industrialisierungsschub in Nürnberg in den 1830er-Jahren. Zu den großen
Fabriken jener Zeit zählten die Klett’sche
Maschinenfabrik und Johannes Zeltners Ultramarinfabrik, beide nicht an der Fürther
Straße gelegen. Die Entwicklung unserer
Landchaussee zur belebten Verkehrsader
und „Achse der Industrialisierung“ sollte
sich noch einige Jahrzehnte hinziehen.
„Da geht’s ja zu wie am Plärrer“ – ein
geflügeltes Wort unter den Nürnbergern und
unmissverständliches Synonym für Hektik,
Lärm, Gedränge. Das Wort Plärrer (alte
Schreibweise ‚Plerrer‘) entstand aus dem
mittelhochdeutschen Begriff ‚Plerre‘, was in
etwa gleichbedeutend ist mit ‚freier Platz‘,
an dem Händler, die keine Berechtigung für
die innerstädtischen Märkte vorzuweisen
hatten, ihre Waren feilbieten konnten. Mit
der Errichtung des Ludwigsbahnhofs 1835
und dem Bau einiger privater und gewerblich genutzter Häuser änderte sich langsam
das Bild. Um 1850 hatten sich in der Nähe
zwar schon einige Fabriken angesiedelt, zum
Beispiel eine Zündholzfabrik und eine Haken- und Ösenfabrik, von reger Bautätigkeit
konnte jedoch keine Rede sein. Der Grund
dafür lag in einem staatlichen Bebauungsverbot des Gebiets rund um den alten Befestigungsring der mittelalterlichen Stadt, das
für jedes neue Gebäude eine Sondergenehmigung erforderlich machte und erst im Jahr
1866 aufgehoben wurde. Doch auch danach
dauerte es noch rund 15 Jahre, bis der erste
„Bauboom“ an der Fürther Straße einsetzte.
Der Nürnberger Fotograf Ferdi­
nand Schmidt (1840–1909) hat wie kein anderer die Veränderungen seiner Heimatstadt über Jahrzehnte dokumentiert. Mehr
als 2000 Glasnegative sind erhalten, ein
wahrer Schatz für alle, die auf den Spuren
der alten Noris unterwegs sind. Die präg­
nanten Fotografien belegen eindrucksvoll,
auch den Wandel des Stadtbilds jenseits der
Stadtmauer. Schmidts Blick auf den Plärrer, vom Spittlertorturm aus festgehalten,
in den Jahren 1865 und 1905, verdeutlicht,
welchen Sprung die westliche Vorstadt
in nur 40 Jahren gemacht hat. Schon mit
Einführung der Pferde-Straßenbahn 1881
hatte der Platz vor dem Ludwigsbahnhof
an Bedeutung gewonnen, 1896 schließlich,
mit Inbetriebnahme der elektrifizierten
Straßenbahn zwischen Nürnberg-Maxfeld
und Fürth war er zum Knotenpunkt für
mittlerweile fünf Linien geworden. Ferdinand Schmidts Interesse am Fortschritt
in städtebaulicher, technischer, aber auch
künstlerischer Hinsicht verdanken wir
auch eine in ihrer kompositorischen
Klarheit beeindruckende Aufnahme des
„Kunstbrunnens zur Erinnerung an die
erste deutsche Eisenbahn“ (heute schlicht
„Eisenbahndenkmal“ genannt) an seinem
ursprünglichen Aufstellungsort vor dem
Ludwigsbahnhof am Plärrer. Der Grundsteinlegung am 50. Geburtstag der AdlerJungfernfahrt, dem 7. Dezember 1885, folgte
die Ausschreibung eines Kunstwettbewerbs,
den der Bildhauer Heinrich Schwabe, seit
1875 Professor für figürliche Plastik an
der Nürnberger Kunstgewerbeschule, für
sich entschied. Als Brunnen mit zwei ausladenden Auffangbecken konzipiert, erhebt
sich ein hoher Sockel mit Obelisk, auf dem,
an zwei gegenüberliegenden Seiten Bronzereliefs zum einen von der Beschwerlichkeit
und den Gefahren des Reisens mit der Postkutsche, zum anderen von der Eröffnung
der Ludwigseisenbahn als Triumphzug in
die neue Zeit erzählen. Links und rechts des
Sockels thronen die beiden Städteallegorien Noris und Furthia. Den Obelisk krönt
ein Genius mit Flügelrad, dem Symbol der
Eisenbahn. 1890 feierlich enthüllt, musste
das alsbald zum beliebten Postkartenmotiv
avancierte Prunkstück im Jahr 1927 dem
erneuten Straßenbahngleisausbau weichen.
1929 wurde das Denkmal etwas stiefmütterlich an die Stadtgrenze zu Fürth verfrachtet, wo es bis zu seinem abermaligen
Umzug 1965 blieb. Hier war es nun dem
Bau der neuen Schnellstraße im Weg, fand
aber 1966 erneut Aufstellung ein Stückchen
weiter in einer kleinen Grünanlage nahe der
Zufahrt zur Stadtautobahn. 1993 schließlich
musste es zum vierten Mal umziehen, in die
Fürther Straße, Höhe Veit-Stoß-Anlage –
zwar nicht zurück zum Plärrer, aber immerhin auf die ehemalige Strecke des Adlers.
R. F.
Auf dieser kleinen
Grafik aus den
1860er-Jahren rauchen im Vordergrund
die Schornsteine
der Zeltner’schen
Ultramarinfabrik.
Und auch in der
Nachbarschaft hat
sich schon Industrie
angesiedelt.
DIE STRECKE DES ADLERS
Ferdinand Schmidts Plärrer-Panoramen aus den Jahren 1865 (oben) und 1905 (unten).
Gleisbauarbeiten
für die Straßenbahn
am Verkehrsknotenpunkt Plärrer im Jahr
1899 (links) und der
Platz nach Beendigung der Bauarbeiten 1900 (rechts),
aufgenommen von
Ferdinand Schmidt.
Auch dies eine der
bestechenden Aufnahmen des Nürnberger Fotografen
Ferdinand Schmidt:
das Eisenbahn-Denkmal am Plärrer vor
dem Bahnhofsgebäude der LudwigsEisenbahn.
Das EisenbahnDenkmal nach seinem ersten Umzug
an die NürnbergFürther Stadtgrenze,
1930er-Jahre.
17
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DIE STRECKE DES ADLERS
Der Plärrer in den 1930er-Jahren mit Blick auf den modernen Plärrer-Automat und den mittlerweile isoliert stehenden ehemaligen Ludwigsbahnhof.
Der Ausbau der U-Bahn-Strecke Richtung
Fürth verwandelte den Plärrer − hier auf einer
Aufnahme von 1978 − monatelang in eine
Großbaustelle.
Der Plärrer-Automat 1933.
Drei bemerkenswerte bauliche
Veränderungen markieren den Wandel
des Nürnberger Plärrers von einst zum innerstädtischen Verkehrsknotenpunkt heute. Mit dem Bau des „Plärrer-Automaten“
Anfang der 1930er-Jahre war der alte Platz
sozusagen in der Moderne angekommen.
Geradezu futuristisch muss der lichtdurchflutete Längsbau mit seinem Rondell gewirkt
haben, besonders abends, wenn die Leuchtschriften entlang des Flachdachs den Platz
beschienen. Erbaut im Stil der klassischen
Moderne, nach den Plänen des Architekten
Walter Brugmann, erfüllte der Plärrer-Automat mehrere Ansprüche in einem: Wartehalle für die Fahrgäste, Automaten-Res­
taurant, Kiosk und „stummes Postamt“ mit
Briefmarkenautomat, Briefkasten und meh-
reren Telefonzellen. Anfangs noch kritisch
beäugt, fand das elegante Gebäude schnell
die verdiente Akzeptanz, was sich nicht zuletzt darin widerspiegelt, dass man den erheblich beschädigten Bau nach Kriegsende
bald wieder aufbaute. Einen zweiten, nicht
weniger modernen Akzent setzten die Städtischen Werke mit der Errichtung des ersten
Nürnberger Hochhauses am Plärrer, Ecke
Rothenburger Straße/Südl. Fürther Straße,
dem das letzte Nürnberger Relikt der ersten
deutschen Eisenbahn, der Ludwigsbahnhof
nämlich, weichen musste. Mit 56 Metern
Höhe war das 15-stöckige Plärrer-Hochhaus
damals das höchste Gebäude Bayerns! Errichtet 1951 bis 1953, wurde der markante
Bau des renommierten Nürnberger Architekten Wilhelm Schlegtendal für die noch
immer von Kriegsschäden gezeichnete Stadt
zum Sinnbild für Wiederaufbau und neue
Größe. Last but not least folgte ab 1978 der
Bau der U-Bahn-Strecke Plärrer—Fürther
Straße—Fürth. Die kontinuierliche Erweiterung des Nürnberger U-Bahn-Netzes seit
dem ersten Spatenstich 1967 erreichte 1978
den Plärrer; 1977, im Vorfeld der zwei Jahre
währenden Großbaustelle war der PlärrerAutomat abgerissen worden. Der öffentliche
Nahverkehr Richtung Fürth auf der einstigen
Adlerstrecke verschwand nun in Etappen
„unter Tage“. Mit dem Erreichen der letzten
unterirdischen Station Eberhardshof und
ihrer Verbindung mit der Hochbahnstrecke
ging im Juni 1981 die 100-jährige Geschichte der Nürnberg-Fürther-Straßenbahn zu
Ende.
DIE STRECKE DES ADLERS
Kriegszerstörungen und Wiederaufbau am Nürnberger Plärrer, aufgenommen in den Jahren 1948 (oben) und 1953 (unten).
Plärrer-Panorama 2009
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DIE STRECKE DES ADLERS
Nach dieser kleinen Zeitreise
weit ins 20. Jahrhundert kehren wir zurück
zu den Anfängen der Fürther Straße, so wie
wir sie kennen, die breite Großstadtstraße
mit ihren auch heute noch zahlreichen his­
torischen Fassaden. Mitte der 1880er-Jahre
datieren die meisten der unweit des Plärrers
gelegenen Mietshäuser, beginnend mit der
Hausnummer 2, dem so genannten HansaHaus. Das imposante Eckgebäude am Altstadtring ist ein Beispiel des „Nürnberger
Stils“, eine Sonderform des Historismus,
die neben spätgotischen und RenaissanceElementen auch lokaltypische Formenzitate
verwendet, wie Fachwerk, reich verzierte,
holzverkleidete Erker oder das für die Dürerzeit typische so genannte Chörlein. Rückbesinnung und Stolz eines traditionsbewussten
Bürgertums auf die Blütezeit der alten Noris
begegnet uns an solchen Fassaden. Daneben
folgten herrschaftlich anmutende Mietshäuser im Neorenaissance- und Neobarockstil
mit aufwändig gestalteten Vestibülen und
Treppenhäusern. Nur wenige Gehminuten
vom Plärrer entfernt, entstand zur gleichen
Zeit auch das zu Recht als „Mietspalast“
bezeichnete, im Neorenaissancestil gestaltete Doppelhaus Nr. 54/56, dessen elegante
Das Postkartenmotiv von 1907 zeigt den Blick in die beginnende Fürther Straße Richtung Westen.
gelbe Sandsteinfassade auch heute noch,
ohne ihren einstigen Prachtgiebel und die
flankierenden Kuppeldächer deutlich hervorsticht. Das Mittelstück der Fassade wird
betont durch eine der Erdgeschoss-Rustika
vorgelagerte Säulenreihe, auf der ein breites,
zurückhaltend gegliedertes Gebälk mit Balustrade ruht. Darüber folgt die, um je eine
Fensterbreite schmalere, dreigeschossige
Ordnung aus vorgesetzten Säulen und Balustraden – großzügig, großstädtisch und
geradezu herrschaftlich wirkt diese Fassade
im Vergleich zu ihren Nachbarn.
DIE STRECKE DES ADLERS
Fassadenplan des aufwändig gestalteten Mietspalastes Haus-Nr. 54/56.
Das Haus-Nr. 54/56
als Postkartenmotiv
mit dem prächtigen
Ziergiebel und den
beiden flankieren­
den Kuppeln, die
− nach schweren
Beschädigungen im
Zweiten Weltkrieg −
nicht wieder ergänzt
wurden.
Das Hansa-Haus, ein Beispiel des so genannten Nürnberger Stils, Baujahr 1895. Das
imposante Eckgebäude bildet noch heute das
„Entree“ zur historischen Fürther Straße.
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DIE STRECKE DES ADLERS
Mannshohe Hopfensäcke im Hinterhof des Gebäudes Fürther Straße 17,
der Adresse der Hopfenhandelsfirma Kirschbaum, 1912.
Die Belegschaft der Treibriemenfabrik Stierstorfer & Nägele, versammelt
vor dem Rückgebäude Fürther Straße 18, Mitte der 1930er-Jahre.
Riemenwälder – Alltagsbild in den Werkshallen damaliger Fabriken und
oftmals tödliche Gefahrenquelle für die Arbeiterschaft.
Ein Bild vergangener Tage: An die Werkbank gelehnt, warten die sorgfältig aufgerollten fertigen Treibriemen auf ihre Abholung.
Im nördlichen Teil der Fürther Straße siedelte sich zu Beginn der 1880er-Jahre
vermehrt der reich gewordene Hopfenhandel an. Nürnberg hatte sich zum Hopfenhandelszentrum von Weltrang entwickelt. Die Gegend um den Plärrer und den
mittlerweile neu errichteten, vergrößerten
Ludwigsbahnhof wurde zur „ersten Adresse“ der westlichen Vorstadt. Die meisten
Gebäude dort hatten geräumige Hinterhöfe
und Rückgebäude, in denen Lagerräume
oder Gewerbebetriebe untergebracht waren, so zum Beispiel im Rückgebäude des
Anwesens Fürther Straße 18. Hier fertigte
die Firma Stierstorfer & Nägele seit Anfang des 20. Jahrhunderts Treibriemen für
industrielle Betriebe, die mit Dampfmaschinen und Transmissionen arbeiteten. In
vielen Fabriken wurde die Antriebskraft der
großen Dampfmaschinen über stählerne
Transmissionswellen an der Decke in die
Werkshallen geleitet. Über Riemenscheiben
an den Wellen wiederum liefen Treibriemen
aus Leder, die die zentral erzeugte Kraft auf
viele einzelne Maschinen übertrugen. Mit
der Größe der Werkshallen und der Anzahl
der Arbeitsplätze dort stieg auch die Zahl
der Transmissionsriemen, daher der alte
Begriff „Riemenwälder“. In der industriellen
Fabrikation gab es keine effizientere Kraftübertragung als die der Transmission. Das
änderte sich erst mit der Entwicklung von
industrietauglichen Elektromotoren, die es
möglich machten, Maschinen ohne zentrale
Kraftquelle einzeln zu betreiben. Dennoch
blieben viele Fabriken noch für Jahrzehnte
der Transmission treu und ergänzten allenfalls die bestehenden Bereiche durch moderne, elektrisch betriebene Maschinen, in
erster Linie aus Kostengründen. So blieb
auch die Treibriemenfabrik Stierstorfer &
Nägele weiterhin im Geschäft. Erst in den
1950er-Jahren kam das endgültige Aus für
die Treibriemenherstellung. Stierstorfer &
Nägele überlebte, weil man frühzeitig mit einer Lederhandlung begonnen hatte. Bis zur
Geschäftsaufgabe 1997 fertigte Hans-Karl
Nägele, der Enkel des Firmengründers, in
seiner Werkstatt an der Fürther Straße bei
Bedarf auch noch Treibriemen, und das, von
einigen wenigen Neuerungen abgesehen,
ganz so wie schon sein Großvater – an den
alten Maschinen: zum Bahnenschneiden der
Rinderhäute, dem Abschärfen der Ränder,
zum Pressen und Kleben und schließlich zur
Einstellung der erforderlichen Betriebsspannung. Einige dieser Maschinen und Werkzeuge sind heute im Museum Historischer
Eisenhammer in Eckersmühlen/Landkreis
Roth zu besichtigen.
DIE STRECKE DES ADLERS
Das Firmengebäude der „Fabrik für dynamoelektrische Maschinen und
Apparate, Soldan & Co“ an der Fürther Straße 199, später Sitz der Münzprägeanstalt Balmberger.
Nach Jahrzehnten Leerstand hat das schmucke alte Gebäude eine neue
Bestimmung gefunden – als Bäckerei und Café-Filiale.
Der Katalog der
Firma C. Balmberger
bot auch kleine
Blechklappdosen an,
in denen das Kinderspielgeld aufbewahrt
werden konnte.
Ein zeittypisches Beispiel für
die Ansiedlung industrieller Betriebe an
der Fürther Straße ist die „Münzpräge- &
Gravir­anstalt C. Balmberger“, Hausnummer 199. Im Jahr 1882 erwarb der Firmengründer Conrad Balmberger einen Betrieb
zur Herstellung von Spielmarken für Brett-,
Würfel- oder Kartenspiele. Seit den 1870erJahren war zunehmend auch Kinderspielgeld für Kaufläden und Kinderpost in Mode
gekommen. Die Verbreitung des „Reichskindergeldes“ eröffnete auch für Balmberger
Vertriebsmöglichkeiten in ganz Deutschland. Neben der Nürnberger Firma L. Ch.
Lauer gehörte Balmberger zu den führenden deutschen Spielgeldproduzenten und
-exporteuren. 1886 übernahm der Sohn des
Gründers, Friedrich Balmberger, die Firma
und erwarb Anfang des 20. Jahrhunderts
nach einigen Umzügen und Erweiterungen
des Betriebs das oben genannte Anwesen
an der Fürther Straße, die vormalige „Fabrik für dynamoelektrische Maschinen
und Apparate Soldan & Co.“. Das hübsche
zweistöckige Backsteingebäude mit seinen
markanten steinernen Fensterrahmungen,
Werkshof und angrenzenden Maschinenräumen stand damals noch allein auf weiter
Flur, nur eine Straßenbreite entfernt von
den Gleisen der Ludwigsbahn. Im Innern
betrieb eine stattliche Dampfmaschine über
Transmissionen die verschiedenen Fertigungsbereiche. Der Katalog der florierenden
Prägeanstalt hatte neben Spielmarken und
Kindergeld auch Sondermünzen, Medaillen,
Vereinsabzeichen und Orden im Angebot,
ferner Bier-, Garderoben- und Hundemarken, Etiketten, Wertmarken und Schilder
aller Art, Karnevalsschmuck und sogar
Schuhlöffel. Vor allem das boomende Vereinswesen der damaligen Zeit – um die Jahrhundertwende existierten bereits über 1800
Vereine in Nürnberg – bescherte Balmberger
eine ausgezeichnete und sichere Einnahmequelle, die erst mit der Machtübernahme der
Nationalsozialisten, durch Gleichschaltung
oder Auflösung des bestehenden Vereinswesens, versiegte. Nur die Abzeichen-Produk-
Auch das gab es im
Warenkatalog der
„Münzpräge- und
Graviranstalt Balmberger“ – Schuhlöffel, die man zu
Werbezwecken mit
geprägtem Namenszug versehen lassen
konnte.
tion im Vorfeld der Reichsparteitage war ein,
wenn auch zweifelhafter, finanzieller Lichtblick. Nach Kriegsausbruch musste auch bei
Balmberger auf Rüstungsbedarf umgestellt
werden. Nachdem das im Krieg erheblich
beschädigte Gebäude Ende der 1940er-Jahre
erneut bezogen werden konnte, fertigte man
wieder unterschiedliche Marken, Sondermünzen und Sammlermedaillen. 1980 wurde das
alte Fabrikanwesen an den Quelle-Konzern
verkauft, der die Gebäude zeitweise als Lager
nutzte. Nach mehr als 20 Jahren Leerstand
und einigen Umnutzungsideen, die allesamt
Ideen blieben, wurde das voll­­­e­nds heruntergekommene Industriedenkmal Balmberger
gründlich saniert und zu einer Bäckerei mit
Café umgebaut. Der nahe gelegene Gebäudekomplex der Hercules-Werke, Hausnummer
191–193, hatte da weniger Glück, er steht
schon lange nicht mehr. Dabei war dieses einst
so bedeutende Unternehmen maßgeblich an
der Entstehung der Fürther Straße als „Achse
der Industrialisierung“ beteiligt. R. F.
23
24
DIE STRECKE DES ADLERS
Nomen est omen – Hercules
U
nweit der großen Kreuzung Maximilianstraße, parallel zur Fürther
Straße, verläuft die Fahrradstraße.
Nein, kein für den motorisierten Verkehr
gesperrter Radweg, die Straße heißt so. Und
das ist kein Zufall. Man hatte die Zeichen
der Zeit erkannt! Auch hierzulande erfreute
sich der „Drahtesel“ immer größerer Beliebtheit – und so entstand in dem schnell
wachsenden Industriestandort Nürnberg
binnen weniger Jahrzehnte ein Zentrum
deutscher Fahrradproduktion, das seinesgleichen suchte.
Vier der fünf namhaftesten Fahrradfabriken siedelten sich an der Fürther Straße
an, und das als einer der ersten Industriezweige überhaupt. Der westlich gelegene Teil
der Fürther Straße war damals noch weitgehend Landchaussee, umgeben von nichts als
Wiesen, Feldern und einigen Dörfern – viel
Platz also für großzügige Planungen links
und rechts der Ludwigsbahn, die ihr 50.
Jubiläum schon hinter sich hatte, als Carl
Marschütz am 5. April 1886 die Velocipedfabrik „Carl Marschütz & Co“ gründete. Er
tat dies nicht allein aus geschäftlichen Erwägungen, sondern auch mit viel Herzblut
für die Sache, ein echter Fahrradpionier ging
hier ans Werk. 1883 als Sohn eines Lehrers
in Burghaslach bei Nürnberg geboren, bekam der junge Carl dereinst eine Draisine
geschenkt, eine jener „Laufmaschinen nach
Drais’schem System“, die, noch ohne Pedale,
im Laufschritt vorwärts bewegt wurde. Dieser Urform des heutigen Fahrrads galt fortan
seine Leidenschaft. Während seines Volontariats in der Neumarkter Ofenfabrik und
Eisenhandlung Goldschmidt begegnete Carl
Marschütz einem Engländer auf Durchreise,
unterwegs auf dem Hochrad von London
nach Wien! Dass dieses exquisite, aber teure
Fortbewegungsmittel nur Wohlhabenden
zur Verfügung stand, brachte ihn auf die
Idee, selbst Fahrräder zu konstruieren und
hier zu bauen, um so die Preise zu senken
und das Fahrrad für einen deutlich größeren
Abnehmerkreis erschwinglich zu machen.
„Das Glück ist mit dem Tüchtigen“ – für
den erst 19-Jährigen bewahrheitete sich
das Sprichwort. Er machte seinen Freund,
den Mechaniker Eduard Pirzer, mit seinem
Vorgesetzten Josef Goldschmidt bekannt
und überzeugte die beiden Männer von seiner Idee, Neuland zu betreten und als Erste
überhaupt in Deutschland Fahrräder zu produzieren. Vier Jahre lernte und arbeitete Carl
Marschütz in dieser ersten deutschen Fahrradfabrik im oberpfälzischen Neumarkt,
angeleitet von einem Veloziped-Fachmann
aus England, dem man die Werkstattleitung
anvertraut hatte. Dann war es soweit – Marschütz verließ das Unternehmen und gründete 1886 sein eigenes, in Nürnberg.
Laut Firmenchronik zum 100-jährigen Bestehen beschäftigte Marschütz in
seiner Werkstatt in der Bleichstraße anfangs zehn Arbeiter, die im Gründungsjahr schon 120 Hochräder produzierten.
Ein Jahr später stand aufgrund des weiter
wachsenden Produktionsumfangs bereits
der erste Umzug an. Marschütz entschied
sich für die Fürther Straße und bezog 1887
das Anwesen Nummer 61. Nicht außergewöhnlich für diese Zeit entschied sich auch
Carl Marschütz für einen der griechischen
Antike entlehnten Markennamen. Nomen
est omen – Hercules, die antike Personifikation von Heldentum, Kraft und Stärke,
Sohn des Zeus und Schutzgott der Gymnasien, wie die Sportstätten im Griechenland
der Antike hießen, war eine kluge Wahl. Der
Name war schlagkräftig und vermittelte einprägsam, was der Kaufinteressent erwarten
durfte: ein zuverlässiges Markenprodukt von
DIE STRECKE DES ADLERS
Briefkopf der Velocipedfabrik Carl Marschütz & Co. mit einer Ansicht des neuen Firmensitzes an der Fürther Straße 61.
hoher Qualität und Langlebigkeit. Diesen
Anspruch zu erfüllen hatte für den Unternehmer Carl Marschütz oberste Priorität
und das machte sich bezahlt, wie die Jubiläumschronik von 1986 eindrucksvoll belegt:
In nur fünf Jahren, zwischen 1889 und 1894
stieg die Anzahl der Beschäftigten von 70
auf 170, die Produktion steigerte sich von
800 auf 4 700 Hoch- und, seit Anfang der
1890er-Jahre, auch Niederräder. Der beeindruckende Erfolg ist sicher nicht allein mit
dem Fahrradboom dieser Epoche zu erklären, sondern ebenso mit dem ausgezeichneten Ruf, den die Hercules-Räder genossen.
Denn längst hatte Marschütz Konkurrenz
bekommen. Etwa zeitgleich mit seinem
Umzug an die Fürther Straße nahmen die
Victoria-Werke die Produktion auf, gefolgt
von Mars, Sirius und Triumph, und auch die
Neumarkter Express-Werke, seine einstige
Lehrstätte, produzierten weiterhin erfolgreich Markenräder. Aber ein Hercules-Rad
zu besitzen war etwas Besonderes.
Die beträchtlich gestiegene Produktion und die Erweiterung des Modellangebots bewogen den erfolgreichen Unternehmer, sich nach neuen Werksräumen
umzusehen. Marschütz entschied sich zum
Ankauf eines weitläufigen Grundstücks an
der Fürther Straße 191–193 und ließ dort ein
stattliches Werk errichten, das 1895 bezogen
werden konnte. Im Jahr 1900 „modernisierte“ er auch den Firmennamen, man hieß
nun schlicht „Nürnberger Hercules-Werke".
Trotz der Investitionskosten
konnte die erste große Absatzkrise des noch
jungen Industriezweigs, Ende des 19. Jahrhunderts, – ausgelöst vor allem durch amerikanische Billigimporte – den Herkules unter
den Nürnberger Fahrradproduzenten nicht
in die Knie zwingen. Als umsichtiger Unternehmer hatte Marschütz gut gewirtschaftet
und schaffte es, trotz deutlich zurückgegangener Stückzahlen, die Hercules-Werke über
die Krisenjahre zu retten. Schon im Vorfeld
hatte er an der Erweiterung und Umstellung
der Produktpalette gearbeitet, die das Überleben der Hercules-Werke sichern konnte.
Als Radfahrfan der ersten Stunde interessierte sich Carl Marschütz natürlich auch
für die neuen motorisierten Gefährte und
erkannte, dass diesen Vehikeln die Zukunft gehören würde. Parallel zu den Weiterentwicklungen auf dem Fahrradsektor
beschäftigte sich Hercules unter anderem
mit dem Bau eines Motorradprototyps wie
auch sein Konkurrent, die Victoria-Werke.
Beide stellten 1904 ihre Modelle der Öffentlichkeit vor. Schon ein Jahr später ging
die Hercules-Maschine in Produktion, eine
Art motorisiertes Fahrrad, ausgestattet mit
einem belgischen 4,5 PS-Motor und Keilriemenantrieb. Im gleichen Jahr ging Hercules
eine Erfolg versprechende Partnerschaft mit
dem Schweinfurter Unternehmen Fichtel &
Sachs ein, dessen Mitbegründer Ernst Sachs
1903 die für den Fahrradbau bahnbrechende
Erfindung der „Torpedo-Freilaufnabe“ zum
Patent angemeldet hatte.
Als weiteres Standbein bei Hercules
kam ab 1908 die Produktion von Lastwagen
unterschiedlicher Motorisierung hinzu, für
den Transport von Gütern bis zu 5 Tonnen.
Fahrrad- und Lastwagenfertigung sicherten
die Zukunft der Hercules-Werke auch in
Kriegs- und Inflationszeiten und lieferten
den Grundstock für den Wiedereinstieg in
die Motorradbranche, deren Zukunftschancen sich schon kurz nach dem Ende des
Ersten Weltkriegs abzeichneten. Marschütz
blieb bei seiner Entscheidung, keine eigenen
Motoren zu entwickeln, sondern vertiefte
ab 1930 auch in diesem Bereich die Zusammenarbeit mit Fichtel & Sachs. Einige der
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26
DIE STRECKE DES ADLERS
Eine echte Rarität
heutzutage, ein
Hercules-Straßenrennrad aus der Zeit der
Jahrhundertwende.
Das HerculesEinheitsmoped
„Combinette“
entstand 1953 als
Gemeinschaftsprojekt der Nürnberger
Zweiradhersteller
Hercules, Triumph
und Zündapp. Die
„Combinette“ war
das erste Moped und
machte eine ganze
Nation mobil.
Werbefaltblatt für Hercules-Fahrräder aus den
1950er-Jahren.
Oldtimerraritäten aus dieser Zeit können in
der großen Motorradsammlung des Museums Industriekultur Nürnberg bewundert
werden.
re war mit einem fußgeschalteten 4-GangGetriebe ausgerüstet. In der Halbliterklasse
wurde nurmehr ein seitengesteuertes Modell
mit Küchen-Motor gezeigt.“
1935, zur Berliner Automobil- und
Motorradausstellung war Hercules mit einer stattlichen Zahl neuer Modelle vertreten. In der Jubiläumsbroschüre von 1986
heißt es hierzu: „In der Motorfahrradklasse
mit 98-ccm-Fichtel & Sachs-Motor je ein
Herren- und Damenmodell. Das erstere mit
einer kräftigen Parallelogramm-Gabel, das
letztere mit einer Pendelgabel. Führerscheinfreie und steuerfreie Modelle unter 200 ccm
gab es mit 2-Takt-Motoren von Bark mit
angeblocktem 3-Gang-Getriebe in zwei
Ausführungen und ebenso mit Bark-4-TaktMotoren und Kette im Ölbad, jedoch schon
mit 3-Gang-Getriebe versehen. Das Gewicht
wurde mit 120 kg beziffert, die Höchstgeschwindigkeit mit 96 km/h. In der 350-ccmKlasse gab es ebenfalls zwei Geländesportmodelle, wie man damals jene Modelle
nannte, die hochgezogene Auspuffrohre aufwiesen. Eines dieser mit Columbus-Motoren
versehenen 350er Modelle hatte ein 3-GangGetriebe mit ,Schwertschaltung‘, wie man
die Handschaltung auch nannte. Das ande-
Ein beeindruckendes Modell-Spektrum also, das drei Jahre später, 1938, mit
der berühmten „Saxonette“, benannt nach
dem neuen, kleinen 2-Takt-Motor von Fichtel & Sachs, der im Hinterrad des Fahrrads
montiert war, erweitert wurde – ein frühes
„Mofa“, wenn man so will, und eine Sensation!
Im gl eiche n Ja hr, 1938, nach der
Machtübernahme der Nationalsozialisten
verlor der Jude Carl Marschütz im Zuge
der so genannten „Arisierung“ sein Unternehmen. Nürnbergs großer Fahrradpionier
musste seine Heimat, seine Firma, sein Lebenswerk aufgeben und Deutschland verlassen. Er kehrte nicht zurück, blieb Nürnberg
und den Geschicken seiner einstigen Firma
trotz des erlittenen Unrechts dennoch verbunden. Carl Marschütz starb 1957 im hohen Alter von 93 Jahren in Los Angeles.
Di e Nac h k r i e g sge sc h ic h t e der
Hercules-Werke liest sich ganz ähnlich wie
die zahlloser anderer deutscher Unternehmen: Kriegszerstörung und Wiederaufbauversuche, Verwaltung durch die Besatzungsmächte, Demontage. Mit viel Eigeninitiative
konnte man, wenngleich in bescheidenem
Rahmen, mit der Arbeit, zunächst als
Fahrrad-Reparaturbetrieb, dann mit der
Produktion von Molkereigeräten beginnen.
1950 produzierte Hercules dann wieder ausschließlich Fahrräder und beschäftigte mittlerweile über 250 Mitarbeiter.
Seit 1941 hatte Hercules zu dem Fürther
Unternehmen Dr. Carl Soldan gehört, das
die Firma 1944 zur GmbH umwandelte und
1953 seine Anteile an die Dresdner Bank
verkaufte. Ein Jahr später wechselte Hercules erneut den Besitzer und kam zu Grundig, der das Unternehmen 1963 an Fichtel
& Sachs verkaufte. Die langjährige Zusammenarbeit der einstigen Geschäftspartner
erwies sich nun als tragendes Konzept und
Grundlage für die Zukunft. Produktqualität und exzellenter Service, geschulte Vertragshändler und -werkstätten garantierten
sowohl dem Hercules-Radfahrer wie auch
dem -Motorradfahrer seit den Dreißiger
Jahren bestmögliche Betreuung. Daran wurde nun unter neuer Leitung weitergearbeitet.
DIE STRECKE DES ADLERS
Das Hercules AccuBike „E1“ war eine
Reaktion auf die
erste Energiekrise
der 1970er-Jahre.
Es bezog seine Kraft
aus der Steckdose
und durfte nach dem
Motto „Fahr dich frei,
fahr Hercules“ ab
15 Jahren ohne Führerschein gefahren
werden.
Und man versuchte an die Vorkriegserfolge
im Geländemotorsport anzuknüpfen. Die
ersten Deutschlandfahrten wurden aus der
Taufe gehoben, gefolgt von der Deutschen
Geländemeisterschaft und schließlich mehrtägigen In- und Auslandsfahrten. Ein Jahr
nach der Übernahme durch Fichtel & Sachs
holten gezählte „222 Hercules-Werks- und
Privatfahrer nicht weniger als 1 049 Gold-,
151 Silber- und 58 Bronzemedaillen“, wie die
Festschrift von 1986 vermerkt. Die Erfolgsserie der Hercules/Sachs-Maschinen riss
nicht ab, ihr unerreicht hoher Qualitätsstandard war legendär.
Im Hercules-Archiv des Museums Industriekultur werden auch die Dankschreiben vieler zufriedener Kunden aufbewahrt,
die von der Zuverlässigkeit, Langlebigkeit
und Qualität ihrer Fahrräder, Mopeds
und Motorräder berichten, was sie „zusammen“ erlebt haben und über wie viele
Jahre hinweg. „… erhalten habe ich mein
HERCULES-Rad im Jahre 1903, als ich
in die Lehre kam, ein treuer Begleiter, für
mein ganzes Leben. So hat es mir bis heute 46 Jahre treu gedient“, heißt es in einem
der Briefe. Ein anderer schreibt: „Ich besitze
ein HERCULES-Rad, welches 1908 gekauft
wurde. Das Rad war jederzeit vollkommen
zuverlässig. Das Tretlager ist bis heute noch
nicht zerlegt worden. Ich wollte es vor Jahren
nachsehen lassen. Man versicherte mir aber:
,So gut bringen wir’s nicht mehr zusammen,
wie es jetzt ist!’ Das Rad ist jetzt 42 Jahre
alt ohne Rahmen- oder Gabelbruch; also:
UNVERWÜSTLICH! Ich kann jedem Radfahrer nur ,HERCULES‘ empfehlen.“ Ein
zufriedener Motorradfahrer schrieb 1953 an
die Hercules-Werke, er wolle nur kurz mitteilen, dass er mit seiner 123ccm-Maschine
„am heutigen Tage 100 000 km gefahren
habe ohne eine nennenswerte Reparatur.
Ich bin mit dem Hercules Krad bestens zufrieden und kann die Hercules Motorräder
nur jedem empfehlen. Sollte ich mir mal ein
neues Krad kaufen, so kommt für mich nur
wieder ein Hercules Krad in Frage.“
Zurück zur Firmengeschichte,
zur Fürther Straße: Die Tage der HerculesWerke an dieser Nürnberger Achse der Industrialisierung waren nach der Übernahme
durch Fichtel & Sachs gezählt. Mitte der
1960er-Jahre war man abermals an Kapazitätsgrenzen gestoßen, das Gelände an der
Fürther Straße 191–193 wurde zu klein.
Fahrräder, Mofas, Roller und Mokicks, dazu
Mopeds, wie die sehr erfolgreiche K50, und
schwere Motorräder bildeten das umfangreiche Hercules-Programm. Ein baldiger
Umzug war unumgänglich. Als der Mutterkonzern kurz entschlossen die in finanzielle Schieflage geratene Zweirad Union,
mit den Traditionsmarken Express, Victoria
und DKW übernahm, stand fest, wohin die
Reise gehen würde: in das ehemalige Victoria-Werk Nopitschstraße, seit 1958 Sitz der
Zweirad Union, ab 1966 nun auch Heimat
von Hercules. Von 1987 bis 1991 verkauften
die Sachs-Erben ihre Aktien an die Mannesmann AG. Diese veräußerte sie 1995 an die
niederländische Firmengruppe Atag. Der
motorisierte Fertigungszweig ging an das
Mannesmann-Tochterunternehmen „Sachs
Fahrzeug- und Motorentechnik GmbH“, die
heutige SFM GmbH in Nürnberg, die den
Markennamen Hercules nicht weiterführte.
Fahrräder der Marke Hercules werden bis heute – laut Händlerangaben „im
europäischen Raum“ – produziert. Das Firmengelände Fürther Straße 191–193 wurde
an den mächtigen Nachbarn Quelle verkauft
und schließlich abgerissen. Heute steht dort
– wen wundert es – ein Supermarkt.
R. F.
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DIE STRECKE DES ADLERS
Drei Villen und noch ein Palast
W
ie um die Jahrhundertwende
nicht unüblich, bauten wohlhabende Unternehmer ihre Stadtvillen gern in unmittelbarer Nähe zu ihren
Fabrikanlagen. So auch die Celluloidwarenfabrikanten Gebrüder Wolff, Hausnummer
176. Diese, ein wenig „trutzig“ wirkende, typische Gründerzeitvilla mit vorspringender,
kuppelbekrönter Fassadenmitte stand direkt
vor den Fabrikgebäuden, von denen heute
nur ein kurzer Querbau erhalten ist. 1909,
dem Jahr der hartnäckigen Bestreikung der
Wolff ’schen Fabrik, gingen dort nicht nur
etliche Fensterscheiben zu Bruch, es kam
zu Gewalttätigkeiten zwischen Streikpos­
ten, Demonstranten und Streikbrechern.
Schüsse fielen, ein Arbeiter starb. Immer
wieder riefen die Fabrikanten die Polizei,
Festnahmen, Geld- und Haftstrafen waren
die Folge. Auslöser für die heftigen Unruhen
waren massive Lohnkürzungen, die von den
beiden Brüdern Wolff ohne viel Federlesens
beschlossen wurden. Mit Vertretern aus der
Arbeiterschaft sprachen sie erst gar nicht,
Gewerkschaften interessierten sie ebenso
wenig. Das schnell zu Erfolg und Reichtum
gelangte und ob seiner arbeiterfeindlichen
Haltung als „Wölffe“ bezeichnete Brüderpaar ließ sich nicht zum Einlenken bewegen.
Nach dem Begräbnis des ermordeten Kollegen, dem Tausende die letzte Ehre erwiesen
hatten, zog die Menschenmenge zur Fürther
Straße, wo sie von Polizeikräften mit Waffengewalt zurückgedrängt wurde. Tags darauf
verbot der Magistrat der Stadt jede weitere
Zusammenkunft in der Fürther Straße. Erst
nachdem sich der Nürnberger Oberbürgermeister v. Schuh an den Verhandlungstisch
setzte, wendete sich das Blatt – zu Gunsten
der Arbeiterschaft: Rücknahme der Lohnkürzungen, Wiedereinstellung aller Arbeiterinnen und Arbeiter und die verbindliche
Zusage, zukünftig mit der Vertretung der
Arbeiterschaft zu kooperieren.
Ein weiteres Beispiel historistischer
Villenarchitektur an der Fürther Straße ist
die „Straßenbahner-Villa“, wie das reich dekorierte Gebäude bei den „alten“ Straßenbahnern, die es noch gekannt haben, heißt.
Hausnummer 150 an der Kreuzung Maximilianstraße diente als Verwaltungsgebäude
der Straßenbahndirektion und Wohnung
des jeweiligen Herrn Direktor. Bei Baubeginn 1897 war das direkt angrenzende Straßenbahnhauptdepot, der älteste Betriebshof
der Nürnberg-Fürther Straßenbahn, schon
rund 16 Jahre genutzt und stetig erweitert
worden. 1897, ein Jahr nach der Elektrifizierung der Straßenbahn, bestand das Hauptwerk Fürther Straße aus mittlerweile drei
großen, mehrgleisigen Wagenhallen, in denen alle Wartungs- und Reparaturarbeiten
durchgeführt wurden, und einem eigenen
Dampfkraftwerk zur Stromerzeugung. 1906
schon war das Hauptwerk zu klein geworden, man musste auf andere Betriebshöfe
ausweichen, bis zur 1912 begonnenen und
nach zwei Jahren fertig gestellten weitläufigen Zentralwerkstatt in der Muggenhofer
Straße. Im Zuge des U-Bahnbaus musste
die „Straßenbahner-Villa“ Ende der 1970erJahre dem Neubau der U-Bahnstation Maximilianstraße weichen. Das einstige Hauptwerk wurde 2004 stillgelegt, in den früheren
Wagenhallen befindet sich noch heute die
Gleisbau- und Fahrleitungswerkstatt.
Ein dritter Villenbau soll an dieser
Stelle nicht unerwähnt bleiben, die „Radlmaier-Villa“. Der dem „Nürnberger Stil“
verpflichtete Bau mit seinen Erkern, Balkonen und Dachgauben, dreigeschossig mit
steilem Giebel, wurde 1896 fertig gestellt.
Der Bauherr, der dort mit seiner großen
Familie wohnte, war der Fabrikant Georg
Radlmaier, Besitzer einer „Kunststein- und
Cementwaarenfabrik“, in der alles, was in
Zement zu gießen möglich war, gegossen
wurde, in erster Linie Fertigteile zur Fassadengestaltung, von denen man in der Blütezeit des Historismus sozusagen nicht genug
haben konnte. Wesentlich preiswerter als
handwerklich hergestellte Teile, fanden die
Fabrikstücke reißenden Absatz und machten den Fabrikanten zum wohlhabenden
Mann. Die Fabrik gibt es schon lange nicht
mehr, aber die Radlmaiers: Bis heute bewohnen seine Nachkommen die alte Villa in der
Fürther Straße 319.
Bei dem oben erwähnten „Palast“ handelt
es sich nicht etwa um ein weiteres üppig ausgestattetes Mietshaus sondern um das weitläufige und gleichermaßen imposante Nürn-
DIE STRECKE DES ADLERS
Briefkopf der Gebr.
Wolff mit Ansicht
der Villa und des
Werksgeländes an
der Fürther Straße
Nr. 176.
Die Wolff’sche Villa heute. Im Hintergrund ragt der erhalten gebliebene
Querbau der einstigen Fabrikanlage ins Bild.
Das Luftbild aus dem Jahr 1927 zeigt den Blick auf das StraßenbahnHauptdepot.
Das Hauptwerk Fürther Straße, der älteste Betriebshof der NürnbergFürther-Straßenbahn, um 1905.
Die „Straßenbahner-Villa“ an der Ecke Fürther Straße/ Maximilianstraße
mit einem Wagen der elektrifizierten Nürnberg-Fürther Straßenbahn im
Jahr 1913.
