Lade diese Publikation als PDF herunter
Transcrição
Lade diese Publikation als PDF herunter
SONDERHEFT # 01 / 10,– € eisenbahn in bayern 1835 · 2010 edition bayern geschichte die strecke des adlers geschichte der eisenbahn in bayern krauss & comp. jubiläumsjahr 2010 haus der bayerischen geschichte 04 76 Editorial von Richard Loibl 89 02 DIE STRECKE DES ADLERS 16 40 Die Entstehung der Ludwigseisenbahn von Rainer Mertens Zur Geschichte der Fürther StraSSe von Regine Franzke und Matthias Murko „Da geht’s ja zu wie am Plärrer!“ Nomen est omen – Hercules Drei Villen und noch ein Palast Mikrokosmos Fürther Straße „Erst mal seh’n was Quelle hat!“ Triumphale Zeiten von Helmut Schwarz Schlafende Schönheiten: Triumph-Adler AEG – Aus Erfahrung gut? Schrauben – Spielzeug – Daten: Die (Vor-)Geschichte der DATEV eise n b a h n i n b ay er n von Emma Mages Die Entwicklung des Hauptbahnnetzes 1835 bis 1880 Vizinal- und Lokalbahnen Eisenbahnbau und Eisenbahnbauarbeiter Meisterwerke der Technik Exkurs: Die Wendelsteinbahn von Johann Vogt Bahnhöfe, Stadt- und Raumentwicklung Ein neuer Berufsstand: Der Eisenbahner Die Eisenbahn und ihre Wirkungen: Alles verändert sich Mit der Eisenbahn ins Industriezeitalter Strukturwandel in der Landwirtschaft Eisenbahn und Personenverkehr: Mobilität für jedermann Mythos Eisenbahn 04 12 16 24 28 32 34 40 44 46 50 54 60 64 68 71 72 76 80 82 84 87 89 krau ss & co m p. Lokomotiven für alle Spurweiten von Richard Winkler 94 stillg ele g te strecke n Ein Prellbock in der Landschaft von Wilfried Ernst Hölzler 54 98 b a h n h o f asc h a f f e n b u r g 4 Aktionen von Evamaria Brockhoff / Udo Breitenbach 104 der z u g i n s f reie Meine Isartalbahn 1926–1936 / München-Hauptbahnhof 21. März 1939 von H. Peter Sinclair ✝ / Evamaria Brockhoff und Ludwig Eiber 108 leide n sc h a f t eise n b a h n Museen, Vereine, Nostalgiefahrten 112 das j u b il äu m s j a h r 2 0 1 0 104 Termine, Veranstaltungen, Service 116 Impressum / Bildnachweis 120 eisenbahn in bayern 1835 . 2010 2 edit o rial edition bayern eisenbahn in bayern 1835 . 2010 Oben links: Postkartenmotive (Nürnberger Plärrer und Eisenbahndamm in Lindau) Oben rechts: Die Einstiegshalle des Münchner Ostbahnhofs Mitte: Freifahrtschein für Herrn Hellerbrand nebst Gattin Unten: Freistempler des Bahnsozialwerks und Modelleisenbahn im Grundstein des Münchner Maximilianeums edit o rial I m Jahr 2007 etablierte das Haus der Bayerischen Geschichte mit der EDITION BAYERN eine neue Schriftenreihe, die sich zur Aufgabe gemacht hat, die Regionen Bayerns in ihrer historischen Eigenart und Tradition vorzustellen. Vorangegangen war ein Auftrag des Bayerischen Landtags, den Regionen Bayerns besondere Aufmerksamkeit zu widmen und sie in Ausstellungen und Publikationen einem breiten Publikum nahe zu bringen. Mit den Heften zum „Passauer Land“, den „Haßbergen“, der Region „Unterallgäu und Memmingen“, dem „Werdenfelser Land“ ist uns ein guter Start gelungen, der in nächster Zeit seine Fortsetzung findet in Beiträgen zum Chiemgau, zu Amberg und zu Kronach. Eine Reihe, die auf sich hält, veröffentlicht von Zeit zu Zeit Sonderhefte. Und so ist es auch bei der EDITION BAYERN. Die Sonderhefte greifen die Konzeption der früheren „Hefte zur Bayerischen Geschichte und Kultur“ auf, indem sie ein Thema aus der Geschichte Bayerns – Altes und Neues, Bekanntes und Abgelegenes – behandeln, wobei großer Wert darauf gelegt wird, nicht nur eine gut lesbare, sondern auch eine reich bebilderte Publikation vorzulegen, in der die Bilder nicht bloß illustrativ eingesetzt sind; vielmehr werden sie als historische Quelle ernst genommen und bilden so einen eigenen „Erzählstrang“. Mit dem ersten Sonderheft zur EDITION BAYERN greifen wir ein Jubiläum auf, das in diesem Jahr allerorts begangen wird. Vor 175 Jahren, am 7. Dezember 1835, fuhr in Deutschland die erste reguläre Eisenbahn. Die Dampflok hatte kein Geringerer gebaut als George Stephenson aus Newcastle, der „Vater der Dampflokomotive“. Die Lok kam aber nicht etwa in Preußen zum Einsatz, wie man meinen könnte. Es war Bayern, das bereits im 19. Jahrhundert eine ganze Reihe von technischen Innovationen auf den Weg brachte. Vom Nürnberger Plärrer, wo sich Tausende Zuschauer versammelt hatten, startete der „Adler“ um 9 Uhr in der Früh, um bald darauf wohlbehalten im nahe gelegenen Fürth anzukommen. Warum wurde ausgerechnet die Fürther Straße die erste Eisenbahnstrecke? Die Chaussee zwischen Nürnberg und Fürth galt in den 1820er-Jahren als die meist befahrene Straße des Königreichs Bayern. Deshalb widmet das Nürnberger Museum Industriekultur seine Jubiläumsausstellung der „Strecke des Adlers“ – unser Heft ist die begleitende Publikation zur Ausstellung, die vom 17. Juni bis zum 12. Dezember 2010 gezeigt wird. Im Mittelpunkt der Präsentation steht die Entwicklung der Fürther Straße als Weg in die Moderne und als „Achse der Industrialisierung“. Die erste Eisenbahn in Deutschland war zugleich die Initialzündung der Industrialisierung, die sich entlang des rasch wachsenden Schienennetzes entwickelte und die Welt grundlegend veränderte. Aufschwung und Niedergang, wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Wandel – das alles hat sich in der Fürther Straße abgespielt, von der Dampflok bis zur fahrerlosen U-Bahn. Regine Franzke, Rainer Mertens, Matthias Murko und Helmut Schwarz stellen diese Entwicklung von der industriellen zur multikulturellen Städteachse Nürnberg-Fürth dar anhand großer Namen wie Quelle, Triumph, Hercules, Schuco, AEG und DATEV. Die Bei- träge von Richard Winkler zur Geschichte der Fa. Krauss & Comp., Wilfried Ernst Hölzler zum Thema der stillgelegten Strecken, Udo Breitenbach über eine Kunstaktion zum Aschaffenburger Bahnhof und H. Peter Sinclair mit einer sehr persönlichen Kindheits- und Jugenderinnerung sind einzelnen Aspekten der Eisenbahngeschichte gewidmet. Emma Mages bietet wiederum den großen Überblick: von der Privatbahn zur Staatseisenbahn, von der Lokalbahn und den Meisterwerken von Technik und Architektur, den Brücken und den Bahnhöfen, vom Strukturwandel in der Landwirtschaft bis zur Industrialisierung. Dass sich Bayern den Eisenbahnverkehr nach der Reichsgründung von 1870/71 als Separatrecht behielt, wirft ein Licht auf seine Bedeutung. Und auch wenn es in Zeiten von weltumspannendem Flugverkehr und Weltraumflügen für (fast) jedermann ganz außer Blick geraten ist: Es war die Eisenbahn, die den mobilen Menschen unserer Zeit hervorgebracht hat. Mit der Eisenbahn wurde es zum ersten Mal im großen Stil möglich, das von der Natur vorgegebene Tempo der Fortbewegung eklatant zu erhöhen, unabhängig von der eigenen Marschleistung, unabhängig von Pferdestärken und Seegang. Und so wurde die Eisenbahn in Kunst und Literatur auch rasch ein Symbol nicht nur für den technischen Fortschritt, sondern vor allem auch für die Unaufhaltsamkeit der Zeit, für die Vergänglichkeit, für das haltlose Hinabstürzen in den Tunnel, wie es Friedrich Dürrenmatts gleichnamige Erzählung so bedrohlich beschreibt. Und auch Karl Valentins „Hinaus ins Freie. Komische Soloszene“ ist weniger komisch als abgründig surreal: „… Da haben nämlich ich, meine Freunde und wir vor kurzer Zeit einen Ausflug gemacht, das heißt, das ist eigentlich auch scho wieder drei Jahr her. Bei diesem Ausflug haben wir mehr Verdruß g`habt, als wie Aerger. Am Bahnhof drauß`n is s`scho anganga, wie wir nämlich in`n Zug einsteig`n woll`n, sehn wir, dass der Zug blos 12 Wäg`n g`habt hat; wir waren aber zu dreizehnt, jetzt hab ich mit`n nächsten Zug nachfahr`n müssen … Die Fahrt war sehr ermüdend, erstens wars furchtbar heiß an dem Tag`, und Aussicht hab`n wir gar keine g`habt, als wie links und rechts lauter Schneefelder. Kurz vor der Station entgleist auf einmal der Zug, fahrt über Böschung `nunter und überrennt Häuser und Bäume, rennt ins Dorf nei und direkt in ein Wirtschaftsgebäude hinein, mitten ins Lokal. Natürlich hab`n wir den Lokomotivführer glei die größten Grobheiten g`macht und hab`n ihn g`fragt, warum dass er mit dem Zug da ins Lokal nei fahrt, sagt er, dös muß er tun, vom Verkehrsministerium aus, weil das a Lokalzug is ...“ Für die gute Kooperation danke ich dem Nürnberger Museum Industriekultur. Den Autoren und den Institutionen, die Bildmaterial zur Verfügung stellten, gilt mein Dank, vor allem aber den Privatpersonen, die – wie Eva Detzel, Aribert Elpelt und Helmut List, selbst ein ehemaliger Eisenbahner, sowie Alwin Reiter, Urenkel eines Bahnwärterehepaars – ihre Schätze zur Verfügung stellten. Den Leserinnen und Lesern wünsche ich eine vergnügliche Fahrt durch unser Eisenbahnheft mit interessanten Einblicken und Ausblicken. Dr. Richard Loibl Direktor des Hauses der Bayerischen Geschichte 3 4 DIE STRECKE DES ADLERS Die Entstehung der LudwigsEisenbahn Die Wiege der deutschen Eisenbahn steht in Nürnberg. Als sich dort am Morgen des 7. Dezember 1835 der Eröffnungszug der ersten deutschen Eisenbahn, gezogen von der Lokomotive „Adler“, vom Plärrer in Richtung Fürth in Bewegung setzte, war dies der Auftakt zu einer Entwicklung, die epochale Folgen haben sollte. Der Adler in voller Fahrt – ein Publikumsmagnet DIE STRECKE DES ADLERS Fahrkarten der Ludwigseisenbahn Z war war das neue Verkehrssystem mit der revolutionären Wirkung nicht in Nürnberg oder Fürth erfunden worden, denn das Mutterland der Eisenbahn ist bekanntlich England. Auch war die private Initiative hiesiger Kaufleute und Honoratioren, die das Projekt auf die Beine stellten, keineswegs einmalig in Deutschland; Eisenbahnkomitees gab es allerorten, ob in München, Frankfurt, Dresden oder Berlin. Genau genommen war die nur sechs Kilometer lange Strecke zwischen Nürnberg und Fürth nicht einmal die erste Eisenbahn in Deutschland, denn in Österreich, damals zum Deutschen Bund gehörig, hatte 1832 eine private Gesellschaft mit staatlicher Unterstützung eine Bahnlinie von Linz nach Budweis verwirklicht, wenngleich die dabei verwendete Technologie wenig innovativ war: Die pferdebespannten Wagen liefen auf mit Eisen beschlagenen Holzschienen. Doch die Zukunft gehörte einer anderen Technologie, der in England entwickelten Kombination von Eisenschiene und Dampfwagen. Dieses System nach Deutschland transferiert und dort erfolgreich umgesetzt zu haben, ist das historische Verdienst der Nürnberg-Fürther Eisenbahnpioniere. Am Anfang war die Krise Warum wurde die erste Eisenbahn Deutschlands ausgerechnet zwischen Nürnberg und Fürth verwirklicht? Sucht man nach den Gründen hierfür, so muss man auf dem Zeitstrahl der Geschichte einige Jahrzehnte zurückgehen. Nürnberg war am Ende des 18. Jahrhunderts immer noch ein bedeutendes Wirtschaftszentrum. Die großen Handelshäuser belieferten ganz Europa und die überseeischen Besitzungen der europäischen Mächte mit Nürnberger Gewerbeerzeugnissen. Zudem betrieben die Nürnberger Kaufleute einen ausgedehnten Durchgangshandel mit Waren aller Art und machten dadurch die Region zu einer Drehscheibe des europäischen Handels. Allerdings hatte die Stadt seit dem Dreißigjährigen Krieg ihre einstige politische Bedeutung eingebüßt und war in seinen inneren gesellschaftlichen Strukturen erstarrt. Das Nürnberger Gewerbe fiel gegenüber der europäischen Konkurrenz mehr und mehr zurück, doch hielt sich die Region insgesamt nicht schlecht, da vor allem die benachbarten hohenzollerschen Territorien wirtschaftlich erstarkten. sens war die Verbesserung des Verkehrswesens eines der Hauptanliegen der bayerischen Reformer. Leistungsfähige und vor allem preiswerte Transitrouten sollten den europäischen Handel auf bayerisches Territorium lenken. Auf diese Weise sollte der zwischen den Großmächten Preußen und Österreich eingeschnürte Binnenstaat respektive der Nürnberger Raum (wieder) zum Herzland des europäischen Handels werden. Erst als Nürnberg 1806 mitsamt seinem ausgedehnten Landgebiet dem neuen Königreich Bayern zugeschlagen wurde, wendete sich die Lage endgültig zum Schlechten. Das Handelsvolumen der Nürnberger Kaufhäuser halbierte sich durch Krieg und Kontinentalsperre binnen weniger Jahre und nach 1815 lähmte die protektionistische Wirtschaftspolitik Bayerns und aller übrigen europäischen Staaten die exportorientierte Wirtschaft vollends. Als 1817 eine durch Missernten verursachte Hungersnot dazu kam, geriet die Region an den Rand des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruchs. Als wichtigstes Projekt galt die Verbindung von Main und Donau. Hierzu gab es verschiedene Vorschläge – Chausseen, Kanäle, auch die Eisenbahn wurden diskutiert. So hatte der bayerische Bergbaubeamte Joseph v. Baader um 1811 als Erster überhaupt in Deutschland das Projekt einer Eisenbahn erörtert. Baader, der während eines Aufenthalts in England um 1790 die dortigen Grubenbahnen kennengelernt hatte, entwarf mit seinem „System der fortschaffenden Mechanik“ eine sehr eigentümliche Schienenbahn, deren Technologie sich erheblich von der später verwirklichten Eisenbahn unterschied. Im Bestreben, die Nachteile der englischen Bergwerksbahnen zu vermeiden, entwarf Baader ein ausgeklügeltes, aber auch sehr kompliziertes System. Er sah auf Pfeilern montierte Schienen vor, auf denen Wagen auf spurkranzlosen Rädern laufen und von zusätzlichen, waagrecht am Gleis laufenden Rädern in der Spur gehalten werden. Die Wagen sollten von Pferden gezogen werden und sowohl auf der Schiene als auch auf der Straße laufen. Am Berg sollten „Kompensationsmaschinen“ die Energie talwärts fahrender Fuhrwerke mittels Federmechanik speichern und zum Hochziehen bergwärts fahrender Wagen nutzen. Die prekäre Lage verschärfte sich durch die Rückständigkeit des Nürnberger Gewerbes hinsichtlich Organisation, Technologie und Produktdesign. Insgesamt wirkten sich der rigide Zentralismus und die restaurativ-reaktionäre Innenpolitik Bayerns lähmend auf die wirtschaftlichen und sozialen Strukturen aus und brachten das Land im Vergleich zu den sozial und wirtschaftlich fortschrittlicheren Staaten Europas ins Hintertreffen. Die dringend notwendigen Reformen nahmen Gestalt an in einer Bewegung, die ihre Anhänger einerseits in der bayerischen Beamtenschaft, andererseits im liberalen Wirtschaftsbürgertum rekrutierte. Ihre Hochburgen lagen fast ausschließlich in Franken. Neben den üblichen Forderungen der Zeit nach Verfassung, wirtschaftlicher Liberalisierung und Erneuerung des Bildungswe- Im Jahr 1814 baute Baader eine Demonst rationsanlage in München auf. Hierbei zog unter anderem ein Schoßhündchen einen mit drei Personen besetzten Wagen über das Gleis, um den staunenden Zuschauern den 5 6 DIE STRECKE DES ADLERS Pferdebetrieb auf der Ludwigsbahn bei Fürth geringen Reibungswiderstand der Schienenbahn zu demonstrieren. Drei Jahre später ließ er in München eine etwa 100 Meter lange runde Bahn im Maßstab 1:2 aufbauen, auf der er zwei Jahre lang beinahe wöchentlich Versuchsfahrten durchführte. Im Jahr 1818 tauchte in einem Vorschlag Baaders erstmals die Idee auf, eine Strecke zwischen Nürnberg und Fürth als Ausgangspunkt für eine bayerische Eisenbahn anzulegen. 1819 debattierte der Bayerische Landtag erstmals über die Frage einer Eisenbahn in Bayern. Baader spielte in dieser Zeit mit seinen Schriften und öffentlichen Vorführungen die Rolle als unermüdlicher Werber für das neue Verkehrsmittel und machte das Thema einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. 1826 gelang es ihm, mit Finanzmitteln, die ihm mit Unterstützung des Landtags von der Regierung bewilligt worden waren, im Nymphenburger Schlosspark eine Versuchs- strecke mit seinem und dem „englischen System“ im Maßstab 1:1 zu errichten. Zu den Vorführungen strömten mehrere Tausend Menschen. Der junge König Ludwig I. war begeistert von der Eisenbahnidee. Bei einem Besuch in Fürth im September 1826 äußerte der Monarch, eine Bahn zwischen den beiden Städten sei „wünschenswerth und leicht ausführbar“. Doch noch war die Skepsis groß im Lande. Unstreitig war, dass Bayern moderne Verkehrswege brauchte, wie diese jedoch beschaffen sein sollten, darüber schieden sich die Geister. So setzte die bayerische Bergbauverwaltung, der das Projekt einer Verbindung von Main und Donau oblegen hätte, wieder auf den Kanalbau. Eine Jury unter der Leitung des Hofbaurates Leo v. Klenze erteilte 1826 dem Baader’schen System eine vernichtende Kritik: Es sei viel zu kompliziert und kostspielig. Auch die mittelfränkischen Kaufleute zögerten zunächst, sich für die Eisenbahn zu entscheiden; zu riskant erschienen die Investitionen in die neue Verkehrstechnologie. So meinte Bürgermeister Scharrer, später Direktor der Ludwigsbahn, im Jahr 1827, dass gute Straßen den Bedürfnissen des Verkehrs durchaus genügen würden. Die Nürnberg-Fürther Kaufmannschaft und viele liberale Beamten waren sich ohnedies einig, dass für den Bau moderner Verkehrswege eine Änderung der wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen in Richtung Freihandel unerlässliche Voraussetzung wäre. Seit 1827 war die Idee einer großen Verbindungsbahn zwischen Main und Donau somit praktisch tot. Auch Ludwig I. wandte sich, enttäuscht von den Baader’schen Versuchsergebnissen, von der Eisenbahn ab und favorisierte nun den Kanalbau. DIE STRECKE DES ADLERS Zeitgenössische Darstellung der Ludwigsbahnstrecke Die Ludwigsbahn – ein Werk des Bürgertums Um 1830 wendete sich jedoch das Blatt wieder zu Gunsten der Eisenbahn. Nun trat eine Verkettung von Ereignissen ein, die das Handeln der mittelfränkischen Bahnpioniere gewaltig beschleunigte. So wurde ein Zusammenschluss der größten Staaten des Bundes zu einem Zollverein immer wahrscheinlicher; bereits 1828 waren Verträge zwischen Bayern und Württemberg geschlossen worden und die Verhandlungen mit Preußen gingen zügig voran. Damit eröffnete sich die Aussicht auf eine rasche Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Zudem wurde 1830 zwischen Manchester und Liverpool die erste längere Eisenbahnstrecke der Welt eröffnet, die ausschließlich mit Dampfkraft bedient wurde. Ihr großer Erfolg verhalf der Kombination Schiene – mobile Dampfmaschine endgül- tig zum Durchbruch und zeigte vor allem, dass Eisenbahnen nicht nur für den Warentransport geeignet waren, sondern auch Personen schnell und sicher befördern konnten. Schließlich war 1832 die Pferdebahn Linz— Budweis eröffnet worden. Diese immerhin 130 Kilometer lange Eisenbahnlinie verband die Donau mit der Moldau und schuf eine neue Handelsroute für die Warenströme aus Südosteuropa in Richtung Sachsen und Preußen. Die Nürnberger Kaufleute mussten nun befürchten, dass die Handelsgüter noch mehr als bisher einen Bogen um Bayern und die Nürnberg-Fürther Region machen würden. Die in Aussicht stehende Gründung des Zollvereins, der Erfolg der Liverpool-Manchester-Bahn und der Linz-Budweiser „Bypass“ – all dies brachte die zögernde Nürnberg-Fürther Kaufmannschaft in Zugzwang, in Sachen Eisenbahn aktiv zu werden. Den Anfang machte Erhard Friedrich Leuchs, Herausgeber der Nürnberger „Allgemeinen Handelszeitung“, einem der wichtigsten Informationsmedien Süddeutschlands über technische und wirtschaftliche Entwicklungen in aller Welt. Die Handelszeitung hatte in den vergangenen Jahren immer wieder über die Entwicklung der Eisenbahn und ausführlich über den Lokomotiv-Wettbewerb von Rainhill und die Eröffnung der Manchester-Liverpool-Bahn berichtet. Am 2. Januar 1833 erschien ein von Leuchs selbst verfasster „Aufruf zur Gründung einer Eisenbahn von Nürnberg nach Fürth“. Dieser wurde in 1800 Exemplaren in Nürnberg und Fürth verteilt und fachte eine breite Diskussion in der Öffentlichkeit an. Zunächst hielt sich die Unterstützung für das Projekt in engen Grenzen: Während der Fürther Bürgermeister Bäumen und der Nürnber- 7 8 DIE STRECKE DES ADLERS Plan der Ludwigseisenbahn von 1840 ger Handelsvorstand unter der Führung des Marktvorstehers Georg Zacharias Platner den Aufruf unterstützten, verhielten sich die Gremien beider Städte abwartend. Vor allem in Fürth wurden Bedenken laut, dass durch die Eisenbahn Fuhrleute ihre Arbeit verlieren könnten. Die Meinung der – erstaunlich breiten – Öffentlichkeit spiegelt sich in den zahlreichen Leserzuschriften der Handelszeitung wider. Positive Kommentare herrschten vor, viele Stimmen forderten eine Beteiligung des Staates an der von der Nürnberg-Fürther Bürgerschaft getragenen Initiative. Platner veranlasste, dass vorab Landtag und Regierung um Erlaubnis für das Projekt gebeten wurden. Am 12. Januar erfolgte schließlich der entscheidende Schritt: An diesem Tag traf er sich in seinem Haus im östlich von Nürnberg gelegenen Vorort Erlenstegen mit dem Nürnberger Kaufmann und Handelsvorstandsmitglied Johann Merkel, dem Fürther Bürgermeister Franz v. Bäumen und seinem alten Freund Johannes Scharrer, dem früheren Bürgermeister und derzeitigen Leiter der Polytechnischen Schule. Dieser kleine Kreis bürgerlicher Honoratioren kam in wenigen Stunden zu der historischen Entscheidung, Deutschlands erste Eisenbahn mit Dampfkraft zu realisieren. Es mag heute erstaunen, mit welcher Zielstrebigkeit, die in vieler Hinsicht an modernes Prozessmanagement erinnert, die vier ehrwürdigen Herren an die Sache herangingen. Noch in jener Besprechung beschlossen sie die nächsten Schritte: Als empirische Basis sollte eine bereits begonnene Verkehrszählung an der Fürther Straße weitergeführt werden, um zu ermitteln, ob das Verkehrsaufkommen zwischen den Nachbarstädten ausreicht, um eine Bahnlinie wirtschaftlich betreiben zu können. Würde das Ergebnis positiv ausfallen, wollte man als nächsten Schritt das Terrain vermessen lassen. Danach sollte über die technische Bauart der neuen Eisenbahnlinie und der Fahrzeuge entschieden werden. Hierzu beabsichtig ten die Eisenbahnpioniere Informationen vor allem aus England einzuholen. Nach der Entscheidung für die Bauart sollten die Kosten des Projekts ermittelt werden, um schließlich das Kapital zu beschaffen. Der gesamte Prozess sollte mit der Veröffentlichung einer Einladungsschrift zur Gründung einer Eisenbahngesellschaft spätestens im Mai abgeschlossen werden, um dann in die Phase der konkreten Planung und des Baus der Bahnlinie einzutreten. Die Ergebnisse der Verkehrszählung, die Ende März vorlagen, übertrafen alle Erwartungen: Danach verkehrten pro Jahr zwischen den beiden Städten 612 470 Personen, zu Fuß und auf Wagen, sowie 39 420 Fuhrwerke mit 86 140 Pferden. In den folgenden Wochen fällten die Nürnberger Eisenbahnpioniere zwei wichtige Entscheidungen. Da war zunächst die Art der technischen Ausführung. Trotz des Erfolgs der Manches ter-Liverpool-Bahn war zu dieser Zeit die Systemfrage noch keineswegs zu Gunsten des dort verwendeten „englischen Systems“ DIE STRECKE DES ADLERS entschieden. Hierbei wurde die Trasse möglichst gerade und eben geführt, Flüsse wurden mit aufwändigen Brückenbauten überspannt, Höhenzüge mit Tunneln oder Einschnitten durchquert. Massive Schienen aus gewalztem Eisen trugen die Züge, die im Fall der Manchester-Liverpooler Linie ausschließlich mit Dampflokomotiven bewegt wurden. Die Vorteile dieser Bauart lagen in ihrer Haltbarkeit und der direkten Linienführung, die relativ hohe Geschwindigkeiten erlaubte. Nachteil waren die hohen Herstellungskosten. Dem gegenüber stand das „amerikanische System“. Hier wurde die Trasse dem Gelände angepasst angelegt: Steile Anstiege und enge Kurven wurden in Kauf genommen, dafür wurden teure Brücken- und Tunnelbauten vermieden. Der Fahrweg bestand aus eisenbeschlagenen Holzschienen, die auf hölzernen Schwellen befestigt waren. Die Wagen – längere Züge fuhren kaum – wurden sowohl von Dampflokomotiven als auch von Pferden gezogen. Diese Bauart hatte den Vorteil, dass sie wenig kostete und schnell herzustellen war. Mitte der 1830er-Jahre bestanden in den USA bereits 46 derartige Eisenbahnlinien, weitere 137 waren in Planung. Darunter waren schon echte Fernbahnen wie die über 500 Kilometer lange Linie von Baltimore nach Pittsburgh. Auch die erwähnte Eisenbahn von Linz nach Budweis war nach dem „amerikanischen System“ ausgeführt. Viele Eisenbahnpioniere, unter ihnen auch Friedrich List, der die US-Bahnen aus eigener Anschauung kannte, befürworteten diese Bauart. Auch Baader schaltete sich noch einmal in die Diskussion ein und empfahl seine „fortschaffende Mechanik“ für das geplante Projekt. Damit standen drei Systeme zur Diskussion, doch die Nürnberg-Fürther Eisenbahnpioniere favorisierten von Beginn an das „englische System“. Schon der Leuchs’sche Aufruf hatte sich für eine Linie nach dem Vorbild Liverpool-Manchester ausgesprochen. Nach einem Kostenvergleich entschieden sie sich für das englische System, obwohl dies nicht das günstigste war. Sie setzten damit einen Standard, dem fast alle Eisenbahnprojekte in Deutschland folgten. Weitblickend war auch die Entscheidung, die Bahn als mit privatem Kapital finanzierte Aktiengesellschaft zu organisieren. Diese in Deutschland noch wenig verbreitete Gesellschaftsform gab den Betreibern die für ein derartiges Unternehmen notwendige Entscheidungsfreiheit. Mit diesen Festlegungen sowie der Verkehrszählung und der Kostenermittlung waren die Voraussetzungen für die Gründung einer Bahngesellschaft erfüllt. Nun gingen die noch informell agierenden Eisenbahnpioniere daran, ihrem Projekt eine feste Form zu geben: Am 14. Mai 1833 veröffentlichten sie die „Einladung zur Gründung einer Gesellschaft für die Errichtung einer Eisenbahn mit Dampfkraft zwischen Nürnberg und Fürth“. Damit entfachten sie eine Diskussion, die weit intensiver geführt wurde als beim Leuchs’schen Aufruf. Hier kamen alle – teilweise durchaus berechtigten – Bedenken der Zeit zum Tragen: Die Fuhrleute würden arbeitslos, die Eisenbahn sei wenig zukunftsträchtig, ein Dampfwagen könne explodieren, der Übergang von Schiene zu Straße sei schwierig herzustellen, bei dem Verkehr auf Kanälen bleibe mehr Geld im Lande und vieles mehr. Die heute noch gerne zitierte Warnung bayerischer Ärzte, die hohe Geschwindigkeit der Eisenbahn würde die Fahrgäste wie die Passanten in den Wahnsinn treiben, muss dagegen ins Reich der Legenden verwiesen werden. Vermutlich wurde sie fünfzig Jahre später von Heinrich v. Treitschke in die Welt gesetzt. Für die Popularität sorgte dann wieder fünfzig Jahre später Adolf Hitler, der die Geschichte immer dann zum Besten gab, wenn er sich über den Rat von Fachleuten hinwegsetzen wollte. Neben den Bedenken gab es aber auch breite Zustimmung aus der Bürgerschaft. Die Oberste Königliche Baubehörde stand dem Projekt wohlwollend gegenüber. So unentschieden die öffentliche Meinung war, so schleppend kamen die Gelder zusammen: Erst bis zum November hatte man die für den Bau nötigen 175 000 Gulden (nach heutigem Wert etwa fünf bis sechs Millionen Euro) aufgebracht. Zum Vergleich: Das zwei Jahre später ausgeschriebene Aktienkapital für den Bau der Leipzig-Dresdner Eisenbahn in Höhe von einer Million Talern (1,5 Millionen Gulden) war innerhalb weniger Stunden gezeichnet. Federführend bei der Finanzierung der Nürnberg-Fürther Bahn waren die großen Handelshäuser der Region. Allein Georg Zacharias Platner, Hauptinitiator der Eisenbahn, erwarb Aktien im Wert von 11 000 Gulden, nach heutigem Wert rund 330 000 Euro. Unter den 207 Aktionären fanden sich aber auch 101 Kleinaktionäre, Dienstboten, Krämer, städtische Angestellte, die jeweils nur eine oder zwei Aktien im Wert von 100 oder 200 Gulden erwarben. Enttäuschend fiel das finanzielle Engagement des bayerischen Staates aus, der nur zwei Aktien kaufte und diese erst nach mehrmaliger Ermahnung bezahlte. der Bau der LudwigsEisenbahn Am 18. November 1833 fand im Nürnberger Kleinen Rathaussaal die offizielle Gründung der ersten Eisenbahngesellschaft Deutschlands statt. Georg Zacharias Platner wurde zum Direktor gewählt, Scharrer war sein Stellvertreter und folgte ihm ein Jahr später auf den Direktorsposten, den er dann bis zu seinem Tod 1844 bekleidete. Weitere Mitglieder des Direktoriums waren unter anderem der Nürnberger Erste Bürgermeister Binder und der Buchhändler Carl Mainberger, ein Vertrauter Scharrers. Hier waren wieder die Vertreter der bürgerlichen Oberschicht versammelt, die seit zwei Jahrzehnten versuchten, mit sozialen und wirtschaftlichen Reformen die schwere Krise der Region zu überwinden und zu ihr neuem Gewicht in der Welt zu verhelfen. Mit der Gründung der Eisenbahngesellschaft schien dieser Gruppe erstmals ein Projekt zu gelingen, das weit über die Grenzen der Stadt hinaus Beachtung fand. Doch während die vielerorts bereits gegründeten oder in Gründung befindlichen Eisenbahnkomitees ihre Blicke nach Nürnberg richteten, galt der Prophet im eigenen Land wenig. Die bayerische Regierung verhielt sich weiterhin zögerlich; immerhin half sie bei der Suche nach einem Bauingenieur: Auf Vermittlung des Hofbaurates Klenze kam Platner zu Beginn des Jahres 1834 in Kontakt mit dem im Dienst der königlichen Regierung stehenden Ingenieur Paul Camille Denis. Ungewöhnlich großzügig gewährte die Regierung ihm Sonderurlaub, um die Trasse zu projektieren. Zudem erhielt die Bahngesellschaft vom König persönlich das Privileg der Personenbeförderung zwischen Nürnberg und Fürth für dreißig Jahre erteilt. Hier hatten sich die Nürnberger zwar mehr erwartet, dennoch benannten sie nun ihr Projekt zu Ehren ihres Monarchen „Königlich privilegierte Ludwigs-EisenbahnGesellschaft“. Der von seinen Pflichten freigestellte Denis begann seine Arbeit Anfang 9 10 DIE STRECKE DES ADLERS Juli 1834. Nach gut drei Monaten übergab er dem Direktorium die fertigen Pläne am 14. Oktober. Am 31. Oktober erteilte ihm die Regierung die Erlaubnis, weiter für die Bahn zu arbeiten. Denis übernahm in der Folge auch die Bauleitung. Eine besondere Schwierigkeit stellte der Erwerb der für den Bau der Bahn nötigen Grundstücke dar. Da es kein Enteignungsgesetz gab, war die Gesellschaft gezwungen, mit allen Grundstücksbesitzern einzeln zu verhandeln. Obwohl mit der Mehrzahl der etwa 90 Eigentümer eine rasche Einigung möglich war, zogen sich die Verhandlungen von März 1834 bis September 1835 hin. Als besonders hartnäckig erwies sich die Grundstücksbesitzerin – nomen est omen – Witwe Sperr, die schließlich für ihr Grundstück im Burgfrieden einen völlig überzogenen Preis herausschlug. Im Mai 1835, noch bevor alle Grundstücke erworben waren, begannen endlich die Arbeiten. Die Bauaufgabe war verhältnismäßig leicht: Entlang der Südseite der Fürther Chaussee musste auf einer Länge von 6 132 Metern eine nahezu schnurgerade Strecke gebaut werden, die einen Höhenunterschied von nur etwa sechs Metern, abfallend von Nürnberg nach Fürth, aufwies. Gemäß dem „englischen System“ fiel die Bauweise sehr solide aus: Die Strecke verlief auf einem 4,37 Meter breiten Damm von durchschnittlich 4 bayerischen Fuß (1,17 Metern) Höhe. Die größte Höhe wurde mit 3,5 Meter bei Fürth erreicht. Auf dem Damm sollten Schienen in gusseisernen Befestigungen auf Steinquadern befestigt werden. Zwischen den Schienen war ein aus gestampftem Kies bestehender Weg für Pferde vorgesehen, denn ein Teil des Betriebs sollte mit Pferdekraft bewerkstelligt werden. Drei Bahnübergänge mit Schranken und Warnschildern für den kreuzenden Straßenverkehr waren vorgesehen. Zwischen 20 und 100 Tagelöhner, dazu 15 bis 30 Fuhrleute, Akkordarbeiter, Pflasterer, Steinbohrer und Steinbrecher arbeiteten unter der Aufsicht von Denis auf der Baustelle. Während Material und Arbeitskräfte für die Erd- und Steinarbeiten vor Ort vorhanden waren, mussten die Schienen und Fahrzeuge anderenorts gefertigt werden. Deutschland war damals für diese Aufgabe in technologischer Hinsicht bei Weitem nicht up to date. Belastbare Schienen müssen aus Walzeisen bestehen, nicht aus sprödem Gusseisen, das jedoch kaum jemand in Deutschland herstellen konnte. Der Import aus England war aber wegen des hohen Einfuhrzolls zu teuer. Nach langer Suche fand sich das heute noch bestehende Eisenwerk Remy in Rasselstein bei Neuwied, das Schienen nach den Anforderungen der Ludwigsbahn liefern konnte. Nun fehlte nur noch der Dampfwagen. Als Fans der englischen Eisenbahn dachten die Nürnberg-Fürther Bahnpioniere von Anfang an daran, die bekanntesten englischen Lokomotivbauer zu beauftragen: George Stephenson und seinen Sohn Robert aus Newcastle. Bereits im Frühjahr 1833 hatte die Ludwigsbahn-Gesellschaft über die Londoner Firma Suse & Libeth Kontakt zu Stephenson aufgenommen, der am 9. Mai, also noch vor Herausgabe des Subskriptionsaufrufs, den Nürnbergern antwortete, er könne eine Lokomotive bauen. Am 4. Juli schickte Stephenson ein Angebot für den Bau von zwei Lokomotiven für 1 800 Pfund Sterling (= 21 600 Gulden, entspricht etwa 650 000 Euro). Dies überstieg jedoch deutlich die Kalkulation der LudwigsbahnGesellschaft, die mit 12 000 Gulden gerechnet hatte. Nun begann die Suche nach Alternativen: Nachdem sich bis Ende 1834 im Gebiet des gerade gegründeten Deutschen Zollvereins kein seriöser Anbieter gefunden hatte, mussten sich die fränkischen Eisenbahngründer im Ausland umschauen. Sie kamen in Kontakt zum belgischen Maschinenbauer Cockerill in Lüttich, der die Ausrüstung für die Bahnstrecke Brüssel–Mechelen geliefert hatte, die am 5. Mai 1835 als erste öffentliche Eisenbahn mit Dampfkraft auf dem europäischen Kontinent eröffnet werden sollte. Doch auch Cockerill war nicht der richtige Mann: Als Platner und Mainberger Ende April 1835 von Neuwied aus, wo sie mit dem Eisenwerk Remy den Vertrag zur Lieferung der Schienen abgeschlossen hatten, nach Lüttich fuhren, stellte sich heraus, dass Cockerill keinerlei Erfahrung im Bau von Lokomotiven hatte. Dafür erfuhren sie, dass sich Robert Stephenson anlässlich der Eröffnung der Eisenbahn Brüssel–Mechelen in Brüssel aufhielt. Kurz entschlossen machten sie sich dorthin auf und trafen tatsächlich Stephenson. Die Eröffnung der Bahn, auf der auch eine Stephenson’sche „Patentee“-Lok zum Einsatz kam, scheint die beiden endgültig von den Qualitäten des Lokomotivbauers aus Newcastle überzeugt zu haben, denn nach ihrer Rückkehr in die Heimat wurde der Dampfwagen umgehend bei Stephenson bestellt. Die Engländer bauten nun innerhalb der nächsten vier Monate eine Lokomotive für ihre deutschen Auftraggeber. Es war ihre 118. Maschine, eine Zahl, die zeigt, dass die Stephensons schon fast in Serie produzierten. Die Lok gehörte zu dem bewährten „Patentee“-Typ, der schon alle wichtigen Merkmale einer klassischen Dampflokomotive aufweist: ein von zahlreichen Heizrohren durchzogener Langkessel, Dampfdom, Rauchkammer und Schornstein. Der Dampfwagen, der später den Namen „Adler“ erhalten sollte, war das kleinste bisher gebaute Patentee-Exemplar. Das Leergewicht betrug 6 Tonnen; zusammen mit Tender, Wasser und Kohle war es etwa 11 Tonnen schwer. Stephenson stellte für die Lok 800 Pfund Sterling in Rechnung, das entsprach knapp 10 000 Gulden. Ende September, Wochen später als ge plant, wurde der Dampfwagen, zerlegt in 100 Einzelteile und verpackt in 19 Kisten, nach Rotterdam verschifft. Die Umstände des Transports nach Nürnberg lieferten den schlagenden Beweis, wie dringend Europa ein modernes Transportsystem benötigte: Die 1500 Kilometer lange Reise von Newcastle nach Nürnberg per Segelschiff, Lastkahn und Fuhrwerk dauerte beinahe neun Wochen. Als der Dampfwagen eintraf, waren die Arbeiten an der Ludwigsbahn erheblich hinter dem Zeitplan. Zwar hatten auf einer Teilstrecke schon erste DIE STRECKE DES ADLERS Der Nachbau des Adlers von 1935 und sein Zug auf einer heutigen Fahrt Probefahrten mit den von heimischen Betrieben hergestellten Wagen stattgefunden, von denen der erste bereits Ende August betriebsbereit war; doch die Gesamtstrecke war noch nicht fertig, außerdem musste der Dampfwagen erst zusammengebaut werden. Dies erledigte der Fabrikant Wilhelm Späth in seiner großen Werkstätte am Dutzendteich. Späth galt gegenüber den Zollbehörden als der eigentliche Empfänger des Dampfwagens; auf den Rat der Behörde selbst hin hatte die Ludwigsbahn-Gesellschaft den Dampfwagen zum Muster für den Nachbau durch Späth erklärt, um den hohen Einfuhrzoll zu vermeiden. So verzögerten sich die Tests für die Lokomotive weiter: Die erste Probefahrt mit dem Dampfwagen fand am 16. November unter großer Anteilnahme der Bevölkerung statt. Der auf den 24. November festgesetzte Eröffnungstermin konnte nicht eingehalten werden. Eröffnung und historische Bedeutung Die Eröffnung fand schließlich am 7. Dezember statt. Mehrere Tausend Menschen wohnten dem Ereignis am Nürnberger Plärrer, von wo der Zug um neun Uhr morgens startete, entlang der Strecke und in Fürth bei. Zahlreiche Zeitungskorrespondenten berichteten und die Eisenbahnkomitees in ganz Deutschland schickten begeisterte Grußbotschaften. Einzig die bayerische Obrigkeit glänzte durch Abwesenheit: Kein Angehöriger des Königshauses wohnte der Eröffnung bei, als ranghöchster Regierungsvertreter war der Regierungspräsident von Mittelfranken entsandt worden. Doch auch ohne die Unterstützung von König und Regierung wurde die NürnbergFürther Eisenbahn zu einem Erfolg, der die Erwartungen seiner Gründer weit übertraf und in ganz Europa Widerhall fand. Zudem erwies sich das Unternehmen rasch als Erfolg: Bereits im ersten Jahr transportierte die Bahn die schier unglaubliche Zahl von 475 219 Passagieren. Entsprechend hoch fiel der Gewinn aus: Im ersten Geschäftsjahr erhielten die Aktionäre eine Dividende von 20 Prozent. Auch in den folgenden Jahren betrugen die Ausschüttungen zwischen 15 und 17 Prozent. Damit hatte die Ludwigsbahn den Beweis erbracht, dass sich Eisenbahnbau auszahlte. In ganz Deutschland brach ein regelrechtes Eisenbahnfieber aus; endlich wagten die anderen Eisenbahnkomitees und ihre Kapitalgeber, die Verwirklichung ihrer Pläne anzugehen. In nur wenigen Jahren entstanden überall im Deutschen Bund Eisenbahnstrecken, sodass bereits fünf Jahre nach der Eröffnung der Ludwigsbahn 541 Kilometer Gleise verlegt waren. Rainer Mertens 11 12 DIE STRECKE DES ADLERS Zur Geschichte der Fürther StraSSe regine franzke · matthias murko I m Jahr 1796 übernahm Carl August Freiherr von Hardenberg, der spätere preußische Staatskanzler, als Staatsminister des preußischen Königs Friedrich Wilhelm II. die Regierungsgeschäfte in Ansbach. Zwar hatte der König, Herr über die Fürstentümer Ansbach und Bayreuth, von einer Übernahme Nürnbergs Abstand genommen, Hardenberg aber sah das anders. Der ‚Erwerb‘ Nürnbergs schien ihm notwendig, ein preußisches Nürnberg sei „vorteilhaft für das Commerz“, schrieb er 1797. Die hoch verschuldete alte Reichsstadt, die wahrlich schon bessere Tage gesehen hatte, war wirtschaftlich immer noch von Bedeutung, die alteingesessenen Nürnberger Handelshäuser genossen auch in diesen Krisenzeiten einen untadeligen Ruf. Und konnte man der Stadt Nürnberg wirklich nicht habhaft werden, „so muß man suchen, die Vorstädte emporzubringen“. Das geschwächte Nürnberg hatte der Besetzung seiner Vororte bis unmittelbar vor die Tore der Stadt nichts entgegenzusetzen. Auch die Verlegung der markgräflichen Bank von Ansbach nach Fürth war ein deutliches Zeichen, wen man zu stärken bzw. zu schwächen gedachte. Neue Straßenplanungen schließlich sollten zur Förderung des in- und ausländischen Handels beitragen, die heimische Wirtschaft fördern und in einem speziellen Fall, der geplanten Land- chaussee zwischen Fürth und Nürnberg, den Nürnbergern empfindliche Einbußen bringen, erhoben diese bis dato doch immer noch Zoll- und Geleitgebühren für die alten Nürnberger Handelswege über Land. Mit der Planung der neuen Direktverbindung zwischen den beiden Nachbarstädten, als Weiterführung der Fernstraße von Frankfurt, deren Instandsetzung schon bis vor die Tore Fürths gediehen war, wurde im Jahr 1800 begonnen. Nach Begutachtung mehrerer Expertenvorschläge über deren Verlauf und Beschaffenheit entschied sich Hardenberg für die Strecke der heutigen Fürther Straße, für Pflasterbelag aus Wendelsteiner Quarzit und beidseitige Alleebepflanzung mit Pappeln. Da der Wendelsteiner Steinbruch Nürnberg gehörte, standen der Stadt Abgaben aus dem Verkauf der Steine zu. Wendelstein aber stand unter preußischer Hoheit, weshalb die Ansbacher Regierung keinerlei Anstalten machte, zu bezahlen. Das diesbezügliche Anschreiben des Nürnberger Rats blieb gänzlich unbeantwortet. Nun begann ein regelrechter Kleinkrieg mit allerlei findigen Unternehmungen, die Pflasterlieferungen aus Wendelstein zu behindern bzw. zu forcieren. Es half alles nichts, die auf ca. eine Million Stück veranschlagten Steine erreichten dennoch ihr Ziel, der Ausbau, begonnen im Frühling 1801, schritt voran. Nach knapp vier Jahren, im Winter 1804, war die neue Straße fertig gestellt. 