"Lieber Rudi!" - Gedichte und Briefe an einen krebskranken Freund

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"Lieber Rudi!" - Gedichte und Briefe an einen krebskranken Freund
„Lieber Rudi!“ – Gedichte und Briefe
an einen krebskran
krebskranken Freund
Eine Sendung von STEPHAN STEINSEIFER
(Reihe „Calando“; Karfreitag, 10.04.2009)
Vorwort
Ich hatte einmal einen Freund. Nennen wir ihn: Rudi. Unsere Freundschaft
war nicht besonders tief. Als ich auf sie bauen wollte, hat sich das bald herausgestellt. In der Not zeigt sich der wahre Freund, heißt es. Oder eben auch
nicht.
Ich hatte einen Freund, der erkrankte plötzlich an Krebs. Ein halbes Jahr später war er tot. Am Anfang stand freilich eine zuversichtliche Zahl im Raum:
70% sagten die Ärzte, 70% Heilungschance.
„Wenn wir genug beten, kriegen wir die restlichen 30 auch noch zusammen!“,
dachten wir, seine Freunde, sein Hauskreis, seine Gemeinde. Falsch gedacht!
Am Ende hatte der Tod die ganzen 100% an sich gerissen – und wir saßen da
mit noch gefalteten Händen und fragten uns, was das zu bedeuten hat, ob
wir etwas falsch gemacht haben. Oder auch Rudi selbst: Hat er falsch geglaubt? Zu wenig? Hat er unterwegs, als kein Gebet fruchtete, als die Schmerzen und Beschwerden schier unerträglich wurden, hat er am Ende den Glauben verloren?
Ich weiß es nicht. Ich mag auch nicht über den Glauben eines anderen spekulieren. Ich will von meinem Glauben reden, zur Not auch von meinem Unglauben. Und ich will reden in der Hoffnung, es könnte nützlich sein. Nützlich für die, die gerade in ihrer ganz eigenen Passionsgeschichte stecken.
Der Krebs ist ein Kreuz der Gegenwart, eines der vielen Kreuze, die Menschen ganz ungefragt auferlegt werden. Wer spielt für sie den Simon von Kyrene? Wer tritt mit unter das Kreuz, hebt es an, hilft es tragen? – Ich weiß
nicht, ob ich das kann. Ich will es versuchen.
© Stephan Steinseifer / ERF Medien (04/2009)
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DIGITALIS PURPUREA *
oder
NACH DEM KREBS
In der Schneise der Verwüstung
Leuchtet eine Segenspur:
Als wäre ein Engel
Leichtfüßig
Durch das Grauen gelaufen.
Bleibe nicht stehen
Auf verbrannter Erde;
Folge ihm nach,
Dem Unberührbaren:
In dieser Richtung
Liegt das Leben!
1. Brief
Lieber Rudi,
nun ist es endlich heraus; seit heute steht die Diagnose fest: Du hast einen
Tumor – und er ist bösartig. Das ist wahrlich keine Mitteilung, die man mit
Erleichterung zur Kenntnis nimmt.
Trotzdem möchte ich dem Umstand, dass du nun weißt, womit du es zu tun
hast, etwas Positives abgewinnen: Du kennst nun sozusagen deinen Gegner,
weißt, gegen wen du kämpfst – und damit kann der Kampf überhaupt erst
beginnen.
Es ist natürlich immer schwierig, jemand anders zu sagen, was für ihn dran
ist. Zumal, wenn dieser Andere in so einer ganz anderen Situation ist als man
selbst. Trotzdem möchte ich es jetzt und – wenn du es zulässt auch in Zu-
*
Digitalis purpurea ist der lateinische Name des Roten Fingerhuts. Dieser besiedelt als so
genannte „Pionierpflanze“ Brachflächen wie z. B. ein frisch gerodetes Waldgebiet und überzieht sie, wenn die Pflanze in voller Blüte steht, mit einer Art rosarotem Teppich. Dieses Bild
steht im Hintergrund des Gedichts.
© Stephan Steinseifer / ERF Medien (04/2009)
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kunft – wagen, dir meine Sicht der Dinge zu schildern. Wohl wissend, dass
ich nicht im entferntesten ahne, was du seit Wochen und auch gerade jetzt
durchmachst.
Möglicherweise wäre es besser, nicht zu schreiben, sondern direkt zu reden –
von Angesicht zu Angesicht sozusagen. Doch ich habe den Eindruck, dass
unser Verhältnis dafür nicht eng genug ist. Außerdem hilft es mir, meine Gedanken erst einmal auf dem Papier zu sortieren. Und vielleicht kannst auch
du sie besser ertragen, wenn du sie nicht ins Gesicht gesagt, sondern schriftlich bekommst.
Ich sehe es nun also so: Der Feind ist bekannt, der Kampf kann beginnen.
Und es ist ein „echter“ Kampf – mit „Ende offen“. Ich stelle es mir ein bisschen
so vor wie früher, in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, als unsere Großväter noch in den Krieg ziehen mussten. Da war ihnen und ihren Angehörigen auch ganz klar: Es geht um Leben oder Tod. Und es gibt keine Garantie
dafür, dass ein Soldat den Krieg unbeschadet übersteht, ja dass er ihn überhaupt überlebt. Trotzdem führt kein Weg daran vorbei: Wenn der Feind dir
den Krieg erklärt, dann musst du kämpfen. Und dies trotz aller Angst und
Ungewissheit mit der großen Hoffnung und der festen Absicht, zu gewinnen.
Deshalb lautet der erste Teil der Parole, die ich dir gerne mitgeben möchte
(wenn du sie hören willst und gebrauchen kannst): „Kämpfe! Kämpfe um dein
Leben!“ Und kämpfe nicht mit dem Hintergedanken, dass du ja vielleicht ohnehin schon verloren hast, dass die Chancen viel zu schlecht stehen, sondern
in der festen Absicht: „Ich will gewinnen!“
Der zweite Teil der Parole lautet: Kämpfe den „guten Kampf des Glaubens“!
Das hat der Apostel Paulus einmal dem Timotheus gesagt (vgl. 1. Tim 1, 18).
Im Blick auf deine Situation möchte ich das so verstanden wissen:
Gib in allem, was jetzt geschieht, deinen Glauben nicht auf! Erinnere dich
daran, was deinen Glauben ausmacht: Wir – du und ich – wir haben jetzt
schon ewiges Leben. Insofern stimmt es eigentlich gar nicht, dass es ein
Kampf mit offenem Ende ist; dass es die Möglichkeit gibt, in diesem Kampf
auch zu unterliegen. Unser Herr hat genau diesen Kampf, den Kampf gegen
Verlorenheit und Tod, bereits für uns durchgekämpft – und gesiegt!