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DIE STRECKE DES ADLERS
berger Justizgebäude, das von 1909 bis 1916,
nach den Plänen des Architekten Hugo von
Höfl errichtet wurde, kurz – um den „Justizpalast“. Die Planung eines, selbst für heutige
Verhältnisse, riesigen Neubaukomplexes
war aus unterschiedlichen Gründen notwendig geworden, wie der Zusammenfassung der bisher dezentral untergebrachten
einzelnen Justizbehörden und der Platznot,
der man mit zum Teil unzumutbaren Ausweichquartieren begegnete. Ursächlich hierfür waren die grundlegenden Justizreformen
seit 1848, die das Aufgabenfeld der Justiz enorm vergrößert hatten, und das beachtliche
Bevölkerungswachstum, das den Gerichten
zwangsläufig ein Mehr an Arbeit bescherte.
Nicht weniger als sieben mögliche Standorte für das neue Justizgebäude wurden ab
1906 diskutiert. Das Gelände an der Fürther
Straße war zunächst als zu abgelegen verworfen worden, wurde aber wieder aufge-
griffen, nicht zuletzt weil Grund und Boden
dem Staat schon gehörten und hier zudem
die Möglichkeit bestand, das nördlich der
Fürther Straße gelegene Zellengefängnis
baulich zu integrieren. Inwieweit die positive
Beurteilung dieses Bauplatzes durch Prinz
Ludwig, den späteren bayerischen König
Ludwig III., die Entscheidung beeinfluss­te,
sei dahingestellt. Das neue und größte bay­
erische Gerichtsgebäude jedenfalls fand ob
seiner würdevoll zurückhaltenden, am Stil
der deutschen Renaissance angelehnten
Gestaltung bei der Bevölkerung großen Anklang. Knapp 190 Meter zieht sich die Straßenfassade des mächtigen, drei Innenhöfe
umfassenden Carrée-Gebäudes entlang der
Fürther Straße, links und rechts von stattlichen Nebengebäuden flankiert. Das Gebäude rechterhand gelangte nach Ende des
Zweiten Weltkriegs zu einiger Berühmtheit,
als hier im eigens umgebauten ehemaligen
Visitenkarte der Radlmaier’schen Kunststein- und Zementwarenfabrik.
1881 1882 1886 1903 1905 1906 1922 1925 1927 1938 1959 1978 1981 Schwurgerichtssaal 600, von November
1945 bis Oktober 1946 der Hauptkriegsverbrecherprozess gegen die einstigen Herren
des NS-Staates stattfand. Der Prozess war
ein historisches Novum: Das internationale
Militärtribunal, geführt von den vier Siegermächten USA, Sowjetunion, Großbritannien und Frankreich, zog die Kriegsverursacher vor den Augen der Weltöffentlichkeit
zur Rechenschaft.
Der Saal 600 wird bis heute für Verhandlungen genutzt und ist deshalb nur bedingt
zu besichtigen. Das ebenfalls im Ostgebäude
angesiedelte, derzeit im Aufbau befindliche
„Memorium Nürnberger Prozesse“ wird als
Informations- und Erinnerungsstätte über
Vorgeschichte, Verlauf und Nachwirkungen
der Nürnberger Prozesse Auskunft geben.
R. F.
die erste Pferde-Straßenbahn verkehrt zwischen dem
Staatsbahnhof Nürnberg und Fürth Stadtgrenze
Einführung von Fahrplänen, die Strecke Fürther Straße heißt nun „weiße Linie“
Elektrifizierung der Straßenbahn
städtische Übernahme der Straßenbahn und kontinuierlicher Ausbau des Streckennetzes
Erweiterung der „rothen Linie“ vom Plärrer bis zur Bataillons–
kaserne, die Fürther Straße wird nun von zwei Linien befahren.
Umstellung auf Nummern: Linie 1 (bis Fürth), Linie 2
(bis zur Kaserne)
Stilllegung der Ludwigseisenbahn
sechs Straßenbahnlinien befahren die Fürther Straße,
darunter eine Gepäcklinie
Schnellstraßenbahn mit nur 3 Haltepunkten („die rote 31er“)
Ausgliederung der städtischen Versorgungsabteilungen
Wasser, Gas, Strom und Straßenbahn und Gründung des
städtischen Eigenbetriebs „Städtische Werke Nürnberg“
Umwandlung zur GmbH: Energie- und Wasserversorgung (EWAG) und Verkehr (VAG)
Ausbau des U-Bahn-Netzes ab Plärrer
Fertigstellung des letzten U-Bahn-Tunnelabschnitts
(Eberhardshof ), Stilllegung der Straßenbahn zwischen
Nürnberg und Fürth
TIPP: Anlässlich der Jubiläumsausstellung „Die Strecke des Adlers“ im
Museum Industriekultur Nürnberg veranstaltet der Verein „Freunde
der Nürnberg-Fürther Straßenbahn e. V.“ Sonderfahrten in historischen
Bussen vom Museum Industriekultur aus nach Fürth und zurück – auf
der einstigen Strecke des Adlers.
DIE STRECKE DES ADLERS
Der Mittelbau des Nürnberger Justizpalastes, aufgenommen im Jahr 1911.
Der dominante Uhrenturm mit einer Bronzestatue der Justitia stürzte nach
schweren Bombentreffern am 21. Februar 1945 in den Hof. Nach Instandsetzung des Dachs und der in Mitleidenschaft gezogenen Stockwerke
entschied man sich, den Uhrenturm nicht wieder aufzubauen.
Auf dieser Bildpostkarte aus den 1920er-Jahren ist auch die strahlenförmig konzipierte Anlage des alten Zellengefängnisses zu sehen, die zwischen 1984 und 1998 abgerissen und durch Neubauten ersetzt wurde.
Im östlich des Hauptgebäudes angrenzenden Bau befindet sich der Saal
600, Schauplatz des Hauptkriegsverbrecherprozesses 1945/46. Das zu
dieser Zeit entstandene Foto belegt die US-militärische Präsenz an der
Fürther Straße während der gesamten Dauer des Prozesses.
Die Angeklagten im Saal 600 während des Prozesses.
Der US-Armeefotograf Ray D’Addario dokumentierte nicht nur den Prozess im Saal 600, er fotografierte auch den Gerichtsalltag und, wie auf
dieser seltenen Farbaufnahme zu sehen, den Trakt des Zellengefängnisses, in dem die Angeklagten des Hauptkriegsverbrecherprozesses
inhaftiert waren. Um Selbstmordversuche der Insassen zu verhindern,
war vor jeder Zelle Einzelbewachung postiert.
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32
DIE STRECKE DES ADLERS
Blick über den alten
Nürnberger Stadtteil
St. Johannis hinweg
in südwestliche
Richtung, aufgenommen in den
1880er-Jahren von
Ferdinand Schmidt.
Deutlich in der Ferne
zu erkennen, liegt
die von Pappeln
gesäumte Fürther
Straße, die nach dem
Zellengefängnis
(am linken Bildrand)
noch gänzlich unbebaut war.
mikrokosmos fürther straSSe
W
as einst als Pappelallee begann, die man, das Auge
schweifend über Wiesen, Felder und Weiler, hoch zu
Ross oder im offenen Landauer passieren konnte, mauserte sich in gut 200 Jahren zur stark frequentierten, pulsierenden
Verkehrsader. Beiderseits der breiten Großstadtstraße entstand ein
nonkonformistisches Neben-, Durch- und Miteinander, wie es kein
zweites in Nürnberg gibt. Ein „Mikrokosmos“ der, scheinbar autark,
ein eigenes Leben innerhalb des großen Ganzen führt. So gut wie
alles existentiell Wesentliche entwickelte sich hier mit einer, rückblickend betrachtet, erstaunlichen Vielfalt und Selbstverständlichkeit.
Schon um die Jahrhundertwende war die Bebauung der
Fürther Straße mit weiteren Wohnhäusern und Fabrikanlagen bis
jenseits der Kreuzung Maximilianstraße vorangekommen. Kaum einer von denen, die hier tagtäglich die Werkstore passierten, wohnte
in einer der vergleichsweise teuren, neuen Mietwohnungen. Die Arbeiterschaft, darunter viele, die aus ländlichen Gegenden zugezogen
waren in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft in der aufstrebenden
Stadt, wohnte in bescheidenen bis erbärmlichen Verhältnissen in
den angrenzenden Vierteln. Das Alltagsleben in der Fürther Straße, „ihrer“ Straße, bestimmten sie mit, neben und mit den direkten
Anwohnern. Allein das breit gefächerte Angebot an Vereinslokalen,
Kneipen, Cafés, Wirtshäusern und Restaurants lässt den Schluss zu,
dass hier ein vielschichtiges Publikum unterwegs war. So etwa auch
die Soldaten aus der Bataillonskaserne, die in Scharen jeden Abend
ihre Stammlokale bevölkerten. Der idyllische Rosenau-Park am einen Ende, wie auch das an der Eisenbahn gelegene Ausflugslokal
„Feldschlösschen“ am anderen Ende der Fürther Straße belegen, dass
für jeden Geschmack gesorgt war. Und man flanierte auf den breiten
Trottoirs, besah sich die Auslagen der vielen Geschäfte und verglich
die Angebote. Alles, was man zum täglichen Leben brauchte, war in
Hülle und Fülle vorhanden. Anwälte, Ärzte und Apotheker gingen
hier ihrer Arbeit ebenso nach wie Schneiderinnen, Schreiner oder
Fuhrleute. Nur einen Steinwurf vom Plärrer entfernt, erwartete das
Volksbad seine Badegäste, Lichtspielhäuser wurden eröffnet. Schulen
und Kirchen wurden gebaut, Gemeinden entwickelten sich. Der Bau
des Justizpalastes schloss nicht nur eine große Baulücke, er hob das
Ansehen der gesamten westlichen Vorstadt. Schon lange versorgte
Nürnbergs erstes Gaswerk in Plärrernähe auch die Fürther Straße
mit Licht, nun kam das erste Klärwerk an der Maximilianstraße
dazu, die Kanalisation wurde ausgebaut. Weitere Fabriken siedelten
sich an und schließlich zog auch das Volksfest an die Fürther Straße
und blieb, unterbrochen nur durch die Kriegsjahre, fester Bestandteil
derselben. Erst Anfang der 1950er-Jahre, als Gustav Schickedanz das
Gelände kaufte, war es damit vorbei. Dafür entstand an gleicher Stelle ein gigantisches Unternehmen und sorgte für neues Leben.
Die Fürther StraSSe hat im Lauf ihrer über 200-jährigen Geschichte vieles erlebt, wachsen und vergehen gesehen: den Aufbruch
ins industrielle Zeitalter, den Wandel zur Industriemetropole, Aufschwung und Niedergang bedeutender Unternehmen. Die massiven
Bombardierungen Nürnbergs im Zweiten Weltkrieg hinterließen
auch hier ihre Spuren. 20 Prozent der Gebäude waren zerstört, nur
10 Prozent blieben heil, der Rest war zum Teil erheblich beschädigt.
Knapp 40 Prozent davon wurde wieder aufgebaut. Nach und nach
schlossen sich die kriegsbedingten Lücken und veränderten das Straßenbild weiter. Ein nicht immer gelungenes Nebeneinander von Alt
und Neu entstand.
Strukturwandel, Migration und Multikultur, seit
den 1970er-Jahren aktuell und längst prägender Bestandteil der
Fürther Straße und ihrer nächsten Umgebung, haben ein lebendiges,
spannungs- wie facettenreiches Bild geschaffen. Ein Boulevard ist
bekanntlich nicht aus ihr geworden, obwohl sie, wie auf historischen
Fotografien der 1920er-Jahre erkennbar, durchaus das Zeug dazu
gehabt hätte. Vielmehr ist sie nun ein multikulturell-urbanes, temporeiches „Fließband“, das auf den ersten, schnellen Blick nicht zum
Verweilen einlädt. Ein zweiter Blick aber genügt und man entdeckt
ihr trotz der vielen alten und jüngeren „Narben“ ganz unverwechselbares, interessantes Gesicht. Vor kurzem erst ist eine neue Wunde,
eine, die noch lange Zeit nicht heilen wird, hinzugekommen – „Quelle“:
das Ende eines Imperiums und einer der unternehmerischen
Erfolgsstorys in Deutschland schlechthin.
R. F.
DIE STRECKE DES ADLERS
Der Gasthof „Alpenhütte“, heute „Kartoffel“, das älteste
noch vorhandene
Gebäude an der
Fürther Straße, aufgenommen in den
1940er-Jahren (links)
und 2009 (rechts).
Die Hausnummern
35–41, aufgenommen 1912 und 2009.
Blick in das nördliche Teilstück der Fürther Straße, aufgenommen 1929. Viele kleine Geschäfte, Passanten und
Fahrradfahrer bestimmen das lebhafte Straßenbild.
Die Fürther Straße gegen Osten, in Richtung Plärrer. Auch
hier, beiderseits der Straßenbahn, ein ähnlich belebtes Bild.
Ampeln brauchte man noch nicht, heutzutage − besonders
an der Fürther Straße − undenkbar!
Ein beliebtes Postkartenmotiv war dieser
Blick auf die Strecke der Ludwigsbahn, die
benachbarte Straßenbahn und die repräsentativen Bauten entlang der Fürther Straße, Höhe
Veit-Stoß-Anlage, um 1910.
Historische Bildpostkarten der evangelischen Dreieinigkeitskirche und der
katholischen Antoniuskirche, beide unweit der Fürther Straße gelegen.
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34
DIE STRECKE DES ADLERS
„Erst mal seh’n, was Quelle hat!“
Der elegant gestaltete Titel
des Herbst/Winter-Katalogs
1960/61 vermittelt jenen
„Hauch von Luxus“, den sich
die Quelle-Kundin leisten
wollte, im Zweifelsfall durch
Ratenkauf.
K
urz vor seinem 28. Geburtstag,
im Dezember 1922, gründete
der gelernte Kaufmann Gustav
Schickedanz seine erste eigene Firma
„Gustav Schickedanz Kurzwaren en
gros“ in Fürth. Er begann im Kleinen,
verkaufte Kurz-, Weiß- und Wollwaren
an den Einzelhandel in der Region und
lieferte selbst aus. Schon nach dem ersten Geschäftsjahr verzeichnete das junge Unternehmen ein Vermögen von rund 10000 Reichsmark. Nur vier Jahre nach Geschäftsgründung beschäftigte Schickedanz bereits fünf Angestellte, wenig später
folgte der Eintrag des neuen Firmennamens „Quelle“ ins Handelsregister – jener Name, der zum Inbegriff einer deutschen Erfolgsgeschichte werden sollte.
Auf die Idee, parallel zum Geschäft mit dem Großhandel auch
Privathaushalte zu beliefern, hatten ihn, wie er sich gern erinnerte,
Frauen aus der Nachbarschaft gebracht, die ohne den Umweg über
den Einzelhandel preiswert bei ihm bestellen und sozusagen „an
der Quelle“ kaufen wollten. Mitte der 1960er-Jahre veröffentlichte
der Pressedienst des Versandhauses eine Kurzchronik, in der diese Geschäftsphilosophie wie folgt beschrieben ist: „… Der Name
war glücklich gewählt: eine Quelle sprudelt, ihre Wasser sind rein
und klar wie es die Grundsätze waren, die Gustav Schickedanz seinem Unternehmen gab, sie mehren sich, sie werden zum Fluß und
schließlich zum Strom, der das Land durchzieht. Der junge Kaufmann war sich bewusst, dass ein glücklicher Name aber nur dann
etwas bedeutet, wenn sich mit diesem Namen eine ganz bestimmte
Vorstellung verbindet. Er ging darauf aus, ein Vertrauensverhältnis
zu schaffen zwischen der Familie, die in einem einsamen Dorf den
Katalog sorgfältig prüfte, und dem Unternehmen, das sich als ‚Quelle‘
anbot. Bei einem solchen Vertrauensverhältnis bildet sich eine andere Beziehung zwischen Kaufmann und Kunde heraus als bei so genannten ‚Laufkunden‘, also Käufern, die einmal bedient werden und
von denen der Kaufmann oft nie wieder hört. Und das ist vielleicht
das eigentliche Geschäftsgeheimnis der ‚Quelle‘, Der einmal gewonnene Kunde blieb, er wartete auf den Katalog und die ‚Quelle‘ auf
seine Bestellung. Es war aus dem Kunden der ‚Quelle‘ weitab von Fürth, ein
Freund des Hauses geworden, der mit
seinen Freunden wiederum, ganz aus
freien Stücken, von der ‚Quelle‘ sprach.
So ist es zu erklären, dass die Kartei der
Kunden 1936 die erste Million überschritt. Die Jahre zwischen 1927 und
1936 zeigten einen konsequenten Aufstieg des Hauses.“ Und so erklärt sich auch, dass nach etlichen, im
Lauf der Jahrzehnte wechselnden Quelle-Slogans im Jahr 1990 eben
dieses Vertrauensverhältnis zwischen Versand und Besteller mit dem
kürzesten und zugleich persönlichsten aller Slogans betont wurde:
„Meine Quelle“.
Gustav Schickedanz’ Geschäftsphilosophie und zugleich Erfolgsrezept seines Hauses lautete: „Vom kleinen Gewinn
zum großen Nutzen für möglichst viele Menschen.“ Die konsequent
durchgehaltene Handelsmaxime knapper Kalkulation in An- und
Verkauf rechnete sich für alle Beteiligten: für die Lieferanten, deren
Gewinnspanne zwar geringer war, die sich jedoch, solange Qualität
und Preis stimmten, konstante Aufträge sicherten, ebenso wie für die
Verbraucher, die auf stabile, erschwingliche Preise zählen konnten,
auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, etwa in der Weltwirtschaftskrise 1929 bis 1932. Quelle war in dieser Zeit gefragter denn je.
1934, knapp elf Jahre nach der Firmengründung beschäftigte Quelle,
nun das größte Wollgeschäft Deutschlands, bereits 500 Angestellte. 1938 betrug der Jahresumsatz 40 Millionen Mark. Im Zuge der
beginnenden „Arisierung“ der deutschen Wirtschaft erwarb Gus­
tav Schickedanz nun Produktionsstätten und eingeführte Marken,
die wesentlich zum Aufstieg des Unternehmens beitrugen, so zum
Beispiel schon 1935 die Vereinigten Papierwerke und deren Marke
„Tempo“, vormals im Besitz einer jüdischen Unternehmerfamilie.
Der zunehmend negativen Haltung der Nationalsozialisten
gegenüber Kaufhaus- und Versandhandelsgeschäften versuchte man
mit dem zweifelhaften Zusatz „rein arisches Unternehmen“ zu begegnen. Trotz guter Kontakte auf ministerialer Ebene, die es Quelle
DIE STRECKE DES ADLERS
Noch Mitte der 1950er-Jahre, wie hier im
Frühjahr/Sommer-Katalog 1956, finden sich
kolorierte Modezeichnungen im Wechsel mit
Schwarz/Weiß- und vereinzelt auch Farb-Fotografien. Die Kataloge werden umfangreicher
und aufwändiger in der Gestaltung.
Wollmusterkatalog des „Gross-Versandhauses
Quelle, Fürth i. Bayern“, um 1938
erlaubten, auch Lebensmittelmarken als Zahlungsmittel zu akzeptieren, legten die Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs den Handel
weitgehend lahm. Ein Bombenangriff im Herbst 1943 zerstörte große
Teile der Firmengebäude; in Ausweichquartieren arbeitete man in
bescheidenem Umfang weiter, bis zum Zusammenbruch 1945. Die
Firmenanlagen waren fast vollständig verloren, die wenigen noch bestehenden Lager geplündert, Firmenunterlagen und Vermögenswerte
beschlagnahmt. Gustav Schickedanz erhielt im Zuge der Entnazifizierung Berufsverbot, 1949 kehrte er in sein Unternehmen zurück.
1929 hatte Gustav Schickedanz bei einem Autounfall seine Frau, seinen kleinen Sohn und seinen Vater verloren. 1942 heiratete er ein
zweites Mal. Seine Frau Grete, seit 1927 im Unternehmen tätig, hatte
es, ob ihrer Tüchtigkeit und ihres Geschäftssinns in wenigen Jahren
vom damals 15-jährigen Lehrmädchen zur Leiterin des Einkaufs gebracht. Sie war es, die nach Kriegsende und während des Berufsverbots ihres Mannes ein kleines Textilgeschäft im nahen Hersbruck eröffnete, alte und neue Kontakte zu Lieferanten und Kunden aufbaute
und so den Grundstein für den Wiedereinstieg in den Versandhandel
legte. 1948 erzielte sie bereits einen Umsatz von 315 000 Mark.
Der Versandkatalog vom Frühjahr 1951 umfasste bescheidene 16 Seiten, acht Jahre später waren es bereits 272 (mehr als die
Hälfte davon farbig), wiederum sechs Jahre später erschien der Quelle-Katalog schon 582 Seiten stark mit rund 9 000 Artikeln/28 000
Positionen in einer Auflage von 6,2 Millionen Exemplaren. Das
Angebot umfasste nahezu alle Bereiche des täglichen Lebens, vom
Taschentuch bis zum Fertighaus. Mit Ausnahme des zuletzt genannten wurden die meisten Artikel durch den hauseigenen Versand in
alle Welt verschickt. 1965 verzeichnete Quelle den Versand von 19,5
Millionen Paketstücken, der Jahresumsatz betrug 1,9 Milliarden
DM. Das Unternehmen zählte international zu Spitzenzeiten 26 000
Beschäftigte und besaß mittlerweile 97 Verkaufsagenturen und 13
Kaufhäuser. Zweidrittel des Gesamtumsatzes aber wurden mit dem
Versandhandel erzielt – Post und Bahn erwirtschafteten allein mit
Quelle einen Betrag von 91 Millionen DM.
Dieser atemberaubenden Entwicklung war ein Kraftakt beachtlichen Ausmaßes vorangegangen: die komplette Neupla-
„In der Küche bunt beschürzt, macht immer frohe Laune“, so die
vollständige Überschrift des Angebots an Schürzen unterschiedlichster
Schnitte und Muster aus dem Herbst/Winter-Katalog 1958/59
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DIE STRECKE DES ADLERS
Die Quelle-Jahrbücher wurden als Aufmerksamkeit des Hauses an treue
Kunden verschickt. Neben Kalenderseiten, Gedichten und Kurzgeschichten informierten die Jahrbücher über besondere Quelle-Aktivitäten,
etwa Modenschauen, Pressespiegel, geschäftliche Neuigkeiten. Die Werbeseiten sollten sowohl die Produktvielfalt wie auch die Vorzüge des
Versandeinkaufs betonen und fielen, bunt und pfiffig gestaltet, sofort
ins Auge – hier einige Beispiele aus den späten 1950er-Jahren.
DIE STRECKE DES ADLERS
Jeder Katalog begrüßte den Kunden mit
einem Brief von Gustav Schickedanz. In der
Herbst/Winter-Ausgabe 1960/61 wurden voller Stolz auch die neuen Erweiterungsgebäude
auf dem rückwärtigen Areal und der „QuelleMarkt“, im Vordergrund, vorgestellt.
nung und -entwicklung des Versandsystems,
eine logistische Meisterleistung, die noch
Jahre später als „Wunderwerk“ bezeichnet
wurde. Auf dem ehemaligen Volksfestplatz an der Fürther Straße, Hausnummer
205–215, erstand Mitte der 1950er-Jahre ein
Neubau von beeindruckender Größe und
Ausdehnung für die Versandabteilung. Mit
180 Meter Fassadenlänge, 60 Meter Breite
und 24 in der Höhe setzte der moderne, klar
strukturierte Bau nicht nur architektonisch
deutliche Akzente – dem Unternehmen gelang damit der Sprung an die Spitze zu Europas größtem Versandhaus. Neubauten für
Hauptlager, Warenannahme und Auslieferung sowie neu entwickelte Großrechenanlagen wurden nötig, um der nach wie vor
steigenden Nachfrage verwaltungstechnisch
gerecht zu werden. 1960 eröffnete zudem
der „Quelle-Markt“ das erste Großkaufhaus
an der Fürther Straße.
Hinter der hellen Klinkerfassade
des Versand-Neubaus (noch heute nennen
altgediente Quelle-Mitarbeiter das Gebäude
so) sorgte nun ein perfekt organisiertes Betriebssystem für den reibungslosen Ablauf,
vom Eingang des Bestellscheins in der Poststelle bis zur Verladung des versandfertigen
Pakets. Vereinfacht dargestellt, wurden die
einzelnen Artikel der meist mehrteiligen
Bestellungen aus den jeweiligen Regallagern
durch elektronisch gesteuerte Paternoster
und Laufbänder transportiert, die wiederum
so synchronisiert waren, dass sie immer dort
anhielten, wo die passenden Sammelwannen, ebenfalls elektronisch gesteuert und
zugeführt, bereitstanden. Diese wurden weitergeleitet zu den nächsten Umladestationen
bis zur Endkontrolle und danach zur Verpackung in der Kartonage-Abteilung, um
dann Wiegeplatz und Verschließabteilung
zu durchlaufen, wo auch das Porto berechnet wurde. Der gesamte Durchlauf vom Ein-
gang der Bestellung bis zum Verladen eines
Pakets dauerte nicht länger als sechs Stunden: alles in allem ein bis ins Letzte durchdachtes, hocheffizientes Betriebssystem, das
über Jahrzehnte Maßstäbe setzte.
Mit Grete und Gustav Schickedanz
standen zwei Unternehmerpersönlichkeiten
an der Spitze, die nicht nur präsent geblieben waren, sondern auch erreichbar. Sie
fühlten sich den Mitarbeitern verpflichtet
und pflegten den Kontakt zu ihnen. Arbeitsbedingungen und soziale Leistungen im
Unternehmen galten als vorbildlich. Dazu
gehörten auch Sondervergütungen wie
Weihnachtsgratifikationen, Anwesenheitsförderungsprämien und Treueprämien in
Form vermögensbildender Anlagen. So war
es keine Ausnahme, dass ganze Familien,
zum Teil schon in zweiter und dritter Generation bei Quelle beschäftigt waren. Diese
gewissermaßen „familiäre“ Zugehörigkeit
wurde von der Firmenleitung begrüßt und
unterstützt. 50 Jahre nach Firmengründung,
im Jubiläumsjahr 1977, starb Gustav Schickedanz. Seine Witwe führte das Unternehmen in bewährter Form weiter, an ihrer Seite
die beiden Schwiegersöhne. Rückblickend betrachtet, war der Zenit fast erreicht, der Markt
für Konsumgüter zunehmend gesättigt.
Noch in den 1980er-Jahren zählte das
Unternehmen 156 Verkaufsstellen, 28 Kaufhäuser und Tochtergesellschaften im In- und
Ausland. Schon in den Sechzigerjahren erschlossene Terrains wie Quelle-Reisedienst,
Foto-Quelle, Quelle-Fertighaus, Quelle-Bausparen und -lebensversicherungen gehörten
dazu ebenso wie die Norisbank und eigene
Fabrikationsbetriebe. Wirtschaftshistoriker
begründen rückblickend den beginnenden
Niedergang des einstigen Erfolgsunternehmens mit Veränderungen der Absatzmärkte,
des Kaufverhaltens und gesellschaftlichen
Umbrüchen, auf die ein unbeweglicher Versandriese wie Quelle, der traditionsverhaftet
und in gewohnter „Verteilermentalität“ seine
Waren in entlegenste Winkel bringen wollte,
nicht in erforderlichem Maße reagiert hatte.
„In dem Bestreben, Kontinuität zu wahren,
verschläft die Führung gesellschaftliche und
ökonomische Veränderungen“, hieß es dazu
in der ZEIT vom 5.6.2003. Dabei schwächten
unrentabel gewordene Geschäftsbereiche den
Umsatz ebenso wie der kommende Konkurrent Internet als zügig expandierender Warenanbieter. Nach den beiden Verlustjahren
1984/85 schrieb Quelle aufgrund deutlicher
Umstrukturierungsmaßnahmen zunächst
wieder schwarze Zahlen und erlebte im Zuge
der Wiedervereinigung Deutschlands einen
beachtlichen Aufschwung. Hier griff noch
einmal das Prinzip des Universalanbieters,
die Käuferschaft in den neuen Bundesländern
reagierte geradezu euphorisch auf das „allumfassende“ Angebot im über 1 000 Seiten
starken Katalog. 1991, drei Jahre vor ihrem
Tod, investierte Grete Schickedanz noch
1 Milliarde DM in die Erschließung des neuen Marktes und den Bau eines hochmodernen
Versandzentrums in Leipzig, die Inbetriebnahme erlebte sie nicht mehr.
Auch die 1999 umgesetzte Fusion mit
Karstadt zu KarstadtQuelle, später Arcandor, mit der massive Sparmaßnahmen,
Stellenkürzungen und die Schließung von
Kaufhäusern, Verkaufsagenturen etc. einhergingen, brachte nicht den gewünschten
Erfolg. Wechselnde Managements versuchten das Unternehmen zu sanieren und
scheiterten, der Abwärtstrend war nicht
mehr aufzuhalten. Im Juni 2009, nach einer
langen Kette von Fehlentscheidungen kam
der vorläufige Schlusspunkt: Insolvenz – und
die Zusage eines 50 Millionen-Massekredits
als Soforthilfe. Die Zukunft von Quelle war
jedoch nicht mehr zu sichern. Ein Viel-
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DIE STRECKE DES ADLERS
Gustav und Grete Schickedanz in ihrem „Quelle-Markt“ an der Fürther Straße, in dem 60 000
Artikel angeboten wurden. „Ruhe vor dem Sturm“ hieß es zu diesem kurz vor der Eröffnung des
neuen Großkaufhauses entstandenen Foto in den „Nürnberger Nachrichten“.
Die Sammelwannen auf dem Weg zur Packerin. Von oben zugeführt, traf zeitgleich das
passende Verpackungsmaterial ein.
Der große Busparkplatz neben dem QuelleAreal. Auswärtige Arbeitnehmer wurden
täglich von und zu ihren bis zu 100 Kilometer
entfernten Wohnorten gebracht. Vor allem
in der Vorweihnachtszeit wurden tausende
Aushilfen benötigt. Die organisierte An- und
Rückfahrt in bequemen Reisebussen sowie
Einkaufsrabatte, auch für Aushilfskräfte, waren
für viele ausschlaggebend, die weite Entfernung zum Arbeitsplatz in Kauf zu nehmen.
In der Poststelle. Saugluft erleichterte das
Herausnehmen der Bestellscheine aus den
maschinell geöffneten Kuverts.
Letzte Station vor dem Versand. Hier wurden
die Pakete verschlossen, gewogen und
frankiert. Dann rollten sie weiter in Richtung
Auslieferung.
DIE STRECKE DES ADLERS
Der Neubau an der Fürther Straße, feierlich eröffnet am 24. März 1956,
erstreckte sich über eine Grundfläche von 11 000 qm und prägte in
seiner Modernität das Gesicht der Verkehrsader zwischen Nürnberg und
seiner Nachbarstadt Fürth wie kein anderes Gebäude zu dieser Zeit.
Im Jahr 1962 war das „Quelle-Universum“
komplett: Fertighäuser wurden ins Programm
aufgenommen. Zwei Jahre später war Quelle
das größte Versandhaus Europas. Werbeanzeige für ein modernes Eigenheim aus dem
Jahrbuch von 1966: vom Taschentuch bis
zum Haus, nun konnte alles aus einer „Quelle“
geschöpft werden.
faches dieser Summe wäre notwendig gewesen, so die Meinung von
Wirtschaftsexperten, um den Konzern zu einem konkurrenzfähigen
Wettbewerber umzubauen, der mit der nötigen Flexibilität auf wechselnde Trends, differenzierte Käuferschichten und ein überwiegend
vom Internetangebot bestimmtes Kaufverhalten reagieren kann.
Die Folgen sind gravierend, wie immer bei Pleiten dieser
Größenordnung, allem voran für die Beschäftigten, aber auch für
Tochterunternehmen, Vertragsfirmen und Zulieferbetriebe im Inund Ausland, für die Region, für Nürnberg und Fürth und nicht zuletzt auch für die unmittelbare Nachbarschaft an der Fürther Straße,
die in den letzten Jahrzehnten mehrfach Bekanntschaft gemacht hat
mit Betriebsschließungen, wirkungslosen Protesten der Betroffenen,
Arbeitslosigkeit. Bereits Anfang der 1990er-Jahre hatte es den Nachbarn des Quelle-Versands getroffen, das Traditionsunternehmen
Triumph Adler, und auch hier war es das bittere Ende einer echten
Fürther Straßen-Erfolgsstory …
R. F.
Aus dem 1966 letztmalig gedruckten Quelle-Jahrbuch: Der Quelle-Fachverkäufer erklärt der Kundin eine „Revue“, die Eigenmarke des Hauses
für Filme, Fotoapparate und Ferngläser.
Pfeiffer, Gerhard: Zur Geschichte der Nürnberg-Fürther Straße, in: „Fränkische Heimat. Beiträge zur fränkischen Heimat- und Volkskunde, Nürnberg 1958; Ortner, Peter:
„Wahrhaft modern: Leistung mit Leichtheit zu verbinden.“ Der Plärrer-Automat, in: Gostenhof. Geschichte eines Stadtteils, Nürnberg 2005; Lübbeke, Hans Wolfram: Denkmäler in Bayern. Mittelfranken, Bd. 5, München 1986; Schwarz, Helmut: Leder im Getriebe,
in: Aufriss 5. Die Fürther Straße. Centrum Industriekultur Nürnberg, 1985; 100 JAHRE
HERCULES. Ein Jahrhundert für zwei Räder, hg. von Hercules. Ein Unternehmen der
Fichtel & Sachs Gruppe, Nürnberg 1986; Schwarz, Helmut: Unter Wölffen, in: Aufriss
5. Die Fürther Straße. Centrum Industriekultur Nürnberg, 1985; „Die Geschichte des
Nürnberger Justizpalastes“. Redemanuskript des damaligen Präsidenten des Oberlandesgerichts Nürnberg, Dr. Maximilian Nüchterlein, anläßlich des Abschlusses des Wiedereinzugs der Justiz in das Justizgebäude Nürnberg am 2.5.1977
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DIE STRECKE DES ADLERS
Triumphale Zeiten
D
ie Gründung der „TriumphWerke“ verdankt sich einem ungewöhnlichen fränkisch-britischen
Doppelpass. 1884 ließ sich Siegfried Bettmann, Sohn eines Nürnberger Kaufmanns,
in London nieder. Der unternehmungslus­
tige 21-Jährige arbeitete zunächst in einem
Adressenverlag, verkaufte als Vertreter einer
amerikanischen Firma in Europa und Nord­
afrika Sämaschinen, sattelte aber bereits
1885 auf Fahrräder um. Das einstige „Hobby Horse“ spleeniger Reicher schickte sich
damals eben an, in Gestalt des Niederrads
ein Massenpublikum zu erobern. Bettmann
sah glänzende Aussichten für den Export
britischer Qualitätsfahrräder auf den europäischen Kontinent. Der zu erwartende Triumphzug des neuen Fortbewegungsmittels
regte ihn dazu an, seine zunächst aus Birmingham bezogenen Fahrräder unter dem
Namen Triumph anzubieten, eine Markenbezeichnung, die in Englisch, Deutsch und
Französisch einen gleichermaßen leicht verständlichen Wohlklang besitzt.
Die Geschäfte gingen bald so gut für
den jungen fränkischen Unternehmer, dass
er 1887 zusammen mit dem ebenfalls aus
Deutschland stammenden Techniker Moritz Schulte die „Triumph Cycle Company“
gründete. Wenig später wagte Bettmann den
Schritt vom reinen Handel zur Produktion
und verlegte den Firmensitz nach Coventry,
ins Herz der englischen Fahrradindustrie.
Mit Einlagen britischer Finanziers begann
Triumph dort 1889 in einer kleinen Fabrik
mit der Herstellung eigener Fahrräder. Getragen von einer ungeheuren Radl-Euphorie, expandierte das junge Unternehmen
rasch. 1896 schien Bettmann der Zeitpunkt
gekommen, den (Triumph)-Bogen von den
englischen Midlands ins heimische Franken-
land zu schlagen. Mit dem Geld Nürnberger
und Fürther Kommerzienräte wurde am 15.
Juli diesen Jahres unter Führung des Bankhauses „Josef Kohn & Söhne“ die „Deutsche
Triumph Fahrradwerke AG“ gegründet.
Die Wahl Nürnbergs als Sitz des Tochterunternehmens verdankte sich neben den
persönlichen Beziehungen Bettmanns zur
Geschäftswelt seiner Heimatstadt auch der
Tatsache, dass die fränkische Industriemetropole – hierin durchaus Coventry vergleichbar – zu einer Hochburg der deutschen
Fahrradproduktion geworden war. Während
auf der grünen Wiese an der Fürther Straße
ein moderner Fabrikbau entstand, stellten
die ersten Triumph-Mitarbeiter ab Oktober
1896 in gemieteten Räumen in der Hadermühle die notwendigen Spezialmaschinen
und Werkzeuge her. Mit einer Belegschaft
von etwa 60 Mann wurde im Januar 1897 der
Neubau an der Fürther Straße/Ecke Regerstraße bezogen. Nach kurzer Zeit lag die tägliche Produktion bei 30 bis 35 Fahrrädern.
Als Reaktion auf die Fahrradkrise
1898/99 suchte und fand man bald weitere
Produkte. So verdrängten Bettgestelle aus
Messing und patentierte Drahtmatratzen
die Fahrräder aus den Nürnberger Werkshallen, während man sich in Coventry auf
Motorradproduktion umstellte. Bettmann
und sein Kompagnon Schulte hatten schon
in den neunziger Jahren die Entwicklung
auf diesem Gebiet verfolgt und überlegt,
Lizenzen der Münchner Motorradpioniere
„Hildebrand & Wolfmüller“ zu erwerben.
Doch erst als im Zuge der großen Fahrradkrise englische Firmen wie „Ariel“, „Excelsior“ oder „Matchless“ Motorräder herzustellen begannen und die Finanziers der
„Dunlop“-Reifen bei Triumph einstiegen,
schien die Zeit reif für die eigene Produktion
knatternder Varianten der bewährten Drahtesel. Mit einjähriger Verzögerung nahm das
Nürnberger Tochterunternehmen die Motorfahrradproduktion nach englischem Vorbild auf.
Motorradfahren war zu jener Zeit
noch das Privileg einiger begüterter Sportbegeisterter, die sich nach dem Wandel des
Fahrrads vom „Hobby Horse“ zum alltäglichen Fortbewegungsmittel ein neues exklusives Steckenpferd suchten. Erste Erfolge
In der Werbebroschüre aus dem Jahr 1911
stellte Triumph stolz das neue Werk vor. Linkerhand der Fassade ist die Fahrrad-Testbahn
zu erkennen, im Vordergrund dampft die
Ludwigsbahn vorbei.
DIE STRECKE DES ADLERS
Zeitungsanzeige der Triumph-Werke von 1913 mit dem Hinweis auf den neuesten Katalog.
von Triumph-Motorrädern bei Rennen und
Fernfahrten blieben zwar nicht aus, doch
der Abnehmerkreis vergrößerte sich kaum.
Höchstens vier Motorzweiräder pro Tag verließen die Nürnberger Werkshallen, sodass
bereits 1907 die unrentable Fertigung von
Motorzweirädern im Werk an der Fürther
Straße wieder eingestellt wurde.
1909 ergab sich für die vorsichtig wirtschaftenden Nürnberger Manager eine gute
Gelegenheit, ihr Unternehmen in einem
neuen Wachstumsmarkt zu etablieren: Sie
erwarben die in Konkurs gegangene Nürnberger Schreibmaschinenfabrik „Kürth &
Riegelmann“ mit der Marke „Norica“ und
bauten unter der Leitung des ehemaligen
Teilhabers Carl Riegelmann eine eigene
Schreibmaschinenabteilung auf. Im Gefolge
dieser Neustrukturierung wurde die Firma
1911 in „Triumph Werke Nürnberg AG“
umbenannt. Mehrere Gründe mögen für
den Schritt in die Bürowelt ausschlaggebend
gewesen sein. Der Fahrradabsatz unterlag
starken saisonalen Schwankungen. Während der Wintermonate sank die Auslastung
der Fabrikationsanlagen rapide, die Schreibmaschinenherstellung kannte diese jahreszeitlich bedingten Schwierigkeiten hingegen
nicht. Während des ganzen Jahres bestand
ein gleich bleibend großer Bedarf an den
mittlerweile weitgehend ausgereiften Maschinen; die maschinenschriftliche Korrespondenz gehörte damals bereits zum guten
Geschäftston. Aber es gab auch ein gewichtiges technisches Argument: Der Herstellungsprozess von Fahrrädern und Schreibmaschinen wies etliche Parallelen auf, beide
Erzeugnisse waren nahezu ausschließlich
Ganzmetallprodukte hoher Präzision. Zu ihrer Fabrikation benötigte man eine gut ausgestattete Gießerei, Pressen, Stanzen, Bohr-
maschinen, Metalldrehbänke und Fräsen.
Mit Kriegsausbruch 1914 waren allerdings
weder Fahrräder noch Schreibmaschinen
besonders gefragt. Stattdessen arbeitete man
an der Fürther Straße nun vor allem für den
erhofften „Triumph der Waffen“, der sich
jedoch entgegen den allerhöchst geschürten Erwartungen nicht einstellen sollte. Der
Gewinn bringende Zynismus der Kriegsproduktion zeigte sich auch bei Triumph in
vollem Maße: Die Fabrik lieferte Munition
und Artilleriezünder an die Front, verdiente
aber auch recht gut an Feldbettstellen, Operationstischen und Lazarettbetten für die
zerschossenen Opfer der endlosen Grabenkämpfe. Neue Werkshallen entstanden, die
Produktion wurde auf elektrischen Antrieb
umgestellt, die Maschinen ruhten auch während der Nacht nicht mehr.
Nach Kriegsende kehrten die Nürnberger Triumph-Werke mit ihrer bescheiden-liebevoll „Knirps“ genannten
2-PS-Zweitakt-Maschine in die Motorwelt
zurück. Sie war im Wesentlichen ein Nachbau der bewährten „Triumph-Junior“, die in
England seit 1914 auf dem Markt war. Der
Zeitpunkt für das Erscheinen der „Knirps“
im Jahr 1919 war günstig, denn entgegen
mancher Erwartung hatte sich der Automobilmarkt noch nicht so weit entwickelt, dass
Autos für breitere Käuferkreise erschwinglich gewesen wären.
Ungeachtet der Inflationskrise
erfuhr das Triumph-Werksgelände bis Mitte
der Zwanzigerjahre in allen Geschäftsbereichen eine erhebliche Erweiterung. Die
Errichtung eines lang gezogenen Motorradbaus parallel zur Fürther Straße zeigte
1922, dass man bei Triumph angesichts des
allgemeinen Motorisierungsschubs nun in
großem Maßstab in die Kraftradherstellung
einsteigen wollte. Der Erfolg gab der Firmenleitung unter Generaldirektor Carl Schwemmer durchaus Recht: Zwischen 1923/24 und
1928/29 stieg die Jahresproduktion von 1600
auf 13 500 Motorräder! Im selben Zeitraum
nahm das Fahrradgeschäft deutlich ab: Die
Zahl der jährlich hergestellten Fahrräder
ging von 22 000 auf 16 800 zurück. Unter den
Zweirädern schien eindeutig dem Motorrad
die Zukunft zu gehören.
Die 1929 einsetzende Weltwirtschaftskrise fügte jedoch der expandierenden Motorradbranche erhebliche Absatzeinbrüche
zu. Auch bei Triumph ging die Produktion
rapide zurück: 1931/32 wurden nur noch
2600 Maschinen gebaut, ein Fünftel der bisherigen Rekordziffern. Die Zahl der Beschäftigten sank dementsprechend von 1 600 auf
1 000. Das Schwergewicht der Produktion
verlagerte sich nun wieder auf den Bau der
billigeren Krafträder bis 200 ccm Hubraum.