1806, nachdem sowohl Nürnberg als auch Fürth bayerisch geworden waren, spielten die einstigen Konkurrenzgedanken und Hardenbergs Versuch, die preußische Provinz auf Kosten Nürnbergs voranzubringen, keine Rolle mehr. Es entstand ein lebhafter blühender Handel zwischen den beiden Städten, der durch die schnelle, komfortable Verbindung wesentlich erleichtert wurde. Allerdings wurden schon bald erste Mängel im Straßenbau deutlich, Risse, Löcher und schlimmer noch, wegen der zu geringen Wölbung und des Verzichts auf seitliche Gräben, blieb bei Regen das Wasser auf der Straße stehen, bei Frost verwandelte sich die Pflas terfläche in eine Eisbahn, für Mensch und Tier gefährlich und zeitweise unpassierbar. Nach einer Flut von Beschwerden erfuhr die Fürther Straße von 1820 bis 1823 den Umbau von der Pflasterstraße zur Landchaussee – im Grunde ein Neubau, da Pflaster und Packlage entfernt werden mussten, das Pflaster zuunterst gelegt wurde, darauf Schotter aus der wieder verwendeten Packlage und zu guter Letzt eine Auflage aus Kies – fertig war die Chaussee! Nun konnten Pferd und Reiter, Fuhrwerke, Kutschen und Fußgänger wieder ohne Beeinträchtigung ihr Ziel erreichen. Erst im Zuge der Kanalisierung, die 1879 abgeschlossen war, bekam die Fürther Straße erneut einen Pflasterbelag und von Gaslaternen beleuchtete, breite Gehsteige. DIE STRECKE DES ADLERS Ballonfahrt des Nürnberger Fotografen Herbert Liedel entlang der Fürther Straße: In der Bildmitte rechts ist der helle Klinkerbau des Quelle-Versands zu sehen, gegenüber die Gebäudekomplexe von TA und AEG. Schon 1820 galt die Chaussee zwischen Nürnberg und Fürth als meist befahrene Straße des Königreichs Bayern. Sie war so stark frequentiert, dass Überlegungen zu ihrer Entlastung angestellt wurden, wie die Idee einer von Pferden gezogenen Schienenbahn. Bis zur Realisierung der ersten Eisenbahn in Deutschland, ihrer feierlichen Eröffnung und Jungfernfahrt entlang der rund 6 Kilometer langen Chaussee am 7. Dezember 1835 hatten die Nürnberger und Fürther Eisenbahnvisionäre viele Hindernisse zu überwinden, die sich in ihrer ganzen Bandbreite erst nach und nach herausstellten. Rückblickend betrachtet, war das Projekt Ludwigsbahn eine unerhört beeindruckende unternehmerische Leistung, dabei eine „Gleichung mit vielen Unbekannten“, Neuland für alle Beteiligten und der Aufbruch in ein neues Zeitalter. Staatsminister Carl August Freiherr von Hardenberg, der Nürnberg so gern preußisch gesehen hätte. Nachdem sich die erste Neugier gelegt und die in- und ausländische Presse sich beruhigt hatte, gehörte die Adlerlokomotive mit ihren gelben Wagen schon bald zum Alltagsbild der beiden Nachbarstädte. Ausgehend vom Ludwigsbahnhof am vorstädtischen Plärrer, dem noch bescheiden bebauten, weiten Platz am Spittlertor, passierte die Ludwigsbahn den Vorort Gostenhof, folgte Wiesen, Feldern und vereinzelten Dörfern um nach gut sechs Kilometern den zweiten Ludwigsbahnhof am Fürther Stadtrand zu erreichen. Der groSSe Erfolg der Ludwigseisenbahn übertraf wohl selbst die kühnsten Erwartungen ihrer Initiatoren und Aktionäre. Hunderttausende verkaufter Billetts schon im ersten Jahr, der Andrang vor den Cassahäuschen der Bahnhöfe Nürnberg und Fürth muss beachtlich gewesen sein. Und die Zahlen stie- gen weiter. Die im Vorfeld prognostizierte Gefahr schwerer Unfälle blieb ebenso aus wie der Untergang der Fuhrwerksleute. Die Eisenbahn machte nicht nur Gewinn, sie war einer! Anfang der 1850er-Jahre waren stärkere, im Betrieb günstigere Loks der Kasseler Henschel-Werke angeschafft worden, der Adler wurde 1857 ausgemustert. Seit 1881 verkehrte auch eine Pferdestraßenbahn parallel zur Ludwigsbahn, was zwar Auswirkungen auf die Fahrpreispolitik, nicht aber auf die Fahrgastzahlen hatte. Der Vorteil der Straßenbahn bestand in den Zustiegsmöglichkeiten, während die Eisenbahn die „Expressverbindung“ zwischen den Nachbarstädten blieb. Das Straßenbahnnetz wurde unterdessen zügig in verschiedene Richtungen erweitert, was für die stetig wachsende Stadt und ihre Bevölkerung notwendig geworden war. R. F. 13 14 DIE STRECKE DES ADLERS Auf diesem von Hand kolorierten Nürnberg-Panorama aus der Mitte des 19. Jahrhunderts ist auch der Adler, entlang der von Pappeln gesäumten Chaussee in Richtung Fürth dampfend, zu sehen. Die Ludwigseisenbahn auf ländlicher Strecke, weit im Hintergrund ist die Stadtsilhouette Nürnbergs zu erkennen. DIE STRECKE DES ADLERS Nicht alle waren begeistert vom neuen Verkehrsmittel Eisenbahn, wie dieser Vierzeiler auf dem Porzellaneinsatz eines Bierkrugdeckels aus der Zeit um 1850 verdeutlicht. 15 16 DIE STRECKE DES ADLERS „Da geht’s ja zu wie am Plärrer!“ Z weifellos gebührt der Adler-Dampflokomotive als technischem Novum hierzulande die Ehre, dem Dampfmaschinen-Zeitalter sozusagen vorangefahren zu sein. „Impulsgeber“ für die fortschreitende Industrialisierung wird sie genannt und „Initialzündung“ für die Ansiedlung neuer Industriezweige, die durch den Einsatz von Dampfmaschinen aus Manufaktur-Werkstätten Fabriken erwachsen ließen. Und tatsächlich erfolgte der erste Industrialisierungsschub in Nürnberg in den 1830er-Jahren. Zu den großen Fabriken jener Zeit zählten die Klett’sche Maschinenfabrik und Johannes Zeltners Ultramarinfabrik, beide nicht an der Fürther Straße gelegen. Die Entwicklung unserer Landchaussee zur belebten Verkehrsader und „Achse der Industrialisierung“ sollte sich noch einige Jahrzehnte hinziehen. „Da geht’s ja zu wie am Plärrer“ – ein geflügeltes Wort unter den Nürnbergern und unmissverständliches Synonym für Hektik, Lärm, Gedränge. Das Wort Plärrer (alte Schreibweise ‚Plerrer‘) entstand aus dem mittelhochdeutschen Begriff ‚Plerre‘, was in etwa gleichbedeutend ist mit ‚freier Platz‘, an dem Händler, die keine Berechtigung für die innerstädtischen Märkte vorzuweisen hatten, ihre Waren feilbieten konnten. Mit der Errichtung des Ludwigsbahnhofs 1835 und dem Bau einiger privater und gewerblich genutzter Häuser änderte sich langsam das Bild. Um 1850 hatten sich in der Nähe zwar schon einige Fabriken angesiedelt, zum Beispiel eine Zündholzfabrik und eine Haken- und Ösenfabrik, von reger Bautätigkeit konnte jedoch keine Rede sein. Der Grund dafür lag in einem staatlichen Bebauungsverbot des Gebiets rund um den alten Befestigungsring der mittelalterlichen Stadt, das für jedes neue Gebäude eine Sondergenehmigung erforderlich machte und erst im Jahr 1866 aufgehoben wurde. Doch auch danach dauerte es noch rund 15 Jahre, bis der erste „Bauboom“ an der Fürther Straße einsetzte. Der Nürnberger Fotograf Ferdi nand Schmidt (1840–1909) hat wie kein anderer die Veränderungen seiner Heimatstadt über Jahrzehnte dokumentiert. Mehr als 2000 Glasnegative sind erhalten, ein wahrer Schatz für alle, die auf den Spuren der alten Noris unterwegs sind. Die präg nanten Fotografien belegen eindrucksvoll, auch den Wandel des Stadtbilds jenseits der Stadtmauer. Schmidts Blick auf den Plärrer, vom Spittlertorturm aus festgehalten, in den Jahren 1865 und 1905, verdeutlicht, welchen Sprung die westliche Vorstadt in nur 40 Jahren gemacht hat. Schon mit Einführung der Pferde-Straßenbahn 1881 hatte der Platz vor dem Ludwigsbahnhof an Bedeutung gewonnen, 1896 schließlich, mit Inbetriebnahme der elektrifizierten Straßenbahn zwischen Nürnberg-Maxfeld und Fürth war er zum Knotenpunkt für mittlerweile fünf Linien geworden. Ferdinand Schmidts Interesse am Fortschritt in städtebaulicher, technischer, aber auch künstlerischer Hinsicht verdanken wir auch eine in ihrer kompositorischen Klarheit beeindruckende Aufnahme des „Kunstbrunnens zur Erinnerung an die erste deutsche Eisenbahn“ (heute schlicht „Eisenbahndenkmal“ genannt) an seinem ursprünglichen Aufstellungsort vor dem Ludwigsbahnhof am Plärrer. Der Grundsteinlegung am 50. Geburtstag der AdlerJungfernfahrt, dem 7. Dezember 1885, folgte die Ausschreibung eines Kunstwettbewerbs, den der Bildhauer Heinrich Schwabe, seit 1875 Professor für figürliche Plastik an der Nürnberger Kunstgewerbeschule, für sich entschied. Als Brunnen mit zwei ausladenden Auffangbecken konzipiert, erhebt sich ein hoher Sockel mit Obelisk, auf dem, an zwei gegenüberliegenden Seiten Bronzereliefs zum einen von der Beschwerlichkeit und den Gefahren des Reisens mit der Postkutsche, zum anderen von der Eröffnung der Ludwigseisenbahn als Triumphzug in die neue Zeit erzählen. Links und rechts des Sockels thronen die beiden Städteallegorien Noris und Furthia. Den Obelisk krönt ein Genius mit Flügelrad, dem Symbol der Eisenbahn. 1890 feierlich enthüllt, musste das alsbald zum beliebten Postkartenmotiv avancierte Prunkstück im Jahr 1927 dem erneuten Straßenbahngleisausbau weichen. 1929 wurde das Denkmal etwas stiefmütterlich an die Stadtgrenze zu Fürth verfrachtet, wo es bis zu seinem abermaligen Umzug 1965 blieb. Hier war es nun dem Bau der neuen Schnellstraße im Weg, fand aber 1966 erneut Aufstellung ein Stückchen weiter in einer kleinen Grünanlage nahe der Zufahrt zur Stadtautobahn. 1993 schließlich musste es zum vierten Mal umziehen, in die Fürther Straße, Höhe Veit-Stoß-Anlage – zwar nicht zurück zum Plärrer, aber immerhin auf die ehemalige Strecke des Adlers. R. F. Auf dieser kleinen Grafik aus den 1860er-Jahren rauchen im Vordergrund die Schornsteine der Zeltner’schen Ultramarinfabrik. Und auch in der Nachbarschaft hat sich schon Industrie angesiedelt. DIE STRECKE DES ADLERS Ferdinand Schmidts Plärrer-Panoramen aus den Jahren 1865 (oben) und 1905 (unten). Gleisbauarbeiten für die Straßenbahn am Verkehrsknotenpunkt Plärrer im Jahr 1899 (links) und der Platz nach Beendigung der Bauarbeiten 1900 (rechts), aufgenommen von Ferdinand Schmidt. Auch dies eine der bestechenden Aufnahmen des Nürnberger Fotografen Ferdinand Schmidt: das Eisenbahn-Denkmal am Plärrer vor dem Bahnhofsgebäude der LudwigsEisenbahn. Das EisenbahnDenkmal nach seinem ersten Umzug an die NürnbergFürther Stadtgrenze, 1930er-Jahre. 17 18 DIE STRECKE DES ADLERS Der Plärrer in den 1930er-Jahren mit Blick auf den modernen Plärrer-Automat und den mittlerweile isoliert stehenden ehemaligen Ludwigsbahnhof. Der Ausbau der U-Bahn-Strecke Richtung Fürth verwandelte den Plärrer − hier auf einer Aufnahme von 1978 − monatelang in eine Großbaustelle. Der Plärrer-Automat 1933. Drei bemerkenswerte bauliche Veränderungen markieren den Wandel des Nürnberger Plärrers von einst zum innerstädtischen Verkehrsknotenpunkt heute. Mit dem Bau des „Plärrer-Automaten“ Anfang der 1930er-Jahre war der alte Platz sozusagen in der Moderne angekommen. Geradezu futuristisch muss der lichtdurchflutete Längsbau mit seinem Rondell gewirkt haben, besonders abends, wenn die Leuchtschriften entlang des Flachdachs den Platz beschienen. Erbaut im Stil der klassischen Moderne, nach den Plänen des Architekten Walter Brugmann, erfüllte der Plärrer-Automat mehrere Ansprüche in einem: Wartehalle für die Fahrgäste, Automaten-Res taurant, Kiosk und „stummes Postamt“ mit Briefmarkenautomat, Briefkasten und meh- reren Telefonzellen. Anfangs noch kritisch beäugt, fand das elegante Gebäude schnell die verdiente Akzeptanz, was sich nicht zuletzt darin widerspiegelt, dass man den erheblich beschädigten Bau nach Kriegsende bald wieder aufbaute. Einen zweiten, nicht weniger modernen Akzent setzten die Städtischen Werke mit der Errichtung des ersten Nürnberger Hochhauses am Plärrer, Ecke Rothenburger Straße/Südl. Fürther Straße, dem das letzte Nürnberger Relikt der ersten deutschen Eisenbahn, der Ludwigsbahnhof nämlich, weichen musste. Mit 56 Metern Höhe war das 15-stöckige Plärrer-Hochhaus damals das höchste Gebäude Bayerns! Errichtet 1951 bis 1953, wurde der markante Bau des renommierten Nürnberger Architekten Wilhelm Schlegtendal für die noch immer von Kriegsschäden gezeichnete Stadt zum Sinnbild für Wiederaufbau und neue Größe. Last but not least folgte ab 1978 der Bau der U-Bahn-Strecke Plärrer—Fürther Straße—Fürth. Die kontinuierliche Erweiterung des Nürnberger U-Bahn-Netzes seit dem ersten Spatenstich 1967 erreichte 1978 den Plärrer; 1977, im Vorfeld der zwei Jahre währenden Großbaustelle war der PlärrerAutomat abgerissen worden. Der öffentliche Nahverkehr Richtung Fürth auf der einstigen Adlerstrecke verschwand nun in Etappen „unter Tage“. Mit dem Erreichen der letzten unterirdischen Station Eberhardshof und ihrer Verbindung mit der Hochbahnstrecke ging im Juni 1981 die 100-jährige Geschichte der Nürnberg-Fürther-Straßenbahn zu Ende. DIE STRECKE DES ADLERS Kriegszerstörungen und Wiederaufbau am Nürnberger Plärrer, aufgenommen in den Jahren 1948 (oben) und 1953 (unten). Plärrer-Panorama 2009 19 20 DIE STRECKE DES ADLERS Nach dieser kleinen Zeitreise weit ins 20. Jahrhundert kehren wir zurück zu den Anfängen der Fürther Straße, so wie wir sie kennen, die breite Großstadtstraße mit ihren auch heute noch zahlreichen his torischen Fassaden. Mitte der 1880er-Jahre datieren die meisten der unweit des Plärrers gelegenen Mietshäuser, beginnend mit der Hausnummer 2, dem so genannten HansaHaus. Das imposante Eckgebäude am Altstadtring ist ein Beispiel des „Nürnberger Stils“, eine Sonderform des Historismus, die neben spätgotischen und RenaissanceElementen auch lokaltypische Formenzitate verwendet, wie Fachwerk, reich verzierte, holzverkleidete Erker oder das für die Dürerzeit typische so genannte Chörlein. Rückbesinnung und Stolz eines traditionsbewussten Bürgertums auf die Blütezeit der alten Noris begegnet uns an solchen Fassaden. Daneben folgten herrschaftlich anmutende Mietshäuser im Neorenaissance- und Neobarockstil mit aufwändig gestalteten Vestibülen und Treppenhäusern. Nur wenige Gehminuten vom Plärrer entfernt, entstand zur gleichen Zeit auch das zu Recht als „Mietspalast“ bezeichnete, im Neorenaissancestil gestaltete Doppelhaus Nr. 54/56, dessen elegante Das Postkartenmotiv von 1907 zeigt den Blick in die beginnende Fürther Straße Richtung Westen. gelbe Sandsteinfassade auch heute noch, ohne ihren einstigen Prachtgiebel und die flankierenden Kuppeldächer deutlich hervorsticht. Das Mittelstück der Fassade wird betont durch eine der Erdgeschoss-Rustika vorgelagerte Säulenreihe, auf der ein breites, zurückhaltend gegliedertes Gebälk mit Balustrade ruht. Darüber folgt die, um je eine Fensterbreite schmalere, dreigeschossige Ordnung aus vorgesetzten Säulen und Balustraden – großzügig, großstädtisch und geradezu herrschaftlich wirkt diese Fassade im Vergleich zu ihren Nachbarn. DIE STRECKE DES ADLERS Fassadenplan des aufwändig gestalteten Mietspalastes Haus-Nr. 54/56. Das Haus-Nr. 54/56 als Postkartenmotiv mit dem prächtigen Ziergiebel und den beiden flankieren den Kuppeln, die − nach schweren Beschädigungen im Zweiten Weltkrieg − nicht wieder ergänzt wurden. Das Hansa-Haus, ein Beispiel des so genannten Nürnberger Stils, Baujahr 1895. Das imposante Eckgebäude bildet noch heute das „Entree“ zur historischen Fürther Straße. 21 22 DIE STRECKE DES ADLERS Mannshohe Hopfensäcke im Hinterhof des Gebäudes Fürther Straße 17, der Adresse der Hopfenhandelsfirma Kirschbaum, 1912. Die Belegschaft der Treibriemenfabrik Stierstorfer & Nägele, versammelt vor dem Rückgebäude Fürther Straße 18, Mitte der 1930er-Jahre. Riemenwälder – Alltagsbild in den Werkshallen damaliger Fabriken und oftmals tödliche Gefahrenquelle für die Arbeiterschaft. Ein Bild vergangener Tage: An die Werkbank gelehnt, warten die sorgfältig aufgerollten fertigen Treibriemen auf ihre Abholung. Im nördlichen Teil der Fürther Straße siedelte sich zu Beginn der 1880er-Jahre vermehrt der reich gewordene Hopfenhandel an. Nürnberg hatte sich zum Hopfenhandelszentrum von Weltrang entwickelt. Die Gegend um den Plärrer und den mittlerweile neu errichteten, vergrößerten Ludwigsbahnhof wurde zur „ersten Adresse“ der westlichen Vorstadt. Die meisten Gebäude dort hatten geräumige Hinterhöfe und Rückgebäude, in denen Lagerräume oder Gewerbebetriebe untergebracht waren, so zum Beispiel im Rückgebäude des Anwesens Fürther Straße 18. Hier fertigte die Firma Stierstorfer & Nägele seit Anfang des 20. Jahrhunderts Treibriemen für industrielle Betriebe, die mit Dampfmaschinen und Transmissionen arbeiteten. In vielen Fabriken wurde die Antriebskraft der großen Dampfmaschinen über stählerne Transmissionswellen an der Decke in die Werkshallen geleitet. Über Riemenscheiben an den Wellen wiederum liefen Treibriemen aus Leder, die die zentral erzeugte Kraft auf viele einzelne Maschinen übertrugen. Mit der Größe der Werkshallen und der Anzahl der Arbeitsplätze dort stieg auch die Zahl der Transmissionsriemen, daher der alte Begriff „Riemenwälder“. In der industriellen Fabrikation gab es keine effizientere Kraftübertragung als die der Transmission. Das änderte sich erst mit der Entwicklung von industrietauglichen Elektromotoren, die es möglich machten, Maschinen ohne zentrale Kraftquelle einzeln zu betreiben. Dennoch blieben viele Fabriken noch für Jahrzehnte der Transmission treu und ergänzten allenfalls die bestehenden Bereiche durch moderne, elektrisch betriebene Maschinen, in erster Linie aus Kostengründen. So blieb auch die Treibriemenfabrik Stierstorfer & Nägele weiterhin im Geschäft. Erst in den 1950er-Jahren kam das endgültige Aus für die Treibriemenherstellung. Stierstorfer & Nägele überlebte, weil man frühzeitig mit einer Lederhandlung begonnen hatte. Bis zur Geschäftsaufgabe 1997 fertigte Hans-Karl Nägele, der Enkel des Firmengründers, in seiner Werkstatt an der Fürther Straße bei Bedarf auch noch Treibriemen, und das, von einigen wenigen Neuerungen abgesehen, ganz so wie schon sein Großvater – an den alten Maschinen: zum Bahnenschneiden der Rinderhäute, dem Abschärfen der Ränder, zum Pressen und Kleben und schließlich zur Einstellung der erforderlichen Betriebsspannung. Einige dieser Maschinen und Werkzeuge sind heute im Museum Historischer Eisenhammer in Eckersmühlen/Landkreis Roth zu besichtigen. DIE STRECKE DES ADLERS Das Firmengebäude der „Fabrik für dynamoelektrische Maschinen und Apparate, Soldan & Co“ an der Fürther Straße 199, später Sitz der Münzprägeanstalt Balmberger. Nach Jahrzehnten Leerstand hat das schmucke alte Gebäude eine neue Bestimmung gefunden – als Bäckerei und Café-Filiale. Der Katalog der Firma C. Balmberger bot auch kleine Blechklappdosen an, in denen das Kinderspielgeld aufbewahrt werden konnte. Ein zeittypisches Beispiel für die Ansiedlung industrieller Betriebe an der Fürther Straße ist die „Münzpräge- & Graviranstalt C. Balmberger“, Hausnummer 199. Im Jahr 1882 erwarb der Firmengründer Conrad Balmberger einen Betrieb zur Herstellung von Spielmarken für Brett-, Würfel- oder Kartenspiele. Seit den 1870erJahren war zunehmend auch Kinderspielgeld für Kaufläden und Kinderpost in Mode gekommen. Die Verbreitung des „Reichskindergeldes“ eröffnete auch für Balmberger Vertriebsmöglichkeiten in ganz Deutschland. Neben der Nürnberger Firma L. Ch. Lauer gehörte Balmberger zu den führenden deutschen Spielgeldproduzenten und -exporteuren. 1886 übernahm der Sohn des Gründers, Friedrich Balmberger, die Firma und erwarb Anfang des 20. Jahrhunderts nach einigen Umzügen und Erweiterungen des Betriebs das oben genannte Anwesen an der Fürther Straße, die vormalige „Fabrik für dynamoelektrische Maschinen und Apparate Soldan & Co.“. Das hübsche zweistöckige Backsteingebäude mit seinen markanten steinernen Fensterrahmungen, Werkshof und angrenzenden Maschinenräumen stand damals noch allein auf weiter Flur, nur eine Straßenbreite entfernt von den Gleisen der Ludwigsbahn. Im Innern betrieb eine stattliche Dampfmaschine über Transmissionen die verschiedenen Fertigungsbereiche. Der Katalog der florierenden Prägeanstalt hatte neben Spielmarken und Kindergeld auch Sondermünzen, Medaillen, Vereinsabzeichen und Orden im Angebot, ferner Bier-, Garderoben- und Hundemarken, Etiketten, Wertmarken und Schilder aller Art, Karnevalsschmuck und sogar Schuhlöffel. Vor allem das boomende Vereinswesen der damaligen Zeit – um die Jahrhundertwende existierten bereits über 1800 Vereine in Nürnberg – bescherte Balmberger eine ausgezeichnete und sichere Einnahmequelle, die erst mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten, durch Gleichschaltung oder Auflösung des bestehenden Vereinswesens, versiegte. Nur die Abzeichen-Produk- Auch das gab es im Warenkatalog der „Münzpräge- und Graviranstalt Balmberger“ – Schuhlöffel, die man zu Werbezwecken mit geprägtem Namenszug versehen lassen konnte. tion im Vorfeld der Reichsparteitage war ein, wenn auch zweifelhafter, finanzieller Lichtblick. Nach Kriegsausbruch musste auch bei Balmberger auf Rüstungsbedarf umgestellt werden. Nachdem das im Krieg erheblich beschädigte Gebäude Ende der 1940er-Jahre erneut bezogen werden konnte, fertigte man wieder unterschiedliche Marken, Sondermünzen und Sammlermedaillen. 1980 wurde das alte Fabrikanwesen an den Quelle-Konzern verkauft, der die Gebäude zeitweise als Lager nutzte. Nach mehr als 20 Jahren Leerstand und einigen Umnutzungsideen, die allesamt Ideen blieben, wurde das vollends heruntergekommene Industriedenkmal Balmberger gründlich saniert und zu einer Bäckerei mit Café umgebaut. Der nahe gelegene Gebäudekomplex der Hercules-Werke, Hausnummer 191–193, hatte da weniger Glück, er steht schon lange nicht mehr. Dabei war dieses einst so bedeutende Unternehmen maßgeblich an der Entstehung der Fürther Straße als „Achse der Industrialisierung“ beteiligt. R. F. 23 24 DIE STRECKE DES ADLERS Nomen est omen – Hercules U nweit der großen Kreuzung Maximilianstraße, parallel zur Fürther Straße, verläuft die Fahrradstraße. Nein, kein für den motorisierten Verkehr gesperrter Radweg, die Straße heißt so. Und das ist kein Zufall. Man hatte die Zeichen der Zeit erkannt! Auch hierzulande erfreute sich der „Drahtesel“ immer größerer Beliebtheit – und so entstand in dem schnell wachsenden Industriestandort Nürnberg binnen weniger Jahrzehnte ein Zentrum deutscher Fahrradproduktion, das seinesgleichen suchte. Vier der fünf namhaftesten Fahrradfabriken siedelten sich an der Fürther Straße an, und das als einer der ersten Industriezweige überhaupt. Der westlich gelegene Teil der Fürther Straße war damals noch weitgehend Landchaussee, umgeben von nichts als Wiesen, Feldern und einigen Dörfern – viel Platz also für großzügige Planungen links und rechts der Ludwigsbahn, die ihr 50. Jubiläum schon hinter sich hatte, als Carl Marschütz am 5. April 1886 die Velocipedfabrik „Carl Marschütz & Co“ gründete. Er tat dies nicht allein aus geschäftlichen Erwägungen, sondern auch mit viel Herzblut für die Sache, ein echter Fahrradpionier ging hier ans Werk. 1883 als Sohn eines Lehrers in Burghaslach bei Nürnberg geboren, bekam der junge Carl dereinst eine Draisine geschenkt, eine jener „Laufmaschinen nach Drais’schem System“, die, noch ohne Pedale, im Laufschritt vorwärts bewegt wurde. Dieser Urform des heutigen Fahrrads galt fortan seine Leidenschaft. Während seines Volontariats in der Neumarkter Ofenfabrik und Eisenhandlung Goldschmidt begegnete Carl Marschütz einem Engländer auf Durchreise, unterwegs auf dem Hochrad von London nach Wien! Dass dieses exquisite, aber teure Fortbewegungsmittel nur Wohlhabenden zur Verfügung stand, brachte ihn auf die Idee, selbst Fahrräder zu konstruieren und hier zu bauen, um so die Preise zu senken und das Fahrrad für einen deutlich größeren Abnehmerkreis erschwinglich zu machen. „Das Glück ist mit dem Tüchtigen“ – für den erst 19-Jährigen bewahrheitete sich das Sprichwort. Er machte seinen Freund, den Mechaniker Eduard Pirzer, mit seinem Vorgesetzten Josef Goldschmidt bekannt und überzeugte die beiden Männer von seiner Idee, Neuland zu betreten und als Erste überhaupt in Deutschland Fahrräder zu produzieren. Vier Jahre lernte und arbeitete Carl Marschütz in dieser ersten deutschen Fahrradfabrik im oberpfälzischen Neumarkt, angeleitet von einem Veloziped-Fachmann aus England, dem man die Werkstattleitung anvertraut hatte. Dann war es soweit – Marschütz verließ das Unternehmen und gründete 1886 sein eigenes, in Nürnberg. Laut Firmenchronik zum 100-jährigen Bestehen beschäftigte Marschütz in seiner Werkstatt in der Bleichstraße anfangs zehn Arbeiter, die im Gründungsjahr schon 120 Hochräder produzierten. Ein Jahr später stand aufgrund des weiter wachsenden Produktionsumfangs bereits der erste Umzug an. Marschütz entschied sich für die Fürther Straße und bezog 1887 das Anwesen Nummer 61. Nicht außergewöhnlich für diese Zeit entschied sich auch Carl Marschütz für einen der griechischen Antike entlehnten Markennamen. Nomen est omen – Hercules, die antike Personifikation von Heldentum, Kraft und Stärke, Sohn des Zeus und Schutzgott der Gymnasien, wie die Sportstätten im Griechenland der Antike hießen, war eine kluge Wahl. Der Name war schlagkräftig und vermittelte einprägsam, was der Kaufinteressent erwarten durfte: ein zuverlässiges Markenprodukt von DIE STRECKE DES ADLERS Briefkopf der Velocipedfabrik Carl Marschütz & Co. mit einer Ansicht des neuen Firmensitzes an der Fürther Straße 61. hoher Qualität und Langlebigkeit. Diesen Anspruch zu erfüllen hatte für den Unternehmer Carl Marschütz oberste Priorität und das machte sich bezahlt, wie die Jubiläumschronik von 1986 eindrucksvoll belegt: In nur fünf Jahren, zwischen 1889 und 1894 stieg die Anzahl der Beschäftigten von 70 auf 170, die Produktion steigerte sich von 800 auf 4 700 Hoch- und, seit Anfang der 1890er-Jahre, auch Niederräder. Der beeindruckende Erfolg ist sicher nicht allein mit dem Fahrradboom dieser Epoche zu erklären, sondern ebenso mit dem ausgezeichneten Ruf, den die Hercules-Räder genossen. Denn längst hatte Marschütz Konkurrenz bekommen. Etwa zeitgleich mit seinem Umzug an die Fürther Straße nahmen die Victoria-Werke die Produktion auf, gefolgt von Mars, Sirius und Triumph, und auch die Neumarkter Express-Werke, seine einstige Lehrstätte, produzierten weiterhin erfolgreich Markenräder. Aber ein Hercules-Rad zu besitzen war etwas Besonderes. Die beträchtlich gestiegene Produktion und die Erweiterung des Modellangebots bewogen den erfolgreichen Unternehmer, sich nach neuen Werksräumen umzusehen. Marschütz entschied sich zum Ankauf eines weitläufigen Grundstücks an der Fürther Straße 191–193 und ließ dort ein stattliches Werk errichten, das 1895 bezogen werden konnte. Im Jahr 1900 „modernisierte“ er auch den Firmennamen, man hieß nun schlicht „Nürnberger Hercules-Werke". Trotz der Investitionskosten konnte die erste große Absatzkrise des noch jungen Industriezweigs, Ende des 19. Jahrhunderts, – ausgelöst vor allem durch amerikanische Billigimporte – den Herkules unter den Nürnberger Fahrradproduzenten nicht in die Knie zwingen. Als umsichtiger Unternehmer hatte Marschütz gut gewirtschaftet und schaffte es, trotz deutlich zurückgegangener Stückzahlen, die Hercules-Werke über die Krisenjahre zu retten. Schon im Vorfeld hatte er an der Erweiterung und Umstellung der Produktpalette gearbeitet, die das Überleben der Hercules-Werke sichern konnte. Als Radfahrfan der ersten Stunde interessierte sich Carl Marschütz natürlich auch für die neuen motorisierten Gefährte und erkannte, dass diesen Vehikeln die Zukunft gehören würde. Parallel zu den Weiterentwicklungen auf dem Fahrradsektor beschäftigte sich Hercules unter anderem mit dem Bau eines Motorradprototyps wie auch sein Konkurrent, die Victoria-Werke. Beide stellten 1904 ihre Modelle der Öffentlichkeit vor. Schon ein Jahr später ging die Hercules-Maschine in Produktion, eine Art motorisiertes Fahrrad, ausgestattet mit einem belgischen 4,5 PS-Motor und Keilriemenantrieb. Im gleichen Jahr ging Hercules eine Erfolg versprechende Partnerschaft mit dem Schweinfurter Unternehmen Fichtel & Sachs ein, dessen Mitbegründer Ernst Sachs 1903 die für den Fahrradbau bahnbrechende Erfindung der „Torpedo-Freilaufnabe“ zum Patent angemeldet hatte. Als weiteres Standbein bei Hercules kam ab 1908 die Produktion von Lastwagen unterschiedlicher Motorisierung hinzu, für den Transport von Gütern bis zu 5 Tonnen. Fahrrad- und Lastwagenfertigung sicherten die Zukunft der Hercules-Werke auch in Kriegs- und Inflationszeiten und lieferten den Grundstock für den Wiedereinstieg in die Motorradbranche, deren Zukunftschancen sich schon kurz nach dem Ende des Ersten Weltkriegs abzeichneten. Marschütz blieb bei seiner Entscheidung, keine eigenen Motoren zu entwickeln, sondern vertiefte ab 1930 auch in diesem Bereich die Zusammenarbeit mit Fichtel & Sachs. Einige der 25 26 DIE STRECKE DES ADLERS Eine echte Rarität heutzutage, ein Hercules-Straßenrennrad aus der Zeit der Jahrhundertwende. Das HerculesEinheitsmoped „Combinette“ entstand 1953 als Gemeinschaftsprojekt der Nürnberger Zweiradhersteller Hercules, Triumph und Zündapp. Die „Combinette“ war das erste Moped und machte eine ganze Nation mobil. Werbefaltblatt für Hercules-Fahrräder aus den 1950er-Jahren. Oldtimerraritäten aus dieser Zeit können in der großen Motorradsammlung des Museums Industriekultur Nürnberg bewundert werden. re war mit einem fußgeschalteten 4-GangGetriebe ausgerüstet. In der Halbliterklasse wurde nurmehr ein seitengesteuertes Modell mit Küchen-Motor gezeigt.“ 1935, zur Berliner Automobil- und Motorradausstellung war Hercules mit einer stattlichen Zahl neuer Modelle vertreten. In der Jubiläumsbroschüre von 1986 heißt es hierzu: „In der Motorfahrradklasse mit 98-ccm-Fichtel & Sachs-Motor je ein Herren- und Damenmodell. Das erstere mit einer kräftigen Parallelogramm-Gabel, das letztere mit einer Pendelgabel. Führerscheinfreie und steuerfreie Modelle unter 200 ccm gab es mit 2-Takt-Motoren von Bark mit angeblocktem 3-Gang-Getriebe in zwei Ausführungen und ebenso mit Bark-4-TaktMotoren und Kette im Ölbad, jedoch schon mit 3-Gang-Getriebe versehen. Das Gewicht wurde mit 120 kg beziffert, die Höchstgeschwindigkeit mit 96 km/h. In der 350-ccmKlasse gab es ebenfalls zwei Geländesportmodelle, wie man damals jene Modelle nannte, die hochgezogene Auspuffrohre aufwiesen. Eines dieser mit Columbus-Motoren versehenen 350er Modelle hatte ein 3-GangGetriebe mit ,Schwertschaltung‘, wie man die Handschaltung auch nannte. Das ande- Ein beeindruckendes Modell-Spektrum also, das drei Jahre später, 1938, mit der berühmten „Saxonette“, benannt nach dem neuen, kleinen 2-Takt-Motor von Fichtel & Sachs, der im Hinterrad des Fahrrads montiert war, erweitert wurde – ein frühes „Mofa“, wenn man so will, und eine Sensation! Im gl eiche n Ja hr, 1938, nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten verlor der Jude Carl Marschütz im Zuge der so genannten „Arisierung“ sein Unternehmen. Nürnbergs großer Fahrradpionier musste seine Heimat, seine Firma, sein Lebenswerk aufgeben und Deutschland verlassen. Er kehrte nicht zurück, blieb Nürnberg und den Geschicken seiner einstigen Firma trotz des erlittenen Unrechts dennoch verbunden. Carl Marschütz starb 1957 im hohen Alter von 93 Jahren in Los Angeles. Di e Nac h k r i e g sge sc h ic h t e der Hercules-Werke liest sich ganz ähnlich wie die zahlloser anderer deutscher Unternehmen: Kriegszerstörung und Wiederaufbauversuche, Verwaltung durch die Besatzungsmächte, Demontage. Mit viel Eigeninitiative konnte man, wenngleich in bescheidenem Rahmen, mit der Arbeit, zunächst als Fahrrad-Reparaturbetrieb, dann mit der Produktion von Molkereigeräten beginnen. 1950 produzierte Hercules dann wieder ausschließlich Fahrräder und beschäftigte mittlerweile über 250 Mitarbeiter. Seit 1941 hatte Hercules zu dem Fürther Unternehmen Dr. Carl Soldan gehört, das die Firma 1944 zur GmbH umwandelte und 1953 seine Anteile an die Dresdner Bank verkaufte. Ein Jahr später wechselte Hercules erneut den Besitzer und kam zu Grundig, der das Unternehmen 1963 an Fichtel & Sachs verkaufte. Die langjährige Zusammenarbeit der einstigen Geschäftspartner erwies sich nun als tragendes Konzept und Grundlage für die Zukunft. Produktqualität und exzellenter Service, geschulte Vertragshändler und -werkstätten garantierten sowohl dem Hercules-Radfahrer wie auch dem -Motorradfahrer seit den Dreißiger Jahren bestmögliche Betreuung. Daran wurde nun unter neuer Leitung weitergearbeitet. DIE STRECKE DES ADLERS Das Hercules AccuBike „E1“ war eine Reaktion auf die erste Energiekrise der 1970er-Jahre. Es bezog seine Kraft aus der Steckdose und durfte nach dem Motto „Fahr dich frei, fahr Hercules“ ab 15 Jahren ohne Führerschein gefahren werden. Und man versuchte an die Vorkriegserfolge im Geländemotorsport anzuknüpfen. Die ersten Deutschlandfahrten wurden aus der Taufe gehoben, gefolgt von der Deutschen Geländemeisterschaft und schließlich mehrtägigen In- und Auslandsfahrten. Ein Jahr nach der Übernahme durch Fichtel & Sachs holten gezählte „222 Hercules-Werks- und Privatfahrer nicht weniger als 1 049 Gold-, 151 Silber- und 58 Bronzemedaillen“, wie die Festschrift von 1986 vermerkt. Die Erfolgsserie der Hercules/Sachs-Maschinen riss nicht ab, ihr unerreicht hoher Qualitätsstandard war legendär. Im Hercules-Archiv des Museums Industriekultur werden auch die Dankschreiben vieler zufriedener Kunden aufbewahrt, die von der Zuverlässigkeit, Langlebigkeit und Qualität ihrer Fahrräder, Mopeds und Motorräder berichten, was sie „zusammen“ erlebt haben und über wie viele Jahre hinweg. „… erhalten habe ich mein HERCULES-Rad im Jahre 1903, als ich in die Lehre kam, ein treuer Begleiter, für mein ganzes Leben. So hat es mir bis heute 46 Jahre treu gedient“, heißt es in einem der Briefe. Ein anderer schreibt: „Ich besitze ein HERCULES-Rad, welches 1908 gekauft wurde. Das Rad war jederzeit vollkommen zuverlässig. Das Tretlager ist bis heute noch nicht zerlegt worden. Ich wollte es vor Jahren nachsehen lassen. Man versicherte mir aber: ,So gut bringen wir’s nicht mehr zusammen, wie es jetzt ist!’ Das Rad ist jetzt 42 Jahre alt ohne Rahmen- oder Gabelbruch; also: UNVERWÜSTLICH! Ich kann jedem Radfahrer nur ,HERCULES‘ empfehlen.“ Ein zufriedener Motorradfahrer schrieb 1953 an die Hercules-Werke, er wolle nur kurz mitteilen, dass er mit seiner 123ccm-Maschine „am heutigen Tage 100 000 km gefahren habe ohne eine nennenswerte Reparatur. Ich bin mit dem Hercules Krad bestens zufrieden und kann die Hercules Motorräder nur jedem empfehlen. Sollte ich mir mal ein neues Krad kaufen, so kommt für mich nur wieder ein Hercules Krad in Frage.“ Zurück zur Firmengeschichte, zur Fürther Straße: Die Tage der HerculesWerke an dieser Nürnberger Achse der Industrialisierung waren nach der Übernahme durch Fichtel & Sachs gezählt. Mitte der 1960er-Jahre war man abermals an Kapazitätsgrenzen gestoßen, das Gelände an der Fürther Straße 191–193 wurde zu klein. Fahrräder, Mofas, Roller und Mokicks, dazu Mopeds, wie die sehr erfolgreiche K50, und schwere Motorräder bildeten das umfangreiche Hercules-Programm. Ein baldiger Umzug war unumgänglich. Als der Mutterkonzern kurz entschlossen die in finanzielle Schieflage geratene Zweirad Union, mit den Traditionsmarken Express, Victoria und DKW übernahm, stand fest, wohin die Reise gehen würde: in das ehemalige Victoria-Werk Nopitschstraße, seit 1958 Sitz der Zweirad Union, ab 1966 nun auch Heimat von Hercules. Von 1987 bis 1991 verkauften die Sachs-Erben ihre Aktien an die Mannesmann AG. Diese veräußerte sie 1995 an die niederländische Firmengruppe Atag. Der motorisierte Fertigungszweig ging an das Mannesmann-Tochterunternehmen „Sachs Fahrzeug- und Motorentechnik GmbH“, die heutige SFM GmbH in Nürnberg, die den Markennamen Hercules nicht weiterführte. Fahrräder der Marke Hercules werden bis heute – laut Händlerangaben „im europäischen Raum“ – produziert. Das Firmengelände Fürther Straße 191–193 wurde an den mächtigen Nachbarn Quelle verkauft und schließlich abgerissen. Heute steht dort – wen wundert es – ein Supermarkt. R. F. 27 28 DIE STRECKE DES ADLERS Drei Villen und noch ein Palast W ie um die Jahrhundertwende nicht unüblich, bauten wohlhabende Unternehmer ihre Stadtvillen gern in unmittelbarer Nähe zu ihren Fabrikanlagen. So auch die Celluloidwarenfabrikanten Gebrüder Wolff, Hausnummer 176. Diese, ein wenig „trutzig“ wirkende, typische Gründerzeitvilla mit vorspringender, kuppelbekrönter Fassadenmitte stand direkt vor den Fabrikgebäuden, von denen heute nur ein kurzer Querbau erhalten ist. 1909, dem Jahr der hartnäckigen Bestreikung der Wolff ’schen Fabrik, gingen dort nicht nur etliche Fensterscheiben zu Bruch, es kam zu Gewalttätigkeiten zwischen Streikpos ten, Demonstranten und Streikbrechern. Schüsse fielen, ein Arbeiter starb. Immer wieder riefen die Fabrikanten die Polizei, Festnahmen, Geld- und Haftstrafen waren die Folge. Auslöser für die heftigen Unruhen waren massive Lohnkürzungen, die von den beiden Brüdern Wolff ohne viel Federlesens beschlossen wurden. Mit Vertretern aus der Arbeiterschaft sprachen sie erst gar nicht, Gewerkschaften interessierten sie ebenso wenig. Das schnell zu Erfolg und Reichtum gelangte und ob seiner arbeiterfeindlichen Haltung als „Wölffe“ bezeichnete Brüderpaar ließ sich nicht zum Einlenken bewegen. Nach dem Begräbnis des ermordeten Kollegen, dem Tausende die letzte Ehre erwiesen hatten, zog die Menschenmenge zur Fürther Straße, wo sie von Polizeikräften mit Waffengewalt zurückgedrängt wurde. Tags darauf verbot der Magistrat der Stadt jede weitere Zusammenkunft in der Fürther Straße. Erst nachdem sich der Nürnberger Oberbürgermeister v. Schuh an den Verhandlungstisch setzte, wendete sich das Blatt – zu Gunsten der Arbeiterschaft: Rücknahme der Lohnkürzungen, Wiedereinstellung aller Arbeiterinnen und Arbeiter und die verbindliche Zusage, zukünftig mit der Vertretung der Arbeiterschaft zu kooperieren. Ein weiteres Beispiel historistischer Villenarchitektur an der Fürther Straße ist die „Straßenbahner-Villa“, wie das reich dekorierte Gebäude bei den „alten“ Straßenbahnern, die es noch gekannt haben, heißt. Hausnummer 150 an der Kreuzung Maximilianstraße diente als Verwaltungsgebäude der Straßenbahndirektion und Wohnung des jeweiligen Herrn Direktor. Bei Baubeginn 1897 war das direkt angrenzende Straßenbahnhauptdepot, der älteste Betriebshof der Nürnberg-Fürther Straßenbahn, schon rund 16 Jahre genutzt und stetig erweitert worden. 1897, ein Jahr nach der Elektrifizierung der Straßenbahn, bestand das Hauptwerk Fürther Straße aus mittlerweile drei großen, mehrgleisigen Wagenhallen, in denen alle Wartungs- und Reparaturarbeiten durchgeführt wurden, und einem eigenen Dampfkraftwerk zur Stromerzeugung. 1906 schon war das Hauptwerk zu klein geworden, man musste auf andere Betriebshöfe ausweichen, bis zur 1912 begonnenen und nach zwei Jahren fertig gestellten weitläufigen Zentralwerkstatt in der Muggenhofer Straße. Im Zuge des U-Bahnbaus musste die „Straßenbahner-Villa“ Ende der 1970erJahre dem Neubau der U-Bahnstation Maximilianstraße weichen. Das einstige Hauptwerk wurde 2004 stillgelegt, in den früheren Wagenhallen befindet sich noch heute die Gleisbau- und Fahrleitungswerkstatt. Ein dritter Villenbau soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, die „Radlmaier-Villa“. Der dem „Nürnberger Stil“ verpflichtete Bau mit seinen Erkern, Balkonen und Dachgauben, dreigeschossig mit steilem Giebel, wurde 1896 fertig gestellt. Der Bauherr, der dort mit seiner großen Familie wohnte, war der Fabrikant Georg Radlmaier, Besitzer einer „Kunststein- und Cementwaarenfabrik“, in der alles, was in Zement zu gießen möglich war, gegossen wurde, in erster Linie Fertigteile zur Fassadengestaltung, von denen man in der Blütezeit des Historismus sozusagen nicht genug haben konnte. Wesentlich preiswerter als handwerklich hergestellte Teile, fanden die Fabrikstücke reißenden Absatz und machten den Fabrikanten zum wohlhabenden Mann. Die Fabrik gibt es schon lange nicht mehr, aber die Radlmaiers: Bis heute bewohnen seine Nachkommen die alte Villa in der Fürther Straße 319. Bei dem oben erwähnten „Palast“ handelt es sich nicht etwa um ein weiteres üppig ausgestattetes Mietshaus sondern um das weitläufige und gleichermaßen imposante Nürn- DIE STRECKE DES ADLERS Briefkopf der Gebr. Wolff mit Ansicht der Villa und des Werksgeländes an der Fürther Straße Nr. 176. Die Wolff’sche Villa heute. Im Hintergrund ragt der erhalten gebliebene Querbau der einstigen Fabrikanlage ins Bild. Das Luftbild aus dem Jahr 1927 zeigt den Blick auf das StraßenbahnHauptdepot. Das Hauptwerk Fürther Straße, der älteste Betriebshof der NürnbergFürther-Straßenbahn, um 1905. Die „Straßenbahner-Villa“ an der Ecke Fürther Straße/ Maximilianstraße mit einem Wagen der elektrifizierten Nürnberg-Fürther Straßenbahn im Jahr 1913. 29 30 DIE STRECKE DES ADLERS berger Justizgebäude, das von 1909 bis 1916, nach den Plänen des Architekten Hugo von Höfl errichtet wurde, kurz – um den „Justizpalast“. Die Planung eines, selbst für heutige Verhältnisse, riesigen Neubaukomplexes war aus unterschiedlichen Gründen notwendig geworden, wie der Zusammenfassung der bisher dezentral untergebrachten einzelnen Justizbehörden und der Platznot, der man mit zum Teil unzumutbaren Ausweichquartieren begegnete. Ursächlich hierfür waren die grundlegenden Justizreformen seit 1848, die das Aufgabenfeld der Justiz enorm vergrößert hatten, und das beachtliche Bevölkerungswachstum, das den Gerichten zwangsläufig ein Mehr an Arbeit bescherte. Nicht weniger als sieben mögliche Standorte für das neue Justizgebäude wurden ab 1906 diskutiert. Das Gelände an der Fürther Straße war zunächst als zu abgelegen verworfen worden, wurde aber wieder aufge- griffen, nicht zuletzt weil Grund und Boden dem Staat schon gehörten und hier zudem die Möglichkeit bestand, das nördlich der Fürther Straße gelegene Zellengefängnis baulich zu integrieren. Inwieweit die positive Beurteilung dieses Bauplatzes durch Prinz Ludwig, den späteren bayerischen König Ludwig III., die Entscheidung beeinflusste, sei dahingestellt. Das neue und größte bay erische Gerichtsgebäude jedenfalls fand ob seiner würdevoll zurückhaltenden, am Stil der deutschen Renaissance angelehnten Gestaltung bei der Bevölkerung großen Anklang. Knapp 190 Meter zieht sich die Straßenfassade des mächtigen, drei Innenhöfe umfassenden Carrée-Gebäudes entlang der Fürther Straße, links und rechts von stattlichen Nebengebäuden flankiert. Das Gebäude rechterhand gelangte nach Ende des Zweiten Weltkriegs zu einiger Berühmtheit, als hier im eigens umgebauten ehemaligen Visitenkarte der Radlmaier’schen Kunststein- und Zementwarenfabrik. 