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Ich weiß, dass das ein schwacher Trost ist, wenn du wirklich dein irdisches
Leben verlieren solltest – und mit ihm alles, was dir wichtig ist: Frau und Kinder, deine Freunde, dein Haus. Trotzdem glaube ich: Menschen, die von dieser Überzeugung wirklich durchdrungen sind: „Ich habe jetzt schon ewiges
Leben; niemand kann mir das nehmen!“ – solche Menschen kämpfen anders,
weil sie – trotz aller Angst – gelassener kämpfen können als die anderen, die
nur dieses eine Leben haben und es darum mit „Zähnen und Klauen“ verteidigen müssen. Kämpfe den guten Kampf des Glaubens: im festen Vertrauen
auf deinen Herrn Jesus Christus, der den Kampf bereits gewonnen hat.
Das Stichwort „Vertrauen“ führt mich zu einem zweiten Gedanken: „Kämpfe
den guten Kampf des Glaubens!“ – Das bedeutet auch: Gib in allem, was jetzt
geschieht, dein Vertrauen auf Gott nicht auf! Ich habe mich das die ganze
Zeit schon gefragt, wie du diese grausame und schier endlose Leidenszeit
der letzten Wochen vor der Diagnose mit Gott auf die Reihe gekriegt hast. Ob
du so unerschütterlich am Glauben festgehalten hast wie Hiob – oder ob du
ins Zweifeln an Gott gekommen bist. Da ich es nicht weiß, formuliere ich hier
jetzt ein bisschen ins Blaue hinein und hoffe, du nimmst es mir nicht übel,
wenn das alles für dich gar kein Problem ist.
Für mich persönlich ist das nämlich ein Problem. Diese Frage bewegt mich
schon seit Jahren – und ich habe noch keine befriedigende Antwort darauf
gefunden: Wie kann man einem Gott vertrauen, der einen im Ernstfall derart
gnadenlos im Stich lässt, wie ich es schon ein paar Mal in meinem Leben erfahren habe. Auch ich habe vor vielen Jahren eine Leidenszeit durchgemacht,
in der ich Gott auf Knien gebeten habe, er möge dieses Leid abstellen, es bitte wegnehmen. Er kann es doch, so dachte ich, es wäre ein Leichtes für ihn.
Und wenn er mich wirklich liebt, wie man mir ja ständig erzählt, dann müsste
er es doch, oder? Ich meine: Wenn meine Tochter unsägliche Schmerzen erdulden müsste, und ich wäre Arzt oder hätte sonst irgendwie die Möglichkeit,
ihr Leid sofort zu beenden – ich würde doch nicht eine Sekunde zögern, sie
davon zu befreien. Aber Gott, mein Vater, schaut meinem Elend tatenlos zu!
Wie kann man einem Gott vertrauen, der in gewisser Hinsicht unberechenbar
ist? Der das eine Mal auf wundersame Weise Gebet erhört und der beim
nächsten Mal auf ebenso grausame Weise unser Gebet mit Schweigen quittiert? Wie kann man Gott vertrauen? Was heißt es, ihm zu vertrauen? – Ich habe, wie gesagt, noch keine abschließende Antwort auf diese Frage gefunden.
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Nur soviel ist mir heute schon klar, weil ich es immer wieder so erfahren habe: Es ist absolut das Beste, was man tun kann, sich Gott ganz und gar anzuvertrauen. Zweifel, Ängste, Sorgen, Misstrauen – diese Gefühle geben sich
immer wieder als die eigentlichen Realisten aus, aber sie sind es nicht. Sie
zeigen nur die Schattenseiten des Lebens. Sie helfen dir nicht, sie zerstören
vielmehr dein Leben. Sie rauben dir erst die Hoffnung und dann den letzten
Nerv.
Vertrauen macht stark! Und am stärksten macht das Vertrauen auf Gott –
trotz aller Ungewissheit. „Kämpfe den guten Kampf des Glaubens!“, das bedeutet darum auch: Gib dein Vertrauen nicht auf! Vertraue insbesondere darauf, dass Gott in diesem Kampf nicht dein Gegner ist, der dir irgendwas
„reinwürgen“ will, sondern dass er an deiner Seite steht und dir helfen will. Ja,
so stelle ich es mir vor: Jesus steht an deiner Seite und sagt: „Ich weiß, du
wünschst dir, das alles wäre dir erspart geblieben. Aber so ist es nun mal: Du
musst da durch! Aber fürchte dich nicht: Ich gehe mit dir da durch! Ich weiche nicht von deiner Seite, wie schlimm die Schlacht auch wird!“
Soviel für heute, lieber Rudi. Ich weiß: Ich stecke nicht in deiner Haut, rede
wie ein Blinder von der Farbe. Und doch hoffe und wünsche ich mir und dir,
dass meine Worte so etwas wie ein Fenster aufstoßen können. Damit du nicht
nur die dunklen Wolken des Krebses siehst, sondern auch den blauen Himmel Gottes.
Vielleicht kommen wir ja miteinander ins Gespräch – sei es schriftlich oder
mündlich. Jedenfalls wünsche ich dir und deiner Familie Kraft und Zuversicht
von Jesus Christus, unserem Herrn.
In diesem Sinne: Gott mit euch!
2. Brief *
Lieber Rudi,
hat das Leid einen Sinn? Hat dein Leid eine tiefere Bedeutung? Und wenn ja:
Welche?
*
Dieser Brief wurde für die Radio-Sendung aus Zeitgründen weggelassen.
© Stephan Steinseifer / ERF Medien (04/2009)
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Ich glaube: Nichts hat Sinn (zumindest keinen, den wir so einfach herausfinden könnten), aber alles kann einen Sinn bekommen – allerdings erst im
Nachhinein.
Ich habe den Eindruck, dass es dir überhaupt nicht gut tut, wenn du dich
jetzt mit der Frage abquälst, warum ausgerechnet dir und deiner Familie das
alles widerfahren ist. Was Gott sich wohl dabei gedacht hat, welche Ziele er
mit deiner schlimmen Krankheit verfolgt.
Es klingt vielleicht zynisch, aber ich meine es nicht so: Jetzt ist Leiden angesagt, nicht Grübeln. Jetzt musst du deine Kraft sammeln, um die Stunden des
Schmerzes, der körperlichen Ermattung zu durchstehen, und darfst dich
nicht schwächen lassen von dem endlosen Kreisen um die Warum- oder Wozu-Frage.
Du kennst das doch sicher aus dem Arbeitsleben: Wenn der Chef seinen Angestellten einen Auftrag gibt, den sie ausführen sollen, dann ist es absolut
schädlich und wenig zielführend, wenn besagte Angestellte eine große Debatte starten, was der Chef sich dabei wohl gedacht hat, ob das Projekt auch
Sinn macht und wozu das Ganze überhaupt gut sein soll. Nein: Von einem
guten Chef erwartet man, dass er sich vorher reiflich überlegt hat, welche
Aufträge er wem erteilt; und von den Arbeitern und Angestellten erwartet
man, dass sie ausführen, was der Chef ihnen aufträgt.
Ob ich das so sagen darf, ob du das so glauben kannst: Gott hat dir jetzt den
Auftrag des Leidens gegeben. Mein Eindruck ist: Das ist jetzt dran für dich.