In dieser schwierigen Situation bewahrte
die immer noch gut laufende Schreibmaschinenproduktion das Unternehmen vor
größerem Schaden. Ab 1933/34 schrieb der
Betrieb auch im Fahrzeugbereich wieder
schwarze Zahlen. Die Mitarbeiterzahlen
stiegen bis 1939 auf 1 800 Beschäftigte an,
große Neubauten wuchsen an der Fürther
Straße empor. Mit 15 Millionen Reichsmark
Umsatz – mehr als die Hälfte hiervon entfielen auf den Fahrzeugbereich – erzielten die
Triumph-Werke im letzten Friedensjahr sogar ein neues Rekordergebnis. Wie schon im
Ersten Weltkrieg wurde das Unternehmen
ab September 1939 voll in die Kriegswirtschaft einbezogen. Neben Militärmaschinen
stellten die Triumph-Werke hauptsächlich
Munition und Schiffsteile für die Marine
her. 1942 musste die Schreibmaschinenfer-
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DIE STRECKE DES ADLERS
Triumph-Präsentation 1932: Die linke der drei Maschinen im Vordergrund ist eine der seltenen Triumph-Schönheiten vom Typ ‚200 K’ aus
dem „vergessenen“ Kellerraum bei Triumph-Adler, die heute im Nürnberger Motorradmuseum bewundert werden können.
Während der Fahrer seine Zweitaktmaschine mit Öl
versorgt, strahlt die Dame, ganz im Flair der Zwanzigerjahre – eine Fahrt in diesem Outfit, wie sie das Plakat der
Triumph-Werke von 1928 zeigt, ist allerdings nur schwer
vorstellbar.
Luftaufnahme der Nürnberger Triumph-Werke an der Fürther Straße aus
den 1950er-Jahren.
Ganz im Sinne des Fortschritts: Triumph-Schreibmaschinen-Werbung,
um 1930.
Werbeblatt für die Triumph-Matura aus den 1950er-Jahren, die „Königin der Schreibmaschinen“ ihrer
Zeit. Mit dieser Neuentwicklung
im Bereich Büroschreibmaschinen
gelang Triumph ein internationaler Verkaufsschlager.
DIE STRECKE DES ADLERS
Blick auf das TA-Mittelstandszentrum 2009
tigung für den zivilen Markt eingestellt werden. Mehr und mehr Stammarbeiter wurden
zum Kriegsdienst eingezogen, Frauen und
zahlreiche Zwangsarbeiter ersetzten sie.
1943 wurde das Werk zweimal von Fliegerbomben getroffen. Bei der Einnahme Nürnbergs 1945 geriet das Werk zeitweise unter
den Artilleriebeschuss der vorrückenden
amerikanischen Truppen. Doch bereits wenige Wochen nach Kriegsende wurde mit einer Belegschaft von 220 Personen die Arbeit
wieder aufgenommen. Trümmer wurden
beseitigt, Maschinen repariert und alte Verbindungen zu Rohstoff- und Teilelieferanten
neu geknüpft. Wie jeder Betrieb mussten
auch die Triumph-Werke angesichts von
Materialknappheit, Energiemangel, Bezugsscheinsystem und Geldentwertung stark improvisieren, bis 1948 die Währungsreform
die Grundlage für die Wiederaufnahme der
Motorradfertigung schuf.
Im Zeichen wachsenden Wohlstands
erlebte die Motorradbranche zu Beginn
der Fünfzigerjahre einen ungeheuren Aufschwung. Neue Werkshallen entstanden an
der Fürther Straße, die Belegschaft wuchs
auf knapp 3 000 Personen an. Mitte der
1950er-Jahre blies jedoch auch dem erfolgsverwöhnten Löwen des Triumph-Wappens
ein scharfer Gegenwind ins Gesicht. Die Triumph-Produktion hatte ihren Schwerpunkt
auf mittelschweren Motorradtypen; der auf
die wachsende Konsumkraft und die modischen Bedürfnisse einer neuen Generation
motorbegeisterter Jugendlicher zugeschnittene Moped- und Motorrollersektor war
hingegen vernachlässigt worden. An diesen
immer noch expandierenden Markt suchte
man nun Anschluss zu finden. In Zusammenarbeit mit „Hercules“ und „Zündapp“
stellte Triumph 1953 unter dem traditionsreichen Namen „Knirps“ erstmals auch ein
Moped vor. Zum Preis von 548 Mark fand
dieses mit dem Zündapp-Motor, später mit
einem Fichtel & Sachs-Aggregat ausgestattete Gefährt zwar zahlreiche Käufer, doch erfüllten sich die hochgespannten Verkaufserwartungen insgesamt nicht. Wenig besser
erging es den Nachfolgemodellen „Fips“ und
„Sportfips“, deren „lustiges Schnurren“, wie
es die Werbung anpries, die trübe Stimmung
an der Fürther Straße nicht aufheitern konnte. Hatte Triumph im Erfolgsjahr 1953 noch
20 000 Motorräder auf die Straßen bringen
können, so fielen die Verkaufszahlen 1955
auf 8 000 und nur noch 2 200 im darauf
folgenden Jahr. In einem letzten Versuch,
die Motorradflaute zu überstehen, ging Triumph im Oktober 1956 mit den ebenfalls
krisengeschüttelten Konkurrenten „Adler“
und „Hercules“ eine Verkaufsgemeinschaft
ein. Doch auch diese Notmaßnahme konnte
das Ende nicht mehr aufhalten.
Ein Nürnberger Kaufmann, Siegfried Bettmann, hatte 1887 im fernen Coventry die „Triumph-Werke“ aus der Taufe gehoben. Siebzig Jahre später trug ein
Fürther Industrieller, der Radio-Pionier
Max Grundig, die Nürnberger Motorradlegende „Triumph“ zu Grabe. Im Januar
1957 übernahm er die Triumph-Werke, im
September wurde die Zweiradproduktion
endgültig eingestellt. Grundigs Interesse galt
ausschließlich der Büromaschinenfertigung,
Motorräder ließen ihn kalt – während der
zwölfjährigen Zugehörigkeit des Unternehmens zu seinem Konzern soll er die Werks­
hallen an der Fürther Straße nur zweimal
betreten haben: das erste Mal, um der Belegschaft zu verkünden, dass in Zukunft nur
noch Büromaschinen produziert werden
sollten; das zweite Mal, um zu kontrollieren, ob seine Order auch eingehalten wurde.
Als er in einer Fabrikhalle ein nagelneues
Motorrad sah, schenkte er es wutentbrannt
dem nächstbesten Arbeiter mit der Auflage,
es ihm sofort aus den Augen zu schaffen.
Ob wahr oder unwahr – diese Geschichte
illustriert eine in der Fortschrittseuphorie
der Fünfzigerjahre weit verbreitete Haltung,
die in Motorrädern nichts als Relikte vergangener Zeiten sah, reif für die Schrotthalden der Verkehrsgeschichte …
Helmut schwarz
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DIE STRECKE DES ADLERS
Motorrad-Legenden. Nürnberg 1994
schlafende schönheiten:
Triumph-Adler
E
twas hatte er jedoch übersehen,
Max Grundig, einen kleinen Raum
im Untergeschoss des weitläufigen
Firmenareals, der einst der Schulung von
Triumph-Motorradhändlern und Vertretern
diente. Die Tür blieb über Jahrzehnte verschlossen und der Kellerraum geriet in Vergessenheit – doch dazu später mehr.
Max Grundig hatte also die Triumph
Werke an der Fürther Straße gekauft und
sie mit den Frankfurter Adler-Werken, an
denen er beteiligt war, fusioniert. TriumphAdler produzierte fortan ausschließlich Büromaschinen.
Ende der 1960er-Jahre stieg Max Grundig
in das Geschäft mit Farbfernsehern ein und
verkaufte den erfolgreichen Büromaschinenhersteller TA an den US-Konzern Litton.
1979 kam TA zurück nach Deutschland und
gehörte nun zum Volkswagenkonzern. Inzwischen umbenannt in TA AG wurde TA
im Jahr 1986 vom italienischen Büromaschinenhersteller Olivetti übernommen. Zehn
Jahre später verkaufte man den bekannten
Markennamen, die Mitarbeiter wurden allesamt entlassen. Nur ein kleiner Teil, die TA
AG, die von einem Aktionärskonsortium
bereits 1994 ausgegliedert worden war, besteht als Mittelstandsholding und Spezialist
für die Optimierung digitaler Bürokommunikation bis heute.
Das riesige Triumph-Fabrikareal allerdings
war bald geräumt und sollte einer neuen Nutzung zugeführt werden. Und hier
kommt der oben erwähnte Kellerraum
wieder ins Spiel: Auf der Suche nach firmenhistorischen Dokumenten, vor allem
aber nach alten Triumph-Motorrädern recherchierten Mitarbeiter des Nürnberger
Museums Industriekultur bei Triumph. Einige altgediente „Triumphler“ erwähnten
dabei hinter vorgehaltener Hand jenen
stets verschlossenen Kellerraum, für den es
sogar noch einen Schlüssel gab. Der Raum
entpuppte sich als Traum jedes „Museumsmenschen“: Für Händlerschulungen hatte
man die wichtigsten Triumph-Motorräder
als Schnittmodelle angefertigt – und alle
waren noch da! Die legendären TriumphZweitakter der 1930er- und 1950er-Jahre
waren dann rasch verladen und wurden
unter Missachtung aller Kompetenzen, unterstützt von ehemaligen TA-Mitarbeitern,
in die Ausstellung des Museums Industriekultur verbracht. Dies ging so lange gut bis
einige vom Olivetti-Vorstand auf das Thema
angesetzte italienische Sammler nach dem
Verbleib der Fahrzeuge zu suchen begannen. Die Motorräder waren bald gefunden,
schließlich wurden sie im Museum präsentiert. An der Rückgabe und damit an der
Übernahme durch die italienischen Sammler schien kein Weg mehr vorbei zu führen.
Der Olivetti-Vorstand drohte mit Zwangsmaßnahmen und da die Eigentumsverhältnisse unklar waren, war auch die Nürnberger Stadtspitze machtlos.
Just in diesen Wochen liefen die
Verkaufsverhandlungen bezüglich des TAGeländes, das ja einer neuen Verwendung
zugeführt werden sollte. Verhandlungspartner der Italiener war auf Nürnberger Seite
der erfahrene Immobilienspezialist Gerd
Schmelzer. Er war zugleich die letzte Hoffnung des Museums. Gerd Schmelzer hat
die historischen Motorräder kurzerhand
zum Bestandteil des anzukaufenden Areals erklärt und damit alle Widerstände im
Handstreich beseitigt. Ihm ist es zu verdanken, dass diese für die Nürnberger Zweiradgeschichte wichtigen Triumph-Motorräder
heute im Motorradmuseum bestaunt werden können.
Doch sein eigentliches Anliegen
war die neue Nutzung des großen Triumph-Areals. Auch das ist gelungen. Das
TA-Mittelstandszentrum bietet Raum für
fast 65 Unternehmen aus unterschiedlichen
Branchen, überwiegend mittelständische
Betriebe aus Dienstleistung und Handel. Zudem gibt es – und das trägt wesentlich bei
zum Erfolg dieses „Revitalisierungsmodells“
– eine Kindertagesstätte und kulturelle Einrichtungen, attraktive gastronomische Angebote und Einkaufsmöglichkeiten runden
das Bild ab, das sich heute dem Nutzer und
dem Besucher bietet. Das Konzept hat Vorbildcharakter für die Wiederbelebung von
Industriebrachen wie jenen von Quelle und
AEG an der Fürther Straße. Letzterem, dem
direkten Nachbarn des TA-Geländes wenden wir uns nun zu: den traditionsreichen
Nürnberger AEG-Hausgerätewerken.
M. M.
DIE STRECKE DES ADLERS
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Detailansicht des geschnittenen Nasenkolben-Zweitaktmotors der heute sehr
seltenen Triumph 200 K von 1934.
Blick auf den Doppelkolben-Zweitakter der Triumph Cornet von 1953. Die Doppelkolbentechnik, eine Spezialität von Triumph, war damals Hightech vom Feinsten.
Die SSK 350 war eine der schönsten Triumph-Sportmaschinen. Mit ihr verbinden
sich die Siege der einst sehr bekannten Rennfahrer Toni Fleischmann und Otto Ley.
Auch die Triumph BD 250 war eine Kreation von Otto Reitz. Die preisgünstige Maschine war gleichermaßen im Alltagseinsatz wie beim Zuverlässigkeitssport beliebt.
Die ungewöhnlichen Kühlrippen brachten ihr den Namen „Stachelschwein“ ein.
Die schnittige Kardanmaschine Triumph 200 K war eine Entwicklung des
legendären Zweiradkonstrukteurs Otto Reitz. Dem technisch anspruchsvollen
Motorrad war allerdings kein Markterfolg beschieden.
Die Boss war das letzte Flaggschiff von Triumph, bevor das Auto der Zweiradindustrie endgültig den Boden entzog und Max Grundig bei Triumph den
Bann über die letzten Zweiräder verhängte.
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DIE STRECKE DES ADLERS
AEG – Aus Erfahrung Gut ?
M
it der Glühlampe fing alles an.
Der Berliner Ingenieur Emil
Rathenau hatte auf einer Ausstellung die neueste Erfindung des Amerikaners
Thomas Alva Edison kennen gelernt, die
Glühlampe. Er erwarb die deutsche Lizenz
für die Edison-Patente und gründete in Berlin 1887 die „Allgemeine Elektrizitätsgesellschaft“, kurz AEG.
Fließbandfertigung in der AEGWaschmaschinenproduktion im
Jahr 1957. Auf diese so genannten Standard-Waschmaschinen
mit Wring-Aufsatz folgte ein Jahr
später der erste Waschautomat
„Lavamat“ mit drei zeitgesteuerten Waschprogrammen und
einem Schleudergang.
Die Nacht wurde zum Tag, das neue
elektrische Licht wurde mit großer Begeisterung aufgenommen. Elektrizitätswerke
schossen wie Pilze aus dem Boden. Fabriken, Wohnhäuser und öffentliche Gebäude wurden an das Stromnetz angeschlossen.
Da jedoch der Strom zur Beleuchtung nur
bei Dunkelheit benötigt wurde, waren die
Strom erzeugenden Maschinen der Kraft-
werke tagsüber nicht ausgelastet. Mit der
Elektrifizierung der Produktionsprozesse
und später auch der Haushalte sowie der öffentlichen Verkehrsmittel wurde dieses Problem jedoch behoben.
Es entstand ein boomender Wachstumsmarkt rund um die neue Energieform.
In den besser gestellten Haushalten gab es
DIE STRECKE DES ADLERS
Das AEG-Gebäude an der Fürther Straße im Jahr 1966.
neben dem elektrischen Licht bald auch elektrische Kochplatten, Bügeleisen, Heizgeräte,
Eierkocher, Teekessel und vieles mehr. Auch
in Nürnberg wurde diese Entwicklung rasch
erkannt: Der Bing-Haushaltswarenkonzern
gründete 1917 eine eigene Elektroabteilung
zur Herstellung von Kochplatten, Heizsonnen, Bügeleisen und Kleinmotoren, mit
denen Geräte wie Staubsauger oder Küchenmixer betrieben werden konnten. 1922 fusionierte Elektro-Bing mit der Berliner AEG,
die ihre Hausgeräteabteilung daraufhin nach
Nürnberg an die Fürther Straße verlegte. Die
rasch voranschreitende Elektrifizierung der
Haushalte bekam in den 1920er-Jahren sozusagen Stromstöße von zwei Seiten: Einerseits wollten die Anbieter elektrischer Geräte
den neuen Markt rasch erobern, auf der anderen Seite stand das Interesse der Stromkonzerne, die privaten Haushalte als Kunden
zu gewinnen. Mit großem Werbeaufwand
wurden Veranstaltungen wie „elektrische
Wochen“ oder „Lichtfeste“ inszeniert. Bei
der AEG mit über 1 000 Mitarbeitern war
längst die Fließbandfertigung eingeführt, als
in den 1930er-Jahren die deutschen Haushalte mit über einer Million Elektroherden
beglückt wurden. Weit höher noch lagen die
Zahlen der vielfältigen Elektrokleingeräte
im umfangreichen AEG-Produktsortiment.
Mit Kriegsbeginn hielt auch bei der AEG die
Rüstungsproduktion Einzug in die Werkshallen, die bisherige Produktion geriet in
Stillstand. Gegen Kriegsende wurden große
Teile der Fabrikanlage zerstört.
Die kargen Jahre des Wiederaufbaus
mündeten rasch in die als „Wirtschaftswunder“ bezeichnete Boomphase. 1950 entstand
in Frankfurt am Main die neue AEG-Unternehmenszentrale. Es waren nun nicht mehr
nur die wohlhabenden, sondern die Haushalte aller gesellschaftlichen Schichten, die
von der Fürther Straße aus in großen Schritten elektrifiziert wurden. Stromverbrauch
wurde quasi zum Maßstab für den Lebensstandard. Bald konnte sich jeder einen elektrischen Herd, einen Kühlschrank oder eine
Waschmaschine leisten.
Die AEG-Nürnberg beschäftigte gut
4 000 Mitarbeiter und war zur größten europäischen Fabrik für „Elektrowärmgeräte“
aufgestiegen. Diese Entwicklung fand ihren
Niederschlag auch in einigen Neubauten,
am markantesten das lang gestreckte Fünfzigerjahre-Fabrikgebäude entlang der Fürther
Straße.
Manche Innovation musste sich
erst gegen Widerstände durchsetzen, so die
„Lavamat“-Waschmaschine, die 1951 in
Nürnberg in Serie ging. Mit dieser Waschmaschine konnte auch in der Etagenwohnung gewaschen werden, sodass der
beschwerliche Gang zur Gemeinschafts-
waschmaschine im Keller entfiel, ebenso das
aufwändige Kochen der Wäsche in der Wohnung, das viele Vermieter wegen der starken
Dampfentwicklung ohnehin untersagten.
Und genau da lag das Problem: Die AEG
musste erst in einer umfangreichen Werbekampagne vermitteln, dass bei der neuen
Waschmaschine nur so viel Dampf entsteht
wie beim Kochen eines Eintopfgerichts. Als
sich diese Einsicht durchgesetzt hatte, wurde
die Waschmaschine das umsatzstärkste Produkt der AEG. Die millionenfach verkaufte
„Lavamat“ von AEG wurde, wie der Fernseher von Grundig, der Quelle-Katalog oder
der „Käfer“ von VW zum Symbol des deutschen Wirtschaftswunders. Die Beschäftigtenzahlen an den Fließbändern der AEG
an der Fürther Straße stiegen und stiegen,
später nur leicht gebremst durch die Einführung von Automatisierungstechniken in
einigen Bereichen.
Als in der Mitte der 1960er-Jahre die
räumlichen Erweiterungsmöglichkeiten an
der Fürther Straße erschöpft waren, wurde
die Fertigung von Elektroherden, Staubsaugern und verschiedenen Kleingeräten
verlegt. Später wanderten weitere Fertigungsbereiche in andere Städte ab, während die Hauptverwaltung und die Produktion von Wasch- und Spülmaschinen
vorläufig in Nürnberg blieben. Zu Beginn
der 1980er-Jahre brachte eine Reihe von
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DIE STRECKE DES ADLERS
Titelblatt einer Werbebroschüre für die
damals heiß begehrte „Lavamat“.
Fehlentscheidungen des Managements den
gesamten AEG-Konzern in eine gefährliche
wirtschaftliche Schieflage. Nicht zuletzt aufgrund zweistelliger Zuwachsraten aus der
Nürnberger Produktion und mit der finanziellen Potenz der Daimler Benz AG, inzwischen Eigentümerin der AEG, konnte diese
Krise gemeistert werden.
Nachdem das „Weltkonzern-Konzept“
von Daimler Benz gescheitert war, beschloss
die AEG-Konzernspitze in Frankfurt 1993
die Nürnberger Tochter für fast eine Milliarde DM komplett an den schwedischen
Elektrolux-Konzern zu verkaufen. Diese
aus Nürnberger Sicht „ferngesteuerte Entscheidung“ wurde damit begründet, dass
die Konkurrenz der großen Anbieter von
„weißer Ware“ (Hausgeräte) auf Dauer keine
Überlebenschance ließ, obwohl die AEGHaushaltsgeräte-Sparte, die Unternehmens­
perle in der Region, bei der Übernahme
mit Gewinn wirtschaftete. Drei Jahre später
kam der Schock an der Fürther Straße: Eine
Einsparungsoffensive mit der Bezeichnung
„Smart96“ sollte mit Einsparungen und
Personalabbau nach dem Rasenmäher-
Prinzip alle Elektrolux-Standorte effizienter
machen. Zwar schrieben die Nürnberger
nach wie vor schwarze Zahlen, blieben aber
nicht von Stellenstreichungen und Produktionsauslagerungen verschont. 1997 folgte
ein neues Paket mit so genannten Strukturmaßnahmen – diesmal traf es nur die
Nürnberger, andere Elektrolux-Töchter blieben ungeschoren. Begründungen waren die
Stärkung der Wettbewerbsposition und Steigerung des Aktienkurses. Und immer noch
schrieb man an der Fürther Straße schwarze
Zahlen und der Elektrolux-Konzern sicherte
sich die Dienste der Nürnberger AEG samt
dem Slogan „Aus Erfahrung Gut“. Der Elektrolux-Chef Hans Straberg spielte auf Zeit.
Am 12. Dezember 2005 platzte dann die
Bombe: Der Aufsichtsrat von Elektrolux entschied, das AEG-Werk an der Fürther Straße mit 1700 Beschäftigten zu schließen und
die Produktion von Waschmaschinen und
Geschirrspülern nach Polen und Italien zu
verlegen. Gegen die Umsetzung dieses Beschlusses wehrten sich die AEG-Mitarbeiter
mit mächtigen Kundgebungen, Streiks und
Demonstrationen. Getragen von breiter Solidarität der Nürnberger Bevölkerung, stand
das Thema AEG nochmals im Mittelpunkt
bundesweiten Medieninteresses.
Gewerkschaftlich organisiert, erkämpften
Belegschaften und Betriebsrat tragfähige Sozialpläne. Anders als später bei der QuelleInsolvenz hatte man mit Hans Straberg ein
echtes Feindbild, das man für solidarische
Aktionen mobilisieren konnte. Weniger im
Blick der Öffentlichkeit stand dagegen die
Tatsache, dass Straberg nur ein Rad im Getriebe des internationalen Finanz- und Firmenimperiums der einflussreichen schwedischen Wallenberg-Dynastie war.
So wurden das Ende von AEG und
die Verlagerung aller Fabrikarbeitsplätze in
Billiglohnländer zum Lehrstück für die Gesetzmäßigkeit globalisierter Märkte. Mehr
als 700 überwiegend höher qualifizierte
Mitarbeiter aus Verwaltung, Entwicklung,
Werbung und Öffentlichkeitsarbeit konnten
im Großkonzern weiterarbeiten. Der Slogan
„Aus Erfahrung Gut“ wurde umgedichtet in:
„Ausverkauf Einer Gesellschaft“. Der Verlust
vorwiegend gering qualifizierter Arbeitsplätze ist symptomatisch für den tief greifenden
DIE STRECKE DES ADLERS
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Werbeprospekte der 1960er-Jahre für elektrische „Haushaltshelfer“,
darunter auch ein echter Klassiker, der verchromte AEG-Haartrockner.
Strukturwandel, der den Weg Nürnbergs von
einer Stadt der Schwerindustrie hin zum Mittelpunkt einer von Dienstleistung, Forschung,
Wirtschaft und Kommunikation geprägten
Metropolregion kennzeichnet. Dieser Strukturwandel ist allerdings kein einseitiger Prozess des wirtschaftlichen Niedergangs und
Verlustes von Arbeitsplätzen. Vielmehr hält
sich die Zahl der verlorenen Arbeitsplätze
durchaus die Waage mit den im Zuge dieses
Wandels neu hinzugekommenen. Und eben
diese Entwicklung lässt sich auch am „Mikrokosmos“ Fürther Straße aufzeigen.
„Auf AEG“ heiSSt das Projekt einer
Berliner Immobiliengesellschaft zur Neubelebung des über 160 000 qm großen
Fabrikareals. 60 Millionen Euro sollen
investiert werden, ein Teilbereich wurde
bereits saniert. Hier betreibt Elektrolux
seine Deutschland-Zentrale mit rund 700
Mitarbeitern. In einem anderen Gebäude
hat Siemens Teile seiner Transformatorenfertigung untergebracht. Nach den Plänen
des Nürnberger Architekten Jürgen Bisch
verbleibt ein U-förmiger, mehrgeschossiger
Gebäudebestand. Flachbauten werden groß-
teils entfernt, was Innenhöfe und Parkplätze
schafft. Die 400 Meter lange Gebäudefront
an der Fürther Straße soll mit Showrooms
und Präsentationsflächen des Einzelhandels
versehen werden. Ziel des Projekts ist eine
Mischform aus Büro, Gewerbe, Groß- und
Einzelhandel, Wohnen, Gastronomie, Kunst
und Kultur. Im ehemaligen Pförtnerhaus hat
sich zwar bereits ein Café etabliert und in
den riesigen ehemaligen Produktionshallen
blühen die ersten kulturellen Pflanzen, insgesamt allerdings dominiert noch Leerstand
das Bild. Die Chancen, dass sich dies auf absehbare Zeit ändert, sind durch die QuellePleite nicht gewachsen.
Doch gehen wir vom Ende der eins­
tigen „Achse der Industrialisierung“ entlang der Fürther Straße noch einmal weit
zurück bis zu der Stelle, an der nördliche
und südliche Fürther Straße zusammentreffen. Unweit davon befindet sich heute
die DATEV, entstanden im Zuge des strukturellen Wandels und gewachsen auf den
Grundmauern ehemaliger Nürnberger Industriebetriebe.
M. M.
Leerstand und Verlassenheit so weit das Auge reicht:
die lang gezogene AEG-Fassade im Jahr 2009.
50
DIE STRECKE DES ADLERS
Schrauben – Spielzeug – Daten
Die (Vor-)Geschichte der DATEV
W
ar es früher die industrielle
Herstellung materieller Güter,
die die Großunternehmen der
Metall-, Fahrzeug-, Spielzeug- oder Elektroindustrie entlang der Fürther Straße prägte,
so ist es heute, hier wie überall in der Met­
ropolregion und der ganzen westlichen
Welt, die Mehrwertschöpfung aus Ideen und
Kommunikationstechnologien. Die globalen
Netzwerke der Kommunikation übersteigen
längst den Wert herkömmlicher Produktionsanlagen und haben diese, zumindest in
Deutschland, in weiten Teilen abgelöst.
Noch in den 1960er-Jahren schienen die Großunternehmen die Herren der
Welt zu sein. Nur sie verfügten über das
Kapital für den Einsatz von Großrechnern
und damit über die wirtschaftliche Macht.
Der Mittelstand hingegen, der die deutsche
Wirtschaft insgesamt mehr oder weniger
dominierte und noch heute prägt, erschien
ohne Chancen. Die Gründung der DATEV
im Jahr 1966 erwies sich als erfolgreiches
Modell, das eben diesem Mittelstand ganz
neue Möglichkeiten eröffnete. Nun war auch
für kleine und mittlere Betriebe der Zugriff
auf Techniken möglich, deren ökonomische
Vorteile bisher nur die Großindustrie hatte
nutzen können. Grundlage für diesen grundlegenden Wandel war das genossenschaftliche Prinzip der „Hilfe zur Selbsthilfe“.
Heute ist die DATEV ein global tätiges Softwarehaus und ein IT-Dienstleister
für Steuerberater, Rechtsanwälte und Wirtschaftsprüfer. Sie beschäftigt 5 700 Mitarbeiter und erzielt einen Jahresumsatz von
über 670 Millionen Euro. Gegründet wurde
die DATEV 1966 in Nürnberg als genossenschaftliche Organisation von Steuerbevollmächtigten. Den Anstoß dafür gaben
für den Initiator, den Nürnberger Steuerbevollmächtigten Heinz Seliger, der Arbeitskräftemangel der Wirtschaftswunderjahre
und die geplante Einführung der Mehrwertsteuer. Mithilfe der DATEV sollten für die
zumeist mittelständischen „Genossen“ die
neuen Einsatzmöglichkeiten der EDV erschlossen werden. 1968 verlegte die DATEV
ihren Sitz an die Fürther Straße und mietete Räume im ehemaligen Fabrikgebäude
der „Nürnberger Schraubenfabrik“ (NSF).
Hier, an der Fürther Straße 101, hatte seit
1889 die „älteste und größte Fabrik dieser
Branche in ganz Bayern“ ihren Sitz, wie eine
Firmenschrift der „Nürnberger Schraube“
betont. Die Rüstungsproduktion im Ersten
Weltkrieg hatte für einen erneuten Wachstumsschub gesorgt, eine Niederlassung in
Berlin wurde eingerichtet. In Nürnberg kam
zur Herstellung von Schrauben und Kleinteilen aller Art die Fertigung mechanischtechnischer Radioteile und Komponenten.
Und als die NS-Machthaber ihr wichtigstes
Propagandamedium, den „Volksempfänger“, massenhaft zu produzieren begannen,
waren fast immer auch Komponenten aus
der Fürther Straße dabei – keine „GoebbelsSchnauze“ ohne NSF. Das Geschäft florierte.
Die jüdischen Eigentümer der NSF sollen
anfangs gezielt jüdische oder anderweitig
bei den Machthabern unliebsame Mitarbeiter beschäftigt und diesen damit gewissermaßen Schutz geboten haben, doch das
ging nicht lange gut. Bald sahen sich die
NSF-Inhaber Diskriminierungen und Bedrohungen durch die Nationalsozialisten
ausgesetzt. 1938 wurden sie gezwungen,
ihr Unternehmen an die Berliner Ludwig
Loewe & Co. A.G. zu verkaufen. 1941 fusionierte die zwischenzeitlich vollständig auf
Rüstungsproduktion umgestellte NSF mit
der AEG. 1945 wurde das Fabrikareal durch
alliierte Bomben schwer beschädigt. Nach
Kriegsende und Wiederaufbau konnte für
einige Jahre an die erfolgreiche Geschäftslage der Vorkriegszeit angeknüpft werden, bis
die Krise in der Nürnberger Metallindustrie
auch auf die NSF durchschlug. Die Gute
Hoffnung Hütte übernahm die NSF und verlagerte die Produktion nach Schwerte. 1968
mietete dann die DATEV erstmals Räume
in der ehemaligen Schraubenfabrik. Ständig
wachsender Raumbedarf führte 1976 zum
Erwerb des gesamten Gebäudekomplexes.
Aus der Schraubenfabrik wurde ein Rechenzentrum. Und dessen Expansion ging
weiter: 1969 wurde der erste eigene Großrechner feierlich in Betrieb genommen. Zuvor waren die von den DATEV-Mitgliedern
per Post eingesandten Lochstreifen bei der
IBM verarbeitet worden. 1974 löste schließlich das Magnetband die Lochstreifen als
Datenträger ab. Noch erfolgte die Daten­
übertragung über Fernsprechleitungen, zwei
Jahre später wurde ein eigenes bundesweites
Netz zur Datenfernübertragung eingerichtet. Am Ende des Jahrzehnts war das Areal
der ehemaligen Schraubenfabrik für die
rasch wachsende DATEV bereits wieder
zu klein geworden. Man richtete den Blick
nun auf die Gebäude der ehemaligen Spielwarenfabrik Schuco, schräg gegenüber an
der Fürther Straße. Auch hier soll ein Blick
in die Geschichte den strukturellen Wandel
beleuchten.
DIE STRECKE DES ADLERS
Ab Juni 1933, einen
Monat bevor das
Gerät auf den Markt
kam, wurde mit
diesem Plakat für
den Volksempfänger
in den Schaufenstern
geworben.
Das Firmenschild
mit dem bekannten
Schriftzug am
Schuco-Gebäude in
der Fürther Straße.
Sammler-Raritäten:
Der marschierende
„Automato“-Bär von
1914, ein kleiner
Blechflieger aus den
1930er-Jahren, das
berühmte Garagenauto und die
Servicestation, beide
1950er-Jahre.
Das Studio-Auto 1050 war
das meistverkaufte SchucoAuto überhaupt. Seit 1936
auf dem Markt, wurde
es über 40 Jahre hinweg
produziert.
51
52
DIE STRECKE DES ADLERS
Der Schuco-Neubau an der Fürther
Straße, aufgenommen 1953.
Nürnbergs Tradition als Spielzeugstadt reicht über Jahrhunderte zurück
bis in die Zeit, als sich in der Noris die alten Handelswege kreuzten, auf denen der
„Nürnberger Tand“ in alle Welt ging. Im
Verlauf der Industrialisierung entwickelte
sich Nürnberg dann zu einer Hochburg der
Spielwarenindustrie. Das Nürnberger Blechspielzeug eroberte in wenigen Jahrzehnten
den Weltmarkt. Der wohl bekannteste
Nürnberger Spielwarenhersteller war Schuco (Kurzbezeichnung aus Schreyer & Co.).
1912 gegründet vom Kaufmann Heinrich
Schreyer und dem Erfinder, Techniker und
Unternehmer Heinrich Müller, begann der
rasante Aufstieg von Schuco, beispielsweise
mit lauffähigen Figuren, die − passend zur
Zeit − militärische Bewegungen vollführen
konnten. Hinter all den vielen kreativen und
erfolgreichen Schuco-Spielzeugen steckte
der innovative „Kopf “ Heinrich Müller.
Nicht zuletzt dank seiner langjährigen Tätigkeit in den Bing-Werken kannte er die Erfordernisse der Branche ganz genau und entwickelte eine erfolgreiche Blechspielzeugfigur
nach der anderen.
Zahlreiche Nürnberger Spielwarenhersteller überlebten die Nachkriegsjahre
und wirtschaftlichen Krisen der 1920er-Jahre
nicht. Bei den stark exportorientierten Schuco-Werken verlief die Geschäftsentwicklung
dagegen fast explosionsartig. Akuter Raumnotstand führte so 1928 zum Erwerb einer
ehemaligen Schuhfabrik an der Fürther Straße 28−32.
Bald hielt das Auto Einzug in die Schuco-Spielzeugwelt. Das legendäre „Wendeauto“
überfuhr dank ausgeklügelter Technik nie die
Tischkante – und war mit dem Verkaufspreis
von nur einer Mark für jeden Geldbeutel erschwinglich. Entworfen nach dem Vorbild
des Mercedes Silberpfeil, war das steuerbare
„Fahrschul-Auto Schuco-Studio“ ein „hightec-Leckerbissen“, der noch heute die Sammler
elektrisiert. Auf fast 6 000 m² Produktionsfläche wurden an der Fürther Straße nun aus 101
Einzelteilen täglich 8 000 Silberpfeile zusammengebaut. Mit Kriegsausbruch 1938 kam die
Spielzeugfabrikation rasch zum Erliegen. Auch
bei Schuco wurden nun Handgranaten, Minen
und „kriegswichtige“ Kleinteile gefertigt.
Bald nach Kriegsende erreichte Schuco wieder eine marktbeherrschende Stellung
für technisches Spielzeug. 1952 wurde die Fabrik an der Fürther Straße um- und ausgebaut.
Dabei entstand das sechsstöckige Gebäude,
das mit seiner breiten Durchfahrt in der Mitte
und der mit viel Glas gestalteten Fassade das
Straßenbild an dieser Stelle noch heute prägt.
Seit dem Tod Heinrich Müllers
1958 fehlten bei Schuco innovative Neuentwicklungen ebenso wie kreatives Aufgreifen
neuer Trends. Um 1966 stellte man zwar auf
Plastikspielzeug und Zinkdruckguss um,
aber der alte Erfolg stellte sich nicht mehr
ein. Zehn Jahre später musste die Nürnberger
Traditionsfirma Konkurs anmelden. Viel zu
lange hatte man am Blechspielzeug festgehalten und den Siegeszug des Plastikspielzeugs
als vorübergehenden Trend fehlinterpretiert.
1978 wurde das Gebäude an der Fürther
Straße versteigert, die DATEV erhielt den
Zuschlag. Nach Plänen des Architekten Sepp
Ruf wurde nun aus der ehemaligen Spielzeugfabrik ein Bürogebäude, das bis heute gelegentlich als „Schuco-Gebäude“ bezeichnet
wird. Mitte der 1980er-Jahre wurden die Personalcomputer leistungsfähiger, DATEV baute die vorteilhafte Verbindung von zentralem
Rechenzentrum mit dezentralen PCs weiter
aus und blieb mit diesem Modell auf Erfolgskurs. Weitere Standorte in Nürnberg folgten
Das modernisierte, erweiterte DATEV-Gebäude 2009.
ebenso wie bundesweit fast 200 so genannte
Systemhäuser zur datentechnischen Betreuung der Genossenschaftsmitglieder vor Ort.
Im Jahr 2000 wurde der Zugang zum
Internet-Portal der DATEV freigegeben.
Damit verlagerte sich fast alles ins „worldwide-web“, womit die Problematik der Datensicherheit verstärkt in den Vordergrund
trat. Seit 2003 hat jeder „Genosse“ Internetzugang zum Rechenzentrum. Dabei gilt es,
die Daten nicht nur vor unbefugtem Zugriff
zu schützen, sondern auch die Speicherung
und die Archivierung der Datenmassen sind
große technische Herausforderungen: sensible Daten und zentrale Rechner in nahezu
sauerstofffreier Umgebung – da kann nun
wirklich nichts anbrennen. Um den Unternehmenserfolg zu sichern, versucht die
DATEV neue Geschäftsfelder zu erschließen. Eigene „Trend-Scouts“ gehen aktuellen
Entwicklungen in den unterschiedlichsten
gesellschaftlichen Bereichen nach. Auf diese
Weise sollen Entwicklungen frühzeitig erkannt werden, damit man mit den entsprechenden Produkten reagieren kann und immer vorne dabei ist.
M. m.
Alles elektrisch, 100 Jahre AEG Hausgeräte, Jubiläumsschrift AEG und Centrum Industriekultur, o. J.; Aufriss 5, Die Fürther Straße, Centrum
Industriekultur; DATEV-Chronik, 2005; Der Fall
AEG, Sonderbeilage der Nürnberger Nachrichten, 2006; Der AEG Streik in Nürnberg, hg. von
der IG-Metall, 2006; Nürnberger Geschichte
rund um die DATEV, Firmenchronik, o.J.; Vollmer, Raimund: Das Milliarden-Mandat – Die
Geschichte der DATEV, Frankfurt 1991
DIE STRECKE DES ADLERS
Beim Application Service Providing (ASP) kommen im Nürnberger Rechenzentrum der DATEV windows-basierte Server zum Einsatz. Als
Komplettlösung enthält DATEVasp Dienstleis­
tungen von der Bereitstellung der Server und
des Betriebssystems bis zum Management der
IT-Infrastruktur. Dazu gehören beispielsweise
Server- und Netz-Monitoring, die Wartung
und Administration der Server genauso wie
das Einspielen der Software-Updates und die
Datensicherung.
Dieser Roboter sichert Daten von Kunden,
die ihre Anwendungen im ASP von DATEV
betreiben lassen.
Abenddämmerung über der
Fürther Straße, aufgenommen
von der Dachterrasse des PlärrerHochhauses, 2009.
Am Großrechner im Rechenzentrum des Nürnberger IT-Dienstleisters laufen Daten von über
39 000 DATEV-Mitgliedskanzleien und deren
Mandanten zusammen. Unter anderem werden dort die Finanzbuchführungsdaten von
rund 2,5 Millionen der meist mittelständischen
Unternehmen in Deutschland verarbeitet und
gespeichert. Der Großteil der 9,5 Millionen
Lohn- und Gehaltsabrechnungen verlässt
jeden Monat das DATEV-Rechen-, Druck- und
Versandzentrum.
Im Application-Control-Center haben die
Mitarbeiter die Prozesse im DATEV-Rechenzentrum jederzeit sicher im Griff. Alle wichtigen
Informationen aus der Online- und Batchverarbeitung laufen dort auf einer Großbildtechnik zusammen, die jede Abweichung vom
Normalbetrieb umgehend anzeigt.
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eise n b a h n i n b a y er n
Eisenbahn in Bayern
Die Entwicklung des Hauptbahnnetzes 1835 bis 1880
D
ie 1835 eröffnete kurze Bahnstrecke Nürnberg—Fürth
gilt als Keimzelle des bayerischen und deutschen Eisenbahnnetzes. Mit ihr begann eine neue Epoche, das
„Eisenbahnzeitalter“. Die Eisenbahn verdrängte Fuhrwerke und
Kutschen bald von den wichtigsten Verkehrsrouten, weil sie die
herkömmlichen Verkehrsmittel an Schnelligkeit, Bequemlichkeit
und vor allem an Beförderungskapazität übertraf. Diese früh absehbare Entwicklung führte dazu, dass von staatlicher Seite schon
1836/37 grundlegende rechtliche Voraussetzungen für den Bahnbau größeren Stils geschaffen wurden. Die Regierung sicherte sich
die Möglichkeit der Einflussnahme auf die Streckenführung. Für
alle Bahnbauten wurden Auflagen wie etwa Genehmigung der Tarife und gleiche Spurweite festgesetzt. Das Enteignungsgesetz von
1837 ermöglichte die Zwangsenteignung von Grundstücken für
öffentliche Zwecke, wozu auch die „Errichtung von Eisenbahnen
zur Beförderung des inneren oder äußeren Handels und Verkehrs“
gehörte.
1843 Übergang zum Staatsbahnprinzip
Die erste längere bayerische Bahnstrecke von München nach Augs­
burg ging noch auf Privatinitiative zurück. Sie wurde von einer 1835
von Münchner und Augsburger Banken und Handelshäusern gegründeten Aktiengesellschaft gebaut und 1840 eröffnet. Im Jahr 1843
ging man in Bayern zum Staatsbahnprinzip über. Schon 1841 hatten
Bayern, Sachsen und Sachsen-Altenburg einen Vertrag über den Bau
einer grenzüberschreitenden Eisenbahn von Nürnberg über Bamberg und Hof nach Leipzig geschlossen.
1844 wurde als erste staatliche Strecke die Bahn Nürnberg—Erlangen—Forchheim—Bamberg eröffnet und die München-Augsburger
Bahn durch den Staat erworben. Ein Jahrzehnt später waren die Ludwigs-Nord-Süd-Bahn Hof—Neuenmarkt—Lichtenfels—Bamberg—
Nürnberg—Gunzenhausen—Nördlingen—Donauwörth—Augsburg—Buchloe—Kaufbeuren—Kempten—Immenstadt—Lindau
(1844–1853), die Ludwigs-West-Bahn Bamberg—Schweinfurt—
Würzburg—Gemünden—Aschaffenburg—Kahl (1852/54) mit Weiterführung nach Frankfurt und die Staatsbahnstrecke Augsburg—
Ulm (1853/54) fertig gestellt. 1854 wurden die Strecken München/
Pasing—Starnberg und München—Großhesselohe eröffnet. Die
Fortsetzung der Maximilians-Bahn von Großhesselohe über Deisenhofen, Holzkirchen und Aibling nach Rosenheim folgte erst 1857.
Damit waren die wichtigsten nord- und südbayerischen Städte an das
Staatsbahnnetz angeschlossen und gute Verbindungen in das Gebiet
des Deutschen Zollvereins, nach Leipzig, Berlin, Frankfurt am Main
und Stuttgart hergestellt, während Anbindungen an Böhmen und
Österreich, nach Prag und Wien, noch gänzlich fehlten. Ostbayern
blieb bis 1859 eine viel beklagte „Eisenbahnwüste“.
Der lange Weg zur Erschließung
der „Eisenbahnwüste“ Ostbayern
Den Initiatoren der Nürnberg-Fürther Eisenbahn war es von Anfang
an um die Realisierung einer Strecke Würzburg—Nürnberg—Regensburg—Passau, also einer Nordwest-Südost-Achse durch Bayern
als Verbindung zwischen Westeuropa und Vorderasien, gegangen.