1881 1882 1886 1903 1905 1906 1922 1925 1927 1938 1959 1978 1981 Schwurgerichtssaal 600, von November 1945 bis Oktober 1946 der Hauptkriegsverbrecherprozess gegen die einstigen Herren des NS-Staates stattfand. Der Prozess war ein historisches Novum: Das internationale Militärtribunal, geführt von den vier Siegermächten USA, Sowjetunion, Großbritannien und Frankreich, zog die Kriegsverursacher vor den Augen der Weltöffentlichkeit zur Rechenschaft. Der Saal 600 wird bis heute für Verhandlungen genutzt und ist deshalb nur bedingt zu besichtigen. Das ebenfalls im Ostgebäude angesiedelte, derzeit im Aufbau befindliche „Memorium Nürnberger Prozesse“ wird als Informations- und Erinnerungsstätte über Vorgeschichte, Verlauf und Nachwirkungen der Nürnberger Prozesse Auskunft geben. R. F. die erste Pferde-Straßenbahn verkehrt zwischen dem Staatsbahnhof Nürnberg und Fürth Stadtgrenze Einführung von Fahrplänen, die Strecke Fürther Straße heißt nun „weiße Linie“ Elektrifizierung der Straßenbahn städtische Übernahme der Straßenbahn und kontinuierlicher Ausbau des Streckennetzes Erweiterung der „rothen Linie“ vom Plärrer bis zur Bataillons– kaserne, die Fürther Straße wird nun von zwei Linien befahren. Umstellung auf Nummern: Linie 1 (bis Fürth), Linie 2 (bis zur Kaserne) Stilllegung der Ludwigseisenbahn sechs Straßenbahnlinien befahren die Fürther Straße, darunter eine Gepäcklinie Schnellstraßenbahn mit nur 3 Haltepunkten („die rote 31er“) Ausgliederung der städtischen Versorgungsabteilungen Wasser, Gas, Strom und Straßenbahn und Gründung des städtischen Eigenbetriebs „Städtische Werke Nürnberg“ Umwandlung zur GmbH: Energie- und Wasserversorgung (EWAG) und Verkehr (VAG) Ausbau des U-Bahn-Netzes ab Plärrer Fertigstellung des letzten U-Bahn-Tunnelabschnitts (Eberhardshof ), Stilllegung der Straßenbahn zwischen Nürnberg und Fürth TIPP: Anlässlich der Jubiläumsausstellung „Die Strecke des Adlers“ im Museum Industriekultur Nürnberg veranstaltet der Verein „Freunde der Nürnberg-Fürther Straßenbahn e. V.“ Sonderfahrten in historischen Bussen vom Museum Industriekultur aus nach Fürth und zurück – auf der einstigen Strecke des Adlers. DIE STRECKE DES ADLERS Der Mittelbau des Nürnberger Justizpalastes, aufgenommen im Jahr 1911. Der dominante Uhrenturm mit einer Bronzestatue der Justitia stürzte nach schweren Bombentreffern am 21. Februar 1945 in den Hof. Nach Instandsetzung des Dachs und der in Mitleidenschaft gezogenen Stockwerke entschied man sich, den Uhrenturm nicht wieder aufzubauen. Auf dieser Bildpostkarte aus den 1920er-Jahren ist auch die strahlenförmig konzipierte Anlage des alten Zellengefängnisses zu sehen, die zwischen 1984 und 1998 abgerissen und durch Neubauten ersetzt wurde. Im östlich des Hauptgebäudes angrenzenden Bau befindet sich der Saal 600, Schauplatz des Hauptkriegsverbrecherprozesses 1945/46. Das zu dieser Zeit entstandene Foto belegt die US-militärische Präsenz an der Fürther Straße während der gesamten Dauer des Prozesses. Die Angeklagten im Saal 600 während des Prozesses. Der US-Armeefotograf Ray D’Addario dokumentierte nicht nur den Prozess im Saal 600, er fotografierte auch den Gerichtsalltag und, wie auf dieser seltenen Farbaufnahme zu sehen, den Trakt des Zellengefängnisses, in dem die Angeklagten des Hauptkriegsverbrecherprozesses inhaftiert waren. Um Selbstmordversuche der Insassen zu verhindern, war vor jeder Zelle Einzelbewachung postiert. 31 32 DIE STRECKE DES ADLERS Blick über den alten Nürnberger Stadtteil St. Johannis hinweg in südwestliche Richtung, aufgenommen in den 1880er-Jahren von Ferdinand Schmidt. Deutlich in der Ferne zu erkennen, liegt die von Pappeln gesäumte Fürther Straße, die nach dem Zellengefängnis (am linken Bildrand) noch gänzlich unbebaut war. mikrokosmos fürther straSSe W as einst als Pappelallee begann, die man, das Auge schweifend über Wiesen, Felder und Weiler, hoch zu Ross oder im offenen Landauer passieren konnte, mauserte sich in gut 200 Jahren zur stark frequentierten, pulsierenden Verkehrsader. Beiderseits der breiten Großstadtstraße entstand ein nonkonformistisches Neben-, Durch- und Miteinander, wie es kein zweites in Nürnberg gibt. Ein „Mikrokosmos“ der, scheinbar autark, ein eigenes Leben innerhalb des großen Ganzen führt. So gut wie alles existentiell Wesentliche entwickelte sich hier mit einer, rückblickend betrachtet, erstaunlichen Vielfalt und Selbstverständlichkeit. Schon um die Jahrhundertwende war die Bebauung der Fürther Straße mit weiteren Wohnhäusern und Fabrikanlagen bis jenseits der Kreuzung Maximilianstraße vorangekommen. Kaum einer von denen, die hier tagtäglich die Werkstore passierten, wohnte in einer der vergleichsweise teuren, neuen Mietwohnungen. Die Arbeiterschaft, darunter viele, die aus ländlichen Gegenden zugezogen waren in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft in der aufstrebenden Stadt, wohnte in bescheidenen bis erbärmlichen Verhältnissen in den angrenzenden Vierteln. Das Alltagsleben in der Fürther Straße, „ihrer“ Straße, bestimmten sie mit, neben und mit den direkten Anwohnern. Allein das breit gefächerte Angebot an Vereinslokalen, Kneipen, Cafés, Wirtshäusern und Restaurants lässt den Schluss zu, dass hier ein vielschichtiges Publikum unterwegs war. So etwa auch die Soldaten aus der Bataillonskaserne, die in Scharen jeden Abend ihre Stammlokale bevölkerten. Der idyllische Rosenau-Park am einen Ende, wie auch das an der Eisenbahn gelegene Ausflugslokal „Feldschlösschen“ am anderen Ende der Fürther Straße belegen, dass für jeden Geschmack gesorgt war. Und man flanierte auf den breiten Trottoirs, besah sich die Auslagen der vielen Geschäfte und verglich die Angebote. Alles, was man zum täglichen Leben brauchte, war in Hülle und Fülle vorhanden. Anwälte, Ärzte und Apotheker gingen hier ihrer Arbeit ebenso nach wie Schneiderinnen, Schreiner oder Fuhrleute. Nur einen Steinwurf vom Plärrer entfernt, erwartete das Volksbad seine Badegäste, Lichtspielhäuser wurden eröffnet. Schulen und Kirchen wurden gebaut, Gemeinden entwickelten sich. Der Bau des Justizpalastes schloss nicht nur eine große Baulücke, er hob das Ansehen der gesamten westlichen Vorstadt. Schon lange versorgte Nürnbergs erstes Gaswerk in Plärrernähe auch die Fürther Straße mit Licht, nun kam das erste Klärwerk an der Maximilianstraße dazu, die Kanalisation wurde ausgebaut. Weitere Fabriken siedelten sich an und schließlich zog auch das Volksfest an die Fürther Straße und blieb, unterbrochen nur durch die Kriegsjahre, fester Bestandteil derselben. Erst Anfang der 1950er-Jahre, als Gustav Schickedanz das Gelände kaufte, war es damit vorbei. Dafür entstand an gleicher Stelle ein gigantisches Unternehmen und sorgte für neues Leben. Die Fürther StraSSe hat im Lauf ihrer über 200-jährigen Geschichte vieles erlebt, wachsen und vergehen gesehen: den Aufbruch ins industrielle Zeitalter, den Wandel zur Industriemetropole, Aufschwung und Niedergang bedeutender Unternehmen. Die massiven Bombardierungen Nürnbergs im Zweiten Weltkrieg hinterließen auch hier ihre Spuren. 20 Prozent der Gebäude waren zerstört, nur 10 Prozent blieben heil, der Rest war zum Teil erheblich beschädigt. Knapp 40 Prozent davon wurde wieder aufgebaut. Nach und nach schlossen sich die kriegsbedingten Lücken und veränderten das Straßenbild weiter. Ein nicht immer gelungenes Nebeneinander von Alt und Neu entstand. Strukturwandel, Migration und Multikultur, seit den 1970er-Jahren aktuell und längst prägender Bestandteil der Fürther Straße und ihrer nächsten Umgebung, haben ein lebendiges, spannungs- wie facettenreiches Bild geschaffen. Ein Boulevard ist bekanntlich nicht aus ihr geworden, obwohl sie, wie auf historischen Fotografien der 1920er-Jahre erkennbar, durchaus das Zeug dazu gehabt hätte. Vielmehr ist sie nun ein multikulturell-urbanes, temporeiches „Fließband“, das auf den ersten, schnellen Blick nicht zum Verweilen einlädt. Ein zweiter Blick aber genügt und man entdeckt ihr trotz der vielen alten und jüngeren „Narben“ ganz unverwechselbares, interessantes Gesicht. Vor kurzem erst ist eine neue Wunde, eine, die noch lange Zeit nicht heilen wird, hinzugekommen – „Quelle“: das Ende eines Imperiums und einer der unternehmerischen Erfolgsstorys in Deutschland schlechthin. R. F. DIE STRECKE DES ADLERS Der Gasthof „Alpenhütte“, heute „Kartoffel“, das älteste noch vorhandene Gebäude an der Fürther Straße, aufgenommen in den 1940er-Jahren (links) und 2009 (rechts). Die Hausnummern 35–41, aufgenommen 1912 und 2009. Blick in das nördliche Teilstück der Fürther Straße, aufgenommen 1929. Viele kleine Geschäfte, Passanten und Fahrradfahrer bestimmen das lebhafte Straßenbild. Die Fürther Straße gegen Osten, in Richtung Plärrer. Auch hier, beiderseits der Straßenbahn, ein ähnlich belebtes Bild. Ampeln brauchte man noch nicht, heutzutage − besonders an der Fürther Straße − undenkbar! Ein beliebtes Postkartenmotiv war dieser Blick auf die Strecke der Ludwigsbahn, die benachbarte Straßenbahn und die repräsentativen Bauten entlang der Fürther Straße, Höhe Veit-Stoß-Anlage, um 1910. Historische Bildpostkarten der evangelischen Dreieinigkeitskirche und der katholischen Antoniuskirche, beide unweit der Fürther Straße gelegen. 33 34 DIE STRECKE DES ADLERS „Erst mal seh’n, was Quelle hat!“ Der elegant gestaltete Titel des Herbst/Winter-Katalogs 1960/61 vermittelt jenen „Hauch von Luxus“, den sich die Quelle-Kundin leisten wollte, im Zweifelsfall durch Ratenkauf. K urz vor seinem 28. Geburtstag, im Dezember 1922, gründete der gelernte Kaufmann Gustav Schickedanz seine erste eigene Firma „Gustav Schickedanz Kurzwaren en gros“ in Fürth. Er begann im Kleinen, verkaufte Kurz-, Weiß- und Wollwaren an den Einzelhandel in der Region und lieferte selbst aus. Schon nach dem ersten Geschäftsjahr verzeichnete das junge Unternehmen ein Vermögen von rund 10000 Reichsmark. Nur vier Jahre nach Geschäftsgründung beschäftigte Schickedanz bereits fünf Angestellte, wenig später folgte der Eintrag des neuen Firmennamens „Quelle“ ins Handelsregister – jener Name, der zum Inbegriff einer deutschen Erfolgsgeschichte werden sollte. Auf die Idee, parallel zum Geschäft mit dem Großhandel auch Privathaushalte zu beliefern, hatten ihn, wie er sich gern erinnerte, Frauen aus der Nachbarschaft gebracht, die ohne den Umweg über den Einzelhandel preiswert bei ihm bestellen und sozusagen „an der Quelle“ kaufen wollten. Mitte der 1960er-Jahre veröffentlichte der Pressedienst des Versandhauses eine Kurzchronik, in der diese Geschäftsphilosophie wie folgt beschrieben ist: „… Der Name war glücklich gewählt: eine Quelle sprudelt, ihre Wasser sind rein und klar wie es die Grundsätze waren, die Gustav Schickedanz seinem Unternehmen gab, sie mehren sich, sie werden zum Fluß und schließlich zum Strom, der das Land durchzieht. Der junge Kaufmann war sich bewusst, dass ein glücklicher Name aber nur dann etwas bedeutet, wenn sich mit diesem Namen eine ganz bestimmte Vorstellung verbindet. Er ging darauf aus, ein Vertrauensverhältnis zu schaffen zwischen der Familie, die in einem einsamen Dorf den Katalog sorgfältig prüfte, und dem Unternehmen, das sich als ‚Quelle‘ anbot. Bei einem solchen Vertrauensverhältnis bildet sich eine andere Beziehung zwischen Kaufmann und Kunde heraus als bei so genannten ‚Laufkunden‘, also Käufern, die einmal bedient werden und von denen der Kaufmann oft nie wieder hört. Und das ist vielleicht das eigentliche Geschäftsgeheimnis der ‚Quelle‘, Der einmal gewonnene Kunde blieb, er wartete auf den Katalog und die ‚Quelle‘ auf seine Bestellung. Es war aus dem Kunden der ‚Quelle‘ weitab von Fürth, ein Freund des Hauses geworden, der mit seinen Freunden wiederum, ganz aus freien Stücken, von der ‚Quelle‘ sprach. So ist es zu erklären, dass die Kartei der Kunden 1936 die erste Million überschritt. Die Jahre zwischen 1927 und 1936 zeigten einen konsequenten Aufstieg des Hauses.“ Und so erklärt sich auch, dass nach etlichen, im Lauf der Jahrzehnte wechselnden Quelle-Slogans im Jahr 1990 eben dieses Vertrauensverhältnis zwischen Versand und Besteller mit dem kürzesten und zugleich persönlichsten aller Slogans betont wurde: „Meine Quelle“. Gustav Schickedanz’ Geschäftsphilosophie und zugleich Erfolgsrezept seines Hauses lautete: „Vom kleinen Gewinn zum großen Nutzen für möglichst viele Menschen.“ Die konsequent durchgehaltene Handelsmaxime knapper Kalkulation in An- und Verkauf rechnete sich für alle Beteiligten: für die Lieferanten, deren Gewinnspanne zwar geringer war, die sich jedoch, solange Qualität und Preis stimmten, konstante Aufträge sicherten, ebenso wie für die Verbraucher, die auf stabile, erschwingliche Preise zählen konnten, auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, etwa in der Weltwirtschaftskrise 1929 bis 1932. Quelle war in dieser Zeit gefragter denn je. 1934, knapp elf Jahre nach der Firmengründung beschäftigte Quelle, nun das größte Wollgeschäft Deutschlands, bereits 500 Angestellte. 1938 betrug der Jahresumsatz 40 Millionen Mark. Im Zuge der beginnenden „Arisierung“ der deutschen Wirtschaft erwarb Gus tav Schickedanz nun Produktionsstätten und eingeführte Marken, die wesentlich zum Aufstieg des Unternehmens beitrugen, so zum Beispiel schon 1935 die Vereinigten Papierwerke und deren Marke „Tempo“, vormals im Besitz einer jüdischen Unternehmerfamilie. Der zunehmend negativen Haltung der Nationalsozialisten gegenüber Kaufhaus- und Versandhandelsgeschäften versuchte man mit dem zweifelhaften Zusatz „rein arisches Unternehmen“ zu begegnen. Trotz guter Kontakte auf ministerialer Ebene, die es Quelle DIE STRECKE DES ADLERS Noch Mitte der 1950er-Jahre, wie hier im Frühjahr/Sommer-Katalog 1956, finden sich kolorierte Modezeichnungen im Wechsel mit Schwarz/Weiß- und vereinzelt auch Farb-Fotografien. Die Kataloge werden umfangreicher und aufwändiger in der Gestaltung. Wollmusterkatalog des „Gross-Versandhauses Quelle, Fürth i. Bayern“, um 1938 erlaubten, auch Lebensmittelmarken als Zahlungsmittel zu akzeptieren, legten die Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs den Handel weitgehend lahm. Ein Bombenangriff im Herbst 1943 zerstörte große Teile der Firmengebäude; in Ausweichquartieren arbeitete man in bescheidenem Umfang weiter, bis zum Zusammenbruch 1945. Die Firmenanlagen waren fast vollständig verloren, die wenigen noch bestehenden Lager geplündert, Firmenunterlagen und Vermögenswerte beschlagnahmt. Gustav Schickedanz erhielt im Zuge der Entnazifizierung Berufsverbot, 1949 kehrte er in sein Unternehmen zurück. 1929 hatte Gustav Schickedanz bei einem Autounfall seine Frau, seinen kleinen Sohn und seinen Vater verloren. 1942 heiratete er ein zweites Mal. Seine Frau Grete, seit 1927 im Unternehmen tätig, hatte es, ob ihrer Tüchtigkeit und ihres Geschäftssinns in wenigen Jahren vom damals 15-jährigen Lehrmädchen zur Leiterin des Einkaufs gebracht. Sie war es, die nach Kriegsende und während des Berufsverbots ihres Mannes ein kleines Textilgeschäft im nahen Hersbruck eröffnete, alte und neue Kontakte zu Lieferanten und Kunden aufbaute und so den Grundstein für den Wiedereinstieg in den Versandhandel legte. 1948 erzielte sie bereits einen Umsatz von 315 000 Mark. Der Versandkatalog vom Frühjahr 1951 umfasste bescheidene 16 Seiten, acht Jahre später waren es bereits 272 (mehr als die Hälfte davon farbig), wiederum sechs Jahre später erschien der Quelle-Katalog schon 582 Seiten stark mit rund 9 000 Artikeln/28 000 Positionen in einer Auflage von 6,2 Millionen Exemplaren. Das Angebot umfasste nahezu alle Bereiche des täglichen Lebens, vom Taschentuch bis zum Fertighaus. Mit Ausnahme des zuletzt genannten wurden die meisten Artikel durch den hauseigenen Versand in alle Welt verschickt. 1965 verzeichnete Quelle den Versand von 19,5 Millionen Paketstücken, der Jahresumsatz betrug 1,9 Milliarden DM. Das Unternehmen zählte international zu Spitzenzeiten 26 000 Beschäftigte und besaß mittlerweile 97 Verkaufsagenturen und 13 Kaufhäuser. Zweidrittel des Gesamtumsatzes aber wurden mit dem Versandhandel erzielt – Post und Bahn erwirtschafteten allein mit Quelle einen Betrag von 91 Millionen DM. Dieser atemberaubenden Entwicklung war ein Kraftakt beachtlichen Ausmaßes vorangegangen: die komplette Neupla- „In der Küche bunt beschürzt, macht immer frohe Laune“, so die vollständige Überschrift des Angebots an Schürzen unterschiedlichster Schnitte und Muster aus dem Herbst/Winter-Katalog 1958/59 35 36 DIE STRECKE DES ADLERS Die Quelle-Jahrbücher wurden als Aufmerksamkeit des Hauses an treue Kunden verschickt. Neben Kalenderseiten, Gedichten und Kurzgeschichten informierten die Jahrbücher über besondere Quelle-Aktivitäten, etwa Modenschauen, Pressespiegel, geschäftliche Neuigkeiten. Die Werbeseiten sollten sowohl die Produktvielfalt wie auch die Vorzüge des Versandeinkaufs betonen und fielen, bunt und pfiffig gestaltet, sofort ins Auge – hier einige Beispiele aus den späten 1950er-Jahren. DIE STRECKE DES ADLERS Jeder Katalog begrüßte den Kunden mit einem Brief von Gustav Schickedanz. In der Herbst/Winter-Ausgabe 1960/61 wurden voller Stolz auch die neuen Erweiterungsgebäude auf dem rückwärtigen Areal und der „QuelleMarkt“, im Vordergrund, vorgestellt. nung und -entwicklung des Versandsystems, eine logistische Meisterleistung, die noch Jahre später als „Wunderwerk“ bezeichnet wurde. Auf dem ehemaligen Volksfestplatz an der Fürther Straße, Hausnummer 205–215, erstand Mitte der 1950er-Jahre ein Neubau von beeindruckender Größe und Ausdehnung für die Versandabteilung. Mit 180 Meter Fassadenlänge, 60 Meter Breite und 24 in der Höhe setzte der moderne, klar strukturierte Bau nicht nur architektonisch deutliche Akzente – dem Unternehmen gelang damit der Sprung an die Spitze zu Europas größtem Versandhaus. Neubauten für Hauptlager, Warenannahme und Auslieferung sowie neu entwickelte Großrechenanlagen wurden nötig, um der nach wie vor steigenden Nachfrage verwaltungstechnisch gerecht zu werden. 1960 eröffnete zudem der „Quelle-Markt“ das erste Großkaufhaus an der Fürther Straße. Hinter der hellen Klinkerfassade des Versand-Neubaus (noch heute nennen altgediente Quelle-Mitarbeiter das Gebäude so) sorgte nun ein perfekt organisiertes Betriebssystem für den reibungslosen Ablauf, vom Eingang des Bestellscheins in der Poststelle bis zur Verladung des versandfertigen Pakets. Vereinfacht dargestellt, wurden die einzelnen Artikel der meist mehrteiligen Bestellungen aus den jeweiligen Regallagern durch elektronisch gesteuerte Paternoster und Laufbänder transportiert, die wiederum so synchronisiert waren, dass sie immer dort anhielten, wo die passenden Sammelwannen, ebenfalls elektronisch gesteuert und zugeführt, bereitstanden. Diese wurden weitergeleitet zu den nächsten Umladestationen bis zur Endkontrolle und danach zur Verpackung in der Kartonage-Abteilung, um dann Wiegeplatz und Verschließabteilung zu durchlaufen, wo auch das Porto berechnet wurde. Der gesamte Durchlauf vom Ein- gang der Bestellung bis zum Verladen eines Pakets dauerte nicht länger als sechs Stunden: alles in allem ein bis ins Letzte durchdachtes, hocheffizientes Betriebssystem, das über Jahrzehnte Maßstäbe setzte. Mit Grete und Gustav Schickedanz standen zwei Unternehmerpersönlichkeiten an der Spitze, die nicht nur präsent geblieben waren, sondern auch erreichbar. Sie fühlten sich den Mitarbeitern verpflichtet und pflegten den Kontakt zu ihnen. Arbeitsbedingungen und soziale Leistungen im Unternehmen galten als vorbildlich. Dazu gehörten auch Sondervergütungen wie Weihnachtsgratifikationen, Anwesenheitsförderungsprämien und Treueprämien in Form vermögensbildender Anlagen. So war es keine Ausnahme, dass ganze Familien, zum Teil schon in zweiter und dritter Generation bei Quelle beschäftigt waren. Diese gewissermaßen „familiäre“ Zugehörigkeit wurde von der Firmenleitung begrüßt und unterstützt. 50 Jahre nach Firmengründung, im Jubiläumsjahr 1977, starb Gustav Schickedanz. Seine Witwe führte das Unternehmen in bewährter Form weiter, an ihrer Seite die beiden Schwiegersöhne. Rückblickend betrachtet, war der Zenit fast erreicht, der Markt für Konsumgüter zunehmend gesättigt. Noch in den 1980er-Jahren zählte das Unternehmen 156 Verkaufsstellen, 28 Kaufhäuser und Tochtergesellschaften im In- und Ausland. Schon in den Sechzigerjahren erschlossene Terrains wie Quelle-Reisedienst, Foto-Quelle, Quelle-Fertighaus, Quelle-Bausparen und -lebensversicherungen gehörten dazu ebenso wie die Norisbank und eigene Fabrikationsbetriebe. Wirtschaftshistoriker begründen rückblickend den beginnenden Niedergang des einstigen Erfolgsunternehmens mit Veränderungen der Absatzmärkte, des Kaufverhaltens und gesellschaftlichen Umbrüchen, auf die ein unbeweglicher Versandriese wie Quelle, der traditionsverhaftet und in gewohnter „Verteilermentalität“ seine Waren in entlegenste Winkel bringen wollte, nicht in erforderlichem Maße reagiert hatte. „In dem Bestreben, Kontinuität zu wahren, verschläft die Führung gesellschaftliche und ökonomische Veränderungen“, hieß es dazu in der ZEIT vom 5.6.2003. Dabei schwächten unrentabel gewordene Geschäftsbereiche den Umsatz ebenso wie der kommende Konkurrent Internet als zügig expandierender Warenanbieter. Nach den beiden Verlustjahren 1984/85 schrieb Quelle aufgrund deutlicher Umstrukturierungsmaßnahmen zunächst wieder schwarze Zahlen und erlebte im Zuge der Wiedervereinigung Deutschlands einen beachtlichen Aufschwung. Hier griff noch einmal das Prinzip des Universalanbieters, die Käuferschaft in den neuen Bundesländern reagierte geradezu euphorisch auf das „allumfassende“ Angebot im über 1 000 Seiten starken Katalog. 1991, drei Jahre vor ihrem Tod, investierte Grete Schickedanz noch 1 Milliarde DM in die Erschließung des neuen Marktes und den Bau eines hochmodernen Versandzentrums in Leipzig, die Inbetriebnahme erlebte sie nicht mehr. Auch die 1999 umgesetzte Fusion mit Karstadt zu KarstadtQuelle, später Arcandor, mit der massive Sparmaßnahmen, Stellenkürzungen und die Schließung von Kaufhäusern, Verkaufsagenturen etc. einhergingen, brachte nicht den gewünschten Erfolg. Wechselnde Managements versuchten das Unternehmen zu sanieren und scheiterten, der Abwärtstrend war nicht mehr aufzuhalten. Im Juni 2009, nach einer langen Kette von Fehlentscheidungen kam der vorläufige Schlusspunkt: Insolvenz – und die Zusage eines 50 Millionen-Massekredits als Soforthilfe. Die Zukunft von Quelle war jedoch nicht mehr zu sichern. Ein Viel- 37 38 DIE STRECKE DES ADLERS Gustav und Grete Schickedanz in ihrem „Quelle-Markt“ an der Fürther Straße, in dem 60 000 Artikel angeboten wurden. „Ruhe vor dem Sturm“ hieß es zu diesem kurz vor der Eröffnung des neuen Großkaufhauses entstandenen Foto in den „Nürnberger Nachrichten“. Die Sammelwannen auf dem Weg zur Packerin. Von oben zugeführt, traf zeitgleich das passende Verpackungsmaterial ein. Der große Busparkplatz neben dem QuelleAreal. Auswärtige Arbeitnehmer wurden täglich von und zu ihren bis zu 100 Kilometer entfernten Wohnorten gebracht. Vor allem in der Vorweihnachtszeit wurden tausende Aushilfen benötigt. Die organisierte An- und Rückfahrt in bequemen Reisebussen sowie Einkaufsrabatte, auch für Aushilfskräfte, waren für viele ausschlaggebend, die weite Entfernung zum Arbeitsplatz in Kauf zu nehmen. In der Poststelle. Saugluft erleichterte das Herausnehmen der Bestellscheine aus den maschinell geöffneten Kuverts. Letzte Station vor dem Versand. Hier wurden die Pakete verschlossen, gewogen und frankiert. Dann rollten sie weiter in Richtung Auslieferung. DIE STRECKE DES ADLERS Der Neubau an der Fürther Straße, feierlich eröffnet am 24. März 1956, erstreckte sich über eine Grundfläche von 11 000 qm und prägte in seiner Modernität das Gesicht der Verkehrsader zwischen Nürnberg und seiner Nachbarstadt Fürth wie kein anderes Gebäude zu dieser Zeit. Im Jahr 1962 war das „Quelle-Universum“ komplett: Fertighäuser wurden ins Programm aufgenommen. Zwei Jahre später war Quelle das größte Versandhaus Europas. Werbeanzeige für ein modernes Eigenheim aus dem Jahrbuch von 1966: vom Taschentuch bis zum Haus, nun konnte alles aus einer „Quelle“ geschöpft werden. faches dieser Summe wäre notwendig gewesen, so die Meinung von Wirtschaftsexperten, um den Konzern zu einem konkurrenzfähigen Wettbewerber umzubauen, der mit der nötigen Flexibilität auf wechselnde Trends, differenzierte Käuferschichten und ein überwiegend vom Internetangebot bestimmtes Kaufverhalten reagieren kann. Die Folgen sind gravierend, wie immer bei Pleiten dieser Größenordnung, allem voran für die Beschäftigten, aber auch für Tochterunternehmen, Vertragsfirmen und Zulieferbetriebe im Inund Ausland, für die Region, für Nürnberg und Fürth und nicht zuletzt auch für die unmittelbare Nachbarschaft an der Fürther Straße, die in den letzten Jahrzehnten mehrfach Bekanntschaft gemacht hat mit Betriebsschließungen, wirkungslosen Protesten der Betroffenen, Arbeitslosigkeit. Bereits Anfang der 1990er-Jahre hatte es den Nachbarn des Quelle-Versands getroffen, das Traditionsunternehmen Triumph Adler, und auch hier war es das bittere Ende einer echten Fürther Straßen-Erfolgsstory … R. F. Aus dem 1966 letztmalig gedruckten Quelle-Jahrbuch: Der Quelle-Fachverkäufer erklärt der Kundin eine „Revue“, die Eigenmarke des Hauses für Filme, Fotoapparate und Ferngläser. Pfeiffer, Gerhard: Zur Geschichte der Nürnberg-Fürther Straße, in: „Fränkische Heimat. Beiträge zur fränkischen Heimat- und Volkskunde, Nürnberg 1958; Ortner, Peter: „Wahrhaft modern: Leistung mit Leichtheit zu verbinden.“ Der Plärrer-Automat, in: Gostenhof. Geschichte eines Stadtteils, Nürnberg 2005; Lübbeke, Hans Wolfram: Denkmäler in Bayern. Mittelfranken, Bd. 5, München 1986; Schwarz, Helmut: Leder im Getriebe, in: Aufriss 5. Die Fürther Straße. Centrum Industriekultur Nürnberg, 1985; 100 JAHRE HERCULES. Ein Jahrhundert für zwei Räder, hg. von Hercules. Ein Unternehmen der Fichtel & Sachs Gruppe, Nürnberg 1986; Schwarz, Helmut: Unter Wölffen, in: Aufriss 5. Die Fürther Straße. Centrum Industriekultur Nürnberg, 1985; „Die Geschichte des Nürnberger Justizpalastes“. Redemanuskript des damaligen Präsidenten des Oberlandesgerichts Nürnberg, Dr. Maximilian Nüchterlein, anläßlich des Abschlusses des Wiedereinzugs der Justiz in das Justizgebäude Nürnberg am 2.5.1977 39 40 DIE STRECKE DES ADLERS Triumphale Zeiten D ie Gründung der „TriumphWerke“ verdankt sich einem ungewöhnlichen fränkisch-britischen Doppelpass. 1884 ließ sich Siegfried Bettmann, Sohn eines Nürnberger Kaufmanns, in London nieder. Der unternehmungslus tige 21-Jährige arbeitete zunächst in einem Adressenverlag, verkaufte als Vertreter einer amerikanischen Firma in Europa und Nord afrika Sämaschinen, sattelte aber bereits 1885 auf Fahrräder um. Das einstige „Hobby Horse“ spleeniger Reicher schickte sich damals eben an, in Gestalt des Niederrads ein Massenpublikum zu erobern. Bettmann sah glänzende Aussichten für den Export britischer Qualitätsfahrräder auf den europäischen Kontinent. Der zu erwartende Triumphzug des neuen Fortbewegungsmittels regte ihn dazu an, seine zunächst aus Birmingham bezogenen Fahrräder unter dem Namen Triumph anzubieten, eine Markenbezeichnung, die in Englisch, Deutsch und Französisch einen gleichermaßen leicht verständlichen Wohlklang besitzt. Die Geschäfte gingen bald so gut für den jungen fränkischen Unternehmer, dass er 1887 zusammen mit dem ebenfalls aus Deutschland stammenden Techniker Moritz Schulte die „Triumph Cycle Company“ gründete. Wenig später wagte Bettmann den Schritt vom reinen Handel zur Produktion und verlegte den Firmensitz nach Coventry, ins Herz der englischen Fahrradindustrie. Mit Einlagen britischer Finanziers begann Triumph dort 1889 in einer kleinen Fabrik mit der Herstellung eigener Fahrräder. Getragen von einer ungeheuren Radl-Euphorie, expandierte das junge Unternehmen rasch. 1896 schien Bettmann der Zeitpunkt gekommen, den (Triumph)-Bogen von den englischen Midlands ins heimische Franken- land zu schlagen. Mit dem Geld Nürnberger und Fürther Kommerzienräte wurde am 15. Juli diesen Jahres unter Führung des Bankhauses „Josef Kohn & Söhne“ die „Deutsche Triumph Fahrradwerke AG“ gegründet. Die Wahl Nürnbergs als Sitz des Tochterunternehmens verdankte sich neben den persönlichen Beziehungen Bettmanns zur Geschäftswelt seiner Heimatstadt auch der Tatsache, dass die fränkische Industriemetropole – hierin durchaus Coventry vergleichbar – zu einer Hochburg der deutschen Fahrradproduktion geworden war. Während auf der grünen Wiese an der Fürther Straße ein moderner Fabrikbau entstand, stellten die ersten Triumph-Mitarbeiter ab Oktober 1896 in gemieteten Räumen in der Hadermühle die notwendigen Spezialmaschinen und Werkzeuge her. Mit einer Belegschaft von etwa 60 Mann wurde im Januar 1897 der Neubau an der Fürther Straße/Ecke Regerstraße bezogen. Nach kurzer Zeit lag die tägliche Produktion bei 30 bis 35 Fahrrädern. Als Reaktion auf die Fahrradkrise 1898/99 suchte und fand man bald weitere Produkte. So verdrängten Bettgestelle aus Messing und patentierte Drahtmatratzen die Fahrräder aus den Nürnberger Werkshallen, während man sich in Coventry auf Motorradproduktion umstellte. Bettmann und sein Kompagnon Schulte hatten schon in den neunziger Jahren die Entwicklung auf diesem Gebiet verfolgt und überlegt, Lizenzen der Münchner Motorradpioniere „Hildebrand & Wolfmüller“ zu erwerben. Doch erst als im Zuge der großen Fahrradkrise englische Firmen wie „Ariel“, „Excelsior“ oder „Matchless“ Motorräder herzustellen begannen und die Finanziers der „Dunlop“-Reifen bei Triumph einstiegen, schien die Zeit reif für die eigene Produktion knatternder Varianten der bewährten Drahtesel. Mit einjähriger Verzögerung nahm das Nürnberger Tochterunternehmen die Motorfahrradproduktion nach englischem Vorbild auf. Motorradfahren war zu jener Zeit noch das Privileg einiger begüterter Sportbegeisterter, die sich nach dem Wandel des Fahrrads vom „Hobby Horse“ zum alltäglichen Fortbewegungsmittel ein neues exklusives Steckenpferd suchten. Erste Erfolge In der Werbebroschüre aus dem Jahr 1911 stellte Triumph stolz das neue Werk vor. Linkerhand der Fassade ist die Fahrrad-Testbahn zu erkennen, im Vordergrund dampft die Ludwigsbahn vorbei. DIE STRECKE DES ADLERS Zeitungsanzeige der Triumph-Werke von 1913 mit dem Hinweis auf den neuesten Katalog. von Triumph-Motorrädern bei Rennen und Fernfahrten blieben zwar nicht aus, doch der Abnehmerkreis vergrößerte sich kaum. Höchstens vier Motorzweiräder pro Tag verließen die Nürnberger Werkshallen, sodass bereits 1907 die unrentable Fertigung von Motorzweirädern im Werk an der Fürther Straße wieder eingestellt wurde. 1909 ergab sich für die vorsichtig wirtschaftenden Nürnberger Manager eine gute Gelegenheit, ihr Unternehmen in einem neuen Wachstumsmarkt zu etablieren: Sie erwarben die in Konkurs gegangene Nürnberger Schreibmaschinenfabrik „Kürth & Riegelmann“ mit der Marke „Norica“ und bauten unter der Leitung des ehemaligen Teilhabers Carl Riegelmann eine eigene Schreibmaschinenabteilung auf. Im Gefolge dieser Neustrukturierung wurde die Firma 1911 in „Triumph Werke Nürnberg AG“ umbenannt. Mehrere Gründe mögen für den Schritt in die Bürowelt ausschlaggebend gewesen sein. Der Fahrradabsatz unterlag starken saisonalen Schwankungen. Während der Wintermonate sank die Auslastung der Fabrikationsanlagen rapide, die Schreibmaschinenherstellung kannte diese jahreszeitlich bedingten Schwierigkeiten hingegen nicht. Während des ganzen Jahres bestand ein gleich bleibend großer Bedarf an den mittlerweile weitgehend ausgereiften Maschinen; die maschinenschriftliche Korrespondenz gehörte damals bereits zum guten Geschäftston. Aber es gab auch ein gewichtiges technisches Argument: Der Herstellungsprozess von Fahrrädern und Schreibmaschinen wies etliche Parallelen auf, beide Erzeugnisse waren nahezu ausschließlich Ganzmetallprodukte hoher Präzision. Zu ihrer Fabrikation benötigte man eine gut ausgestattete Gießerei, Pressen, Stanzen, Bohr- maschinen, Metalldrehbänke und Fräsen. Mit Kriegsausbruch 1914 waren allerdings weder Fahrräder noch Schreibmaschinen besonders gefragt. Stattdessen arbeitete man an der Fürther Straße nun vor allem für den erhofften „Triumph der Waffen“, der sich jedoch entgegen den allerhöchst geschürten Erwartungen nicht einstellen sollte. Der Gewinn bringende Zynismus der Kriegsproduktion zeigte sich auch bei Triumph in vollem Maße: Die Fabrik lieferte Munition und Artilleriezünder an die Front, verdiente aber auch recht gut an Feldbettstellen, Operationstischen und Lazarettbetten für die zerschossenen Opfer der endlosen Grabenkämpfe. Neue Werkshallen entstanden, die Produktion wurde auf elektrischen Antrieb umgestellt, die Maschinen ruhten auch während der Nacht nicht mehr. Nach Kriegsende kehrten die Nürnberger Triumph-Werke mit ihrer bescheiden-liebevoll „Knirps“ genannten 2-PS-Zweitakt-Maschine in die Motorwelt zurück. Sie war im Wesentlichen ein Nachbau der bewährten „Triumph-Junior“, die in England seit 1914 auf dem Markt war. Der Zeitpunkt für das Erscheinen der „Knirps“ im Jahr 1919 war günstig, denn entgegen mancher Erwartung hatte sich der Automobilmarkt noch nicht so weit entwickelt, dass Autos für breitere Käuferkreise erschwinglich gewesen wären. Ungeachtet der Inflationskrise erfuhr das Triumph-Werksgelände bis Mitte der Zwanzigerjahre in allen Geschäftsbereichen eine erhebliche Erweiterung. Die Errichtung eines lang gezogenen Motorradbaus parallel zur Fürther Straße zeigte 1922, dass man bei Triumph angesichts des allgemeinen Motorisierungsschubs nun in großem Maßstab in die Kraftradherstellung einsteigen wollte. Der Erfolg gab der Firmenleitung unter Generaldirektor Carl Schwemmer durchaus Recht: Zwischen 1923/24 und 1928/29 stieg die Jahresproduktion von 1600 auf 13 500 Motorräder! Im selben Zeitraum nahm das Fahrradgeschäft deutlich ab: Die Zahl der jährlich hergestellten Fahrräder ging von 22 000 auf 16 800 zurück. Unter den Zweirädern schien eindeutig dem Motorrad die Zukunft zu gehören. Die 1929 einsetzende Weltwirtschaftskrise fügte jedoch der expandierenden Motorradbranche erhebliche Absatzeinbrüche zu. Auch bei Triumph ging die Produktion rapide zurück: 1931/32 wurden nur noch 2600 Maschinen gebaut, ein Fünftel der bisherigen Rekordziffern. Die Zahl der Beschäftigten sank dementsprechend von 1 600 auf 1 000. Das Schwergewicht der Produktion verlagerte sich nun wieder auf den Bau der billigeren Krafträder bis 200 ccm Hubraum. In dieser schwierigen Situation bewahrte die immer noch gut laufende Schreibmaschinenproduktion das Unternehmen vor größerem Schaden. Ab 1933/34 schrieb der Betrieb auch im Fahrzeugbereich wieder schwarze Zahlen. Die Mitarbeiterzahlen stiegen bis 1939 auf 1 800 Beschäftigte an, große Neubauten wuchsen an der Fürther Straße empor. Mit 15 Millionen Reichsmark Umsatz – mehr als die Hälfte hiervon entfielen auf den Fahrzeugbereich – erzielten die Triumph-Werke im letzten Friedensjahr sogar ein neues Rekordergebnis. Wie schon im Ersten Weltkrieg wurde das Unternehmen ab September 1939 voll in die Kriegswirtschaft einbezogen. Neben Militärmaschinen stellten die Triumph-Werke hauptsächlich Munition und Schiffsteile für die Marine her. 1942 musste die Schreibmaschinenfer- 41 42 DIE STRECKE DES ADLERS Triumph-Präsentation 1932: Die linke der drei Maschinen im Vordergrund ist eine der seltenen Triumph-Schönheiten vom Typ ‚200 K’ aus dem „vergessenen“ Kellerraum bei Triumph-Adler, die heute im Nürnberger Motorradmuseum bewundert werden können. Während der Fahrer seine Zweitaktmaschine mit Öl versorgt, strahlt die Dame, ganz im Flair der Zwanzigerjahre – eine Fahrt in diesem Outfit, wie sie das Plakat der Triumph-Werke von 1928 zeigt, ist allerdings nur schwer vorstellbar. Luftaufnahme der Nürnberger Triumph-Werke an der Fürther Straße aus den 1950er-Jahren. Ganz im Sinne des Fortschritts: Triumph-Schreibmaschinen-Werbung, um 1930. Werbeblatt für die Triumph-Matura aus den 1950er-Jahren, die „Königin der Schreibmaschinen“ ihrer Zeit. Mit dieser Neuentwicklung im Bereich Büroschreibmaschinen gelang Triumph ein internationaler Verkaufsschlager. DIE STRECKE DES ADLERS Blick auf das TA-Mittelstandszentrum 2009 tigung für den zivilen Markt eingestellt werden. Mehr und mehr Stammarbeiter wurden zum Kriegsdienst eingezogen, Frauen und zahlreiche Zwangsarbeiter ersetzten sie. 1943 wurde das Werk zweimal von Fliegerbomben getroffen. Bei der Einnahme Nürnbergs 1945 geriet das Werk zeitweise unter den Artilleriebeschuss der vorrückenden amerikanischen Truppen. Doch bereits wenige Wochen nach Kriegsende wurde mit einer Belegschaft von 220 Personen die Arbeit wieder aufgenommen. Trümmer wurden beseitigt, Maschinen repariert und alte Verbindungen zu Rohstoff- und Teilelieferanten neu geknüpft. Wie jeder Betrieb mussten auch die Triumph-Werke angesichts von Materialknappheit, Energiemangel, Bezugsscheinsystem und Geldentwertung stark improvisieren, bis 1948 die Währungsreform die Grundlage für die Wiederaufnahme der Motorradfertigung schuf. Im Zeichen wachsenden Wohlstands erlebte die Motorradbranche zu Beginn der Fünfzigerjahre einen ungeheuren Aufschwung. Neue Werkshallen entstanden an der Fürther Straße, die Belegschaft wuchs auf knapp 3 000 Personen an. Mitte der 1950er-Jahre blies jedoch auch dem erfolgsverwöhnten Löwen des Triumph-Wappens ein scharfer Gegenwind ins Gesicht. Die Triumph-Produktion hatte ihren Schwerpunkt auf mittelschweren Motorradtypen; der auf die wachsende Konsumkraft und die modischen Bedürfnisse einer neuen Generation motorbegeisterter Jugendlicher zugeschnittene Moped- und Motorrollersektor war hingegen vernachlässigt worden. An diesen immer noch expandierenden Markt suchte man nun Anschluss zu finden. In Zusammenarbeit mit „Hercules“ und „Zündapp“ stellte Triumph 1953 unter dem traditionsreichen Namen „Knirps“ erstmals auch ein Moped vor. Zum Preis von 548 Mark fand dieses mit dem Zündapp-Motor, später mit einem Fichtel & Sachs-Aggregat ausgestattete Gefährt zwar zahlreiche Käufer, doch erfüllten sich die hochgespannten Verkaufserwartungen insgesamt nicht. Wenig besser erging es den Nachfolgemodellen „Fips“ und „Sportfips“, deren „lustiges Schnurren“, wie es die Werbung anpries, die trübe Stimmung an der Fürther Straße nicht aufheitern konnte. Hatte Triumph im Erfolgsjahr 1953 noch 20 000 Motorräder auf die Straßen bringen können, so fielen die Verkaufszahlen 1955 auf 8 000 und nur noch 2 200 im darauf folgenden Jahr. In einem letzten Versuch, die Motorradflaute zu überstehen, ging Triumph im Oktober 1956 mit den ebenfalls krisengeschüttelten Konkurrenten „Adler“ und „Hercules“ eine Verkaufsgemeinschaft ein. Doch auch diese Notmaßnahme konnte das Ende nicht mehr aufhalten. Ein Nürnberger Kaufmann, Siegfried Bettmann, hatte 1887 im fernen Coventry die „Triumph-Werke“ aus der Taufe gehoben. Siebzig Jahre später trug ein Fürther Industrieller, der Radio-Pionier Max Grundig, die Nürnberger Motorradlegende „Triumph“ zu Grabe. Im Januar 1957 übernahm er die Triumph-Werke, im September wurde die Zweiradproduktion endgültig eingestellt. Grundigs Interesse galt ausschließlich der Büromaschinenfertigung, Motorräder ließen ihn kalt – während der zwölfjährigen Zugehörigkeit des Unternehmens zu seinem Konzern soll er die Werks hallen an der Fürther Straße nur zweimal betreten haben: das erste Mal, um der Belegschaft zu verkünden, dass in Zukunft nur noch Büromaschinen produziert werden sollten; das zweite Mal, um zu kontrollieren, ob seine Order auch eingehalten wurde. Als er in einer Fabrikhalle ein nagelneues Motorrad sah, schenkte er es wutentbrannt dem nächstbesten Arbeiter mit der Auflage, es ihm sofort aus den Augen zu schaffen. Ob wahr oder unwahr – diese Geschichte illustriert eine in der Fortschrittseuphorie der Fünfzigerjahre weit verbreitete Haltung, die in Motorrädern nichts als Relikte vergangener Zeiten sah, reif für die Schrotthalden der Verkehrsgeschichte … Helmut schwarz 43 44 DIE STRECKE DES ADLERS Motorrad-Legenden. Nürnberg 1994 schlafende schönheiten: Triumph-Adler E twas hatte er jedoch übersehen, Max Grundig, einen kleinen Raum im Untergeschoss des weitläufigen Firmenareals, der einst der Schulung von Triumph-Motorradhändlern und Vertretern diente. Die Tür blieb über Jahrzehnte verschlossen und der Kellerraum geriet in Vergessenheit – doch dazu später mehr. Max Grundig hatte also die Triumph Werke an der Fürther Straße gekauft und sie mit den Frankfurter Adler-Werken, an denen er beteiligt war, fusioniert. TriumphAdler produzierte fortan ausschließlich Büromaschinen. Ende der 1960er-Jahre stieg Max Grundig in das Geschäft mit Farbfernsehern ein und verkaufte den erfolgreichen Büromaschinenhersteller TA an den US-Konzern Litton. 