Was tun, wenn die Zeitschrift rote Zahlen schreibt?

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Was tun, wenn die Zeitschrift rote Zahlen schreibt?
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kuliert. Denn Verlage handeln wie
jeder Wirtschaftsbetrieb gewinn­o rientiert. Notwendigerweise.
Was also die Analyse ergibt
und die Prognose verspricht,
führt zur Entscheidung, ob
man einen Titel behält oder
sich von ihm trennt.
Was tun, wenn die Zeitschrift rote Zahlen schreibt?
Aufgeben
oder
durchhalten?
Wenn Magazine und Zeitungen zu Verlustbringern werden, droht ihnen das Aus. Verlage tun sich schwer mit
dem richtigen Zeitpunkt, um einen Titel einzustellen,
zu verkaufen oder doch weiterzumachen. Es fehlt an
finanziellen Reserven, verlegerischer Geduld und mitunter auch am Mut zum Scheitern.
Von Roland Karle,
Freier Journalist,
Neckarbischofsheim
ie Financial Times Deutschland
hatte zeitlebens nie das Problem,
zu wenig gelobt zu werden. Ihre Beschwerden waren finanzieller Natur: Sie
verdiente nicht genug, um aus den roten
Zahlen zu kommen. Die Symptome
wuchsen sich aus zur chronischen
Krankheit, die das Blatt schließlich ins
Grab brachte. Das hinderte seine Macher nicht daran, nochmal zur Hochform aufzulaufen: Die Final Times, wie
die letzte Ausgabe der Wirtschaftszeitung vom 7. Dezember getauft wurde,
verabschiedete sich mit der Zeile „Endlich schwarz“. Der Redaktion gelang ein
publizistisch bemerkenswerter Auftritt.
D
So waren die Seiten der Ausgabe – dem
Countdown gemäß – absteigend nummeriert. Und die Schlussseite zeigte die
gesamte Mannschaft, wie sie sich verbeugt, unterschrieben mit einer großen
„Entschuldigung“ bei Gesellschaftern,
Anzeigenkunden, Pressesprechern, Politikern, Kollegen, Lesern. Und dem
wichtigsten Satz: „Wenn wir noch ein-
gen war, der der Redaktion in solch einer Situation schwer gefallen sein
muss“.
Das Aus für die FTD
kam nicht überraschend
mal von vorne anfangen dürften – wir
würden es jederzeit wieder genauso
machen.“
Sie lieferten das Beste zum Schluss, auf
dem Weg vom Diesseits ins Jenseits.
Ein Meisterstück des gedruckten Journalismus, lobte die Jury des Henri-Nannen-Preises, und zeichnete die FTD mit
dem Sonderpreis aus. Sozusagen posthum fürs Lebenswerk. Weil der Schlussakkord, wie es in der Begründung hieß,
„nicht von Larmoyanz und Bitterkeit getragen, sondern von Größe, kluger
Selbstreflektion und einem Witz getra-
Immer wieder wurde spekuliert, wie
lange die lachsrosa Zeitung noch rote
Zahlen schreiben darf, ehe Eigentümer
Gruner + Jahr den Daumen senkt. Verluste von mehr als 250 Millionen Euro
hatten sich in den knapp 13 Jahren seit
dem Start der FTD angehäuft und im
Herbst vergangenen Jahres war dann
die Hoffnung gestorben, den Titel aus
seinem wirtschaftlichen Wachkoma befreien zu können.
Wenn Magazine und Zeitungen zu Verlustbringern werden, kommen sie auf
den Prüfstand. Dann wird publizistisch
gewogen und kaufmännisch (neu) kalFoto: iStockphoto
Angesichts schrumpfender Anzeigenerlöse und sinkender Auflagen
stehen Medienunternehmer immer
häufiger vor der Frage: Abschalten oder
durchhalten? Dass Stephan Scherzer,
Geschäftsführer des Verbandes Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ), gerade erst einen historischen Höchststand
von 1542 Titeln bekanntgegeben hat,
erscheint wie ein Widerspruch. Ist aber
keiner. Tatsächlich hören die Verlage
nicht auf, neue Magazine auf den Markt
zu bringen. Der Trend, mehr und stärker
Nischen zu bedienen, zeigt sich an der
zunehmenden Zahl von Neugründungen. Gleichzeitig werden aber auch taumelnde, überholte und unprofitable Titel
eingestellt. Auf der jüngsten Sterbeliste
stehen unter anderen die Stadtmagazine
Prinz und Meier (Rhein-Neckar), die
Nürnberger Abendzeitung, FHM und
Focus Schule, Hey Girls und Hörzu Heimat, New Scientist und Season, Urlaub
Perfekt und Yuno.