Der große Erfolg der ersten kurzen Strecke führte dazu, dass die
Ludwigs-Eisenbahn-Gesellschaft schon 1836 ihr ursprüngliches
Projekt wieder in Angriff nahm. Zusammen mit Bürgern der Städte
Regensburg und Würzburg richtete sie eine Bittschrift an den König, in der sie die internationale Bedeutung dieser Strecke und die
vorteilhaften Wirkungen auf den Kanalverkehr im Hinblick auf die
Warenzufuhr und die Ergänzung des Kanals durch schnellen Transport herausstellte. Das aufwändige Großprojekt war jedoch aus verschiedenen Gründen zunächst nicht realisierbar. Mit der Gründung
des Deutschen Zollvereins 1834 verstärkte sich die wirtschaftliche
Ausrichtung Bayerns nach Norden und Westen. Zudem war der seit
1825 regierende König Ludwig I. zwar an den Eisenbahnplänen interessiert, doch bevorzugte er als Verbindung zwischen Donau und
Main den seit 1835 in Bau befindlichen Donau-Main-Kanal. Dieses
Lieblingsprojekt des Königs sollte nicht von Anfang an durch eine
konkurrierende Eisenbahn zwischen Nürnberg und Regensburg belastet werden. Viele Bittschriften aus der Region führten lange nicht
zum Ziel und als sich dann die Erkenntnis durchsetzte, dass der 1846
eröffnete Kanal den Verkehrsbedürfnissen in keiner Weise gerecht
werden konnte, fehlten der Staatskasse die nötigen Mittel.
eise n b a h n i n b a y er n
Ein sensationeller Fund bei Bauarbeiten im Landtag 1998: Diese voll funktionsfähige Lokomotive mit der Aufschrift „Blochmann Dresden 1838“ samt
Tender hatte König Maximilian II. am 6. Oktober 1857 in den Grundstein des Bayerischen Landtags einmauern lassen. Das hervorragend erhaltene
Modell war in Vergessenheit geraten. Es zeigt uns heute, wie sehr die Eisenbahn für das 19. Jahrhundert steht.
Die Eröffnung der Eisenbahnlinie Augsburg—München am 4. Oktober 1840 war ein
Großereignis. Die Skizze zeigt den Entwurf
der eindrucksvollen Ehrenpforte, die an der
Lechbrücke errichtet wurde. Und es sei erwähnt,
dass auch der damals noch gänzlich unbekannte Dichter Gottfried Keller, der sich zu dieser Zeit
in München als Maler ausbilden lassen wollte,
einmal eine Vergnügungsfahrt mit Kommilitonen von München nach Augsburg unternommen hat.
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eise n b a h n i n b a y er n
Das Aquarell von Albert Emil Kirchner von 1859 zeigt den ersten Bahnhof in Landshut.
Abkehr vom Staatsbahnprinzip 1855
Die Durchführung von Bahnprojekten scheiterte um die Mitte des
19. Jahrhunderts vor allem an der allgemein schlechten Finanzlage
des Staates. Die geringen Staatsbahnerträge ließen den Ausbau des
Streckennetzes nicht lukrativ erscheinen. Hatte die bayerische Regierung unter Minister von Abel noch 1845 eine Übergabe des Bahnbetriebs in private Hände völlig ausgeschlossen, so zeichnete sich
ein Jahrzehnt später ein Gesinnungswandel ab. Die Entwicklung des
Streckennetzes und die wichtige Anbindung an die Nachbarländer
konnte nur durch die Abkehr vom Staatsbahnprinzip vorwärts gebracht werden. Und die Zeit drängte, da 1851 in einem Staatsvertrag
mit Österreich die Vorbereitung einer Strecke Nürnberg—Regensburg—Linz vereinbart worden war.
Die rechtlichen Voraussetzungen für die Gründung der Ostbahngesellschaft schufen die Bestimmungen vom 20. Juni 1855 über die
Erbauung von Eisenbahnen. Nun konnten von Privatleuten gebildete
Vereine nach Erlangung einer staatlichen Konzession für Projektierung, Bau und Betrieb Eisenbahnlinien bauen. Der Ostbahngesellschaft stand nichts mehr im Weg. Vertreter der Städte Nürnberg,
Fürth, Regensburg und Amberg trafen konkrete Vorbereitungen.
Der Industrielle und Kaufmann Theodor von Cramer-Klett und der
Regensburger Großhändler Georg Neuffer sollten als Bevollmächtigte der Städte mit den Bankiers von Hirsch und von Eichthal gleichberechtigt ein Konzessionsgesuch für die Bahn Nürnberg—Amberg—
Regensburg einreichen. Als fünfter Konzessionsträger sollte Staatsrat
von Hermann hinzukommen. In den folgenden Monaten konnten
weitere Interessenten gewonnen und die Verhandlungen mit der
Staatsregierung abgeschlossen werden. Rechte und Pflichten einer
privaten Bahnbaugesellschaft wurden per Gesetz vom 19. März 1856
allgemein geregelt.
Die Gründung der
Ostbahngesellschaft 1856
Unter Beteiligung der Königlichen Bank in Nürnberg, des Hauses
Thurn und Taxis, der Bankiers Eichthal (München), Hirsch (Würzburg), Rothschild (Frankfurt) und Bischofsheim (Brüssel) sowie
der Städte Nürnberg, Fürth, Regensburg und Amberg wurde am
12. April 1856 die Ostbahn-Aktiengesellschaft gegründet. Die Konzession bezog sich zunächst auf Bau und Betrieb der Eisenbahnen
von Nürnberg über Amberg nach Regensburg, von München über
Landshut an die Donau, von Regensburg über Straubing nach Passau an die Landesgrenze und von der Amberg—Regensburger Linie
an die böhmische Grenze. Die Bauzeit war auf sieben Jahre befristet.
Die Ostbahngesellschaft erhielt eine staatliche Zinsgarantie von 4
1/2 Prozent. Das Grundkapital der Gesellschaft war auf 60 Millionen
Gulden festgesetzt. Davon waren fünf Millionen Gulden zur öffentlichen Zeichnung aufgelegt. Da es sich um eine sichere Investition
handelte, war die Nachfrage nach den Aktien (je 200 Gulden) sehr
groß. Nach einem bestimmten Verteilungsschlüssel erhielt der Privataktionär bei einer gezeichneten Aktie eine halbe, bei 250 gezeichneten zehn Aktien. Einer der Hauptaktionäre, Fürst von Thurn und
Taxis, sicherte sich sofort vier Millionen Gulden und ein Optionsrecht auf weitere acht Millionen Gulden.
Am 14. Juli 1856 genehmigte König Maximilian II. den Verlauf der
Bahnlinie von Nürnberg über Lauf, Hersbruck, Sulzbach, Amberg,
Schwandorf, Regenstauf nach Regensburg, behielt sich aber Änderungen der Trasse vor, falls dies wegen des Anschlusses der Bahn
nach Pilsen erforderlich würde. Die längere Bahn über Schwandorf
bot gegenüber der Alternativstrecke durch das Naab- und Vilstal –
ohne beträchtliche Mehrkosten – den Vorteil, dass sie dem Haupthandelsweg von Regensburg in die Oberpfalz und nach Oberfranken
eise n b a h n i n b a y er n
Die ausgedehnten Bahnanlagen in Furth im Wald wurden von der Bayerischen Ostbahn und der Böhmischen Westbahn gleichermaßen genutzt. Längst hat
der Bahnhof – hier ein Aquarell von Albert Emil Kirchner von 1862 – seine frühere Bedeutung als personalintensive Zoll- und Wechselstation verloren.
folgte und die einzigen Bodenschätze der Oberpfalz, die Braunkohlelager im Sauforst bei Burglengenfeld und die Eisenerzlager bei
Sulzbach und Amberg, berührte. In militärischer Hinsicht bot die
Bahn über Schwandorf eine wichtige strategische Operationsbasis
in Richtung Bayerischer Wald und Böhmen.
Vorarbeiten für die wichtige Bahnverbindung zwischen München und der Donau waren schon 1853 in einem Gesetzentwurf
beschlossen worden. Es standen drei Trassen zur Diskussion: von
München dem Isartal folgend über Landshut nach Plattling, von
München über Landshut nach Straubing oder von München über
Landshut nach Regensburg. Die Ostbahngesellschaft übernahm die
bis 1856 durchgeführten staatlichen Projektierungsarbeiten und
setzte in der Trassenführung die kostengünstigste Kompromisslösung durch, die Gabel von Geiselhöring. Die Ostbahnstrecke
München—Landshut konnte schon am 3. November 1858 eröffnet
werden, die Strecke Nürnberg—Amberg—Regensburg—Geiselhöring—Landshut ging am 12. Dezember 1859 in Betrieb. Die Weiterführung der Strecke von Geiselhöring über Straubing nach Passau
wurde am 20. September 1860 dem Verkehr übergeben.
Schon im folgenden Jahr wurde die Personenschifffahrt zwischen
Regensburg und Passau eingestellt; der Transport auf dem Wasser
spielte nur im Massengüterverkehr weiter eine wichtige Rolle. Im
September 1862 wurde die erst 1846 gegründete Königlich Bayerische
Donau-Dampfschifffahrt einschließlich ihrer Werft und Werkstätten
in Regensburg an die Österreichische Donau-Dampfschifffahrts-Gesellschaft verkauft, die sich zur Übernahme der Personenschifffahrt
bis Donauwörth verpflichtete, solange es noch keine Eisenbahn dorthin gab. An die Linie Regensburg—Amberg—Nürnberg wurde bei
Schwandorf die über Cham und Furth im Wald nach Pilsen und Prag
führende Strecke angeschlossen und 1861/62 eröffnet.
Die im Wiener „Figaro“ vom 19.10.1861 erschienene Karikatur ist anspielungsreich: Der bayerische und der böhmische Löwe – beide Länder
haben ihn als Wappentier – stoßen mit Bier, das sowohl Bayern wie
Böhmen als ihr je ureignes Nationalgetränk für sich reklamieren, auf die
Eröffnung der neuen Eisenbahnverbindung an. Die etwas gezwungen
wirkende Annäherung mag auch ein Hinweis auf Unstimmigkeiten sein,
da die Tschechen sich provoziert fühlten, dass die Eröffnungslokomotive den Namen „Pilsen“ nur in deutscher Schreibweise trug und auch
die Bahnverwaltung in Böhmen angeblich nur mit deutschstämmigem
Personal besetzt werden sollte.
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eise n b a h n i n b a y er n
Böhmische Kohle für Bayern
Die Anbindung nach Böhmen war besonders für die Kohleversorgung Bayerns wichtig. Erst böhmische Kohle schuf die Voraussetzung für die moderne oberpfälzische Eisenhüttenindustrie. Die
Hauptstandorte lagen unmittelbar an Ostbahnlinien: die Maxhütte
bei Haidhof und in Sulzbach-Rosenberg, die staatlichen Hüttenwerke
in Amberg (seit 1911 Luitpoldhütte) und Bodenwöhr. Die Böhmerlinie über Schwandorf und Furth im Wald sicherte die Kohle- und
Holzversorgung dieser Großunternehmen. Die Maxhütte arbeitete
aber neben der böhmischen Braunkohle auch um 1865/66 schon mit
Steinkohle aus Zwickau und nach 1870 vermehrt mit Saarkoks, der
mit der pfälzischen Ludwigsbahn nach Ludwigshafen und von dort
ins rechtsrheinische Bayern verfrachtet wurde.
Nach Fertigstellung der 1856 genehmigten Bahnen verblieb der
Ostbahngesellschaft ein Kapital von 1,5 Millionen Gulden. Deshalb
erhielt sie 1861 die Konzession zum Bau der Strecken Schwandorf
(Irrenlohe)—Weiden, Weiden—Bayreuth (beide 1863 eröffnet) und
Weiden—Eger (1864/65 eröffnet). Damit war eine weitere, für die
Kohleversorgung wichtige Bahnverbindung nach Böhmen geschaffen. Auch der Personenverkehr in die böhmischen Bäder lief über
Eger. Die nördliche Oberpfalz war mit der Kreishauptstadt Regensburg verbunden, der Verkehr mit Oberfranken, Sachsen und Thüringen beträchtlich erleichtert.
Weitere Grenzübergänge nach Österreich waren inzwischen durch
die Staatsbahn realisiert worden. Von Rosenheim aus konnte man
1858 weiter nach Kufstein, ab 1860 auch über Endorf, Prien, Traunstein und Freilassing nach Salzburg fahren. Damit war die durchgehende Eisenbahnverbindung von Paris über München nach Wien
hergestellt. Eine Reise von München nach Paris dauerte mit Übernachtung in Karlsruhe und mehrmaligem Wechsel der Eisenbahngesellschaft 40 Stunden.
Neben den Staatsbahnen und Ostbahnen wurden meist auf Initiative
von Städten auch einige Pachtbahnen realisiert. Die privaten Bahngesellschaften bauten die Strecke und verpachteten sie an den Staat,
bis die Baukosten gedeckt waren. So entstanden auf Betreiben der
Stadt Memmingen die sehr erfolgreiche Linie Ulm—Memmingen—
Kempten (1862/63 eröffnet, 1876 vom Staat übernommen) und
durch das Engagement der Stadt Deggendorf eine Bahnverbindung
nach Plattling (1866). Weitere Pachtbahnen waren unter anderem die
Strecken München—Starnberg, Starnberg—Penzberg, Tutzing—Peißenberg, Holzkirchen—Miesbach.
Die aus dem Jahr 1860 stammende Ansicht der Stadt Schwandorf von
Carl Loritz zeigt im Vordergrund die Eisenbahnbrücke über die Naab.
Ausbau des Bahnnetzes
und Abkürzungslinien
In den 1860er- und 1870er-Jahren wurde das Hauptbahnnetz weiter
ausgebaut. Man hatte erkannt, dass die bestehenden Bahnstrecken
einen für den Durchgangsverkehr ungünstigen Verlauf hatten. War
es bei den ersten Bahnlinien darum gegangen, möglichst viele größere Orte zu berühren, so sah man nun die Notwendigkeit, Abkürzungslinien zwischen den größeren Städten zu schaffen. Dadurch
ergaben sich volks- und betriebswirtschaftliche Vorteile. Wichtige neue Staatsbahnen waren die Abkürzungsstrecken Nürnberg/
Fürth—Neustadt a. d. Aisch—Kitzingen—Würzburg (1865) und
Gunzenhausen—Treuchtlingen—Eichstätt—Ingolstadt (1869/70).
Die Ostbahn AG wollte in ihrem Verkehrsgebiet auch staatlichen
Konkurrenzlinien zuvorkommen. Die 1873 fertig gestellte direkte
Bahnlinie Regensburg—Neumarkt—Nürnberg brachte besonders
für den Durchgangsverkehr von Österreich nach Westdeutschland
Vorteile. Die Abkürzungslinien Neufahrn—Obertraubling und
Straubing—Sünching (beide 1873) verbesserten die Bahnverbindungen München—Regensburg und Regensburg—Straubing; die
Gabel von Geiselhöring verlor damit ihre Bedeutung. Auch die wichtige, 1875 eröffnete Verbindung Mühldorf—Neumarkt St. Veit—
Landau—Plattling wurde noch von der Ostbahn gebaut.
Wieder mehr Staatsbahnbau –
Verstaatlichung der Ostbahnen 1875
Seit Anfang der 1870er-Jahre engagierte sich der Staat wieder stärker im Bahnbau. Wichtige neue Staatsbahnstrecken waren die Linien
München—Markt
Schwaben—Dorfen—Mühldorf—Neuötting—
Simbach (1871), München—Grafing—Rosenheim (1871), München—Geltendorf—Kaufering—Buchloe—Türkheim—Mindelheim—Ungerhausen—Memmingen (1872/74), die Donautalbahn
Regensburg—Ingolstadt—Donauwörth (1874) mit Weiterführung
nach Dillingen, Gundelfingen und Neuoffingen (1876/77) und die
Verbindung Ingolstadt—Augsburg (1875). Bald nach Eröffnung der
Donautalbahn wurde der Schiffsverkehr auf der oberen Donau eingestellt. Auch Mittelgebirgslandschaften mit bautechnisch schwierigem Gelände wurden zunehmend erschlossen (1871 Schweinfurt—
Bad Kissingen, 1872 Gemünden—Jossa, 1874 Ebenhausen—Bad
Neustadt a. d. Saale—Mellrichstadt, 1877 Deggendorf—Zwiesel—
Bayerisch Eisenstein mit Anschluss nach Klattau/Böhmen, 1877/79
Nürnberg—Schnaittach—Ranna—Schnabelwaid—Kirchenlaibach—
Neusorg—Marktredwitz—Schirnding, 1883 Fortsetzung bis Eger).
Da das Nebeneinander von Staatsbahnen und Ostbahnen zu Problemen in der Streckenplanung sowie im Bau und Betrieb führte
und auch allgemeine politische und wirtschaftliche Erwägungen
dafür sprachen, entschloss sich die bayerische Regierung 1875, die
Ostbahnen mit einem Streckennetz von fast 800 Kilometern zu verstaatlichen. Bis Mitte der 1870er-Jahre hatten sich neben den frühen
bayerischen Eisenbahnverkehrszentren München, Nürnberg und
Augsburg auch Regensburg, Würzburg, Buchloe, Gunzenhausen,
Ingolstadt, Holzkirchen, Rosenheim und Schwandorf zu wichtigen
Eisenbahnknotenpunkten entwickelt.
eise n b a h n i n b a y er n
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Die von Moritz von Schwind gestaltete Karte zur festlichen Eröffnung der
Bahnlinie München—Salzburg im August 1860 zeigt den bis 1849 erbauten
Münchner Zentralbahnhof des Architekten Friedrich Bürklein (1813–1872), der
auch die Münchner Maximiliansstraße, das Maximilianeum und eine ganze Reihe von bayerischen Bahnhöfen plante. Ein Festessen und eine Galavorstellung
im Münchner Hoftheater bildeten den feierlichen Rahmen des Ereignisses.
Schützenscheibe der Kgl. Priv. Schützengesellschaft
Mainbernheim zur Eröffnung der Bahnlinie Nürnberg—
Würzburg.
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eise n b a h n i n b a y er n
Vizinal- und Lokalbahnen
B
eim Aufbau des weitmaschigen Hauptbahnnetzes orientierte man sich, von anderen übergeordneten Erwägungen
abgesehen, am Verkehrsaufkommen. Wirtschaftlich bereits
begünstigte Orte bzw. Gegenden wurden weiter gefördert, während abseits der Eisenbahn gelegene Ortschaften zurückblieben.
Diese Entwicklung zu verbessern war das Hauptmotiv für den Ausbau des Vizinal- und Lokalbahnnetzes. Zwischen den Hauptlinien
sollten Querverbindungen hergestellt werden, Stichbahnen sollten
bahnferne Gebiete mit dem Hauptbahnnetz verknüpfen und damit
wirtschaftlich erschließen. Zugleich konnte eine weitere Verdichtung
des Bahnnetzes das Verkehrsaufkommen auf den Hauptlinien fördern. In vielen Fällen erfüllten sich die Hoffnungen nicht, da gerade
Stichbahnen die Entleerungstendenzen zugunsten eines Bahnknotenpunktes begünstigten. Hinzukam, dass der Lokalbahnbau und
-betrieb durch gesetzliche Hürden und zusätzliche finanzielle Belastungen behindert war.
Erste Regelungen enthielt das Vizinalbahngesetz von 1869. Artikel 2 legte fest, dass Bahnverbindungen von lokaler Bedeutung nur
dann Aussicht auf Unterstützung hätten, wenn der Grunderwerb
und sämtliche Erdarbeiten ohne Inanspruchnahme staatlicher Gelder gesichert seien, also von den Bahninteressenten selbst finanziert
würden. Um die zahlreichen Wünsche nach einem Bahnanschluss
schneller erfüllen zu können, sollten die Vizinalbahnen einfacher
ausgestattet werden, aber um den Güterverkehr nicht zu beeinträchtigen, volle Spurweite erhalten. Ein Vizinalbahnfonds wurde gebildet, aus dem die staatlichen Baukosten zur Hälfte gedeckt werden
konnten. Bis 1876 erhielten nur 14 Vizinalbahnen eine staatliche
Konzession. Die seit 1869 geltenden Regelungen bewährten sich
nicht. Die finanziellen Belastungen der Interessenten waren zu groß,
manche Gemeinden standen vor dem Ruin. Ende der 1870er-Jahre
verstärkte sich die Diskussion um die Änderung des Gesetzes.
Das Lokalbahngesetz von 1882
Das 2. Vizinalbahngesetz über die Behandlung der bestehenden Vizinalbahnen und den Bau von Sekundärbahnen von 1882, kurz Lokalbahngesetz genannt, regelte den Bau von untergeordneten Bahnen
neu. Die Gemeinden und Privatleute, die in die Vizinalbahnen investiert hatten, erhielten Rückvergütungen. Einen wichtigen Fortschritt
brachte Artikel 5. Er legte fest, dass „Bahnen von lokaler Bedeutung
… nur dann durch den Staat zur Ausführung kommen, wenn die
Interessenten mindestens den für den Bahnbau und dessen Zugehör
nötigen Grund und Boden kostenfrei zur Verfügung stellen“. Die
Interessenten waren dadurch zwar wenigstens von den Kosten der
Erdarbeiten befreit, doch schon der Grunderwerb war eine schwer
zu überwindende Hürde. Es bemühten sich ja gerade diejenigen
Gemeinden um einen Bahnanschluss, die wirtschaftlich und finanziell deutlich schlechter gestellt waren als diejenigen, die längst vom
Bahnverkehr profitierten.
Das Gesetz von 1882 regelte noch einige andere Punkte. In Artikel
4 wurde die Verwendung der Überschüsse genau festgelegt und jeder Anspruch der Interessenten auf Teilhabe daran ausgeschlossen.
Der Bau privater Lokalbahnen wurde grundsätzlich gestattet; es gab
sogar staatliche Zuschüsse dafür (Art. 5). Um Kosten zu sparen galt
allgemein: einfachste Konstruktion, vereinfachter Betrieb, niedrigere
Fahrgeschwindigkeit als bei Vizinalbahnen, keine Bahnkörperüberwachung.
Folgende Einschränkungen waren vorgesehen:
„1. Die Bahnen hatten möglichst viele Orte zu berühren, wenn sie
dadurch auch mäßig verlängert werden.
2. Ohne wesentliche Nachteile für den Betrieb können größere Steigungen und schärfere Kurven zugelassen werden.
3. Es wird durchaus nur ein Gleis ‚auf currenter Bahn‘ vorgesehen.
eise n b a h n i n b a y er n
Die Postkartenfotografie – betitelt mit „S.K.H. Prinzregent Luitpold von
Bayern und Prinzess Ludwig von Bayern. Abreise von Leutstetten“ – zeigt
die zum Zug eilenden hohen Herrschaften, die wohl vom Wittelsbacher
Schloss Leutstetten kommen. Der Prinzregent bereiste die entlegensten
Gegenden des Königreichs und wurde überall mit „großem Bahnhof“
empfangen. 1898 ließ er einen eigenen Eisenbahn-Salonwagen bauen –
viel schlichter als der Prunkwagen König Ludwigs II., der hier in einem in
prachtvollem Königsblau gehaltenen Entwurf zu sehen ist.
Anlass für liebevollen Spott: Der Schaffner springt schon vor der
Lokalbahnstation Oberniedertupfing vom Zug und rennt voraus zum
Bahnhof …, denn er ist zugleich Stationsvorstand!
Kundendienst – ein Thema damals wie heute.
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eise n b a h n i n b a y er n
Der Bahnhof Königsberg i.B. an der 1892 eröffneten Lokalbahn HaßfurtHofheim
Im Vordergrund der Ansicht von Martin Brand aus dem Jahr 1880 ist die
Paartalbahn zu erkennen.
4. Die Kronenbreite des Bahnkörpers kann wesentlich verschmälert
werden.
5. Es genügen leichtere Schienen oder auch ausgewechselte alte der
Hauptbahnen.
6. Die Einfriedungen und Schranken lassen sich auf eine geringere
Anzahl reduzieren.
7. Nur die frequentesten Überfahrten erhalten Bahnwärterposten.
8. Die Stationen können nach Maßgabe des geringeren Verkehrs
kleiner, die Gebäude beschränkter, die Ausweichgleise ganz entbehrt
oder kürzer gehalten werden.
9. Es ist weniger und, was die Lokomotiven betrifft, auch billigeres
Fahrmaterial anzuschaffen usw.“
(zit. nach Löwenstein 116)
Ein Vergleich der Baukosten für die verschiedenen Bahntypen im
Jahr 1892 belegt die Effektivität der kostensparenden Maßnahmen:
1 Kilometer Lokalbahn 58000 Mark; 1 Kilometer Vizinalbahn 92000
Mark; 1 Kilometer Hauptbahn 250000 Mark.
armung eintreten, weil wir abgeschlossen sind von der Aussenwelt,
abgeschlossen von dem öffentlichen Weltmarkte, weil wir dadurch
nicht konkurrenzfähig sind. Das sind traurige Thatsachen, das ist ein
‘Nothschrei’ der Bevölkerung des oberen bayerischen Waldes, es ist
ein Nothschrei, welcher durch alle Thäler hallt und dort wieder sein
Echo findet.“ (Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Verkehrsarchiv 5178,
2. Januar 1884)
Von 1884 bis 1896 wurden insgesamt 71 Lokalbahnen genehmigt, im
Jahr 1900 weitere 34 und 1904 nochmals 30. Die letzten Lokalbahnen
wurden in den 1920er-Jahren fertig gestellt. War eine Lokalbahn
einmal in Betrieb, so hatte die von ihr durchzogene Gegend weitere
Lasten zu tragen. Zur Deckung der höheren Betriebskosten wurde
ursprünglich auf alle Gütertransporte ein Lokalbahnzuschlag erhoben (Juli 1877: je 100 Kilogramm 0,12 Mark bei Eilgut; 0,10 Mark
bei Stückgut; 0,06 Mark bei Wagenladungsgütern); Massengüter wie
Kohle, Brennholz, Zement, Düngemittel, Sand, Steine wurden im
Oktober 1877 vom Zuschlag befreit. Im Vergleich mit Vollbahnen
war bei den Lokalbahnen die Masse der zu befördernden Güter und
Personen viel geringer und die Transportstrecke meist weitaus kürzer, sodass auch die Einnahmen entsprechend geringer ausfielen. Aus
volkswirtschaftlicher Sicht wurden durch den Zuschlag alle auf den
Gütertransport durch eine Lokalbahn angewiesenen Betriebe, die
schon durch ihre Marktferne wenig konkurrenzfähig waren, zusätzlich belastet. Deshalb wurde 1898 ein reformiertes System der Lokalbahnzuschläge eingeführt: Normaltarife (ohne Zuschlag) sollten auf
allen nicht dauernd defizitären Strecken gelten, wenn der Konkurrenz der Fuhrwerke zu begegnen war und bei neu gebauten Bahnen
nach dem ersten Betriebsjahr. Infolge dieser dehnbaren Regelungen
wurden nach 1898 nur mehr bei acht bayerischen Lokalbahnen Zuschläge erhoben.
Trotz aller Nachteile wirkten sich Lokalbahnen insgesamt positiv auf
die allgemeine Verkehrssituation aus, wenn auch der Rückstand in
der wirtschaftlichen Gesamtentwicklung in der Regel nicht mehr aufzuholen war. Mit dem Einsetzen des Automobilverkehrs entstanden
dann neue Rahmenbedingungen, sodass gerade die spät gebauten
Lokalbahnen zu den ersten gehörten, die seit den 1960er-Jahren der
Stilllegung zum Opfer fielen.
Das Lokalbahnfieber setzt ein!
Nach der gesetzlichen Regelung des Lokalbahnbaues setzte das Lokalbahnfieber ein, das bis in den Ersten Weltkrieg andauerte. Das
Hauptmotiv für den Kampf um eine Lokalbahn war stets die durch
die Verkehrsferne bedingte allgemeine wirtschaftliche Notlage einer
Region. Der Landtag hatte sich mit einer Flut von Petitionen auseinan­­­
derzusetzen. Aus den Bittschriften tönten mitunter dramatische Hilferufe. Die Verfechter der Bahnen sahen sich in historischer Verantwortung für ihre Nachkommen.
So heißt es etwa in einer Petition aus Kötzting vom 2. Januar 1884:
„Kann es, fragen wir, etwas Trostloseres geben als das Unglück zu haben, in diesem vergessenen Winkel Bayerns zu leben? Sind wir nicht
auch Unterthanen des lieben Bayernlandes? ... Zahlen wir unsere
Abgaben nicht ebenso gut wie andere Provinzen, welche mit durchziehenden Eisenbahnen und herrlichen Staatsstraßen versehen sind?
Wie kann sich unter solchen Verhältnissen Industrie, Handel und
Landwirtschaft entwickeln? ... Trotz unseres enormen Reichthumes
an Holz, trotz unserer gesegneten Fluren muß eine allmähliche Ver-
eise n b a h n i n b a y er n
Die liebevoll „Seekuh“ genannte
Eisenbahn zwischen Erlangen
und Markt Eschenau fuhr durch
Dormitz auf der Straße, wobei sie
hier den Verkehrsregeln unterworfen war und einer Geschwindigkeitsbegrenzung von 15 km/h
unterlag. Die Fotografie wurde
um 1960 aufgenommen.
Die Postkarte, die 1910 anlässlich
der Eröffnung der Lokalbahn
Krumbach—Pfaffenhausen—
Mindelheim erschien, vermerkt
auf der Rückseite praktischerweise den Fahrplan für das Jahr
1911: Viermal am Tag verkehrte
der Zug von Krumbach nach
Mindelheim und zurück, beginnend mit der Abfahrt um 3.50 in
der Nacht und letztmals um 6.40
abends.
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64
eise n b a h n i n b a y er n
Eisenbahnbau und
Eisenbahnbauarbeiter
D
urch den Bahnbau wurden in einer an chronischer Unterbeschäftigung leidenden Gesellschaft über viele Jahrzehnte
zahlreiche Arbeitsplätze geschaffen. Einen Eindruck vom
Umfang der zu leistenden Arbeiten und der erforderlichen Baumaterialien vermittelt schon der Aufbau des Bahnkörpers. Er besteht
aus dem Unterbau und dem Oberbau. Der Unterbau ist der arbeitsintensivste Teil des Bahnbaus. Er umfasst alle Erdarbeiten: Dämme,
Einschnitte, Entwässerungen, Böschungsbefestigungen, Stütz- und
Futtermauern sowie alle Kunstbauten wie Brücken, Tunnels, Wegübergänge und -unterführungen. Unter dem Oberbau versteht man
die eigentliche Fahrbahn, die sich in Bettung, Schienenunterlagen,
Schienenbefestigungsmittel und Schienen gliedert. Hinzu kamen
zahlreiche Stationsanlagen, Bahnhöfe, Werkstätten, Lagerhäuser,
Wohnhäuser für das Personal und Wärterhäuser entlang der Strecken. Auch der Bau von Zufuhrstraßen, die Anpassung des bisherigen Wegenetzes und des Wasser- und Kanalsystems waren erforderlich.
Die Ausführung eines Bahnprojekts brachte Absatzmöglichkeiten für
vielerlei Baustoffe, aber auch neue Aufträge für die verschiedensten
Sparten des Handwerks und der Industrie und einen Aufschwung
für die Versorgungsgewerbe. Neben großen Bahnbauunternehmen,
die ganze Arbeiterheere für den arbeitsintensiven Unterbau stellten,
hatten zahlreiche Handwerksmeister mit oft aufgestocktem Personal
Arbeiten besonders an den Bahnstationen übernommen. Im Umfeld
des Bahnbaus, in der Innenausstattung der Gebäude und der Züge,
fanden Schreiner, Schlosser, Glaser, Lederer, Schneider ein Auskommen. Viele Arbeiter waren für die Bahn in Steinbrüchen, Sand- und
Kiesgruben, in der Eisen- und Holzverarbeitung und im Transportgewerbe beschäftigt. Bahnbauspezialisten und Facharbeiter für
Gleisbau waren in der Regel bei der Staatsbahn bzw. Ostbahn direkt
angestellt. Viele Arbeitsplätze boten auch die Schwellenimprägnieranstalten, so zum Beispiel in Schwandorf.
Die wandernden Bahnbaustellen förderten die Flexibilisierung und
Mobilisierung des gesamten Arbeitsmarktes. Auch nach Abschluss
des Streckenbaus trugen Phasen lebhafter Bautätigkeit wie die Erweiterung von Bahnanlagen, Dienstgebäuden und Werkstätten zu einer
breiten Belebung des örtlichen Gewerbes bei.
Negative Begleiterscheinungen
Der Bahnbau hatte jedoch nicht nur wirtschaftsfördernde Wirkungen. Gerade die überwiegend in der Landwirtschaft tätige Bevölkerung hatte zum Teil unter schwerwiegenden Beeinträchtigungen
der bisherigen ökonomischen Abläufe zu leiden. Erst waren in
großem Stil Grundstücke abzutreten, dann waren schon während
der Projektierung und Aussteckung einer Trasse vielfache Behinderungen der landwirtschaftlichen Arbeiten hinzunehmen. Die
Bauarbeiten brachten Flur- und Ernteschäden mit sich; Schadenersatzforderungen waren innerhalb kurzer Fristen anzumelden. Die
Bahnstrecken durchschnitten das Wegenetz. Geländeeinschnitte und
Dammaufschüttungen veränderten die Landschaft; die Nutzung der
Felder und Wiesen war oft nicht mehr möglich. Es verwundert daher
nicht, dass der Bahnbau gerade im ländlichen Raum verbreitet auf
Ablehnung stieß. Erst nach dem Bau von Bahnübergängen, Unterund Überführungen konnte sich wieder ein geregelter Ablauf des
landwirtschaftlichen Verkehrs etablieren. Doch althergebrachte Zusammenhänge waren unwiderruflich durchschnitten, die landwirtschaftlich nutzbare Fläche insgesamt reduziert.
Viele Ortschaften wurden durch die Bahn in zwei Teile geteilt, wie dieses
Ortsschild bei Amberg zeigt.
eise n b a h n i n b a y er n
Das Aquarell von Karl Herrle zeigt, wie in mühevoller Handarbeit ein Heer von Arbeitern den berühmten Rentershofener Bahndamm bei Röthenbach-Oberhäuser (Allgäu) erstellt. Die zur Feier der Vollendung am 14. August 1853 gestiftete Schützenscheibe von 1853 spricht von 2000 Arbeitern.
Die technischen Leistungen beim Eisenbahnbau wurden häufig auf Postkartenfotografien festgehalten wie hier der Eisenbahnneubau auf der Strecke Viechtach-Blaibach.
Eisenbahnschwellen wurden in aufwändiger handwerklicher Arbeit direkt im Wald hergestellt, zunächst mit der
Axt geschlagen, dann mit der Gestellsäge besäumt, der
Länge nach eingeschnitten, zum Trocknen gestapelt und
schließlich abtransportiert.
Ein Schwellenhauerbeil fand
Eingang in das Gemeindewappen
der unterfränkischen Gemeinde
Rechtenbach. Es erinnert daran,
dass viele Bewohner der waldreichen Spessartgemeinde mit
dem Einsetzen des Bahnbaues
Mitte des 19. Jahrhunderts als
Schwellenhauer und -säger Arbeit
fanden.
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eise n b a h n i n b a y er n
Die kolorierte Fotografie zeigt die Großbaustelle der 1876 erbauten
Deffernikbrücke östlich von Ludwigsthal (bei Zwiesel).
Die Eisenbahnbauarbeiter
Ein großes gesellschaftliches Problem in der ersten Hälfte des 19.
Jahrhunderts war der Mangel an Verdienstmöglichkeiten für breite Bevölkerungsschichten. Die Armut der wachsenden arbeitslosen
Unterschicht, der so genannte Pauperismus, forderte staatliches Handeln. Der Aspekt der Arbeitsbeschaffung wurde schon bei Streckenplanungen vor der Jahrhundertmitte berücksichtigt, denn der Bahnbau schuf in den jeweils berührten Gebieten vorübergehend eine
große Anzahl von Arbeitsplätzen. Bahnbaumaßnahmen waren nicht
zuletzt ein sozialpolitisches Instrument, Notleidenden den Lebensunterhalt zu sichern. Dieser Aspekt spielte auch in der bayerischen
Verkehrspolitik eine Rolle. König Maximilian II. bemühte sich seit
1848 der Not des Proletariats durch große staatliche Baumaßnahmen
abzuhelfen. König Ludwig II. sah noch 1869 eine Möglichkeit, dem
sehr großen „Nothstand unter der niedern Klasse der Münchener
Bevölkerung“ durch „Beschaffung von Arbeitsgelegenheit“ beim
Bahnbau entgegenzuwirken (Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Verkehrsarchiv 6408, 20. April 1869). Allein die Tatsache, dass bis in die
1870er-Jahre das bayerische Hauptbahnnetz vollendet werden konnte, zeigt, dass die frühindustrielle Gesellschaft eine große ungenutzte
Arbeiterreserve hatte.
Die Arbeiter kamen zum Teil aus der näheren Umgebung der Baustellen, zum Teil aus entfernteren Landesteilen und aus benachbarten
deutschen Staaten. Auch Ausländer, vor allem Böhmen und Italiener,
arbeiteten beim Bahnbau in Bayern; sie waren besonders dann willkommen, wenn nicht genügend einheimische Arbeitskräfte zur Verfügung standen. Neben den wenigen in leitender Funktion tätigen
Ingenieuren bildeten die weitaus größere Gruppe die in Bauberufen
geübten Handwerker wie Maurer, Zimmerleute, Schlosser, Schmiede, die vor allem bei Brücken-, Damm- und Tunnelbauten und bei
der Errichtung der Stationsanlagen beschäftigt waren. Das Gros der
Eisenbahnbauarbeiter stellten diejenigen Personen, die Erd-, Transport- und Handlangerarbeiten verrichteten, meist Wanderarbeiter
und Taglöhner, die keinen Beruf erlernt hatten oder in ihrem Beruf
keine Arbeit fanden. Diese Arbeiter entstammten der Unterschicht
Der Eisenbahndamm in Lindau in einer Fotografie von 1902.
bzw. wurden ihr zugerechnet, sobald sie beim Bahnbau arbeiteten.
Viele hatten keinen festen Wohnsitz und lebten von der Hand in
den Mund. Die Armenkassen wurden allgemein häufig in Anspruch
genommen, und wenn es nur zur Deckung der Reisekosten bis zur
nächsten Baustelle oder zum Heimatort war.
Auch Frauen stellten einen beträchtlichen Teil der beim Bahnbau Beschäftigten. Noch in den 1860er-Jahren wurde eine Heiratserlaubnis
nur bei gesichertem „Nahrungsstand“ und Ansässigmachung erteilt.
Dies führte zwangsläufig dazu, dass viele mittellose Paare ohne Trauschein zusammenlebten. So kam es, „daß tausende von Arbeitern
mit ihren Geliebtinen beim Bahnbau sich beschäftigten, und es zur
größten Seltenheit zählte, wenn eine ledige Person weiblichen Geschlechtes ohne ihren Geliebten in Arbeit trat; es ist sogar ... Praxis geworden, daß ledige Weibsleute allein gar nicht aufgenommen
werden, weil diese erfahrungsgemäß liederliche Dirnen sind, welche
nicht selten die Venerie [Syphilis] auf den Bauplätzen verbreiten“.
(Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Verkehrsarchiv 6408, 5. Feb. 1870)
Ein gesundheitspolitisches Problem war die bahnbaubedingte Verbreitung von Geschlechtskrankheiten. Die vorgeschriebenen Untersuchungen vor Arbeitsaufnahme waren offensichtlich unzulänglich,
denn immer wieder traten erkrankte Personen die Arbeit an. Auch
die Zunahme von nichtehelichen Geburten wurde dem Eisenbahnbau zugeschrieben. Erst das Gesetz über Heimat, Verehelichung und
Aufenthalt von 1868 ließ einen langsamen Rückgang der Konkubinate erwarten. Der Anteil tatsächlich bei Bauarbeiten mitwirkender
Frauen dürfte kaum mehr als 15 bis 20 Prozent betragen haben.
Ein Bericht des Stadtmagistrats Furth im Wald (Staatsarchiv Amberg, BA Cham 1104, 20. Aug. 1859) wirft ein Schlaglicht auf
die soziale Lage der Bahnbauarbeiter: „Von den auf Grund erlangter Arbeiter-Aufnahme- u[nd] ärztlicher Visitationskarten mit
landgerichtl[ichen] Aufenthalts-Karten für den Stadtgemeinde-Bezirk Furth versehenen Weibspersonen benützt ein großer Theil diese
Karten lediglich nur zum Aufenthalte dafür (:bei ihren Liebhabern:)
ohne alle Arbeit, wie dieß bei Eva Hammer und Barbara Lang, welche seit ihrem Hiersein ohne Arbeit sind, und wovon die erstere erst
jüngst, die letztere vor 6 Wochen unehel[iche] Kinder, diese noch
eise n b a h n i n b a y er n
Das 1857 entstandene Aquarell von
Eduard Gerhardt
lässt erkennen,
wie die Eisenbahn
die Landschaft bei
Regenstauf durchschneidet.
insbesondere ein total erblindetes und sieches Mädchen, geboren
haben, der Fall, und belästigen durch Borgen, Bettel und Holzdiebstähle mit ihren Kindern die Gemeinde; manches led[ige] Paar weiß
sich sogar landgerichtliche Aufenthaltskarten zum Aufenthalte in
ein- u[nd] demselben Hause zu verschaffen, wie dieß bei Mathias
Zintl und Anna Frischholz der Fall, die man vorgestern auf erfolgte
Gendarmerie-Anzeige ortspolizeilich auseinander schaffen mußte
... Wo nur die angestrengteste u[nd] ununterbrochene Arbeit kaum
den Arbeiter selbst ausreichend nährt, ist keine Möglichkeit vorhanden, daß von diesem auch arbeits- u[nd] verdienstlose zweite u[nd]
dritte u[nd] noch mehr solche Personen ernährt werden könne, es
liegt also die gegründete Annahme vor, daß diese sich auf unerlaubte
Weise nähren u[nd] die Aufenthalts-Gemeinde belästigen, abgesehen von anderen Ungehörigkeiten.“
Insgesamt hatten die Polizeibehörden viel Arbeit mit den Bahnbauarbeitern. Ruhe- und Ordnungsstörungen, Raufereien und Diebstähle waren an der Tagesordnung, auch schwere Kriminalität kam vor.
Die Delikte reichten vom „Nachtschwärmen“ bis zum „Konkubinat“,
vom Werkzeugdiebstahl bis zum Totschlag. In Etterzhausen wurden
Anfang Juni 1871 drei Italiener nach einem Gaststättenbesuch von
Unbekannten überfallen, einer der Italiener kam dabei durch einen
Messerstich ins Genick ums Leben. Mögliche Motive für dieses grausame Verbrechen sah man darin, dass sich einheimische Burschen
durch die Italiener in ihren Verdienstchancen beim Bahnbau oder,
was subjektiv schwerer wog, in ihren Aussichten „bei der Etterzhausener ‚Damenwelt‘“ beeinträchtigt fühlten. Die Bauleitung bat die
Regierung der Oberpfalz dringendst um Verstärkung der Gendarmerie an der Strecke Neumarkt—Regensburg, nachdem kurz zuvor
der Gendarmerie-Stationskommandant von Laaber von Bahnbauarbeitern erschlagen worden war.