Und vielleicht erwartet er von dir, dass du diesen Auftrag endlich annimmst
und ausführst – in der festen Überzeugung, dass auch er ein guter „Chef“ ist,
der weiß, was er dir zumutet und warum, auch wenn du es selber noch nicht
verstehen kannst.
Ich wünsche dir diesen Glauben und das feste Vertrauen auf unseren guten
Gott und Vater im Himmel!
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3. Brief
Lieber Rudi,
ich denke mir dein Leid wie ein schwarzes Loch. Es zieht alles an sich und
verschluckt es: die Lebensfreude, den Lebensmut, die Zukunft und die Vergangenheit, jede schöne Erinnerung und all die Pläne, die man bis vor kurzem noch hatte – alles versinkt im finsteren Schlund eines alle Sinne betäubenden Schmerzes.
Der Leidende selbst passt sich dieser Entwicklung an. In seiner Nähe vergeht
einem jede flapsige Bemerkung, jedes ermunternde Wort bleibt in der Kehle
stecken, der eben noch so unerschütterlich gewähnte eigene Glaube erscheint plötzlich wie ein tragischer Irrtum. Zuerst ist das Leid das schwarze
Loch, doch über kurz oder lang ist es der Leidende selbst – und wird dadurch
für seine Umgebung zum schier unerträglichen Tyrannen.
Ich spreche hier eine bittere Wahrheit aus und bin mir bewusst, dass ich dich
damit noch zusätzlich belaste. Und doch glaube ich, es dir um deiner Frau
und deiner Kinder willen sagen zu müssen: Wer so schlimm leidet wie du, der
empfindet sich wohl als eine Art unschuldiges Opfer, auf das alle und jeder
Rücksicht zu nehmen hat. Lassen wir das mit der „Unschuld“ und dem „Opfer“
einmal dahingestellt sein, schauen wir uns die Rücksichtnahme an:
Rücksichtnahme beruht immer auf Gegenseitigkeit. Deine Familie muss in
vielfältiger Weise Rücksicht auf dich nehmen: Zu allererst deine Frau, die dich
mit Medikamenten und Nahrung versorgt wie ein kleines Kind, die dich in die
Klinik zur nächsten Behandlung fährt, die fast rund um die Uhr für dich da
ist. Aber auch deine Kinder werden zur Rücksichtnahme verpflichtet: Sie dürfen nicht so viel toben wie sonst, nicht so viel Krach machen, weil es der Papa
eben nicht erträgt. Sie dürfen – mit einem Wort – eigentlich keine Kinder
mehr sein.
Das ist die eine Seite der Rücksichtnahme. Was ist mit deiner Seite? Natürlich
kannst du dich jetzt nicht so um deine Familie kümmern, wie sie es früher
von dir gewohnt war. Ich meine auch nicht, dass du schauspielern und so tun
sollst, als wäre alles in bester Ordnung. Ich weiß, dass du deiner Frau und
deinen Kindern jetzt nicht die Aufmerksamkeit schenken kannst, die du ihnen sonst gegeben hast. Aber ein Wort der Dankbarkeit, eine freundliche Be© Stephan Steinseifer / ERF Medien (04/2009)
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grüßung, ein Lächeln – könnte das nicht trotz aller Krankheit möglich sein?
Es ist wichtig für sie!
Ich denke: Nach den Schmerzen und der abgrundtiefen Ermattung ist es für
einen Krebskranken wohl am schwersten zu ertragen, dass das Leben für alle
anderen außer ihm selbst ganz normal weitergeht – oder weitergehen könn-
te, wenn da eben nicht der Leidende ständig im Weg wäre.
Ich glaube deshalb: Jeder von euch braucht in dieser schweren Zeit eine Art
Schutzraum, in dem er – wenigstens vorübergehend – sein ganz und gar eigenes Leben leben kann. Das mit dem Raum kannst du sogar wörtlich nehmen: Als Zimmer irgendwo in eurem Haus, in das sich deine Frau oder die
Kinder zurückziehen können. Und umgekehrt: Ein Zimmer, in das du dich
zurückziehst und die anderen eine Weile von deinem Anblick befreist.
Ich weiß: Dieses Wort mutet hart, ja grausam an. Aber das ist die Realität: Die
Krankheit Krebs ist eine enorme Belastung. Zuerst für dich selber, aber durch
dich auch für deine ganze Familie. Du, lieber Rudi, bist durch deine Krankheit
zum Pflegefall geworden. Das allein ist für alle Beteiligten schon schlimm genug. Aber ihr solltet es nicht noch schlimmer dadurch machen, dass ihr, du
selbst und deine Familie, unter dieser Last zerbrecht. Darum: Es ist gut, dass
du zuhause von deiner Frau versorgt wirst. Sie liebt dich und tut das gerne.
Es ist auch gut, dass deine Kinder schon früh lernen: Das Leben hat auch seine dunklen, schmerzvollen, ja bitteren Seiten. Doch das Wichtigste, was sie
und ihr alle jetzt lernen könnt, das ist in meinen Augen, wie man diese Situation mit Gottes und der Menschen Hilfe bewältigt. Und dazu ist es meiner
Meinung nach unerlässlich, dass deine Frau und deine Kinder einen Freiraum
für ihr eigenes Leben behalten oder wieder zurückbekommen.
Ich glaube: Diesen Freiraum musst du, der Leidende, ihnen ausdrücklich gewähren. Sie nehmen ihn sich nicht selbst. Deine Kinder haben wohl ein
schlechtes Gewissen, wenn sie fröhlich spielen, während ihr Vater vor
Schmerzen nicht weiß, was er machen soll. Deine Frau würde sich wahrscheinlich herzlos fühlen, wenn sie einkaufen, zum Friseur, zum KaffeeKränzchen oder einfach bloß Joggen geht, obwohl du sie doch viel dringender an deiner Seite brauchst. Und doch empfinden sie wohl alle ebenso dunkel wie deutlich, dass sie von Zeit zu Zeit genau das tun möchten, dass sie
einfach mal „raus kommen“ möchten, wie man so sagt.
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Kurz: Erlaube deinen Kindern, unbeschwert, und deiner Frau, glücklich zu
sein! Und gib ihnen, soviel an dir liegt, die Möglichkeit dazu!
Wie das gehen kann? – Ich habe ein paar Ideen, aber letztlich müsst ihr natürlich selber herausfinden, was am besten zu eurer Situation passt. Dass ihr
für euch alle Rückzugsmöglichkeiten sucht oder schafft, habe ich schon erwähnt. Für die Kinder könnte man mindestens einmal am Tag so etwas wie
„Die verrückten fünf Minuten“ veranstalten. Dann stopfst du dir was in die
Ohren oder gehst irgendwohin, wo du sie nicht hörst – und dann dürfen sie
so richtig „die Sau rauslassen“, dürfen nach Herzenslust toben und Krach
machen.