1979 kam TA zurück nach Deutschland und gehörte nun zum Volkswagenkonzern. Inzwischen umbenannt in TA AG wurde TA im Jahr 1986 vom italienischen Büromaschinenhersteller Olivetti übernommen. Zehn Jahre später verkaufte man den bekannten Markennamen, die Mitarbeiter wurden allesamt entlassen. Nur ein kleiner Teil, die TA AG, die von einem Aktionärskonsortium bereits 1994 ausgegliedert worden war, besteht als Mittelstandsholding und Spezialist für die Optimierung digitaler Bürokommunikation bis heute. Das riesige Triumph-Fabrikareal allerdings war bald geräumt und sollte einer neuen Nutzung zugeführt werden. Und hier kommt der oben erwähnte Kellerraum wieder ins Spiel: Auf der Suche nach firmenhistorischen Dokumenten, vor allem aber nach alten Triumph-Motorrädern recherchierten Mitarbeiter des Nürnberger Museums Industriekultur bei Triumph. Einige altgediente „Triumphler“ erwähnten dabei hinter vorgehaltener Hand jenen stets verschlossenen Kellerraum, für den es sogar noch einen Schlüssel gab. Der Raum entpuppte sich als Traum jedes „Museumsmenschen“: Für Händlerschulungen hatte man die wichtigsten Triumph-Motorräder als Schnittmodelle angefertigt – und alle waren noch da! Die legendären TriumphZweitakter der 1930er- und 1950er-Jahre waren dann rasch verladen und wurden unter Missachtung aller Kompetenzen, unterstützt von ehemaligen TA-Mitarbeitern, in die Ausstellung des Museums Industriekultur verbracht. Dies ging so lange gut bis einige vom Olivetti-Vorstand auf das Thema angesetzte italienische Sammler nach dem Verbleib der Fahrzeuge zu suchen begannen. Die Motorräder waren bald gefunden, schließlich wurden sie im Museum präsentiert. An der Rückgabe und damit an der Übernahme durch die italienischen Sammler schien kein Weg mehr vorbei zu führen. Der Olivetti-Vorstand drohte mit Zwangsmaßnahmen und da die Eigentumsverhältnisse unklar waren, war auch die Nürnberger Stadtspitze machtlos. Just in diesen Wochen liefen die Verkaufsverhandlungen bezüglich des TAGeländes, das ja einer neuen Verwendung zugeführt werden sollte. Verhandlungspartner der Italiener war auf Nürnberger Seite der erfahrene Immobilienspezialist Gerd Schmelzer. Er war zugleich die letzte Hoffnung des Museums. Gerd Schmelzer hat die historischen Motorräder kurzerhand zum Bestandteil des anzukaufenden Areals erklärt und damit alle Widerstände im Handstreich beseitigt. Ihm ist es zu verdanken, dass diese für die Nürnberger Zweiradgeschichte wichtigen Triumph-Motorräder heute im Motorradmuseum bestaunt werden können. Doch sein eigentliches Anliegen war die neue Nutzung des großen Triumph-Areals. Auch das ist gelungen. Das TA-Mittelstandszentrum bietet Raum für fast 65 Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen, überwiegend mittelständische Betriebe aus Dienstleistung und Handel. Zudem gibt es – und das trägt wesentlich bei zum Erfolg dieses „Revitalisierungsmodells“ – eine Kindertagesstätte und kulturelle Einrichtungen, attraktive gastronomische Angebote und Einkaufsmöglichkeiten runden das Bild ab, das sich heute dem Nutzer und dem Besucher bietet. Das Konzept hat Vorbildcharakter für die Wiederbelebung von Industriebrachen wie jenen von Quelle und AEG an der Fürther Straße. Letzterem, dem direkten Nachbarn des TA-Geländes wenden wir uns nun zu: den traditionsreichen Nürnberger AEG-Hausgerätewerken. M. M. DIE STRECKE DES ADLERS 45 Detailansicht des geschnittenen Nasenkolben-Zweitaktmotors der heute sehr seltenen Triumph 200 K von 1934. Blick auf den Doppelkolben-Zweitakter der Triumph Cornet von 1953. Die Doppelkolbentechnik, eine Spezialität von Triumph, war damals Hightech vom Feinsten. Die SSK 350 war eine der schönsten Triumph-Sportmaschinen. Mit ihr verbinden sich die Siege der einst sehr bekannten Rennfahrer Toni Fleischmann und Otto Ley. Auch die Triumph BD 250 war eine Kreation von Otto Reitz. Die preisgünstige Maschine war gleichermaßen im Alltagseinsatz wie beim Zuverlässigkeitssport beliebt. Die ungewöhnlichen Kühlrippen brachten ihr den Namen „Stachelschwein“ ein. Die schnittige Kardanmaschine Triumph 200 K war eine Entwicklung des legendären Zweiradkonstrukteurs Otto Reitz. Dem technisch anspruchsvollen Motorrad war allerdings kein Markterfolg beschieden. Die Boss war das letzte Flaggschiff von Triumph, bevor das Auto der Zweiradindustrie endgültig den Boden entzog und Max Grundig bei Triumph den Bann über die letzten Zweiräder verhängte. 46 DIE STRECKE DES ADLERS AEG – Aus Erfahrung Gut ? M it der Glühlampe fing alles an. Der Berliner Ingenieur Emil Rathenau hatte auf einer Ausstellung die neueste Erfindung des Amerikaners Thomas Alva Edison kennen gelernt, die Glühlampe. Er erwarb die deutsche Lizenz für die Edison-Patente und gründete in Berlin 1887 die „Allgemeine Elektrizitätsgesellschaft“, kurz AEG. Fließbandfertigung in der AEGWaschmaschinenproduktion im Jahr 1957. Auf diese so genannten Standard-Waschmaschinen mit Wring-Aufsatz folgte ein Jahr später der erste Waschautomat „Lavamat“ mit drei zeitgesteuerten Waschprogrammen und einem Schleudergang. Die Nacht wurde zum Tag, das neue elektrische Licht wurde mit großer Begeisterung aufgenommen. Elektrizitätswerke schossen wie Pilze aus dem Boden. Fabriken, Wohnhäuser und öffentliche Gebäude wurden an das Stromnetz angeschlossen. Da jedoch der Strom zur Beleuchtung nur bei Dunkelheit benötigt wurde, waren die Strom erzeugenden Maschinen der Kraft- werke tagsüber nicht ausgelastet. Mit der Elektrifizierung der Produktionsprozesse und später auch der Haushalte sowie der öffentlichen Verkehrsmittel wurde dieses Problem jedoch behoben. Es entstand ein boomender Wachstumsmarkt rund um die neue Energieform. In den besser gestellten Haushalten gab es DIE STRECKE DES ADLERS Das AEG-Gebäude an der Fürther Straße im Jahr 1966. neben dem elektrischen Licht bald auch elektrische Kochplatten, Bügeleisen, Heizgeräte, Eierkocher, Teekessel und vieles mehr. Auch in Nürnberg wurde diese Entwicklung rasch erkannt: Der Bing-Haushaltswarenkonzern gründete 1917 eine eigene Elektroabteilung zur Herstellung von Kochplatten, Heizsonnen, Bügeleisen und Kleinmotoren, mit denen Geräte wie Staubsauger oder Küchenmixer betrieben werden konnten. 1922 fusionierte Elektro-Bing mit der Berliner AEG, die ihre Hausgeräteabteilung daraufhin nach Nürnberg an die Fürther Straße verlegte. Die rasch voranschreitende Elektrifizierung der Haushalte bekam in den 1920er-Jahren sozusagen Stromstöße von zwei Seiten: Einerseits wollten die Anbieter elektrischer Geräte den neuen Markt rasch erobern, auf der anderen Seite stand das Interesse der Stromkonzerne, die privaten Haushalte als Kunden zu gewinnen. Mit großem Werbeaufwand wurden Veranstaltungen wie „elektrische Wochen“ oder „Lichtfeste“ inszeniert. Bei der AEG mit über 1 000 Mitarbeitern war längst die Fließbandfertigung eingeführt, als in den 1930er-Jahren die deutschen Haushalte mit über einer Million Elektroherden beglückt wurden. Weit höher noch lagen die Zahlen der vielfältigen Elektrokleingeräte im umfangreichen AEG-Produktsortiment. Mit Kriegsbeginn hielt auch bei der AEG die Rüstungsproduktion Einzug in die Werkshallen, die bisherige Produktion geriet in Stillstand. Gegen Kriegsende wurden große Teile der Fabrikanlage zerstört. Die kargen Jahre des Wiederaufbaus mündeten rasch in die als „Wirtschaftswunder“ bezeichnete Boomphase. 1950 entstand in Frankfurt am Main die neue AEG-Unternehmenszentrale. Es waren nun nicht mehr nur die wohlhabenden, sondern die Haushalte aller gesellschaftlichen Schichten, die von der Fürther Straße aus in großen Schritten elektrifiziert wurden. Stromverbrauch wurde quasi zum Maßstab für den Lebensstandard. Bald konnte sich jeder einen elektrischen Herd, einen Kühlschrank oder eine Waschmaschine leisten. Die AEG-Nürnberg beschäftigte gut 4 000 Mitarbeiter und war zur größten europäischen Fabrik für „Elektrowärmgeräte“ aufgestiegen. Diese Entwicklung fand ihren Niederschlag auch in einigen Neubauten, am markantesten das lang gestreckte Fünfzigerjahre-Fabrikgebäude entlang der Fürther Straße. Manche Innovation musste sich erst gegen Widerstände durchsetzen, so die „Lavamat“-Waschmaschine, die 1951 in Nürnberg in Serie ging. Mit dieser Waschmaschine konnte auch in der Etagenwohnung gewaschen werden, sodass der beschwerliche Gang zur Gemeinschafts- waschmaschine im Keller entfiel, ebenso das aufwändige Kochen der Wäsche in der Wohnung, das viele Vermieter wegen der starken Dampfentwicklung ohnehin untersagten. Und genau da lag das Problem: Die AEG musste erst in einer umfangreichen Werbekampagne vermitteln, dass bei der neuen Waschmaschine nur so viel Dampf entsteht wie beim Kochen eines Eintopfgerichts. Als sich diese Einsicht durchgesetzt hatte, wurde die Waschmaschine das umsatzstärkste Produkt der AEG. Die millionenfach verkaufte „Lavamat“ von AEG wurde, wie der Fernseher von Grundig, der Quelle-Katalog oder der „Käfer“ von VW zum Symbol des deutschen Wirtschaftswunders. Die Beschäftigtenzahlen an den Fließbändern der AEG an der Fürther Straße stiegen und stiegen, später nur leicht gebremst durch die Einführung von Automatisierungstechniken in einigen Bereichen. Als in der Mitte der 1960er-Jahre die räumlichen Erweiterungsmöglichkeiten an der Fürther Straße erschöpft waren, wurde die Fertigung von Elektroherden, Staubsaugern und verschiedenen Kleingeräten verlegt. Später wanderten weitere Fertigungsbereiche in andere Städte ab, während die Hauptverwaltung und die Produktion von Wasch- und Spülmaschinen vorläufig in Nürnberg blieben. Zu Beginn der 1980er-Jahre brachte eine Reihe von 47 48 DIE STRECKE DES ADLERS Titelblatt einer Werbebroschüre für die damals heiß begehrte „Lavamat“. Fehlentscheidungen des Managements den gesamten AEG-Konzern in eine gefährliche wirtschaftliche Schieflage. Nicht zuletzt aufgrund zweistelliger Zuwachsraten aus der Nürnberger Produktion und mit der finanziellen Potenz der Daimler Benz AG, inzwischen Eigentümerin der AEG, konnte diese Krise gemeistert werden. Nachdem das „Weltkonzern-Konzept“ von Daimler Benz gescheitert war, beschloss die AEG-Konzernspitze in Frankfurt 1993 die Nürnberger Tochter für fast eine Milliarde DM komplett an den schwedischen Elektrolux-Konzern zu verkaufen. Diese aus Nürnberger Sicht „ferngesteuerte Entscheidung“ wurde damit begründet, dass die Konkurrenz der großen Anbieter von „weißer Ware“ (Hausgeräte) auf Dauer keine Überlebenschance ließ, obwohl die AEGHaushaltsgeräte-Sparte, die Unternehmens perle in der Region, bei der Übernahme mit Gewinn wirtschaftete. Drei Jahre später kam der Schock an der Fürther Straße: Eine Einsparungsoffensive mit der Bezeichnung „Smart96“ sollte mit Einsparungen und Personalabbau nach dem Rasenmäher- Prinzip alle Elektrolux-Standorte effizienter machen. Zwar schrieben die Nürnberger nach wie vor schwarze Zahlen, blieben aber nicht von Stellenstreichungen und Produktionsauslagerungen verschont. 1997 folgte ein neues Paket mit so genannten Strukturmaßnahmen – diesmal traf es nur die Nürnberger, andere Elektrolux-Töchter blieben ungeschoren. Begründungen waren die Stärkung der Wettbewerbsposition und Steigerung des Aktienkurses. Und immer noch schrieb man an der Fürther Straße schwarze Zahlen und der Elektrolux-Konzern sicherte sich die Dienste der Nürnberger AEG samt dem Slogan „Aus Erfahrung Gut“. Der Elektrolux-Chef Hans Straberg spielte auf Zeit. Am 12. Dezember 2005 platzte dann die Bombe: Der Aufsichtsrat von Elektrolux entschied, das AEG-Werk an der Fürther Straße mit 1700 Beschäftigten zu schließen und die Produktion von Waschmaschinen und Geschirrspülern nach Polen und Italien zu verlegen. Gegen die Umsetzung dieses Beschlusses wehrten sich die AEG-Mitarbeiter mit mächtigen Kundgebungen, Streiks und Demonstrationen. Getragen von breiter Solidarität der Nürnberger Bevölkerung, stand das Thema AEG nochmals im Mittelpunkt bundesweiten Medieninteresses. Gewerkschaftlich organisiert, erkämpften Belegschaften und Betriebsrat tragfähige Sozialpläne. Anders als später bei der QuelleInsolvenz hatte man mit Hans Straberg ein echtes Feindbild, das man für solidarische Aktionen mobilisieren konnte. Weniger im Blick der Öffentlichkeit stand dagegen die Tatsache, dass Straberg nur ein Rad im Getriebe des internationalen Finanz- und Firmenimperiums der einflussreichen schwedischen Wallenberg-Dynastie war. So wurden das Ende von AEG und die Verlagerung aller Fabrikarbeitsplätze in Billiglohnländer zum Lehrstück für die Gesetzmäßigkeit globalisierter Märkte. Mehr als 700 überwiegend höher qualifizierte Mitarbeiter aus Verwaltung, Entwicklung, Werbung und Öffentlichkeitsarbeit konnten im Großkonzern weiterarbeiten. Der Slogan „Aus Erfahrung Gut“ wurde umgedichtet in: „Ausverkauf Einer Gesellschaft“. Der Verlust vorwiegend gering qualifizierter Arbeitsplätze ist symptomatisch für den tief greifenden DIE STRECKE DES ADLERS 49 Werbeprospekte der 1960er-Jahre für elektrische „Haushaltshelfer“, darunter auch ein echter Klassiker, der verchromte AEG-Haartrockner. Strukturwandel, der den Weg Nürnbergs von einer Stadt der Schwerindustrie hin zum Mittelpunkt einer von Dienstleistung, Forschung, Wirtschaft und Kommunikation geprägten Metropolregion kennzeichnet. Dieser Strukturwandel ist allerdings kein einseitiger Prozess des wirtschaftlichen Niedergangs und Verlustes von Arbeitsplätzen. Vielmehr hält sich die Zahl der verlorenen Arbeitsplätze durchaus die Waage mit den im Zuge dieses Wandels neu hinzugekommenen. Und eben diese Entwicklung lässt sich auch am „Mikrokosmos“ Fürther Straße aufzeigen. „Auf AEG“ heiSSt das Projekt einer Berliner Immobiliengesellschaft zur Neubelebung des über 160 000 qm großen Fabrikareals. 60 Millionen Euro sollen investiert werden, ein Teilbereich wurde bereits saniert. Hier betreibt Elektrolux seine Deutschland-Zentrale mit rund 700 Mitarbeitern. In einem anderen Gebäude hat Siemens Teile seiner Transformatorenfertigung untergebracht. Nach den Plänen des Nürnberger Architekten Jürgen Bisch verbleibt ein U-förmiger, mehrgeschossiger Gebäudebestand. Flachbauten werden groß- teils entfernt, was Innenhöfe und Parkplätze schafft. Die 400 Meter lange Gebäudefront an der Fürther Straße soll mit Showrooms und Präsentationsflächen des Einzelhandels versehen werden. Ziel des Projekts ist eine Mischform aus Büro, Gewerbe, Groß- und Einzelhandel, Wohnen, Gastronomie, Kunst und Kultur. Im ehemaligen Pförtnerhaus hat sich zwar bereits ein Café etabliert und in den riesigen ehemaligen Produktionshallen blühen die ersten kulturellen Pflanzen, insgesamt allerdings dominiert noch Leerstand das Bild. Die Chancen, dass sich dies auf absehbare Zeit ändert, sind durch die QuellePleite nicht gewachsen. Doch gehen wir vom Ende der eins tigen „Achse der Industrialisierung“ entlang der Fürther Straße noch einmal weit zurück bis zu der Stelle, an der nördliche und südliche Fürther Straße zusammentreffen. Unweit davon befindet sich heute die DATEV, entstanden im Zuge des strukturellen Wandels und gewachsen auf den Grundmauern ehemaliger Nürnberger Industriebetriebe. M. M. Leerstand und Verlassenheit so weit das Auge reicht: die lang gezogene AEG-Fassade im Jahr 2009. 50 DIE STRECKE DES ADLERS Schrauben – Spielzeug – Daten Die (Vor-)Geschichte der DATEV W ar es früher die industrielle Herstellung materieller Güter, die die Großunternehmen der Metall-, Fahrzeug-, Spielzeug- oder Elektroindustrie entlang der Fürther Straße prägte, so ist es heute, hier wie überall in der Met ropolregion und der ganzen westlichen Welt, die Mehrwertschöpfung aus Ideen und Kommunikationstechnologien. Die globalen Netzwerke der Kommunikation übersteigen längst den Wert herkömmlicher Produktionsanlagen und haben diese, zumindest in Deutschland, in weiten Teilen abgelöst. Noch in den 1960er-Jahren schienen die Großunternehmen die Herren der Welt zu sein. Nur sie verfügten über das Kapital für den Einsatz von Großrechnern und damit über die wirtschaftliche Macht. Der Mittelstand hingegen, der die deutsche Wirtschaft insgesamt mehr oder weniger dominierte und noch heute prägt, erschien ohne Chancen. Die Gründung der DATEV im Jahr 1966 erwies sich als erfolgreiches Modell, das eben diesem Mittelstand ganz neue Möglichkeiten eröffnete. Nun war auch für kleine und mittlere Betriebe der Zugriff auf Techniken möglich, deren ökonomische Vorteile bisher nur die Großindustrie hatte nutzen können. Grundlage für diesen grundlegenden Wandel war das genossenschaftliche Prinzip der „Hilfe zur Selbsthilfe“. Heute ist die DATEV ein global tätiges Softwarehaus und ein IT-Dienstleister für Steuerberater, Rechtsanwälte und Wirtschaftsprüfer. Sie beschäftigt 5 700 Mitarbeiter und erzielt einen Jahresumsatz von über 670 Millionen Euro. Gegründet wurde die DATEV 1966 in Nürnberg als genossenschaftliche Organisation von Steuerbevollmächtigten. Den Anstoß dafür gaben für den Initiator, den Nürnberger Steuerbevollmächtigten Heinz Seliger, der Arbeitskräftemangel der Wirtschaftswunderjahre und die geplante Einführung der Mehrwertsteuer. Mithilfe der DATEV sollten für die zumeist mittelständischen „Genossen“ die neuen Einsatzmöglichkeiten der EDV erschlossen werden. 1968 verlegte die DATEV ihren Sitz an die Fürther Straße und mietete Räume im ehemaligen Fabrikgebäude der „Nürnberger Schraubenfabrik“ (NSF). Hier, an der Fürther Straße 101, hatte seit 1889 die „älteste und größte Fabrik dieser Branche in ganz Bayern“ ihren Sitz, wie eine Firmenschrift der „Nürnberger Schraube“ betont. Die Rüstungsproduktion im Ersten Weltkrieg hatte für einen erneuten Wachstumsschub gesorgt, eine Niederlassung in Berlin wurde eingerichtet. In Nürnberg kam zur Herstellung von Schrauben und Kleinteilen aller Art die Fertigung mechanischtechnischer Radioteile und Komponenten. Und als die NS-Machthaber ihr wichtigstes Propagandamedium, den „Volksempfänger“, massenhaft zu produzieren begannen, waren fast immer auch Komponenten aus der Fürther Straße dabei – keine „GoebbelsSchnauze“ ohne NSF. Das Geschäft florierte. Die jüdischen Eigentümer der NSF sollen anfangs gezielt jüdische oder anderweitig bei den Machthabern unliebsame Mitarbeiter beschäftigt und diesen damit gewissermaßen Schutz geboten haben, doch das ging nicht lange gut. Bald sahen sich die NSF-Inhaber Diskriminierungen und Bedrohungen durch die Nationalsozialisten ausgesetzt. 1938 wurden sie gezwungen, ihr Unternehmen an die Berliner Ludwig Loewe & Co. A.G. zu verkaufen. 1941 fusionierte die zwischenzeitlich vollständig auf Rüstungsproduktion umgestellte NSF mit der AEG. 1945 wurde das Fabrikareal durch alliierte Bomben schwer beschädigt. Nach Kriegsende und Wiederaufbau konnte für einige Jahre an die erfolgreiche Geschäftslage der Vorkriegszeit angeknüpft werden, bis die Krise in der Nürnberger Metallindustrie auch auf die NSF durchschlug. Die Gute Hoffnung Hütte übernahm die NSF und verlagerte die Produktion nach Schwerte. 1968 mietete dann die DATEV erstmals Räume in der ehemaligen Schraubenfabrik. Ständig wachsender Raumbedarf führte 1976 zum Erwerb des gesamten Gebäudekomplexes. Aus der Schraubenfabrik wurde ein Rechenzentrum. Und dessen Expansion ging weiter: 1969 wurde der erste eigene Großrechner feierlich in Betrieb genommen. Zuvor waren die von den DATEV-Mitgliedern per Post eingesandten Lochstreifen bei der IBM verarbeitet worden. 1974 löste schließlich das Magnetband die Lochstreifen als Datenträger ab. Noch erfolgte die Daten übertragung über Fernsprechleitungen, zwei Jahre später wurde ein eigenes bundesweites Netz zur Datenfernübertragung eingerichtet. Am Ende des Jahrzehnts war das Areal der ehemaligen Schraubenfabrik für die rasch wachsende DATEV bereits wieder zu klein geworden. Man richtete den Blick nun auf die Gebäude der ehemaligen Spielwarenfabrik Schuco, schräg gegenüber an der Fürther Straße. Auch hier soll ein Blick in die Geschichte den strukturellen Wandel beleuchten. DIE STRECKE DES ADLERS Ab Juni 1933, einen Monat bevor das Gerät auf den Markt kam, wurde mit diesem Plakat für den Volksempfänger in den Schaufenstern geworben. Das Firmenschild mit dem bekannten Schriftzug am Schuco-Gebäude in der Fürther Straße. Sammler-Raritäten: Der marschierende „Automato“-Bär von 1914, ein kleiner Blechflieger aus den 1930er-Jahren, das berühmte Garagenauto und die Servicestation, beide 1950er-Jahre. Das Studio-Auto 1050 war das meistverkaufte SchucoAuto überhaupt. Seit 1936 auf dem Markt, wurde es über 40 Jahre hinweg produziert. 51 52 DIE STRECKE DES ADLERS Der Schuco-Neubau an der Fürther Straße, aufgenommen 1953. Nürnbergs Tradition als Spielzeugstadt reicht über Jahrhunderte zurück bis in die Zeit, als sich in der Noris die alten Handelswege kreuzten, auf denen der „Nürnberger Tand“ in alle Welt ging. Im Verlauf der Industrialisierung entwickelte sich Nürnberg dann zu einer Hochburg der Spielwarenindustrie. Das Nürnberger Blechspielzeug eroberte in wenigen Jahrzehnten den Weltmarkt. Der wohl bekannteste Nürnberger Spielwarenhersteller war Schuco (Kurzbezeichnung aus Schreyer & Co.). 1912 gegründet vom Kaufmann Heinrich Schreyer und dem Erfinder, Techniker und Unternehmer Heinrich Müller, begann der rasante Aufstieg von Schuco, beispielsweise mit lauffähigen Figuren, die − passend zur Zeit − militärische Bewegungen vollführen konnten. Hinter all den vielen kreativen und erfolgreichen Schuco-Spielzeugen steckte der innovative „Kopf “ Heinrich Müller. Nicht zuletzt dank seiner langjährigen Tätigkeit in den Bing-Werken kannte er die Erfordernisse der Branche ganz genau und entwickelte eine erfolgreiche Blechspielzeugfigur nach der anderen. Zahlreiche Nürnberger Spielwarenhersteller überlebten die Nachkriegsjahre und wirtschaftlichen Krisen der 1920er-Jahre nicht. Bei den stark exportorientierten Schuco-Werken verlief die Geschäftsentwicklung dagegen fast explosionsartig. Akuter Raumnotstand führte so 1928 zum Erwerb einer ehemaligen Schuhfabrik an der Fürther Straße 28−32. Bald hielt das Auto Einzug in die Schuco-Spielzeugwelt. Das legendäre „Wendeauto“ überfuhr dank ausgeklügelter Technik nie die Tischkante – und war mit dem Verkaufspreis von nur einer Mark für jeden Geldbeutel erschwinglich. Entworfen nach dem Vorbild des Mercedes Silberpfeil, war das steuerbare „Fahrschul-Auto Schuco-Studio“ ein „hightec-Leckerbissen“, der noch heute die Sammler elektrisiert. Auf fast 6 000 m² Produktionsfläche wurden an der Fürther Straße nun aus 101 Einzelteilen täglich 8 000 Silberpfeile zusammengebaut. Mit Kriegsausbruch 1938 kam die Spielzeugfabrikation rasch zum Erliegen. Auch bei Schuco wurden nun Handgranaten, Minen und „kriegswichtige“ Kleinteile gefertigt. Bald nach Kriegsende erreichte Schuco wieder eine marktbeherrschende Stellung für technisches Spielzeug. 1952 wurde die Fabrik an der Fürther Straße um- und ausgebaut. Dabei entstand das sechsstöckige Gebäude, das mit seiner breiten Durchfahrt in der Mitte und der mit viel Glas gestalteten Fassade das Straßenbild an dieser Stelle noch heute prägt. Seit dem Tod Heinrich Müllers 1958 fehlten bei Schuco innovative Neuentwicklungen ebenso wie kreatives Aufgreifen neuer Trends. Um 1966 stellte man zwar auf Plastikspielzeug und Zinkdruckguss um, aber der alte Erfolg stellte sich nicht mehr ein. Zehn Jahre später musste die Nürnberger Traditionsfirma Konkurs anmelden. Viel zu lange hatte man am Blechspielzeug festgehalten und den Siegeszug des Plastikspielzeugs als vorübergehenden Trend fehlinterpretiert. 1978 wurde das Gebäude an der Fürther Straße versteigert, die DATEV erhielt den Zuschlag. Nach Plänen des Architekten Sepp Ruf wurde nun aus der ehemaligen Spielzeugfabrik ein Bürogebäude, das bis heute gelegentlich als „Schuco-Gebäude“ bezeichnet wird. Mitte der 1980er-Jahre wurden die Personalcomputer leistungsfähiger, DATEV baute die vorteilhafte Verbindung von zentralem Rechenzentrum mit dezentralen PCs weiter aus und blieb mit diesem Modell auf Erfolgskurs. Weitere Standorte in Nürnberg folgten Das modernisierte, erweiterte DATEV-Gebäude 2009. ebenso wie bundesweit fast 200 so genannte Systemhäuser zur datentechnischen Betreuung der Genossenschaftsmitglieder vor Ort. Im Jahr 2000 wurde der Zugang zum Internet-Portal der DATEV freigegeben. Damit verlagerte sich fast alles ins „worldwide-web“, womit die Problematik der Datensicherheit verstärkt in den Vordergrund trat. Seit 2003 hat jeder „Genosse“ Internetzugang zum Rechenzentrum. Dabei gilt es, die Daten nicht nur vor unbefugtem Zugriff zu schützen, sondern auch die Speicherung und die Archivierung der Datenmassen sind große technische Herausforderungen: sensible Daten und zentrale Rechner in nahezu sauerstofffreier Umgebung – da kann nun wirklich nichts anbrennen. Um den Unternehmenserfolg zu sichern, versucht die DATEV neue Geschäftsfelder zu erschließen. Eigene „Trend-Scouts“ gehen aktuellen Entwicklungen in den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen nach. Auf diese Weise sollen Entwicklungen frühzeitig erkannt werden, damit man mit den entsprechenden Produkten reagieren kann und immer vorne dabei ist. M. m. Alles elektrisch, 100 Jahre AEG Hausgeräte, Jubiläumsschrift AEG und Centrum Industriekultur, o. J.; Aufriss 5, Die Fürther Straße, Centrum Industriekultur; DATEV-Chronik, 2005; Der Fall AEG, Sonderbeilage der Nürnberger Nachrichten, 2006; Der AEG Streik in Nürnberg, hg. von der IG-Metall, 2006; Nürnberger Geschichte rund um die DATEV, Firmenchronik, o.J.; Vollmer, Raimund: Das Milliarden-Mandat – Die Geschichte der DATEV, Frankfurt 1991 DIE STRECKE DES ADLERS Beim Application Service Providing (ASP) kommen im Nürnberger Rechenzentrum der DATEV windows-basierte Server zum Einsatz. Als Komplettlösung enthält DATEVasp Dienstleis tungen von der Bereitstellung der Server und des Betriebssystems bis zum Management der IT-Infrastruktur. Dazu gehören beispielsweise Server- und Netz-Monitoring, die Wartung und Administration der Server genauso wie das Einspielen der Software-Updates und die Datensicherung. Dieser Roboter sichert Daten von Kunden, die ihre Anwendungen im ASP von DATEV betreiben lassen. Abenddämmerung über der Fürther Straße, aufgenommen von der Dachterrasse des PlärrerHochhauses, 2009. Am Großrechner im Rechenzentrum des Nürnberger IT-Dienstleisters laufen Daten von über 39 000 DATEV-Mitgliedskanzleien und deren Mandanten zusammen. Unter anderem werden dort die Finanzbuchführungsdaten von rund 2,5 Millionen der meist mittelständischen Unternehmen in Deutschland verarbeitet und gespeichert. Der Großteil der 9,5 Millionen Lohn- und Gehaltsabrechnungen verlässt jeden Monat das DATEV-Rechen-, Druck- und Versandzentrum. Im Application-Control-Center haben die Mitarbeiter die Prozesse im DATEV-Rechenzentrum jederzeit sicher im Griff. Alle wichtigen Informationen aus der Online- und Batchverarbeitung laufen dort auf einer Großbildtechnik zusammen, die jede Abweichung vom Normalbetrieb umgehend anzeigt. 53 54 eise n b a h n i n b a y er n Eisenbahn in Bayern Die Entwicklung des Hauptbahnnetzes 1835 bis 1880 D ie 1835 eröffnete kurze Bahnstrecke Nürnberg—Fürth gilt als Keimzelle des bayerischen und deutschen Eisenbahnnetzes. Mit ihr begann eine neue Epoche, das „Eisenbahnzeitalter“. Die Eisenbahn verdrängte Fuhrwerke und Kutschen bald von den wichtigsten Verkehrsrouten, weil sie die herkömmlichen Verkehrsmittel an Schnelligkeit, Bequemlichkeit und vor allem an Beförderungskapazität übertraf. Diese früh absehbare Entwicklung führte dazu, dass von staatlicher Seite schon 1836/37 grundlegende rechtliche Voraussetzungen für den Bahnbau größeren Stils geschaffen wurden. Die Regierung sicherte sich die Möglichkeit der Einflussnahme auf die Streckenführung. Für alle Bahnbauten wurden Auflagen wie etwa Genehmigung der Tarife und gleiche Spurweite festgesetzt. Das Enteignungsgesetz von 1837 ermöglichte die Zwangsenteignung von Grundstücken für öffentliche Zwecke, wozu auch die „Errichtung von Eisenbahnen zur Beförderung des inneren oder äußeren Handels und Verkehrs“ gehörte. 1843 Übergang zum Staatsbahnprinzip Die erste längere bayerische Bahnstrecke von München nach Augs burg ging noch auf Privatinitiative zurück. Sie wurde von einer 1835 von Münchner und Augsburger Banken und Handelshäusern gegründeten Aktiengesellschaft gebaut und 1840 eröffnet. Im Jahr 1843 ging man in Bayern zum Staatsbahnprinzip über. Schon 1841 hatten Bayern, Sachsen und Sachsen-Altenburg einen Vertrag über den Bau einer grenzüberschreitenden Eisenbahn von Nürnberg über Bamberg und Hof nach Leipzig geschlossen. 1844 wurde als erste staatliche Strecke die Bahn Nürnberg—Erlangen—Forchheim—Bamberg eröffnet und die München-Augsburger Bahn durch den Staat erworben. Ein Jahrzehnt später waren die Ludwigs-Nord-Süd-Bahn Hof—Neuenmarkt—Lichtenfels—Bamberg— Nürnberg—Gunzenhausen—Nördlingen—Donauwörth—Augsburg—Buchloe—Kaufbeuren—Kempten—Immenstadt—Lindau (1844–1853), die Ludwigs-West-Bahn Bamberg—Schweinfurt— Würzburg—Gemünden—Aschaffenburg—Kahl (1852/54) mit Weiterführung nach Frankfurt und die Staatsbahnstrecke Augsburg— Ulm (1853/54) fertig gestellt. 1854 wurden die Strecken München/ Pasing—Starnberg und München—Großhesselohe eröffnet. Die Fortsetzung der Maximilians-Bahn von Großhesselohe über Deisenhofen, Holzkirchen und Aibling nach Rosenheim folgte erst 1857. Damit waren die wichtigsten nord- und südbayerischen Städte an das Staatsbahnnetz angeschlossen und gute Verbindungen in das Gebiet des Deutschen Zollvereins, nach Leipzig, Berlin, Frankfurt am Main und Stuttgart hergestellt, während Anbindungen an Böhmen und Österreich, nach Prag und Wien, noch gänzlich fehlten. Ostbayern blieb bis 1859 eine viel beklagte „Eisenbahnwüste“. Der lange Weg zur Erschließung der „Eisenbahnwüste“ Ostbayern Den Initiatoren der Nürnberg-Fürther Eisenbahn war es von Anfang an um die Realisierung einer Strecke Würzburg—Nürnberg—Regensburg—Passau, also einer Nordwest-Südost-Achse durch Bayern als Verbindung zwischen Westeuropa und Vorderasien, gegangen. Der große Erfolg der ersten kurzen Strecke führte dazu, dass die Ludwigs-Eisenbahn-Gesellschaft schon 1836 ihr ursprüngliches Projekt wieder in Angriff nahm. Zusammen mit Bürgern der Städte Regensburg und Würzburg richtete sie eine Bittschrift an den König, in der sie die internationale Bedeutung dieser Strecke und die vorteilhaften Wirkungen auf den Kanalverkehr im Hinblick auf die Warenzufuhr und die Ergänzung des Kanals durch schnellen Transport herausstellte. Das aufwändige Großprojekt war jedoch aus verschiedenen Gründen zunächst nicht realisierbar. Mit der Gründung des Deutschen Zollvereins 1834 verstärkte sich die wirtschaftliche Ausrichtung Bayerns nach Norden und Westen. Zudem war der seit 1825 regierende König Ludwig I. zwar an den Eisenbahnplänen interessiert, doch bevorzugte er als Verbindung zwischen Donau und Main den seit 1835 in Bau befindlichen Donau-Main-Kanal. Dieses Lieblingsprojekt des Königs sollte nicht von Anfang an durch eine konkurrierende Eisenbahn zwischen Nürnberg und Regensburg belastet werden. Viele Bittschriften aus der Region führten lange nicht zum Ziel und als sich dann die Erkenntnis durchsetzte, dass der 1846 eröffnete Kanal den Verkehrsbedürfnissen in keiner Weise gerecht werden konnte, fehlten der Staatskasse die nötigen Mittel. eise n b a h n i n b a y er n Ein sensationeller Fund bei Bauarbeiten im Landtag 1998: Diese voll funktionsfähige Lokomotive mit der Aufschrift „Blochmann Dresden 1838“ samt Tender hatte König Maximilian II. am 6. Oktober 1857 in den Grundstein des Bayerischen Landtags einmauern lassen. Das hervorragend erhaltene Modell war in Vergessenheit geraten. Es zeigt uns heute, wie sehr die Eisenbahn für das 19. Jahrhundert steht. Die Eröffnung der Eisenbahnlinie Augsburg—München am 4. Oktober 1840 war ein Großereignis. Die Skizze zeigt den Entwurf der eindrucksvollen Ehrenpforte, die an der Lechbrücke errichtet wurde. Und es sei erwähnt, dass auch der damals noch gänzlich unbekannte Dichter Gottfried Keller, der sich zu dieser Zeit in München als Maler ausbilden lassen wollte, einmal eine Vergnügungsfahrt mit Kommilitonen von München nach Augsburg unternommen hat. 55 56 eise n b a h n i n b a y er n Das Aquarell von Albert Emil Kirchner von 1859 zeigt den ersten Bahnhof in Landshut. Abkehr vom Staatsbahnprinzip 1855 Die Durchführung von Bahnprojekten scheiterte um die Mitte des 19. Jahrhunderts vor allem an der allgemein schlechten Finanzlage des Staates. Die geringen Staatsbahnerträge ließen den Ausbau des Streckennetzes nicht lukrativ erscheinen. Hatte die bayerische Regierung unter Minister von Abel noch 1845 eine Übergabe des Bahnbetriebs in private Hände völlig ausgeschlossen, so zeichnete sich ein Jahrzehnt später ein Gesinnungswandel ab. Die Entwicklung des Streckennetzes und die wichtige Anbindung an die Nachbarländer konnte nur durch die Abkehr vom Staatsbahnprinzip vorwärts gebracht werden. Und die Zeit drängte, da 1851 in einem Staatsvertrag mit Österreich die Vorbereitung einer Strecke Nürnberg—Regensburg—Linz vereinbart worden war. Die rechtlichen Voraussetzungen für die Gründung der Ostbahngesellschaft schufen die Bestimmungen vom 20. Juni 1855 über die Erbauung von Eisenbahnen. Nun konnten von Privatleuten gebildete Vereine nach Erlangung einer staatlichen Konzession für Projektierung, Bau und Betrieb Eisenbahnlinien bauen. Der Ostbahngesellschaft stand nichts mehr im Weg. Vertreter der Städte Nürnberg, Fürth, Regensburg und Amberg trafen konkrete Vorbereitungen. Der Industrielle und Kaufmann Theodor von Cramer-Klett und der Regensburger Großhändler Georg Neuffer sollten als Bevollmächtigte der Städte mit den Bankiers von Hirsch und von Eichthal gleichberechtigt ein Konzessionsgesuch für die Bahn Nürnberg—Amberg— Regensburg einreichen. Als fünfter Konzessionsträger sollte Staatsrat von Hermann hinzukommen. In den folgenden Monaten konnten weitere Interessenten gewonnen und die Verhandlungen mit der Staatsregierung abgeschlossen werden. Rechte und Pflichten einer privaten Bahnbaugesellschaft wurden per Gesetz vom 19. März 1856 allgemein geregelt. Die Gründung der Ostbahngesellschaft 1856 Unter Beteiligung der Königlichen Bank in Nürnberg, des Hauses Thurn und Taxis, der Bankiers Eichthal (München), Hirsch (Würzburg), Rothschild (Frankfurt) und Bischofsheim (Brüssel) sowie der Städte Nürnberg, Fürth, Regensburg und Amberg wurde am 12. April 1856 die Ostbahn-Aktiengesellschaft gegründet. Die Konzession bezog sich zunächst auf Bau und Betrieb der Eisenbahnen von Nürnberg über Amberg nach Regensburg, von München über Landshut an die Donau, von Regensburg über Straubing nach Passau an die Landesgrenze und von der Amberg—Regensburger Linie an die böhmische Grenze. Die Bauzeit war auf sieben Jahre befristet. Die Ostbahngesellschaft erhielt eine staatliche Zinsgarantie von 4 1/2 Prozent. Das Grundkapital der Gesellschaft war auf 60 Millionen Gulden festgesetzt. Davon waren fünf Millionen Gulden zur öffentlichen Zeichnung aufgelegt. Da es sich um eine sichere Investition handelte, war die Nachfrage nach den Aktien (je 200 Gulden) sehr groß. Nach einem bestimmten Verteilungsschlüssel erhielt der Privataktionär bei einer gezeichneten Aktie eine halbe, bei 250 gezeichneten zehn Aktien. Einer der Hauptaktionäre, Fürst von Thurn und Taxis, sicherte sich sofort vier Millionen Gulden und ein Optionsrecht auf weitere acht Millionen Gulden. Am 14. Juli 1856 genehmigte König Maximilian II. den Verlauf der Bahnlinie von Nürnberg über Lauf, Hersbruck, Sulzbach, Amberg, Schwandorf, Regenstauf nach Regensburg, behielt sich aber Änderungen der Trasse vor, falls dies wegen des Anschlusses der Bahn nach Pilsen erforderlich würde. Die längere Bahn über Schwandorf bot gegenüber der Alternativstrecke durch das Naab- und Vilstal – ohne beträchtliche Mehrkosten – den Vorteil, dass sie dem Haupthandelsweg von Regensburg in die Oberpfalz und nach Oberfranken eise n b a h n i n b a y er n Die ausgedehnten Bahnanlagen in Furth im Wald wurden von der Bayerischen Ostbahn und der Böhmischen Westbahn gleichermaßen genutzt. Längst hat der Bahnhof – hier ein Aquarell von Albert Emil Kirchner von 1862 – seine frühere Bedeutung als personalintensive Zoll- und Wechselstation verloren. folgte und die einzigen Bodenschätze der Oberpfalz, die Braunkohlelager im Sauforst bei Burglengenfeld und die Eisenerzlager bei Sulzbach und Amberg, berührte. In militärischer Hinsicht bot die Bahn über Schwandorf eine wichtige strategische Operationsbasis in Richtung Bayerischer Wald und Böhmen. Vorarbeiten für die wichtige Bahnverbindung zwischen München und der Donau waren schon 1853 in einem Gesetzentwurf beschlossen worden. Es standen drei Trassen zur Diskussion: von München dem Isartal folgend über Landshut nach Plattling, von München über Landshut nach Straubing oder von München über Landshut nach Regensburg. Die Ostbahngesellschaft übernahm die bis 1856 durchgeführten staatlichen Projektierungsarbeiten und setzte in der Trassenführung die kostengünstigste Kompromisslösung durch, die Gabel von Geiselhöring. Die Ostbahnstrecke München—Landshut konnte schon am 3. November 1858 eröffnet werden, die Strecke Nürnberg—Amberg—Regensburg—Geiselhöring—Landshut ging am 12. Dezember 1859 in Betrieb. Die Weiterführung der Strecke von Geiselhöring über Straubing nach Passau wurde am 20. September 1860 dem Verkehr übergeben. Schon im folgenden Jahr wurde die Personenschifffahrt zwischen Regensburg und Passau eingestellt; der Transport auf dem Wasser spielte nur im Massengüterverkehr weiter eine wichtige Rolle. Im September 1862 wurde die erst 1846 gegründete Königlich Bayerische Donau-Dampfschifffahrt einschließlich ihrer Werft und Werkstätten in Regensburg an die Österreichische Donau-Dampfschifffahrts-Gesellschaft verkauft, die sich zur Übernahme der Personenschifffahrt bis Donauwörth verpflichtete, solange es noch keine Eisenbahn dorthin gab. An die Linie Regensburg—Amberg—Nürnberg wurde bei Schwandorf die über Cham und Furth im Wald nach Pilsen und Prag führende Strecke angeschlossen und 1861/62 eröffnet. Die im Wiener „Figaro“ vom 19.10.1861 erschienene Karikatur ist anspielungsreich: Der bayerische und der böhmische Löwe – beide Länder haben ihn als Wappentier – stoßen mit Bier, das sowohl Bayern wie Böhmen als ihr je ureignes Nationalgetränk für sich reklamieren, auf die Eröffnung der neuen Eisenbahnverbindung an. Die etwas gezwungen wirkende Annäherung mag auch ein Hinweis auf Unstimmigkeiten sein, da die Tschechen sich provoziert fühlten, dass die Eröffnungslokomotive den Namen „Pilsen“ nur in deutscher Schreibweise trug und auch die Bahnverwaltung in Böhmen angeblich nur mit deutschstämmigem Personal besetzt werden sollte. 57 58 eise n b a h n i n b a y er n Böhmische Kohle für Bayern Die Anbindung nach Böhmen war besonders für die Kohleversorgung Bayerns wichtig. Erst böhmische Kohle schuf die Voraussetzung für die moderne oberpfälzische Eisenhüttenindustrie. Die Hauptstandorte lagen unmittelbar an Ostbahnlinien: die Maxhütte bei Haidhof und in Sulzbach-Rosenberg, die staatlichen Hüttenwerke in Amberg (seit 1911 Luitpoldhütte) und Bodenwöhr. Die Böhmerlinie über Schwandorf und Furth im Wald sicherte die Kohle- und Holzversorgung dieser Großunternehmen. Die Maxhütte arbeitete aber neben der böhmischen Braunkohle auch um 1865/66 schon mit Steinkohle aus Zwickau und nach 1870 vermehrt mit Saarkoks, der mit der pfälzischen Ludwigsbahn nach Ludwigshafen und von dort ins rechtsrheinische Bayern verfrachtet wurde. Nach Fertigstellung der 1856 genehmigten Bahnen verblieb der Ostbahngesellschaft ein Kapital von 1,5 Millionen Gulden. Deshalb erhielt sie 1861 die Konzession zum Bau der Strecken Schwandorf (Irrenlohe)—Weiden, Weiden—Bayreuth (beide 1863 eröffnet) und Weiden—Eger (1864/65 eröffnet). Damit war eine weitere, für die Kohleversorgung wichtige Bahnverbindung nach Böhmen geschaffen. Auch der Personenverkehr in die böhmischen Bäder lief über Eger. Die nördliche Oberpfalz war mit der Kreishauptstadt Regensburg verbunden, der Verkehr mit Oberfranken, Sachsen und Thüringen beträchtlich erleichtert. Weitere Grenzübergänge nach Österreich waren inzwischen durch die Staatsbahn realisiert worden. Von Rosenheim aus konnte man 1858 weiter nach Kufstein, ab 1860 auch über Endorf, Prien, Traunstein und Freilassing nach Salzburg fahren. Damit war die durchgehende Eisenbahnverbindung von Paris über München nach Wien hergestellt. Eine Reise von München nach Paris dauerte mit Übernachtung in Karlsruhe und mehrmaligem Wechsel der Eisenbahngesellschaft 40 Stunden. Neben den Staatsbahnen und Ostbahnen wurden meist auf Initiative von Städten auch einige Pachtbahnen realisiert. Die privaten Bahngesellschaften bauten die Strecke und verpachteten sie an den Staat, bis die Baukosten gedeckt waren. So entstanden auf Betreiben der Stadt Memmingen die sehr erfolgreiche Linie Ulm—Memmingen— Kempten (1862/63 eröffnet, 1876 vom Staat übernommen) und durch das Engagement der Stadt Deggendorf eine Bahnverbindung nach Plattling (1866). Weitere Pachtbahnen waren unter anderem die Strecken München—Starnberg, Starnberg—Penzberg, Tutzing—Peißenberg, Holzkirchen—Miesbach. Die aus dem Jahr 1860 stammende Ansicht der Stadt Schwandorf von Carl Loritz zeigt im Vordergrund die Eisenbahnbrücke über die Naab. Ausbau des Bahnnetzes und Abkürzungslinien In den 1860er- und 1870er-Jahren wurde das Hauptbahnnetz weiter ausgebaut. Man hatte erkannt, dass die bestehenden Bahnstrecken einen für den Durchgangsverkehr ungünstigen Verlauf hatten. War es bei den ersten Bahnlinien darum gegangen, möglichst viele größere Orte zu berühren, so sah man nun die Notwendigkeit, Abkürzungslinien zwischen den größeren Städten zu schaffen. Dadurch ergaben sich volks- und betriebswirtschaftliche Vorteile. Wichtige neue Staatsbahnen waren die Abkürzungsstrecken Nürnberg/ Fürth—Neustadt a. d. Aisch—Kitzingen—Würzburg (1865) und Gunzenhausen—Treuchtlingen—Eichstätt—Ingolstadt (1869/70). Die Ostbahn AG wollte in ihrem Verkehrsgebiet auch staatlichen Konkurrenzlinien zuvorkommen. Die 1873 fertig gestellte direkte Bahnlinie Regensburg—Neumarkt—Nürnberg brachte besonders für den Durchgangsverkehr von Österreich nach Westdeutschland Vorteile. Die Abkürzungslinien Neufahrn—Obertraubling und Straubing—Sünching (beide 1873) verbesserten die Bahnverbindungen München—Regensburg und Regensburg—Straubing; die Gabel von Geiselhöring verlor damit ihre Bedeutung. Auch die wichtige, 1875 eröffnete Verbindung Mühldorf—Neumarkt St. Veit— Landau—Plattling wurde noch von der Ostbahn gebaut. Wieder mehr Staatsbahnbau – Verstaatlichung der Ostbahnen 1875 Seit Anfang der 1870er-Jahre engagierte sich der Staat wieder stärker im Bahnbau. Wichtige neue Staatsbahnstrecken waren die Linien München—Markt Schwaben—Dorfen—Mühldorf—Neuötting— Simbach (1871), München—Grafing—Rosenheim (1871), München—Geltendorf—Kaufering—Buchloe—Türkheim—Mindelheim—Ungerhausen—Memmingen (1872/74), die Donautalbahn Regensburg—Ingolstadt—Donauwörth (1874) mit Weiterführung nach Dillingen, Gundelfingen und Neuoffingen (1876/77) und die Verbindung Ingolstadt—Augsburg (1875). Bald nach Eröffnung der Donautalbahn wurde der Schiffsverkehr auf der oberen Donau eingestellt. Auch Mittelgebirgslandschaften mit bautechnisch schwierigem Gelände wurden zunehmend erschlossen (1871 Schweinfurt— Bad Kissingen, 1872 Gemünden—Jossa, 1874 Ebenhausen—Bad Neustadt a. d. Saale—Mellrichstadt, 1877 Deggendorf—Zwiesel— Bayerisch Eisenstein mit Anschluss nach Klattau/Böhmen, 1877/79 Nürnberg—Schnaittach—Ranna—Schnabelwaid—Kirchenlaibach— Neusorg—Marktredwitz—Schirnding, 1883 Fortsetzung bis Eger). Da das Nebeneinander von Staatsbahnen und Ostbahnen zu Problemen in der Streckenplanung sowie im Bau und Betrieb führte und auch allgemeine politische und wirtschaftliche Erwägungen dafür sprachen, entschloss sich die bayerische Regierung 1875, die Ostbahnen mit einem Streckennetz von fast 800 Kilometern zu verstaatlichen. Bis Mitte der 1870er-Jahre hatten sich neben den frühen bayerischen Eisenbahnverkehrszentren München, Nürnberg und Augsburg auch Regensburg, Würzburg, Buchloe, Gunzenhausen, Ingolstadt, Holzkirchen, Rosenheim und Schwandorf zu wichtigen Eisenbahnknotenpunkten entwickelt. eise n b a h n i n b a y er n 59 Die von Moritz von Schwind gestaltete Karte zur festlichen Eröffnung der Bahnlinie München—Salzburg im August 1860 zeigt den bis 1849 erbauten Münchner Zentralbahnhof des Architekten Friedrich Bürklein (1813–1872), der auch die Münchner Maximiliansstraße, das Maximilianeum und eine ganze Reihe von bayerischen Bahnhöfen plante. Ein Festessen und eine Galavorstellung im Münchner Hoftheater bildeten den feierlichen Rahmen des Ereignisses. Schützenscheibe der Kgl. Priv. Schützengesellschaft Mainbernheim zur Eröffnung der Bahnlinie Nürnberg— Würzburg. 