Häufig mussten Ordnungskräfte den sozialen Frieden an den Bauplätzen schützen oder wiederherstellen. Auseinandersetzungen gerade bei den Lohnauszahlungen waren nicht selten und manchmal
auch berechtigt. Es gab Akkordanten, die den Arbeitern den ihnen
zustehenden Lohn vorenthielten. Einen sehr schlechten Ruf hatte der
Akkordant Klein, der 1898 Bahnbauarbeiten bei Plattling leitete. Un-
ter den etwa 400 Arbeitern herrschte „große Mißstimmung“ gegen
ihn, da er die Arbeiter ausnutzte, schlecht behandelte und schlecht
bezahlte. Die Anwesenheit von Polizisten bei den Lohnauszahlungen
wurde an allen Bahnbaustellen üblich.
In ländlichen Gegenden hatte sich vor der Zeit des Bahnbaus in der
Regel kaum eine größere Anzahl Fremder für längere Zeit aufgehalten. Allem Unbekannten begegnete man mit Skepsis und manchem
Vorurteil, umso mehr, als die Bahnbauarbeiter einen schlechten Ruf
hatten. Vor allem für die frühe Zeit des Bahnbaus gilt, dass die Arbeiter trotz schwerster Arbeit nicht genug verdienten, um eine Familie
zu ernähren und eine Heiratserlaubnis zu bekommen. Illegales Zusammenleben und Selbstversorgung der Angehörigen durch Bettelei,
Diebstahl und Prostitution waren die Konsequenzen, denen man nur
mit polizeilichen Zwangsmaßnahmen zu begegnen wusste.
Eine deutsch-italienische Romanze um 1870
Aber es gab sicherlich auch positive Begegnungen zwischen der Bevölkerung und den Eisenbahnbauarbeitern, auch wenn sie von der
staatlichen und kirchlichen Führung als Gefahren für Moral und
Sitte galten. Gerade die Anwesenheit von Italienern war nicht ohne
Reize für die weibliche Bevölkerung. Eine deutsch-italienische Romanze, die sich um 1870 beim Bau der Strecke Regensburg—Nürnberg zugetragen haben soll, schildert Joseph Schlicht in der humorvollen Skizze „Der italiänisch Bua und’s boarisch Dianl“: Ein Bauer
gab einem bei Felsensprengungen arbeitenden Italiener Quartier:
„und dieser? – hinterläßt allerdings einige Eisenbahngulderln als
Herbergszins, brennt aber dafür mit dem blutjungen liebedürstenden Töchterl durch in’s Land der süßen goldenen Pomeranzen“. Zum
Glück war die per Telegraf eingeleitete Suche bald erfolgreich: In
einem Gasthaus in Bregenz wurde das Paar entdeckt und das 17-jährige Mädchen nach Hause geschickt, wo es sich bald mit einem bay­
erischen Bauern verheiratete. (Joseph Schlicht, Bayerisch Land und
Bayerisch Volk, München 1875, S. 368–370)
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eise n b a h n i n b a y er n
Meisterwerke der Technik
E
inige Meisterleistungen der Ingenieurskunst wurden schon
beim Bau der Ludwig-Nord-Süd-Bahn in den 1840er Jahren
vollbracht. Der Tunnel durch den Burgberg in Erlangen gilt
als ältester Bahntunnel Bayerns. Er wurde 1841/44 gebaut und ist 341
Meter lang. Das Südportal wird noch heute von zwei bayerischen Löwen bewacht.
Große Höhenzüge waren im Farnkenwald zwischen Bamberg und
Hof zu überwinden. Eine besondere Attraktion ist noch heute die
Schiefe Ebene zwischen den Bahnhöfen Neuenmarkt-Wirsberg und
Marktschorgast im Kreis Kulmbach, eine der steilsten Eisenbahnstrecken in Deutschland. Zur Bauzeit (1844–1848) war dies die erste
Strecke in Europa, die den großen Höhenunterschied von 158 Metern bei einer konstanten Steigung von 1:40 (25 Prozent) überwand.
Auf bis zu 32 Meter hohen Steindämmen, drei Straßen- und zehn
Bahnbrücken und einer Reihe von Durchlässen und Wasserkaskaden lehnt sich die Trasse an die Berghänge und überquert Seitentäler.
Nach der ursprünglichen Planung sollten die Züge auf drei Rampen
mithilfe von Seilen und ortsfesten Dampfmaschinen hochgezogen
werden. Durch kostengünstigere technische Neuentwicklungen aus
Amerika wurde es möglich, die sieben Kilometer lange Trasse mit
nur einer zusätzlichen Vorspannlokomotive (später Schiebebetrieb)
und ohne weitere technische Hilfsmittel zu befahren. Die Schiefe
Ebene gilt als Prototyp aller späteren Gebirgsbahnen.
Als besonders beeindruckende Leistung beim Bau der 1854 eröffneten Ludwigs-West-Bahn Bamberg—Schweinfurt—Würzburg—
Aschaffenburg gilt der fast einen Kilometer lange Schwarzkopftunnel
bei Heigenbrücken, der Scheiteltunnel der Main-Spessart-Bahn, der
den Durchbruch vom Aubach- bzw. Lohrtal ins Aschafftal herstellte. Wegen des großen Lokomotivenaufwands für den Schiebe- und
Vorspannverkehr auf der Spessartrampe waren in Heigenbrücken
umfangreiche Gleisanlagen erforderlich. Da am Bahnhof auch
Schnellzüge hielten, entwickelte sich der Ort zu einer beliebten Sommerfrische. Der Tunnel von Heigenbrücken fand 1977 Eingang in das
Gemeindewappen. In bayerischen Beamtenkreisen scheint dieser Ei-
Der Burgbergtunnel in Erlangen in einem weit verbreiteten Stahlstich
nach Carl August Lebschée.
senbahntunnel früher eine gefürchtete „Laufbahn-Schwelle“ gewesen
zu sein. Es ging die Redensart: „Wenn du einmal durch den Tunnel
von Heigenbrücken bist, kommst du nicht mehr zurück!“ Mancher
Staatsdiener befürchtete, dass es bei einer Versetzung in den Raum
Aschaffenburg nie mehr eine Rückkehr in die Heimat geben werde.
Eisenbahnbrücken
Die Überquerung von Flüssen stellte beim Bahnbau eine besondere technische Herausforderung dar, die soweit möglich vermieden
wurde. Deshalb wurde beispielsweise die Stadt Deggendorf 1859/60
nicht an die Ostbahn angeschlossen; weit kostengünstiger war es, die
Bahn auf der anderen Seite der Donau über Plattling Richtung Passau zu führen. Größere Brückenbauten waren meist langjährige und
teure Großbaustellen mit vielfältigen technischen Problemen.
Die Großhesseloher Brücke wurde in den Jahren 1851 bis 1857 mit der
Strecke München—Holzkirchen erbaut. Sie überquerte südlich von
München in einer Höhe von 31 Metern die Isar. Höher war zu dieser Zeit
nur die 1846/51 erbaute Göltzschtalbrücke bei Reichenbach im Vogtland
an der Bayerisch-Sächsischen Eisenbahn (78 Meter hohe Ziegelbrücke
mit bis zu vier Etagen). Die Planung der Brücke mit den linsenförmigen
Fachwerkträgern, auch Fischbauch- oder Pauli-Träger genannt, lag bei
Friedrich August von Pauli, die Ausführung bei der Brückenbauanstalt
Klett, Nürnberg. Die Brücke wurde 1908/09 teilweise erneuert, später
wiederholt modernisiert und 1983/85 ganz neu gebaut.
Die erste elektrisch betriebene Bergbahn in Bayern war die 1912 eröffnete Wendelsteinbahn. Die vom Industriellen Otto von Steinbeis
gebaute 10 Kilometer lange schmalspurige Zahnradbahn mit eigenem Kraftwerk überwand von Brannenburg am Inn über zwölf Brücken, acht Galerien und sieben Tunnel einen Höhenunterschied von
1250 Metern bis zum 1838 Meter hohen Wendelstein. Bei der damals
größten Baustelle in Bayern waren viele Italiener und Kroaten mit
Felsarbeiten beschäftigt.
Die um 1851 entstandene Lithografie von G. Könitzer feiert die technische Meisterleistung der Schiefen Ebene durch den Frankenwald.
eise n b a h n i n b a y er n
Der 1863 entstandene Stahlstich
von Karl August Lebschée zeigt
die in den Jahren 1851 bis 1857
erbaute Isarbrücke bei Großhesselohe.
Das Flügelrad, ein
Symbol für den
Eisenbahnverkehr,
steht für die große
Bedeutung der
Eisenbahn in der
Entwicklung der
oberfränkischen Gemeinde Neuenmarkt.
Das zuvor unbedeutende kleine Bauerndorf mit 57 Häusern
erlebte seit dem
Bau der Schiefen
Ebene eine rasante
Entwicklung.
Die um 1860 entstandene Ansicht von J. Buck zeigt die Eisenbahnbrücke bei Kempten.
Am 4. April 1909
berichtet der
Schreiber dieser
Postkarte, die die
Eisenbahnbrücke
bei Kempten zeigt:
„Sind gut angekommen; fahren
mit dem Eilzug um
9.47 nach Lindau
weiter.”
Die kolorierte Postkartenfotografie einer mehrteiligen Serie
dokumentiert die eindrucksvolle Schlossbach-Brücke der
Mittenwaldbahn.
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1864 hielt Karl Herrle die Eisenbahnbrücke über den Main bei Würzburg-Heidingsfeld in einer Strichzeichnung fest.
Die Hackerbrücke München, eine der wenigen erhaltenen Stahlbogenbrücken aus dem 19. Jahrhundert, wurde 1890 bis 1894 von der
MAN erbaut; sie überspannt die Gleisanlagen im Vorfeld des Münchner
Hauptbahnhofs.
Das 1859 entstandene Aquarell von Albert Emil Kirchner zeigt die bis
1859 von der Ostbahngesellschaft errichtete Donaubrücke bei Regensburg-Schwabelweis. Die Portale im Stil der Maximiliansgotik wurden im
Zuge des Brückenneubaus 1933 beseitigt.
Das Aquarell von Albert Emil Kirchner zeigt die bis 1859 von der
Ostbahngesellschaft errichtete Donaubrücke bei Regensburg-Schwabelweis. Die Portale im Stil der Maximiliansgotik wurden im Zuge des
Brückenneubaus 1933 beseitigt.
Die 1904 eröffnete Bahnstrecke Passau-Hauzenberg war standortbestimmend für die Granitunternehmen in dieser „steinreichen“ Region. Sie zählt heute mit den zahlreichen Natursteinbrücken zu den
schönsten Eisenbahnstrecken Deutschlands. Beim Brückenbau wurden
bevorzugt italienische Arbeiter eingesetzt, die als Spezialisten für solche
Natursteinbauten wie die hier gezeigte Brücke im Erlautal galten.
eise n b a h n i n b a y er n
Dem Weitblick des 1860 aus Baden nach Brannenburg zugezogenen Kommerzienrats
Otto von Steinbeis ist es zu verdanken, dass auf den Wendelstein eine der ersten
Bergbahnen Deutschlands gebaut wurde. Steinbeis verfügte über die nötigen finanziellen Mittel, hatte Durchsetzungskraft und Erfahrung im Bahnbau. Die meisten der
800 Arbeiter, die er für den Bau der Wendelsteinstrecke benötigte, rekrutierte er in
Bosnien und Kroatien, wo er bereits Schmalspurbahnen für den Holztransport erbaut
hatte.
Auch wenn es in Brannenburg zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch keinen Strom
gab, kam ein Dampfzug für Otto von Steinbeis nicht in Frage. „Seine“ Zahnradbahn
sollte mit elektrischer Energie fahren. In Hinterkronberg wurde ein Wasserkraftwerk
mit zwei Turbinen zur Erzeugung von Gleichstrom für die Zahnradbahn errichtet, das
die Bremsenergie des Zuges bei der Talfahrt für die gleichzeitige Bergfahrt ausnutzt
- hier zeigt sich der Weitblick des Pioniers. Um die Brannenburger von den Vorteilen
der Elektrizität zu überzeugen, griff Steinbeis zu einer List: Er erleuchtete seine Villa
in der Nacht taghell, bis sich schließlich auch die Einwohner von Brannenburg und
Flintsbach an die moderne Zeit anschlossen und Strom aus dem Kraftwerk in Hinterkronberg bezogen.
Für die Arbeiter an der Zahnradbahn wurde der Wendelstein zwei Jahre lang zur
Heimat. Sie arbeiteten bei jeder Witterung, selbst im Winter, und mit härtestem
körperlichen Einsatz an der 9,95 Kilometer langen, zu zwei Drittel sehr steilen Strecke
und errichteten sieben Tunnels, acht Galerien, zwölf Brücken und aufwändige Stützmauern. Jeden Samstagabend gab es ein Fass Freibier für die Männer; so wurde aus
dem Sonntag für die meisten tatsächlich ein Ruhetag und am Montag früh waren alle
wieder zur Stelle.
Werkzeug, Baumaterial und Lebensmittel wurden mit Pferden oder Mulis zur Baustelle befördert, im steilen Gelände setzte man auch Seilwinden ein. Die Trasse wurde
mit einfachstem Handwerkszeug – Pickel, Hammer, Meißel und Schaufel – errichtet;
über 1000 Kubikmeter Aushubmaterial wurde an der Bergseite abgetragen und auf
der Talseite wieder aufgeschüttet. Insgesamt verbrauchte man 35000 kg Schwarzpulver. Wenn man bedenkt, dass man in ein von Hand geschlagenes Bohrloch maximal
2 kg Sprengstoff brachte, so kann man sich ausrechnen, wie viele Sprenglöcher
gebohrt werden mussten. Das Steinfundament für die Schienen wurde von Hand mit
dem Handstampfer und einem Kramperpickel bearbeitet.
Das imposanteste und schwierigste Bauwerk der Strecke ist die 127 Meter lange
„Hohe Mauer“ mit einer Höhe von 17 Metern. Der Schienenverlauf lässt die Bahn in
den Berg verschwinden und führt sie in einem sehr engen Bogen zum Bergbahnhof
unterhalb des Wendelsteinkircherls. Im letzten Tunnel erreicht die Strecke ihre größte Steigung mit 23,7 Prozent.
Am 12. Mai 1912 befuhr der erste Zug die Strecke, die am 25. Mai feierlich eingeweiht
wurde. Betrug die Fahrzeit damals 75 Minuten, so ist man heute dank zweier moderner
Doppeltriebwagen in 20 (Bergfahrt) bzw. 30 Minuten (Talfahrt) am jeweiligen Ziel.
Johann Vogt
www.wendelsteinbahn.de
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Karl Herrle dokumentierte den Bau der Ludwigs-Nord-Südbahn in heute idyllisch anmutenden Bildern, hier der Bahnhof von Schwabmünchen (um 1850).
Bahnhöfe, Stadtund Raumentwicklung
M
it dem Bau von Eisenbahnen waren Bahnhöfe anzulegen
und städtebaulich zu integrieren. Zudem wurden an Eisenbahnknotenpunkten ausgedehnte Areale durch Rangieranlagen, Stellwerke, Lokschuppen und Wartungseinrichtungen
belegt. Die ersten Bahnhöfe waren häufig nur provisorische Einsteighallen aus Holz, doch schon bald entstanden vor allem an wichtigen
Verkehrsknotenpunkten repräsentative Gebäudekomplexe in den
verschiedenen Stilrichtungen des Historismus. Das Formenreservoir
reichte von der Antike über die Gotik und Renaissance bis zum Barock; meistens fanden sich die Stilelemente in einer Mischform wieder. Am Bahnhof zeigte sich dem Reisenden der „erste Eindruck“
einer Stadt. Gerade großstädtische Bahnhöfe mit ihrer Zweiteilung
in Bahnsteighalle und Empfangsgebäude wurden zu viel beachteten Prestigeobjekten. Während in der Bahnsteighalle, überwiegend
in Eisen und Glas ausgeführt, die Technik dominierte, setzten die
in Stein gebauten Empfangsgebäude einen der Stadt zugewandten
städtebaulichen Akzent. Der Bahnhof entwickelte sich zum Zentrum
des gesellschaftlichen und politischen Lebens, wurde Schauplatz für
große Empfänge und Abschiede, aber auch ein Ort des ganz individuellen Willkommens und Auseinandergehens. Besonderen Charakter hatten Grenzbahnhöfe mit ihren ausgedehnten Gleisanlagen und
Zolleinrichtungen. An kleineren Bahnstationen fielen die Bahnhofsgebäude in der Regel bescheidener aus. Da meist ein Architekt für
ganze Streckenbereiche zuständig war, setzten sich bewährte, zweckmäßige Gebäudetypen durch, die je nach örtlichem Bedarf in der
Größe variabel in Serie gebaut wurden, wie zum Beispiel Gottfried
Neureuthers Typensystem mit vier Größenkategorien oder Eduard
Rübers „Normalpläne“ mit sechs Klassen. Die Bahnhöfe mit ihren
Vorplätzen oder Empfangshallen waren beliebte Postkartenmotive.
Auch gesellschaftliche Ereignisse wie Staatsbesuche, Jubiläen oder
Paradekonzerte, aber auch der Abschied oder die Heimkehr von
Truppen wurden auf Postkarten festgehalten. Die Eisenbahnpostkarten vermitteln heute einen nostalgischen Eindruck vom pulsierenden
Leben im Umkreis der Bahnstationen und von der sich wandelnden
Stadtlandschaft.
Bahnhöfe in Bayern
In den letzten Jahren vollzog sich ein grundlegender Wandel in den
Bahnhöfen. Die großen Bahnhöfe wurden vielfach zu Einkaufspassagen mit diversen Verpflegungseinrichtungen umfunktioniert, während kleine Bahnhöfe durch Automatisierung und Elektronisierung
des Betriebs ihre ursprüngliche Funktion verloren haben. Einige
Stationsgebäude werden für Wohn- und Geschäftszwecke genutzt,
stehen zum Verkauf oder wurden abgerissen.
Zwischen den Bahnhöfen lagen auf freier Flur entlang der Bahnstrecken an den Schienen-Straßen-Kreuzungen die inzwischen fast völlig verschwundenen Bahnwärterhäuschen, in denen oft weit abseits
der Ortschaften Familien wohnten, einen kleinen Garten bestellten
und vielleicht Kleinvieh für den eigenen Bedarf hielten. In diesen
auf Bildern häufig nostalgisch verklärten Ensembles ging es in ers­
ter Linie darum, die vom Bahnverkehr ausgehenden Gefahren unter
Kontrolle zu halten. Allein die Ostbahn AG erbaute bis 1861 in ihrem bis dahin auf 450 Kilometer angewachsenen Streckennetz 303
Bahnwärterhäuser, 43 Wachthäuser aus Stein und 68 provisorische
Holzhütten für die Überwachung.
eise n b a h n i n b a y er n
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Die Bahnstation Günzach im alpenländischen Stil von Karl Herrle (um 1855).
Der 1854 fertig gestellte und für das damalige Dorf eigentlich überdimensionierte Bahnhof
Veitshöchheim unmittelbar an der Sommerresidenz des bayerischen Königshauses erhielt
neben der öffentlichen Empfangshalle einen über einen Wandelgang erreichbaren Königspavillon. König Ludwig I. hatte verhindert, dass die Bahntrasse direkt durch den Schloss­
park geführt wurde. Veitshöchheim mit dem berühmten Rokokogarten wurde zu einem
beliebten Ausflugsziel.
Der Bahnhof von Erlangen in dem von Lorenz Valentin
Kleinknecht verfassten „Allgemeinen Taschenatlas der
europäischen Eisenbahnen“ von 1845 und die Bahnhöfe
von Nürnberg und Augsburg im „Ortsanzeiger für Reisende
auf der Ludwigs-Süd-Nord-Bahn von München bis Hof und
von Augsburg bis Lindau“ von 1854.
Der von Friedich Bürklein (1813–1872) und Jakob Graff (1820–1906) entworfene und bis
1871 erbaute Bahnhof von Simbach mit dem 108 Meter langen Empfangsgebäude mit den
markanten Rundbogentüren im Erdgeschoss gilt als einer der eindrucksvollsten Bahnhöfe
in Bayern, dem jedoch seit längerem eine angemessene Nutzung fehlt. Die Postkarte gibt
einen Hinweis auf die herzhafte Verköstigung, die das Bahnhofsrestaurant bot.
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eise n b a h n i n b a y er n
Die kolorierte Federzeichnung von 1860 zeigt einen Entwurf des
Würzburger Bahnhofs von Gottfried von Neureuther, dem Erbauer zahlreicher Bahnhöfe in Bayern.
Die Postkarte von 1906 zeigt den 1863 errichteten Bahnhof von Würzburg,
der den 1852 erbauten Ludwigsbahnhof ersetzte, dessen Kapazitäten
bereits zehn Jahre später nicht mehr ausreichten. Das Gebäude im Stil der
Neo-Renaissance entstand nach Plänen des Königlichen Baurats Gottfried
von Neureuther.
Der Münchner Hauptbahnhof in einem nach
einer Zeichnung von Jobst Riegel gestochenen Stahlstich von 1863 (links) sowie die
„Einstieghalle“ in einer Lithografie von 1854.
Auf dem Aquarellentwurf für eine Ansichtskarte hat Eugen Felle das
Bahnhofsgebäude von Pocking eigens herausgehoben.
Die am 2. Oktober 1903 versandte Postkarte zeigt das Bahnhhofsgebäude in Bärnau in der Oberpfalz – eine Bahnhofsarchitektur, wie sie
vielerorts zu finden war..
eise n b a h n i n b a y er n
Das um 1880/1900 entstandene Foto (links)
zeigt den Grenzbahnhof Bayerisch-Eisenstein.
Ab 1953 teilte der „Eiserne Vorhang“ mit hohen
Stahlplatten und Drahtzaun die Bahnhofsanlage in zwei Teile. Der Grenzbahnhof wurde 1991
durch Bundeskanzler Helmut Kohl feierlich
wiedereröffnet (unten). Seit 2006 kann man
mit der Waldbahn wieder über die Grenze bis
Špicák/Spitzberg im Böhmerwald fahren.
Anlässlich der Eröffnung des Alten Bahnhofs in Garmisch am 25. Juli 1889 versammelten sich die örtlichen Honoratioren an dem mit Girlanden geschmückten Gebäude.
Mit der Eisenbahn zur Erholung aufs Land: Auf der Rückseite dieser Werbepostkarte empfiehlt sich das Bahnhofshotel
in Wiesmühl bei Tittmoning wie folgt: „Gut eingerichtete
Fremdenzimmer zu mäßigen Preisen“.
… und manchmal wird aus einem aufgelassenen Bahnhof ein ESS-Bahnhof, wie hier
in Rimsting, wo zwei ambitionierte Gastwirte den 1911 erbauten und 1981 geschlossenen Bahnhof zu neuem Leben erwecken (www.kulturbahnhof-rimsting.de).
Der Bahnhof St. Ottilien hat eine gewisse Berühmtheit erlangt – gäbe es einen
Wettbewerb „Unser Bahnhof soll schöner werden“ – St. Ottilien wäre der Favorit!
Das pensionierte Bahnwärterehepaar Polke sorgt Jahr für Jahr für den blühenden
Blumenschmuck. Das im Jahr 1938 errichtete Bahnhofsgebäude an der Strecke
Augsburg-Weilheim, die 1898 als „Ammerseebahn“ eröffnet wurde, zeigt an der
Stirnseite ein Fresko, das auf die besondere Bedeutung dieses Bahnhofs hinweist: Ein
Missionar im Benediktinergewand begegnet Menschen aus verschiedenen Erdteilen
– ein Hinweis auf die Missionstätigkeit des Klosters St. Ottilien.
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eise n b a h n i n b a y er n
Ein neuer Berufsstand:
Der Eisenbahner
D
ie Bahn entwickelte sich bis zur Jahrhundertwende zum
weitaus größten Arbeitgeber im Königreich Bayern. Besonders an Eisenbahnknotenpunkten mit ihren zentralen Betriebseinrichtungen, Werkstätten und Verwaltungsstellen veränderte
die Bahn den Arbeitsmarkt völlig. Der Eisenbahndienst bot eine große
Anzahl von Arbeitsplätzen für Personen mit unterschiedlichster
Vorbildung, in den verschiedensten Bereichen und Diensträngen,
mit innerbetrieblichen Qualifikations- und Aufstiegsmöglichkeiten,
unterwegs im Fahrdienst oder standortgebunden, vom Bauingenieur und Juristen über den Lokomotivführer, Schlosser, Heizer und
Kontrolleur bis zum Gepäckträger. Die neuen Möglichkeiten im
Bahndienst forderten berufliche Flexibilität und örtliche Mobilität.
Allein die Staatsbahnverwaltung verzeichnete zwischen dem Gründungsjahr 1844 und dem Jahr 1914 ein immenses Wachstum von
einigen Hundert auf über 65000 Beschäftigte. Daneben gab es aber
auch noch private Bahngesellschaften als Arbeitgeber.
Der Sitz der Generaldirektion der königlich bayerischen Staatseisenbahnen in der Münchner Arnulfstraße, unweit des Hauptbahnhofs.
Ein eigenes Verkehrsministerium für Bayern
Der stark angestiegenen Bedeutung des Verkehrssektors trug die Ausgliederung der Verkehrsabteilung aus dem Außenministerium und
die Einrichtung eines eigenen Staatsministeriums für Verkehrsangelegenheiten Rechnung, das von 1904 bis 1920 bestand. Das repräsentative Ministerialgebäude wurde von 1905 bis 1912 an der Arnulfstraße in unmittelbarer Nähe des Münchner Hauptbahnhofs errichtet.
Es beherbergte im Untergeschoss die zentrale Briefsortieranlage der
Post, die mit einer unterirdischen Kleinbahn mit dem Hauptbahnhof
verbunden war. Mit der Zunahme des Bahnverkehrs ging allgemein
die Ausweitung des Post- und Telegrafenwesens einher.
Schon 1920 endet die kurze Geschichte des bayerischen Verkehrsministeriums. Die Weimarer Verfassung von 1919 verfügte, dass die
bayerischen Staatsbahnen mit einem inzwischen auf etwa 8500 Kilometer angewachsenen Schienennetz der Deutschen Reichsbahn zu
unterstellen sind. Damit verlor der Freistaat Bayern 1920/21 einen
Großteil seiner Staatseinnahmen; die Eisenbahnen hatten regelmäßig große Überschüsse erwirtschaftet.
Bis zum 1.1.1908 waren Eisenbahndienstsendungen portofrei, dann
mussten sie frankiert werden mit Briefmarken, die durch den Aufdruck
„E“ (für Eisenbahn“) oder ein gelochtes „E“ gekennzeichnet waren.
eise n b a h n i n b a y er n
Mit Dienstanweisungen - wie der
97-seitigen Anweisung für den Einsatz
der Luftdruck- und
der Luftsaugebremse
sowie Fachbüchern
wie dem Signalbuch - hier in der
2. Ausgabe, gültig
vom 1. August 1907 wurde die komplizierte Materie des
Eisenbahnwesens
in technischer wie
organisatorischer
Hinsicht bewältigt.
Dienstpost wurde mit eigenen
Dienstsiegeln verschlossen.
Da man auf der um 1910 zur Hauptbahn
erklärten Ammerseebahn entsprechendes
Personal benötigte, wurde das zuvor auf der
Saaletalbahn tätige Ehepaar Preisendörfer aus
dem fränkischen Ochsenthal bei Hammelburg
nach Kaltenberg versetzt. Katharina Preisendörfer, wie ihr Mann bei der Kgl. Bayer. Staatseisenbahn angestellt, war auf der Strecke zwischen Kaltenberg und Walleshausen zuständig
für die Auffüllung der Signale mit Petroleum.
Sie ist hier vor dem Bahnwärterhaus mit ihrem
Mann August und ihrem kleinen Sohn Karl zu
sehen. August Preisendörfer war bis zu seinem
Tod 1958 als Streckengeher auf der Ammerseebahn unterwegs.
Der 1876 gegründete Bayerische Verkehrsbeamtenverein vertrat die Interessen des
mittleren Dienstes und besaß eine eigene
Witwen- und Waisenkasse sowie eine Sparund Darlehenskasse. Auch die Spardabank ist
ursprünglich eine Eisenbahner-Bank.
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eise n b a h n i n b a y er n
Die Eisenbahn – ein begehrter Arbeitgeber
Die Nachfrage nach Stellen bei der Bahn war meist sehr groß, denn
der Bahndienst bot neben sicheren, gut bezahlten Arbeitsplätzen weitere Vorteile. Die „Eisenbahner“ wurden vom Arbeitgeber bis in das
Privatleben patriarchalisch umsorgt. Soziale Sicherungen wie Krankenunterstützungs-, Invaliden- und Sterbekassen sowie Vergüns­
tigungen wie Kantinenessen, Freifahrten, billige Kohlenversorgung
und Stellung von Schrebergärten förderten die Loyalität gegenüber
dem Arbeitgeber. Die Bahn engagierte sich auch im Wohnungsbau.
Besonders an Verkehrsknotenpunkten entstanden Eisenbahnersiedlungen, die wiederum die Gruppenbildung förderten. So wurde in
Regensburg eine mehrere Straßenzüge umfassende Eisenbahnersiedlung realisiert. Am Eisbuckel östlich von Kumpfmühl und unweit des
Bahngeländes erbauten die 1899 gegründete Baugenossenschaft des
Verkehrspersonals und die Staatsbahnverwaltung bis 1914 insgesamt
226 Wohnungen in vier geschlossenen zwei- und dreigeschossigen
Gebäudegruppen.
Der Eisenbahndienst wurde vielfach in der Familie „weitervererbt“,
die Bahn etablierte sich als „Familienarbeitgeber“. Bei Neueinstellungen wurden Familienangehörige stets bevorzugt. In der Zentralwerkstätte Regensburg wurden um die Jahrhundertwende nur Lehrlinge aufgenommen, deren Väter Eisenbahnangehörige waren. Für
den reibungslosen Ablauf des ständig anwachsenden Bahnverkehrs
war loyales Personal erforderlich, das sich mit den Interessen der Eisenbahnverwaltung identifizierte. Nur so konnte die Eisenbahn die
wirtschaftliche und gesellschaftliche Schlüsselposition ausfüllen, die
ihr seit den 1840er-Jahren zugewachsen war.
Die Bahnbeamten sahen sich selbst als Diener des Staates. Der typische Bahnbeamte war stolz auf seine Stellung als „Amtsperson“,
die er in Uniform und entsprechenden Rangabzeichen seiner Um-
welt kundtun konnte, wobei das Selbstbewusstsein manches „Kondukteurs“ übersteigert war, was vielfach Niederschlag in Karikaturen
und in der Literatur fand.
Der Eisenbahndienst blieb bis zum Ersten Weltkrieg eine Domäne der
Männer. Frauen finden sich erst seit etwa 1890 zunächst als so genannte „Ablöswärterinnen“, die ihre Ehemänner im Bahnwärterdienst vertraten. Ab etwa 1900 gab es auch „Dienstfrauen“, Zugbegleiterinnen,
die für die Hygiene in Schnellzügen zuständig waren. Erst nach 1908
wurden Frauen als Bürogehilfinnen bei der Bahn beschäftigt.
Es existieren kaum Quellen zu individuellen Lebensschicksalen von
Bahnbediensteten. Eine facettenreiche Charakterschilderung enthalten die Erinnerungen des Anton Mayer an seinen gleichnamigen
Vater, der 1864 in Schwandorf in den Bahndienst eintrat. Er verkörpert ein typisches Schicksal seiner Zeit. Aus persönlichen und wirtschaftlichen Zwängen wechselte er von einem traditionellen, zeitlich
und organisatorisch wenig reglementierten Handwerksberuf in den
umfassend durchorganisierten Bahndienst, in dem Dienstantritt
und Zugabfahrtszeiten den Tages- und Jahresablauf bestimmten.
Anton Mayer sen. war vor allem auf Drängen seiner Frau zur Bahn
gegangen. Schon dies beeinträchtigte seine Integrationsbereitschaft
im Bahndienst. In vielen Familienstreitigkeiten warf er seiner Frau
vor, dass sie Schuld daran habe, dass er, der gelernte Metzger, bei der
Eisenbahn gelandet sei. In den Wintermonaten konnte Anton Mayer
seine frühere Tätigkeit mit der neuen Stellung verbinden: Er schlachtete Schweine und verkaufte Geräuchertes, Presssack und Würste in
den „Bahnhofsrestaurationen“; besonders in München fanden seine
Waren „reißend Absatz“. Das „Grundübel“ in der Familie Mayer war
„des Vaters Vorliebe fürs Bier“. In welchem Ausmaß sich diese in den
Anfängen der Eisenbahn mit dem Bahndienst vereinbaren ließ, ist
ganz erstaunlich. (Aus: Carl Amery (Hg.), Dortmals. Ein Leben in
Bayern vor hundert Jahren, München 1975, S. 28, 38)
Dem auf das Jahr 1904 zurückgehenden Bahn-Sozialwerk liegt die Idee zu Grunde, eine Solidargemeinschaft der Eisenbahnerinnen und Eisenbahner zu bilden, die bei Krankheit und in Notfällen
halfen, aber auch in der Geselligkeit Zusammenhalt boten – erwähnt seien Eisenbahnerchöre und
-orchester, Sportvereine und Hobbyclubs. Mit der Bildung von Einkaufsgenossenschaften, dem Bau
von Erholungsheimen, der Veranstaltung günstiger Ferienreisen bot und bietet das Bahn-Sozialwerk,
heute eine Stiftung (BSW), dem Eisenbahnerstand Unterstützung in allen Lebensbereichen.
eise n b a h n i n b a y er n
Fotoserie von 1902 (von links nach rechts): Vor den jeweiligen Bahnhöfen nimmt das Personal in Uniform und Dienstkleidung Aufstellung:
Possenhofen, Vilshofen, Starnberg, Trostberg, Kirchseeon, Schweinfurt,
Kolbermoor.
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eise n b a h n i n b a y er n
Die Eisenbahn
und ihre Wirkungen:
Alles verändert sich
D
ie Eisenbahn verursachte eine Revolution im Güter- und
im Personenverkehr. Das gesamte Wirtschaftsleben nahm
neue Dimensionen an. Massengüter wie Kohle, Holz,
Steine, Eisen konnten in bisher nicht gekanntem Ausmaß bewegt
werden. Der Nah- und Fernhandel blühte auf. Güter, die an einem
Ort im Überfluss vorhanden waren oder über den lokalen Bedarf
hinaus produziert werden konnten, wurden durch die Eisenbahn
zu Handelsobjekten und trugen zum wirtschaftlichen Aufschwung
bei. Bisher lokal beschränkten Wirtschaftsräumen wurden einerseits
ganz neue Absatzmärkte erschlossen, andererseits wurde das von einer Bahnlinie durchzogene Gebiet zum Absatzgebiet für Waren aller
Art aus fernen Regionen.
Die wirtschaftliche Gesamtentwicklung wurde insbesondere dadurch
begünstigt, dass rohstoffarme Gegenden nun in großem Umfang mit
Kohle, der Hauptenergiequelle des Industriezeitalters, versorgt werden
konnten. Die traditionelle Wirtschaftsstruktur erfuhr durch die zunehmende Verbreitung von Fabrikprodukten für den alltäglichen Bedarf
einen grundlegenden Wandel und erlitt schwere Beeinträchtigungen.
Insgesamt veränderte die Eisenbahn mit ihren festen Routen und
Zeiten die althergebrachten, oft flexibleren Verkehrsbeziehungen.
Stichbahnen führten zu einseitigen Anbindungen an zentrale Orte
und daraus folgend zu wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Umorientierung. So stand zum Beispiel Ebrach traditionell in enger Beziehung zu Würzburg, wurde durch die Bahn jedoch mit Bamberg verbunden, während das früher bambergische Hollfeld durch die Bahn
mit Bayreuth verbunden wurde. Die früheren Reichsstädte Dinkelsbühl und Rothenburg pflegten durch Postkurse noch enge Kontakte
mit Württemberg, die Eisenbahn machte die Städte zu spät nach
Norden und Osten angeschlossenen bayerischen „Grenzstädten“.
Der Verlauf der Bahnlinien und die Lage des Bahnhofs hatten beträchtliche Auswirkungen auf die räumliche Gliederung und künftige Entwicklung einer Siedlung. Industrielle Produktionsstätten,
Fabriken und Großhandelsunternehmen der verschiedensten Branchen siedelten sich vorzugsweise in Bahnhofsnähe an. Aufgrund der
starken Ausweitung des Arbeitsmarktes stiegen die Bevölkerungszahlen rasch an, was wiederum eine Expansion der Wohnbebauung
und eine Verdichtung der Besiedlung in der Nähe von Bahnhöfen
zur Folge hatte. Während in verkehrsgünstig gelegenen Städten
Kaufhäuser und Spezialgeschäfte florierten, gingen in bahnfernen
Orten die Umsätze im Einzelhandel langfristig zurück. In der Nähe
von größeren Bahnstationen wurden bald auch Behörden und Bildungseinrichtungen von überlokaler Bedeutung begründet oder
ausgebaut. Die Ausweitung der Verkehrs-, Gewerbe-, Behörden- und
Wohnanlagen bewirkte eine Reduktion der landwirtschaftlich genutzten Fläche.
Eisenbahnknotenpunkte boten besondere Standortvorteile. Welch
große Bedeutung der Erschließung des Landes durch die Eisenbahn
zukam, wird an den großen Eisenbahnknotenpunkten München,
Nürnberg und Augsburg deutlich. Am stärksten wuchs die Landeshauptstadt München, sie überflügelte bald alle anderen bayerischen
Städte. Insgesamt verlagerte sich die Bevölkerung mehr und mehr
von den ländlichen in die aufstrebenden städtischen Gemeinden.
War ein Anschluss an das Bahnnetz bis in die zwanziger Jahre des
20. Jahrhunderts eine existenzielle Frage für jede Gemeinde, so veränderte sich dies mit dem Aufkommen des Automobilverkehrs. Den
großen gesamtwirtschaftlichen Vorteil der früh an das Hauptbahnnetz angeschlossenen Orte konnten bahnferne Gemeinden jedoch
bis heute nicht aufholen.
Von der „Eisenbahnzeit“
zur Mitteleuropäischen Zeit
Die Entwicklung Deutschlands im 19. Jahrhundert war insgesamt
geprägt von der Vereinheitlichung verschiedener Faktoren des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Alltags. Dieser Vorgang begleitete
und förderte das Zusammenwachsen der einzelnen Territorien seit
der Gründung des Deutschen Zollvereins 1834. Die Eisenbahn leis­
tete aus betrieblichen Notwendigkeiten heraus einen wichtigen Beitrag auf dem Weg zum kleindeutschen Nationalstaat. Als großräumig
agierendes Transportunternehmen brauchte sie einheitliche Maße
und Gewichte und eine einheitliche Währung. Ein besonderes Problem war die Zeit. Bis 1892 gab es keine allgemeingültigen Zeitangaben in Deutschland, wo die jeweiligen Orts- oder Landeszeiten galten. In den 1850er-Jahren war jede längere Zugfahrt mit ständigem
Regulieren der Uhren verbunden. Die zunehmende Verdichtung des
Bahnnetzes und die Notwendigkeit einer überregionalen Fahrplankoordination machte die Einführung einer einheitlichen Eisenbahnzeit erforderlich, die sich bald zur verbindlichen Standardzeit entwickelte. Daneben bestanden aber noch Jahrzehnte lang die Lokalzeiten
weiter. Erst 1893 wurde in Deutschland die Mitteleuropäische Zeit
eingeführt, die große Erleichterungen für alle am Verkehrs- und
Wirtschaftsleben Beteiligten mit sich brachte. Die neue Zeit basierte
auf der Zeitzoneneinteilung durch die internationale Standard-Zeitkonferenz im Jahr 1884.
eise n b a h n i n b a y er n
Der „Gruss aus Weigolshausen“ stellt den Bahnhof und das „Gasthaus zur Eisenbahn“ auf die gleiche Ebene wie
die Kirche. Das im leeren Feld einmontierte Wappen der unterfränkischen Gemeinde zeigt in Rot ein silbernes
Eisenbahnrad, das auf die große Bedeutung der Eisenbahn und der Schweinfurter Industrie für die Entwicklung des Ortes hinweist. Die Gemeinde war seit 1854 an die Hauptlinie Schweinfurt-Würzburg angeschlossen,
doch erst die besonders für den Güterverkehr wichtige Werntalbahn nach Gemünden machte Waigolshausen
1879 zum Eisenbahnknotenpunkt.
„Es ist höchste Eisenbahn!“ Eisenbahn, Fahrplan und exakte
Zugabfahrts- und Ankunftszeiten gehören untrennbar
zusammen. Im Idealfall konnte man nach der Eisenbahn die
Uhr stellen und bis heute sind Bahnhofsuhren, wie hier am
Münchner Hauptbahnhof, die weithin sichtbaren Zeitmesser. Der hier gezeigte „Winterfahrplan 1889/90 der königl.
bayer. Staats-Eisenbahnen“ enthält praktischerweise auch
einen Jahreskalender, wobei besonders zu erwähnen ist,
dass neben den christlichen auch die jüdischen Feiertage
darin aufgelistet sind.
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eise n b a h n i n b a y er n
Mit der Eisenbahn
ins Industriezeitalter
D
ie Eisenbahngeschichte ist untrennbar mit der Industrialisierung verbunden. Für den Bau und Betrieb von Eisenbahnen benötigte man Eisen – in erster Linie für Schienen
und Lokomotiven, aber auch für viele andere Bau- und Betriebsbereiche. Für die Eisengewinnung war Kohle erforderlich; Kohle war
aber auch unentbehrlich für den Betrieb von Lokomotiven, von
Dampfmaschinen in den verschiedensten Produktionsbereichen und
nicht zuletzt als Heizmaterial in den wachsenden Städten. So war es
naheliegend auch die heimische Kohle zu nutzen. Erst durch den Anschluss an das Bahnnetz wurde der Abbau der oberbayerischen Kohle
in Miesbach und Hausham, in Penzberg und Peißenberg lohnend.
Die Eisenbahn brachte den entscheidenden Schub im Einsatz von
Dampfmaschinen und damit für die Industrialisierung. Um von der
Einfuhr von Eisen und Maschinen aus dem Ausland unabhängig zu
werden, entstand durch den großen Einsatz von Persönlichkeiten aus
Technik, Wirtschaft und Politik in wenigen Jahrzehnten auch in Bayern die erforderliche Infrastruktur.
Ein hervorragendes Beispiel für einen Unternehmer der frühen Industrialisierung ist der Münchner Josef Anton von Maffei (1790–1870),
der ein weit verzweigtes Firmenimperium aufbaute. Maffei war 1835
Gründungsmitglied der Bayerischen Hypotheken- und Wechsel-Bank,
1834 Besitzer einer Papiermühle, 1841 Erbauer des Hotels Bayerischer
Hof in München und 1837 Mitbegründer der München-Augsburger
Eisenbahngesellschaft. Auch als Mitglied der Kammer der Abgeordneten setzte er sich für den Eisenbahnbau ein. 1838 kaufte er eine noch
mit Wasserkraft betriebene Hammerschmiede mit Walzwerk in der
Hirschau in München und baute sie mit anfangs 160 Arbeitern und
einem technischen Direktor aus England zu einer Fabrik für Lokomotiven und andere Maschinen aus. Die erste in Bayern hergestellte Lokomotive wurde von König Ludwig I. „Der Münchner“ getauft.
Neben dem Lokomotivenbau war Maffei in weiteren Bereichen tätig. 1846 gründete er eine Werft für Dampfschiffe in Regensburg, der
1859 eine Eisenbrückenabteilung angegliedert wurde (Brücken für
die Ostbahn; 1859: 300 Arbeiter). 1853 wurde Maffei Hauptaktionär
der Eisenwerk-Gesellschaft Maximilianshütte bei Haidhof, zu der ab
1859 auch die Maxhütte bei Rosenberg gehörte. Außerdem besaß er
ein Gut mit Torfstichen im Gebiet der Osterseen, an dem später die
Bahnlinie nach Penzberg vorbeiführte. 1931 wurde die Maffei’sche
Fabrik mit der 1866 gegründeten Lokomotivfabrik Krauss vereinigt;
das Unternehmen nannte sich seit 1940 „Krauss-Maffei AG“.