Das Einstellen von Titeln galt lange Zeit
als Zeugnis von Verfehlungen und verlegerischer Schwäche. Galt? Tut es wohl
immer noch, denn Verleger verbindet
mit ihren Printmedien bisweilen mehr als
die Absicht, Geld damit zu verdienen.
Sie betrachten ihre Zeitungen und Zeitschriften ein bisschen wie ihre Kinder
„und wenn sie sich nicht so entwickeln,
wie einem das gefällt, steht man trotzdem zu ihnen“, weiß Medienentwickler
Jörg Künkel (siehe Interview Seite 15).
Eine Haltung, die Christian Neuber nie
verinnerlicht hat. „Ich betrachte es nicht
als Misserfolg, wenn wir eine Zeitschrift
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einstellen müssen“, sagt der Gründer
von Blue Ocean Entertainment in Stuttgart. Der auf Kinder- und Jugendmedien spezialisierte Verlag erwirbt Lizenzen
von Buch-, Spielwaren- und TV-Marken
und entwickelt dazu Zeitschriften. Das
Geschäftsmodell unterscheidet sich
somit erheblich vom Geschäftsmodell
klassischer Verlage. Das verändert den
Blick auf die Dinge. Der Lebenszyklus
solcher Titel hängt nämlich extrem vom
Wohlergehen der Lizenzmarke ab.
Auch der Stuttgarter Panini Verlag hat
darin viel Erfahrung. Das offizielle FanMagazin GZSZ Inside zur RTL-Daily
Soap „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“
zum Beispiel wurde Ende 2010 eingestellt – nach 15 Jahren. „Für einen Lizenztitel war das ein extrem langer
Lebenszyklus“, sagt Marketing Director
Daniela Kindervater. GZSZ Inside hatte
zu Rekordzeiten rund eine halbe Million
Hefte verkauft, am Schluss waren es nur
noch 25.000. „Die Fans der RTL-Kultse-
Interview mit Jörg Künkel,
Medienentwickler, Künkelmedia, Brühl
„Bauchgefühl genügt nicht“
M
edienentwickler Jörg Künkel
aus dem nordbadischen
Brühl über zögerliche Verleger,
geplantes Titelsterben und radikale Veränderungen.
Die FTD und die Frankfurter
Rundschau haben jahrelang
hohe Verluste gemacht – und
wurden letztes Jahr eingestellt. Die Zeit und Die Welt
mussten in früheren Jahrzehnten von ihren Verlegern durchgefüttert werden – und haben
später die Kurve ins Plus gekriegt. Wie erkennt man, ob
sich Weitermachen lohnt oder
ein Schnitt besser wäre?
Jörg Künkel: Eine so grundlegende Entscheidung sollte man
nur auf Basis von verlässlichen
Daten treffen. Natürlich hat jeder
erfahrene Verleger ein Bauchgefühl, wie sich seine Märkte in Zukunft entwickeln könnten, aber
das genügt heute nicht mehr als
Entscheidungsgrundlage. Die Fragestellung muss lauten: Gibt es
unter den Rahmenbedingungen
des Verlags ein Entwicklungspotenzial, das für ein Weitermachen
spricht? Unter Umständen ist
auch ein Verkauf möglich, weil andere Häuser andere Rahmenbedingungen haben und der Titel
dort besser ins Portfolio passt.
Business Analytics liefert diese
Daten.
Kaufmännisch betrachtet ist es
kein großer Unterschied, ob
man eine Zeitschrift einstellt
oder einen Schokoriegel vom
Markt nimmt. Warum tun sich
Verleger dennoch oft schwer
damit?
Viele Verlage haben mit einer
einzigen Zeitschrift angefangen,
die dann zur Grundlage eines umfangreichen Verlagsportfolios
wurde. Diese Zeitschriften, die
manchmal sogar im Verlagsnamen auftauchen, zum Beispiel
Neue Wirtschaftsbriefe, Platow
Brief, Deutscher Drucker, spielen
für das Unternehmen, vor allem
aber für die Gründer eine sehr
wichtige Rolle. Oft haben sie in
der Anfangszeit selbst Hand angelegt und entsprechend stark ist
die emotionale Bindung an ihr
Blatt. So etwas wirft man nicht
leichtfertig über Bord, auch wenn
andere Medien inzwischen wirtschaftlich wichtiger geworden
sind. Wie sagte mir einmal ein Verleger: „Medien sind wie Kinder,
auch wenn sie sich nicht so entwickeln, wie einem das gefällt, steht
man trotzdem zu ihnen.“
Bei Kinder- und Jugendzeitschriften, die sich an TV- oder
Produkttrends orientieren, ist
der Lebenszyklus von vornherein kurzfristiger. Was können
sich klassische Verleger davon
abgucken?