60 eise n b a h n i n b a y er n Vizinal- und Lokalbahnen B eim Aufbau des weitmaschigen Hauptbahnnetzes orientierte man sich, von anderen übergeordneten Erwägungen abgesehen, am Verkehrsaufkommen. Wirtschaftlich bereits begünstigte Orte bzw. Gegenden wurden weiter gefördert, während abseits der Eisenbahn gelegene Ortschaften zurückblieben. Diese Entwicklung zu verbessern war das Hauptmotiv für den Ausbau des Vizinal- und Lokalbahnnetzes. Zwischen den Hauptlinien sollten Querverbindungen hergestellt werden, Stichbahnen sollten bahnferne Gebiete mit dem Hauptbahnnetz verknüpfen und damit wirtschaftlich erschließen. Zugleich konnte eine weitere Verdichtung des Bahnnetzes das Verkehrsaufkommen auf den Hauptlinien fördern. In vielen Fällen erfüllten sich die Hoffnungen nicht, da gerade Stichbahnen die Entleerungstendenzen zugunsten eines Bahnknotenpunktes begünstigten. Hinzukam, dass der Lokalbahnbau und -betrieb durch gesetzliche Hürden und zusätzliche finanzielle Belastungen behindert war. Erste Regelungen enthielt das Vizinalbahngesetz von 1869. Artikel 2 legte fest, dass Bahnverbindungen von lokaler Bedeutung nur dann Aussicht auf Unterstützung hätten, wenn der Grunderwerb und sämtliche Erdarbeiten ohne Inanspruchnahme staatlicher Gelder gesichert seien, also von den Bahninteressenten selbst finanziert würden. Um die zahlreichen Wünsche nach einem Bahnanschluss schneller erfüllen zu können, sollten die Vizinalbahnen einfacher ausgestattet werden, aber um den Güterverkehr nicht zu beeinträchtigen, volle Spurweite erhalten. Ein Vizinalbahnfonds wurde gebildet, aus dem die staatlichen Baukosten zur Hälfte gedeckt werden konnten. Bis 1876 erhielten nur 14 Vizinalbahnen eine staatliche Konzession. Die seit 1869 geltenden Regelungen bewährten sich nicht. Die finanziellen Belastungen der Interessenten waren zu groß, manche Gemeinden standen vor dem Ruin. Ende der 1870er-Jahre verstärkte sich die Diskussion um die Änderung des Gesetzes. Das Lokalbahngesetz von 1882 Das 2. Vizinalbahngesetz über die Behandlung der bestehenden Vizinalbahnen und den Bau von Sekundärbahnen von 1882, kurz Lokalbahngesetz genannt, regelte den Bau von untergeordneten Bahnen neu. Die Gemeinden und Privatleute, die in die Vizinalbahnen investiert hatten, erhielten Rückvergütungen. Einen wichtigen Fortschritt brachte Artikel 5. Er legte fest, dass „Bahnen von lokaler Bedeutung … nur dann durch den Staat zur Ausführung kommen, wenn die Interessenten mindestens den für den Bahnbau und dessen Zugehör nötigen Grund und Boden kostenfrei zur Verfügung stellen“. Die Interessenten waren dadurch zwar wenigstens von den Kosten der Erdarbeiten befreit, doch schon der Grunderwerb war eine schwer zu überwindende Hürde. Es bemühten sich ja gerade diejenigen Gemeinden um einen Bahnanschluss, die wirtschaftlich und finanziell deutlich schlechter gestellt waren als diejenigen, die längst vom Bahnverkehr profitierten. Das Gesetz von 1882 regelte noch einige andere Punkte. In Artikel 4 wurde die Verwendung der Überschüsse genau festgelegt und jeder Anspruch der Interessenten auf Teilhabe daran ausgeschlossen. Der Bau privater Lokalbahnen wurde grundsätzlich gestattet; es gab sogar staatliche Zuschüsse dafür (Art. 5). Um Kosten zu sparen galt allgemein: einfachste Konstruktion, vereinfachter Betrieb, niedrigere Fahrgeschwindigkeit als bei Vizinalbahnen, keine Bahnkörperüberwachung. Folgende Einschränkungen waren vorgesehen: „1. Die Bahnen hatten möglichst viele Orte zu berühren, wenn sie dadurch auch mäßig verlängert werden. 2. Ohne wesentliche Nachteile für den Betrieb können größere Steigungen und schärfere Kurven zugelassen werden. 3. Es wird durchaus nur ein Gleis ‚auf currenter Bahn‘ vorgesehen. eise n b a h n i n b a y er n Die Postkartenfotografie – betitelt mit „S.K.H. Prinzregent Luitpold von Bayern und Prinzess Ludwig von Bayern. Abreise von Leutstetten“ – zeigt die zum Zug eilenden hohen Herrschaften, die wohl vom Wittelsbacher Schloss Leutstetten kommen. Der Prinzregent bereiste die entlegensten Gegenden des Königreichs und wurde überall mit „großem Bahnhof“ empfangen. 1898 ließ er einen eigenen Eisenbahn-Salonwagen bauen – viel schlichter als der Prunkwagen König Ludwigs II., der hier in einem in prachtvollem Königsblau gehaltenen Entwurf zu sehen ist. Anlass für liebevollen Spott: Der Schaffner springt schon vor der Lokalbahnstation Oberniedertupfing vom Zug und rennt voraus zum Bahnhof …, denn er ist zugleich Stationsvorstand! Kundendienst – ein Thema damals wie heute. 61 62 eise n b a h n i n b a y er n Der Bahnhof Königsberg i.B. an der 1892 eröffneten Lokalbahn HaßfurtHofheim Im Vordergrund der Ansicht von Martin Brand aus dem Jahr 1880 ist die Paartalbahn zu erkennen. 4. Die Kronenbreite des Bahnkörpers kann wesentlich verschmälert werden. 5. Es genügen leichtere Schienen oder auch ausgewechselte alte der Hauptbahnen. 6. Die Einfriedungen und Schranken lassen sich auf eine geringere Anzahl reduzieren. 7. Nur die frequentesten Überfahrten erhalten Bahnwärterposten. 8. Die Stationen können nach Maßgabe des geringeren Verkehrs kleiner, die Gebäude beschränkter, die Ausweichgleise ganz entbehrt oder kürzer gehalten werden. 9. Es ist weniger und, was die Lokomotiven betrifft, auch billigeres Fahrmaterial anzuschaffen usw.“ (zit. nach Löwenstein 116) Ein Vergleich der Baukosten für die verschiedenen Bahntypen im Jahr 1892 belegt die Effektivität der kostensparenden Maßnahmen: 1 Kilometer Lokalbahn 58000 Mark; 1 Kilometer Vizinalbahn 92000 Mark; 1 Kilometer Hauptbahn 250000 Mark. armung eintreten, weil wir abgeschlossen sind von der Aussenwelt, abgeschlossen von dem öffentlichen Weltmarkte, weil wir dadurch nicht konkurrenzfähig sind. Das sind traurige Thatsachen, das ist ein ‘Nothschrei’ der Bevölkerung des oberen bayerischen Waldes, es ist ein Nothschrei, welcher durch alle Thäler hallt und dort wieder sein Echo findet.“ (Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Verkehrsarchiv 5178, 2. Januar 1884) Von 1884 bis 1896 wurden insgesamt 71 Lokalbahnen genehmigt, im Jahr 1900 weitere 34 und 1904 nochmals 30. Die letzten Lokalbahnen wurden in den 1920er-Jahren fertig gestellt. War eine Lokalbahn einmal in Betrieb, so hatte die von ihr durchzogene Gegend weitere Lasten zu tragen. Zur Deckung der höheren Betriebskosten wurde ursprünglich auf alle Gütertransporte ein Lokalbahnzuschlag erhoben (Juli 1877: je 100 Kilogramm 0,12 Mark bei Eilgut; 0,10 Mark bei Stückgut; 0,06 Mark bei Wagenladungsgütern); Massengüter wie Kohle, Brennholz, Zement, Düngemittel, Sand, Steine wurden im Oktober 1877 vom Zuschlag befreit. Im Vergleich mit Vollbahnen war bei den Lokalbahnen die Masse der zu befördernden Güter und Personen viel geringer und die Transportstrecke meist weitaus kürzer, sodass auch die Einnahmen entsprechend geringer ausfielen. Aus volkswirtschaftlicher Sicht wurden durch den Zuschlag alle auf den Gütertransport durch eine Lokalbahn angewiesenen Betriebe, die schon durch ihre Marktferne wenig konkurrenzfähig waren, zusätzlich belastet. Deshalb wurde 1898 ein reformiertes System der Lokalbahnzuschläge eingeführt: Normaltarife (ohne Zuschlag) sollten auf allen nicht dauernd defizitären Strecken gelten, wenn der Konkurrenz der Fuhrwerke zu begegnen war und bei neu gebauten Bahnen nach dem ersten Betriebsjahr. Infolge dieser dehnbaren Regelungen wurden nach 1898 nur mehr bei acht bayerischen Lokalbahnen Zuschläge erhoben. Trotz aller Nachteile wirkten sich Lokalbahnen insgesamt positiv auf die allgemeine Verkehrssituation aus, wenn auch der Rückstand in der wirtschaftlichen Gesamtentwicklung in der Regel nicht mehr aufzuholen war. Mit dem Einsetzen des Automobilverkehrs entstanden dann neue Rahmenbedingungen, sodass gerade die spät gebauten Lokalbahnen zu den ersten gehörten, die seit den 1960er-Jahren der Stilllegung zum Opfer fielen. Das Lokalbahnfieber setzt ein! Nach der gesetzlichen Regelung des Lokalbahnbaues setzte das Lokalbahnfieber ein, das bis in den Ersten Weltkrieg andauerte. Das Hauptmotiv für den Kampf um eine Lokalbahn war stets die durch die Verkehrsferne bedingte allgemeine wirtschaftliche Notlage einer Region. Der Landtag hatte sich mit einer Flut von Petitionen auseinan derzusetzen. Aus den Bittschriften tönten mitunter dramatische Hilferufe. Die Verfechter der Bahnen sahen sich in historischer Verantwortung für ihre Nachkommen. So heißt es etwa in einer Petition aus Kötzting vom 2. Januar 1884: „Kann es, fragen wir, etwas Trostloseres geben als das Unglück zu haben, in diesem vergessenen Winkel Bayerns zu leben? Sind wir nicht auch Unterthanen des lieben Bayernlandes? ... Zahlen wir unsere Abgaben nicht ebenso gut wie andere Provinzen, welche mit durchziehenden Eisenbahnen und herrlichen Staatsstraßen versehen sind? Wie kann sich unter solchen Verhältnissen Industrie, Handel und Landwirtschaft entwickeln? ... Trotz unseres enormen Reichthumes an Holz, trotz unserer gesegneten Fluren muß eine allmähliche Ver- eise n b a h n i n b a y er n Die liebevoll „Seekuh“ genannte Eisenbahn zwischen Erlangen und Markt Eschenau fuhr durch Dormitz auf der Straße, wobei sie hier den Verkehrsregeln unterworfen war und einer Geschwindigkeitsbegrenzung von 15 km/h unterlag. Die Fotografie wurde um 1960 aufgenommen. Die Postkarte, die 1910 anlässlich der Eröffnung der Lokalbahn Krumbach—Pfaffenhausen— Mindelheim erschien, vermerkt auf der Rückseite praktischerweise den Fahrplan für das Jahr 1911: Viermal am Tag verkehrte der Zug von Krumbach nach Mindelheim und zurück, beginnend mit der Abfahrt um 3.50 in der Nacht und letztmals um 6.40 abends. 63 64 eise n b a h n i n b a y er n Eisenbahnbau und Eisenbahnbauarbeiter D urch den Bahnbau wurden in einer an chronischer Unterbeschäftigung leidenden Gesellschaft über viele Jahrzehnte zahlreiche Arbeitsplätze geschaffen. Einen Eindruck vom Umfang der zu leistenden Arbeiten und der erforderlichen Baumaterialien vermittelt schon der Aufbau des Bahnkörpers. Er besteht aus dem Unterbau und dem Oberbau. Der Unterbau ist der arbeitsintensivste Teil des Bahnbaus. Er umfasst alle Erdarbeiten: Dämme, Einschnitte, Entwässerungen, Böschungsbefestigungen, Stütz- und Futtermauern sowie alle Kunstbauten wie Brücken, Tunnels, Wegübergänge und -unterführungen. Unter dem Oberbau versteht man die eigentliche Fahrbahn, die sich in Bettung, Schienenunterlagen, Schienenbefestigungsmittel und Schienen gliedert. Hinzu kamen zahlreiche Stationsanlagen, Bahnhöfe, Werkstätten, Lagerhäuser, Wohnhäuser für das Personal und Wärterhäuser entlang der Strecken. Auch der Bau von Zufuhrstraßen, die Anpassung des bisherigen Wegenetzes und des Wasser- und Kanalsystems waren erforderlich. Die Ausführung eines Bahnprojekts brachte Absatzmöglichkeiten für vielerlei Baustoffe, aber auch neue Aufträge für die verschiedensten Sparten des Handwerks und der Industrie und einen Aufschwung für die Versorgungsgewerbe. Neben großen Bahnbauunternehmen, die ganze Arbeiterheere für den arbeitsintensiven Unterbau stellten, hatten zahlreiche Handwerksmeister mit oft aufgestocktem Personal Arbeiten besonders an den Bahnstationen übernommen. Im Umfeld des Bahnbaus, in der Innenausstattung der Gebäude und der Züge, fanden Schreiner, Schlosser, Glaser, Lederer, Schneider ein Auskommen. Viele Arbeiter waren für die Bahn in Steinbrüchen, Sand- und Kiesgruben, in der Eisen- und Holzverarbeitung und im Transportgewerbe beschäftigt. Bahnbauspezialisten und Facharbeiter für Gleisbau waren in der Regel bei der Staatsbahn bzw. Ostbahn direkt angestellt. Viele Arbeitsplätze boten auch die Schwellenimprägnieranstalten, so zum Beispiel in Schwandorf. Die wandernden Bahnbaustellen förderten die Flexibilisierung und Mobilisierung des gesamten Arbeitsmarktes. Auch nach Abschluss des Streckenbaus trugen Phasen lebhafter Bautätigkeit wie die Erweiterung von Bahnanlagen, Dienstgebäuden und Werkstätten zu einer breiten Belebung des örtlichen Gewerbes bei. Negative Begleiterscheinungen Der Bahnbau hatte jedoch nicht nur wirtschaftsfördernde Wirkungen. Gerade die überwiegend in der Landwirtschaft tätige Bevölkerung hatte zum Teil unter schwerwiegenden Beeinträchtigungen der bisherigen ökonomischen Abläufe zu leiden. Erst waren in großem Stil Grundstücke abzutreten, dann waren schon während der Projektierung und Aussteckung einer Trasse vielfache Behinderungen der landwirtschaftlichen Arbeiten hinzunehmen. Die Bauarbeiten brachten Flur- und Ernteschäden mit sich; Schadenersatzforderungen waren innerhalb kurzer Fristen anzumelden. Die Bahnstrecken durchschnitten das Wegenetz. Geländeeinschnitte und Dammaufschüttungen veränderten die Landschaft; die Nutzung der Felder und Wiesen war oft nicht mehr möglich. Es verwundert daher nicht, dass der Bahnbau gerade im ländlichen Raum verbreitet auf Ablehnung stieß. Erst nach dem Bau von Bahnübergängen, Unterund Überführungen konnte sich wieder ein geregelter Ablauf des landwirtschaftlichen Verkehrs etablieren. Doch althergebrachte Zusammenhänge waren unwiderruflich durchschnitten, die landwirtschaftlich nutzbare Fläche insgesamt reduziert. Viele Ortschaften wurden durch die Bahn in zwei Teile geteilt, wie dieses Ortsschild bei Amberg zeigt. eise n b a h n i n b a y er n Das Aquarell von Karl Herrle zeigt, wie in mühevoller Handarbeit ein Heer von Arbeitern den berühmten Rentershofener Bahndamm bei Röthenbach-Oberhäuser (Allgäu) erstellt. Die zur Feier der Vollendung am 14. August 1853 gestiftete Schützenscheibe von 1853 spricht von 2000 Arbeitern. Die technischen Leistungen beim Eisenbahnbau wurden häufig auf Postkartenfotografien festgehalten wie hier der Eisenbahnneubau auf der Strecke Viechtach-Blaibach. Eisenbahnschwellen wurden in aufwändiger handwerklicher Arbeit direkt im Wald hergestellt, zunächst mit der Axt geschlagen, dann mit der Gestellsäge besäumt, der Länge nach eingeschnitten, zum Trocknen gestapelt und schließlich abtransportiert. Ein Schwellenhauerbeil fand Eingang in das Gemeindewappen der unterfränkischen Gemeinde Rechtenbach. Es erinnert daran, dass viele Bewohner der waldreichen Spessartgemeinde mit dem Einsetzen des Bahnbaues Mitte des 19. Jahrhunderts als Schwellenhauer und -säger Arbeit fanden. 65 66 eise n b a h n i n b a y er n Die kolorierte Fotografie zeigt die Großbaustelle der 1876 erbauten Deffernikbrücke östlich von Ludwigsthal (bei Zwiesel). Die Eisenbahnbauarbeiter Ein großes gesellschaftliches Problem in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war der Mangel an Verdienstmöglichkeiten für breite Bevölkerungsschichten. Die Armut der wachsenden arbeitslosen Unterschicht, der so genannte Pauperismus, forderte staatliches Handeln. Der Aspekt der Arbeitsbeschaffung wurde schon bei Streckenplanungen vor der Jahrhundertmitte berücksichtigt, denn der Bahnbau schuf in den jeweils berührten Gebieten vorübergehend eine große Anzahl von Arbeitsplätzen. Bahnbaumaßnahmen waren nicht zuletzt ein sozialpolitisches Instrument, Notleidenden den Lebensunterhalt zu sichern. Dieser Aspekt spielte auch in der bayerischen Verkehrspolitik eine Rolle. König Maximilian II. bemühte sich seit 1848 der Not des Proletariats durch große staatliche Baumaßnahmen abzuhelfen. König Ludwig II. sah noch 1869 eine Möglichkeit, dem sehr großen „Nothstand unter der niedern Klasse der Münchener Bevölkerung“ durch „Beschaffung von Arbeitsgelegenheit“ beim Bahnbau entgegenzuwirken (Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Verkehrsarchiv 6408, 20. April 1869). Allein die Tatsache, dass bis in die 1870er-Jahre das bayerische Hauptbahnnetz vollendet werden konnte, zeigt, dass die frühindustrielle Gesellschaft eine große ungenutzte Arbeiterreserve hatte. Die Arbeiter kamen zum Teil aus der näheren Umgebung der Baustellen, zum Teil aus entfernteren Landesteilen und aus benachbarten deutschen Staaten. Auch Ausländer, vor allem Böhmen und Italiener, arbeiteten beim Bahnbau in Bayern; sie waren besonders dann willkommen, wenn nicht genügend einheimische Arbeitskräfte zur Verfügung standen. Neben den wenigen in leitender Funktion tätigen Ingenieuren bildeten die weitaus größere Gruppe die in Bauberufen geübten Handwerker wie Maurer, Zimmerleute, Schlosser, Schmiede, die vor allem bei Brücken-, Damm- und Tunnelbauten und bei der Errichtung der Stationsanlagen beschäftigt waren. Das Gros der Eisenbahnbauarbeiter stellten diejenigen Personen, die Erd-, Transport- und Handlangerarbeiten verrichteten, meist Wanderarbeiter und Taglöhner, die keinen Beruf erlernt hatten oder in ihrem Beruf keine Arbeit fanden. Diese Arbeiter entstammten der Unterschicht Der Eisenbahndamm in Lindau in einer Fotografie von 1902. bzw. wurden ihr zugerechnet, sobald sie beim Bahnbau arbeiteten. Viele hatten keinen festen Wohnsitz und lebten von der Hand in den Mund. Die Armenkassen wurden allgemein häufig in Anspruch genommen, und wenn es nur zur Deckung der Reisekosten bis zur nächsten Baustelle oder zum Heimatort war. Auch Frauen stellten einen beträchtlichen Teil der beim Bahnbau Beschäftigten. Noch in den 1860er-Jahren wurde eine Heiratserlaubnis nur bei gesichertem „Nahrungsstand“ und Ansässigmachung erteilt. Dies führte zwangsläufig dazu, dass viele mittellose Paare ohne Trauschein zusammenlebten. So kam es, „daß tausende von Arbeitern mit ihren Geliebtinen beim Bahnbau sich beschäftigten, und es zur größten Seltenheit zählte, wenn eine ledige Person weiblichen Geschlechtes ohne ihren Geliebten in Arbeit trat; es ist sogar ... Praxis geworden, daß ledige Weibsleute allein gar nicht aufgenommen werden, weil diese erfahrungsgemäß liederliche Dirnen sind, welche nicht selten die Venerie [Syphilis] auf den Bauplätzen verbreiten“. (Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Verkehrsarchiv 6408, 5. Feb. 1870) Ein gesundheitspolitisches Problem war die bahnbaubedingte Verbreitung von Geschlechtskrankheiten. Die vorgeschriebenen Untersuchungen vor Arbeitsaufnahme waren offensichtlich unzulänglich, denn immer wieder traten erkrankte Personen die Arbeit an. Auch die Zunahme von nichtehelichen Geburten wurde dem Eisenbahnbau zugeschrieben. Erst das Gesetz über Heimat, Verehelichung und Aufenthalt von 1868 ließ einen langsamen Rückgang der Konkubinate erwarten. Der Anteil tatsächlich bei Bauarbeiten mitwirkender Frauen dürfte kaum mehr als 15 bis 20 Prozent betragen haben. Ein Bericht des Stadtmagistrats Furth im Wald (Staatsarchiv Amberg, BA Cham 1104, 20. Aug. 1859) wirft ein Schlaglicht auf die soziale Lage der Bahnbauarbeiter: „Von den auf Grund erlangter Arbeiter-Aufnahme- u[nd] ärztlicher Visitationskarten mit landgerichtl[ichen] Aufenthalts-Karten für den Stadtgemeinde-Bezirk Furth versehenen Weibspersonen benützt ein großer Theil diese Karten lediglich nur zum Aufenthalte dafür (:bei ihren Liebhabern:) ohne alle Arbeit, wie dieß bei Eva Hammer und Barbara Lang, welche seit ihrem Hiersein ohne Arbeit sind, und wovon die erstere erst jüngst, die letztere vor 6 Wochen unehel[iche] Kinder, diese noch eise n b a h n i n b a y er n Das 1857 entstandene Aquarell von Eduard Gerhardt lässt erkennen, wie die Eisenbahn die Landschaft bei Regenstauf durchschneidet. insbesondere ein total erblindetes und sieches Mädchen, geboren haben, der Fall, und belästigen durch Borgen, Bettel und Holzdiebstähle mit ihren Kindern die Gemeinde; manches led[ige] Paar weiß sich sogar landgerichtliche Aufenthaltskarten zum Aufenthalte in ein- u[nd] demselben Hause zu verschaffen, wie dieß bei Mathias Zintl und Anna Frischholz der Fall, die man vorgestern auf erfolgte Gendarmerie-Anzeige ortspolizeilich auseinander schaffen mußte ... Wo nur die angestrengteste u[nd] ununterbrochene Arbeit kaum den Arbeiter selbst ausreichend nährt, ist keine Möglichkeit vorhanden, daß von diesem auch arbeits- u[nd] verdienstlose zweite u[nd] dritte u[nd] noch mehr solche Personen ernährt werden könne, es liegt also die gegründete Annahme vor, daß diese sich auf unerlaubte Weise nähren u[nd] die Aufenthalts-Gemeinde belästigen, abgesehen von anderen Ungehörigkeiten.“ Insgesamt hatten die Polizeibehörden viel Arbeit mit den Bahnbauarbeitern. Ruhe- und Ordnungsstörungen, Raufereien und Diebstähle waren an der Tagesordnung, auch schwere Kriminalität kam vor. Die Delikte reichten vom „Nachtschwärmen“ bis zum „Konkubinat“, vom Werkzeugdiebstahl bis zum Totschlag. In Etterzhausen wurden Anfang Juni 1871 drei Italiener nach einem Gaststättenbesuch von Unbekannten überfallen, einer der Italiener kam dabei durch einen Messerstich ins Genick ums Leben. Mögliche Motive für dieses grausame Verbrechen sah man darin, dass sich einheimische Burschen durch die Italiener in ihren Verdienstchancen beim Bahnbau oder, was subjektiv schwerer wog, in ihren Aussichten „bei der Etterzhausener ‚Damenwelt‘“ beeinträchtigt fühlten. Die Bauleitung bat die Regierung der Oberpfalz dringendst um Verstärkung der Gendarmerie an der Strecke Neumarkt—Regensburg, nachdem kurz zuvor der Gendarmerie-Stationskommandant von Laaber von Bahnbauarbeitern erschlagen worden war. Häufig mussten Ordnungskräfte den sozialen Frieden an den Bauplätzen schützen oder wiederherstellen. Auseinandersetzungen gerade bei den Lohnauszahlungen waren nicht selten und manchmal auch berechtigt. Es gab Akkordanten, die den Arbeitern den ihnen zustehenden Lohn vorenthielten. Einen sehr schlechten Ruf hatte der Akkordant Klein, der 1898 Bahnbauarbeiten bei Plattling leitete. Un- ter den etwa 400 Arbeitern herrschte „große Mißstimmung“ gegen ihn, da er die Arbeiter ausnutzte, schlecht behandelte und schlecht bezahlte. Die Anwesenheit von Polizisten bei den Lohnauszahlungen wurde an allen Bahnbaustellen üblich. In ländlichen Gegenden hatte sich vor der Zeit des Bahnbaus in der Regel kaum eine größere Anzahl Fremder für längere Zeit aufgehalten. Allem Unbekannten begegnete man mit Skepsis und manchem Vorurteil, umso mehr, als die Bahnbauarbeiter einen schlechten Ruf hatten. Vor allem für die frühe Zeit des Bahnbaus gilt, dass die Arbeiter trotz schwerster Arbeit nicht genug verdienten, um eine Familie zu ernähren und eine Heiratserlaubnis zu bekommen. Illegales Zusammenleben und Selbstversorgung der Angehörigen durch Bettelei, Diebstahl und Prostitution waren die Konsequenzen, denen man nur mit polizeilichen Zwangsmaßnahmen zu begegnen wusste. Eine deutsch-italienische Romanze um 1870 Aber es gab sicherlich auch positive Begegnungen zwischen der Bevölkerung und den Eisenbahnbauarbeitern, auch wenn sie von der staatlichen und kirchlichen Führung als Gefahren für Moral und Sitte galten. Gerade die Anwesenheit von Italienern war nicht ohne Reize für die weibliche Bevölkerung. Eine deutsch-italienische Romanze, die sich um 1870 beim Bau der Strecke Regensburg—Nürnberg zugetragen haben soll, schildert Joseph Schlicht in der humorvollen Skizze „Der italiänisch Bua und’s boarisch Dianl“: Ein Bauer gab einem bei Felsensprengungen arbeitenden Italiener Quartier: „und dieser? – hinterläßt allerdings einige Eisenbahngulderln als Herbergszins, brennt aber dafür mit dem blutjungen liebedürstenden Töchterl durch in’s Land der süßen goldenen Pomeranzen“. Zum Glück war die per Telegraf eingeleitete Suche bald erfolgreich: In einem Gasthaus in Bregenz wurde das Paar entdeckt und das 17-jährige Mädchen nach Hause geschickt, wo es sich bald mit einem bay erischen Bauern verheiratete. (Joseph Schlicht, Bayerisch Land und Bayerisch Volk, München 1875, S. 368–370) 67 68 eise n b a h n i n b a y er n Meisterwerke der Technik E inige Meisterleistungen der Ingenieurskunst wurden schon beim Bau der Ludwig-Nord-Süd-Bahn in den 1840er Jahren vollbracht. Der Tunnel durch den Burgberg in Erlangen gilt als ältester Bahntunnel Bayerns. Er wurde 1841/44 gebaut und ist 341 Meter lang. Das Südportal wird noch heute von zwei bayerischen Löwen bewacht. Große Höhenzüge waren im Farnkenwald zwischen Bamberg und Hof zu überwinden. Eine besondere Attraktion ist noch heute die Schiefe Ebene zwischen den Bahnhöfen Neuenmarkt-Wirsberg und Marktschorgast im Kreis Kulmbach, eine der steilsten Eisenbahnstrecken in Deutschland. Zur Bauzeit (1844–1848) war dies die erste Strecke in Europa, die den großen Höhenunterschied von 158 Metern bei einer konstanten Steigung von 1:40 (25 Prozent) überwand. Auf bis zu 32 Meter hohen Steindämmen, drei Straßen- und zehn Bahnbrücken und einer Reihe von Durchlässen und Wasserkaskaden lehnt sich die Trasse an die Berghänge und überquert Seitentäler. Nach der ursprünglichen Planung sollten die Züge auf drei Rampen mithilfe von Seilen und ortsfesten Dampfmaschinen hochgezogen werden. Durch kostengünstigere technische Neuentwicklungen aus Amerika wurde es möglich, die sieben Kilometer lange Trasse mit nur einer zusätzlichen Vorspannlokomotive (später Schiebebetrieb) und ohne weitere technische Hilfsmittel zu befahren. Die Schiefe Ebene gilt als Prototyp aller späteren Gebirgsbahnen. Als besonders beeindruckende Leistung beim Bau der 1854 eröffneten Ludwigs-West-Bahn Bamberg—Schweinfurt—Würzburg— Aschaffenburg gilt der fast einen Kilometer lange Schwarzkopftunnel bei Heigenbrücken, der Scheiteltunnel der Main-Spessart-Bahn, der den Durchbruch vom Aubach- bzw. Lohrtal ins Aschafftal herstellte. Wegen des großen Lokomotivenaufwands für den Schiebe- und Vorspannverkehr auf der Spessartrampe waren in Heigenbrücken umfangreiche Gleisanlagen erforderlich. Da am Bahnhof auch Schnellzüge hielten, entwickelte sich der Ort zu einer beliebten Sommerfrische. Der Tunnel von Heigenbrücken fand 1977 Eingang in das Gemeindewappen. In bayerischen Beamtenkreisen scheint dieser Ei- Der Burgbergtunnel in Erlangen in einem weit verbreiteten Stahlstich nach Carl August Lebschée. senbahntunnel früher eine gefürchtete „Laufbahn-Schwelle“ gewesen zu sein. Es ging die Redensart: „Wenn du einmal durch den Tunnel von Heigenbrücken bist, kommst du nicht mehr zurück!“ Mancher Staatsdiener befürchtete, dass es bei einer Versetzung in den Raum Aschaffenburg nie mehr eine Rückkehr in die Heimat geben werde. Eisenbahnbrücken Die Überquerung von Flüssen stellte beim Bahnbau eine besondere technische Herausforderung dar, die soweit möglich vermieden wurde. Deshalb wurde beispielsweise die Stadt Deggendorf 1859/60 nicht an die Ostbahn angeschlossen; weit kostengünstiger war es, die Bahn auf der anderen Seite der Donau über Plattling Richtung Passau zu führen. Größere Brückenbauten waren meist langjährige und teure Großbaustellen mit vielfältigen technischen Problemen. Die Großhesseloher Brücke wurde in den Jahren 1851 bis 1857 mit der Strecke München—Holzkirchen erbaut. Sie überquerte südlich von München in einer Höhe von 31 Metern die Isar. Höher war zu dieser Zeit nur die 1846/51 erbaute Göltzschtalbrücke bei Reichenbach im Vogtland an der Bayerisch-Sächsischen Eisenbahn (78 Meter hohe Ziegelbrücke mit bis zu vier Etagen). Die Planung der Brücke mit den linsenförmigen Fachwerkträgern, auch Fischbauch- oder Pauli-Träger genannt, lag bei Friedrich August von Pauli, die Ausführung bei der Brückenbauanstalt Klett, Nürnberg. Die Brücke wurde 1908/09 teilweise erneuert, später wiederholt modernisiert und 1983/85 ganz neu gebaut. Die erste elektrisch betriebene Bergbahn in Bayern war die 1912 eröffnete Wendelsteinbahn. Die vom Industriellen Otto von Steinbeis gebaute 10 Kilometer lange schmalspurige Zahnradbahn mit eigenem Kraftwerk überwand von Brannenburg am Inn über zwölf Brücken, acht Galerien und sieben Tunnel einen Höhenunterschied von 1250 Metern bis zum 1838 Meter hohen Wendelstein. Bei der damals größten Baustelle in Bayern waren viele Italiener und Kroaten mit Felsarbeiten beschäftigt. Die um 1851 entstandene Lithografie von G. Könitzer feiert die technische Meisterleistung der Schiefen Ebene durch den Frankenwald. eise n b a h n i n b a y er n Der 1863 entstandene Stahlstich von Karl August Lebschée zeigt die in den Jahren 1851 bis 1857 erbaute Isarbrücke bei Großhesselohe. Das Flügelrad, ein Symbol für den Eisenbahnverkehr, steht für die große Bedeutung der Eisenbahn in der Entwicklung der oberfränkischen Gemeinde Neuenmarkt. Das zuvor unbedeutende kleine Bauerndorf mit 57 Häusern erlebte seit dem Bau der Schiefen Ebene eine rasante Entwicklung. Die um 1860 entstandene Ansicht von J. Buck zeigt die Eisenbahnbrücke bei Kempten. Am 4. April 1909 berichtet der Schreiber dieser Postkarte, die die Eisenbahnbrücke bei Kempten zeigt: „Sind gut angekommen; fahren mit dem Eilzug um 9.47 nach Lindau weiter.” Die kolorierte Postkartenfotografie einer mehrteiligen Serie dokumentiert die eindrucksvolle Schlossbach-Brücke der Mittenwaldbahn. 69 70 eise n b a h n i n b a y er n 1864 hielt Karl Herrle die Eisenbahnbrücke über den Main bei Würzburg-Heidingsfeld in einer Strichzeichnung fest. Die Hackerbrücke München, eine der wenigen erhaltenen Stahlbogenbrücken aus dem 19. Jahrhundert, wurde 1890 bis 1894 von der MAN erbaut; sie überspannt die Gleisanlagen im Vorfeld des Münchner Hauptbahnhofs. Das 1859 entstandene Aquarell von Albert Emil Kirchner zeigt die bis 1859 von der Ostbahngesellschaft errichtete Donaubrücke bei Regensburg-Schwabelweis. Die Portale im Stil der Maximiliansgotik wurden im Zuge des Brückenneubaus 1933 beseitigt. Das Aquarell von Albert Emil Kirchner zeigt die bis 1859 von der Ostbahngesellschaft errichtete Donaubrücke bei Regensburg-Schwabelweis. Die Portale im Stil der Maximiliansgotik wurden im Zuge des Brückenneubaus 1933 beseitigt. Die 1904 eröffnete Bahnstrecke Passau-Hauzenberg war standortbestimmend für die Granitunternehmen in dieser „steinreichen“ Region. Sie zählt heute mit den zahlreichen Natursteinbrücken zu den schönsten Eisenbahnstrecken Deutschlands. Beim Brückenbau wurden bevorzugt italienische Arbeiter eingesetzt, die als Spezialisten für solche Natursteinbauten wie die hier gezeigte Brücke im Erlautal galten. eise n b a h n i n b a y er n Dem Weitblick des 1860 aus Baden nach Brannenburg zugezogenen Kommerzienrats Otto von Steinbeis ist es zu verdanken, dass auf den Wendelstein eine der ersten Bergbahnen Deutschlands gebaut wurde. Steinbeis verfügte über die nötigen finanziellen Mittel, hatte Durchsetzungskraft und Erfahrung im Bahnbau. Die meisten der 800 Arbeiter, die er für den Bau der Wendelsteinstrecke benötigte, rekrutierte er in Bosnien und Kroatien, wo er bereits Schmalspurbahnen für den Holztransport erbaut hatte. Auch wenn es in Brannenburg zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch keinen Strom gab, kam ein Dampfzug für Otto von Steinbeis nicht in Frage. „Seine“ Zahnradbahn sollte mit elektrischer Energie fahren. In Hinterkronberg wurde ein Wasserkraftwerk mit zwei Turbinen zur Erzeugung von Gleichstrom für die Zahnradbahn errichtet, das die Bremsenergie des Zuges bei der Talfahrt für die gleichzeitige Bergfahrt ausnutzt - hier zeigt sich der Weitblick des Pioniers. Um die Brannenburger von den Vorteilen der Elektrizität zu überzeugen, griff Steinbeis zu einer List: Er erleuchtete seine Villa in der Nacht taghell, bis sich schließlich auch die Einwohner von Brannenburg und Flintsbach an die moderne Zeit anschlossen und Strom aus dem Kraftwerk in Hinterkronberg bezogen. Für die Arbeiter an der Zahnradbahn wurde der Wendelstein zwei Jahre lang zur Heimat. Sie arbeiteten bei jeder Witterung, selbst im Winter, und mit härtestem körperlichen Einsatz an der 9,95 Kilometer langen, zu zwei Drittel sehr steilen Strecke und errichteten sieben Tunnels, acht Galerien, zwölf Brücken und aufwändige Stützmauern. Jeden Samstagabend gab es ein Fass Freibier für die Männer; so wurde aus dem Sonntag für die meisten tatsächlich ein Ruhetag und am Montag früh waren alle wieder zur Stelle. Werkzeug, Baumaterial und Lebensmittel wurden mit Pferden oder Mulis zur Baustelle befördert, im steilen Gelände setzte man auch Seilwinden ein. Die Trasse wurde mit einfachstem Handwerkszeug – Pickel, Hammer, Meißel und Schaufel – errichtet; über 1000 Kubikmeter Aushubmaterial wurde an der Bergseite abgetragen und auf der Talseite wieder aufgeschüttet. Insgesamt verbrauchte man 35000 kg Schwarzpulver. Wenn man bedenkt, dass man in ein von Hand geschlagenes Bohrloch maximal 2 kg Sprengstoff brachte, so kann man sich ausrechnen, wie viele Sprenglöcher gebohrt werden mussten. Das Steinfundament für die Schienen wurde von Hand mit dem Handstampfer und einem Kramperpickel bearbeitet. Das imposanteste und schwierigste Bauwerk der Strecke ist die 127 Meter lange „Hohe Mauer“ mit einer Höhe von 17 Metern. Der Schienenverlauf lässt die Bahn in den Berg verschwinden und führt sie in einem sehr engen Bogen zum Bergbahnhof unterhalb des Wendelsteinkircherls. Im letzten Tunnel erreicht die Strecke ihre größte Steigung mit 23,7 Prozent. Am 12. Mai 1912 befuhr der erste Zug die Strecke, die am 25. Mai feierlich eingeweiht wurde. Betrug die Fahrzeit damals 75 Minuten, so ist man heute dank zweier moderner Doppeltriebwagen in 20 (Bergfahrt) bzw. 30 Minuten (Talfahrt) am jeweiligen Ziel. Johann Vogt www.wendelsteinbahn.de 71 72 eise n b a h n i n b a y er n Karl Herrle dokumentierte den Bau der Ludwigs-Nord-Südbahn in heute idyllisch anmutenden Bildern, hier der Bahnhof von Schwabmünchen (um 1850). Bahnhöfe, Stadtund Raumentwicklung M it dem Bau von Eisenbahnen waren Bahnhöfe anzulegen und städtebaulich zu integrieren. Zudem wurden an Eisenbahnknotenpunkten ausgedehnte Areale durch Rangieranlagen, Stellwerke, Lokschuppen und Wartungseinrichtungen belegt. Die ersten Bahnhöfe waren häufig nur provisorische Einsteighallen aus Holz, doch schon bald entstanden vor allem an wichtigen Verkehrsknotenpunkten repräsentative Gebäudekomplexe in den verschiedenen Stilrichtungen des Historismus. Das Formenreservoir reichte von der Antike über die Gotik und Renaissance bis zum Barock; meistens fanden sich die Stilelemente in einer Mischform wieder. Am Bahnhof zeigte sich dem Reisenden der „erste Eindruck“ einer Stadt. Gerade großstädtische Bahnhöfe mit ihrer Zweiteilung in Bahnsteighalle und Empfangsgebäude wurden zu viel beachteten Prestigeobjekten. Während in der Bahnsteighalle, überwiegend in Eisen und Glas ausgeführt, die Technik dominierte, setzten die in Stein gebauten Empfangsgebäude einen der Stadt zugewandten städtebaulichen Akzent. Der Bahnhof entwickelte sich zum Zentrum des gesellschaftlichen und politischen Lebens, wurde Schauplatz für große Empfänge und Abschiede, aber auch ein Ort des ganz individuellen Willkommens und Auseinandergehens. Besonderen Charakter hatten Grenzbahnhöfe mit ihren ausgedehnten Gleisanlagen und Zolleinrichtungen. An kleineren Bahnstationen fielen die Bahnhofsgebäude in der Regel bescheidener aus. Da meist ein Architekt für ganze Streckenbereiche zuständig war, setzten sich bewährte, zweckmäßige Gebäudetypen durch, die je nach örtlichem Bedarf in der Größe variabel in Serie gebaut wurden, wie zum Beispiel Gottfried Neureuthers Typensystem mit vier Größenkategorien oder Eduard Rübers „Normalpläne“ mit sechs Klassen. Die Bahnhöfe mit ihren Vorplätzen oder Empfangshallen waren beliebte Postkartenmotive. Auch gesellschaftliche Ereignisse wie Staatsbesuche, Jubiläen oder Paradekonzerte, aber auch der Abschied oder die Heimkehr von Truppen wurden auf Postkarten festgehalten. Die Eisenbahnpostkarten vermitteln heute einen nostalgischen Eindruck vom pulsierenden Leben im Umkreis der Bahnstationen und von der sich wandelnden Stadtlandschaft. Bahnhöfe in Bayern In den letzten Jahren vollzog sich ein grundlegender Wandel in den Bahnhöfen. Die großen Bahnhöfe wurden vielfach zu Einkaufspassagen mit diversen Verpflegungseinrichtungen umfunktioniert, während kleine Bahnhöfe durch Automatisierung und Elektronisierung des Betriebs ihre ursprüngliche Funktion verloren haben. Einige Stationsgebäude werden für Wohn- und Geschäftszwecke genutzt, stehen zum Verkauf oder wurden abgerissen. Zwischen den Bahnhöfen lagen auf freier Flur entlang der Bahnstrecken an den Schienen-Straßen-Kreuzungen die inzwischen fast völlig verschwundenen Bahnwärterhäuschen, in denen oft weit abseits der Ortschaften Familien wohnten, einen kleinen Garten bestellten und vielleicht Kleinvieh für den eigenen Bedarf hielten. In diesen auf Bildern häufig nostalgisch verklärten Ensembles ging es in ers ter Linie darum, die vom Bahnverkehr ausgehenden Gefahren unter Kontrolle zu halten. Allein die Ostbahn AG erbaute bis 1861 in ihrem bis dahin auf 450 Kilometer angewachsenen Streckennetz 303 Bahnwärterhäuser, 43 Wachthäuser aus Stein und 68 provisorische Holzhütten für die Überwachung. eise n b a h n i n b a y er n 73 Die Bahnstation Günzach im alpenländischen Stil von Karl Herrle (um 1855). Der 1854 fertig gestellte und für das damalige Dorf eigentlich überdimensionierte Bahnhof Veitshöchheim unmittelbar an der Sommerresidenz des bayerischen Königshauses erhielt neben der öffentlichen Empfangshalle einen über einen Wandelgang erreichbaren Königspavillon. König Ludwig I. hatte verhindert, dass die Bahntrasse direkt durch den Schloss park geführt wurde. Veitshöchheim mit dem berühmten Rokokogarten wurde zu einem beliebten Ausflugsziel. Der Bahnhof von Erlangen in dem von Lorenz Valentin Kleinknecht verfassten „Allgemeinen Taschenatlas der europäischen Eisenbahnen“ von 1845 und die Bahnhöfe von Nürnberg und Augsburg im „Ortsanzeiger für Reisende auf der Ludwigs-Süd-Nord-Bahn von München bis Hof und von Augsburg bis Lindau“ von 1854. Der von Friedich Bürklein (1813–1872) und Jakob Graff (1820–1906) entworfene und bis 1871 erbaute Bahnhof von Simbach mit dem 108 Meter langen Empfangsgebäude mit den markanten Rundbogentüren im Erdgeschoss gilt als einer der eindrucksvollsten Bahnhöfe in Bayern, dem jedoch seit längerem eine angemessene Nutzung fehlt. Die Postkarte gibt einen Hinweis auf die herzhafte Verköstigung, die das Bahnhofsrestaurant bot. 74 eise n b a h n i n b a y er n Die kolorierte Federzeichnung von 1860 zeigt einen Entwurf des Würzburger Bahnhofs von Gottfried von Neureuther, dem Erbauer zahlreicher Bahnhöfe in Bayern. Die Postkarte von 1906 zeigt den 1863 errichteten Bahnhof von Würzburg, der den 1852 erbauten Ludwigsbahnhof ersetzte, dessen Kapazitäten bereits zehn Jahre später nicht mehr ausreichten. Das Gebäude im Stil der Neo-Renaissance entstand nach Plänen des Königlichen Baurats Gottfried von Neureuther. Der Münchner Hauptbahnhof in einem nach einer Zeichnung von Jobst Riegel gestochenen Stahlstich von 1863 (links) sowie die „Einstieghalle“ in einer Lithografie von 1854. Auf dem Aquarellentwurf für eine Ansichtskarte hat Eugen Felle das Bahnhofsgebäude von Pocking eigens herausgehoben. Die am 2. Oktober 1903 versandte Postkarte zeigt das Bahnhhofsgebäude in Bärnau in der Oberpfalz – eine Bahnhofsarchitektur, wie sie vielerorts zu finden war.. eise n b a h n i n b a y er n Das um 1880/1900 entstandene Foto (links) zeigt den Grenzbahnhof Bayerisch-Eisenstein. Ab 1953 teilte der „Eiserne Vorhang“ mit hohen Stahlplatten und Drahtzaun die Bahnhofsanlage in zwei Teile. Der Grenzbahnhof wurde 1991 durch Bundeskanzler Helmut Kohl feierlich wiedereröffnet (unten). Seit 2006 kann man mit der Waldbahn wieder über die Grenze bis Špicák/Spitzberg im Böhmerwald fahren. Anlässlich der Eröffnung des Alten Bahnhofs in Garmisch am 25. Juli 1889 versammelten sich die örtlichen Honoratioren an dem mit Girlanden geschmückten Gebäude. Mit der Eisenbahn zur Erholung aufs Land: Auf der Rückseite dieser Werbepostkarte empfiehlt sich das Bahnhofshotel in Wiesmühl bei Tittmoning wie folgt: „Gut eingerichtete Fremdenzimmer zu mäßigen Preisen“. … und manchmal wird aus einem aufgelassenen Bahnhof ein ESS-Bahnhof, wie hier in Rimsting, wo zwei ambitionierte Gastwirte den 1911 erbauten und 1981 geschlossenen Bahnhof zu neuem Leben erwecken (www.kulturbahnhof-rimsting.de). Der Bahnhof St. Ottilien hat eine gewisse Berühmtheit erlangt – gäbe es einen Wettbewerb „Unser Bahnhof soll schöner werden“ – St. Ottilien wäre der Favorit! Das pensionierte Bahnwärterehepaar Polke sorgt Jahr für Jahr für den blühenden Blumenschmuck. Das im Jahr 1938 errichtete Bahnhofsgebäude an der Strecke Augsburg-Weilheim, die 1898 als „Ammerseebahn“ eröffnet wurde, zeigt an der Stirnseite ein Fresko, das auf die besondere Bedeutung dieses Bahnhofs hinweist: Ein Missionar im Benediktinergewand begegnet Menschen aus verschiedenen Erdteilen – ein Hinweis auf die Missionstätigkeit des Klosters St. Ottilien. 