Weitere bedeutende Industrielle des jungen Industriezeitalters waren
Theodor von Cramer-Klett (1817–1884), Rudolf Diesel (1858–1913) und
Heinrich von Buz (1833–1918), die Väter der Maschinenfabrik AugsburgNürnberg (MAN, seit 1898), der Pionier der schwäbischen Textilindustrie Karl Ludwig Forster (1788–1877), der Augsburger Papierfabrikant
Georg Haindl (1816–1878), der fränkische Bleistiftfabrikant Lothar von
Faber (1817–1896), der Pionier der Aschaffenburger Papier- und Zellstoffindustrie Philipp Dessauer (1837–1900), die Schweinfurter Kugellagerfabrikanten Engelbert Fries (1861–1946), Karl Fichtel (1863–1911)
und Ernst Sachs (1867–1932), Karl von Linde (1842–1934), der Erfinder
der Ammoniak-Kältemaschine und Begründer von Linde’s Eismaschinen
AG in München (1879) – die Reihe ließe sich noch lange fortsetzen.
Das heute in der Nachfolgefirma
MAN Nutzfahrzeuge AG/Motoren
in Nürnberg befindliche Gemälde
von Eugen Napoleon Neureuther
aus dem Jahr 1858 beleuchtet den
Boom des Industriezeitalters: Die
Ansicht der Cramer-Klett`schen
Fabrik vor dem Wöhrder Tor in
Nürnberg ist in eine kulissenartige
Szenerie getaucht, die einerseits
realistische Einsichten in Werks­
hallen gibt (links unten eine
Waggonfabrikation), andererseits
in ihrer allegorisch-romantischen
Darstellungsweise die Arbeit in der
Fabrik ins Heroische idealisiert.
eise n b a h n i n b a y er n
Und auch hier das
Zusammenwirken von
Industrie und Bahnhof
mit dem Bergwerk in
Peißenberg.
Eine Werkslokomotive auf dem Gelände
der Riedinger`schen
Maschinenfabrik in
Augsburg.
Mit Beginn des Bahnbaus in Bayern setzte eine immense Nachfrage nach den dafür notwendigen Eisenprodukten ein. Obwohl der für
den Transport von Massengütern – Roheisen, Kohle, Holz – unabdingbare unmittelbare Bahnanschluss noch fehlte, wurde im Sauforst
zwischen Haidhof und Burglengenfeld 1851/53 die Eisenwerk-Gesellschaft Maximilianshütte gegründet. Entscheidend für die Standortwahl waren die Braunkohlelager im Sauforst. Das Schienenwalzwerk sollte von Lieferungen aus dem Ausland unabhängig machen
und bildete eine wichtige Voraussetzung für die schon laufenden und
noch bevorstehenden Bahnbauten in Bayern. 1859 sicherte sich die
Gesellschaft durch den Erwerb der Sulzbacher Erzgruben die Erzzulieferung für die Stahlproduktion. Im selben Jahr wurde die Bahnlinie
Nürnberg—Amberg—Regensburg eröffnet, die den Massentransport
des Erzes zwischen Sulzbach und Haidhof entscheidend erleichterte.
Nach der Eröffnung der Strecke Schwandorf—Furth im Wald 1861/62
war auch die Kohlezufuhr aus Böhmen gesichert. Beim Dorf Rosenberg b. Sulzbach wurden 1864/65 zwei neue moderne Hochöfen
errichtet; weitere Werksvergrößerungen folgten. Die Maxhütte Sulzbach-Rosenberg entwickelte sich zum bedeutendsten Hüttenstandort
Süddeutschlands mit bis zu 10000 Beschäftigten (Stilllegung 2002).
Ein weiteres Beispiel ist Kolbermoor. Die Geschichte des Ortes ist
engstens verbunden mit der Erschließung des Mangfalltals durch
die Eisenbahnlinie München—Rosenheim 1857. Mit der Eröffnung
des Haltepunkts Kolbermoor 1859 begann die Industrialisierung im
torf- und holzreichen Kolbermoos. Um die 1860 gegründete und bis
1993 betriebene Baumwollspinnerei entwickelte sich die rasch wachsende Industriegemeinde Kolbermoor.
Ebenfalls in enger Verbindung mit der Eisenbahn steht die Geschichte von Kirchseeon. Die am Ebersberger Forst gelegene Siedlung entstand erst nach einer Naturkatastrophe 1889, bei der ein Großteil der
umliegenden ausgedehnten Waldungen dem Nonnenfraß zum Opfer
fiel. Zur Verarbeitung des anfallenden Holzes errichteten die Bayerischen Staatseisenbahnen 1889/90 ein großes Schwellenwerk, das
sich zum Dorf Kirchseeon, dem Mittelpunkt der schnell wachsenden
Industriegemeinde, entwickelte (seit 1959 Markt).
Die neuesten technischen Entwicklungen fanden große Aufmerksamkeit
bei den jährlichen Landesausstellungen. Die Privatganzsache von Bayern
zeigt die auf der Bayerischen Jubiläums-Landes-Ausstellung Nürnberg
1906 präsentierte 2`B2`-Lok, Baureihe S 2/6 der Firma Maffei, von der nur
ein Exemplar gebaut wurde, das sich heute im Verkehrsmuseum Nürnberg
befindet. Die am 3. Mai 1906 in Betrieb genommene Lokomotive stellte
am 2. Juli 1907 mit 154,6 km/h einen Geschwindigkeitsweltrekord auf.
Die Qualität der Schienen war entscheidend für die Verkehrs­
sicherheit. Die Maxhütte arbeitete ständig an der Qualitätsverbesserung. Das Patent auf die „verschleißfeste Schiene“ stammt
aus dem Jahr 1926; die Maxhütte warb dafür in einer Broschüre
(wohl 1930er-Jahre). Schienen der Maxhütte waren auf dem
internationalen Markt sehr gefragt, sie fanden beispielsweise
beim U-Bahnbau in New York Verwendung.
Welch großes Wachstum gerade der industrielle Maschinenbau in
Bayern erlebte, zeigen die Beschäftigtenzahlen: 1847 waren es erst
etwa 1000 Menschen, 1882 gut 6500 und 1907 fast 35500.
Neue chemisch-technische Erkenntnisse im Brauwesen und der
Kältetechnik bildeten seit den 1870er-Jahren die Basis für die industrielle Organisation der Münchner Großbrauereien als Aktiengesellschaften. Als Pionier des modernen Brauwesens gilt Gabriel
Sedlmayr (1811–1891). München überflügelte bald alle anderen
Brauereistandorte in Bayern, Böhmen und Österreich. Münchner
Bier wurde weltweit zum Begriff.
München, Nürnberg, Augsburg, Schweinfurt – das sind die bekannten Industriestandorte Bayerns, doch auch abseits der großstädtischen Verdichtungsräume gibt es Orte, deren Entwicklung untrennbar mit dem Anschluss an das Eisenbahnnetz verbunden ist.
Hier nur wenige Beispiele:
Die Maxhütte –
eine Schienenfabrik für Bayern
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eise n b a h n i n b a y er n
Strukturwandel
in der Landwirtschaft
I
n der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren Landwirtschaft
und Viehzucht in weiten Teilen Bayerns die Haupterwerbszweige. Weder im Ackerbau noch in der Viehzucht wurde handelsorientiert produziert. Die Deckung des eigenen und lokalen
Bedarfs stand im Vordergrund. Der Handel auf lokaler Ebene war
rege. Von verkehrsmäßig wenig erschlossenen Gebieten aus waren
größere städtische Absatzmärkte nur schwer zu erreichen. Auch die
allgemeinen Produktionsbedingungen verhinderten eine zum Export motivierende Überschussproduktion.
Erst die Verkehrserschließung durch die Eisenbahn und damit die Erleichterung und Beschleunigung des Transports führte langfristig zu
einer Intensivierung der landwirtschaftlichen Produktion, die sich mit
der Entwicklung der Kühltechnik noch verstärkte. Die verschiedensten
landwirtschaftlichen Erzeugnisse wie Getreide, Kartoffeln, Vieh, Milch,
Butter, Käse, Eier und Geflügel konnten neuen Absatzmärkten, vor
allem den wachsenden Industriestädten, zugeführt werden.
Getreide wurde durch die Eisenbahn beliebig verkehrsfähig. Der
Handel mit Getreide spielte sich immer weniger auf dem öffentlichen
Markt, dafür zunehmend im Büro des Großhändlers ab. Die Eisenbahn ermöglichte die Ansammlung großer Gütermengen in zentral
gelegenen Lagerhäusern, deren Verkauf nicht an bestimmte Markttermine gebunden war. Bisher war die Nachfrage stets dem Angebot
voraus. Durch die Eisenbahn nahm das Angebot stark zu, überholte
die Nachfrage und drückte den Preis, denn neue Erzeugungsgebiete,
die USA, Kanada, Russland, Argentinien, drängten auf den Markt.
Die europäische Landwirtschaft ging durch diese Konkurrenz einer
Krise entgegen.
Auch der Viehhandel erhielt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts neue Strukturen. Das traditionelle Verbot, Vieh außerhalb der
Märkte zu verkaufen, wurde aufgehoben. Händler und Metzger kauften Vieh zunehmend direkt bei den Bauern. Schlachthöfe wurden die
neuen Viehhandelszentren. Mit den Fortschritten der Kühltechnik
nahm der Fleischversand ganz neue Dimensionen an.
Die Eisenbahn spielte eine wichtige Rolle bei der Entwicklung des
Allgäus zum bedeutendsten Milchwirtschaftsgebiet Süddeutschlands. Zentrale Figur war der Molkereifachmann und Politiker Carl
Gütertransport – ohne Bahn keine Ware: Die Mälzerei Seitz aus Deggendorf schickt am 29. August 1917 gebrauchte leere Jutesäcke mit einem
Gewicht von 150 kg nach Gevelsberg-Haufe in Westfalen; die Fracht wird
in Plattling, Gemunden, Kalk und Hagen umgeladen und kommt nach
rund 10 Tagen beim Empfänger an.
Ein besonderer Transport: ein „lebender Jagdhund“ mit einem Gewicht
von 70 kg und dem Vermerk „Beschleunigtes Eilgut“ geht am 16 Juli
1917 von Großeibstadt nach Gevelsberg-Haufe in Westfalen.
eise n b a h n i n b a y er n
Dampfsägewerk, „Electr.
Zentrale“ und Bahnhofsanlagen – damit war das
Sägewerk in Stadtlauringen in der Lage, seine
Erzeugnisse weiter in die
Region transportieren zu
lassen (und dem Herausgeber der Ansichtskarte
sei die „Wahlfahrtskapelle“ verziehen!).
Hirnbein (1807–1871). Schon 1830 gründete er eine Weichkäserei in
Wilhams. Er führte Zuchtvieh aus der Schweiz ein, erwarb im Allgäu
Sennereien und Ländereien im großen Stil und wurde zum größten
Milchaufkäufer. Die immense Nachfrage nach Milch führte dazu,
dass der traditionelle Flachsanbau im Allgäu von extensiver Viehund Weidewirtschaft abgelöst wurde. Hirnbein war Mitinitiator der
Bahn Ulm—Kempten (1862/63), die dem Sennereinetzwerk neue
Absatzmärkte erschloss. Auch die Anfänge des Allgäuer Tourismus
sind mit seinem Namen verbunden. Hirnbein erbaute das erste Hotel
in den Allgäuer Alpen, das 1855 eröffnete Grüntenhaus, das bequem
von der Bahnstation Immenstadt aus zu erreichen war.
Die Eisenbahn begünstigte auch den Anbau neuer Feldfrüchte
wie der Zuckerrüben. Die Zuckerfabriken waren für die Heranschaffung der Rüben, Kohlen und anderer Materialien und den
Abtransport der Zuckererzeugnisse und der in der Landwirtschaft
als Futtermittel geschätzten Rübenabfälle auf die Eisenbahn angewiesen. Allein zwischen 1898 und 1908 stieg in Bayern der Bahntransport von Zuckerrüben um 300 Prozent, von Zucker um 360
Prozent an.
Die Eisenbahn förderte auch den seit den fünfziger Jahren des 19.
Jahrhunderts zunehmenden Einsatz von Ackergeräten und Maschinen. In mehreren bayerischen Städten wie Augsburg, Sonthofen,
Altötting, Lauingen, Günzburg entstanden Landmaschinenfabriken, die zur Belieferung ihres Kundenkreises auf die Eisenbahn
angewiesen waren. Die Verwendung von Landmaschinen war aber
weiterhin von der Besitzgrößenstruktur und den allgemeinen Voraussetzungen wie der Bodengüte abhängig. So war zum Beispiel
der niederbayerische Gäuboden bei landwirtschaftlichen Innovationen anderen, weniger begünstigten Regionen immer weit voraus.
Auch für die Einführung der Mineraldüngung war die Eisenbahn
eine unabdingbare Voraussetzung. Nur ein auf Massengütertransport
eingerichtetes Transportmittel ermöglichte den Einsatz von Thomasphosphat, Ammoniak und Kalisalzen auf breiter Basis. Durch
die langfristige Bodenverbesserung konnten auch anspruchsvollere
Pflanzen oder Produkte, die der Markt nachfragte, wie Zuckerrüben,
angebaut werden. Noch 1906 waren Lothringen, das Saarrevier und
die Regierungsbezirke Merseburg und Thüringen die wichtigsten
Bezugsgebiete für Düngemittel. 1908 wurde das erste große deutsche Kalkstickstoffwerk, die Bayerische Stickstoffwerke AG im bay­
erischen Trostberg, gegründet. Bald kamen Produktionsstätten im
Tal der Alz (Hart, Schalchen) hinzu; Wasserkraftwerke lieferten die
nötige Energie. Hier liegen die Anfänge des bayerischen Chemie­
dreiecks. Die 1891 eröffnete Stichbahn Traunstein—Trostberg wurde
1910 in Richtung Garching a. d. Alz an die seit 1908 durchgehende
Strecke Mühldorf—Freilassing angebunden. Die Strecke München—
Mühldorf—Freilassing ist aber bis heute nur eingleisig und nicht
elektrifiziert, wodurch sich langfristig erhebliche Standortrisiken für
die Industrie im Chemiedreieck Burghausen-Burgkirchen/GendorfTrostberg ergeben.
Auch im Bereich der Viehzucht war die Bahn nicht ohne Wirkung.
Mit der Eisenbahn konnte Schlachtvieh ohne Gewichtsverluste zum
Konsumenten gelangen. Die durch die billigen Getreideimporte beeinträchtigten landwirtschaftlichen Betriebe stellten sich auf Viehmast um. Mit der Zunahme der Rinderzucht ging die Schafhaltung
zurück, Wolle wurde zum Importartikel. Zugleich konnte Zuchtvieh
auch in weiter entfernte Gebiete transportiert werden. Auf diese Weise trug die Eisenbahn seit Mitte des 19. Jahrhunderts auch entscheidend zur Rassenbereinigung in der Viehzucht bei.
Die Eisenbahn –
„Hauptschädiger“ der Landwirtschaft?
Seit den 1880er- und 90er-Jahren wurde die Eisenbahn und damit
der Staat von vielen Seiten für die Schwierigkeiten der deutschen
Landwirtschaft verantwortlich gemacht. Fritz Bachmeier bezeichnete
in seiner Schrift „Angenehmere Landwirtschaft“ 1895 die Eisenbahn
als „Hauptschädiger des deutschen Bodengewerbes“ und begründete
dies mit vier Argumenten:
„1. Sobald der Bahnbau in einer Gegend begonnen hatte, stellte sich
der früher unbekannte Mangel an Dienstboten und ländlichen Arbeitern ein; rasch stiegen sowohl die Löhne, als auch die Anforderungen
an teuerere Kost, insbesondere an Vermehrung der Getränke ...
2. Die Eisenbahnen rentierten in manchen Ländern sich nicht in
der Höhe des Zinsfußes der Staatsschulden und mußten deshalb die
Steuern um die Fehlbetragsquote erhöht werden. Hierdurch wurde
die Landwirtschaft besonders getroffen, da sie ja bisher die Hauptsteuerquelle war ...
3. Die Steigerung des Zinsfußes durch die in Folge der vielen Staatsanleihen vermehrte Nachfrage nach Kapital schädigte selbstverständlich auch alle damals schon mit Schulden behafteten Landwirte.
4. Der Hauptschlag aber, welchen die Eisenbahnen der Landwirtschaft versetzen, ist die Herbeiziehung der übermächtigen Konkurrenz fremder Länder, welche jedenfalls noch ein halbes Menschenalter andauern wird, bis diese Länder auch mit Industrie gesättigt sind,
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eise n b a h n i n b a y er n
Die neue, im Stadtosten unmittelbar an der Bahn gelegene Zuckerfabrik Regensburg wurde 1899 gegründet und 2008 stillgelegt. Die Zuckerfabriken
Ochsenfurt, Rain und Plattling sind jünger (gegründet 1951/57/61). (Die
Abbildung von 1913 ist entnommen aus: Die Industrie der Oberpfalz in Wort
und Bild, hg. v. d. Handelskammer Regensburg, Regensburg 1914, S. 91)
Das als Vorlage für eine Ansichtskarte gefertigte Aquarell zeigt den Verlauf der Eisenbahnstrecke in Trostberg mit den Brücken im Vordergrund
und dem Bahnhof ganz in der Nähe der Stickstoffwerke (links).
Das Zuckerrübenfeld von Johann Eggerstorfer
in Oberzeitldorn im Landkreis Straubing.
was besonders im Land der modernen Wunder, in Amerika allerdings in vielleicht unerwartet kurzer Zeit der Fall sein wird.“
Um die Jahrhundertwende wurde der Arbeitskräftemangel in der
Landwirtschaft vielfach beklagt. Georg Ernst bemerkte 1907 dazu:
„Früher war der Eisenbahndienst verpönt, gewissermaßen gefürchtet,
zur Zeit aber trachtet jeder Bauernknecht unter die schwarze Mütze
zu kommen.“ Freiherr von Schnurbein kritisierte in der Kammer der
Reichsräte am 11. April 1910, es sei „in den letzten Jahren ... öfter vorgekommen, daß während der Heu- und namentlich während der eigentlichen Ernte ... auf den Bahnstrecken 24- bis 37jährige Arbeiter nichts
Besseres zu tun hatten als die Schienen auszugrasen“. In der Hoffnung
auf Abhilfe stellte man Forderungen an den Staat, wie: „Der Staat sollte
angewiesen werden, einen ledigen Burschen unter 30 Jahren nicht anzunehmen. Nach der Militärzeit läuft alles zur Bahn. Diese Arbeiten
gehören ... den verheirateten Arbeitern, nicht aber den ledigen.“ (Ein
Bauer aus dem Bezirksamt Dachau, zit. nach Georg Ernst.) Verlangt
wurde auch, den Bahnbediensteten und Bahnbauarbeitern niedrigere
Löhne zu zahlen. Das für die Staatsbahnen zuständige Staatsministerium des Königlichen Hauses und des Äußern ging darauf nicht ein; es
erklärte sich nur bereit, die Bahnunterhaltungsarbeiten während der
Erntezeit auf das Notwendigste zu beschränken (Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Verkehrsarchiv 4717, 21. August 1900).
Die Problematik für die Landwirtschaft lag insgesamt darin, dass
man einerseits auf die Eisenbahn mit ihren Verkehrserleichterungen
und Transportverbilligungen angewiesen war, andererseits entzogen
gerade die Lokalbahnen erst für den Bau, dann für den ständigen
Betrieb landwirtschaftliche Arbeitskräfte. Der Arbeitskräftemangel
trieb zu Rationalisierung und wurde zum Hauptmotiv für den verstärkten Einsatz von Landmaschinen.
Vor allem in Krisenzeiten kam der Eisenbahn große Bedeutung in
der Tarifgestaltung zu. Durch Festsetzung von Sondertarifen, die die
Verfrachtung landwirtschaftlicher Produkte begünstigten, konnte
die Eisenbahn positiv auf den Agrarsektor einwirken. Ausnahmetarife und Tarifermäßigungen wurden eingeführt: 1888 für Torfstreu,
1889 für Zuchtvieh, 1892 für Milchsendungen, 1893 für Getreideund Mühlenprodukte zur Ausfuhr über deutsche Seehäfen, 1894 für
Düngemittel, 1896 für Zuchtkälber in Kisten und Almweidevieh,
1898 für Gerste und Zuckerrüben. Seit 1893 galt ein Notstandstarif für Futtermittel wie Kleie, Treber, Kartoffeln, Ölsaaten, Heu und
Stroh. Durch die Gestaltung der Frachttarife konnten die internationalen Konkurrenzverhältnisse beeinflusst, großräumige Modernisierungsmaßnahmen, zum Beispiel ein Saatwechsel, beschleunigt und
neue landwirtschaftliche Organisationsformen entscheidend gestützt
werden.
Gerade für den Aufbau des landwirtschaftlichen Genossenschaftswesens, dem seit der Agrarkrise der Jahrhundertwende eine wichtige
Rolle zufiel, war die Eisenbahn grundlegende Voraussetzung. Die
Raiffeisenvereine gingen seit den 1890er-Jahren immer mehr zum
genossenschaftlichen Bezug von Dünge-, Futtermittel, Saatgetreide,
Sämereien, Maschinen, Brennmaterial und auch zum genossenschaftlichen Warenabsatz über. In Bahnhofsnähe wurden große Lagerhäuser errichtet. Den Endstationen von Stichbahnen kam in diesem Zusammenhang besondere Bedeutung zu, da sie als Übergangspunkte
von einem minderwertigen (Fuhrwerk) zu einem höherwertigen Verkehrsmittel (Bahn) zu Umschlagplätzen landwirtschaftlicher Erzeugnisse mit besonders großem Einzugsgebiet wurden.
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Eisenbahn und Personenverkehr:
Mobilität für Jedermann
Im Bahnhotel – hier bei Hans Schinkinger in Mühldorf – lässt es sich gut wohnen.
W
ie die Eisenbahn den Güterverkehr revolutionierte, so
veränderte sie auch den Personenverkehr ganz grundlegend. Reisen wurde einfacher, schneller, bequemer und
billiger. Allen Bevölkerungsschichten erwuchsen langfristig ganz neue
Möglichkeiten in der Lebensgestaltung, in der Wahl des Berufs, des
Arbeitsplatzes, auf dem Bildungssektor und bei Privatreisen. Auch
größere Entfernungen zwischen Wohnung und Arbeitsplatz konnten
mit der Bahn täglich zurückgelegt werden; die Zahl der Pendler stieg
rasch an. Durch wirtschaftliche Zwänge sehen sich viele Menschen
heute mehr denn je dazu gezwungen, Teile ihrer Lebenszeit auf unwirtlichen Bahnsteigen und in vollen Zügen zu verbringen.
Die Eisenbahn leistete einen wichtigen Beitrag zur Demokratisierung
des Reisens, das nicht länger einer kleinen Oberschicht vorbehalten
war, wenn auch die Eisenbahnwaggons nach Komfort und Preis erst
in vier, dann drei und heute zwei Klassen gestuft sind. Im Eisenbahnverkehr liegen die Anfänge des Massentourismus. Bahnstationen wurden zu regelrechten Ausflugszielen mit florierender Gastronomie. Das
stille, bislang kaum bekannte Dörfchen Lochhausen nordwestlich von
München war 1839 für einige Monate Endstation der München-Augs­
burger Bahn. Ein Zeitgenosse berichtet: „Damit ging ein glücklicher
Stern auf für Lochhausen, das überrascht und freudetrunken täglich
Hunderte von Hauptstädtern ankommen sah, die die Eisenbahn hatten probiren wollen. Die Frequenz hat allerlei abgesetzt; ein solcher
Niederschlag ist zum Beispiel der schmucke Wirthshauspavillon von
Holz rechts der Bahn und das mächtige Belvedere gleichen Stoffes zu
seiner Seite, eigens erbaut, damit die früher angekommenen Münchner den später daher rollenden entgegensehen können.“ Ein beliebtes
Ziel für die Münchner war seit 1854 der Starnberger See, dessen reizvolle Umgebung seit langem von den bayerischen Kurfürsten und
Königen und seit Anfang des 19. Jahrhunderts auch von begüterten
Bürgern und Künstlern hoch geschätzt wurde. Der Bodensee mit Lindau war schon seit 1853/54 mit der Bahn zu erreichen. Die Erschließung der bayerischen Alpen, des Allgäus, des Bayerischen Waldes und
des Fichtelgebirges für den Tourismus folgte erst später. Sonthofen
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erhielt 1873 einen Bahnhof, Oberstdorf und Berchtesgaden erst 1888,
Garmisch und Partenkirchen 1889. Die hochalpine Zugspitzbahn zwischen Garmisch und dem Schneefernerhaus wurde 1929/30 eröffnet.
Mit dem Bahnverkehr stiegen die Gästezahlen überall rasch an.
Auch der Chiemgau mit seinen landschaftlichen Reizen wurde ein
beliebtes Feriengebiet. Prien war seit 1860 Station an der Linie München—Rosenheim—Salzburg. Zu einer Touristenattraktion entwickelte sich nach dem Tod König Ludwigs II. (1886) das Schloss Herrenchiemsee, das durch die nur etwa zwei Kilometer lange und in zwei
Monaten 1887 fertig gestellte private Chiemseebahn Prien—Stock mit
Anschluss an die Chiemseeschifffahrt bestens erreichbar war. Die noch
heute betriebene Dampfbahn steht seit 1980 unter Denkmalschutz.
Die neuen Möglichkeiten der Eisenbahn hatten aber auch ihre Schattenseiten. Mit den wachsenden Beförderungskapazitäten ergaben sich
neue Dimensionen der Kriegführung; schnelle Truppen- und Materialtransporte über weite Entfernungen veränderten die Kampfbedingungen seit Mitte des 19. Jahrhunderts entscheidend. Verwundete und
Kriegsgefangene wurden per Bahn befördert. Das dunkelste Kapitel
der deutschen Geschichte, der Betrieb von Vernichtungslagern für Juden und andere „volksschädliche“ Personenkreise in der Zeit des Nationalsozialismus wäre ohne die Eisenbahn und ihre Viehtransportwägen nicht durchführbar gewesen.
Auch soll nicht vergessen werden, dass die Eisenbahn – wie alle Technik – nicht vollkommen ist. Die Tragik von Eisenbahnunglücken lässt
niemanden unberührt. Dass Menschen, die freiwillig aus dem Leben
scheiden wollen, in der Eisenbahn dazu eine Möglichkeit sehen, ist ein
weiteres dunkles Kapitel. Das Eisenbahnunglück bei Hochzoll/Augsburg
vom 29. Oktober 1908 fand Widerhall in mehreren Fotografien, die als
Postkarte erschienen, wie hier die in der Graph. Anstalt H. Winckler,
Augsburg, herausgegeben Karte.
Kaum etwas könnte das Ende
der bayerischen Staatseisenbahn
besser dokumentieren als dieser
Dienstbrief, der aus Würzburg an
den Regierungsbaurat Langen in
Berlin ging: Fein säuberlich sind
die Worte „Bayer. Staats …“ durchgestrichen und mit „Reichs…“
ersetzt – und selbst den Plural hat
der gewissenhafte Beamte korrigiert: Aus den „Königlich Baye­
rischen Staatsbahnen“ wurde die
„Deutsche Reichsbahn“.
Mit den beliebten Reklamemarken stellte der Bayerische Verkehrsbeamtenverein die Bahn in ihrem besten Licht dar: Eine besonders schön gestaltete
Serie zeigt verschiedene Motive aus dem Eisenbahnwesen, hier eine mit
Volldampf durch die Gebirgslandschaft brausende Lokomotive sowie eine
wanderlustige Familie, die offenbar gerade mit dem Zug aus der Stadt
angekommen ist, um im Gebirge eine Wanderung anzutreten, neugierig
beäugt von einer Einheimischen in Berchtesgadner Trachtenjacke, die an
eine in den Jugendstil gewendete Kirchgängerin Wilhelm Leibls erinnert.
Mit dieser Postkarte, die einen Sanitätszug des Internationalen Roten
Kreuzes zeigt, der Kriegsverwundete abtransportiert, warb das bayerische Landeskomitee um Spenden für die „Freiwillige Krankenpflege im
Kriege“.
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Mythos Eisenbahn
D
ie Eisenbahn, eine zentrale Thematik der politischen
und wirtschaftlichen Diskussion seit den 1830er-Jahren,
und die alle Sinne erfassende Faszination der ersten von
Dampflokomotiven bewegten Züge fanden vielfach Niederschlag in
der zeitgenössischen Publizistik. Besonders Karikaturen vermitteln
die Bandbreite der Empfindungen von ungläubigem Staunen und
überschwänglicher Begeisterung bis zu realen Gefahren bei Bahnfahrten und diffusen Ängsten vor dem eisernen Ungetüm. Mit der
Zeit und Raum revolutionierenden Neuerung und der Atmosphäre
auf Bahnhöfen und in Zügen beschäftigten sich Schriftsteller, Maler, Fotografen und Filmschaffende ausgiebig. Die Eisenbahn ist eine
vielschichtige Metapher in der gesamten Kunst.
Faszinierende Eisenbahnwelten
Die Eisenbahn fasziniert Menschen vom Kleinkind bis ins hohe Alter. Über viele Generationen war „Lokomotivführer“ der Traumberuf für Buben. „Wir haben alle mal Lokomotivführer werden wollen
… Uns lockte das Vor- und Rückwärtsfahren, das Bremsen, das Hantieren an den Hebeln, das Herumsteigen auf der Lokomotive während der Fahrt (dieses besonders!), das Pfeifen, das Rangieren und
Von Spitzweg bis Graffiti. Die Eisenbahn als Motiv in der Kunst umfasst
nahezu alle Genres – von der realistischen Darstellung einer revolutionären Technik bis zur allegorisch-symbolhaften Überhöhung als Metapher für die Unaufhaltsamkeit der Zeit, für Vergänglichkeit und Tod. Die
zeitgenössische Graffitikunst wiederum nutzt Eisenbahn und Bahnhofsgelände als „Malgrundlage“ – ohne das Eisenbahnwesen scheint der
Siegeszug der Graffitikunst kaum denkbar. Links ein seit einiger Zeit auf
das Sausen durch die Nacht … Um den Lokomotivführer ist Gemütlichkeit, trotz Schnelligkeit und genauer Zeit. Es hängt ihm noch ein
Rest der Biedermeierstimmung an, aus der Zeit der ersten Lokomotive, als Herren mit Zylindern hinter turmhohen Schornsteinen die
zauberhafte Maschine bedienten.“ (Walter Foitzick, 1942)
Ungezählt sind die Geschichten von Eisenbahnen, von personifizierten Lokomotiven – am bekanntesten wohl die Lokomotive
Emma mit ihren Freunden Lukas dem Lokomotivführer und Jim
Knopf. Seit dem Aufkommen der Eisenbahn gibt es Spielzeugeisenbahnen in den unterschiedlichsten Materialien und Ausführungen.
Sie waren für Generationen die großen Favoriten in der Spielzeugwelt. Für Modelleisenbahnen begeistern sich nicht nur Kinder, vor
allem deren Väter zeigen großes Engagement in der Anlage und im
Ausbau von Miniatur-Eisenbahnwelten. Auch von Ministerpräsident
Horst Seehofer ist bekannt, dass er zu den begeisterten Modelleisenbahnern gehört. Vielerorts haben sich Eisenbahnfreunde in Vereinen
zusammengeschlossen, um ihrem Hobby in geselliger Form nachzugehen. Sie pflegen die Eisenbahngeschichte, veranstalten Fahrten mit
historischen Zügen, restaurieren alte Dampfloks oder treffen sich bei
Modellbahnbörsen.
Emma Mages
einer Mauer kurz vor dem Münchner Hauptbahnhof befindliches Piece;
HCCB steht wohl für “High Capacity Color Barcode” – ein Strichcode von
Microsoft. Und wohl vom selben Sprayer stammt das nicht weit entfernt
an der gegenüberliegenden Seite der Bahnstrecke befindliche „Logo“ der
bayerischen Daily-soap „Dahoam ist dahoam“ – ein liebevoll verziertes
Lebkuchenherz.
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Carl Spitzweg, Gnom, Eisenbahn
betrachtend, um 1848, Öl/Holz
(Zigarrenkistendeckel), fränkischer Privatbesitz.
Das im Jahr 2008 vom Auktionshaus Ketterer angebotene
eigenwillige Motiv zeigt einen
Gnom, der – aus sicherem Abstand – eine vorbei dampfende
Eisenbahn beobachtet. Der Gnom
(in der ausgeführten Form sind
es zwei) symbolisiert die „alte“
Welt; er betrachtet aus sicherem
Abstand die „neue Zeit“, die mit
der dahinbrausenden Eisenbahn
herankommt. Die Entmythologisierung der Welt – so scheint
es das Fabelwesen zu sehen – ist
wohl nicht mehr aufzuhalten.
Paul Klee: München Hauptbahnhof II, 1911 (Feder/Papier auf Karton, 9,1 x 19,6 cm); Zentrum Paul Klee, Bern
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Wassily Kandinsky, Eisenbahn bei Murnau, auch genannt ‚Murnau – Aussicht mit Eisenbahn und
Schloss’, Sommer 1909 (GMS 9, Städtische Galerie im Lenbachhaus, München)
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„Promotionsvisualisierung“: Diese Zeichnung (Filzstift/gelochtes Endlospapier, 107 x 21cm)
des damals siebenjährigen Florian Schilhabel ist 1983 entstanden, während seine Mutter die
Promotionsarbeit von Emma Mages „Eisenbahnbau, Siedlung, Wirtschaft und Gesellschaft in der
südlichen Oberpfalz“ auf der Schreibmaschine schrieb.
Literatur
Ausstellungskataloge
Aufbruch ins Industriezeitalter, 4 Bde., hg. von Claus Grimm, hier bes. Bd.
4: Führer durch die Ausstellung zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte
Bayerns von 1750–1850 in Augsburg, München 1985 (Veröffentlichungen
zur bayerischen Geschichte und Kultur Nr. 3–6/85)
Ein Jahrhundert unter Dampf. Die Eisenbahn in Deutschland 1835–1919,
2. Aufl., Nürnberg 2009 (Geschichte der Eisenbahn in Deutschland. Katalog zur Dauerausstellung des DB Museums 1)
Leben und Arbeiten im Industriezeitalter. Ausstellung zur Wirtschaftsund Sozialgeschichte Bayerns seit 1850 in Nürnberg, hg. von Gerhard
Bott, Stuttgart 1985
Weichenstellungen. Eisenbahnen in Bayern 1835–1920, München 2001
(Ausstellungskataloge der Staatlichen Archive Bayerns 43)
Bayerischer Geschichtsatlas, hg. von Max Spindler, Redaktion: Gertrud
Diepolder, München 1969 (Karte 39a und S. 109–111, Bearbeiter G.
Wenisch)
Gall, Lothar/Pohl, Manfred (Hg.): Die Eisenbahn in Deutschland. Von den
Anfängen bis zur Gegenwart, München 1999
Glaser, Hermann: Kulturgeschichte der Deutschen Eisenbahn, Gunzenhausen 2009
Glaser, Hermann: Maschinenwelt und Alltagsleben. Industriekultur in
Deutschland vom Biedermeier bis zur Weimarer Republik, Frankfurt 1981
Handbuch der bayerischen Geschichte. Bd. IV: Das Neue Bayern. Von
1800 bis zur Gegenwart, begr. von Max Spindler, 2. Aufl. neu hg. von Alois
Schmid: 1. Teilband: Staat und Politik, München 2003; 2. Teilband: Innere
Entwicklung und kulturelles Leben, München 2007 (bes. Beiträge von
Wilhelm Volkert und Rainer Gömmel)
Zug der Zeit – Zeit der Züge. Deutsche Eisenbahn 1835–1985, 2 Bde.,
Berlin 1985
Knauß, Hans: Halb Fabrik, halb historischer Palast. Bahnhöfe in Bayern
– Zur Entwicklung eines Bautypus, in: Unser Bayern. Heimatbeilage der
Bayerischen Staatszeitung 34/7 (1985), S. 52–54
Weitere Literatur
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unteren bayerischen Eisenbahnbeamten 1844–1914, Stuttgart 1997
(Industrielle Welt 57)
Liebl, Anton J.: Die Privateisenbahn München-Augsburg (1835–1844).
Entstehung, Bau und Betrieb. Ein Beitrag zur Strukturanalyse der frühen
Industrialisierung Bayerns, München 1982 (Miscellanea Bavarica Monacensia 103)
Bartelsheim, Ursula: Versailles auf Rädern. Ludwig II. und sein Hofzug,
Nürnberg 2009 (Objektgeschichten aus dem DB Museum 1)
Lobenhofer-Hirschbold, Franziska: Fremdenverkehr (von den Anfängen
bis 1945), in: Historisches Lexikon Bayerns, S. 1–10, URL: <http://www.
historisches-lexikon-bayerns.de/artikel/artikel_44714> (15. Oktober 2009)
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Lohmann, Fritz: Die Entwicklung der Lokalbahnen in Bayern, Leipzig 1901
(Wirtschafts- und Verwaltungsstudien mit besonderer Berücksichtigung
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Schäfer, Hans-Peter: Die Entstehung des mainfränkischen EisenbahnNetzes, Teil 1: Planung und Bau der Hauptstrecken bis 1879, Würzburg
1979 (Würzburger Geographische Arbeiten 48)
Löwenstein, Theodor: Die bayerische Eisenbahnbaupolitik bis zum Eintritt
Deutschlands in die Weltwirtschaft 1825 bis 1890, Diss. Frankfurt am Main
1926, Teildruck Berlin 1927
Schweizer, Karl: 150 Jahre Eisenbahn im Landkreis Lindau, in: Jahrbuch
des Landkreises Lindau 18 (2003), S. 9–38
Luth, Kosmas: Der Bau der bayerischen Eisenbahnen rechts des Rheines,
München/Leipzig 1883
Mages, Emma: Eisenbahnbau, Siedlung, Wirtschaft und Gesellschaft in
der südlichen Oberpfalz (1850–1920), Kallmünz 1984 (Regensburger
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Mages, Emma: „… mit Dampfesflügeln auf der Eisenstraße fahren …“ 150
Jahre Eisenbahn im Regensburger Land, in: Regensburger Land 2 (2009),
S. 45–62
Mages, Emma: „…um Wohl und Wehe für alle Zeiten“. Zum 150-jährigen
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Marggraff, Hugo: Die königlich bayerischen Staatseisenbahnen in
geschichtlicher und statistischer Beziehung. Gedenkschrift zum 50. Jahrestag der Inbetriebsetzung der 1. Staatsbahnstrecke Nürnberg-Bamberg
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Zeitler, Walther: Eisenbahnen in Niederbayern und der Oberpfalz. Die
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Zeitler, Walther/Hufschläger, Helge: Die Eisenbahn in Schwaben 1840 bis
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kra u ss & c o m p.
Lokomotivfabrik Krauss & Comp. mit der festlich geschmückten 1000. Lokomotive, 1882
Lokomotiven für alle Spurweiten
Die Münchner Lokomotivfabrik Krauss & Comp.
kra u ss & c o m p.
Die erste Lokomotive der Firma Krauss, die „Landwührden“, 1867
Georg Krauß, Fotografie, 1901
A
ls Georg Krauß am 17. Juli 1866
den Gründungsvertrag der Lokomotivfabrik „Krauss & Comp.“ unterzeichnete, befuhren Dampflokomotiven
aus deutscher Produktion bereits 25 Jahre
lang das Schienennetz des Zollvereins. Borsig in Berlin, Maffei in München, Kessler in
Karlsruhe, Egestorff in Hannover, Henschel
in Kassel und Hartmann in Chemnitz – alle
diese Lokomotivbauunternehmen der ersten
Stunde hatten schon 500 und mehr Maschinen geliefert, als der Newcomer Krauß
sich in das hart umkämpfte Geschäft wagte.
Weniger wohlmeinende Zeitgenossen unkten bereits über die Aussichtslosigkeit eines
solchen Unterfangens, als Krauß mit einem
Paukenschlag alle Zweifler zum Verstummen
brachte: Auf der Weltausstellung in Paris im
April 1867 erhielt die „Landwührden“, seine
erste in München gefertigte Lokomotive, die
Große Goldene Medaille – die höchste Auszeichnung. Sie war nach einer neuen Bauart
konstruiert, die nun als „System Krauß“ allgemeine Anerkennung fand.
Münchner Dampfstraßenbahn mit Krauss-Lokomotive am Stiglmaierplatz, 1885
Dieser Erfolg war hart erarbeitet.
Der damals 41-jährige Krauß war kein
akademisch gebildeter Maschinenbauingenieur. 1826 in Augsburg als Sohn eines
Webermeis­ters geboren, besuchte er nach
Volks- und Gewerbeschule die Polytechnische Schule seiner Heimatstadt. Anderthalb Jahre verbrachte er als Volontär
in der Lokomotivfabrik von Joseph Anton
von Maffei in München. Dann arbeitete er
sich bei den Königlich Bayerischen Staatseisenbahnen vom Lokführer zum Obermaschinisten und zum Bahnbetriebsleiter
in Kempten und Lindau hoch. Während
dieser Jahre erwarb Krauß ein qualifiziertes
Fachwissen in der Lokomotivtechnik. 1857
wechselte er als Maschinenmeister zur Züricher Nord-Ost-Bahn, der größten Eisenbahngesellschaft der Schweiz. Dort konnte
er seine Fähigkeiten als Maschinenbauer
erstmals unter Beweis stellen. 1864 betraute
ihn die Direktion mit dem Bau neuer Lokomotiven, die er ganz nach seinen Ideen
gestaltete.
Die Loks sollten über wenig Eigengewicht, aber doch über große Zugkraft
verfügen. Krauß löste die Aufgabe durch
die Einführung der Kastenbauweise für das
Fahrgestell der Maschine. Die Kastenform
bewirkte eine Verschlankung der Konstruktion bei erhöhter Stabilität und senkte die
Materialkosten. Das eingesparte Gewicht
erlaubte größere, leistungsfähigere Kessel.
Außerdem konnte der Rahmen zugleich als
Wasserbehälter genutzt werden. Eine flexible
Regulierung der Wassermenge gestattete die
Anpassung des Lok-Gewichts an die jeweiligen Witterungs- und Steigungsverhältnisse
und bewirkte eine optimale Schienenhaftung.
Ende 1864 baute Krauß für seinen
Schweizer Arbeitgeber die vierte Lokomotive. Damals fasste er den Entschluss,
Zürich zu verlassen und sich in München
unternehmerisch selbstständig zu machen.
Schwieriger als gedacht verlief die Kapitalbeschaffung. Georg Krauß selbst verfügte
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kra u ss & c o m p.
Urkunde zur Verleihung der Fortschrittsmedaille an Krauss & Co. auf der Wiener Weltausstellung von 1873
über 40 000 Gulden. Nur mit Mühe gelang
es ihm, Geldgeber für die noch fehlenden
260 000 Gulden zu finden. Verantwortlich
für die Zurückhaltung der Investoren war
sein ehemaliger Münchner Arbeitgeber
Maffei. Er versuchte aus Sorge vor unliebsamer Konkurrenz mit allen Mitteln, Krauß’
Pläne zu durchkreuzen, was aber letztlich
nicht gelang.