Eine andere Möglichkeit (die von eurem Freundeskreis ja auch schon praktiziert worden ist): Man lädt die Kinder in andere Familien ein und unternimmt
etwas Schönes mit ihnen. Gut wäre es auch, wenn jemand aus eurer Familie
oder ein enger Freund deine Frau hinsichtlich deiner Betreuung einmal für ein
paar Stunden ablösen könnte. Dann hätte sie Zeit für eigene Unternehmungen – oder auch Zeit, einmal selber etwas mit den Kindern zu machen (was
mindestens ebenso wichtig ist). Es gibt Situationen, da braucht man eben
nicht den Babysitter, sondern einen Betreuer für den pflegebedürftigen Erwachsenen.
Ich bin besorgt und ich bin gespannt, was du von diesen Überlegungen
hältst, und wünsche dir, dass sie dich nicht nur beschwert, sondern euch allen ein bisschen geholfen haben.
4. Brief *
Lieber Rudi,
täglich sterben Tausende von Menschen: Sie sterben friedlich im Bett oder
ganz plötzlich durch einen Unglücksfall; sie sterben alt und lebenssatt oder
viel zu früh von eigener Hand. Männer werden zu Tode gefoltert, Frauen vergewaltigt und ermordet, Kinder geschändet und umgebracht. Die einen
kommen um infolge von Hunger oder verseuchtem Wasser, die andern zäh*
Dieser Brief wurde für die Radio-Sendung aus Zeitgründen weggelassen.
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len zu den Kollateralschäden im Krieg, wieder andere haben einfach nur die
falsche Religion.
Täglich sterben Tausende von Menschen – und sie sind uns alle herzlich egal,
wenn sie nur weit genug weg von uns sterben. Wehe aber, es gerät eines der
wertvollen Mitglieder aus dem eigenen Freundeskreis oder der Verwandtschaft in Todesgefahr: Dann proben wir den Aufstand; dann gehen wir auf
die Barrikaden und erheben lauthals unsere Stimme; dann pochen wir mit
Vehemenz an die Himmelstür und tun so, als würde unser Welt- und Gottesbild zerbrechen, wenn dieser eine Mensch ums Leben kommt.
Ich habe mich gefragt, was Gott wohl auf unsere törichte Empörung entgegnen könnte, wenn er nicht so barmherzig schweigen würde. Vielleicht würde
auch er uns einmal die berühmte Warum-Frage stellen:
„Warum eigentlich“, so könnte Gott sagen, „warum sollte ich eigentlich deine
todkranke Mutter eher retten als irgendeine schutzlose Frau in Darfur? Warum sollte ich deinen sterbenden Vater lieber am Leben lassen als irgendeinen unschuldigen Zivilisten im Irak? Warum sollte mir dein Sohn oder deine
Tochter wichtiger sein als ein verhungerndes Mädchen in Äthiopien oder ein
drogensüchtiger Straßenjunge in Brasilien?
Du selbst, du lebensmüder Leidender, was macht ausgerechnet dich für diese
Welt so unentbehrlich? Und du, enttäuschter Beter, lass dir sagen: Vielleicht
nähme ich die Fürbitte für deine Lieben ernster, wenn du auch einmal um die
weinen würdest, die anderswo sterben.“
Natürlich bete ich weiter für dich, lieber Rudi! Aber ich tue es bescheidener
und aufrichtiger.
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KREUZWEG-ERFAHRUNGEN *
FÜR EINEN KREBSKRANKEN FREUND
Es gibt Leidensgeschichten,
Die nehmen scheinbar kein Ende;
Es gibt Leidensgeschichten,
Die sind wie eine Passion.
Es gibt einen,
Der kennt das genau:
Den alles betäubenden Schmerz,
Die Angst vor dem Tod,
Die Einsamkeit des Leidenden,
Seine Sprachlosigkeit
Und seine Ohnmacht,
Das Schweigen Gottes.
Es gibt einen,
Der hat das auf sich genommen,
Der hat sich nicht gedrückt,
Sondern ist dran geblieben;
Der hat sich hängen lassen
Und hat das ausgehalten –
Bis zuletzt.
Dieser Eine ist immer da,
Wo Menschen hoffnungslos leiden;
Dieser Eine
Reicht dir vom Kreuz herab die Hand,
Hinein in deine eigene Passion,
Holt dich heraus
*
Der Titel „Kreuzweg-Erfahrungen“ stammt von dem gleichnamigen Buch von Theo Schmid-
konz. Im Hintergrund des Gedichtes steht eine Zeichnung von Oskar Kokoschka. Sie stammt
aus dem Jahr 1945 und trägt die Widmung „Zur Erinnerung an die Kinder in Europa, die an
diesem Weihnachtsfest durch Kälte und Hunger sterben müssen“. Der Gekreuzigte wird hier
so dargestellt, dass er mit einer Hand am Kreuz hängt, die andere aber vom Kreuz gelöst hat
und der vor ihm stehenden Menschenmenge entgegenstreckt. Das Kreuz Jesu erscheint hier
also als Zeichen der Solidarität Gottes mit den Leidenden und Sterbenden dieser Welt.
© Stephan Steinseifer / ERF Medien (04/2009)
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Oder hilft dir durch,
Hält dich fest –
Bis zuletzt.
Dieser Eine zeigt:
Zuletzt herrscht das Leben,
Nicht der Tod;
Die Endstation des Kreuzwegs
Ist die Auferstehung,
Nicht das Grab.
Dieser Eine sagt:
„Ich lebe,
Und du wirst auch leben. –
Ganz bestimmt!“
5. Brief
Lieber Rudi,
wem gehört eigentlich dein Leben? – Bitte lass dir ein bisschen Zeit mit der
Antwort, gib sie nicht allzu schnell in der Annahme, es sei doch ohnehin klar,
welche Antwort von dir als Christ erwartet wird.
Als wir geboren wurden, bekamen wir das Leben von unserer Mutter geschenkt. Denn so heißt es doch wohl: „Am soundsovielten schenkte Frau XY
einem gesunden Jungen das Leben.“ – Pustekuchen, das mit dem „geschenkt“! Denn in Wahrheit gehören wir ja eine ziemlich lange Zeitspanne
unseren Eltern, entscheiden sie – mehr oder weniger klug – über unser Geschick.
Erst in der Pubertät fangen wir damit an, wirklich Ernst zu machen mit diesem „Geschenk“. Dann gilt er plötzlich, jener Kinderspruch: „Geschenkt ist
geschenkt, und wiederholen ist gestohlen!“ Dann sagen wir, wenn wir uns
denn von unseren Eltern lösen, dann sagen wir es ihnen irgendwann ins Gesicht: „Mein Leben gehört mir; ich entscheide, was daraus wird; ich weiß selber, was gut für mich ist!“ Irgendwann übernehmen wir selbst die Verantwortung für unser Leben – und das ist gut und richtig so!
© Stephan Steinseifer / ERF Medien (04/2009)
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Unabhängig von dieser natürlichen, gewissermaßen biologischen Entwicklung, verläuft eine andere: der Weg zum Glauben. In unseren Kreisen legt
man ja großen Wert darauf, dass dieser Weg in einer klaren „Entscheidung“
mündet, sein Leben in Gottes Hände zu legen, eine „persönliche Beziehung
zu Jesus Christus“ einzugehen, sich zu „bekehren“ – nenn es, wie du willst.