75 76 eise n b a h n i n b a y er n Ein neuer Berufsstand: Der Eisenbahner D ie Bahn entwickelte sich bis zur Jahrhundertwende zum weitaus größten Arbeitgeber im Königreich Bayern. Besonders an Eisenbahnknotenpunkten mit ihren zentralen Betriebseinrichtungen, Werkstätten und Verwaltungsstellen veränderte die Bahn den Arbeitsmarkt völlig. Der Eisenbahndienst bot eine große Anzahl von Arbeitsplätzen für Personen mit unterschiedlichster Vorbildung, in den verschiedensten Bereichen und Diensträngen, mit innerbetrieblichen Qualifikations- und Aufstiegsmöglichkeiten, unterwegs im Fahrdienst oder standortgebunden, vom Bauingenieur und Juristen über den Lokomotivführer, Schlosser, Heizer und Kontrolleur bis zum Gepäckträger. Die neuen Möglichkeiten im Bahndienst forderten berufliche Flexibilität und örtliche Mobilität. Allein die Staatsbahnverwaltung verzeichnete zwischen dem Gründungsjahr 1844 und dem Jahr 1914 ein immenses Wachstum von einigen Hundert auf über 65000 Beschäftigte. Daneben gab es aber auch noch private Bahngesellschaften als Arbeitgeber. Der Sitz der Generaldirektion der königlich bayerischen Staatseisenbahnen in der Münchner Arnulfstraße, unweit des Hauptbahnhofs. Ein eigenes Verkehrsministerium für Bayern Der stark angestiegenen Bedeutung des Verkehrssektors trug die Ausgliederung der Verkehrsabteilung aus dem Außenministerium und die Einrichtung eines eigenen Staatsministeriums für Verkehrsangelegenheiten Rechnung, das von 1904 bis 1920 bestand. Das repräsentative Ministerialgebäude wurde von 1905 bis 1912 an der Arnulfstraße in unmittelbarer Nähe des Münchner Hauptbahnhofs errichtet. Es beherbergte im Untergeschoss die zentrale Briefsortieranlage der Post, die mit einer unterirdischen Kleinbahn mit dem Hauptbahnhof verbunden war. Mit der Zunahme des Bahnverkehrs ging allgemein die Ausweitung des Post- und Telegrafenwesens einher. Schon 1920 endet die kurze Geschichte des bayerischen Verkehrsministeriums. Die Weimarer Verfassung von 1919 verfügte, dass die bayerischen Staatsbahnen mit einem inzwischen auf etwa 8500 Kilometer angewachsenen Schienennetz der Deutschen Reichsbahn zu unterstellen sind. Damit verlor der Freistaat Bayern 1920/21 einen Großteil seiner Staatseinnahmen; die Eisenbahnen hatten regelmäßig große Überschüsse erwirtschaftet. Bis zum 1.1.1908 waren Eisenbahndienstsendungen portofrei, dann mussten sie frankiert werden mit Briefmarken, die durch den Aufdruck „E“ (für Eisenbahn“) oder ein gelochtes „E“ gekennzeichnet waren. eise n b a h n i n b a y er n Mit Dienstanweisungen - wie der 97-seitigen Anweisung für den Einsatz der Luftdruck- und der Luftsaugebremse sowie Fachbüchern wie dem Signalbuch - hier in der 2. Ausgabe, gültig vom 1. August 1907 wurde die komplizierte Materie des Eisenbahnwesens in technischer wie organisatorischer Hinsicht bewältigt. Dienstpost wurde mit eigenen Dienstsiegeln verschlossen. Da man auf der um 1910 zur Hauptbahn erklärten Ammerseebahn entsprechendes Personal benötigte, wurde das zuvor auf der Saaletalbahn tätige Ehepaar Preisendörfer aus dem fränkischen Ochsenthal bei Hammelburg nach Kaltenberg versetzt. Katharina Preisendörfer, wie ihr Mann bei der Kgl. Bayer. Staatseisenbahn angestellt, war auf der Strecke zwischen Kaltenberg und Walleshausen zuständig für die Auffüllung der Signale mit Petroleum. Sie ist hier vor dem Bahnwärterhaus mit ihrem Mann August und ihrem kleinen Sohn Karl zu sehen. August Preisendörfer war bis zu seinem Tod 1958 als Streckengeher auf der Ammerseebahn unterwegs. Der 1876 gegründete Bayerische Verkehrsbeamtenverein vertrat die Interessen des mittleren Dienstes und besaß eine eigene Witwen- und Waisenkasse sowie eine Sparund Darlehenskasse. Auch die Spardabank ist ursprünglich eine Eisenbahner-Bank. 77 78 eise n b a h n i n b a y er n Die Eisenbahn – ein begehrter Arbeitgeber Die Nachfrage nach Stellen bei der Bahn war meist sehr groß, denn der Bahndienst bot neben sicheren, gut bezahlten Arbeitsplätzen weitere Vorteile. Die „Eisenbahner“ wurden vom Arbeitgeber bis in das Privatleben patriarchalisch umsorgt. Soziale Sicherungen wie Krankenunterstützungs-, Invaliden- und Sterbekassen sowie Vergüns tigungen wie Kantinenessen, Freifahrten, billige Kohlenversorgung und Stellung von Schrebergärten förderten die Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber. Die Bahn engagierte sich auch im Wohnungsbau. Besonders an Verkehrsknotenpunkten entstanden Eisenbahnersiedlungen, die wiederum die Gruppenbildung förderten. So wurde in Regensburg eine mehrere Straßenzüge umfassende Eisenbahnersiedlung realisiert. Am Eisbuckel östlich von Kumpfmühl und unweit des Bahngeländes erbauten die 1899 gegründete Baugenossenschaft des Verkehrspersonals und die Staatsbahnverwaltung bis 1914 insgesamt 226 Wohnungen in vier geschlossenen zwei- und dreigeschossigen Gebäudegruppen. Der Eisenbahndienst wurde vielfach in der Familie „weitervererbt“, die Bahn etablierte sich als „Familienarbeitgeber“. Bei Neueinstellungen wurden Familienangehörige stets bevorzugt. In der Zentralwerkstätte Regensburg wurden um die Jahrhundertwende nur Lehrlinge aufgenommen, deren Väter Eisenbahnangehörige waren. Für den reibungslosen Ablauf des ständig anwachsenden Bahnverkehrs war loyales Personal erforderlich, das sich mit den Interessen der Eisenbahnverwaltung identifizierte. Nur so konnte die Eisenbahn die wirtschaftliche und gesellschaftliche Schlüsselposition ausfüllen, die ihr seit den 1840er-Jahren zugewachsen war. Die Bahnbeamten sahen sich selbst als Diener des Staates. Der typische Bahnbeamte war stolz auf seine Stellung als „Amtsperson“, die er in Uniform und entsprechenden Rangabzeichen seiner Um- welt kundtun konnte, wobei das Selbstbewusstsein manches „Kondukteurs“ übersteigert war, was vielfach Niederschlag in Karikaturen und in der Literatur fand. Der Eisenbahndienst blieb bis zum Ersten Weltkrieg eine Domäne der Männer. Frauen finden sich erst seit etwa 1890 zunächst als so genannte „Ablöswärterinnen“, die ihre Ehemänner im Bahnwärterdienst vertraten. Ab etwa 1900 gab es auch „Dienstfrauen“, Zugbegleiterinnen, die für die Hygiene in Schnellzügen zuständig waren. Erst nach 1908 wurden Frauen als Bürogehilfinnen bei der Bahn beschäftigt. Es existieren kaum Quellen zu individuellen Lebensschicksalen von Bahnbediensteten. Eine facettenreiche Charakterschilderung enthalten die Erinnerungen des Anton Mayer an seinen gleichnamigen Vater, der 1864 in Schwandorf in den Bahndienst eintrat. Er verkörpert ein typisches Schicksal seiner Zeit. Aus persönlichen und wirtschaftlichen Zwängen wechselte er von einem traditionellen, zeitlich und organisatorisch wenig reglementierten Handwerksberuf in den umfassend durchorganisierten Bahndienst, in dem Dienstantritt und Zugabfahrtszeiten den Tages- und Jahresablauf bestimmten. Anton Mayer sen. war vor allem auf Drängen seiner Frau zur Bahn gegangen. Schon dies beeinträchtigte seine Integrationsbereitschaft im Bahndienst. In vielen Familienstreitigkeiten warf er seiner Frau vor, dass sie Schuld daran habe, dass er, der gelernte Metzger, bei der Eisenbahn gelandet sei. In den Wintermonaten konnte Anton Mayer seine frühere Tätigkeit mit der neuen Stellung verbinden: Er schlachtete Schweine und verkaufte Geräuchertes, Presssack und Würste in den „Bahnhofsrestaurationen“; besonders in München fanden seine Waren „reißend Absatz“. Das „Grundübel“ in der Familie Mayer war „des Vaters Vorliebe fürs Bier“. In welchem Ausmaß sich diese in den Anfängen der Eisenbahn mit dem Bahndienst vereinbaren ließ, ist ganz erstaunlich. (Aus: Carl Amery (Hg.), Dortmals. Ein Leben in Bayern vor hundert Jahren, München 1975, S. 28, 38) Dem auf das Jahr 1904 zurückgehenden Bahn-Sozialwerk liegt die Idee zu Grunde, eine Solidargemeinschaft der Eisenbahnerinnen und Eisenbahner zu bilden, die bei Krankheit und in Notfällen halfen, aber auch in der Geselligkeit Zusammenhalt boten – erwähnt seien Eisenbahnerchöre und -orchester, Sportvereine und Hobbyclubs. Mit der Bildung von Einkaufsgenossenschaften, dem Bau von Erholungsheimen, der Veranstaltung günstiger Ferienreisen bot und bietet das Bahn-Sozialwerk, heute eine Stiftung (BSW), dem Eisenbahnerstand Unterstützung in allen Lebensbereichen. eise n b a h n i n b a y er n Fotoserie von 1902 (von links nach rechts): Vor den jeweiligen Bahnhöfen nimmt das Personal in Uniform und Dienstkleidung Aufstellung: Possenhofen, Vilshofen, Starnberg, Trostberg, Kirchseeon, Schweinfurt, Kolbermoor. 79 80 eise n b a h n i n b a y er n Die Eisenbahn und ihre Wirkungen: Alles verändert sich D ie Eisenbahn verursachte eine Revolution im Güter- und im Personenverkehr. Das gesamte Wirtschaftsleben nahm neue Dimensionen an. Massengüter wie Kohle, Holz, Steine, Eisen konnten in bisher nicht gekanntem Ausmaß bewegt werden. Der Nah- und Fernhandel blühte auf. Güter, die an einem Ort im Überfluss vorhanden waren oder über den lokalen Bedarf hinaus produziert werden konnten, wurden durch die Eisenbahn zu Handelsobjekten und trugen zum wirtschaftlichen Aufschwung bei. Bisher lokal beschränkten Wirtschaftsräumen wurden einerseits ganz neue Absatzmärkte erschlossen, andererseits wurde das von einer Bahnlinie durchzogene Gebiet zum Absatzgebiet für Waren aller Art aus fernen Regionen. Die wirtschaftliche Gesamtentwicklung wurde insbesondere dadurch begünstigt, dass rohstoffarme Gegenden nun in großem Umfang mit Kohle, der Hauptenergiequelle des Industriezeitalters, versorgt werden konnten. Die traditionelle Wirtschaftsstruktur erfuhr durch die zunehmende Verbreitung von Fabrikprodukten für den alltäglichen Bedarf einen grundlegenden Wandel und erlitt schwere Beeinträchtigungen. Insgesamt veränderte die Eisenbahn mit ihren festen Routen und Zeiten die althergebrachten, oft flexibleren Verkehrsbeziehungen. Stichbahnen führten zu einseitigen Anbindungen an zentrale Orte und daraus folgend zu wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Umorientierung. So stand zum Beispiel Ebrach traditionell in enger Beziehung zu Würzburg, wurde durch die Bahn jedoch mit Bamberg verbunden, während das früher bambergische Hollfeld durch die Bahn mit Bayreuth verbunden wurde. Die früheren Reichsstädte Dinkelsbühl und Rothenburg pflegten durch Postkurse noch enge Kontakte mit Württemberg, die Eisenbahn machte die Städte zu spät nach Norden und Osten angeschlossenen bayerischen „Grenzstädten“. Der Verlauf der Bahnlinien und die Lage des Bahnhofs hatten beträchtliche Auswirkungen auf die räumliche Gliederung und künftige Entwicklung einer Siedlung. Industrielle Produktionsstätten, Fabriken und Großhandelsunternehmen der verschiedensten Branchen siedelten sich vorzugsweise in Bahnhofsnähe an. Aufgrund der starken Ausweitung des Arbeitsmarktes stiegen die Bevölkerungszahlen rasch an, was wiederum eine Expansion der Wohnbebauung und eine Verdichtung der Besiedlung in der Nähe von Bahnhöfen zur Folge hatte. Während in verkehrsgünstig gelegenen Städten Kaufhäuser und Spezialgeschäfte florierten, gingen in bahnfernen Orten die Umsätze im Einzelhandel langfristig zurück. In der Nähe von größeren Bahnstationen wurden bald auch Behörden und Bildungseinrichtungen von überlokaler Bedeutung begründet oder ausgebaut. Die Ausweitung der Verkehrs-, Gewerbe-, Behörden- und Wohnanlagen bewirkte eine Reduktion der landwirtschaftlich genutzten Fläche. Eisenbahnknotenpunkte boten besondere Standortvorteile. Welch große Bedeutung der Erschließung des Landes durch die Eisenbahn zukam, wird an den großen Eisenbahnknotenpunkten München, Nürnberg und Augsburg deutlich. Am stärksten wuchs die Landeshauptstadt München, sie überflügelte bald alle anderen bayerischen Städte. Insgesamt verlagerte sich die Bevölkerung mehr und mehr von den ländlichen in die aufstrebenden städtischen Gemeinden. War ein Anschluss an das Bahnnetz bis in die zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts eine existenzielle Frage für jede Gemeinde, so veränderte sich dies mit dem Aufkommen des Automobilverkehrs. Den großen gesamtwirtschaftlichen Vorteil der früh an das Hauptbahnnetz angeschlossenen Orte konnten bahnferne Gemeinden jedoch bis heute nicht aufholen. Von der „Eisenbahnzeit“ zur Mitteleuropäischen Zeit Die Entwicklung Deutschlands im 19. Jahrhundert war insgesamt geprägt von der Vereinheitlichung verschiedener Faktoren des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Alltags. Dieser Vorgang begleitete und förderte das Zusammenwachsen der einzelnen Territorien seit der Gründung des Deutschen Zollvereins 1834. Die Eisenbahn leis tete aus betrieblichen Notwendigkeiten heraus einen wichtigen Beitrag auf dem Weg zum kleindeutschen Nationalstaat. Als großräumig agierendes Transportunternehmen brauchte sie einheitliche Maße und Gewichte und eine einheitliche Währung. Ein besonderes Problem war die Zeit. Bis 1892 gab es keine allgemeingültigen Zeitangaben in Deutschland, wo die jeweiligen Orts- oder Landeszeiten galten. In den 1850er-Jahren war jede längere Zugfahrt mit ständigem Regulieren der Uhren verbunden. Die zunehmende Verdichtung des Bahnnetzes und die Notwendigkeit einer überregionalen Fahrplankoordination machte die Einführung einer einheitlichen Eisenbahnzeit erforderlich, die sich bald zur verbindlichen Standardzeit entwickelte. Daneben bestanden aber noch Jahrzehnte lang die Lokalzeiten weiter. Erst 1893 wurde in Deutschland die Mitteleuropäische Zeit eingeführt, die große Erleichterungen für alle am Verkehrs- und Wirtschaftsleben Beteiligten mit sich brachte. Die neue Zeit basierte auf der Zeitzoneneinteilung durch die internationale Standard-Zeitkonferenz im Jahr 1884. eise n b a h n i n b a y er n Der „Gruss aus Weigolshausen“ stellt den Bahnhof und das „Gasthaus zur Eisenbahn“ auf die gleiche Ebene wie die Kirche. Das im leeren Feld einmontierte Wappen der unterfränkischen Gemeinde zeigt in Rot ein silbernes Eisenbahnrad, das auf die große Bedeutung der Eisenbahn und der Schweinfurter Industrie für die Entwicklung des Ortes hinweist. Die Gemeinde war seit 1854 an die Hauptlinie Schweinfurt-Würzburg angeschlossen, doch erst die besonders für den Güterverkehr wichtige Werntalbahn nach Gemünden machte Waigolshausen 1879 zum Eisenbahnknotenpunkt. „Es ist höchste Eisenbahn!“ Eisenbahn, Fahrplan und exakte Zugabfahrts- und Ankunftszeiten gehören untrennbar zusammen. Im Idealfall konnte man nach der Eisenbahn die Uhr stellen und bis heute sind Bahnhofsuhren, wie hier am Münchner Hauptbahnhof, die weithin sichtbaren Zeitmesser. Der hier gezeigte „Winterfahrplan 1889/90 der königl. bayer. Staats-Eisenbahnen“ enthält praktischerweise auch einen Jahreskalender, wobei besonders zu erwähnen ist, dass neben den christlichen auch die jüdischen Feiertage darin aufgelistet sind. 81 82 eise n b a h n i n b a y er n Mit der Eisenbahn ins Industriezeitalter D ie Eisenbahngeschichte ist untrennbar mit der Industrialisierung verbunden. Für den Bau und Betrieb von Eisenbahnen benötigte man Eisen – in erster Linie für Schienen und Lokomotiven, aber auch für viele andere Bau- und Betriebsbereiche. Für die Eisengewinnung war Kohle erforderlich; Kohle war aber auch unentbehrlich für den Betrieb von Lokomotiven, von Dampfmaschinen in den verschiedensten Produktionsbereichen und nicht zuletzt als Heizmaterial in den wachsenden Städten. So war es naheliegend auch die heimische Kohle zu nutzen. Erst durch den Anschluss an das Bahnnetz wurde der Abbau der oberbayerischen Kohle in Miesbach und Hausham, in Penzberg und Peißenberg lohnend. Die Eisenbahn brachte den entscheidenden Schub im Einsatz von Dampfmaschinen und damit für die Industrialisierung. Um von der Einfuhr von Eisen und Maschinen aus dem Ausland unabhängig zu werden, entstand durch den großen Einsatz von Persönlichkeiten aus Technik, Wirtschaft und Politik in wenigen Jahrzehnten auch in Bayern die erforderliche Infrastruktur. Ein hervorragendes Beispiel für einen Unternehmer der frühen Industrialisierung ist der Münchner Josef Anton von Maffei (1790–1870), der ein weit verzweigtes Firmenimperium aufbaute. Maffei war 1835 Gründungsmitglied der Bayerischen Hypotheken- und Wechsel-Bank, 1834 Besitzer einer Papiermühle, 1841 Erbauer des Hotels Bayerischer Hof in München und 1837 Mitbegründer der München-Augsburger Eisenbahngesellschaft. Auch als Mitglied der Kammer der Abgeordneten setzte er sich für den Eisenbahnbau ein. 1838 kaufte er eine noch mit Wasserkraft betriebene Hammerschmiede mit Walzwerk in der Hirschau in München und baute sie mit anfangs 160 Arbeitern und einem technischen Direktor aus England zu einer Fabrik für Lokomotiven und andere Maschinen aus. Die erste in Bayern hergestellte Lokomotive wurde von König Ludwig I. „Der Münchner“ getauft. Neben dem Lokomotivenbau war Maffei in weiteren Bereichen tätig. 1846 gründete er eine Werft für Dampfschiffe in Regensburg, der 1859 eine Eisenbrückenabteilung angegliedert wurde (Brücken für die Ostbahn; 1859: 300 Arbeiter). 1853 wurde Maffei Hauptaktionär der Eisenwerk-Gesellschaft Maximilianshütte bei Haidhof, zu der ab 1859 auch die Maxhütte bei Rosenberg gehörte. Außerdem besaß er ein Gut mit Torfstichen im Gebiet der Osterseen, an dem später die Bahnlinie nach Penzberg vorbeiführte. 1931 wurde die Maffei’sche Fabrik mit der 1866 gegründeten Lokomotivfabrik Krauss vereinigt; das Unternehmen nannte sich seit 1940 „Krauss-Maffei AG“. Weitere bedeutende Industrielle des jungen Industriezeitalters waren Theodor von Cramer-Klett (1817–1884), Rudolf Diesel (1858–1913) und Heinrich von Buz (1833–1918), die Väter der Maschinenfabrik AugsburgNürnberg (MAN, seit 1898), der Pionier der schwäbischen Textilindustrie Karl Ludwig Forster (1788–1877), der Augsburger Papierfabrikant Georg Haindl (1816–1878), der fränkische Bleistiftfabrikant Lothar von Faber (1817–1896), der Pionier der Aschaffenburger Papier- und Zellstoffindustrie Philipp Dessauer (1837–1900), die Schweinfurter Kugellagerfabrikanten Engelbert Fries (1861–1946), Karl Fichtel (1863–1911) und Ernst Sachs (1867–1932), Karl von Linde (1842–1934), der Erfinder der Ammoniak-Kältemaschine und Begründer von Linde’s Eismaschinen AG in München (1879) – die Reihe ließe sich noch lange fortsetzen. Das heute in der Nachfolgefirma MAN Nutzfahrzeuge AG/Motoren in Nürnberg befindliche Gemälde von Eugen Napoleon Neureuther aus dem Jahr 1858 beleuchtet den Boom des Industriezeitalters: Die Ansicht der Cramer-Klett`schen Fabrik vor dem Wöhrder Tor in Nürnberg ist in eine kulissenartige Szenerie getaucht, die einerseits realistische Einsichten in Werks hallen gibt (links unten eine Waggonfabrikation), andererseits in ihrer allegorisch-romantischen Darstellungsweise die Arbeit in der Fabrik ins Heroische idealisiert. eise n b a h n i n b a y er n Und auch hier das Zusammenwirken von Industrie und Bahnhof mit dem Bergwerk in Peißenberg. Eine Werkslokomotive auf dem Gelände der Riedinger`schen Maschinenfabrik in Augsburg. Mit Beginn des Bahnbaus in Bayern setzte eine immense Nachfrage nach den dafür notwendigen Eisenprodukten ein. Obwohl der für den Transport von Massengütern – Roheisen, Kohle, Holz – unabdingbare unmittelbare Bahnanschluss noch fehlte, wurde im Sauforst zwischen Haidhof und Burglengenfeld 1851/53 die Eisenwerk-Gesellschaft Maximilianshütte gegründet. Entscheidend für die Standortwahl waren die Braunkohlelager im Sauforst. Das Schienenwalzwerk sollte von Lieferungen aus dem Ausland unabhängig machen und bildete eine wichtige Voraussetzung für die schon laufenden und noch bevorstehenden Bahnbauten in Bayern. 1859 sicherte sich die Gesellschaft durch den Erwerb der Sulzbacher Erzgruben die Erzzulieferung für die Stahlproduktion. Im selben Jahr wurde die Bahnlinie Nürnberg—Amberg—Regensburg eröffnet, die den Massentransport des Erzes zwischen Sulzbach und Haidhof entscheidend erleichterte. Nach der Eröffnung der Strecke Schwandorf—Furth im Wald 1861/62 war auch die Kohlezufuhr aus Böhmen gesichert. Beim Dorf Rosenberg b. Sulzbach wurden 1864/65 zwei neue moderne Hochöfen errichtet; weitere Werksvergrößerungen folgten. Die Maxhütte Sulzbach-Rosenberg entwickelte sich zum bedeutendsten Hüttenstandort Süddeutschlands mit bis zu 10000 Beschäftigten (Stilllegung 2002). Ein weiteres Beispiel ist Kolbermoor. Die Geschichte des Ortes ist engstens verbunden mit der Erschließung des Mangfalltals durch die Eisenbahnlinie München—Rosenheim 1857. Mit der Eröffnung des Haltepunkts Kolbermoor 1859 begann die Industrialisierung im torf- und holzreichen Kolbermoos. Um die 1860 gegründete und bis 1993 betriebene Baumwollspinnerei entwickelte sich die rasch wachsende Industriegemeinde Kolbermoor. Ebenfalls in enger Verbindung mit der Eisenbahn steht die Geschichte von Kirchseeon. Die am Ebersberger Forst gelegene Siedlung entstand erst nach einer Naturkatastrophe 1889, bei der ein Großteil der umliegenden ausgedehnten Waldungen dem Nonnenfraß zum Opfer fiel. Zur Verarbeitung des anfallenden Holzes errichteten die Bayerischen Staatseisenbahnen 1889/90 ein großes Schwellenwerk, das sich zum Dorf Kirchseeon, dem Mittelpunkt der schnell wachsenden Industriegemeinde, entwickelte (seit 1959 Markt). Die neuesten technischen Entwicklungen fanden große Aufmerksamkeit bei den jährlichen Landesausstellungen. Die Privatganzsache von Bayern zeigt die auf der Bayerischen Jubiläums-Landes-Ausstellung Nürnberg 1906 präsentierte 2`B2`-Lok, Baureihe S 2/6 der Firma Maffei, von der nur ein Exemplar gebaut wurde, das sich heute im Verkehrsmuseum Nürnberg befindet. Die am 3. Mai 1906 in Betrieb genommene Lokomotive stellte am 2. Juli 1907 mit 154,6 km/h einen Geschwindigkeitsweltrekord auf. Die Qualität der Schienen war entscheidend für die Verkehrs sicherheit. Die Maxhütte arbeitete ständig an der Qualitätsverbesserung. Das Patent auf die „verschleißfeste Schiene“ stammt aus dem Jahr 1926; die Maxhütte warb dafür in einer Broschüre (wohl 1930er-Jahre). Schienen der Maxhütte waren auf dem internationalen Markt sehr gefragt, sie fanden beispielsweise beim U-Bahnbau in New York Verwendung. Welch großes Wachstum gerade der industrielle Maschinenbau in Bayern erlebte, zeigen die Beschäftigtenzahlen: 1847 waren es erst etwa 1000 Menschen, 1882 gut 6500 und 1907 fast 35500. Neue chemisch-technische Erkenntnisse im Brauwesen und der Kältetechnik bildeten seit den 1870er-Jahren die Basis für die industrielle Organisation der Münchner Großbrauereien als Aktiengesellschaften. Als Pionier des modernen Brauwesens gilt Gabriel Sedlmayr (1811–1891). München überflügelte bald alle anderen Brauereistandorte in Bayern, Böhmen und Österreich. Münchner Bier wurde weltweit zum Begriff. München, Nürnberg, Augsburg, Schweinfurt – das sind die bekannten Industriestandorte Bayerns, doch auch abseits der großstädtischen Verdichtungsräume gibt es Orte, deren Entwicklung untrennbar mit dem Anschluss an das Eisenbahnnetz verbunden ist. Hier nur wenige Beispiele: Die Maxhütte – eine Schienenfabrik für Bayern 83 84 eise n b a h n i n b a y er n Strukturwandel in der Landwirtschaft I n der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren Landwirtschaft und Viehzucht in weiten Teilen Bayerns die Haupterwerbszweige. Weder im Ackerbau noch in der Viehzucht wurde handelsorientiert produziert. Die Deckung des eigenen und lokalen Bedarfs stand im Vordergrund. Der Handel auf lokaler Ebene war rege. Von verkehrsmäßig wenig erschlossenen Gebieten aus waren größere städtische Absatzmärkte nur schwer zu erreichen. Auch die allgemeinen Produktionsbedingungen verhinderten eine zum Export motivierende Überschussproduktion. Erst die Verkehrserschließung durch die Eisenbahn und damit die Erleichterung und Beschleunigung des Transports führte langfristig zu einer Intensivierung der landwirtschaftlichen Produktion, die sich mit der Entwicklung der Kühltechnik noch verstärkte. Die verschiedensten landwirtschaftlichen Erzeugnisse wie Getreide, Kartoffeln, Vieh, Milch, Butter, Käse, Eier und Geflügel konnten neuen Absatzmärkten, vor allem den wachsenden Industriestädten, zugeführt werden. Getreide wurde durch die Eisenbahn beliebig verkehrsfähig. Der Handel mit Getreide spielte sich immer weniger auf dem öffentlichen Markt, dafür zunehmend im Büro des Großhändlers ab. Die Eisenbahn ermöglichte die Ansammlung großer Gütermengen in zentral gelegenen Lagerhäusern, deren Verkauf nicht an bestimmte Markttermine gebunden war. Bisher war die Nachfrage stets dem Angebot voraus. Durch die Eisenbahn nahm das Angebot stark zu, überholte die Nachfrage und drückte den Preis, denn neue Erzeugungsgebiete, die USA, Kanada, Russland, Argentinien, drängten auf den Markt. Die europäische Landwirtschaft ging durch diese Konkurrenz einer Krise entgegen. Auch der Viehhandel erhielt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts neue Strukturen. Das traditionelle Verbot, Vieh außerhalb der Märkte zu verkaufen, wurde aufgehoben. Händler und Metzger kauften Vieh zunehmend direkt bei den Bauern. Schlachthöfe wurden die neuen Viehhandelszentren. Mit den Fortschritten der Kühltechnik nahm der Fleischversand ganz neue Dimensionen an. Die Eisenbahn spielte eine wichtige Rolle bei der Entwicklung des Allgäus zum bedeutendsten Milchwirtschaftsgebiet Süddeutschlands. Zentrale Figur war der Molkereifachmann und Politiker Carl Gütertransport – ohne Bahn keine Ware: Die Mälzerei Seitz aus Deggendorf schickt am 29. August 1917 gebrauchte leere Jutesäcke mit einem Gewicht von 150 kg nach Gevelsberg-Haufe in Westfalen; die Fracht wird in Plattling, Gemunden, Kalk und Hagen umgeladen und kommt nach rund 10 Tagen beim Empfänger an. Ein besonderer Transport: ein „lebender Jagdhund“ mit einem Gewicht von 70 kg und dem Vermerk „Beschleunigtes Eilgut“ geht am 16 Juli 1917 von Großeibstadt nach Gevelsberg-Haufe in Westfalen. eise n b a h n i n b a y er n Dampfsägewerk, „Electr. Zentrale“ und Bahnhofsanlagen – damit war das Sägewerk in Stadtlauringen in der Lage, seine Erzeugnisse weiter in die Region transportieren zu lassen (und dem Herausgeber der Ansichtskarte sei die „Wahlfahrtskapelle“ verziehen!). Hirnbein (1807–1871). Schon 1830 gründete er eine Weichkäserei in Wilhams. Er führte Zuchtvieh aus der Schweiz ein, erwarb im Allgäu Sennereien und Ländereien im großen Stil und wurde zum größten Milchaufkäufer. Die immense Nachfrage nach Milch führte dazu, dass der traditionelle Flachsanbau im Allgäu von extensiver Viehund Weidewirtschaft abgelöst wurde. Hirnbein war Mitinitiator der Bahn Ulm—Kempten (1862/63), die dem Sennereinetzwerk neue Absatzmärkte erschloss. Auch die Anfänge des Allgäuer Tourismus sind mit seinem Namen verbunden. Hirnbein erbaute das erste Hotel in den Allgäuer Alpen, das 1855 eröffnete Grüntenhaus, das bequem von der Bahnstation Immenstadt aus zu erreichen war. Die Eisenbahn begünstigte auch den Anbau neuer Feldfrüchte wie der Zuckerrüben. Die Zuckerfabriken waren für die Heranschaffung der Rüben, Kohlen und anderer Materialien und den Abtransport der Zuckererzeugnisse und der in der Landwirtschaft als Futtermittel geschätzten Rübenabfälle auf die Eisenbahn angewiesen. Allein zwischen 1898 und 1908 stieg in Bayern der Bahntransport von Zuckerrüben um 300 Prozent, von Zucker um 360 Prozent an. Die Eisenbahn förderte auch den seit den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts zunehmenden Einsatz von Ackergeräten und Maschinen. In mehreren bayerischen Städten wie Augsburg, Sonthofen, Altötting, Lauingen, Günzburg entstanden Landmaschinenfabriken, die zur Belieferung ihres Kundenkreises auf die Eisenbahn angewiesen waren. Die Verwendung von Landmaschinen war aber weiterhin von der Besitzgrößenstruktur und den allgemeinen Voraussetzungen wie der Bodengüte abhängig. So war zum Beispiel der niederbayerische Gäuboden bei landwirtschaftlichen Innovationen anderen, weniger begünstigten Regionen immer weit voraus. Auch für die Einführung der Mineraldüngung war die Eisenbahn eine unabdingbare Voraussetzung. Nur ein auf Massengütertransport eingerichtetes Transportmittel ermöglichte den Einsatz von Thomasphosphat, Ammoniak und Kalisalzen auf breiter Basis. Durch die langfristige Bodenverbesserung konnten auch anspruchsvollere Pflanzen oder Produkte, die der Markt nachfragte, wie Zuckerrüben, angebaut werden. Noch 1906 waren Lothringen, das Saarrevier und die Regierungsbezirke Merseburg und Thüringen die wichtigsten Bezugsgebiete für Düngemittel. 1908 wurde das erste große deutsche Kalkstickstoffwerk, die Bayerische Stickstoffwerke AG im bay erischen Trostberg, gegründet. Bald kamen Produktionsstätten im Tal der Alz (Hart, Schalchen) hinzu; Wasserkraftwerke lieferten die nötige Energie. Hier liegen die Anfänge des bayerischen Chemie dreiecks. Die 1891 eröffnete Stichbahn Traunstein—Trostberg wurde 1910 in Richtung Garching a. d. Alz an die seit 1908 durchgehende Strecke Mühldorf—Freilassing angebunden. Die Strecke München— Mühldorf—Freilassing ist aber bis heute nur eingleisig und nicht elektrifiziert, wodurch sich langfristig erhebliche Standortrisiken für die Industrie im Chemiedreieck Burghausen-Burgkirchen/GendorfTrostberg ergeben. Auch im Bereich der Viehzucht war die Bahn nicht ohne Wirkung. Mit der Eisenbahn konnte Schlachtvieh ohne Gewichtsverluste zum Konsumenten gelangen. Die durch die billigen Getreideimporte beeinträchtigten landwirtschaftlichen Betriebe stellten sich auf Viehmast um. Mit der Zunahme der Rinderzucht ging die Schafhaltung zurück, Wolle wurde zum Importartikel. Zugleich konnte Zuchtvieh auch in weiter entfernte Gebiete transportiert werden. Auf diese Weise trug die Eisenbahn seit Mitte des 19. Jahrhunderts auch entscheidend zur Rassenbereinigung in der Viehzucht bei. Die Eisenbahn – „Hauptschädiger“ der Landwirtschaft? Seit den 1880er- und 90er-Jahren wurde die Eisenbahn und damit der Staat von vielen Seiten für die Schwierigkeiten der deutschen Landwirtschaft verantwortlich gemacht. Fritz Bachmeier bezeichnete in seiner Schrift „Angenehmere Landwirtschaft“ 1895 die Eisenbahn als „Hauptschädiger des deutschen Bodengewerbes“ und begründete dies mit vier Argumenten: „1. Sobald der Bahnbau in einer Gegend begonnen hatte, stellte sich der früher unbekannte Mangel an Dienstboten und ländlichen Arbeitern ein; rasch stiegen sowohl die Löhne, als auch die Anforderungen an teuerere Kost, insbesondere an Vermehrung der Getränke ... 2. Die Eisenbahnen rentierten in manchen Ländern sich nicht in der Höhe des Zinsfußes der Staatsschulden und mußten deshalb die Steuern um die Fehlbetragsquote erhöht werden. Hierdurch wurde die Landwirtschaft besonders getroffen, da sie ja bisher die Hauptsteuerquelle war ... 3. Die Steigerung des Zinsfußes durch die in Folge der vielen Staatsanleihen vermehrte Nachfrage nach Kapital schädigte selbstverständlich auch alle damals schon mit Schulden behafteten Landwirte. 4. Der Hauptschlag aber, welchen die Eisenbahnen der Landwirtschaft versetzen, ist die Herbeiziehung der übermächtigen Konkurrenz fremder Länder, welche jedenfalls noch ein halbes Menschenalter andauern wird, bis diese Länder auch mit Industrie gesättigt sind, 85 86 eise n b a h n i n b a y er n Die neue, im Stadtosten unmittelbar an der Bahn gelegene Zuckerfabrik Regensburg wurde 1899 gegründet und 2008 stillgelegt. Die Zuckerfabriken Ochsenfurt, Rain und Plattling sind jünger (gegründet 1951/57/61). (Die Abbildung von 1913 ist entnommen aus: Die Industrie der Oberpfalz in Wort und Bild, hg. v. d. Handelskammer Regensburg, Regensburg 1914, S. 91) Das als Vorlage für eine Ansichtskarte gefertigte Aquarell zeigt den Verlauf der Eisenbahnstrecke in Trostberg mit den Brücken im Vordergrund und dem Bahnhof ganz in der Nähe der Stickstoffwerke (links). Das Zuckerrübenfeld von Johann Eggerstorfer in Oberzeitldorn im Landkreis Straubing. was besonders im Land der modernen Wunder, in Amerika allerdings in vielleicht unerwartet kurzer Zeit der Fall sein wird.“ Um die Jahrhundertwende wurde der Arbeitskräftemangel in der Landwirtschaft vielfach beklagt. Georg Ernst bemerkte 1907 dazu: „Früher war der Eisenbahndienst verpönt, gewissermaßen gefürchtet, zur Zeit aber trachtet jeder Bauernknecht unter die schwarze Mütze zu kommen.“ Freiherr von Schnurbein kritisierte in der Kammer der Reichsräte am 11. April 1910, es sei „in den letzten Jahren ... öfter vorgekommen, daß während der Heu- und namentlich während der eigentlichen Ernte ... auf den Bahnstrecken 24- bis 37jährige Arbeiter nichts Besseres zu tun hatten als die Schienen auszugrasen“. In der Hoffnung auf Abhilfe stellte man Forderungen an den Staat, wie: „Der Staat sollte angewiesen werden, einen ledigen Burschen unter 30 Jahren nicht anzunehmen. Nach der Militärzeit läuft alles zur Bahn. Diese Arbeiten gehören ... den verheirateten Arbeitern, nicht aber den ledigen.“ (Ein Bauer aus dem Bezirksamt Dachau, zit. nach Georg Ernst.) Verlangt wurde auch, den Bahnbediensteten und Bahnbauarbeitern niedrigere Löhne zu zahlen. Das für die Staatsbahnen zuständige Staatsministerium des Königlichen Hauses und des Äußern ging darauf nicht ein; es erklärte sich nur bereit, die Bahnunterhaltungsarbeiten während der Erntezeit auf das Notwendigste zu beschränken (Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Verkehrsarchiv 4717, 21. August 1900). Die Problematik für die Landwirtschaft lag insgesamt darin, dass man einerseits auf die Eisenbahn mit ihren Verkehrserleichterungen und Transportverbilligungen angewiesen war, andererseits entzogen gerade die Lokalbahnen erst für den Bau, dann für den ständigen Betrieb landwirtschaftliche Arbeitskräfte. Der Arbeitskräftemangel trieb zu Rationalisierung und wurde zum Hauptmotiv für den verstärkten Einsatz von Landmaschinen. Vor allem in Krisenzeiten kam der Eisenbahn große Bedeutung in der Tarifgestaltung zu. Durch Festsetzung von Sondertarifen, die die Verfrachtung landwirtschaftlicher Produkte begünstigten, konnte die Eisenbahn positiv auf den Agrarsektor einwirken. Ausnahmetarife und Tarifermäßigungen wurden eingeführt: 1888 für Torfstreu, 1889 für Zuchtvieh, 1892 für Milchsendungen, 1893 für Getreideund Mühlenprodukte zur Ausfuhr über deutsche Seehäfen, 1894 für Düngemittel, 1896 für Zuchtkälber in Kisten und Almweidevieh, 1898 für Gerste und Zuckerrüben. Seit 1893 galt ein Notstandstarif für Futtermittel wie Kleie, Treber, Kartoffeln, Ölsaaten, Heu und Stroh. Durch die Gestaltung der Frachttarife konnten die internationalen Konkurrenzverhältnisse beeinflusst, großräumige Modernisierungsmaßnahmen, zum Beispiel ein Saatwechsel, beschleunigt und neue landwirtschaftliche Organisationsformen entscheidend gestützt werden. Gerade für den Aufbau des landwirtschaftlichen Genossenschaftswesens, dem seit der Agrarkrise der Jahrhundertwende eine wichtige Rolle zufiel, war die Eisenbahn grundlegende Voraussetzung. Die Raiffeisenvereine gingen seit den 1890er-Jahren immer mehr zum genossenschaftlichen Bezug von Dünge-, Futtermittel, Saatgetreide, Sämereien, Maschinen, Brennmaterial und auch zum genossenschaftlichen Warenabsatz über. In Bahnhofsnähe wurden große Lagerhäuser errichtet. Den Endstationen von Stichbahnen kam in diesem Zusammenhang besondere Bedeutung zu, da sie als Übergangspunkte von einem minderwertigen (Fuhrwerk) zu einem höherwertigen Verkehrsmittel (Bahn) zu Umschlagplätzen landwirtschaftlicher Erzeugnisse mit besonders großem Einzugsgebiet wurden. eise n b a h n i n b a y er n Eisenbahn und Personenverkehr: Mobilität für Jedermann Im Bahnhotel – hier bei Hans Schinkinger in Mühldorf – lässt es sich gut wohnen. W ie die Eisenbahn den Güterverkehr revolutionierte, so veränderte sie auch den Personenverkehr ganz grundlegend. Reisen wurde einfacher, schneller, bequemer und billiger. Allen Bevölkerungsschichten erwuchsen langfristig ganz neue Möglichkeiten in der Lebensgestaltung, in der Wahl des Berufs, des Arbeitsplatzes, auf dem Bildungssektor und bei Privatreisen. Auch größere Entfernungen zwischen Wohnung und Arbeitsplatz konnten mit der Bahn täglich zurückgelegt werden; die Zahl der Pendler stieg rasch an. Durch wirtschaftliche Zwänge sehen sich viele Menschen heute mehr denn je dazu gezwungen, Teile ihrer Lebenszeit auf unwirtlichen Bahnsteigen und in vollen Zügen zu verbringen. Die Eisenbahn leistete einen wichtigen Beitrag zur Demokratisierung des Reisens, das nicht länger einer kleinen Oberschicht vorbehalten war, wenn auch die Eisenbahnwaggons nach Komfort und Preis erst in vier, dann drei und heute zwei Klassen gestuft sind. Im Eisenbahnverkehr liegen die Anfänge des Massentourismus. Bahnstationen wurden zu regelrechten Ausflugszielen mit florierender Gastronomie. Das stille, bislang kaum bekannte Dörfchen Lochhausen nordwestlich von München war 1839 für einige Monate Endstation der München-Augs burger Bahn. Ein Zeitgenosse berichtet: „Damit ging ein glücklicher Stern auf für Lochhausen, das überrascht und freudetrunken täglich Hunderte von Hauptstädtern ankommen sah, die die Eisenbahn hatten probiren wollen. Die Frequenz hat allerlei abgesetzt; ein solcher Niederschlag ist zum Beispiel der schmucke Wirthshauspavillon von Holz rechts der Bahn und das mächtige Belvedere gleichen Stoffes zu seiner Seite, eigens erbaut, damit die früher angekommenen Münchner den später daher rollenden entgegensehen können.“ Ein beliebtes Ziel für die Münchner war seit 1854 der Starnberger See, dessen reizvolle Umgebung seit langem von den bayerischen Kurfürsten und Königen und seit Anfang des 19. Jahrhunderts auch von begüterten Bürgern und Künstlern hoch geschätzt wurde. Der Bodensee mit Lindau war schon seit 1853/54 mit der Bahn zu erreichen. Die Erschließung der bayerischen Alpen, des Allgäus, des Bayerischen Waldes und des Fichtelgebirges für den Tourismus folgte erst später. Sonthofen 87 88 eise n b a h n i n b a y er n erhielt 1873 einen Bahnhof, Oberstdorf und Berchtesgaden erst 1888, Garmisch und Partenkirchen 1889. Die hochalpine Zugspitzbahn zwischen Garmisch und dem Schneefernerhaus wurde 1929/30 eröffnet. Mit dem Bahnverkehr stiegen die Gästezahlen überall rasch an. Auch der Chiemgau mit seinen landschaftlichen Reizen wurde ein beliebtes Feriengebiet. Prien war seit 1860 Station an der Linie München—Rosenheim—Salzburg. Zu einer Touristenattraktion entwickelte sich nach dem Tod König Ludwigs II. (1886) das Schloss Herrenchiemsee, das durch die nur etwa zwei Kilometer lange und in zwei Monaten 1887 fertig gestellte private Chiemseebahn Prien—Stock mit Anschluss an die Chiemseeschifffahrt bestens erreichbar war. Die noch heute betriebene Dampfbahn steht seit 1980 unter Denkmalschutz. Die neuen Möglichkeiten der Eisenbahn hatten aber auch ihre Schattenseiten. Mit den wachsenden Beförderungskapazitäten ergaben sich neue Dimensionen der Kriegführung; schnelle Truppen- und Materialtransporte über weite Entfernungen veränderten die Kampfbedingungen seit Mitte des 19. Jahrhunderts entscheidend. Verwundete und Kriegsgefangene wurden per Bahn befördert. Das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte, der Betrieb von Vernichtungslagern für Juden und andere „volksschädliche“ Personenkreise in der Zeit des Nationalsozialismus wäre ohne die Eisenbahn und ihre Viehtransportwägen nicht durchführbar gewesen. Auch soll nicht vergessen werden, dass die Eisenbahn – wie alle Technik – nicht vollkommen ist. Die Tragik von Eisenbahnunglücken lässt niemanden unberührt. Dass Menschen, die freiwillig aus dem Leben scheiden wollen, in der Eisenbahn dazu eine Möglichkeit sehen, ist ein weiteres dunkles Kapitel. Das Eisenbahnunglück bei Hochzoll/Augsburg vom 29. Oktober 1908 fand Widerhall in mehreren Fotografien, die als Postkarte erschienen, wie hier die in der Graph. Anstalt H. Winckler, Augsburg, herausgegeben Karte. Kaum etwas könnte das Ende der bayerischen Staatseisenbahn besser dokumentieren als dieser Dienstbrief, der aus Würzburg an den Regierungsbaurat Langen in Berlin ging: Fein säuberlich sind die Worte „Bayer. Staats …“ durchgestrichen und mit „Reichs…“ ersetzt – und selbst den Plural hat der gewissenhafte Beamte korrigiert: Aus den „Königlich Baye rischen Staatsbahnen“ wurde die „Deutsche Reichsbahn“. Mit den beliebten Reklamemarken stellte der Bayerische Verkehrsbeamtenverein die Bahn in ihrem besten Licht dar: Eine besonders schön gestaltete Serie zeigt verschiedene Motive aus dem Eisenbahnwesen, hier eine mit Volldampf durch die Gebirgslandschaft brausende Lokomotive sowie eine wanderlustige Familie, die offenbar gerade mit dem Zug aus der Stadt angekommen ist, um im Gebirge eine Wanderung anzutreten, neugierig beäugt von einer Einheimischen in Berchtesgadner Trachtenjacke, die an eine in den Jugendstil gewendete Kirchgängerin Wilhelm Leibls erinnert. Mit dieser Postkarte, die einen Sanitätszug des Internationalen Roten Kreuzes zeigt, der Kriegsverwundete abtransportiert, warb das bayerische Landeskomitee um Spenden für die „Freiwillige Krankenpflege im Kriege“. eise n b a h n i n b a y er n Mythos Eisenbahn D ie Eisenbahn, eine zentrale Thematik der politischen und wirtschaftlichen Diskussion seit den 1830er-Jahren, und die alle Sinne erfassende Faszination der ersten von Dampflokomotiven bewegten Züge fanden vielfach Niederschlag in der zeitgenössischen Publizistik. Besonders Karikaturen vermitteln die Bandbreite der Empfindungen von ungläubigem Staunen und überschwänglicher Begeisterung bis zu realen Gefahren bei Bahnfahrten und diffusen Ängsten vor dem eisernen Ungetüm. Mit der Zeit und Raum revolutionierenden Neuerung und der Atmosphäre auf Bahnhöfen und in Zügen beschäftigten sich Schriftsteller, Maler, Fotografen und Filmschaffende ausgiebig. Die Eisenbahn ist eine vielschichtige Metapher in der gesamten Kunst. Faszinierende Eisenbahnwelten Die Eisenbahn fasziniert Menschen vom Kleinkind bis ins hohe Alter. Über viele Generationen war „Lokomotivführer“ der Traumberuf für Buben. „Wir haben alle mal Lokomotivführer werden wollen … Uns lockte das Vor- und Rückwärtsfahren, das Bremsen, das Hantieren an den Hebeln, das Herumsteigen auf der Lokomotive während der Fahrt (dieses besonders!), das Pfeifen, das Rangieren und Von Spitzweg bis Graffiti. Die Eisenbahn als Motiv in der Kunst umfasst nahezu alle Genres – von der realistischen Darstellung einer revolutionären Technik bis zur allegorisch-symbolhaften Überhöhung als Metapher für die Unaufhaltsamkeit der Zeit, für Vergänglichkeit und Tod. Die zeitgenössische Graffitikunst wiederum nutzt Eisenbahn und Bahnhofsgelände als „Malgrundlage“ – ohne das Eisenbahnwesen scheint der Siegeszug der Graffitikunst kaum denkbar. Links ein seit einiger Zeit auf das Sausen durch die Nacht … Um den Lokomotivführer ist Gemütlichkeit, trotz Schnelligkeit und genauer Zeit. Es hängt ihm noch ein Rest der Biedermeierstimmung an, aus der Zeit der ersten Lokomotive, als Herren mit Zylindern hinter turmhohen Schornsteinen die zauberhafte Maschine bedienten.