Am 9. März 1866 erhielt Krauß von den
Behörden grünes Licht für die Errichtung
seiner Fabrik auf dem Marsfeld unweit des
Münchner Hauptbahnhofs. Am 15. März
1867 verließ die in Paris prämierte „Landwührden“ die Werkshallen. Auf der Wiener Weltausstellung 1873 wurden KraussLokomotiven mit der Fortschrittsmedaille
ausgezeichnet. Für Aufsehen sorgte 1875 die
Eröffnung der Uetlibergbahn, als eine von
Krauß gelieferte Lok mehrere Personenwagen auf den Gipfel des Züricher Aussichtsberges schob. Auf der 10 km langen Strecke
waren Steigungen von bis zu 7,9 Prozent zu
überwinden – eine Leistung, die normalerweise nur von Zahnradbahnen erbracht
wurde. Die Linie galt als steilste normalspurige Adhäsionsbahn Europas, was Krauß’
Ansehen weiter steigerte und die Auftragsbücher füllen half. 1872 wurde die 200., 1882
die 1000., 1888 die 2000. und 1904 die 5000.
Lokomotive ausgeliefert. Der Jahresumsatz
wuchs von 1867 bis 1874 von 0,5 auf 4,1 Millionen Mark, die Zahl der Arbeiter von 198
auf 705. 1872 eröffnete Krauß ein zweites
Werk am Münchner Südbahnhof, 1880 ein
drittes im oberösterreichischen Linz a. d.
Donau.
Ein Vorzug des „Systems KrauSS“
lag in seiner flexiblen Verwendung für alle
Maschinengrößen und Spurweiten. Bis zur
Jahrhundertwende lieferte die Münchner
Fabrik Lokomotiven mit 106 verschiedenen
Spurmaßen bei einer Leistung von 5 bis
800 PS. Krauß bediente damit vor allem
die wachsende Nachfrage nach Klein- und
Schmalspurlokomotiven. Beim innerbetrieblichen Materialtransport, in Untertagegruben, Steinbrüchen oder auf Großbaustellen kamen die als unverwüstlich
geltenden Triebfahrzeuge in Feld- und Industriebahnen zum Einsatz. Die Hälfte der
bis 1904 produzierten Maschinen entfiel auf
dieses Segment. Auch im Geschäft mit den
Eisenbahngesellschaften spielte der Schmalspursektor eine große Rolle. Um 1875 waren
die Hauptbahnstrecken überwiegend gebaut. Nun ging es um die Erschließung des
flachen Landes durch Nebenbahnen.
Um diese Linien rentabel zu betreiben,
mussten die Bau- und Betriebskosten gering
gehalten werden, was mit kostensparenden
Schmalspurbahnen gelang. 43 Prozent der
von Krauß bis 1904 an Eisenbahngesellschaften gelieferten Lokomotiven kamen auf
Sekundärstrecken zum Einsatz. Um den Absatz seiner Loks zu fördern, betätigte Krauß
kra u ss & c o m p.
Schmuckblatt anlässlich der Fertigstellung der 3000. Lokomotive, 1894
sich als Generalunternehmer für den Bau
von Bahnlinien. In Thüringen errichtete und
betrieb er die 44 km lange „Feldabahn“ –
Deutschlands erste meterspurige Eisenbahn.
In Oberösterreich folgte 1880 die über 61 km
von Linz a. d. Donau nach Klaus führende
„Kremstalbahn“, im elsässischen Colmar
1885 die 25 km lange „Kaysersberger Talbahn“. 1883 eröffnete Krauß in Wien den
Betrieb einer „Dampftramway“ mit einem
42 km umfassenden Schienennetz. Im gleichen Jahr startete die Münchner Dampfstraßenbahn. Sie führte vom Starnberger
Bahnhof über den Stiglmaier-Platz nach
Nymphenburg, erreichte mit den von Krauß
gelieferten Loks eine Geschwindigkeit von
16 km/h und blieb bis 1900 in Betrieb. Auch
in Städten Oberitaliens und der Niederlande
fuhren Tramwayloks von Krauß.
Tragende Säule des Geschäfts war
der Export. Über die Hälfte der Lokomotiven ging ins europäische Ausland, nach
Asien und Südamerika. Ab 1875 führte die
extreme Konjunkturabhängigkeit des Lokbaues auch bei Krauß zu tiefen und länger
anhaltenden Umsatzeinbrüchen. Erst ab
1890 setzte erneut ein starkes Wachstum
ein. 1900 war mit 2200 Beschäftigten und
einem Jahresumsatz von 11,7 Millionen
Mark der Höhepunkt erreicht. Zu diesem
Zeitpunkt hatte Georg Krauß sich längst aus
dem operativen Geschäft zurückgezogen.
Nachdem sein einziger Sohn Konrad 1885
tödlich verunglückt war, vollzog er 1886 die
Umwandlung des Unternehmens in eine
Aktiengesellschaft und wechselte als Vorsitzender in den Aufsichtsrat. Ein Jahr vor seinem Tod verlieh die Technische Hochschule
München dem in den Adelsstand erhobenen
Unternehmer 1905 „in Anerkennung seiner
bahnbrechenden Leistungen auf dem Gebiet
des Lokomotivbaus“ die Ehrendoktorwürde.
Für neue Aufträge sorgte die beginnende Elektrifizierung der Eisenbahn. 1909
fertigte das Unternehmen den Fahrzeugteil
der ersten bayerischen Elektrolokomotive,
die auf der Strecke Murnau—Oberammergau zum Einsatz kam. Heeresaufträge im Ersten Weltkrieg und Reparationslieferungen
an die Siegermächte brachten die Produktion
noch einmal in Fahrt. 1923 verließ die 8000.
Lokomotive das neue Werk in MünchenAllach. Danach bescherten Überkapazitäten
und die Weltwirtschaftskrise allen Herstellern rote Zahlen. Dabei kam die „Krauss &
Comp. AG“ noch glimpflich davon. 1931
übernahm sie den schwer angeschlagenen
Münchner Konkurrenten Maffei und ging
als „Krauss-Maffei AG“ gestärkt aus der Krise hervor. Das Ende der mit dem Namen
Krauß verbundenen Tradition kam 2001, als
Siemens die Verkehrssparte der aufgelösten
Krauss-Maffei AG übernahm. An die Anfänge erinnert noch heute die „Landwührden“,
Krauß’ preisgekröntes Erstlingswerk, das im
Deutschen Museum bewundert werden kann.
Richard Winkler
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still g ele g te strecke n
Ein Prellbock in der Landschaft – Stillgelegte Strecken
Simbach (Inn)—Kößlarn, ehemalige Einfahrt von Süden in den Bahnhof Tuttling
still g ele g te strecke n
Kempten Stellwerk I—Kempten (Allgäu) Hauptbahnhof, zwei ehemalige
Illerbrücken der ursprünglichen Ludwig-Süd-Nord-Bahn-Trasse zum
1971 abgerissenen Kopfbahnhof. Die linke Holzfachwerkträgerbrücke
wurde von 1852 bis 1904 verwendet und dann durch die rechte Betonbrücke ersetzt (Aufnahme 1999).
A
ls die ersten Hauptbahnen voller
Enthusiasmus und oft unter größten Herausforderungen gebaut
wurden und als ein halbes Jahrhundert später das Eisenbahnfieber in den Regionen
zum zweiten Mal ausbrach, dachte wohl
niemand daran, dass die „eisernen Bahnen“,
welche sich zu regelrechten Lebensadern
entwickelt hatten, einmal überflüssig werden würden. Niemand konnte sich wohl
vorstellen, dass im Lauf einiger Jahrzehnte
fast 150 Strecken und damit ein Drittel des
bayerischen Schienennetzes stillgelegt werden würde. Es waren zum großen Teil die
Nebenbahnen, welche ungefähr die Hälfte
des Gesamtnetzes ausmachten, die nach und
nach verschwanden, aber auch aufwändig
für zwei Gleise trassierte Hauptbahnlinien,
die teilweise sogar über Grenzen hinweg
Länder verbanden und an welche einstmals
große Erwartungen geknüpft waren, fielen
der Stilllegung zum Opfer.
Obwohl im Zweiten Weltkrieg fast die Hälfte aller Bahnanlagen zerstört wurde, waren
Kriegsschäden nur zu einem geringen Teil
und in Bayern nur in einem einzigen Fall
Auslöser für die Stilllegung eines Streckenabschnitts. So sprengten Angehörige der
Deutschen Wehrmacht im April 1945 in Kitzingen die Mainbrücke der nach Schweinfurt führenden Steigerwaldbahn, eine der
längsten Nebenbahnen in Bayern. Trotz
stetiger Bemühungen der Stadt wurde diese
nie wieder aufgebaut, sodass die Strecke nur
noch von Norden her befahrbar war.
Bald nach Kriegsende begann eine
Phase intensiven Wiederaufbaus der zer-
Gunzenhausen—Nördlingen („Ludwig-Süd-Nord-Bahn“), Formsignale
im Bahnhof Wassertrüdingen (Aufnahme 1995)
störten Eisenbahnstrecken, wenngleich dies
oft nur mit einfachsten Mitteln und häufig
provisorisch erfolgte: In Schweinfurt wurde
der Main 38 Jahre lang mittels einer damals
errichteten Behelfsbrücke überquert! Die
Wiederinstandsetzung der Eisenbahnstrecken trug zum allmählich einsetzenden wirtschaftlichen Aufschwung bei. In weiten Teilen wurde das lahm gelegte Netz befahrbar
gemacht und auch scheinbar unbedeutende
Orte mit weniger als 2 000 Einwohnern,
welche durch Stichbahnen Anschluss an
die weite Welt gefunden hatten, waren nun
wieder mit dem Zug erreichbar. Man konnte mit „seiner“ Bahn nach Heimbuchenthal,
Leupoldsdorf, Rügland-Unternbibert, Alling, Haidmühle, Obing oder Lechbruck
und an die zahlreichen Unterwegsstationen
gelangen.
Ungünstig für den Fortbestand
einer Strecke war bisweilen – abgesehen von
der geringen Größe einer Gemeinde – die
Tatsache, dass die Bahnhöfe manchmal relativ weit außerhalb des Ortes lagen, was in der
Topografie bzw. Streckenführung begründet
lag (Wallenfels, Heideck, Bad Heilbrunn,
Roßhaupten). Mancherorts konnte man sich
nicht auf einen Bahnhof einigen (Aub-Baldersheim, Höchstädt-Thierstein, Asch-Leeder) und zuweilen fiel die Entscheidung im
Interesse Einzelner, wie dies schon Ludwig
Thoma in seinem Stück „Die Lokalbahn“ beschrieben hat: Wegen der Ziegelei des Barons
kommt der Bahnhof „eine Viertelstunde vor
die Stadt hinaus“. Insgesamt aber veränderte
sich das Verkehrswesen in der Zeit von Wiederaufbau und Wirtschaftswunder grundle-
gend. Omnibusse und der zunehmende Individualverkehr bedrängten die Bahnen im
Hinblick auf den Personentransport, so wie
die Eisenbahn seinerzeit Kanalbetreibern
und Kutschern Konkurrenz gemacht hatte.
Aber auch Bahnen haben Bahnen verdrängt:
Neue Strecken entwickelten sich zu Konkurrenzlinien, sodass manche ehemalige Hauptbahn zur Nebenstrecke herabgestuft oder
ganz stillgelegt wurde. So war die Strecke
(Pleinfeld—)Gunzenhausen—Nördlingen,
bereits 1848 als Teil der Ludwig-Süd-NordBahn eröffnet, Glied einer Magistrale von
Sachsen in die Schweiz; 1906, als die wesentlich kürzere Verbindung über Treuchtlingen
nach Donauwörth endgültig fertig gestellt
wurde, hatte sie nur noch lokale Bedeutung,
bis dann der Personenverkehr zwischen
Gunzenhausen und Nördlingen 1985 ganz
eingestellt wurde.
Häufiger Grund für eine Stilllegung
war die Tatsache, dass eine Strecke bei städtebaulichen oder Straßenbaumaßnahmen
einfach im Weg war. Dies war der Fall bei
der Verbindung von Berchtesgaden Hauptbahnhof nach Salzburg Lokalbahnhof; diese
Strecke wurde bereits 1939 trotz hoher Frequentierung und Rentabilität bis zur Landesgrenze abgebrochen, weil sie beim Bau der
Zufahrtsstraße zum Obersalzberg hinderlich
war. Auch Wasserbaumaßnahmen musste
manche Bahnlinie weichen: So beschleunigte der Bau des Eixendorfer Stausees den
Untergang der Bahnlinie von Bodenwöhr
Nord über Neunburg vorm Wald nach Rötz
in der Oberpfalz und verschlang etliche Kilometer der Trasse.
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still g ele g te strecke n
Neustadt (Aisch) Bahnhof—DemantsfürthÜhlfeld, Haltestelle Dachsbach mit hölzernem
Agenturgebäude (Aufnahme 1995)
Haßfurt—Hofheim (Unterfranken), Bahnhof
Königsberg (Bayern) mit Dienstgebäude und
Güterschuppen (Aufnahme 1999)
Bamberg—Scheßlitz, Trasse westlich von Memmelsdorf (Aufnahme 1999)
Pressath—Kirchenthumbach, Bahnhofsanlagen Eschenbach (Oberpfalz), im Hintergrund
das Dienstgebäude (Aufnahme 1997)
Sinzing—Alling, Dienstgebäude des Bahnhofs Alling (Aufnahme 2002)
Gessertshausen—Türkheim (Bayern) Bahnhof („Staudenbahn“), Trasse nördlich von Ettringen (Aufnahme 1995)
still g ele g te strecke n
Pilsting—Abzweigstelle Elsenbach/Neumarkt-St. Veit, Relikt einer für zwei Gleise angelegten Brücke südlich von Mamming (Aufnahme 1996)
Mellrichstadt Bahnhof–Fladungen, Bahnhof Nordheim vor der Rhön mit Dienstgebäude, Güterschuppen und Laderampe (Aufnahme 1999)
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still g ele g te strecke n
Der preisgekrönte Spielfilm „Wallers letzter Gang“ mit Rolf Euba in der Hauptrolle (Buch und Regie: Christian Wagner) ist
literarisch und dokumentarisch zugleich: Er fußt zum einen auf dem Roman „Die Strecke“ von Gerhard Köpf und ist zum
anderen inspiriert von akribischen Recherchen an der Bahnlinie Isny—Kempten und ausführlichen Interviews mit dem
Streckengeher Anton Kretzler. Die DVD zum Film enthält ausführliche Materialien zur Entstehung des Film, aber auch zur
Geschichte der 1989 endgültig abgebauten Bahnstrecke. (www.wagnerfilm.de)
Die Aufgabe einer Bahnstrecke
erfolgte in den wenigsten Fällen stillschweigend. Nach intensiven Planungsphasen und
oft hohen finanziellen Aufwendungen der
betroffenen Gemeinden, der feierlichen Einweihung mit dem Jahrzehnte währenden
Betrieb war die „eigene“ Bahn zu einem
festen Bestandteil des Alltags geworden, mit
der man sich stark identifizierte. Dies zeigt
sich auch an den liebevollen Bezeichnungen,
die der Volksmund für seine Eisenbahn
fand: „Schäätzer Bockäla“, „Seekuh“, „Falkensteiner Bockerl“ oder „Legauer Rutsch“
sind nur einige Beispiele. Stilllegungspläne
führten häufig zu Protesten in den Gemeinden und das Ende war eine Inszenierung, die
viel mit der Einweihung gemein hatte: Der
letzte planmäßig verkehrende Zug, festlich
geschmückt wie bei der Eröffnung, war voll
besetzt wie bei der Jungfernfahrt. Im Fall der
Rötzer Bahn ging der Protest so weit, dass
Bürgermeister und Stadtrat ihre Ämter niederlegten und die Regierung der Oberpfalz
einen Kommissär entsandte, um die Lage zu
beruhigen.
In der Regel wurde zunächst der Personenverkehr auf der Bahnstrecke eingestellt und
auf Omnibusverkehr umgestellt; nur auf we-
nigen Strecken blieb ein, meist bescheidener,
Güterverkehr aufrechterhalten; bisweilen erfährt eine Strecke eine Neubelebung
durch die Veranstaltung touristischer Sonderfahrten. Am stärksten war Oberfranken
von der Stilllegungswelle betroffen (474,9
Kilometer, 29 Strecken), am wenigsten Mittelfranken (262,7 Kilometer, 15 Strecken),
obwohl dieser Bezirk 13 Quadratkilometer
größer ist und eine um 600 000 höhere Einwohnerzahl hat.
Die Gleise der stillgelegten Strecken wurden
meist abgebaut, die Trassen kann man aber
vielerorts noch aufspüren, häufig auch begehen, wenn man sich an alten Landkarten
und Fahrplänen orientiert. Man kann den
Charme unbekannter Orte entdecken, die
Landschaft in sich aufnehmen, den Reiz des
Vergänglichen im Augenblick spüren, aber
auch die einstige kulturelle und verkehrs­
geografische Bedeutung der Bahn gerade auf
dem Land erahnen − und seine Gedanken
auch in die Zukunft schweifen lassen. Und
bestimmt würde man sonst nie nach Sameis­
ter und Freßlesreuthe, Wullenstetten und
Witzighausen, Hexenagger und Tettenagger,
Wiesenthau und Pinzberg, Unterleinleiter,
Voccawind, Pflaumheim-Wenigumstadt,
Poppen­lauer, Leichendorf und Vincenzenbronn, Hohe Tanne, Altenplos und Krumme Fohre, Krummennaab, Kleinschloppen,
Schnabelweis oder Knadlarn kommen. Und
wüsste vielleicht gar nicht, dass Königsberg
in Bayern liegt.
Die untergegangenen Schienenwege sind auf die unterschiedlichste Weise gegenwärtig und durch allerhand Hoch-,
Kunst- und Erdbauten bezeugt. Bis zum
Ende der 1990er-Jahre waren immerhin
noch ungefähr 300 Bahnhofsbauten und
500 Brücken erhalten. Völlig untergegangen
ist eine einzige Strecke: ausgerechnet die legendäre Ludwigsbahn von Nürnberg nach
Fürth, von der eine rasante Entwicklung
ihren Anfang genommen hatte. Bis zu ihrer
Stilllegung 1922 hatte sie über 85 Jahre lang
als reiner Inselbetrieb ohne Anschluss an
das bayerische Netz existiert, trotz der Konkurrenz durch die Ludwig-Süd-Nord-Bahn,
welche nach einer Neutrassierung auch
Fürth berührte, und trotz einer direkt daneben liegenden zweigleisigen elektrischen
Straßenbahn.
Ob Relikte früherer Bahnstrecken erhalten
bleiben und welcher Nutzung sie zugeführt
still g ele g te strecke n
„Zug ist hier schon lange keiner mehr durchgekommen.
Die Bahnhöfe verfallen, die Wartehäuschen sind windschief, die Bahnsteige verkommen …
keine Anschlusszüge mehr. Irgendwo liegt ein Kursbuch herum,
der Wind spielt mit den knisternden Seiten …“
(Gerhard Köpf, Die Strecke)
werden, ist sehr unterschiedlich: Eine vor
über 110 Jahren stillgelegte Linie in Niederbayern (Perkam—Abzweigstelle Atting)
weist noch mächtige Erdbauten und den
ehemaligen Bahnhof von Pilling auf, welcher als solcher allerdings nicht mehr zu
erkennen ist und als Bauernhof genutzt
wird. Deggendorfs erstes Stationsgebäude
im Ortsteil Fischerdorf, vor über 130 Jahren
wegen einer Streckenverlegung aufgegeben,
ist gut erhalten und dient heute als Wohnhaus, während die Trasse in Feldern völlig
aufgegangen ist. Dagegen gibt es Linien, die
wesentlich später stillgelegt wurden, von
denen aber kein einziges Empfangsgebäude
mehr vorhanden ist.
So präsentieren sich diese Zeugnisse des Industriezeitalters in sehr unterschiedlichen
Zuständen. Es gibt romantisch anmutende
Trassenüberreste ohne Überbauung durch
Siedlungen oder Bereinigung von Fluren;
melancholisch stimmende Schottertrassen,
morsche Schwellen, rostige Schienen, funktionslose Signale, vergessene Waggons und
verlassene Gebäude; schwer zu erkennende
Einschnitte und Erhebungen, Schneisen
durch Wälder, charakteristischen Bewuchs,
Feldwege und Straßen, welche sich dem Eisenbahnarchäologen mit entsprechendem
Gespür und manches Mal nur mithilfe von
Zeitzeugen erschließen. Das Ende der Strecke oder ihren Anfang markieren häufig der
symbolträchtige Prellbock, zwischen Schienen gekreuzte Schwellen, die Haltscheibe
oder das Gleisende ... Oft findet man auch
zu Radwanderwegen ausgebaute Trassen,
allein in Bayern hunderte Kilometer, wobei
man der ursprünglichen Streckenführung
teilweise nur auf einzelnen Abschnitten bis
zu Landkreis- oder Gemeindegrenzen folgen kann.
Manche ungenutzte Strecke blieb
aber auch im ursprünglichen Zustand erhalten, sie wird „vorgehalten“ und nur die
Vegetation bemächtigt sich ihrer und lässt
sie „verkrauten“. Hintergrund sind meist
potenzielle Militärtransporte oder die Hoff-
nung auf eine Wiederinbetriebnahme. Die
grenzüberschreitende Linie vom oberfränkischen Selb-Plößberg nach Asch (Böhmen) beispielsweise, ursprünglich Teil der
Pachtbahn von Oberkotzau (bei Hof) nach
Eger – in den 1970er- und 1990er-Jahren
zur Nebenbahn zurückgestuft (während der
tschechische Teil bis heute den Status einer
Hauptbahn hat) – könnte jederzeit wieder in
Betrieb genommen werden und die Regio­
nen der beiden Nachbarländer verknüpfen.
Es gibt auch Strecken, die funktionstüchtig
bleiben für einen vereinfachten Betrieb oder
sogar elektrifiziert und hauptbahnmäßig
ausgebaut werden wie die Verbindung Waigolshausen—Wernfels, die als Abkürzung
für den Güterverkehr von Schweinfurt nach
Gemünden dient. Auf manchen Strecken,
beispielsweise in Mellrichstadt—Fladungen
oder Ebermannstadt—Behringersmühle,
findet in den Sommermonaten ein nostalgischer Museumszugverkehr statt.
In Bayern wurde im Jahr 1995 mit der Auflassung der unterfränkischen Nebenbahn
von Haßfurt nach Hofheim, an welcher
übrigens das bayerische Königsberg liegt,
die Welle der Stilllegungen gebannt. Ob das
Ende dieses „Rückbaus“ endgültig oder nur
vorläufig ist, bleibt abzuwarten.
Nur die allerwenigsten der stillgelegten Bahnen sind jemals wieder in Betrieb genommen worden. So wurden bald
nach dem Mauerfall und der Öffnung der
Grenzen von Mellrichstadt und Neustadt
bei Coburg 1991 zwei Verbindungen nach
Thüringen (Rentwertshausen und Sonneberg) wieder eröffnet sowie die mit 0,0 Kilometern kürzeste aller Strecken von Bayerisch Eisenstein nach Böhmisch Eisenstein
reaktiviert; die deutsch-tschechische Grenze
verlief mitten durch das seit 1878 bestehende gemeinschaftliche Dienstgebäude, über
Gleise und Bahnsteige – der trennende Zaun
wurde abgebaut und so wieder ein durchgehender Verkehr nach Pilsen ermöglicht. Von
den rein innerbayerischen Strecken hat man
nur zwei wieder belebt. 1994 wurde der Ab-
schnitt Mühldorf (Inn)—Wasserburg (Inn)
Bahnhof der Linie nach Rosenheim neuerlich in Betrieb genommen, auf welchem der
Verkehr seit 1985 geruht hatte, nachdem
die Fahrgäste einige Jahre lang vor der für
Züge gesperrten 150 Meter langen Innbrücke bei Jettenbach aussteigen und diese zu
Fuß überqueren mussten, um dann wieder
zur Fortsetzung der Fahrt in einen anderen
Triebwagen einzusteigen. Die von der Deutschen Bahn geplante Stilllegung war vom
Bund nicht befürwortet worden, vor allem
auch aus militärstrategischen Gründen, und
so konnte nach der Sanierung zweier Brücken die 1876 als Hauptbahn eröffnete Linie von Mühldorf nach Rosenheim wieder
durchgängig befahren werden. Außerdem
wurde der erst 1952 eingerichtete Personenverkehr auf der oberbayerischen „Kurzstrecke“ Hörpolding—Traunreut, welcher über
40 Jahre geruht hatte, 2006 wieder aufgenommen und bietet seitdem einen attraktiven Fahrplan.
Die Reaktivierungsversuche stillgelegter Bahnen in Bayern sind über private Planungen
und Machbarkeitsstudien, wie im Fall des
traditionsreichen Süd-Nord-Bahnabschnitts
von Gunzenhausen nach Nördlingen, bisher
nicht hinausgekommen. Dass sich so manche Gemeinde wieder einen Bahnanschluss
wünscht, steht auf einem anderen Blatt und
in vielen Fällen ist der letzte Zug sicherlich
für immer abgefahren. Es gibt zwar Busse
(nicht immer) und (schon längst) das Auto,
aber vielleicht hätte man lieber mit der Bahn
oder sogar nur wegen der Bahn an manchen
Ort fahren wollen.
Wilfried Ernst Hölzler
NB: Wilfried Ernst Hölzler ist der wohl beste
Kenner der 152 stillgelegten Eisenbahnlinien
in Bayern, die er sich auf über 3000 km „ergangen“ und mit seiner Spiegelreflexkamera
in atmosphärisch dichten Bildern dokumentiert hat. In seinem Buch „Gehen, wo man
nicht mehr fahren kann“ (Buchloe 2007, ISBN
978-3-927781-37-5) setzt er den Strecken in
Schwaben ein Denkmal.
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B A HNHOF A S C H A FF E NBU R G
Bahnhof Aschaffenburg: 4 Aktionen
Die Installation GÖTTERBOTE des Künstlers Udo Breitenbach
– zu sehen 2009 in einer Kabinettausstellung des Aschaffenburger KunstLanding – war Teil einer Kunstaktion, die im
Zusammenhang mit dem Abriss des Bahnhofs Aschaffenburg
stattfand, der in seiner Entstehungszeit als der schönste Bahnhof der jungen Republik galt. Mit dem Abriss des Aschaffenburger Bahnhofs wäre der keramische Fassadenwandschmuck
unwiederbringlich verloren gegangen, hätte Breitenbach den
„Götterboten” nicht in allerletzter Minute gerettet.
B A HNHOF A S C H A FF E NBU R G
Aktion 1: HERMES-RETTUNG
Die Rettungsaktion entstand aus dem Impuls, ein dem Untergang
geweihtes Kunstwerk im öffentlichen Raum zu erhalten und die, aus
Sicht des Künstlers, mangelnde Wertschätzung von Alltagskultur aufzuzeigen: Mit dem Votum der Aschaffenburger Bürger für den Abriss
des mustergültigen Fünfzigerjahrebahnhofs war auch das Schicksal
der Fliesenbilder besiegelt, die den Götterboten Hermes und ein geflügeltes Rad, das Symbol der Eisenbahn, zeigten. Den Stadträten waren die Kosten für eine fachgerechte Demontage – von den Museen
der Stadt Aschaffenburg empfohlen – mit mindestens 20 000 EURO
zu hoch, zumal sich die Frage stelle, ob das überhaupt Kunst sei, und
man ohnehin nicht wisse, was man mit den Fliesen anfangen solle.
Als bereits die Bagger mit dem Abriss beschäftigt waren, entschloss
sich Udo Breitenbach, die Rettung des „Hermes“ zu versuchen, die
ihm die Abrissfirma ermöglichte: „Der kommt eh’ auf die Bauschuttdeponie!“. In einer 14-stündigen Notbergung mit Gerüst, Flex und
Hammer konnte Breitenbach 243 Fliesen des Wandbildes retten, ehe
die Aktion wegen Einsturzgefahr des benachbarten Gebäudeflügels
abgebrochen werden musste. Ein Teil des luftigen Schals der Hermesfigur ging für immer verloren, ebenso das komplette „Geflügelte Rad“.
Die beiden Wandbilder waren von dem Keramiker und Formgestalter Theo Rathgeber 1954 für den Aschaffenburger Bahnhof entworfen worden. Die Architektur des Bahnhofs wie auch die Wandbilder
spiegeln den Optimismus des beginnenden Wirtschaftswunders wider. Der stilisierte geflügelte „Götterbote“ mit zwei gelben Koffern
und wehendem Schal steht symbolisch für den Aufbruch in eine
neue Zeit, die das Drama des Krieges hinter sich lässt.
Aktion 2: HERMES-ENTSORGUNG
Mit der Performance „Hermes-Entsorgung“ vollzog Breitenbach
den Willen der Bürgervertreter symbolisch nach und entsorgte das
Fliesenbild „ordnungsgemäß“ auf der Ringheimer Bauschuttdeponie, im Rahmen des Kulturevents „Kunst am Grenzweg“ – ganz in
der Nähe des 1936/37 unter strengster Geheimhaltung errichteten
Forschungsfliegerbunkers Ringheim, in dem nach Kriegsende zahlreiche Flüchtlinge Unterkunft fanden.
Aktion 3: KULTUR-RECYCLING
An Ort und Stelle rekonstruierte Breitenbach im Sinne einer „Alltagsarchäologie“ die Bruchstücke des „Hermes“ und gab diesem eine
neue Identität „als Phönix aus der Asche“.
Aktion 4: Installation GÖTTERBOTE
im KunstLanding
Bei seiner Installation „GÖTTERBOTE“ im KunstLanding nutzte
Breitenbach die Mittel der Spurensicherung, Objektkunst, Malerei,
Fotografie, Animation und Satire, um auf den aus seiner Sicht tragischen Verlust von Alltagskultur hinzuweisen. Die raumbezogene
Installation bestand aus fünf Einzelarbeiten:
1. „GÖTTERBOTE“: Das raumbeherrschende Wand-/Deckengemälde in Acrylfarben bestimmt die Kabinettausstellung. Im Sinne
der Pop-Art ist der „Götterbote“ ikonenhaft überhöht und wird zum
Idol stilisiert. Die lebensgroße Darstellung erstreckt sich über Wände
und Decke des kleinen Ausstellungsraums und scheint den „KulturRaum Aschaffenburg“ zu sprengen.
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Alltagsarchäologe Breitenbach
Götterbote neu
Das geht mir wirklich an den Nierentisch
Die Gnade(nlosigkeit) der späten Geburt
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2. Fragmente des originalen Wandbildes „HERMES“
Dem Bild zu Füßen liegen die Reste des originalen Wandbilds als Fragment. Die handbemalten Fliesen rhythmisieren den Boden des Ausstellungsraums. Sie rekonstruieren nicht das Abbild des Hermes, sondern dekonstruieren die Darstellung des Götterboten, die idealtypisch
den „Aufbruch in eine neue Zeit“ nach dem Drama des Nationalsozialismus symbolisierte. Die Installation zeigt die Eigenästhetik der
Fragmente: Jede Kachel ist ein kleines abstraktes Kunstwerk für sich.
3. „Das geht mir wirklich an den Nieren-Tisch!“
Platz nehmen kann der Betrachter auf einer modernistischen Bahnhofsbank des Designers Harry Bertoia, die 1954 die Wartehalle des
supermodernen Bahnhofs Aschaffenburg zierte. Sie gehört zu einer
Installation, bei der sich zwei Monitore auf einem Nierentisch gegenüber stehen. Das futuristische Design des Fernsehgeräts „WEGA“
steht für den uneingeschränkten Zukunftsglauben und Willen zur
„demokratisierten Moderne“ der „Wirtschafts-Wunderkinder“. Die
Jetzt-Perspektive ist durch eine Fotodokumentation des Bahnhofsab­
risses in einer Performance „Götterbote“ in Ringheim präsent, die
mit den inzwischen bereits als historisch empfundenen Designobjekten kontrastiert.
Die Installation zitiert die künstlerischen Ausdrucksmittel des Fluxus (Nam June Paik) und stellt so einen Bezug zu den Anfängen der
gesellschafts- und medienkritischen Aktions- und Videokunst der
frühen 1960er-Jahre her. Fluxus postuliert den fließenden Übergang
bzw. die Einheit von Kunst und Leben: „Es geht um in das Leben
einwirkende Produktionsprozesse und nicht um die Abschottung
der Kunst vor dem Leben.“ „Das Leben ist ein Kunstwerk, und das
Kunstwerk ist Leben.“ (Emmett Williams)
4. „Die Gnade(nlosigkeit) der späten Geburt“
Mit dem Titel dekonstruiert Breitenbach das berühmte Zitat von der
„Gnade der späten Geburt“ und bricht es ironisch. Ein Ausstellungsobjekt unter einer Glashaube, eine zeittypische 1950er-Jahre-Vase
des Keramikers Theo Rathgeber, wird kontrastiert mit einem Betonfragment, das auf dem Standardwerk zur „Keramik der 50er Jahre“,
lastet und es zu erdrücken droht. In dem Buch von Horst Markus
sind Arbeiten des Schöpfers des Aschaffenburger „Hermes“ abgebildet,
der mit einem Porträt gewürdigt und hier nun gleichsam erdrückt wird.
5. „BLAH“. Satire-Zeitung
Mit der Sonderausgabe „BLAH“, einer BILD-Zeitungspersiflage,
persifliert Breitenbach den „Hermes-Komplex“, den er als „kulturellen Kollateralschaden“ und Realsatire empfand. BLAH beinhaltet
unter anderem die Fotomontage „Hermes flüchtet aus der Kulturstadt!“ Das Layout ist als Wandzeitung in der Ausstellung zu sehen.
Zitiert wird dort auch der Katalog der Bayerischen Landesausstel-
lung 2009 in der Würzburger Residenz, für die an den Ortseingängen
von Aschaffenburg mit großen Transparenten geworben wurde. Der
Katalog zur Landesausstellung beklagt im Schlusssatz zum Thema
Architektur: „Und während in der Bayerischen Landesausstellung
‚Wiederaufbau und Wirtschaftswunder, die Architektur der Nachkriegszeit präsentiert wird, fällt der elegante Aschaffenburger Hauptbahnhof von 1954/55 der Abrissbirne zum Opfer.“
Spurensicherungsarbeiten
im Œuvre Breitenbachs
Die Kulturrettungsaktion steht in Udo Breitenbachs Œeuvre nicht
alleine, beginnend 1994 mit der Spurensicherung zur Wendezeit
(zusammen mit Eva Haak), gefolgt 1999 von der Translution eines
ortstypischen Fachwerkhauses und 2009 dem (gescheiterten) Rettungsversuch des letzten authentischen DDR-Grenzbahnhofs in
Probstzella als Schicksalsort, an dem 20 Millionen Transitreisende
mehr oder minder großen Schikanen ausgesetzt waren, versucht
der Künstler Bewusstsein für den identitätsstiftenden Wert von so
genannter Alltagskultur zu schaffen. Nicht die Musealisierung, sondern die Integration von Geschichte in den Alltag ist sein Anliegen
– his­torischer Fluxus könnte man sagen, in dem die Gegenwart in
ein lebendiges, „lebendes“ Verhältnis zur Vergangenheit tritt. Die
Hermes-Rettung soll auf das akut vom Verfall bedrohte Wandbild
„Weltbaum – Grün ist Leben“ (1975) aufmerksam machen, das zu
den frühen Werken der „Fassadenmalerei“ gehört. Den größten Teil
des monumentalen Wandbilds von 1975 an der Fassade des Siegmundshofs in der Berliner Straße des 17. Juni entwarf der Aschaffenburger Künstler Siegfried Rischar.
Aktuell setzt sich Udo Breitenbach für die Erhaltung des heute als
Spielsalon genutzten Geburtshauses des Malers Ernst Ludwig Kirchner ein, der in Aschaffenburg die ersten drei Jahre seines Lebens
verbrachte. Das in Bahnhofsnähe gelegene Haus steht zum Verkauf.
Ernst Ludwig Kirchner hat der Prägung, die er hier erhalten hat,
große Bedeutung beigemessen, wenn er schreibt: „Ich bin am Bahnhof geboren. Das erste, was ich im Leben sah, waren die fahrenden
Lokomotiven und Züge, sie zeichnete ich, als ich drei Jahre alt war.
Vielleicht kommt es von daher, daß mich besonders die Beobachtung
der Bewegung zum Schaffen anregt. Aus ihr kommt mir das gesteigerte Lebensgefühl, das der Ursprung des künstlerischen Werkes ist.“
So ist der Bahnhof Aschaffenburg Erlebnisraum und künstlerische
Inspirationsquelle, von Ernst Ludwig Kirchner über Theo Rathgeber
bis hin zu Udo Breitenbach.
Evamaria Brockhoff nach einem Text von
Udo Breitenbach
Interessierte für die Spurensicherungsarbeiten Udo Breitenbachs sind
zu den Bürozeiten (Mo–Fr, 10–17 Uhr) im Kreativbüro Breitenbach &
Pötschick, Pompejanumstraße 4, Aschaffenburg, Tel. 06021 412060
jederzeit willkommen.
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der z u g i n s f reie
Der Zug ins Freie
M
Meine Isartalbahn 1926 – 1936
eine schönste Erinnerung an Eisenbahnfahrten reicht weit
in meine Kindheit zurück ... wir wohnten in München, als
mein Vater 1926 in Walchensee ein Wochenendrefugium
für uns errichtete, das fortan unser heiß geliebtes „Häusl“ war. Entworfen hat es übrigens der berühmte Münchner Architekt Richard Riemerschmid. Ich war damals fünf Jahre alt. Doch trotz der seither verstrichenen 84 Jahre kann ich mich genau an bestimmte Eindrücke auf
unseren Fahrten mit der Isartalbahn erinnern: der eigentümliche Geruch der Dampflokomotive, die Waggons in der 3. Klasse, die mit einfachen Holzbänken aus lackierten Latten ausgestattet waren. Beleuchtet wurden die Abteile mit Karbidlampen. Unvergesslich ist mir das
klackernde Geräusch, das die eisernen Räder auf den ungeschweißten
Schienen machten, und zwischen den einzelnen Waggons konnte man
den zischenden Dampf sehen, der aus den Bremsschläuchen entwich.
Es war eine zweistündige Fahrt, die wir unternahmen, vom Isartalbahnhof in Sendling nach Bichl/Kochel am Kochelsee, durch Felder und
Wälder. Der Zug hielt an jedem Ort, kaum eine Station war länger als
eine Viertelstunde vom nächsten Halt entfernt. Aus dem offenen Waggonfenster in die Landschaft zu schauen brachte garantiert erst Ruß
und dann Tränen in die Augen. Aber es waren wunderbare Fahrten
und geregnet hat es meiner Erinnerung nach niemals!
In Kochel angekommen, ging es dann, samt umfangreichem Gepäck,
mit dem Postbus über den Kesselberg und Urfeld bis nach Dorf Walchensee und ins Häusl. Für mich sind dies herrliche Erinnerungen aus
der Kindheit und auf jeden Fall gab es viel mehr zu sehen und zu erleben als dies heute in der halben Zeit mit dem Auto auf der Autobahn
möglich ist.
H. Peter Sinclair
Der Münchner
Rechtsanwalt
Dr. jur. et rer. pol.
Michael Siegel mit
seinem Sohn Peter.
Das von Richard Riemerschmid entworfene Fertighaus der Familie
Siegel, innerhalb weniger Tage aufgestellt und bezogen, war eine kleine
Sensation in Walchensee.
Von der Isartalbahn, mit der die Familie Siegel so oft wie möglich aufs
Land in ihr Wochenendrefugium fuhr, wurden der nördliche und der
südliche Teil abgebrochen. Hier sind heute nur noch Relikte erhalten
wie die Überreste der Loisachbrücke bei Feltzen.
der z u g i n s f reie
München-Hauptbahnhof
V
21. März 1939 gegen Mitternacht
ater Michael, Mutter Tilde und Onkel Ernst verabschieden
sich von dem gerade 18 Jahre alten Hans Peter. Nach jüdischem Brauch segnet ihn der Vater vor der Abreise, die
Mutter weint, versucht dies aber hinter einem Taschentuch zu verbergen, und Onkel Ernst macht noch schnell eine Blitzlichtaufnahme von Peter, der sich zum Abschied aus dem Abteilfenster beugt.
Peter denkt vor allem an das große Abenteuer, das ihn nun erwartet.
Ziel: London, England.
Er besitzt einen Reisepass des Deutschen Reichs, versehen mit dem
decouvrierenden „J“, er hat die erlaubten 10 Reichsmark in der Tasche sowie ein Visum nach England und er nimmt zwei Koffer mit
dem Nötigsten mit. Der junge Mann musste aus dem nationalsozialistischen Deutschland emigrieren, nur weil er jüdisch war und im Land
seiner Geburt keinerlei Zukunft mehr hatte.
Nach der Reichspogromnacht vom 9./10. November 1938 verloren alle
noch in Deutschland lebenden Juden jedes bürgerliche Recht. Man lief
Gefahr, jederzeit von der SA, der SS oder der Gestapo verhaftet und in
ein Konzentrationslager wie Dachau gebracht zu werden – viele überlebten dies nicht.
Für die Familie Siegel war die Abreise des ältesten Sohnes der Beginn
großer Abschiede: die späte Flucht seiner Eltern aus Deutschland
im Jahr 1940 um die halbe Welt; die Deportation seiner Großmutter
Hilda Waldner und ihres Sohnes, des Pianisten Joseph Waldner, die
beide den Holocaust nicht überlebten. Peter hat in England Fuß gefasst, er ist seit 1939 „zu Hause in England“, seine Heimat aber bleibt
München und Oberbayern.
H. Peter Sinclair
Hans Peter Siegel bei seiner Abreise aus München am 22. März 1938, rechts im Bild sein Vater.
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der z u g i n s f reie
Die Ausstellung „Das Gleis. Die
Logistik des Rassenwahns“ ist der
Beitrag des Dokumentationszentrums Reichsparteitagsgelände
in Nürnberg zum Bahnjubiläum
2010. Die vom Büro Müller-Rieger
entworfene Installation verbindet
via Bildübertragung einen „Täterort“ – Nürnberg, wo vor 75 Jahren
die so genannten Rassengesetze
verkündet wurden – unmittelbar
mit Auschwitz – und anderen
Stätten der Vernichtung. Das
"Gleisbett" ist gefüllt mit 60 000
Namenskärtchen. Jeder Name
eines Ermordeten steht stellvertretend für 100 weitere Opfer.
www.das-gleis-nuernberg.de
der z u g i n s f reie
Editorische Notiz H. Peter Sinclair wurde 1921 geboren als
Hans Peter Siegel, Sohn des renommierten Münchner Rechtsanwalts Michael Siegel und der Riemerschmid-Absolventin Mathilde
Waldner. Dr. jur. et rer.pol. Michael Siegel wurde als Opfer erster NSTerroraktionen gegen Juden zum Symbol. Er wurde im März 1933
bei einem Anhörungstermin für seinen in so genannte Schutzhaft
genommenen Mandanten Max Uhlfelder im Münchner Polizeipräsidium von SA-Schergen zusammengeschlagen und anschließend mit
abgeschnittenen Hosenbeinen und einem Schild um den Hals mit
der Aufschrift „Ich bin Jude. Ich werde mich nie mehr bei der Polizei
beschweren“ durch die Innenstadt bis zum Hauptbahnhof getrieben.
Die von dem zufällig anwesenden Bildjournalisten Heinrich Sanden
aufgenommenen beiden Fotos dieser Untat, die dieser an eine amerikanische Agentur verkaufte, gingen damals um die Welt – heute sind
sie eine Ikone der Geschichtsbücher über den Nationalsozialismus. H.
Peter Sinclair gelangte 1939 mit einem Studienvisum nach London,
kurz darauf folgte seine jüngere Schwester Beate mit einem Kindertransport. Den Eltern gelang noch 1940 die Ausreise von München
nach Berlin und weiter mit der transsibirischen Eisenbahn nach Japan,
Korea über den Pazifik nach Los Angeles und von dort in ihre neue
Heimat Peru, wo sie am 9. November, auf den Tag genau zwei Jahre
nach der Reichspogromnacht, in Lima ankamen.