Oft spricht man in diesem Zusammenhang auch von einem „Herrschaftswechsel“ und meint damit: So, wie in Kindheit und Jugend unsere Eltern über
unser Geschick bestimmten und wir ihnen Gehorsam schuldeten, so ist es
nun Gott selbst, der die Zügel unseres Lebens in die Hand nimmt, und uns,
seinen Kindern, sagt, wo’s langgeht, was wir zu tun und zu lassen haben.
Der Apostel Paulus drückt es so aus:
Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn.
Darum: wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn. Denn dazu ist Christus
gestorben und wieder lebendig geworden, dass er über Tote und Lebende
Herr sei (Röm 14, 8f).
Und an anderer Stelle fragt Paulus die Korinther:
Wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des heiligen Geistes ist, der in
euch ist und den ihr von Gott habt, und dass ihr nicht euch selbst gehört?
Denn ihr seid teuer erkauft; darum preist Gott mit eurem Leibe (1.Kor 6, 19f).
Ich glaube: Viel Leid und Sorge auch im Christenleben rühren daher, dass wir
mit diesem so genannten „Herrschaftswechsel“ nicht wirklich Ernst machen.
Dass wir diese einfache Wahrheit – wir gehören nicht mehr uns selbst, sondern Gott – nicht wirklich in die Tat umsetzen.
Wenn’s hart auf hart kommt, wenn Gott uns Wege führt, die wir nicht verstehen oder die uns nicht gefallen, dann nehmen wir ganz schnell selbst wieder
das Ruder unseres Lebensschiffes in die Hand – oder versuchen es zumindest. Wir krallen uns immer wieder in unser Leben fest, obwohl es uns streng
genommen gar nicht mehr gehört – und oft gerade dann, wenn wir es am
wenigsten halten können.
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Aber so ist es nun einmal, lieber Rudi: Dein Leben gehört dir schon lange
nicht mehr! Du selbst bist nicht mehr dein Eigentum. Durch deine Bekehrung,
spätestens durch deine Taufe, hast du alle Rechte an deinem Leben auf jemand anderen übertragen. Gott kann mit deinem Leben und mit deinem Leib
machen, was er will. Du selbst hast ihm beides vorbehaltlos übereignet – also
beschwere dich jetzt nicht, dass er von seinem Besitzrecht Gebrauch macht!
Ich sage das so schonungslos, weil wir als Christen wirklich verraten und verkauft wären, wenn unser Herr nicht ein solch guter Herr wäre, dem wir absolut vertrauen können. Dadurch aber, dass Gott der beste Vater ist, den man
sich denken kann, und unser Herr der beste Führer und Begleiter, den man
sich wünschen kann, dadurch allein wird aus dem so bedrohlich klingenden
„Du gehörst dir nicht mehr“ ein unglaublich befreiendes Geschenk.
Als Jugendliche haben wir irgendwann die Verantwortung für unser Leben
übernommen, sagte ich vorhin, doch wenn wir anschließend ehrlich zu uns
waren, haben wir bald gemerkt: Wir haben uns damit in der Tat übernommen, haben uns viel zu viel zugemutet. Wie können wir kleinen Menschen mit
unserer begrenzten Lebenszeit und unserem viel zu engen Horizont, wie
können wir allen Ernstes glauben, in vollster Tragweite Verantwortung übernehmen zu können für etwas derart Kostbares wie das Leben – sowohl unser
eigenes als auch das unserer nächsten Angehörigen, unseres Ehepartners,
unserer Kinder?
Dass da einer herkommt und sagt: „Gib mir dein Leben – ich übernehme ab
sofort die Verantwortung dafür!“ – das ist in Wirklichkeit keine besonders
heimtückische Form der Freiheitsberaubung, sondern eine liebevoll gemeinte
Entlastung unserer hoffnungslos überforderten Seele. Aus dieser Perspektive
betrachtet, scheint mir das ganze Christenleben ein Lernprozess zu sein, in
dem es darum geht, unser „eigenes“ Leben wirklich loszulassen, es ganz in
Gottes Hand zu legen, es seiner Fürsorge anzuvertrauen. Das Leid wäre dann
eine von vielen Lektionen in diesem Lernprozess – vielleicht auch eine Art
Prüfung.
In meinem ersten Brief habe ich dir sinngemäß geschrieben, dass du um dein
Leben kämpfen sollst. Ich glaube heute, dass das gleich doppelt falsch war.
Zum einen war die Annahme falsch, dass es um dein Leben geht. Dein Leben
gibt es gar nicht mehr. Du hast es längst abgegeben, und ich finde, das ist
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eigentlich ein sehr tröstlicher Gedanke. Denn wenn dein Leben nicht mehr dir
gehört, dann ist es auch nicht deine Aufgabe, darum zu kämpfen. Dann
kannst du es getrost Gott überlassen, was er mit deinem Leben macht.
Damit will ich nicht sagen: „Finde dich damit ab, dass du sterben wirst! Gib
den Kampf ums Überleben endlich auf!“ Was ich meine, ist: Lass dein Leben
so los, dass du die Lust daran behältst, es aber ganz aus Gottes Hand entgegen nimmst. Als Gnade eben, nicht als dein persönliches Besitzrecht. Und
überlass Gott hinfort das Kämpfen. Vertrau dich seiner Fürsorge an. Lerne
diese Glaubenssätze durchbuchstabieren: „Ich gehöre dir. Du kannst mit mir
machen, was du willst. Ich vertraue darauf, dass du es gut machst, auch
wenn es nicht so aussieht.“ Und lerne es glauben, dass wir einen unendlich
liebevollen Herrn und Vater haben, auch wenn uns – scheinbar – Böses widerfährt.
ALLES UMSONST?
Umsonst ist –
Nach dem Maßstab dieser Welt –
Ein Leben,
Das nichts baut,
Das keine Kinder zeugt
Und keine Schätze sammelt,
Das weder Ruhm noch Ehre erntet,
Das, wenn vorbei,
Schon bald vergessen wird,
Das Leben ist umsonst,
Sagt man.
Umsonst, sag ich,
Ist nicht ein Leben,
Das im Leid versinkt,
Das alt wird und gebrechlich,
Das dahinsiecht
Scheinbar ohne Sinn und Ziel.
© Stephan Steinseifer / ERF Medien (04/2009)
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Umsonst wird’s erst,
Wenn der, den es betrifft,
Die harte Schule Gottes schwänzen will,
Wenn unterm Strich
Nur Schmerz und Aufbegehren übrig bleibt,
Wenn Glaube, Liebe, Hoffnung nirgends wuchs,
Dann war’s umsonst,
Was immer dir geschah,
Dann hast du falsch gelitten,
Schlecht gelebt
Und warst vergeblich da.
6. Brief
Lieber Rudi,
auch wenn es dich wahrscheinlich nicht besonders tröstet oder ermutigt,
möchte ich es dir einmal sagen: Dein schweres Schicksal ist schon vielen
Menschen zum Segen geworden!