“ (Walter Foitzick, 1942) Ungezählt sind die Geschichten von Eisenbahnen, von personifizierten Lokomotiven – am bekanntesten wohl die Lokomotive Emma mit ihren Freunden Lukas dem Lokomotivführer und Jim Knopf. Seit dem Aufkommen der Eisenbahn gibt es Spielzeugeisenbahnen in den unterschiedlichsten Materialien und Ausführungen. Sie waren für Generationen die großen Favoriten in der Spielzeugwelt. Für Modelleisenbahnen begeistern sich nicht nur Kinder, vor allem deren Väter zeigen großes Engagement in der Anlage und im Ausbau von Miniatur-Eisenbahnwelten. Auch von Ministerpräsident Horst Seehofer ist bekannt, dass er zu den begeisterten Modelleisenbahnern gehört. Vielerorts haben sich Eisenbahnfreunde in Vereinen zusammengeschlossen, um ihrem Hobby in geselliger Form nachzugehen. Sie pflegen die Eisenbahngeschichte, veranstalten Fahrten mit historischen Zügen, restaurieren alte Dampfloks oder treffen sich bei Modellbahnbörsen. Emma Mages einer Mauer kurz vor dem Münchner Hauptbahnhof befindliches Piece; HCCB steht wohl für “High Capacity Color Barcode” – ein Strichcode von Microsoft. Und wohl vom selben Sprayer stammt das nicht weit entfernt an der gegenüberliegenden Seite der Bahnstrecke befindliche „Logo“ der bayerischen Daily-soap „Dahoam ist dahoam“ – ein liebevoll verziertes Lebkuchenherz. 89 90 eise n b a h n i n b a y er n Carl Spitzweg, Gnom, Eisenbahn betrachtend, um 1848, Öl/Holz (Zigarrenkistendeckel), fränkischer Privatbesitz. Das im Jahr 2008 vom Auktionshaus Ketterer angebotene eigenwillige Motiv zeigt einen Gnom, der – aus sicherem Abstand – eine vorbei dampfende Eisenbahn beobachtet. Der Gnom (in der ausgeführten Form sind es zwei) symbolisiert die „alte“ Welt; er betrachtet aus sicherem Abstand die „neue Zeit“, die mit der dahinbrausenden Eisenbahn herankommt. Die Entmythologisierung der Welt – so scheint es das Fabelwesen zu sehen – ist wohl nicht mehr aufzuhalten. Paul Klee: München Hauptbahnhof II, 1911 (Feder/Papier auf Karton, 9,1 x 19,6 cm); Zentrum Paul Klee, Bern eise n b a h n i n b a y er n Wassily Kandinsky, Eisenbahn bei Murnau, auch genannt ‚Murnau – Aussicht mit Eisenbahn und Schloss’, Sommer 1909 (GMS 9, Städtische Galerie im Lenbachhaus, München) 91 92 eise n b a h n i n b a y er n „Promotionsvisualisierung“: Diese Zeichnung (Filzstift/gelochtes Endlospapier, 107 x 21cm) des damals siebenjährigen Florian Schilhabel ist 1983 entstanden, während seine Mutter die Promotionsarbeit von Emma Mages „Eisenbahnbau, Siedlung, Wirtschaft und Gesellschaft in der südlichen Oberpfalz“ auf der Schreibmaschine schrieb. Literatur Ausstellungskataloge Aufbruch ins Industriezeitalter, 4 Bde., hg. von Claus Grimm, hier bes. Bd. 4: Führer durch die Ausstellung zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Bayerns von 1750–1850 in Augsburg, München 1985 (Veröffentlichungen zur bayerischen Geschichte und Kultur Nr. 3–6/85) Ein Jahrhundert unter Dampf. Die Eisenbahn in Deutschland 1835–1919, 2. Aufl., Nürnberg 2009 (Geschichte der Eisenbahn in Deutschland. Katalog zur Dauerausstellung des DB Museums 1) Leben und Arbeiten im Industriezeitalter. Ausstellung zur Wirtschaftsund Sozialgeschichte Bayerns seit 1850 in Nürnberg, hg. von Gerhard Bott, Stuttgart 1985 Weichenstellungen. Eisenbahnen in Bayern 1835–1920, München 2001 (Ausstellungskataloge der Staatlichen Archive Bayerns 43) Bayerischer Geschichtsatlas, hg. von Max Spindler, Redaktion: Gertrud Diepolder, München 1969 (Karte 39a und S. 109–111, Bearbeiter G. Wenisch) Gall, Lothar/Pohl, Manfred (Hg.): Die Eisenbahn in Deutschland. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 1999 Glaser, Hermann: Kulturgeschichte der Deutschen Eisenbahn, Gunzenhausen 2009 Glaser, Hermann: Maschinenwelt und Alltagsleben. Industriekultur in Deutschland vom Biedermeier bis zur Weimarer Republik, Frankfurt 1981 Handbuch der bayerischen Geschichte. Bd. IV: Das Neue Bayern. Von 1800 bis zur Gegenwart, begr. von Max Spindler, 2. Aufl. neu hg. von Alois Schmid: 1. Teilband: Staat und Politik, München 2003; 2. Teilband: Innere Entwicklung und kulturelles Leben, München 2007 (bes. Beiträge von Wilhelm Volkert und Rainer Gömmel) Zug der Zeit – Zeit der Züge. Deutsche Eisenbahn 1835–1985, 2 Bde., Berlin 1985 Knauß, Hans: Halb Fabrik, halb historischer Palast. Bahnhöfe in Bayern – Zur Entwicklung eines Bautypus, in: Unser Bayern. Heimatbeilage der Bayerischen Staatszeitung 34/7 (1985), S. 52–54 Weitere Literatur Amedick, Sigrid: Männer am Schienenstrang. Sozialgeschichte der unteren bayerischen Eisenbahnbeamten 1844–1914, Stuttgart 1997 (Industrielle Welt 57) Liebl, Anton J.: Die Privateisenbahn München-Augsburg (1835–1844). Entstehung, Bau und Betrieb. Ein Beitrag zur Strukturanalyse der frühen Industrialisierung Bayerns, München 1982 (Miscellanea Bavarica Monacensia 103) Bartelsheim, Ursula: Versailles auf Rädern. Ludwig II. und sein Hofzug, Nürnberg 2009 (Objektgeschichten aus dem DB Museum 1) Lobenhofer-Hirschbold, Franziska: Fremdenverkehr (von den Anfängen bis 1945), in: Historisches Lexikon Bayerns, S. 1–10, URL: <http://www. historisches-lexikon-bayerns.de/artikel/artikel_44714> (15. Oktober 2009) eise n b a h n i n b a y er n Lohmann, Fritz: Die Entwicklung der Lokalbahnen in Bayern, Leipzig 1901 (Wirtschafts- und Verwaltungsstudien mit besonderer Berücksichtigung Bayerns 11) Schäfer, Hans-Peter: Die Entstehung des mainfränkischen EisenbahnNetzes, Teil 1: Planung und Bau der Hauptstrecken bis 1879, Würzburg 1979 (Würzburger Geographische Arbeiten 48) Löwenstein, Theodor: Die bayerische Eisenbahnbaupolitik bis zum Eintritt Deutschlands in die Weltwirtschaft 1825 bis 1890, Diss. Frankfurt am Main 1926, Teildruck Berlin 1927 Schweizer, Karl: 150 Jahre Eisenbahn im Landkreis Lindau, in: Jahrbuch des Landkreises Lindau 18 (2003), S. 9–38 Luth, Kosmas: Der Bau der bayerischen Eisenbahnen rechts des Rheines, München/Leipzig 1883 Mages, Emma: Eisenbahnbau, Siedlung, Wirtschaft und Gesellschaft in der südlichen Oberpfalz (1850–1920), Kallmünz 1984 (Regensburger Historische Forschungen 10) Mages, Emma: „… mit Dampfesflügeln auf der Eisenstraße fahren …“ 150 Jahre Eisenbahn im Regensburger Land, in: Regensburger Land 2 (2009), S. 45–62 Mages, Emma: „…um Wohl und Wehe für alle Zeiten“. Zum 150-jährigen Jubiläum der Eisenbahn im Landkreis Amberg-Sulzbach, in: Der Eisengau 32 (2009), S. 6–36 Marggraff, Hugo: Die königlich bayerischen Staatseisenbahnen in geschichtlicher und statistischer Beziehung. Gedenkschrift zum 50. Jahrestag der Inbetriebsetzung der 1. Staatsbahnstrecke Nürnberg-Bamberg am 1. Oktober 1844, München 1894 Ringsdorf, Ulrich Otto: Der Eisenbahnbau südlich Nürnbergs 1841–1849. Organisatorische, technische und soziale Probleme, Diss. Würzburg 1977, Nürnberg 1978 (Nürnberger Werkstücke zur Stadt- und Landesgeschichte 24) Sendner-Rieger, Beatrice: Die Bahnhöfe der Ludwig-Süd-Nord-Bahn 1841–1853, zur Geschichte des bayerischen Staatsbauwesens im 19. Jahrhundert, Karlsruhe 1989 Weigelt, Horst: Bayerische Eisenbahnen. Vom Saumpfad zum Intercity, Stuttgart 1982 Witt, Günther: Die Entstehung des nordostbayerischen Eisenbahnnetzes, politische, wirtschaftliche und verkehrsgeographische Motive und Probleme, Diss. Erlangen-Nürnberg 1968 Zeitler, Walther: Eisenbahnen in Niederbayern und der Oberpfalz. Die Geschichte der Eisenbahn in Ostbayern, 2. Aufl., Amberg 1997 Zeitler, Walther/Hufschläger, Helge: Die Eisenbahn in Schwaben 1840 bis heute. Geschichte, Betrieb, Technik, Stuttgart 1980 93 94 kra u ss & c o m p. Lokomotivfabrik Krauss & Comp. mit der festlich geschmückten 1000. Lokomotive, 1882 Lokomotiven für alle Spurweiten Die Münchner Lokomotivfabrik Krauss & Comp. kra u ss & c o m p. Die erste Lokomotive der Firma Krauss, die „Landwührden“, 1867 Georg Krauß, Fotografie, 1901 A ls Georg Krauß am 17. Juli 1866 den Gründungsvertrag der Lokomotivfabrik „Krauss & Comp.“ unterzeichnete, befuhren Dampflokomotiven aus deutscher Produktion bereits 25 Jahre lang das Schienennetz des Zollvereins. Borsig in Berlin, Maffei in München, Kessler in Karlsruhe, Egestorff in Hannover, Henschel in Kassel und Hartmann in Chemnitz – alle diese Lokomotivbauunternehmen der ersten Stunde hatten schon 500 und mehr Maschinen geliefert, als der Newcomer Krauß sich in das hart umkämpfte Geschäft wagte. Weniger wohlmeinende Zeitgenossen unkten bereits über die Aussichtslosigkeit eines solchen Unterfangens, als Krauß mit einem Paukenschlag alle Zweifler zum Verstummen brachte: Auf der Weltausstellung in Paris im April 1867 erhielt die „Landwührden“, seine erste in München gefertigte Lokomotive, die Große Goldene Medaille – die höchste Auszeichnung. Sie war nach einer neuen Bauart konstruiert, die nun als „System Krauß“ allgemeine Anerkennung fand. Münchner Dampfstraßenbahn mit Krauss-Lokomotive am Stiglmaierplatz, 1885 Dieser Erfolg war hart erarbeitet. Der damals 41-jährige Krauß war kein akademisch gebildeter Maschinenbauingenieur. 1826 in Augsburg als Sohn eines Webermeisters geboren, besuchte er nach Volks- und Gewerbeschule die Polytechnische Schule seiner Heimatstadt. Anderthalb Jahre verbrachte er als Volontär in der Lokomotivfabrik von Joseph Anton von Maffei in München. Dann arbeitete er sich bei den Königlich Bayerischen Staatseisenbahnen vom Lokführer zum Obermaschinisten und zum Bahnbetriebsleiter in Kempten und Lindau hoch. Während dieser Jahre erwarb Krauß ein qualifiziertes Fachwissen in der Lokomotivtechnik. 1857 wechselte er als Maschinenmeister zur Züricher Nord-Ost-Bahn, der größten Eisenbahngesellschaft der Schweiz. Dort konnte er seine Fähigkeiten als Maschinenbauer erstmals unter Beweis stellen. 1864 betraute ihn die Direktion mit dem Bau neuer Lokomotiven, die er ganz nach seinen Ideen gestaltete. Die Loks sollten über wenig Eigengewicht, aber doch über große Zugkraft verfügen. Krauß löste die Aufgabe durch die Einführung der Kastenbauweise für das Fahrgestell der Maschine. Die Kastenform bewirkte eine Verschlankung der Konstruktion bei erhöhter Stabilität und senkte die Materialkosten. Das eingesparte Gewicht erlaubte größere, leistungsfähigere Kessel. Außerdem konnte der Rahmen zugleich als Wasserbehälter genutzt werden. Eine flexible Regulierung der Wassermenge gestattete die Anpassung des Lok-Gewichts an die jeweiligen Witterungs- und Steigungsverhältnisse und bewirkte eine optimale Schienenhaftung. Ende 1864 baute Krauß für seinen Schweizer Arbeitgeber die vierte Lokomotive. Damals fasste er den Entschluss, Zürich zu verlassen und sich in München unternehmerisch selbstständig zu machen. Schwieriger als gedacht verlief die Kapitalbeschaffung. Georg Krauß selbst verfügte 95 96 kra u ss & c o m p. Urkunde zur Verleihung der Fortschrittsmedaille an Krauss & Co. auf der Wiener Weltausstellung von 1873 über 40 000 Gulden. Nur mit Mühe gelang es ihm, Geldgeber für die noch fehlenden 260 000 Gulden zu finden. Verantwortlich für die Zurückhaltung der Investoren war sein ehemaliger Münchner Arbeitgeber Maffei. Er versuchte aus Sorge vor unliebsamer Konkurrenz mit allen Mitteln, Krauß’ Pläne zu durchkreuzen, was aber letztlich nicht gelang. Am 9. März 1866 erhielt Krauß von den Behörden grünes Licht für die Errichtung seiner Fabrik auf dem Marsfeld unweit des Münchner Hauptbahnhofs. Am 15. März 1867 verließ die in Paris prämierte „Landwührden“ die Werkshallen. Auf der Wiener Weltausstellung 1873 wurden KraussLokomotiven mit der Fortschrittsmedaille ausgezeichnet. Für Aufsehen sorgte 1875 die Eröffnung der Uetlibergbahn, als eine von Krauß gelieferte Lok mehrere Personenwagen auf den Gipfel des Züricher Aussichtsberges schob. Auf der 10 km langen Strecke waren Steigungen von bis zu 7,9 Prozent zu überwinden – eine Leistung, die normalerweise nur von Zahnradbahnen erbracht wurde. Die Linie galt als steilste normalspurige Adhäsionsbahn Europas, was Krauß’ Ansehen weiter steigerte und die Auftragsbücher füllen half. 1872 wurde die 200., 1882 die 1000., 1888 die 2000. und 1904 die 5000. Lokomotive ausgeliefert. Der Jahresumsatz wuchs von 1867 bis 1874 von 0,5 auf 4,1 Millionen Mark, die Zahl der Arbeiter von 198 auf 705. 1872 eröffnete Krauß ein zweites Werk am Münchner Südbahnhof, 1880 ein drittes im oberösterreichischen Linz a. d. Donau. Ein Vorzug des „Systems KrauSS“ lag in seiner flexiblen Verwendung für alle Maschinengrößen und Spurweiten. Bis zur Jahrhundertwende lieferte die Münchner Fabrik Lokomotiven mit 106 verschiedenen Spurmaßen bei einer Leistung von 5 bis 800 PS. Krauß bediente damit vor allem die wachsende Nachfrage nach Klein- und Schmalspurlokomotiven. Beim innerbetrieblichen Materialtransport, in Untertagegruben, Steinbrüchen oder auf Großbaustellen kamen die als unverwüstlich geltenden Triebfahrzeuge in Feld- und Industriebahnen zum Einsatz. Die Hälfte der bis 1904 produzierten Maschinen entfiel auf dieses Segment. Auch im Geschäft mit den Eisenbahngesellschaften spielte der Schmalspursektor eine große Rolle. Um 1875 waren die Hauptbahnstrecken überwiegend gebaut. Nun ging es um die Erschließung des flachen Landes durch Nebenbahnen. Um diese Linien rentabel zu betreiben, mussten die Bau- und Betriebskosten gering gehalten werden, was mit kostensparenden Schmalspurbahnen gelang. 43 Prozent der von Krauß bis 1904 an Eisenbahngesellschaften gelieferten Lokomotiven kamen auf Sekundärstrecken zum Einsatz. Um den Absatz seiner Loks zu fördern, betätigte Krauß kra u ss & c o m p. Schmuckblatt anlässlich der Fertigstellung der 3000. Lokomotive, 1894 sich als Generalunternehmer für den Bau von Bahnlinien. In Thüringen errichtete und betrieb er die 44 km lange „Feldabahn“ – Deutschlands erste meterspurige Eisenbahn. In Oberösterreich folgte 1880 die über 61 km von Linz a. d. Donau nach Klaus führende „Kremstalbahn“, im elsässischen Colmar 1885 die 25 km lange „Kaysersberger Talbahn“. 1883 eröffnete Krauß in Wien den Betrieb einer „Dampftramway“ mit einem 42 km umfassenden Schienennetz. Im gleichen Jahr startete die Münchner Dampfstraßenbahn. Sie führte vom Starnberger Bahnhof über den Stiglmaier-Platz nach Nymphenburg, erreichte mit den von Krauß gelieferten Loks eine Geschwindigkeit von 16 km/h und blieb bis 1900 in Betrieb. Auch in Städten Oberitaliens und der Niederlande fuhren Tramwayloks von Krauß. Tragende Säule des Geschäfts war der Export. Über die Hälfte der Lokomotiven ging ins europäische Ausland, nach Asien und Südamerika. Ab 1875 führte die extreme Konjunkturabhängigkeit des Lokbaues auch bei Krauß zu tiefen und länger anhaltenden Umsatzeinbrüchen. Erst ab 1890 setzte erneut ein starkes Wachstum ein. 1900 war mit 2200 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von 11,7 Millionen Mark der Höhepunkt erreicht. Zu diesem Zeitpunkt hatte Georg Krauß sich längst aus dem operativen Geschäft zurückgezogen. Nachdem sein einziger Sohn Konrad 1885 tödlich verunglückt war, vollzog er 1886 die Umwandlung des Unternehmens in eine Aktiengesellschaft und wechselte als Vorsitzender in den Aufsichtsrat. Ein Jahr vor seinem Tod verlieh die Technische Hochschule München dem in den Adelsstand erhobenen Unternehmer 1905 „in Anerkennung seiner bahnbrechenden Leistungen auf dem Gebiet des Lokomotivbaus“ die Ehrendoktorwürde. Für neue Aufträge sorgte die beginnende Elektrifizierung der Eisenbahn. 1909 fertigte das Unternehmen den Fahrzeugteil der ersten bayerischen Elektrolokomotive, die auf der Strecke Murnau—Oberammergau zum Einsatz kam. Heeresaufträge im Ersten Weltkrieg und Reparationslieferungen an die Siegermächte brachten die Produktion noch einmal in Fahrt. 1923 verließ die 8000. Lokomotive das neue Werk in MünchenAllach. Danach bescherten Überkapazitäten und die Weltwirtschaftskrise allen Herstellern rote Zahlen. Dabei kam die „Krauss & Comp. AG“ noch glimpflich davon. 1931 übernahm sie den schwer angeschlagenen Münchner Konkurrenten Maffei und ging als „Krauss-Maffei AG“ gestärkt aus der Krise hervor. Das Ende der mit dem Namen Krauß verbundenen Tradition kam 2001, als Siemens die Verkehrssparte der aufgelösten Krauss-Maffei AG übernahm. An die Anfänge erinnert noch heute die „Landwührden“, Krauß’ preisgekröntes Erstlingswerk, das im Deutschen Museum bewundert werden kann. Richard Winkler 97 98 still g ele g te strecke n Ein Prellbock in der Landschaft – Stillgelegte Strecken Simbach (Inn)—Kößlarn, ehemalige Einfahrt von Süden in den Bahnhof Tuttling still g ele g te strecke n Kempten Stellwerk I—Kempten (Allgäu) Hauptbahnhof, zwei ehemalige Illerbrücken der ursprünglichen Ludwig-Süd-Nord-Bahn-Trasse zum 1971 abgerissenen Kopfbahnhof. Die linke Holzfachwerkträgerbrücke wurde von 1852 bis 1904 verwendet und dann durch die rechte Betonbrücke ersetzt (Aufnahme 1999). A ls die ersten Hauptbahnen voller Enthusiasmus und oft unter größten Herausforderungen gebaut wurden und als ein halbes Jahrhundert später das Eisenbahnfieber in den Regionen zum zweiten Mal ausbrach, dachte wohl niemand daran, dass die „eisernen Bahnen“, welche sich zu regelrechten Lebensadern entwickelt hatten, einmal überflüssig werden würden. Niemand konnte sich wohl vorstellen, dass im Lauf einiger Jahrzehnte fast 150 Strecken und damit ein Drittel des bayerischen Schienennetzes stillgelegt werden würde. Es waren zum großen Teil die Nebenbahnen, welche ungefähr die Hälfte des Gesamtnetzes ausmachten, die nach und nach verschwanden, aber auch aufwändig für zwei Gleise trassierte Hauptbahnlinien, die teilweise sogar über Grenzen hinweg Länder verbanden und an welche einstmals große Erwartungen geknüpft waren, fielen der Stilllegung zum Opfer. Obwohl im Zweiten Weltkrieg fast die Hälfte aller Bahnanlagen zerstört wurde, waren Kriegsschäden nur zu einem geringen Teil und in Bayern nur in einem einzigen Fall Auslöser für die Stilllegung eines Streckenabschnitts. So sprengten Angehörige der Deutschen Wehrmacht im April 1945 in Kitzingen die Mainbrücke der nach Schweinfurt führenden Steigerwaldbahn, eine der längsten Nebenbahnen in Bayern. Trotz stetiger Bemühungen der Stadt wurde diese nie wieder aufgebaut, sodass die Strecke nur noch von Norden her befahrbar war. Bald nach Kriegsende begann eine Phase intensiven Wiederaufbaus der zer- Gunzenhausen—Nördlingen („Ludwig-Süd-Nord-Bahn“), Formsignale im Bahnhof Wassertrüdingen (Aufnahme 1995) störten Eisenbahnstrecken, wenngleich dies oft nur mit einfachsten Mitteln und häufig provisorisch erfolgte: In Schweinfurt wurde der Main 38 Jahre lang mittels einer damals errichteten Behelfsbrücke überquert! Die Wiederinstandsetzung der Eisenbahnstrecken trug zum allmählich einsetzenden wirtschaftlichen Aufschwung bei. In weiten Teilen wurde das lahm gelegte Netz befahrbar gemacht und auch scheinbar unbedeutende Orte mit weniger als 2 000 Einwohnern, welche durch Stichbahnen Anschluss an die weite Welt gefunden hatten, waren nun wieder mit dem Zug erreichbar. Man konnte mit „seiner“ Bahn nach Heimbuchenthal, Leupoldsdorf, Rügland-Unternbibert, Alling, Haidmühle, Obing oder Lechbruck und an die zahlreichen Unterwegsstationen gelangen. Ungünstig für den Fortbestand einer Strecke war bisweilen – abgesehen von der geringen Größe einer Gemeinde – die Tatsache, dass die Bahnhöfe manchmal relativ weit außerhalb des Ortes lagen, was in der Topografie bzw. Streckenführung begründet lag (Wallenfels, Heideck, Bad Heilbrunn, Roßhaupten). Mancherorts konnte man sich nicht auf einen Bahnhof einigen (Aub-Baldersheim, Höchstädt-Thierstein, Asch-Leeder) und zuweilen fiel die Entscheidung im Interesse Einzelner, wie dies schon Ludwig Thoma in seinem Stück „Die Lokalbahn“ beschrieben hat: Wegen der Ziegelei des Barons kommt der Bahnhof „eine Viertelstunde vor die Stadt hinaus“. Insgesamt aber veränderte sich das Verkehrswesen in der Zeit von Wiederaufbau und Wirtschaftswunder grundle- gend. Omnibusse und der zunehmende Individualverkehr bedrängten die Bahnen im Hinblick auf den Personentransport, so wie die Eisenbahn seinerzeit Kanalbetreibern und Kutschern Konkurrenz gemacht hatte. Aber auch Bahnen haben Bahnen verdrängt: Neue Strecken entwickelten sich zu Konkurrenzlinien, sodass manche ehemalige Hauptbahn zur Nebenstrecke herabgestuft oder ganz stillgelegt wurde. So war die Strecke (Pleinfeld—)Gunzenhausen—Nördlingen, bereits 1848 als Teil der Ludwig-Süd-NordBahn eröffnet, Glied einer Magistrale von Sachsen in die Schweiz; 1906, als die wesentlich kürzere Verbindung über Treuchtlingen nach Donauwörth endgültig fertig gestellt wurde, hatte sie nur noch lokale Bedeutung, bis dann der Personenverkehr zwischen Gunzenhausen und Nördlingen 1985 ganz eingestellt wurde. Häufiger Grund für eine Stilllegung war die Tatsache, dass eine Strecke bei städtebaulichen oder Straßenbaumaßnahmen einfach im Weg war. Dies war der Fall bei der Verbindung von Berchtesgaden Hauptbahnhof nach Salzburg Lokalbahnhof; diese Strecke wurde bereits 1939 trotz hoher Frequentierung und Rentabilität bis zur Landesgrenze abgebrochen, weil sie beim Bau der Zufahrtsstraße zum Obersalzberg hinderlich war. Auch Wasserbaumaßnahmen musste manche Bahnlinie weichen: So beschleunigte der Bau des Eixendorfer Stausees den Untergang der Bahnlinie von Bodenwöhr Nord über Neunburg vorm Wald nach Rötz in der Oberpfalz und verschlang etliche Kilometer der Trasse. 99 100 still g ele g te strecke n Neustadt (Aisch) Bahnhof—DemantsfürthÜhlfeld, Haltestelle Dachsbach mit hölzernem Agenturgebäude (Aufnahme 1995) Haßfurt—Hofheim (Unterfranken), Bahnhof Königsberg (Bayern) mit Dienstgebäude und Güterschuppen (Aufnahme 1999) Bamberg—Scheßlitz, Trasse westlich von Memmelsdorf (Aufnahme 1999) Pressath—Kirchenthumbach, Bahnhofsanlagen Eschenbach (Oberpfalz), im Hintergrund das Dienstgebäude (Aufnahme 1997) Sinzing—Alling, Dienstgebäude des Bahnhofs Alling (Aufnahme 2002) Gessertshausen—Türkheim (Bayern) Bahnhof („Staudenbahn“), Trasse nördlich von Ettringen (Aufnahme 1995) still g ele g te strecke n Pilsting—Abzweigstelle Elsenbach/Neumarkt-St. Veit, Relikt einer für zwei Gleise angelegten Brücke südlich von Mamming (Aufnahme 1996) Mellrichstadt Bahnhof–Fladungen, Bahnhof Nordheim vor der Rhön mit Dienstgebäude, Güterschuppen und Laderampe (Aufnahme 1999) 101 102 still g ele g te strecke n Der preisgekrönte Spielfilm „Wallers letzter Gang“ mit Rolf Euba in der Hauptrolle (Buch und Regie: Christian Wagner) ist literarisch und dokumentarisch zugleich: Er fußt zum einen auf dem Roman „Die Strecke“ von Gerhard Köpf und ist zum anderen inspiriert von akribischen Recherchen an der Bahnlinie Isny—Kempten und ausführlichen Interviews mit dem Streckengeher Anton Kretzler. Die DVD zum Film enthält ausführliche Materialien zur Entstehung des Film, aber auch zur Geschichte der 1989 endgültig abgebauten Bahnstrecke. (www.wagnerfilm.de) Die Aufgabe einer Bahnstrecke erfolgte in den wenigsten Fällen stillschweigend. Nach intensiven Planungsphasen und oft hohen finanziellen Aufwendungen der betroffenen Gemeinden, der feierlichen Einweihung mit dem Jahrzehnte währenden Betrieb war die „eigene“ Bahn zu einem festen Bestandteil des Alltags geworden, mit der man sich stark identifizierte. Dies zeigt sich auch an den liebevollen Bezeichnungen, die der Volksmund für seine Eisenbahn fand: „Schäätzer Bockäla“, „Seekuh“, „Falkensteiner Bockerl“ oder „Legauer Rutsch“ sind nur einige Beispiele. Stilllegungspläne führten häufig zu Protesten in den Gemeinden und das Ende war eine Inszenierung, die viel mit der Einweihung gemein hatte: Der letzte planmäßig verkehrende Zug, festlich geschmückt wie bei der Eröffnung, war voll besetzt wie bei der Jungfernfahrt. Im Fall der Rötzer Bahn ging der Protest so weit, dass Bürgermeister und Stadtrat ihre Ämter niederlegten und die Regierung der Oberpfalz einen Kommissär entsandte, um die Lage zu beruhigen. In der Regel wurde zunächst der Personenverkehr auf der Bahnstrecke eingestellt und auf Omnibusverkehr umgestellt; nur auf we- nigen Strecken blieb ein, meist bescheidener, Güterverkehr aufrechterhalten; bisweilen erfährt eine Strecke eine Neubelebung durch die Veranstaltung touristischer Sonderfahrten. Am stärksten war Oberfranken von der Stilllegungswelle betroffen (474,9 Kilometer, 29 Strecken), am wenigsten Mittelfranken (262,7 Kilometer, 15 Strecken), obwohl dieser Bezirk 13 Quadratkilometer größer ist und eine um 600 000 höhere Einwohnerzahl hat. Die Gleise der stillgelegten Strecken wurden meist abgebaut, die Trassen kann man aber vielerorts noch aufspüren, häufig auch begehen, wenn man sich an alten Landkarten und Fahrplänen orientiert. Man kann den Charme unbekannter Orte entdecken, die Landschaft in sich aufnehmen, den Reiz des Vergänglichen im Augenblick spüren, aber auch die einstige kulturelle und verkehrs geografische Bedeutung der Bahn gerade auf dem Land erahnen − und seine Gedanken auch in die Zukunft schweifen lassen. Und bestimmt würde man sonst nie nach Sameis ter und Freßlesreuthe, Wullenstetten und Witzighausen, Hexenagger und Tettenagger, Wiesenthau und Pinzberg, Unterleinleiter, Voccawind, Pflaumheim-Wenigumstadt, Poppenlauer, Leichendorf und Vincenzenbronn, Hohe Tanne, Altenplos und Krumme Fohre, Krummennaab, Kleinschloppen, Schnabelweis oder Knadlarn kommen. Und wüsste vielleicht gar nicht, dass Königsberg in Bayern liegt. Die untergegangenen Schienenwege sind auf die unterschiedlichste Weise gegenwärtig und durch allerhand Hoch-, Kunst- und Erdbauten bezeugt. Bis zum Ende der 1990er-Jahre waren immerhin noch ungefähr 300 Bahnhofsbauten und 500 Brücken erhalten. Völlig untergegangen ist eine einzige Strecke: ausgerechnet die legendäre Ludwigsbahn von Nürnberg nach Fürth, von der eine rasante Entwicklung ihren Anfang genommen hatte. Bis zu ihrer Stilllegung 1922 hatte sie über 85 Jahre lang als reiner Inselbetrieb ohne Anschluss an das bayerische Netz existiert, trotz der Konkurrenz durch die Ludwig-Süd-Nord-Bahn, welche nach einer Neutrassierung auch Fürth berührte, und trotz einer direkt daneben liegenden zweigleisigen elektrischen Straßenbahn. Ob Relikte früherer Bahnstrecken erhalten bleiben und welcher Nutzung sie zugeführt still g ele g te strecke n „Zug ist hier schon lange keiner mehr durchgekommen. Die Bahnhöfe verfallen, die Wartehäuschen sind windschief, die Bahnsteige verkommen … keine Anschlusszüge mehr. Irgendwo liegt ein Kursbuch herum, der Wind spielt mit den knisternden Seiten …“ (Gerhard Köpf, Die Strecke) werden, ist sehr unterschiedlich: Eine vor über 110 Jahren stillgelegte Linie in Niederbayern (Perkam—Abzweigstelle Atting) weist noch mächtige Erdbauten und den ehemaligen Bahnhof von Pilling auf, welcher als solcher allerdings nicht mehr zu erkennen ist und als Bauernhof genutzt wird. Deggendorfs erstes Stationsgebäude im Ortsteil Fischerdorf, vor über 130 Jahren wegen einer Streckenverlegung aufgegeben, ist gut erhalten und dient heute als Wohnhaus, während die Trasse in Feldern völlig aufgegangen ist. Dagegen gibt es Linien, die wesentlich später stillgelegt wurden, von denen aber kein einziges Empfangsgebäude mehr vorhanden ist. So präsentieren sich diese Zeugnisse des Industriezeitalters in sehr unterschiedlichen Zuständen. Es gibt romantisch anmutende Trassenüberreste ohne Überbauung durch Siedlungen oder Bereinigung von Fluren; melancholisch stimmende Schottertrassen, morsche Schwellen, rostige Schienen, funktionslose Signale, vergessene Waggons und verlassene Gebäude; schwer zu erkennende Einschnitte und Erhebungen, Schneisen durch Wälder, charakteristischen Bewuchs, Feldwege und Straßen, welche sich dem Eisenbahnarchäologen mit entsprechendem Gespür und manches Mal nur mithilfe von Zeitzeugen erschließen. Das Ende der Strecke oder ihren Anfang markieren häufig der symbolträchtige Prellbock, zwischen Schienen gekreuzte Schwellen, die Haltscheibe oder das Gleisende ... Oft findet man auch zu Radwanderwegen ausgebaute Trassen, allein in Bayern hunderte Kilometer, wobei man der ursprünglichen Streckenführung teilweise nur auf einzelnen Abschnitten bis zu Landkreis- oder Gemeindegrenzen folgen kann. Manche ungenutzte Strecke blieb aber auch im ursprünglichen Zustand erhalten, sie wird „vorgehalten“ und nur die Vegetation bemächtigt sich ihrer und lässt sie „verkrauten“. Hintergrund sind meist potenzielle Militärtransporte oder die Hoff- nung auf eine Wiederinbetriebnahme. Die grenzüberschreitende Linie vom oberfränkischen Selb-Plößberg nach Asch (Böhmen) beispielsweise, ursprünglich Teil der Pachtbahn von Oberkotzau (bei Hof) nach Eger – in den 1970er- und 1990er-Jahren zur Nebenbahn zurückgestuft (während der tschechische Teil bis heute den Status einer Hauptbahn hat) – könnte jederzeit wieder in Betrieb genommen werden und die Regio nen der beiden Nachbarländer verknüpfen. Es gibt auch Strecken, die funktionstüchtig bleiben für einen vereinfachten Betrieb oder sogar elektrifiziert und hauptbahnmäßig ausgebaut werden wie die Verbindung Waigolshausen—Wernfels, die als Abkürzung für den Güterverkehr von Schweinfurt nach Gemünden dient. Auf manchen Strecken, beispielsweise in Mellrichstadt—Fladungen oder Ebermannstadt—Behringersmühle, findet in den Sommermonaten ein nostalgischer Museumszugverkehr statt. In Bayern wurde im Jahr 1995 mit der Auflassung der unterfränkischen Nebenbahn von Haßfurt nach Hofheim, an welcher übrigens das bayerische Königsberg liegt, die Welle der Stilllegungen gebannt. Ob das Ende dieses „Rückbaus“ endgültig oder nur vorläufig ist, bleibt abzuwarten. Nur die allerwenigsten der stillgelegten Bahnen sind jemals wieder in Betrieb genommen worden. So wurden bald nach dem Mauerfall und der Öffnung der Grenzen von Mellrichstadt und Neustadt bei Coburg 1991 zwei Verbindungen nach Thüringen (Rentwertshausen und Sonneberg) wieder eröffnet sowie die mit 0,0 Kilometern kürzeste aller Strecken von Bayerisch Eisenstein nach Böhmisch Eisenstein reaktiviert; die deutsch-tschechische Grenze verlief mitten durch das seit 1878 bestehende gemeinschaftliche Dienstgebäude, über Gleise und Bahnsteige – der trennende Zaun wurde abgebaut und so wieder ein durchgehender Verkehr nach Pilsen ermöglicht. Von den rein innerbayerischen Strecken hat man nur zwei wieder belebt. 1994 wurde der Ab- schnitt Mühldorf (Inn)—Wasserburg (Inn) Bahnhof der Linie nach Rosenheim neuerlich in Betrieb genommen, auf welchem der Verkehr seit 1985 geruht hatte, nachdem die Fahrgäste einige Jahre lang vor der für Züge gesperrten 150 Meter langen Innbrücke bei Jettenbach aussteigen und diese zu Fuß überqueren mussten, um dann wieder zur Fortsetzung der Fahrt in einen anderen Triebwagen einzusteigen. Die von der Deutschen Bahn geplante Stilllegung war vom Bund nicht befürwortet worden, vor allem auch aus militärstrategischen Gründen, und so konnte nach der Sanierung zweier Brücken die 1876 als Hauptbahn eröffnete Linie von Mühldorf nach Rosenheim wieder durchgängig befahren werden. Außerdem wurde der erst 1952 eingerichtete Personenverkehr auf der oberbayerischen „Kurzstrecke“ Hörpolding—Traunreut, welcher über 40 Jahre geruht hatte, 2006 wieder aufgenommen und bietet seitdem einen attraktiven Fahrplan. Die Reaktivierungsversuche stillgelegter Bahnen in Bayern sind über private Planungen und Machbarkeitsstudien, wie im Fall des traditionsreichen Süd-Nord-Bahnabschnitts von Gunzenhausen nach Nördlingen, bisher nicht hinausgekommen. Dass sich so manche Gemeinde wieder einen Bahnanschluss wünscht, steht auf einem anderen Blatt und in vielen Fällen ist der letzte Zug sicherlich für immer abgefahren. Es gibt zwar Busse (nicht immer) und (schon längst) das Auto, aber vielleicht hätte man lieber mit der Bahn oder sogar nur wegen der Bahn an manchen Ort fahren wollen. Wilfried Ernst Hölzler NB: Wilfried Ernst Hölzler ist der wohl beste Kenner der 152 stillgelegten Eisenbahnlinien in Bayern, die er sich auf über 3000 km „ergangen“ und mit seiner Spiegelreflexkamera in atmosphärisch dichten Bildern dokumentiert hat. In seinem Buch „Gehen, wo man nicht mehr fahren kann“ (Buchloe 2007, ISBN 978-3-927781-37-5) setzt er den Strecken in Schwaben ein Denkmal. 103 104 B A HNHOF A S C H A FF E NBU R G Bahnhof Aschaffenburg: 4 Aktionen Die Installation GÖTTERBOTE des Künstlers Udo Breitenbach – zu sehen 2009 in einer Kabinettausstellung des Aschaffenburger KunstLanding – war Teil einer Kunstaktion, die im Zusammenhang mit dem Abriss des Bahnhofs Aschaffenburg stattfand, der in seiner Entstehungszeit als der schönste Bahnhof der jungen Republik galt. Mit dem Abriss des Aschaffenburger Bahnhofs wäre der keramische Fassadenwandschmuck unwiederbringlich verloren gegangen, hätte Breitenbach den „Götterboten” nicht in allerletzter Minute gerettet. B A HNHOF A S C H A FF E NBU R G Aktion 1: HERMES-RETTUNG Die Rettungsaktion entstand aus dem Impuls, ein dem Untergang geweihtes Kunstwerk im öffentlichen Raum zu erhalten und die, aus Sicht des Künstlers, mangelnde Wertschätzung von Alltagskultur aufzuzeigen: Mit dem Votum der Aschaffenburger Bürger für den Abriss des mustergültigen Fünfzigerjahrebahnhofs war auch das Schicksal der Fliesenbilder besiegelt, die den Götterboten Hermes und ein geflügeltes Rad, das Symbol der Eisenbahn, zeigten. Den Stadträten waren die Kosten für eine fachgerechte Demontage – von den Museen der Stadt Aschaffenburg empfohlen – mit mindestens 20 000 EURO zu hoch, zumal sich die Frage stelle, ob das überhaupt Kunst sei, und man ohnehin nicht wisse, was man mit den Fliesen anfangen solle. Als bereits die Bagger mit dem Abriss beschäftigt waren, entschloss sich Udo Breitenbach, die Rettung des „Hermes“ zu versuchen, die ihm die Abrissfirma ermöglichte: „Der kommt eh’ auf die Bauschuttdeponie!“. In einer 14-stündigen Notbergung mit Gerüst, Flex und Hammer konnte Breitenbach 243 Fliesen des Wandbildes retten, ehe die Aktion wegen Einsturzgefahr des benachbarten Gebäudeflügels abgebrochen werden musste. Ein Teil des luftigen Schals der Hermesfigur ging für immer verloren, ebenso das komplette „Geflügelte Rad“. Die beiden Wandbilder waren von dem Keramiker und Formgestalter Theo Rathgeber 1954 für den Aschaffenburger Bahnhof entworfen worden. Die Architektur des Bahnhofs wie auch die Wandbilder spiegeln den Optimismus des beginnenden Wirtschaftswunders wider. Der stilisierte geflügelte „Götterbote“ mit zwei gelben Koffern und wehendem Schal steht symbolisch für den Aufbruch in eine neue Zeit, die das Drama des Krieges hinter sich lässt. Aktion 2: HERMES-ENTSORGUNG Mit der Performance „Hermes-Entsorgung“ vollzog Breitenbach den Willen der Bürgervertreter symbolisch nach und entsorgte das Fliesenbild „ordnungsgemäß“ auf der Ringheimer Bauschuttdeponie, im Rahmen des Kulturevents „Kunst am Grenzweg“ – ganz in der Nähe des 1936/37 unter strengster Geheimhaltung errichteten Forschungsfliegerbunkers Ringheim, in dem nach Kriegsende zahlreiche Flüchtlinge Unterkunft fanden. Aktion 3: KULTUR-RECYCLING An Ort und Stelle rekonstruierte Breitenbach im Sinne einer „Alltagsarchäologie“ die Bruchstücke des „Hermes“ und gab diesem eine neue Identität „als Phönix aus der Asche“. Aktion 4: Installation GÖTTERBOTE im KunstLanding Bei seiner Installation „GÖTTERBOTE“ im KunstLanding nutzte Breitenbach die Mittel der Spurensicherung, Objektkunst, Malerei, Fotografie, Animation und Satire, um auf den aus seiner Sicht tragischen Verlust von Alltagskultur hinzuweisen. Die raumbezogene Installation bestand aus fünf Einzelarbeiten: 1. „GÖTTERBOTE“: Das raumbeherrschende Wand-/Deckengemälde in Acrylfarben bestimmt die Kabinettausstellung. Im Sinne der Pop-Art ist der „Götterbote“ ikonenhaft überhöht und wird zum Idol stilisiert. Die lebensgroße Darstellung erstreckt sich über Wände und Decke des kleinen Ausstellungsraums und scheint den „KulturRaum Aschaffenburg“ zu sprengen. 105 106 B A HNHOF A S C H A FF E NBU R G Alltagsarchäologe Breitenbach Götterbote neu Das geht mir wirklich an den Nierentisch Die Gnade(nlosigkeit) der späten Geburt B A HNHOF A S C H A FF E NBU R G 2. Fragmente des originalen Wandbildes „HERMES“ Dem Bild zu Füßen liegen die Reste des originalen Wandbilds als Fragment. Die handbemalten Fliesen rhythmisieren den Boden des Ausstellungsraums. Sie rekonstruieren nicht das Abbild des Hermes, sondern dekonstruieren die Darstellung des Götterboten, die idealtypisch den „Aufbruch in eine neue Zeit“ nach dem Drama des Nationalsozialismus symbolisierte. Die Installation zeigt die Eigenästhetik der Fragmente: Jede Kachel ist ein kleines abstraktes Kunstwerk für sich. 3. „Das geht mir wirklich an den Nieren-Tisch!“ Platz nehmen kann der Betrachter auf einer modernistischen Bahnhofsbank des Designers Harry Bertoia, die 1954 die Wartehalle des supermodernen Bahnhofs Aschaffenburg zierte. Sie gehört zu einer Installation, bei der sich zwei Monitore auf einem Nierentisch gegenüber stehen. Das futuristische Design des Fernsehgeräts „WEGA“ steht für den uneingeschränkten Zukunftsglauben und Willen zur „demokratisierten Moderne“ der „Wirtschafts-Wunderkinder“. Die Jetzt-Perspektive ist durch eine Fotodokumentation des Bahnhofsab risses in einer Performance „Götterbote“ in Ringheim präsent, die mit den inzwischen bereits als historisch empfundenen Designobjekten kontrastiert. Die Installation zitiert die künstlerischen Ausdrucksmittel des Fluxus (Nam June Paik) und stellt so einen Bezug zu den Anfängen der gesellschafts- und medienkritischen Aktions- und Videokunst der frühen 1960er-Jahre her. Fluxus postuliert den fließenden Übergang bzw. die Einheit von Kunst und Leben: „Es geht um in das Leben einwirkende Produktionsprozesse und nicht um die Abschottung der Kunst vor dem Leben.“ „Das Leben ist ein Kunstwerk, und das Kunstwerk ist Leben.“ (Emmett Williams) 4. „Die Gnade(nlosigkeit) der späten Geburt“ Mit dem Titel dekonstruiert Breitenbach das berühmte Zitat von der „Gnade der späten Geburt“ und bricht es ironisch. Ein Ausstellungsobjekt unter einer Glashaube, eine zeittypische 1950er-Jahre-Vase des Keramikers Theo Rathgeber, wird kontrastiert mit einem Betonfragment, das auf dem Standardwerk zur „Keramik der 50er Jahre“, lastet und es zu erdrücken droht. In dem Buch von Horst Markus sind Arbeiten des Schöpfers des Aschaffenburger „Hermes“ abgebildet, der mit einem Porträt gewürdigt und hier nun gleichsam erdrückt wird. 5. „BLAH“. Satire-Zeitung Mit der Sonderausgabe „BLAH“, einer BILD-Zeitungspersiflage, persifliert Breitenbach den „Hermes-Komplex“, den er als „kulturellen Kollateralschaden“ und Realsatire empfand. BLAH beinhaltet unter anderem die Fotomontage „Hermes flüchtet aus der Kulturstadt!“ Das Layout ist als Wandzeitung in der Ausstellung zu sehen. Zitiert wird dort auch der Katalog der Bayerischen Landesausstel- lung 2009 in der Würzburger Residenz, für die an den Ortseingängen von Aschaffenburg mit großen Transparenten geworben wurde. Der Katalog zur Landesausstellung beklagt im Schlusssatz zum Thema Architektur: „Und während in der Bayerischen Landesausstellung ‚Wiederaufbau und Wirtschaftswunder, die Architektur der Nachkriegszeit präsentiert wird, fällt der elegante Aschaffenburger Hauptbahnhof von 1954/55 der Abrissbirne zum Opfer.