H. Peter Sinclair starb am 27. März 2010 im Alter von 89 Jahren in
London. Sein Beitrag für dieses Heft ist aus zwei Perspektiven geschrieben: Während die Kindheitserinnerung in der Ich-Form erscheint, ist
die Schilderung seiner Abreise aus München, die einem endgültigen Abschied gleichkam, in der dritten Person verfasst, so als sei das Geschehen
nur aus dieser Distanz wiederzugeben.
Der Beitrag von H. Peter Sinclair ist der Erinnerung an die Rolle
der Bahn gewidmet, ohne die die massenhafte Deportation der jüdischen Bürger in die Konzentrations- und Vernichtungslager nicht
hätte durchgeführt werden können. So wurden im Frühsommer 1938
über 1500 Juden aus Wien und nach der Pogromnacht vom 9. November 1938 etwa 11000 Juden aus dem ganzen Reichsgebiet mit der
Bahn in das Konzentrationslager Dachau gebracht. Ab 1941 begann
im Zuge der so genannten „Endlösung“ des Völkermords an den Juden und später auch an Sinti und Roma die Deportation per Bahn in
die Vernichtungsstätten und -lager im Osten unter unvorstellbaren
Bedingungen. Zu den letzten und schrecklichsten Geschehnissen auf
den Bahnstrecken gehörte der Abtransport völlig entkräfteter und
sterbender Häftlinge aus den Konzentrationslagern, mit dem man
ihre Befreiung durch die alliierten Truppen zu verhindern trachtete.
Die Deutsche Bahn als Rechtsnachfolgerin der Reichsbahn ist sich
der Verantwortung dieser historischen Last bewusst. Sie unterstützt
nun auch den Verein, der seit Jahren mit dem „Zug der Erinnerung“ durch ganz Deutschland tourt mit der von Beate und Serge
Klarsfeld initiierten Ausstellung über das Schicksal deportierter
jüdischer Kinder. Die Deutsche Bahn selbst ist mit der Wanderausstellung „Sonderzüge in den Tod“ unterwegs. Einschlägige Publikationen, zuletzt zum bisher in der Forschung kaum beachteten
Widerstand von Eisenbahnern, gibt das Bundesverkehrsministerium heraus. Im DB Museum Nürnberg wurde auf Anregung des
Nürnberger Kulturreferenten Hermann Glaser 1985 eine mit rund
2500 Exponaten bestückte Abteilung „Im Dienst von Demokratie
und Diktatur. Die Reichsbahn 1920 bis 1945“ eingerichtet. Im Jubiläumsjahr 2010 zeigt das Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände in Nürnberg die Ausstellung „Das Gleis. Die Logistik
des Rassenwahns“. Im Mittelpunkt steht eine Installation, die den
„Täter-Ort“, in dem 1935 die so genannten Rassengesetze verkündet
wurden, in Form einer Bild­übertragung unmittelbar und direkt mit
der Gedenkstätte Auschwitz und anderen Erinnerungsstätten des
Holocaust verbindet.
Evamaria Brockhoff / Ludwig Eiber
Deportation von Würzburger Juden. Die Aufnahme stammt aus dem
2006 wieder aufgefundenen Album mit 119 Fotografien, die die Gestapo von den drei Deportation aus Würzburg zwischen November 1941
und April 1942 anfertigen ließ. Dabei wurden insgesamt 2063 Juden aus
dem Regierungsbezirk Mainfranken deportiert, keine fünfzig von ihnen
haben überlebt. (Staatsarchiv Würzburg, Deportationsalbum / Gestapostelle Würzburg 18880a)
111
112
L E I D E N S C H A F T E I S E NB A HN – MU S E E N , V E R E I N E , NO S T A L G I E F A H R T E N
Die Mutter aller Eisenbahnen ist und bleibt der
„Adler“, sei es als – heute schon eine Kostbarkeit darstellendes – liebevolles Guckkasten­
leporello, sei es als internationale Briefmarkensammlung. Das bei G.W. Faber in Nürnberg
erschienene Leporello gibt beim Blick in das
Guckloch einen Eindruck von der Strecke des
Adlers zwischen Nürnberg und Fürth.
E ise n b a h n m u see n , M u se u m s b a h n e n u n d V erei n e
I m I n ter n et
www.bdef.de
Bundesverband Deutscher EisenbahnFreunde e.V. für Modelleisenbahner und
Eisenbahn-Freunde, über 300 Clubadressen nach Postleitzahlen sortiert
www.eisenbahnnostalgie.de
Übersichtliches Verzeichnis der deutschen
Museums- und Touristikbahnen, nach
Bundesländern gegliedert, Übersichtskarte und ausführliche Informationen
zu jeder aufgeführten Einrichtung
LOK Report: europäisches Nachrichtenmagazin mit umfassenden Informationen
und einer umfangreichen Linkliste rund
um das Thema Eisenbahn, Linkliste
zu Museumsbahnen und Vereinen
www.bahn-express.de
Bahn-Express: Magazin für Werkbahnfreunde, Liste von Industrie- und
Hafenbahnen sowie Feldbahnen
www.eisenbahnwelt.com
Deutsches Museumsbahnverzeichnis,
Deutschlandkarte mit Link zur jeweiligen Einrichtung und umfangreiche
alphabetische Vereinsliste mit Links
www.museum.bahnen-und-busse.de
Eisenbahnmuseen und Museumseisenbahnen nach Bundesländern geordnet,
Auflistung mit kurzer Beschreibung und
Link zu der jeweiligen Einrichtung
www.ostbayernbahn.de
Bayerns Museumsbahnen, Übersichtskarte nach Regierungsbezirken
gegliedert, direkter Link zu den jeweiligen Homepages der Bahnen
www.vdmt.de
Verband deutscher Museums- und Touristikbahnen, die Dachorganisation der
nicht-staatlichen Museumsbahnen und
Eisenbahnmuseen in Deutschland, Übersichtskarte nach Bundesländern sortiert,
mit Kontaktadresse der Einrichtungen
94252 Bayerisch Eisenstein, Bahnhofstraße 44
Tel. 09925 1376
www.localbahnverein.de
www.lok-report.de
www.eisenbahn-webkatalog.de
Umfangreicher Katalog zum Thema Eisenbahn und Modelleisenbahn, Auflistung
von Museen und Museumsbahnen, meist
mit kurzer Beschreibung und Webadresse
Bayerischer Localbahnverein –
Localbahnmuseum in Bayerisch Eisenstein
M u see n
Im Localbahnmuseum, das im Lokomotivschuppen in Bayerisch Eisenstein
untergebracht ist, werden mehr als 20
historische Lokomotiven der Lokalbahnen
präsentiert, die zusammen mit einer
Reihe von Exponaten einen Einblick in die
Lokalbahngeschichte bieten. Von Landshut
aus sind Sonderfahrten mit historischen
E-Loks und Dampfzügen möglich.
Bayerisches Eisenbahnmuseum
86720 Nördlingen, Am hohen Weg 6a
Tel. 09083 340
E-Mail: [email protected]
Bahnpark Augsburg
www.bayerisches-eisenbahnmuseum.de
86159 Augsburg-Hochfeld,
Firnhaberstraße 22
Tel. 0821 6507590
E-Mail: [email protected]
Im Bayerischen Eisenbahnmuseum findet
sich ein Bahnbetriebswerk im Stil der
Fünfzigerjahre, das mit zahlreichen, teils
auch betriebsbereiten Eisenbahnfahrzeugen einen Einblick in den realistischen
Eisenbahnbetrieb bietet. Die Museumsbahn „Romantische Schiene“, bestehend
aus Dampf- und Dieselzügen des Museums, fährt von Nördlingen aus durch das
Nördlinger Ries über Dinkelsbühl nach
Feuchtwangen. Eine weitere Strecke führt
von Nördlingen aus nach Gunzenhausen.
www.bahnpark-augsburg.de
Der Bahnpark Augsburg bietet Besuchern
eine gläserne Dampflokwerkstatt, in der
sich unter anderem Dampflokomotiven
der Baureihe 44 und 41, der legendäre Blue
Star Train und Botschafterloks finden.
Ein begehbares Depot, in dem ein Postbahn- und Eisenbahnmuseum untergebracht sind, imposante denkmalgeschützte
Hallen und ein großzügiges Freigelände
aus der Zeit der königlich bayerischen
Staatsbahn machen diesen Bahnpark
einmalig in Bayern. Vom Bahnpark aus
starten auch Sonderzugfahrten, unter
anderem mit dem König Ludwig Dampf
Express nach Prien am Chiemsee.
Bergbau- und Industriemuseum Ostbayern
Schloss Theuern
92245 Kümmersbruck, Portnerstraße 1
Tel. 09624 832
E-Mail: [email protected]
www.museum-theuern.de
Im Bergbau- und Industriemuseum im
Schloss Theuern sind zahlreiche Gruben- und Feldbahnfahrzeuge ausgestellt.
L E I D E N S C H A F T E I S E NB A HN – MU S E E N , V E R E I N E , NO S T A L G I E F A H R T E N
des Schienenverkehrs werden Themen
wie Fahrzeugtechnik, Sicherungstechnik
und Logistik der Eisenbahn dargestellt.
Lokwelt Freilassing
www.dbmuseum.de
Feldbahn-Museum 500 e.V.
www.lokwelt.freilassing.de
Besucher des DB Museums erfahren auf
7500 m² alles über die Entwicklung der
deutschen Eisenbahn. Darüber hinaus
gibt es ein „Museum zum Anfassen“,
zahlreiche Original- und Modellfahrzeuge und die ausführliche Dokumentation jeglicher Eisenbahntechnik.
90453 Nürnberg, Drahtzieherstraße 20
Tel. 0911 6802200
E-Mail: [email protected]
In der Lokwelt Freilassing sind in einem
1905 errichteten Rundlokschuppen, der
noch eine originalgetreue Drehscheibe
beherbergt, auf 20 Gleisständen zahlreiche Lokomotiven, Exponate zum
Thema Eisenbahn und eine Modellbahn des Bw Freilassing ausgestellt.
DB Museum Nürnberg
90443 Nürnberg, Lessingstraße 6
Tel. 01804 44223
E-Mail: [email protected]
Deutsches Dampflokomotiv-Museum
95339 Neuenmarkt, Birkenstraße 5
Tel. 09227 5700
E-Mail: [email protected]
www.dampflokmuseum.de
Das Kernstück des Deutschen DampflokMuseums, in dem unter anderem über 30
Dampflokomotiven ausgestellt sind, ist ein
15-ständiger Lokschuppen mit Segmentdrehscheibe. Das große Freigelände erlaubt
einen umfassenden Einblick in die deutsche
Eisenbahngeschichte. Eine Museumsbahn
fährt über die Eisenbahnsteilstrecke „Schiefe Ebene“, bei der bei einer Neigung von
1:40 ein Höhenunterschied von 158 Metern
überwunden werden muss, zum Bayerischen Brauereimuseum nach Kulmbach.
Deutsches Museum Verkehrszentrum
80339 München, Theresienhöhe 14a
Tel. 089 500806762
E-Mail: verkehrszentrum@
deutsches-museum.de
www.deutsches-museum.de/verkehrszentrum
In der Eisenbahnausstellung des Deutschen
Museums finden sich unter anderem die
legendäre „S 3/6“ Schnellzug-Dampflokomotive der Königlich Bayerischen
Staatseisenbahn, die erste dieselhydraulische Großlokomotive V140 und auch
die erste Magnetschwebebahn. Neben
diesem Querschnitt durch die Geschichte
www.feldbahn500.de
Im Feldbahnmuseum 500 werden die
meisten der 62 ausgestellten Lokomotiven, Maschinen und Geräte in der
Praxis vorgeführt und anschaulich
erklärt, sodass die alte Technik für den
Besucher wieder lebendig wird.
Fränkisches Feldbahnmuseum
c/o Jürgen Wening
91580 Petersaurach-Wicklesgreuth, Tannenstraße 10
Tel. 09802 80529
E-Mail: [email protected]
www.frankenfeldbahn.de
Das Museum und die Strecke der Museumsbahn befinden sich im Aufbau.
Besichtigt werden können aber bereits
zahlreiche Wagen und Lokomotiven.
Interessengemeinschaft Deutsche Feldund Waldbahnen – Feldbahnmuseum
82256 Fürstenfeldbruck, Senserbergstraße 66a
Tel. 08141 27335
E-Mail: [email protected]
www.mec-ffb.de
Das Feldbahnmuseum beherbergt Fahrzeuge aus den Bereichen Waldbahn,
Feldbahn, Bergbau und vergleichbare
Bahnen mit 600 mm Spurweite. Die
Sammlung umfasst derzeit 14 betriebsbereite Lokomotiven, 4 Draisinen und
mehr als 60 Wagen. Auf dem Gelände werden Fahrten veranstaltet.
83395 Freilassing, Westendstraße 5
Tel. 08654 771224
E-Mail: [email protected]
Modellbahnmuseum Muggendorf
91346 Wiesenttal, Bayreuther Straße 23
Tel. 09196 1630
E-Mail: [email protected]
www.modellbahnmuseum.de
Das Modellbahnmuseum Muggendorf
bietet die größte Sammlung der seltenen
Spur-„S“-Fahrzeuge. Einen weiteren
Schwerpunkt stellt die Sammlung der Spur„0“-Fahrzeuge alter Nürnberger Firmen dar.
Modell- und Eisenbahnclub Selb/
Rehau e.V. – Eisenbahnmuseum
95100 Selb, Bergstraße 3
Tel. 0170 7064230
E-Mail: [email protected]
www.muecselb.de
Das Eisenbahnmuseum befindet sich auf
dem Gelände der ehemaligen Bw-Außenstelle Selb. Neben einem vierständigen
Ringlokschuppen von 1914, einer Drehscheibe von 1936 und einem der ersten
Gleisbildstellwerke mit Fahrstraßensteuerung erwarten den Besucher ca. 30 Eisenbahnfahrzeuge, größtenteils Triebfahrzeuge.
Im nahe gelegenen Europäischen Industriemuseum für Porzellan sind Sonderfahrten
mit einer Diesellok des Museums möglich.
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M u se u m s b a h n e n
Modelleisenbahnclub Fürstenfeldbruck e.V. – Feldbahnmuseum
Blue Star Train – ESG – Eisenbahn und
SonderwagenBetriebsgesellschaft mbH
86179 Augsburg, Mittlerer Lechfeldweg 2f
Tel. 0821 541512
82256 Fürstenfeldbruck, Senserbergstraße 66a
Tel. 08141 27335
E-Mail: [email protected]
www.blue-star-train.de
www.mec-ffb.de
Eisenbahnfreunde Rodachtalbahn e.V. – Rodachtalbahn
Dampfeisenbahn im Augsburger Zoo – Bahnhof Zoo
Torfbahnhof Rottau – Feldbahn
96365 Nordhalben, Krögelsmühle 1
Tel. 09267 8130
E-Mail: [email protected]
86161 Augsburg, Brehmplatz 1
Tel. 0821 5671490
E-Mail: [email protected]
83224 Grassau, Samerweg 8
Tel. 08641 2126
E-Mail: [email protected]
Dampflok-Gesellschaft München e.V.
80807 München, Illungshofstraße 2
Tel. 089 5808482
E-Mail: [email protected]
www.dgm-41018.de
www.eisenbahnfreunde-rodachtalbahn.de
www.torfbahnhof-rottau.de
Fränkische Museums-Eisenbahn e.V. (FME)
www.dampfbahn-im-zoo.de
82181 Gröbenzell, Postfach 1329
Tel. 0170 2425013
E-Mail: [email protected]
90411 Nürnberg, Klingenhofstraße 70
Tel. 0911 5109638
E-Mail: [email protected]
www.wanderbahn.org
www.fraenkische-museumseisenbahn.de
Parkeisenbahn im Freizeitpark Schloss
Thurn – Erlebnispark Schloss Thurn
Schwaben-Dampf e.V. Neuoffingen
Dampfbahn Fränkische Schweiz e.V. (DFS)
91316 Ebermannstadt, Postfach 1101
Tel. 09194 794541
E-Mail: [email protected]
91336 Heroldsbach, Schlossplatz 4
Tel. 09190 929898
E-Mail: [email protected]
www.dfs.ebermannstadt.de
www.schloss-thurn.de
Staudenbahn – BBG Stauden mbH
DGEG-Arbeitskreis Würzburg
86850 Fischach, An der Sägemühle 5
Tel. 08236 962149
E-Mail: [email protected]
97204 Höchberg, Bergmannweg 5
www.staudenbahn.de
Wachtlbahn – Museums-EisenbahnGemeinschaft Wachtl e.V.
www.passauer-eisenbahn.de
Fränkisches Freilandmuseum Fladungen – Rhön-Zügle
83033 Kiefersfelden, Am Rain 60
Tel. 08031 87340
E-Mail: [email protected]
Bockerlbahner e.V. Peißenberg
Wanderbahn im Regental e.V.
Wendelsteinbahn GmbH
83098 Brannenburg, Kerschelweg 30
Tel. 08034 3080
E-Mail: [email protected]
www.wendelsteinbahn.de
97650 Fladungen, Bahnhofstraße 19
Tel. 09778 91230
E-Mail: [email protected]
www.dampflok527409.de
www.wachtl-bahn.de
Laabertalbahn – Lokalbahn
Schierling-Langquaid
Draisinenfreunde Bayern e.V.
84085 Langquaid, Am Bahnhof 5
Tel. 09452 949707
E-Mail: [email protected]
www.draisi.de
www.schwabendampf.de
Passauer Eisenbahnfreunde
e.V. – Nostalgiebahn
94032 Passau, Haitzingerstraße 12
Tel. 0851 9663971
E-Mail: [email protected]
82380 Peißenberg, Am Tiefstollen 2
Tel. 08805 418
E-Mail: [email protected]
www.diebockerlbahner.de
www.freilandmuseum-fladungen.de
82256 Fürstenfeldbruck, Hochrainerstraße 41
Tel. 08141 227890
E-Mail: [email protected]
89362 Offingen, Am Bahnhof Neuoffingen 3
Tel. 08244 801140
E-Mail: [email protected]
www.laabertalbahn.de
DBV-Förderverein Steigerwald-Express e.V.
97357 Prichsenstadt, KarlEbenauer-Ring 28
Tel. 0160 7202393
E-Mail: [email protected]
www.fv-steigerwald-express.de
L E I D E N S C H A F T E I S E NB A HN – MU S E E N , V E R E I N E , NO S T A L G I E F A H R T E N
Chiemsee Schifffahrt – Chiemseebahn
83209 Prien am Chiemsee, Seestraße 108
Tel. 08051 6090
E-Mail: [email protected]
www.chiemsee-schifffahrt.de
Feld- und Waldbahn Riedlhütte (FWR)
94566 Riedlhütte
Tel. 08141 537653
E-Mail: [email protected]
www.feldbahn-riedlhütte.de
Chiemgauer Lokalbahn e.V.
83340 Tacherting, Postfach 1104
E-Mail: [email protected]
www.chiemgauer-lokalbahn.de
Bayerischer Localbahnverein e.V.
83682 Tegernsee, Postfach 1311
Tel. 089 4481288
www.localbahnverein.de
Interessengemeinschaft Mainschleifenbahn e.V.
97332 Volkach, Industriestraße 3
Tel. 0152 02482125
E-Mail: [email protected]
Die hier gezeigte Modellbahnanlage gehört ursprünglich zu den „Königswelten“, die im Foyer des
am Ufer des Forggensees errichteten „Musicaltheater Neuschwanstein“ zu sehen waren , in dem
von 2000 bis 2003 das Musical „Ludwig II. – Sehnsucht nach dem Paradies“ aufgeführt wurde.
Nach einer Idee der Architektin Josephine Barbarino schufen die Bühnenbildner Marc und Claudia
Calame-Rüll die Anlagenbereiche der Welten, die Ludwig II. in seiner Fantasie durchfährt - hier die
ureigenste Heimat des Königs mit Schloss Neuschwanstein. Die von den Bühnenbildnern und der
traditionsreichen Firma Märklin gebauten Anlagen sind heute im Besitz des Modelleisenbahnclubs Ostallgäu/Außerfern, der die „Königswelten“ in seinen Clubräumen in Füssen aufgebaut hat.
(http://home.arcor.de/gerhardbayer/mecoal/)
www.mainschleifenbahn.de
DGEG Eisenbahnmuseum Würzburg
eise n b a h n f o t o s i m i n ter n et
97080 Würzburg, Veitshöchheimer Straße 107b
Tel. 09321 927415
E-Mail: [email protected]
Stellen Sie Ihre interessantesten
Eisenbahn­fotos aus bayerischen
Strecken ins Internet ein!
www.eisenbahnmuseum-wuerzburg.de
Zusammenstellung:
Michaela Mohr
Auf der Website des Hauses
der Bayerischen Geschichte:
www.editionbayern.hdbg.de
115
116
D A S JUB I L ÄUM S J A H R 2 0 1 0
D A S JUB I L ÄUM S J A H R 2 0 1 0
DIE STRECKE DES ADLERS
Museum Industriekultur Nürnberg, 17. Juni bis 12. Dezember 2010
M
it dem „Adler“ kam der Aufschwung: Die erste deutsche
Eisenbahn zog die staunenden
Bürger und bald darauf rührige Unternehmer an, die sich mit ihren Firmen entlang der
Strecke ansiedelten: Schuco, Triumph und
die Hercules-Werke etwa, AEG und Quelle.
Wie sich die Landstraße entlang der Bahnstrecke von Nürnberg nach Fürth in eine
pulsierende Verkehrsader und die Stadt zur
Industriemetropole entwickelt hat, zeigt zum
Bahnjubiläum das Museum Industriekultur.
„Die Strecke des Adlers“ rollt mit zahlreichen
Ausstellungsstücken, Ansichten und mo­
dernen Medien die Geschichte der Fürther
Straße von 1835 bis in die heutige Zeit auf
58a
1927
Fa s s a d e n p l a n 1898
54/56
52 bis 58
1944
52 a
und vermittelt so beispielhaft einen Eindruck von wirtschaftlichem, sozialem und
kulturellem Wandel in der Metropolregion.
Strecke sind von Pappeln gesäumt und die
„Strecke des Adlers“ durchschneidet ländliche Gegend mit einzelnen Bauernhöfen.
Der Besucherrundgang beginnt bei einer
Geschichte des „Adlers“ und einem Blick
auf vergangene Jubiläen, die ihm zu Ehren gefeiert wurden. Dem schließt sich ein
Gang durch die Fürther Straße an, der drei
zeitliche Ebenen verbindet, verknüpft und
überblendet: 1835 – um 1900 – 2010.
Eine zweite Ebene der Ausstellung zeigt die
Zeit, als knapp ein Jahrhundert später die
Fürther Straße zu einer prototypischen Achse
der Industrialisierung entlang der Eisenbahn
geworden war. Schließlich thematisiert eine
dritte Ebene den Blick auf die Fürther Straße
heute und den strukturellen Wandel, der sich
im Untergang der traditionsreichen Unter­
nehmen und in der Entstehung neuer Betriebe
wie z. B. Datev u. a., aber auch im Wandel der
einstigen Chaussee zur multikulturellen, von
Migration geprägten Städteachse zeigt.
1835 fährt der „Adler“ im Modell die
Chaussee entlang, die 1801 als schnurgerade
Verbindung zwischen Nürnberg und Fürth
angelegt worden war. Teile der Modell-
36
um 19235
Be g leita n g e b ote z u r Au sstellu n g :
• Fahrten im Oldtimerbus in die Fürther Straße mit Führung jeweils am:
So 4.7., So 8.8., Sa 21.8., So 5.9., So 3.10., So 7.11.
• Familienführungen durch die Ausstellung jeden Sonntag um 15 Uhr
• Museumspädagogische Angebote durch das KPZ
Veranstalter und Information
Museum Industriekultur
Tel. 0911 231-3875
www.museen.nuernberg.de
Nördliche fürther strasse
1929
16 bis 20
F a s s a d e n p l a n u m 1912
12
1954
6b
4a
1980
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175 Jahre Eisenbahn – ein Jubiläum der besonderen Art
D
ie erste Eisenbahn in Deutschland rollte in Bayern über die
Schiene: Der legendäre „Adler“ fuhr am 7. Dezember 1835 auf
der rund sechs Kilometer langen Strecke zwischen Nürnberg und
Fürth. Damals kamen die Lokomotive und der Lokführer noch aus
England. Doch das änderte sich schnell. Zum 175-jährigen Jubiläum finden zahlreiche Veranstaltungen an den verschiedensten Orten statt. Der Verband Deutscher Museums- und Touristikbahnen
(VDMT) und seine Bahnen bieten Veranstaltungen das ganze Jubiläumsjahr über. Unter www.vdmt.de finden Sie eine Übersicht. Die
bayerischen Museumsbahnen haben sich zusammengeschlossen und
liefern Informationen zu den Veranstaltungen unter
www.175-Jahre-Bahn-in-Bayern.de.
Im Fokus steht natürlich Nürnberg: Unter www.bahnjahr2010.nuernberg.de werden alle Veranstaltungen in Nürnberg und Fürth aufgeführt. Viel ist geplant in diesem Jubiläumsjahr: Ausstellungen und
Sonderschauen, Lokschuppen-Feste und jede Menge Sonderfahrten
in historischen Zügen. Dazu kommen zahlreiche Führungen und
Vorträge zum Thema „175 Jahre Eisenbahn“. So wird die Geschichte
der Eisenbahn lebendig und erlebbar.
Eine kleine Auswahl an Veranstaltungen haben wir für Sie zusammengestellt. Ansonsten finden Sie auf den einschlägigen Webseiten
mehr Informationen.
www.175-Jahre-Bahn-in-Bayern.de.
www.bahnjahr2010.nuernberg.de
A u sstell u n g e n
6.8.2010–31.10.2010 – DB Museum Nürnberg
„Adler, Rocket & Co. Die ersten Lokomotiven Europas“
19.5.–31.10.2010 – Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände
„Das Gleis. Die Logistik des Rassenwahns“
In dieser großen Fahrzeugschau sind Raritäten aus den Anfängen der Eisenbahn zu sehen. Aus ganz Europa stammen
die Pionierlokomotiven, die hier präsentiert werden. Natürlich
gehören dazu die berühmte „Rocket“ – 1829 in England gebaut – und der legendäre „Adler“, der das Eisenbahnzeitalter in
Deutschland einläutete und dessen Nachbau zum Museumsbestand gehört. Eine Multimediashow bringt die Besucher zurück
in die Zeit, als die ersten Lokomotiven in Europa fuhren.
Die Installation „Das Gleis“ steht als künstlerische Metapher
im Zentrum der Ausstellung. Sie verbindet Nürnberg als Ort,
an dem 1935 die „Rassengesetze“ verkündet wurden, mit den
zentralen Stätten der Vernichtung – durch eine direkte Bildübertragung aus den Gedenkstätten Auschwitz-Birkenau, Bełżec,
Majdanek, Treblinka und Sobibór. So werden „Täterort“ und
„Tatort“ in Beziehung gesetzt. Noch eine Besonderheit: Das
gesamte Erdgeschoss wird dem Besucher für die Dauer der
Ausstellung zugänglich gemacht. Ein Rundgang führt auch in
Räumlichkeiten, die ansonsten nicht besichtigt werden können.
www.planet-eisenbahn.de
W eitere V era n stalt u n g e n
www.das-gleis-nuernberg.de
18.07.2010 – Oldtimertreffen in Ebermannstadt
1.6. –27.6.2010 – Zeughaus Augsburg,Toskanische Säulenhalle
Fotoausstellung von Burkhard Wollny
Der Bahnpark Augsburg zeigt im Augsburger Zeughaus über
180 großformatige Schwarzweiß-Fotografien von Burkhard
Wollny, dem Meister der (Dampf-)Eisenbahnfotografie.
www.bahnpark-augsburg.de
www.burkhard-wollny-eisenbahnfotografie.de
7.7.2010–27.2.2011 – DB Museum Nürnberg
„Planet Eisenbahn“
Dampfbahn Fränkische Schweiz e.V. lädt ein zum „Oldtimertreffen der Schiene und Straße“ in Ebermannstadt und
Behringersmühle. Damit alles zueinander passt, gibt es eine
interessante Altersbegrenzung: Die Fahrzeuge sollen möglichst nicht jünger als 30 Jahre sein. Gefragt sind PKWs, Motorräder und Fahrräder sowie Schlepper/Nutzfahrzeuge.
www.dfs.ebermannstadt.de
25.07./07.08.2010 – Klassik Open Air in Nürnberg
Die Sonderausstellung zeigt faszinierende Exponate aus der
internationalen Eisenbahngeschichte und blickt zurück auf
175 Jahre Eisenbahngeschichte – von den Anfängen bis in die
Gegenwart. Spannende Themen werden dem Besucher geboten: Wann und wo entstanden die ersten Eisenbahnen in
anderen Ländern. Aber auch der Frage nach den Geldgebern
wird nachgegangen, der Berufstand des Eisenbahners näher
beleuchtet, der Einfluss des Eisenbahnbaus auf die Gesellschaft und deren Entwicklung betrachtet und vieles mehr.
Die größte Freiluftveranstaltung mit klassischer Musik in Europa
„Klassik Open Air beim Picknick im Park“ steht im Zeichen der
Bahn(-Reisen). Am 25. Juli spielen die Nürnberger Philharmoniker
unter der Leitung von Christoph Prick. Am 7. August laden die
Nürnberger Symphoniker unter der Leitung von Alexander Shelley
zu einer Zeitreise ein: „Bahn frei! Der Adler geht auf Reisen“ lautet
das Motto. Zur Aufführung kommen Werke von Eduard Strauß,
Hector Berlioz, Joseph Haydn, Sergej Rachmaninow, Peter Tschaikowsky u.a. Sie führen vom Beginn der Eisenbahn über den Orientexpress bis zum EuroCity – ein Streifzug durch die Geschichte.
www.planet-eisenbahn.de
www.klassikopenair.de
D A S JUB I L ÄUM S J A H R 2 0 1 0
25.07.–31.07.2010 Eisenbahnfilme in Augsburg
18.09.–26.09.2010 – Eisenbahn-Romantik-Rundfahrt
Etwas Besonderes hat sich der Bahnpark Augsburg einfallen
lassen: Im Cinemaxx laufen „Die besten Eisenbahnfilme aller
Zeiten“ – ein Muss für alle Cineasten. Ob „Der große Eisenbahnraub“ von Michael Crichton mit Sean Connery und Donald
Sutherland oder „Spiel mir das Lied vom Tod“, inszeniert von
Sergio Leone und meisterhaft gespielt von Charles Bronson,
Henry Fonda und Claudia Cardinale. Weiter stehen auf dem
Spielplan: „Der Polarexpress“ und „Thomas, die fantastische
Lokomotive“ sowie „Der letzte Zug“ und „Zug des Lebens“.
Wer Eisenbahn „satt“ erleben möchte, kann die Eisenbahn-Romantik-Sonderzugreise buchen. Mit 14 verschiedenen Dampflokomotiven führt die Reise über 4300 Kilometer durch alle Bundesländer Deutschlands. Los geht es im Bahnpark Augsburg mit
einer großen „Andampf-Party“ am 17. September und hier endet
die Reise auch. Dazwischen gibt es jede Menge Spaß und Unterhaltung, so eine exklusive Führung im DB-Museum in Nürnberg,
ein sächsisches Grillfest oder ein zünftiges Fischessen. Ob ein
Ausflug mit der Schmalspurbahn „Molli“ oder eine Schiffsrundfahrt im Hamburger Hafen – hier ist sicher für jeden etwas dabei.
www.cinemaxx.de
www.bahnurlaub.de
30.07.–01.08.2010 – Bardentreffen in Nürnberg
Das Weltmusikfestival „Bardentreffen“ findet zum 35. Mal statt
und steht diesmal ganz unter dem Motto „Railroad Songs“.
Um nur ein Highlight zu nennen: Arlo Guthrie, Sohn der Folklegende Woody, wird sich die Ehre geben und zusammen
mit Hans-Eckardt Wenzel auftreten. Der Berliner Liedermacher hat die Songs von Woody Guthrie ins Deutsche übertragen. Und wer denkt nicht sofort an „City of New Orleans“!
01.10.2010 – Nicolaus-Copernicus-Planetarium in Nürnberg
www.bardentreffen.de
www.naa.net/ncp
13.08.–29.08.2010 – Aktion in Fürth
07.12.2010 – Martinsumzug in Fürth
Die Stadt Fürth hat ein besonderes Highlight geplant: den
Nachbau des Ludwigsbahnhofs auf der Fürther Freiheit. Der
Bahnhof wurde 1938 abgerissen und wird nun an seinem ursprünglichen Standort wieder errichtet, und zwar mit Gerüsten
und Planen. Neben zahlreichen Events wird dann am 28. und
29. August ein großes Eisenbahnfest auf der Freiheit gefeiert – mit einem attraktiven Programm für Jung und Alt.
Zum Jahrestag der ersten Adler-Fahrt veranstaltet die Stadt
Fürth einen Martinsumzug. Die Kinder werden mit ihren Laternen die Strecke von der Freiheit bis hin zur Hornschuchpromenade illuminieren. Außerdem sorgt die Stadt für eine
zusätzliche besondere Beleuchtung, die die Promenade bis zum
23. Dezember in ein stimmungsvolles Licht tauchen soll.
„Vom Adler zum Spaceshuttle – Die Welt in Bewegung“
Ab 01. Oktober (Premiere) kann man im Planetarium auf
Zeitreise gehen: angefangen bei der Postkutsche über die
Eisenbahn zum Auto und zur Raumstation. Eine spannende Geschichte wie sich die Welt verändert hat – und
damit die Dimensionen von Entfernung und Reisen.
www.fürth.de
www.fürth.de
07.12.–30.12. – Filmreihe im Filmhaus Nürnberg
21.08.2010 – Dampflokfest in Nürnberg
Beim Dampflokfest werden etwa zehn Dampflokomotiven und
weitere historische Eisenbahnfahrzeuge aus ganz Deutschland
von 10 bis 20 Uhr im Bahnbetriebswerk Gostenhof gezeigt. Die
Lokomotiven werden ab 14 Uhr auf der Drehscheibe präsentiert.
www.dbmuseum.de
Zwei Aspekte markieren die Industrialisierung im 19. Jahrhundert:
Eisenbahn und Film. Mit der Reihe „Schienenzeit – die Eisenbahn und das Kino“ widmet sich das Filmhaus dieser Beziehung
zwischen Film, Eisenbahn und Bewegung. Ein vielfältiges und
spannendes Programm wird geboten: vom Stumm- und Tonfilm
über Dokumentar- und Tonfilm bis zu Kurz- und Experimentalfilm.
www.filmhaus.nuernberg.de
21.08.2010 – Jubiläumsfahrt zum Dampflokfest in Nürnberg
Die Jubiläumsfahrt mit der Dampflok 41 018 führt von München
über Augsburg zur Teilnahme an den Dampflok-Sternfahrten
zum Dampflokfest des DB-Museums in Nürnberg-Gostenhof.
Mit eingeschlossen ist der Besuch der großen Lok-Schau.
www.bahnpark-augsburg.de
12. 12. 2010 – Adler-Geburtstag im DB Museum Nürnberg
Das Jahr stand ganz im Zeichen des 175. Geburtstages der Eisenbahn in Deutschland. Zum Abschluss veranstaltet das DB Museum ein großes Fest für alle mit einem bunten Programm und
vielen Attraktionen rund um das Thema Eisenbahn. Eintritt frei!
www.dbmuseum.de
09.–11.09. und 25./26.09.2010 – Spielzeugmuseum in Nürnberg
Auch im Spielzeugmuseum dreht sich im Jubiläumsjahr viel
um die Bahn: Vom 09. bis 11. September heißt es „Lummerland im Spielzeugmuseum“. Jeweils von 11 bis 16 Uhr können
die Kinder ihre eigene „Insel mit zwei Bergen …“ – mit Schienen, Lok und Tunnel ganz nach ihrer Fantasie gestalten.
Am 25. und 26. September kommen kleine Baumeister ganz groß
heraus. Jeweils von 10 bis 17 Uhr im Dachgeschoss des Spielzeugmuseums ein großes Schienennetz für eine Eichhorn-Holzeisenbahn gebaut, damit der Zug dann auf die Reise gehen kann.
www.museen.nuernberg.de
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edition
bayern
eisenbahn in bayern 1835 . 2010
Edition Bayern # 01 SONDERHEFT
Herausgegeben vom Haus der Bayerischen Geschichte
haus der
bayerischen
geschichte
© 2010 Bayerisches Staatsministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst
Haus der Bayerischen Geschichte, Augsburg
www.hdbg.de
Redaktion: Evamaria Brockhoff, Dr. Wolfgang Jahn
Gestaltung: Manfred Wilhelm, Büro Wilhelm, Amberg
Lithografie: EZM Echtzeitmedien, Nürnberg und media men GmbH, Augsburg
Druck: Kessler Druck + Medien GmbH & Co. KG, Bobingen
Vertrieb: Verlag Friedrich Pustet ∙ Regensburg, Gutenbergstraße 8 ∙ 93051 Regensburg
Tel.: 0941 92022-0 ∙ Fax: 0941 92022-330 ∙ E-Mail: [email protected] ∙ www.verlag-pustet.de
Alle Rechte vorbehalten
Printed in Germany
ISBN 978-3-7917-2302-0
Gedruckt auf umweltschonend hergestelltem Papier „Symbol Freelife Satin“
von Fedrigoni Deutschland GmbH, Unterhaching
bildnachweis
Architekturmuseum der TU München: S. 74 o. li.
Judith Bauer, München: S. 1 o. re., 89
Bayerische Staatsbibliothek München / Porträt- und
Ansichtensammlung: S. 59 o., 61 li., 60 o. re.,
73 li. Mitte und u., 74 Mitte, 75 o. li. und Mitte re. o.
Bayerischer Landtag / Stiftung Maximilianeum,
München: S. 1 li. (4. v. o.), 2 u., 55
Bayerisches Wirtschaftsarchiv, München: S. 94−97
Udo Bernstein, Stein b. Nürnberg: S. 116, Umschlagrückseite
Bestand Uwe von Poblocki: S. 21 re., 31 o. re.
Bildagentur für Kunst, Kultur und Geschichte,
Berlin: S. 51 o. li.
Bildarchiv der Nürnberger Nachrichten:
S. 18 o. re., 38, 51 o. re.
Udo Breitenbach, Aschaffenburg: S. 1 li. u., 104−107
DATEV eG Nürnberg: S. 53 o., 53 Mitte li.
DB AG: Umschlagvorderseite o. (Foto: Ralf Kranert) und
u. (Foto: Stefan Warter), S. 70 o. re. (Foto: Annette Koch),
81 u. re. (Foto: Christian Bedeschinski
DB Museum Nürnberg: S. 1 o. li. und Mitte, 2. o. re., 56, 57,
61 u., 65 o.li., 66 li., 67, 70 o. li., 70 Mitte li. und u., 72, 73
o., 73 Mitte re. und u. Mitte und re., 75 o. re., 79
Eva Detzel, Lauingen: S. 112 li.
Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände,
Nürnberg (© Büro Müller-Rieger): S. 110
Aribert Elpelt, Waigolshausen: S. 74 o. re., 77. u. li., 81 o., 85
Foto Berger, Prien a. Chiemsee: S. 69 Mitte li., 82
Gemeinde Neuenmarkt: S. 60 o. li.
Gemeinde Rechtenbach: S. 65 unten
Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg: S. 68 re.
Grafische Sammlung Nürnberg: S. 1 li. (2. v. o.), 13 re.,
14/15 o., 14 u., 16; 117 o.
Martin Grundmeyer: S. 26 o. re.;
Haus der Bayerischen Geschichte, Augsburg: S. 55 u. li.,
58 (Foto: v. Voithenberg), 59 li. (Foto: Voithenberg), 59 u. re.,
62 re., 63 o., 65 o. re. (Foto: v. Voithenberg), 68 u.li.,
74 u. li., 83 o. re., 86 o. li. und u., 87
Monika Hippe: S. 75 Mitte u.
Wilfried Ernst Hölzler, Marktoberdorf: S. 62 li., 98−101, 108 u.
Fa. Ideenreich: S. 75 Mitte u. re.
Ketterer Kunst GmbH & Co. KG, München
(www.kettererkunst.de): S. 90 o.
Kunstsammlungen und Museen Augsburg: S. 55 u. re.
Herbert Liedel: S. 13 li., 19 u., 23 o. re., 29 Mitte li.,
33 o. re., Mitte re., 43, 49 u., 52 o. re., 53 re.
Emma Mages, Alteglofsheim: S. 64
Wolfgang Mair Abersee, Augsburg: S. 75 u.
Christian Mayerhofer, Essbahnhof im Kulturbahnhof
Rimsting: S. 75 Mitte u. li.
MEC Ostallgäu/Außerfern e.V.: S. 115 (Foto: Reinhard
Graf, Füssen)
Museum Industriekultur, Nürnberg:
S. 1 li. (3. v. o.), 20, 21 li., 22, 23 Mitte, 25, 26 li., 26 Mitte
re., 27, 29 u. li., 30, 34−37, 39 u., 40, 41, 42 o., Mitte re., u.,
45, 46, 48/49 o., 51 Mitte, u., 117 Mitte
Privatbesitz: S. 2 o. li. und Mitte, 63 u., 65 Mitte re., 66 li.,
60 u. li. und re., 74 u. re., 75 Mitte li., 76, 77 o., 77 u. Mitte
und re., 78, 81 u.li., 83 o. li. und u.li., 84, 88, 112 re., 113
Alwin Reiter, Geltendorf: S. 77 Mitte
H. Peter Sinclair (by courtesy Jonathan Sinclair, London):
S. 108−109
Florian Schilhalbel: S. 92/93
Staatsarchiv Würzburg: S. 111
Stadtarchiv Fürth: S. 17 u. re.
Stadtarchiv Lauf an der Pegnitz: S. 15 u.
Stadtarchiv Nürnberg: S. 17, 18 oben u. Mitte,
19 o. u. Mitte, 21 o., 23 o. li., 29 o., Mitte re., u. re.,
31, 32, 33, 39 o., 42 Mitte li., 47, 52 Mitte o.
Städtische Galerie im Lenbachhaus, München: S. 91
Stadtmuseum Sulzbach-Rosenberg: S. 83 u. re.
Technische Universität München, Lehrstuhl für Forstliche
Arbeitswissenschaft und Angewandte Informatik, Freising:
S. 65 Mitte li.
Christian Wagner Film, München (www.wagnerfilm.de):
S. 102
Wendelsteinbahn GmbH, Brannenburg: S. 71
Wittelsbacher Ausgleichsfonds, München
(Inv.-Nr. B II 163): S. 61 re.
Zentrum Paul Klee, Bern (© VG Bild-Kunst): S. 90 u.
Bayerische Eisenbahngeschichte
Josef Dollhofer
Feuerross und Flügelrad in Ostbayern
Die Ära der Bayerischen Ostbahnen
ca. 380 Seiten, mit ca. 230 Abbildungen
ISBN 978-3-7917-2300-6
Der spannende Aufbruch ins Eisenbahnzeitalter in Niederbayern und der Oberpfalz!
Ausgestattet mit historischem, vielfach noch
nicht veröffentlichtem Bildmaterial.
Eisenbahn in Regensburg
150 Jahre Schienenverkehr
Herausgegeben von den Regensburger
Eisenbahnfreunden RSWE e.V.
ca. 168 Seiten, mit 120 z.T. farbigen
Abbildungen
ISBN 978-3-7917-2274-0
Die Entwicklung der Eisenbahn-Region
Regensburg von der Bayerischen Ostbahn
bis zur Deutschen Bundesbahn heute.
Beide Bücher erscheinen im September.
Verlag Friedrich Pustet
www.verlag-pustet.de

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