Ich selber nehme die großen und kleinen Dinge meines Alltags, die ich sonst
als banale Selbstverständlichkeiten betrachtet hätte, mit ganz anderen Augen
wahr. Meine Gesundheit, meine Familie, dass ich zur Arbeit gehen und diesen
herrlichen Frühling genießen darf – all das erfüllt mich mit einer tiefen Dankbarkeit. Denn an deinem Leiden sehe ich, wie schnell und wie gründlich das
alles verloren gehen kann. Es klingt vielleicht zynisch, aber ich meine es nicht
so: Dein Unglück lehrt mich mein Glück erkennen. Und ich bin sicher, so geht
es noch vielen anderen, die von deiner Krankheit wissen. Das nenne ich einen
Segen, einen Segen für uns alle.
Auch auf unseren Hauskreis hat sich deine Krebserkrankung in gewisser Weise positiv ausgewirkt: Wir sind in der gemeinsamen Sorge um dich und deine
Familie enger zusammengerückt. Unsere Gespräche sind tiefer geworden.
Das nette, oberflächliche Geplänkel, das sonst so viele Abende gefüllt hat, ist
einem ernsten Fragen nach Gott und seiner –scheinbaren – Untätigkeit gewichen. Auch haben wir begonnen, über unsere Gefühle zu sprechen: über die
Ohnmacht, die wir empfinden, wenn wir vor dir sitzen und dir nicht helfen
können; über die Wut, die uns packt, weil Gott unsere Gebete so gar nicht zu
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hören scheint; über die Traurigkeit angesichts der Auswirkungen deiner
Krankheit auf deine ganze Familie.
Natürlich: Offener miteinander reden, löst noch nicht die wirklichen Probleme
– aber es ist ein erster Schritt dazu. Auch so ist deine Krankheit uns zum Segen geworden.
In gewisser Weise bist du, lieber Rudi, uns auch zum Vorbild geworden, zum
Vorläufer, man könnte auch sagen: Wegbereiter. Du bist wie ein Pionier, der
einen bislang unbekannten Erdteil entdeckt. Dabei machst du die typischen
Anfänger- und Vorläufer-Fehler: Du gerätst auf Abwege, Umwege, Irrwege –
Wege jedenfalls, die uns dann hoffentlich erspart bleiben, sollten wir selbst
einmal ins „Land der Schmerzen“ geschickt werden.
In diesem Sinne hoffe ich dann doch, dass es dich ein bisschen tröstet und
ermutigt, was ich dir heute schreibe – gerade, wenn dich mal wieder die Warum-Frage quält. Denn das Bibelwort über den „leidenden Gottesknecht“, es
trifft, glaube ich, auch auf dich zu: „Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud
auf sich unsre Schmerzen“ (Jes 53, 4). Soll heißen: All dein Leid hat in meinen
Augen auch diesen Sinn, dass es in gewisser Weise für uns geschieht, uns
zugute kommt. Als unser Vorläufer und Wegbereiter in jenem unbekannten
Land namens „Krebs“ trägst du eine Last, die wir sonst irgendwann alleine
oder eben selber als Erste hätten schultern müssen. Du tust es unfreiwillig,
ich weiß, aber trotzdem möchte ich dir heute einmal Danke dafür sagen!
Lieber Rudi, eine Krankheit wie der Krebs hat viele Dimensionen: Es gibt den
Schmerz und die Todesangst, es gibt die Zerstörung von Leib, Leben und
Familie, es gibt aber in all dem Schrecklichen auch die Dimension des Segens
– für dich selbst und für andere.
Ob du auch diese Dimension sehen kannst? – Ich wünsche es dir!
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KÖNIG KREBS
oder
TÖDLICHES CREDO
Ich glaube an Krebs, den Allmächtigen,
Den Zerstörer deines und meines Lebens;
Und an den Tumor, unseren Herrn:
Empfangen durch falsche Ernährung
Oder ein Gift aus der Umwelt;
Bekämpft mit Chemie
Und tödlichen Strahlen;
Scheinbar verschwunden
Aus den CT-Bildern und Laborbefunden;
Im dritten Monat oder Jahr
Wiederauferstanden in neuen Metastasen.
Er sitzt auf dem Thron Gottes,
Des teilnahmslosen Vaters,
Von dort wird er kommen,
Zu vernichten die Alten wie die Jungen.
Ich glaube an den Sieg der Krankheit,
Die unheilige Allianz hilfloser Ärzte,
Gemeinschaft der Hoffnungslosen,
Bestrafung der Sünden,
Und ein elendes Sterben.
Amen.
7. Brief
Lieber Rudi,
der heutige Brief ist eigentlich nicht nur für dich bestimmt, sondern für uns
alle. Je länger, desto mehr frage ich mich: Woran glauben wir eigentlich? An
wen glauben wir wirklich? – Mein Eindruck und meine Befürchtung ist: Das
oben zitierte „Tödliche Credo“ – so bizarr und gotteslästerlich es auch auf
den ersten Blick scheinen mag – es ist längst unser heimliches Glaubensbe© Stephan Steinseifer / ERF Medien (04/2009)
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kenntnis. Der Krebs ist dir, euch, uns zum Goldenen Kalb geworden, um das
wir je länger desto heftiger herumtanzen. Der Krebs beherrscht unser Denken, Reden und Beten. Er diktiert, was wir zu tun und zu lassen haben.
Der Krebs regiert die Welt und widerlegt selbst den wunderbaren Frühling,
den wir gerade erleben. Der Krebs sitzt auf meiner Bettkante, wenn ich abends einschlafe, und wenn ich am nächsten Morgen die Augen öffne, begrüßt er mich mit seinem hämischen Lächeln.
Der Krebs ist uns zum Götzen geworden. Seine zerstörerische Macht scheint
zehnmal realer zu sein als die Gegenwart, die Liebe und der Heilswille unseres „alten“ Gottes. Der Krebs ist Gott, denn Gott ist tot – zumindest benimmt
er sich so. Warum greift er nicht ein? Warum hört er nicht auf unsere Gebete?
Warum heilt er dich nicht oder verschafft dir zumindest eine Linderung deiner Beschwerden? Warum schaut er scheinbar so teilnahmslos zu, wie es mit
dir und deiner Familie immer mehr bergab geht? Warum tut Gott nichts?
Ich glaube: Gott ist am Werk – aber wir sehen und verstehen ihn nicht. Und
das, obwohl wir eine „Wolke von Zeugen“ um uns haben, die uns eines Besseren belehren könnten. Nimm z. B. die Geschichte von Hiob. Sein Schicksal
zeigt uns doch: Es gibt Unglücke, es gibt Krankheiten, die dienen der Prüfung
unseres Glaubens. Hält deine und meine Beziehung zu Gott auch dann noch
Stand, wenn er uns nicht auf Rosen, sondern auf Dornen bettet? Sind wir bereit – um ein anderes biblisches Beispiel zu nennen – wie die „Drei Männer im
Feuerofen“ zu sagen: „Gott kann uns retten – aber auch wenn er’s nicht tun
will, bleiben wir ihm trotzdem treu!“ (vgl. Daniel 3, 17f)?