“ Spurensicherungsarbeiten im Œuvre Breitenbachs Die Kulturrettungsaktion steht in Udo Breitenbachs Œeuvre nicht alleine, beginnend 1994 mit der Spurensicherung zur Wendezeit (zusammen mit Eva Haak), gefolgt 1999 von der Translution eines ortstypischen Fachwerkhauses und 2009 dem (gescheiterten) Rettungsversuch des letzten authentischen DDR-Grenzbahnhofs in Probstzella als Schicksalsort, an dem 20 Millionen Transitreisende mehr oder minder großen Schikanen ausgesetzt waren, versucht der Künstler Bewusstsein für den identitätsstiftenden Wert von so genannter Alltagskultur zu schaffen. Nicht die Musealisierung, sondern die Integration von Geschichte in den Alltag ist sein Anliegen – historischer Fluxus könnte man sagen, in dem die Gegenwart in ein lebendiges, „lebendes“ Verhältnis zur Vergangenheit tritt. Die Hermes-Rettung soll auf das akut vom Verfall bedrohte Wandbild „Weltbaum – Grün ist Leben“ (1975) aufmerksam machen, das zu den frühen Werken der „Fassadenmalerei“ gehört. Den größten Teil des monumentalen Wandbilds von 1975 an der Fassade des Siegmundshofs in der Berliner Straße des 17. Juni entwarf der Aschaffenburger Künstler Siegfried Rischar. Aktuell setzt sich Udo Breitenbach für die Erhaltung des heute als Spielsalon genutzten Geburtshauses des Malers Ernst Ludwig Kirchner ein, der in Aschaffenburg die ersten drei Jahre seines Lebens verbrachte. Das in Bahnhofsnähe gelegene Haus steht zum Verkauf. Ernst Ludwig Kirchner hat der Prägung, die er hier erhalten hat, große Bedeutung beigemessen, wenn er schreibt: „Ich bin am Bahnhof geboren. Das erste, was ich im Leben sah, waren die fahrenden Lokomotiven und Züge, sie zeichnete ich, als ich drei Jahre alt war. Vielleicht kommt es von daher, daß mich besonders die Beobachtung der Bewegung zum Schaffen anregt. Aus ihr kommt mir das gesteigerte Lebensgefühl, das der Ursprung des künstlerischen Werkes ist.“ So ist der Bahnhof Aschaffenburg Erlebnisraum und künstlerische Inspirationsquelle, von Ernst Ludwig Kirchner über Theo Rathgeber bis hin zu Udo Breitenbach. Evamaria Brockhoff nach einem Text von Udo Breitenbach Interessierte für die Spurensicherungsarbeiten Udo Breitenbachs sind zu den Bürozeiten (Mo–Fr, 10–17 Uhr) im Kreativbüro Breitenbach & Pötschick, Pompejanumstraße 4, Aschaffenburg, Tel. 06021 412060 jederzeit willkommen. 107 108 der z u g i n s f reie Der Zug ins Freie M Meine Isartalbahn 1926 – 1936 eine schönste Erinnerung an Eisenbahnfahrten reicht weit in meine Kindheit zurück ... wir wohnten in München, als mein Vater 1926 in Walchensee ein Wochenendrefugium für uns errichtete, das fortan unser heiß geliebtes „Häusl“ war. Entworfen hat es übrigens der berühmte Münchner Architekt Richard Riemerschmid. Ich war damals fünf Jahre alt. Doch trotz der seither verstrichenen 84 Jahre kann ich mich genau an bestimmte Eindrücke auf unseren Fahrten mit der Isartalbahn erinnern: der eigentümliche Geruch der Dampflokomotive, die Waggons in der 3. Klasse, die mit einfachen Holzbänken aus lackierten Latten ausgestattet waren. Beleuchtet wurden die Abteile mit Karbidlampen. Unvergesslich ist mir das klackernde Geräusch, das die eisernen Räder auf den ungeschweißten Schienen machten, und zwischen den einzelnen Waggons konnte man den zischenden Dampf sehen, der aus den Bremsschläuchen entwich. Es war eine zweistündige Fahrt, die wir unternahmen, vom Isartalbahnhof in Sendling nach Bichl/Kochel am Kochelsee, durch Felder und Wälder. Der Zug hielt an jedem Ort, kaum eine Station war länger als eine Viertelstunde vom nächsten Halt entfernt. Aus dem offenen Waggonfenster in die Landschaft zu schauen brachte garantiert erst Ruß und dann Tränen in die Augen. Aber es waren wunderbare Fahrten und geregnet hat es meiner Erinnerung nach niemals! In Kochel angekommen, ging es dann, samt umfangreichem Gepäck, mit dem Postbus über den Kesselberg und Urfeld bis nach Dorf Walchensee und ins Häusl. Für mich sind dies herrliche Erinnerungen aus der Kindheit und auf jeden Fall gab es viel mehr zu sehen und zu erleben als dies heute in der halben Zeit mit dem Auto auf der Autobahn möglich ist. H. Peter Sinclair Der Münchner Rechtsanwalt Dr. jur. et rer. pol. Michael Siegel mit seinem Sohn Peter. Das von Richard Riemerschmid entworfene Fertighaus der Familie Siegel, innerhalb weniger Tage aufgestellt und bezogen, war eine kleine Sensation in Walchensee. Von der Isartalbahn, mit der die Familie Siegel so oft wie möglich aufs Land in ihr Wochenendrefugium fuhr, wurden der nördliche und der südliche Teil abgebrochen. Hier sind heute nur noch Relikte erhalten wie die Überreste der Loisachbrücke bei Feltzen. der z u g i n s f reie München-Hauptbahnhof V 21. März 1939 gegen Mitternacht ater Michael, Mutter Tilde und Onkel Ernst verabschieden sich von dem gerade 18 Jahre alten Hans Peter. Nach jüdischem Brauch segnet ihn der Vater vor der Abreise, die Mutter weint, versucht dies aber hinter einem Taschentuch zu verbergen, und Onkel Ernst macht noch schnell eine Blitzlichtaufnahme von Peter, der sich zum Abschied aus dem Abteilfenster beugt. Peter denkt vor allem an das große Abenteuer, das ihn nun erwartet. Ziel: London, England. Er besitzt einen Reisepass des Deutschen Reichs, versehen mit dem decouvrierenden „J“, er hat die erlaubten 10 Reichsmark in der Tasche sowie ein Visum nach England und er nimmt zwei Koffer mit dem Nötigsten mit. Der junge Mann musste aus dem nationalsozialistischen Deutschland emigrieren, nur weil er jüdisch war und im Land seiner Geburt keinerlei Zukunft mehr hatte. Nach der Reichspogromnacht vom 9./10. November 1938 verloren alle noch in Deutschland lebenden Juden jedes bürgerliche Recht. Man lief Gefahr, jederzeit von der SA, der SS oder der Gestapo verhaftet und in ein Konzentrationslager wie Dachau gebracht zu werden – viele überlebten dies nicht. Für die Familie Siegel war die Abreise des ältesten Sohnes der Beginn großer Abschiede: die späte Flucht seiner Eltern aus Deutschland im Jahr 1940 um die halbe Welt; die Deportation seiner Großmutter Hilda Waldner und ihres Sohnes, des Pianisten Joseph Waldner, die beide den Holocaust nicht überlebten. Peter hat in England Fuß gefasst, er ist seit 1939 „zu Hause in England“, seine Heimat aber bleibt München und Oberbayern. H. Peter Sinclair Hans Peter Siegel bei seiner Abreise aus München am 22. März 1938, rechts im Bild sein Vater. 109 110 der z u g i n s f reie Die Ausstellung „Das Gleis. Die Logistik des Rassenwahns“ ist der Beitrag des Dokumentationszentrums Reichsparteitagsgelände in Nürnberg zum Bahnjubiläum 2010. Die vom Büro Müller-Rieger entworfene Installation verbindet via Bildübertragung einen „Täterort“ – Nürnberg, wo vor 75 Jahren die so genannten Rassengesetze verkündet wurden – unmittelbar mit Auschwitz – und anderen Stätten der Vernichtung. Das "Gleisbett" ist gefüllt mit 60 000 Namenskärtchen. Jeder Name eines Ermordeten steht stellvertretend für 100 weitere Opfer. www.das-gleis-nuernberg.de der z u g i n s f reie Editorische Notiz H. Peter Sinclair wurde 1921 geboren als Hans Peter Siegel, Sohn des renommierten Münchner Rechtsanwalts Michael Siegel und der Riemerschmid-Absolventin Mathilde Waldner. Dr. jur. et rer.pol. Michael Siegel wurde als Opfer erster NSTerroraktionen gegen Juden zum Symbol. Er wurde im März 1933 bei einem Anhörungstermin für seinen in so genannte Schutzhaft genommenen Mandanten Max Uhlfelder im Münchner Polizeipräsidium von SA-Schergen zusammengeschlagen und anschließend mit abgeschnittenen Hosenbeinen und einem Schild um den Hals mit der Aufschrift „Ich bin Jude. Ich werde mich nie mehr bei der Polizei beschweren“ durch die Innenstadt bis zum Hauptbahnhof getrieben. Die von dem zufällig anwesenden Bildjournalisten Heinrich Sanden aufgenommenen beiden Fotos dieser Untat, die dieser an eine amerikanische Agentur verkaufte, gingen damals um die Welt – heute sind sie eine Ikone der Geschichtsbücher über den Nationalsozialismus. H. Peter Sinclair gelangte 1939 mit einem Studienvisum nach London, kurz darauf folgte seine jüngere Schwester Beate mit einem Kindertransport. Den Eltern gelang noch 1940 die Ausreise von München nach Berlin und weiter mit der transsibirischen Eisenbahn nach Japan, Korea über den Pazifik nach Los Angeles und von dort in ihre neue Heimat Peru, wo sie am 9. November, auf den Tag genau zwei Jahre nach der Reichspogromnacht, in Lima ankamen. H. Peter Sinclair starb am 27. März 2010 im Alter von 89 Jahren in London. Sein Beitrag für dieses Heft ist aus zwei Perspektiven geschrieben: Während die Kindheitserinnerung in der Ich-Form erscheint, ist die Schilderung seiner Abreise aus München, die einem endgültigen Abschied gleichkam, in der dritten Person verfasst, so als sei das Geschehen nur aus dieser Distanz wiederzugeben. Der Beitrag von H. Peter Sinclair ist der Erinnerung an die Rolle der Bahn gewidmet, ohne die die massenhafte Deportation der jüdischen Bürger in die Konzentrations- und Vernichtungslager nicht hätte durchgeführt werden können. So wurden im Frühsommer 1938 über 1500 Juden aus Wien und nach der Pogromnacht vom 9. November 1938 etwa 11000 Juden aus dem ganzen Reichsgebiet mit der Bahn in das Konzentrationslager Dachau gebracht. Ab 1941 begann im Zuge der so genannten „Endlösung“ des Völkermords an den Juden und später auch an Sinti und Roma die Deportation per Bahn in die Vernichtungsstätten und -lager im Osten unter unvorstellbaren Bedingungen. Zu den letzten und schrecklichsten Geschehnissen auf den Bahnstrecken gehörte der Abtransport völlig entkräfteter und sterbender Häftlinge aus den Konzentrationslagern, mit dem man ihre Befreiung durch die alliierten Truppen zu verhindern trachtete. Die Deutsche Bahn als Rechtsnachfolgerin der Reichsbahn ist sich der Verantwortung dieser historischen Last bewusst. Sie unterstützt nun auch den Verein, der seit Jahren mit dem „Zug der Erinnerung“ durch ganz Deutschland tourt mit der von Beate und Serge Klarsfeld initiierten Ausstellung über das Schicksal deportierter jüdischer Kinder. Die Deutsche Bahn selbst ist mit der Wanderausstellung „Sonderzüge in den Tod“ unterwegs. Einschlägige Publikationen, zuletzt zum bisher in der Forschung kaum beachteten Widerstand von Eisenbahnern, gibt das Bundesverkehrsministerium heraus. Im DB Museum Nürnberg wurde auf Anregung des Nürnberger Kulturreferenten Hermann Glaser 1985 eine mit rund 2500 Exponaten bestückte Abteilung „Im Dienst von Demokratie und Diktatur. Die Reichsbahn 1920 bis 1945“ eingerichtet. Im Jubiläumsjahr 2010 zeigt das Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände in Nürnberg die Ausstellung „Das Gleis. Die Logistik des Rassenwahns“. Im Mittelpunkt steht eine Installation, die den „Täter-Ort“, in dem 1935 die so genannten Rassengesetze verkündet wurden, in Form einer Bildübertragung unmittelbar und direkt mit der Gedenkstätte Auschwitz und anderen Erinnerungsstätten des Holocaust verbindet. Evamaria Brockhoff / Ludwig Eiber Deportation von Würzburger Juden. Die Aufnahme stammt aus dem 2006 wieder aufgefundenen Album mit 119 Fotografien, die die Gestapo von den drei Deportation aus Würzburg zwischen November 1941 und April 1942 anfertigen ließ. Dabei wurden insgesamt 2063 Juden aus dem Regierungsbezirk Mainfranken deportiert, keine fünfzig von ihnen haben überlebt. (Staatsarchiv Würzburg, Deportationsalbum / Gestapostelle Würzburg 18880a) 111 112 L E I D E N S C H A F T E I S E NB A HN – MU S E E N , V E R E I N E , NO S T A L G I E F A H R T E N Die Mutter aller Eisenbahnen ist und bleibt der „Adler“, sei es als – heute schon eine Kostbarkeit darstellendes – liebevolles Guckkasten leporello, sei es als internationale Briefmarkensammlung. Das bei G.W. Faber in Nürnberg erschienene Leporello gibt beim Blick in das Guckloch einen Eindruck von der Strecke des Adlers zwischen Nürnberg und Fürth. E ise n b a h n m u see n , M u se u m s b a h n e n u n d V erei n e I m I n ter n et www.bdef.de Bundesverband Deutscher EisenbahnFreunde e.V. für Modelleisenbahner und Eisenbahn-Freunde, über 300 Clubadressen nach Postleitzahlen sortiert www.eisenbahnnostalgie.de Übersichtliches Verzeichnis der deutschen Museums- und Touristikbahnen, nach Bundesländern gegliedert, Übersichtskarte und ausführliche Informationen zu jeder aufgeführten Einrichtung LOK Report: europäisches Nachrichtenmagazin mit umfassenden Informationen und einer umfangreichen Linkliste rund um das Thema Eisenbahn, Linkliste zu Museumsbahnen und Vereinen www.bahn-express.de Bahn-Express: Magazin für Werkbahnfreunde, Liste von Industrie- und Hafenbahnen sowie Feldbahnen www.eisenbahnwelt.com Deutsches Museumsbahnverzeichnis, Deutschlandkarte mit Link zur jeweiligen Einrichtung und umfangreiche alphabetische Vereinsliste mit Links www.museum.bahnen-und-busse.de Eisenbahnmuseen und Museumseisenbahnen nach Bundesländern geordnet, Auflistung mit kurzer Beschreibung und Link zu der jeweiligen Einrichtung www.ostbayernbahn.de Bayerns Museumsbahnen, Übersichtskarte nach Regierungsbezirken gegliedert, direkter Link zu den jeweiligen Homepages der Bahnen www.vdmt.de Verband deutscher Museums- und Touristikbahnen, die Dachorganisation der nicht-staatlichen Museumsbahnen und Eisenbahnmuseen in Deutschland, Übersichtskarte nach Bundesländern sortiert, mit Kontaktadresse der Einrichtungen 94252 Bayerisch Eisenstein, Bahnhofstraße 44 Tel. 09925 1376 www.localbahnverein.de www.lok-report.de www.eisenbahn-webkatalog.de Umfangreicher Katalog zum Thema Eisenbahn und Modelleisenbahn, Auflistung von Museen und Museumsbahnen, meist mit kurzer Beschreibung und Webadresse Bayerischer Localbahnverein – Localbahnmuseum in Bayerisch Eisenstein M u see n Im Localbahnmuseum, das im Lokomotivschuppen in Bayerisch Eisenstein untergebracht ist, werden mehr als 20 historische Lokomotiven der Lokalbahnen präsentiert, die zusammen mit einer Reihe von Exponaten einen Einblick in die Lokalbahngeschichte bieten. Von Landshut aus sind Sonderfahrten mit historischen E-Loks und Dampfzügen möglich. Bayerisches Eisenbahnmuseum 86720 Nördlingen, Am hohen Weg 6a Tel. 09083 340 E-Mail: [email protected] Bahnpark Augsburg www.bayerisches-eisenbahnmuseum.de 86159 Augsburg-Hochfeld, Firnhaberstraße 22 Tel. 0821 6507590 E-Mail: [email protected] Im Bayerischen Eisenbahnmuseum findet sich ein Bahnbetriebswerk im Stil der Fünfzigerjahre, das mit zahlreichen, teils auch betriebsbereiten Eisenbahnfahrzeugen einen Einblick in den realistischen Eisenbahnbetrieb bietet. Die Museumsbahn „Romantische Schiene“, bestehend aus Dampf- und Dieselzügen des Museums, fährt von Nördlingen aus durch das Nördlinger Ries über Dinkelsbühl nach Feuchtwangen. Eine weitere Strecke führt von Nördlingen aus nach Gunzenhausen. www.bahnpark-augsburg.de Der Bahnpark Augsburg bietet Besuchern eine gläserne Dampflokwerkstatt, in der sich unter anderem Dampflokomotiven der Baureihe 44 und 41, der legendäre Blue Star Train und Botschafterloks finden. Ein begehbares Depot, in dem ein Postbahn- und Eisenbahnmuseum untergebracht sind, imposante denkmalgeschützte Hallen und ein großzügiges Freigelände aus der Zeit der königlich bayerischen Staatsbahn machen diesen Bahnpark einmalig in Bayern. Vom Bahnpark aus starten auch Sonderzugfahrten, unter anderem mit dem König Ludwig Dampf Express nach Prien am Chiemsee. Bergbau- und Industriemuseum Ostbayern Schloss Theuern 92245 Kümmersbruck, Portnerstraße 1 Tel. 09624 832 E-Mail: [email protected] www.museum-theuern.de Im Bergbau- und Industriemuseum im Schloss Theuern sind zahlreiche Gruben- und Feldbahnfahrzeuge ausgestellt. L E I D E N S C H A F T E I S E NB A HN – MU S E E N , V E R E I N E , NO S T A L G I E F A H R T E N des Schienenverkehrs werden Themen wie Fahrzeugtechnik, Sicherungstechnik und Logistik der Eisenbahn dargestellt. Lokwelt Freilassing www.dbmuseum.de Feldbahn-Museum 500 e.V. www.lokwelt.freilassing.de Besucher des DB Museums erfahren auf 7500 m² alles über die Entwicklung der deutschen Eisenbahn. Darüber hinaus gibt es ein „Museum zum Anfassen“, zahlreiche Original- und Modellfahrzeuge und die ausführliche Dokumentation jeglicher Eisenbahntechnik. 90453 Nürnberg, Drahtzieherstraße 20 Tel. 0911 6802200 E-Mail: [email protected] In der Lokwelt Freilassing sind in einem 1905 errichteten Rundlokschuppen, der noch eine originalgetreue Drehscheibe beherbergt, auf 20 Gleisständen zahlreiche Lokomotiven, Exponate zum Thema Eisenbahn und eine Modellbahn des Bw Freilassing ausgestellt. DB Museum Nürnberg 90443 Nürnberg, Lessingstraße 6 Tel. 01804 44223 E-Mail: [email protected] Deutsches Dampflokomotiv-Museum 95339 Neuenmarkt, Birkenstraße 5 Tel. 09227 5700 E-Mail: [email protected] www.dampflokmuseum.de Das Kernstück des Deutschen DampflokMuseums, in dem unter anderem über 30 Dampflokomotiven ausgestellt sind, ist ein 15-ständiger Lokschuppen mit Segmentdrehscheibe. Das große Freigelände erlaubt einen umfassenden Einblick in die deutsche Eisenbahngeschichte. Eine Museumsbahn fährt über die Eisenbahnsteilstrecke „Schiefe Ebene“, bei der bei einer Neigung von 1:40 ein Höhenunterschied von 158 Metern überwunden werden muss, zum Bayerischen Brauereimuseum nach Kulmbach. Deutsches Museum Verkehrszentrum 80339 München, Theresienhöhe 14a Tel. 089 500806762 E-Mail: verkehrszentrum@ deutsches-museum.de www.deutsches-museum.de/verkehrszentrum In der Eisenbahnausstellung des Deutschen Museums finden sich unter anderem die legendäre „S 3/6“ Schnellzug-Dampflokomotive der Königlich Bayerischen Staatseisenbahn, die erste dieselhydraulische Großlokomotive V140 und auch die erste Magnetschwebebahn. Neben diesem Querschnitt durch die Geschichte www.feldbahn500.de Im Feldbahnmuseum 500 werden die meisten der 62 ausgestellten Lokomotiven, Maschinen und Geräte in der Praxis vorgeführt und anschaulich erklärt, sodass die alte Technik für den Besucher wieder lebendig wird. Fränkisches Feldbahnmuseum c/o Jürgen Wening 91580 Petersaurach-Wicklesgreuth, Tannenstraße 10 Tel. 09802 80529 E-Mail: [email protected] www.frankenfeldbahn.de Das Museum und die Strecke der Museumsbahn befinden sich im Aufbau. Besichtigt werden können aber bereits zahlreiche Wagen und Lokomotiven. Interessengemeinschaft Deutsche Feldund Waldbahnen – Feldbahnmuseum 82256 Fürstenfeldbruck, Senserbergstraße 66a Tel. 08141 27335 E-Mail: [email protected] www.mec-ffb.de Das Feldbahnmuseum beherbergt Fahrzeuge aus den Bereichen Waldbahn, Feldbahn, Bergbau und vergleichbare Bahnen mit 600 mm Spurweite. Die Sammlung umfasst derzeit 14 betriebsbereite Lokomotiven, 4 Draisinen und mehr als 60 Wagen. Auf dem Gelände werden Fahrten veranstaltet. 83395 Freilassing, Westendstraße 5 Tel. 08654 771224 E-Mail: [email protected] Modellbahnmuseum Muggendorf 91346 Wiesenttal, Bayreuther Straße 23 Tel. 09196 1630 E-Mail: [email protected] www.modellbahnmuseum.de Das Modellbahnmuseum Muggendorf bietet die größte Sammlung der seltenen Spur-„S“-Fahrzeuge. Einen weiteren Schwerpunkt stellt die Sammlung der Spur„0“-Fahrzeuge alter Nürnberger Firmen dar. Modell- und Eisenbahnclub Selb/ Rehau e.V. – Eisenbahnmuseum 95100 Selb, Bergstraße 3 Tel. 0170 7064230 E-Mail: [email protected] www.muecselb.de Das Eisenbahnmuseum befindet sich auf dem Gelände der ehemaligen Bw-Außenstelle Selb. Neben einem vierständigen Ringlokschuppen von 1914, einer Drehscheibe von 1936 und einem der ersten Gleisbildstellwerke mit Fahrstraßensteuerung erwarten den Besucher ca. 30 Eisenbahnfahrzeuge, größtenteils Triebfahrzeuge. Im nahe gelegenen Europäischen Industriemuseum für Porzellan sind Sonderfahrten mit einer Diesellok des Museums möglich. 113 114 L E I D E N S C H A F T E I S E NB A HN – MU S E E N , V E R E I N E , NO S T A L G I E F A H R T E N M u se u m s b a h n e n Modelleisenbahnclub Fürstenfeldbruck e.V. – Feldbahnmuseum Blue Star Train – ESG – Eisenbahn und SonderwagenBetriebsgesellschaft mbH 86179 Augsburg, Mittlerer Lechfeldweg 2f Tel. 0821 541512 82256 Fürstenfeldbruck, Senserbergstraße 66a Tel. 08141 27335 E-Mail: [email protected] www.blue-star-train.de www.mec-ffb.de Eisenbahnfreunde Rodachtalbahn e.V. – Rodachtalbahn Dampfeisenbahn im Augsburger Zoo – Bahnhof Zoo Torfbahnhof Rottau – Feldbahn 96365 Nordhalben, Krögelsmühle 1 Tel. 09267 8130 E-Mail: [email protected] 86161 Augsburg, Brehmplatz 1 Tel. 0821 5671490 E-Mail: [email protected] 83224 Grassau, Samerweg 8 Tel. 08641 2126 E-Mail: [email protected] Dampflok-Gesellschaft München e.V. 80807 München, Illungshofstraße 2 Tel. 089 5808482 E-Mail: [email protected] www.dgm-41018.de www.eisenbahnfreunde-rodachtalbahn.de www.torfbahnhof-rottau.de Fränkische Museums-Eisenbahn e.V. (FME) www.dampfbahn-im-zoo.de 82181 Gröbenzell, Postfach 1329 Tel. 0170 2425013 E-Mail: [email protected] 90411 Nürnberg, Klingenhofstraße 70 Tel. 0911 5109638 E-Mail: [email protected] www.wanderbahn.org www.fraenkische-museumseisenbahn.de Parkeisenbahn im Freizeitpark Schloss Thurn – Erlebnispark Schloss Thurn Schwaben-Dampf e.V. Neuoffingen Dampfbahn Fränkische Schweiz e.V. (DFS) 91316 Ebermannstadt, Postfach 1101 Tel. 09194 794541 E-Mail: [email protected] 91336 Heroldsbach, Schlossplatz 4 Tel. 09190 929898 E-Mail: [email protected] www.dfs.ebermannstadt.de www.schloss-thurn.de Staudenbahn – BBG Stauden mbH DGEG-Arbeitskreis Würzburg 86850 Fischach, An der Sägemühle 5 Tel. 08236 962149 E-Mail: [email protected] 97204 Höchberg, Bergmannweg 5 www.staudenbahn.de Wachtlbahn – Museums-EisenbahnGemeinschaft Wachtl e.V. www.passauer-eisenbahn.de Fränkisches Freilandmuseum Fladungen – Rhön-Zügle 83033 Kiefersfelden, Am Rain 60 Tel. 08031 87340 E-Mail: [email protected] Bockerlbahner e.V. Peißenberg Wanderbahn im Regental e.V. Wendelsteinbahn GmbH 83098 Brannenburg, Kerschelweg 30 Tel. 08034 3080 E-Mail: [email protected] www.wendelsteinbahn.de 97650 Fladungen, Bahnhofstraße 19 Tel. 09778 91230 E-Mail: [email protected] www.dampflok527409.de www.wachtl-bahn.de Laabertalbahn – Lokalbahn Schierling-Langquaid Draisinenfreunde Bayern e.V. 84085 Langquaid, Am Bahnhof 5 Tel. 09452 949707 E-Mail: [email protected] www.draisi.de www.schwabendampf.de Passauer Eisenbahnfreunde e.V. – Nostalgiebahn 94032 Passau, Haitzingerstraße 12 Tel. 0851 9663971 E-Mail: [email protected] 82380 Peißenberg, Am Tiefstollen 2 Tel. 08805 418 E-Mail: [email protected] www.diebockerlbahner.de www.freilandmuseum-fladungen.de 82256 Fürstenfeldbruck, Hochrainerstraße 41 Tel. 08141 227890 E-Mail: [email protected] 89362 Offingen, Am Bahnhof Neuoffingen 3 Tel. 08244 801140 E-Mail: [email protected] www.laabertalbahn.de DBV-Förderverein Steigerwald-Express e.V. 97357 Prichsenstadt, KarlEbenauer-Ring 28 Tel. 0160 7202393 E-Mail: [email protected] www.fv-steigerwald-express.de L E I D E N S C H A F T E I S E NB A HN – MU S E E N , V E R E I N E , NO S T A L G I E F A H R T E N Chiemsee Schifffahrt – Chiemseebahn 83209 Prien am Chiemsee, Seestraße 108 Tel. 08051 6090 E-Mail: [email protected] www.chiemsee-schifffahrt.de Feld- und Waldbahn Riedlhütte (FWR) 94566 Riedlhütte Tel. 08141 537653 E-Mail: [email protected] www.feldbahn-riedlhütte.de Chiemgauer Lokalbahn e.V. 83340 Tacherting, Postfach 1104 E-Mail: [email protected] www.chiemgauer-lokalbahn.de Bayerischer Localbahnverein e.V. 83682 Tegernsee, Postfach 1311 Tel. 089 4481288 www.localbahnverein.de Interessengemeinschaft Mainschleifenbahn e.V. 97332 Volkach, Industriestraße 3 Tel. 0152 02482125 E-Mail: [email protected] Die hier gezeigte Modellbahnanlage gehört ursprünglich zu den „Königswelten“, die im Foyer des am Ufer des Forggensees errichteten „Musicaltheater Neuschwanstein“ zu sehen waren , in dem von 2000 bis 2003 das Musical „Ludwig II. – Sehnsucht nach dem Paradies“ aufgeführt wurde. Nach einer Idee der Architektin Josephine Barbarino schufen die Bühnenbildner Marc und Claudia Calame-Rüll die Anlagenbereiche der Welten, die Ludwig II. in seiner Fantasie durchfährt - hier die ureigenste Heimat des Königs mit Schloss Neuschwanstein. Die von den Bühnenbildnern und der traditionsreichen Firma Märklin gebauten Anlagen sind heute im Besitz des Modelleisenbahnclubs Ostallgäu/Außerfern, der die „Königswelten“ in seinen Clubräumen in Füssen aufgebaut hat. (http://home.arcor.de/gerhardbayer/mecoal/) www.mainschleifenbahn.de DGEG Eisenbahnmuseum Würzburg eise n b a h n f o t o s i m i n ter n et 97080 Würzburg, Veitshöchheimer Straße 107b Tel. 09321 927415 E-Mail: [email protected] Stellen Sie Ihre interessantesten Eisenbahnfotos aus bayerischen Strecken ins Internet ein! www.eisenbahnmuseum-wuerzburg.de Zusammenstellung: Michaela Mohr Auf der Website des Hauses der Bayerischen Geschichte: www.editionbayern.hdbg.de 115 116 D A S JUB I L ÄUM S J A H R 2 0 1 0 D A S JUB I L ÄUM S J A H R 2 0 1 0 DIE STRECKE DES ADLERS Museum Industriekultur Nürnberg, 17. Juni bis 12. Dezember 2010 M it dem „Adler“ kam der Aufschwung: Die erste deutsche Eisenbahn zog die staunenden Bürger und bald darauf rührige Unternehmer an, die sich mit ihren Firmen entlang der Strecke ansiedelten: Schuco, Triumph und die Hercules-Werke etwa, AEG und Quelle. Wie sich die Landstraße entlang der Bahnstrecke von Nürnberg nach Fürth in eine pulsierende Verkehrsader und die Stadt zur Industriemetropole entwickelt hat, zeigt zum Bahnjubiläum das Museum Industriekultur. „Die Strecke des Adlers“ rollt mit zahlreichen Ausstellungsstücken, Ansichten und mo dernen Medien die Geschichte der Fürther Straße von 1835 bis in die heutige Zeit auf 58a 1927 Fa s s a d e n p l a n 1898 54/56 52 bis 58 1944 52 a und vermittelt so beispielhaft einen Eindruck von wirtschaftlichem, sozialem und kulturellem Wandel in der Metropolregion. Strecke sind von Pappeln gesäumt und die „Strecke des Adlers“ durchschneidet ländliche Gegend mit einzelnen Bauernhöfen. Der Besucherrundgang beginnt bei einer Geschichte des „Adlers“ und einem Blick auf vergangene Jubiläen, die ihm zu Ehren gefeiert wurden. Dem schließt sich ein Gang durch die Fürther Straße an, der drei zeitliche Ebenen verbindet, verknüpft und überblendet: 1835 – um 1900 – 2010. Eine zweite Ebene der Ausstellung zeigt die Zeit, als knapp ein Jahrhundert später die Fürther Straße zu einer prototypischen Achse der Industrialisierung entlang der Eisenbahn geworden war. Schließlich thematisiert eine dritte Ebene den Blick auf die Fürther Straße heute und den strukturellen Wandel, der sich im Untergang der traditionsreichen Unter nehmen und in der Entstehung neuer Betriebe wie z. B. Datev u. a., aber auch im Wandel der einstigen Chaussee zur multikulturellen, von Migration geprägten Städteachse zeigt. 1835 fährt der „Adler“ im Modell die Chaussee entlang, die 1801 als schnurgerade Verbindung zwischen Nürnberg und Fürth angelegt worden war. Teile der Modell- 36 um 19235 Be g leita n g e b ote z u r Au sstellu n g : • Fahrten im Oldtimerbus in die Fürther Straße mit Führung jeweils am: So 4.7., So 8.8., Sa 21.8., So 5.9., So 3.10., So 7.11. • Familienführungen durch die Ausstellung jeden Sonntag um 15 Uhr • Museumspädagogische Angebote durch das KPZ Veranstalter und Information Museum Industriekultur Tel. 0911 231-3875 www.museen.nuernberg.de Nördliche fürther strasse 1929 16 bis 20 F a s s a d e n p l a n u m 1912 12 1954 6b 4a 1980 117 118 D A S JUB I L ÄUM S J A H R 2 0 1 0 175 Jahre Eisenbahn – ein Jubiläum der besonderen Art D ie erste Eisenbahn in Deutschland rollte in Bayern über die Schiene: Der legendäre „Adler“ fuhr am 7. Dezember 1835 auf der rund sechs Kilometer langen Strecke zwischen Nürnberg und Fürth. Damals kamen die Lokomotive und der Lokführer noch aus England. Doch das änderte sich schnell. Zum 175-jährigen Jubiläum finden zahlreiche Veranstaltungen an den verschiedensten Orten statt. Der Verband Deutscher Museums- und Touristikbahnen (VDMT) und seine Bahnen bieten Veranstaltungen das ganze Jubiläumsjahr über. Unter www.vdmt.de finden Sie eine Übersicht. Die bayerischen Museumsbahnen haben sich zusammengeschlossen und liefern Informationen zu den Veranstaltungen unter www.175-Jahre-Bahn-in-Bayern.de. Im Fokus steht natürlich Nürnberg: Unter www.bahnjahr2010.nuernberg.de werden alle Veranstaltungen in Nürnberg und Fürth aufgeführt. Viel ist geplant in diesem Jubiläumsjahr: Ausstellungen und Sonderschauen, Lokschuppen-Feste und jede Menge Sonderfahrten in historischen Zügen. Dazu kommen zahlreiche Führungen und Vorträge zum Thema „175 Jahre Eisenbahn“. So wird die Geschichte der Eisenbahn lebendig und erlebbar. Eine kleine Auswahl an Veranstaltungen haben wir für Sie zusammengestellt. Ansonsten finden Sie auf den einschlägigen Webseiten mehr Informationen. www.175-Jahre-Bahn-in-Bayern.de. www.bahnjahr2010.nuernberg.de A u sstell u n g e n 6.8.2010–31.10.2010 – DB Museum Nürnberg „Adler, Rocket & Co. Die ersten Lokomotiven Europas“ 19.5.–31.10.2010 – Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände „Das Gleis. Die Logistik des Rassenwahns“ In dieser großen Fahrzeugschau sind Raritäten aus den Anfängen der Eisenbahn zu sehen. Aus ganz Europa stammen die Pionierlokomotiven, die hier präsentiert werden. Natürlich gehören dazu die berühmte „Rocket“ – 1829 in England gebaut – und der legendäre „Adler“, der das Eisenbahnzeitalter in Deutschland einläutete und dessen Nachbau zum Museumsbestand gehört. Eine Multimediashow bringt die Besucher zurück in die Zeit, als die ersten Lokomotiven in Europa fuhren. Die Installation „Das Gleis“ steht als künstlerische Metapher im Zentrum der Ausstellung. Sie verbindet Nürnberg als Ort, an dem 1935 die „Rassengesetze“ verkündet wurden, mit den zentralen Stätten der Vernichtung – durch eine direkte Bildübertragung aus den Gedenkstätten Auschwitz-Birkenau, Bełżec, Majdanek, Treblinka und Sobibór. So werden „Täterort“ und „Tatort“ in Beziehung gesetzt. Noch eine Besonderheit: Das gesamte Erdgeschoss wird dem Besucher für die Dauer der Ausstellung zugänglich gemacht. Ein Rundgang führt auch in Räumlichkeiten, die ansonsten nicht besichtigt werden können. www.planet-eisenbahn.de W eitere V era n stalt u n g e n www.das-gleis-nuernberg.de 18.07.2010 – Oldtimertreffen in Ebermannstadt 1.6. –27.6.2010 – Zeughaus Augsburg,Toskanische Säulenhalle Fotoausstellung von Burkhard Wollny Der Bahnpark Augsburg zeigt im Augsburger Zeughaus über 180 großformatige Schwarzweiß-Fotografien von Burkhard Wollny, dem Meister der (Dampf-)Eisenbahnfotografie. www.bahnpark-augsburg.de www.burkhard-wollny-eisenbahnfotografie.de 7.7.2010–27.2.2011 – DB Museum Nürnberg „Planet Eisenbahn“ Dampfbahn Fränkische Schweiz e.V. lädt ein zum „Oldtimertreffen der Schiene und Straße“ in Ebermannstadt und Behringersmühle. Damit alles zueinander passt, gibt es eine interessante Altersbegrenzung: Die Fahrzeuge sollen möglichst nicht jünger als 30 Jahre sein. Gefragt sind PKWs, Motorräder und Fahrräder sowie Schlepper/Nutzfahrzeuge. www.dfs.ebermannstadt.de 25.07./07.08.2010 – Klassik Open Air in Nürnberg Die Sonderausstellung zeigt faszinierende Exponate aus der internationalen Eisenbahngeschichte und blickt zurück auf 175 Jahre Eisenbahngeschichte – von den Anfängen bis in die Gegenwart. Spannende Themen werden dem Besucher geboten: Wann und wo entstanden die ersten Eisenbahnen in anderen Ländern. Aber auch der Frage nach den Geldgebern wird nachgegangen, der Berufstand des Eisenbahners näher beleuchtet, der Einfluss des Eisenbahnbaus auf die Gesellschaft und deren Entwicklung betrachtet und vieles mehr. Die größte Freiluftveranstaltung mit klassischer Musik in Europa „Klassik Open Air beim Picknick im Park“ steht im Zeichen der Bahn(-Reisen). Am 25. Juli spielen die Nürnberger Philharmoniker unter der Leitung von Christoph Prick. Am 7. August laden die Nürnberger Symphoniker unter der Leitung von Alexander Shelley zu einer Zeitreise ein: „Bahn frei! Der Adler geht auf Reisen“ lautet das Motto. Zur Aufführung kommen Werke von Eduard Strauß, Hector Berlioz, Joseph Haydn, Sergej Rachmaninow, Peter Tschaikowsky u.a. Sie führen vom Beginn der Eisenbahn über den Orientexpress bis zum EuroCity – ein Streifzug durch die Geschichte. www.planet-eisenbahn.de www.klassikopenair.de D A S JUB I L ÄUM S J A H R 2 0 1 0 25.07.–31.07.2010 Eisenbahnfilme in Augsburg 18.09.–26.09.2010 – Eisenbahn-Romantik-Rundfahrt Etwas Besonderes hat sich der Bahnpark Augsburg einfallen lassen: Im Cinemaxx laufen „Die besten Eisenbahnfilme aller Zeiten“ – ein Muss für alle Cineasten. Ob „Der große Eisenbahnraub“ von Michael Crichton mit Sean Connery und Donald Sutherland oder „Spiel mir das Lied vom Tod“, inszeniert von Sergio Leone und meisterhaft gespielt von Charles Bronson, Henry Fonda und Claudia Cardinale. Weiter stehen auf dem Spielplan: „Der Polarexpress“ und „Thomas, die fantastische Lokomotive“ sowie „Der letzte Zug“ und „Zug des Lebens“. Wer Eisenbahn „satt“ erleben möchte, kann die Eisenbahn-Romantik-Sonderzugreise buchen. Mit 14 verschiedenen Dampflokomotiven führt die Reise über 4300 Kilometer durch alle Bundesländer Deutschlands. Los geht es im Bahnpark Augsburg mit einer großen „Andampf-Party“ am 17. September und hier endet die Reise auch. Dazwischen gibt es jede Menge Spaß und Unterhaltung, so eine exklusive Führung im DB-Museum in Nürnberg, ein sächsisches Grillfest oder ein zünftiges Fischessen. Ob ein Ausflug mit der Schmalspurbahn „Molli“ oder eine Schiffsrundfahrt im Hamburger Hafen – hier ist sicher für jeden etwas dabei. www.cinemaxx.de www.bahnurlaub.de 30.07.–01.08.2010 – Bardentreffen in Nürnberg Das Weltmusikfestival „Bardentreffen“ findet zum 35. Mal statt und steht diesmal ganz unter dem Motto „Railroad Songs“. Um nur ein Highlight zu nennen: Arlo Guthrie, Sohn der Folklegende Woody, wird sich die Ehre geben und zusammen mit Hans-Eckardt Wenzel auftreten. Der Berliner Liedermacher hat die Songs von Woody Guthrie ins Deutsche übertragen. Und wer denkt nicht sofort an „City of New Orleans“! 01.10.2010 – Nicolaus-Copernicus-Planetarium in Nürnberg www.bardentreffen.de www.naa.net/ncp 13.08.–29.08.2010 – Aktion in Fürth 07.12.2010 – Martinsumzug in Fürth Die Stadt Fürth hat ein besonderes Highlight geplant: den Nachbau des Ludwigsbahnhofs auf der Fürther Freiheit. Der Bahnhof wurde 1938 abgerissen und wird nun an seinem ursprünglichen Standort wieder errichtet, und zwar mit Gerüsten und Planen. Neben zahlreichen Events wird dann am 28. und 29. August ein großes Eisenbahnfest auf der Freiheit gefeiert – mit einem attraktiven Programm für Jung und Alt. Zum Jahrestag der ersten Adler-Fahrt veranstaltet die Stadt Fürth einen Martinsumzug. Die Kinder werden mit ihren Laternen die Strecke von der Freiheit bis hin zur Hornschuchpromenade illuminieren. Außerdem sorgt die Stadt für eine zusätzliche besondere Beleuchtung, die die Promenade bis zum 23. Dezember in ein stimmungsvolles Licht tauchen soll. „Vom Adler zum Spaceshuttle – Die Welt in Bewegung“ Ab 01. Oktober (Premiere) kann man im Planetarium auf Zeitreise gehen: angefangen bei der Postkutsche über die Eisenbahn zum Auto und zur Raumstation. Eine spannende Geschichte wie sich die Welt verändert hat – und damit die Dimensionen von Entfernung und Reisen. www.fürth.de www.fürth.de 07.12.–30.12. – Filmreihe im Filmhaus Nürnberg 21.08.2010 – Dampflokfest in Nürnberg Beim Dampflokfest werden etwa zehn Dampflokomotiven und weitere historische Eisenbahnfahrzeuge aus ganz Deutschland von 10 bis 20 Uhr im Bahnbetriebswerk Gostenhof gezeigt. Die Lokomotiven werden ab 14 Uhr auf der Drehscheibe präsentiert. www.dbmuseum.de Zwei Aspekte markieren die Industrialisierung im 19. Jahrhundert: Eisenbahn und Film. Mit der Reihe „Schienenzeit – die Eisenbahn und das Kino“ widmet sich das Filmhaus dieser Beziehung zwischen Film, Eisenbahn und Bewegung. Ein vielfältiges und spannendes Programm wird geboten: vom Stumm- und Tonfilm über Dokumentar- und Tonfilm bis zu Kurz- und Experimentalfilm. www.filmhaus.nuernberg.de 21.08.2010 – Jubiläumsfahrt zum Dampflokfest in Nürnberg Die Jubiläumsfahrt mit der Dampflok 41 018 führt von München über Augsburg zur Teilnahme an den Dampflok-Sternfahrten zum Dampflokfest des DB-Museums in Nürnberg-Gostenhof. Mit eingeschlossen ist der Besuch der großen Lok-Schau. www.bahnpark-augsburg.de 12. 12. 2010 – Adler-Geburtstag im DB Museum Nürnberg Das Jahr stand ganz im Zeichen des 175. Geburtstages der Eisenbahn in Deutschland. Zum Abschluss veranstaltet das DB Museum ein großes Fest für alle mit einem bunten Programm und vielen Attraktionen rund um das Thema Eisenbahn. Eintritt frei! www.dbmuseum.de 09.–11.09. und 25./26.09.2010 – Spielzeugmuseum in Nürnberg Auch im Spielzeugmuseum dreht sich im Jubiläumsjahr viel um die Bahn: Vom 09. bis 11. September heißt es „Lummerland im Spielzeugmuseum“. Jeweils von 11 bis 16 Uhr können die Kinder ihre eigene „Insel mit zwei Bergen …“ – mit Schienen, Lok und Tunnel ganz nach ihrer Fantasie gestalten. Am 25. und 26. September kommen kleine Baumeister ganz groß heraus. Jeweils von 10 bis 17 Uhr im Dachgeschoss des Spielzeugmuseums ein großes Schienennetz für eine Eichhorn-Holzeisenbahn gebaut, damit der Zug dann auf die Reise gehen kann. www.museen.nuernberg.de 119 120 i m p ress u m edition bayern eisenbahn in bayern 1835 . 2010 Edition Bayern # 01 SONDERHEFT Herausgegeben vom Haus der Bayerischen Geschichte haus der bayerischen geschichte © 2010 Bayerisches Staatsministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Haus der Bayerischen Geschichte, Augsburg www.hdbg.de Redaktion: Evamaria Brockhoff, Dr. Wolfgang Jahn Gestaltung: Manfred Wilhelm, Büro Wilhelm, Amberg Lithografie: EZM Echtzeitmedien, Nürnberg und media men GmbH, Augsburg Druck: Kessler Druck + Medien GmbH & Co. KG, Bobingen Vertrieb: Verlag Friedrich Pustet ∙ Regensburg, Gutenbergstraße 8 ∙ 93051 Regensburg Tel.: 0941 92022-0 ∙ Fax: 0941 92022-330 ∙ E-Mail: [email protected] ∙ www.verlag-pustet.de Alle Rechte vorbehalten Printed in Germany ISBN 978-3-7917-2302-0 Gedruckt auf umweltschonend hergestelltem Papier „Symbol Freelife Satin“ von Fedrigoni Deutschland GmbH, Unterhaching bildnachweis Architekturmuseum der TU München: S. 74 o. li. Judith Bauer, München: S. 1 o. re., 89 Bayerische Staatsbibliothek München / Porträt- und Ansichtensammlung: S. 59 o., 61 li., 60 o. re., 73 li. Mitte und u., 74 Mitte, 75 o. li. und Mitte re. o. Bayerischer Landtag / Stiftung Maximilianeum, München: S. 1 li. (4. v. o.), 2 u., 55 Bayerisches Wirtschaftsarchiv, München: S. 94−97 Udo Bernstein, Stein b. Nürnberg: S. 116, Umschlagrückseite Bestand Uwe von Poblocki: S. 21 re., 31 o. re. Bildagentur für Kunst, Kultur und Geschichte, Berlin: S. 51 o. li. Bildarchiv der Nürnberger Nachrichten: S. 18 o. re., 38, 51 o. re. Udo Breitenbach, Aschaffenburg: S. 1 li. u., 104−107 DATEV eG Nürnberg: S. 53 o., 53 Mitte li. DB AG: Umschlagvorderseite o. (Foto: Ralf Kranert) und u. (Foto: Stefan Warter), S. 70 o. re. (Foto: Annette Koch), 81 u. re. (Foto: Christian Bedeschinski DB Museum Nürnberg: S. 1 o. li. und Mitte, 2. o. re., 56, 57, 61 u., 65 o.li., 66 li., 67, 70 o. li., 70 Mitte li. und u., 72, 73 o., 73 Mitte re. und u. Mitte und re., 75 o. re., 79 Eva Detzel, Lauingen: S. 112 li. Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände, Nürnberg (© Büro Müller-Rieger): S. 110 Aribert Elpelt, Waigolshausen: S. 74 o. re., 77. u. li., 81 o., 85 Foto Berger, Prien a. Chiemsee: S. 69 Mitte li., 82 Gemeinde Neuenmarkt: S. 60 o. li. Gemeinde Rechtenbach: S. 65 unten Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg: S. 68 re. Grafische Sammlung Nürnberg: S. 1 li. (2. v. o.), 13 re., 14/15 o., 14 u., 16; 117 o. Martin Grundmeyer: S. 26 o. re.; Haus der Bayerischen Geschichte, Augsburg: S. 55 u. li., 58 (Foto: v. Voithenberg), 59 li. (Foto: Voithenberg), 59 u. re., 62 re., 63 o., 65 o. re. (Foto: v. Voithenberg), 68 u.li., 74 u. li., 83 o. re., 86 o. li. und u., 87 Monika Hippe: S. 75 Mitte u. Wilfried Ernst Hölzler, Marktoberdorf: S. 62 li., 98−101, 108 u. Fa. Ideenreich: S. 75 Mitte u. re. Ketterer Kunst GmbH & Co. KG, München (www.kettererkunst.de): S. 90 o. Kunstsammlungen und Museen Augsburg: S. 55 u. re. Herbert Liedel: S. 13 li., 19 u., 23 o. re., 29 Mitte li., 33 o. re., Mitte re., 43, 49 u., 52 o. re., 53 re. Emma Mages, Alteglofsheim: S. 64 Wolfgang Mair Abersee, Augsburg: S. 75 u. Christian Mayerhofer, Essbahnhof im Kulturbahnhof Rimsting: S. 75 Mitte u. li. MEC Ostallgäu/Außerfern e.V.: S. 115 (Foto: Reinhard Graf, Füssen) Museum Industriekultur, Nürnberg: S. 1 li. (3. v. o.), 20, 21 li., 22, 23 Mitte, 25, 26 li., 26 Mitte re., 27, 29 u. li., 30, 34−37, 39 u., 40, 41, 42 o., Mitte re., u., 45, 46, 48/49 o., 51 Mitte, u., 117 Mitte Privatbesitz: S. 2 o. li. und Mitte, 63 u., 65 Mitte re., 66 li., 60 u. li. und re., 74 u. re., 75 Mitte li., 76, 77 o., 77 u. Mitte und re., 78, 81 u.li., 83 o. li. und u.li., 84, 88, 112 re., 113 Alwin Reiter, Geltendorf: S. 77 Mitte H. Peter Sinclair (by courtesy Jonathan Sinclair, London): S. 108−109 Florian Schilhalbel: S. 92/93 Staatsarchiv Würzburg: S. 111 Stadtarchiv Fürth: S. 17 u. re. Stadtarchiv Lauf an der Pegnitz: S. 15 u. Stadtarchiv Nürnberg: S. 17, 18 oben u. Mitte, 19 o. u. Mitte, 21 o., 23 o. li., 29 o., Mitte re., u. re., 31, 32, 33, 39 o., 42 Mitte li., 47, 52 Mitte o. Städtische Galerie im Lenbachhaus, München: S. 91 Stadtmuseum Sulzbach-Rosenberg: S. 83 u. re. Technische Universität München, Lehrstuhl für Forstliche Arbeitswissenschaft und Angewandte Informatik, Freising: S. 65 Mitte li. Christian Wagner Film, München (www.wagnerfilm.de): S. 102 Wendelsteinbahn GmbH, Brannenburg: S. 71 Wittelsbacher Ausgleichsfonds, München (Inv.-Nr. B II 163): S. 61 re. Zentrum Paul Klee, Bern (© VG Bild-Kunst): S. 90 u. Bayerische Eisenbahngeschichte Josef Dollhofer Feuerross und Flügelrad in Ostbayern Die Ära der Bayerischen Ostbahnen ca. 380 Seiten, mit ca. 230 Abbildungen ISBN 978-3-7917-2300-6 Der spannende Aufbruch ins Eisenbahnzeitalter in Niederbayern und der Oberpfalz! Ausgestattet mit historischem, vielfach noch nicht veröffentlichtem Bildmaterial. Eisenbahn in Regensburg 150 Jahre Schienenverkehr Herausgegeben von den Regensburger Eisenbahnfreunden RSWE e.V. ca. 168 Seiten, mit 120 z.T. farbigen Abbildungen ISBN 978-3-7917-2274-0 Die Entwicklung der Eisenbahn-Region Regensburg von der Bayerischen Ostbahn bis zur Deutschen Bundesbahn heute. Beide Bücher erscheinen im September. Verlag Friedrich Pustet www.verlag-pustet.de