Wir haben unter anderem Medien entwickelt für Asterix, Akte X
und andere Filme oder Events, die
nur in der absoluten Hype-Phase
funktioniert haben und schnell
wieder eingestellt wurden. Das
war den Herausgebern aber von
Anfang an klar und gehörte zum
Konzept. Eine Zeitschrift für iPad-
rie sind mit der Serie groß geworden
und irgendwann aus dem Alter von Fanmagazin-Lesern herausgewachsen“, erklärt Kindervater die zu erwartende Entwicklung. Wenn der Deckungsbeitrag
nicht mehr stimmt, wird dann eben das
Aus beschlossen. Mit dem Taschenrechner in der Hand – und nicht mit
Tränen in den Augen.
Auch in anderen Branchen ist das Kommen und Gehen von Produkten ein
User wird sich nur so lange am
Markt halten können, wie das Produkt im Fokus der Kunden steht.
Die Auflagen von Finanztiteln steigen und fallen mit den Börsenkursen – und wenn es zum Crash
kommt, sterben die Titel als erstes. Wenn einem Verleger das klar
ist, wird er einen Titel so konzipieren, dass er ihn auch schnell und
geplant wieder vom Markt nehmen kann. Bei den klassischen
Medien ist dieser Lebenszyklus
deutlich länger. Aber auch hier
gilt: Verändert sich die Branche
oder das Thema, müssen sich die
Medien auch ändern. Sollten Verleger solche Quick-and-Dirty-Produkte ins Portfolio aufnehmen,
müssen sie auch die entsprechenden Rahmenbedingungen
schaffen.
Ein Titel gerät in die roten Zahlen – nach welchen Kriterien
sollte ein Verleger entscheiden, ob es weitergeht oder
nicht?
Auch hier geht nichts über valide Daten und eine gründliche
Analyse. Warum ist der Titel in die
roten Zahlen geraten. Ist das ein
kurzfristiger Einbruch oder ein
Foto: Jörg Künkel
gelernter, unsentimentaler Prozess. Bei
den sogenannten Fast Moving Consumer Goods (FMCG) beispielsweise liegt
die Floprate bei etwa 70 Prozent. „Wir
Verlage müssen von der Konsumgüterindustrie lernen, dass man mit einem
neuen Produkt auch durchaus scheitern
darf“, fordert Philipp Welte, für das Verlagsgeschäft zuständiger Vorstand bei
Hubert Burda Media, seine Zunft zu
mehr Selbstbewusstsein auf. Selbst im
Fernsehen ist die Trefferquote nicht be-
langfristiger Trend. Wie stehen die
Leser zu dem Produkt? Interessante Impulse liefert hier ein Medien-Check. Dabei schlüpfen Medienprofis in die Rolle eines typischen Lesers und überprüfen, ob
der Titel die Leserbedürfnisse
noch erfüllen kann. Der Verleger
erhält eine erste Einschätzung, ob
ein Relaunch die richtige Maßnahme ist, um den Titel wieder auf Erfolgskurs zu bringen. Und wenn
ja, wo der Hebel anzusetzen wäre.
Nach meiner Erfahrung scheitern
viele Relaunches daran, dass der
Mut zur Neuausrichtung fehlt.
Wenn es ernst wird brauchen sie
keinen Schminktopf, sondern ein
Skalpell. Und damit muss man
umgehen können.
Entweder gibt es zu wenig Input
von den Nutzern oder dieser Input
wird schlicht ignoriert. Ein Beispiel: Wir sollten vor einigen Jahren eine Zeitschrift in der Schweiz
neu gestalten. Bei der Überprüfung des Konzepts kamen uns
große Zweifel, ob ein Redesign die
richtige Maßnahme ist. Obwohl
die Macher das für unnötig hielten, weil man ja im ständigen Kontakt mit den Lesern stehe, bestanden wir auf einer Leserbefragung.
Das Ergebnis dieser Außensicht
war erschreckend. Die Leser bescheinigtem dem Blatt „…wenn es
den Titel nicht mehr gäbe, würde
ich ihn auch nicht vermissen. Für
meine Arbeit brauche ich ihn sowieso nicht.“
Sie werden häufig mit Relaunches und Überarbeitungen von
Titeln beauftragt. Wenn eine
Zeitschrift in ihrem Markt Probleme hat, was sind die häufigsten Gründe?
Wir stellen immer wieder fest,
dass eingefahrene Routinen einer
konsequenten Weiterentwicklung
im Wege stehen. Viele Verleger
und Macher produzieren ihre Medien aus einer Innensicht heraus.