Und noch etwas ließe sich aus der Geschichte Hiobs lernen, aus den „Hintergrund-Informationen“, die uns das Hiob-Buch liefert: Es gibt Zeiten, da beherrscht der Satan die Bühne unseres Lebens. In diesen Zeiten zieht sich Gott
in die Kulissen zurück, aber er hat sich keineswegs aus dem Geschehen verabschiedet. Gott ist da – und er bleibt der eigentliche Regisseur des Stückes.
„Ich bin gewiss, dass nichts und niemand mich von Gottes Liebe scheiden
kann“, sagt Jahrhunderte später der Apostel Paulus (Röm 8, 38f). Das ist,
glaube ich, nur die halbe Wahrheit. Was für die zwischenmenschliche Beziehung gilt, gilt auch für unsere Beziehung zu Gott: Es gehören immer zwei
dazu; beide Seiten müssen „mitmachen“. Soll heißen: Gott ist immer da, er ist
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immer die Liebe – aber ob ich seine Gegenwart spüre, ob ich mir seiner Liebe
gewiss bin, das hängt von meinem Glauben ab. Gott ist so nah, wie man ihn
glaubt!
Genau deshalb habe ich dieses furchtbare anti-göttliche Glaubensbekenntnis
einmal aufgeschrieben, das mir plötzlich im Kopf herumgegeistert ist. Mich
hat es schließlich zum Protest gereizt, zum trotzigen „Dennoch!“ aus Psalm
73. Ich will mich immer wieder und unter allen Umständen dazu durchringen,
an Gott zu glauben, nicht an jenes Goldene Kalb namens „Krebs“. Ich will ihm
vertrauen, nicht der Weisheit der Ärzte. Ich will seine verborgene Gegenwart
und Liebe annehmen, nicht nur die offensichtliche Realität der Krankheit sehen.
Dazu fordere ich dich, lieber Rudi, deine Familie, ja uns alle heraus!
8. Brief
Lieber Rudi,
nun ist es also ausgesprochen, dein persönliches Todesurteil: ein neuer Tumor, Metastasen im Nervensystem. Und als wenn das allein nicht schon
schlimm genug wäre, lässt es auch die Behandlung vorher in einem neuen,
trüben Licht erscheinen: Diese ganze mörderische Tortur mit ihren Begleiterscheinungen, all deine Schmerzen und schlaflosen Nächte, all das Hoffen,
Bangen und Beten – all das war völlig umsonst! Es hat dein Leben vielleicht
etwas verlängert, dabei aber für dich und deine Lieben zur Qual gemacht.
Was bleibt dir noch? – Vor allem wohl Abschied nehmen. Aber das sagt sich
so leicht – und wie könnte ich, der unbeschwert Lebende, mir immer noch
anmaßen, dir, dem Todkranken und Sterbenden, irgendwelche Ratschläge zu
erteilen? Denn jetzt trittst du endgültig eine Reise an, die dich von uns allen
entfernt, auf der wir dich, so sehr wir es uns vielleicht auch wünschen mögen, nicht mehr begleiten können.
Abschied nehmen, loslassen – vielleicht ist das von allem das Schwerste.
Denn jetzt kommt zum körperlichen der seelische Schmerz hinzu. Dass du
deinen Kindern noch einmal in die Augen schaust und dir klar machst: Sie
werden ihren Weg alleine gehen müssen, ohne dich. Du wirst es nicht mehr
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erleben, wie sie die Schule beenden. Du wirst ihnen keinen Rat geben können, wenn sie sich einen Beruf oder einen Lebenspartner wählen. Du wirst
weder bei der Hochzeit deines Sohnes noch deiner Tochter zugegen sein. Du
wird nie mit deinen Enkeln im Garten Fußball spielen. All das und noch viel
mehr findet ohne dich statt.
Und doch kannst du, der scheinbar nichts mehr für seine Familie tun kann,
noch dieses eine tun: Mache Gott, mache uns, deine Freunde, für sie verant-
wortlich! Denn loslassen kann ja heißen: Die Hand öffnen und etwas einfach
zu Boden fallen lassen. Oder es kann bedeuten: Etwas ganz bewusst an einen
ganz bestimmten Ort ablegen. Oder eben: Es jemand anders in die Hand drücken.
Genau so möchte ich jenen oft gehörten Rat vom „Loslassen“ in deinem Fall
verstehen: Werde ein letztes Mal aktiv! Wende die Kraft, die dir noch geblieben ist, auf für eine letzte entschlossene Tat. Lege dich selbst, dein Leben,
deine Pläne, deine Hoffnungen, deine Enttäuschung, deinen Zorn in Gottes
Hand. Gib ihm bewusst zurück, was ihm ohnehin gehört. Und mit deiner Familie, vor allem deiner Frau und deinen Kindern, mache es ebenso.
Ich stelle mir das ein bisschen vor wie die Überweisung beim Hausarzt. Da ist
es ja sozusagen auch oft so, dass der Allgemeinmediziner mit seinem Latein
am Ende ist und dich zu einem Spezialisten schickt. So verhält es sich auch
bei dir: Du bist am Ende – mit deiner Kraft, mit deiner Lebenszeit. Also stelle
eine Überweisung aus an den besten Spezialisten, den es gibt: an Gott und
an seine „Praxis-Helfer“, an uns.
ABSCHIED
„Es ist vorbei !“ –
Erlösung und Qual
In einem Wort;
Gut ist:
Dein Leiden hat endlich ein Ende,
Schlecht ist:
Nun bist du endgültig fort.
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„Du bist daheim !“ –
Hoffnung und Trost
In einem Wort;
Gut ist:
Du bist nun bei Gott zuhause,
Noch besser:
Wir alle sehen uns dort.
9. Brief
Lieber Rudi,
dies ist mein letzter Brief an dich, und zwar deshalb, weil es dich nicht mehr
gibt. Dass du überhaupt noch von der Klinik in den Kreis deiner Familie zurückgekehrt bist, dass du dann nicht mehr lange leiden musstest, sondern
bald „friedlich eingeschlafen“ bist, dafür bin ich unserem Gott dankbar. Aber
der Rest, ach Rudi, der Rest – wie sollen wir, deine Familie und deine Freude,
damit weiterleben, damit weiterglauben, weiterbeten?
Wie können wir in Gott nach wie vor unseren liebevollen Vater sehen, wenn er
dich doch so sträflich vernachlässigt, so elend hat zugrunde gehen lassen?
Wie sollen wir diese biblische Verheißung „Bittet, so wird euch gegeben!“ ohne Zorn und Bitterkeit hören, geschweige denn befolgen, wo doch all unser
Beten nichts genützt, nichts geändert hat an Gottes unbegreiflichem Ratschluss?
Es gibt, denke ich zwei Wege, wie wir „weitermachen“ können, und sie werden beide beschritten: Wir können auf das große Vergessen warten, auf die
Zeit bauen, die bekanntlich alle Wunden heilt. – Aber dieser Weg ist mir zu
billig. Was ich möchte und in all meinen Briefen und Gedichten auch schon
versucht habe, ist eine wirkliche Erklärung finden. Es muss sich doch irgendwie einsehen lassen, was mit dir und uns geschehen ist. Denn ohne diese wie
auch immer geartete Einsicht möchte ich nicht weiterglauben.
Wenn die bekannten Antworten und Lehren unserer Religion nicht mehr überzeugen, weil sie sich als unzureichend erwiesen haben, dann müssen wir
diese Religion entweder ganz über Bord werfen oder sie entsprechend än© Stephan Steinseifer / ERF Medien (04/2009)
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dern. Oder wir versuchen, Gott, seine Wege und seinen Willen neu begreifen
zu lernen – was auch bedeuten könnte, dass wir zu alten, längst vergessenen
Einsichten wieder zurückkehren.
Denn bei der Beschäftigung mit dir und deinem Schicksal bin ich nicht nur
immer wieder auf Hiob zurückgekommen, sondern auch auf die ersten Christen. Was haben sie nicht alles erdulden müssen! Auf welch grausame Weise
sind sie im Römischen Reich ums Leben gebracht worden – ganze Familien,
Männer, Frauen und Kinder, die Alten wie die Jungen, ganze Gemeinden sind
ausgelöscht worden. Und in manchen Teilen der Welt geschieht das bis heute!
Doch dass das ihren Glauben widerlegen oder auch nur in Frage stellen
könnte, das scheint den Urchristen gar nicht in den Sinn gekommen zu sein,
im Gegenteil: Sie haben für ihren Glauben gelitten, sind für ihren Herrn in
den Tod gegangen – und haben das gewissermaßen völlig in Ordnung gefunden. Das Leben auf dieser Erde war ihnen seit ihrer Bekehrung lediglich
Durchgangsstation. Sie waren wirklich bloß „Gast auf Erden“, waren auf der
Durchreise zum Himmel – warum sollten sie sich also an irgendetwas klammern, was sie auf dieser Reise zurückgehalten oder behindert hätte?
Die ersten Christen haben ganz selbstverständlich nach völlig anderen, sozusagen „himmlischen“ Maßstäben gelebt, als wir es heute tun. Und ein Teil unseres Erschreckens über das Unheil, das dich getroffen hat, rührt vielleicht
daher: Gott selbst handelt noch immer nach diesen seinen Maßstäben – aber
wir Wohlstands-Christen haben sie längst aus den Augen verloren.
„Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes!“, hat Jesus einmal gesagt (Mt 6, 33).
Dieses Wort war ursprünglich gegen die Sorge der Jünger um Nahrung und
Kleidung gerichtet. Es hätte uns, glaube ich, aber auch ein Wegweiser in der
Zeit deiner Krankheit sein können. Denn wonach habt ihr, haben wir denn
getrachtet, sobald der Krebs die Bühne deines und unseres Lebens betreten
hat? All eure Bemühungen drehten sich – natürlich! – darum, dass du möglichst bald und möglichst vollständig gesund wirst, zum alten Wohlbefinden
zurückkehren kannst.
Und genau das war auch immer unser Gebetsanliegen: „Mach’ den Rudi wieder gesund! Gib ihm Kraft, seine Krankheit durchzustehen! Lass ihn bald
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wieder froh und munter mit seiner Familie weiterleben!“ – So oder so ähnlich
lauteten unsere Bitten. Und Gott hat sie alle ignoriert! Warum? – Weil er andere Pläne, andere Ziele hatte. Weil das, was dir und uns so ungeheuer wichtig
war, für ihn vielleicht völlig bedeutungslos ist. – Ist das das Kennzeichen eines grausamen, unbarmherzigen Gottes, oder muss man sein Verhalten anders verstehen?
Ich glaube: Wir haben uns an diese Welt gewöhnt, wir haben uns häuslich in
ihr eingerichtet. Wir stolpern zwar immer wieder über diese merkwürdigen
Bibelstellen, wo vom Reich Gottes die Rede ist, das „nicht von dieser Welt“
sei. Aber dann werden wir – oft von der Kanzel herab! – schnell mit der Versicherung beruhigt: Unser Leben in Wohlstand und Sicherheit sei durchaus
nichts Verwerfliches, sondern zum dankbaren Genießen gedacht. Man dürfe
eben bloß nicht „dran hängen“ und müsse auch immer schön was vom eigenen Reichtum an die abgeben, denen es zufälligerweise nicht so gut geht.
Und für den Fall, dass doch einmal etwas nicht so glatt läuft, wie wir es gewohnt sind, gibt es ja immer noch den „treu sorgenden Vater im Himmel“
und das Gebet zu ihm, das alles wieder ins rechte Lot bringt. Denn Gott will
ja, dass es uns gut geht, dass wir gesund und munter sind und unsere Gottesdienste ein einziger Lobpreis. Der Glaube soll ein Fest sein, „Feiert Jesus!“
lautet die Devise – da muss alles, was die Party-Stimmung stört, natürlich
schleunigst verschwinden.
„Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes!“, hat Jesus gesagt. Deine Krankheit,
lieber Rudi, hat uns gezeigt, wie wenig wir diesen Vers verstanden haben.
Wie wenig wir Gott ins Herz geschaut und seine wahren Absichten begriffen
haben. Wie schnell wir ihn für grausam halten, nur weil er unsere Wünsche
nicht erfüllt. Wie bald wir ihm misstrauen, nur weil er nicht tut, was wir von
ihm erwarten.
„Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes!“ – für mich ist dieses Jesuswort eben
jene Einsicht, die ich oben eingefordert habe. Es ist dies die Lehre, die ich
aus deinem Geschick ziehen möchte: Gott hat andere Maßstäbe und Ziele als
ich sie bisher gehabt habe. Glauben heißt, nach diesen Maßstäben und Zielen
ernsthaft zu fragen, sie nicht nur theoretisch zu bejahen, sondern praktisch
und in allen Dimensionen zu leben. Und der Sinn von Gebet und Fürbitte
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muss darin bestehen, dass wir Gott bei der Verfolgung seiner Ziele unterstützen, nicht bei der Entwicklung seiner Pläne beraten wollen.
So blicke ich nach allem, was gewesen ist, noch einmal dankbar zurück. Der
Preis, den wir gezahlt haben, war hoch: dein Leben, dein unsagbares Leid.
Aber so eben will ich es sehen: Mein Weiterleben ist teuer erkauft – durch
dich! Und ich will mein Möglichstes tun, dass du diesen Preis nicht umsonst
gezahlt hast.
In diesem Sinne: Leb wohl, lieber Rudi – und grüß mir den Herrn!
DIGITALIS PURPUREA
oder
NACH DEM KREBS
In der Schneise der Verwüstung
Leuchtet eine Segenspur:
Als wäre ein Engel
Leichtfüßig
Durch das Grauen gelaufen.
Bleibe nicht stehen
Auf verbrannter Erde;
Folge ihm nach,
Dem Unberührbaren:
In dieser Richtung
Liegt das Leben!
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