Wie ging der Fall aus?
An diesem Punkt stellte sich nur
noch die Frage: Einstellen oder radikal neu aufstellen? Der Verlag
entschied sich für eine radikale
Neuausrichtung – inhaltlich, optisch, strategisch und personell.
Der Titel ist noch am Markt und
das erfolgreich.
Das Interview führte Roland Karle
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erst knapp drei Jahrzehnte später erstmals die Gewinnzone. Auch hier spielten politische Motive eine Rolle, auch
hier konnte ein Verleger – Bucerius war
Miteigentümer des Stern – dank Quersubvention hohe Verluste ausgleichen.
Es hat sich gelohnt: Heute ist Die Zeit
eine gut verdienende Medienmarke, die
gegen den allgemeinen Trend wächst.
Würdiger Abschied:
Final Times, so lautete
der Titel der letzten FTDAusgabe. Für ihre Verneigung auf der Schlussseite
wurde die FTD-Mannschaft mit dem Sonderpreis des Henri-NannenPreises ausgezeichnet
rauschend. 50 Prozent aller neuen Formate im Fernsehen erleben laut Welte
keine zweite Staffel. „Wenn aber ein Verlag einen neuen Titel nicht durchbringt,
kippt die ganze Branche Häme über ihn
aus“, sagte der Burda-Manager in einem Horizont-Interview.
Im Vergleich zu vordigitalen Zeiten sind
finanzielle Reserven und verlegerische
Geduld geringer geworden. Unvorstellbar, dass sich ein Medienunternehmer
heute ein Blatt wie Die Welt leisten würde, wie das Axel Springer getan hat. Für
den Verleger war die Tageszeitung ein
Statement, eine politische Festlegung –
koste sie, was sie wolle. Vor fünf Jahren,
also 2008, schrieb die Welt-Gruppe
erstmals seit ihrem Bestehen schwarze
Zahlen. 55 Jahre lang hatte sich der Verlag die Zeitung geleistet. Nur einmal
stand der Titel vor dem Verkauf. Mitte
der 1970er Jahre hatte die Zeitung bei
einem Umsatz von 73 Millionen D-Mark
einen Verlust von 29 Millionen gemacht.
Die Übernahme durch die Frankfurter
Allgemeine Zeitung war bis ins Detail
verhandelt und der Vertrag unterschriftsreif, als Axel Springer in letzter
Minute einen Rückzieher machte.
Weil sein Verlag vor allem dank Bild so
glänzend verdiente, konnte er die hoch
defizitäre Welt durchschleppen. Ähnlich
lag der Fall, wenn auch in kleinerer Dimension, bei der 1946 von Gerd Bucerius gegründeten Zeit. Der Verleger, der
13 Jahre lang für die FDP im Bundestag
saß, erreichte mit der Wochenzeitung
Aufhören oder weitermachen? Die Frage lässt sich nur im Einzelfall klären. Die
richtige Antwort hat, abgesehen von der
wirtschaftlichen Potenz der Eigentümer,
stets mit den Perspektiven zu tun. Die
können für ein und denselben Titel unterschiedlich und ganz davon abhängig
sein, in welchem Verlag er zuhause ist.
Beweismaterial liefert Gruner + Jahr.
Dort ist die erfolgreiche Fußball-Zeitschrift 11 Freunde (verkaufte Auflage
I/2013 laut IVW: 74.444) zuhause, die
binnen sechs Jahren ihre Abo-Auflage
auf über 32.000 verdoppelt hat. Dass
auch im Anzeigengeschäft sichtbare
Spuren von Kraft und Wachstum zu erkennen sind, hat mit dem Einstieg von
G+J zu tun, das 2010 die Mehrheit am
11 Freunde Verlag übernahm.
Umgekehrt verhält es sich bei Impulse.
Das Unternehmermagazin war für den
Großverlag zu klein und zu speziell geworden, um es nach Auflösung der Wirtschaftsmedien-Sparte weiterzuführen.
Im Zuge eines Management-Buy-Outs
kaufte Chefredakteur Nikolaus Förster,
unterstützt von Minderheitsgesellschafter und Immobilienunternehmer Dirk
Möhrle, den Titel. Er ist überzeugt davon, Impulse publizistisch und wirtschaftlich mit Erfolg weiterführen zu
können. Den Glauben an große Organisationen hat er dagegen verloren. Die
seien zu träge, zu unflexibel, zu wenig
innovativ. „Wenn Titel unter Druck geraten“, so Försters Fazit aus eigener
Anschauung nach gut 13 Jahren bei
G+J, „können kleinere Einheiten viel
besser reagieren.“
o
Foto: FTD