Was tun, wenn die Zeitschrift rote Zahlen schreibt?
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Was tun, wenn die Zeitschrift rote Zahlen schreibt?
14 V e r l ag s le i t u n g V e r l ag s le i t u n g 15 2·2 0 13 2·2 0 13 kuliert. Denn Verlage handeln wie jeder Wirtschaftsbetrieb gewinno rientiert. Notwendigerweise. Was also die Analyse ergibt und die Prognose verspricht, führt zur Entscheidung, ob man einen Titel behält oder sich von ihm trennt. Was tun, wenn die Zeitschrift rote Zahlen schreibt? Aufgeben oder durchhalten? Wenn Magazine und Zeitungen zu Verlustbringern werden, droht ihnen das Aus. Verlage tun sich schwer mit dem richtigen Zeitpunkt, um einen Titel einzustellen, zu verkaufen oder doch weiterzumachen. Es fehlt an finanziellen Reserven, verlegerischer Geduld und mitunter auch am Mut zum Scheitern. Von Roland Karle, Freier Journalist, Neckarbischofsheim ie Financial Times Deutschland hatte zeitlebens nie das Problem, zu wenig gelobt zu werden. Ihre Beschwerden waren finanzieller Natur: Sie verdiente nicht genug, um aus den roten Zahlen zu kommen. Die Symptome wuchsen sich aus zur chronischen Krankheit, die das Blatt schließlich ins Grab brachte. Das hinderte seine Macher nicht daran, nochmal zur Hochform aufzulaufen: Die Final Times, wie die letzte Ausgabe der Wirtschaftszeitung vom 7. Dezember getauft wurde, verabschiedete sich mit der Zeile „Endlich schwarz“. Der Redaktion gelang ein publizistisch bemerkenswerter Auftritt. D So waren die Seiten der Ausgabe – dem Countdown gemäß – absteigend nummeriert. Und die Schlussseite zeigte die gesamte Mannschaft, wie sie sich verbeugt, unterschrieben mit einer großen „Entschuldigung“ bei Gesellschaftern, Anzeigenkunden, Pressesprechern, Politikern, Kollegen, Lesern. Und dem wichtigsten Satz: „Wenn wir noch ein- gen war, der der Redaktion in solch einer Situation schwer gefallen sein muss“. Das Aus für die FTD kam nicht überraschend mal von vorne anfangen dürften – wir würden es jederzeit wieder genauso machen.“ Sie lieferten das Beste zum Schluss, auf dem Weg vom Diesseits ins Jenseits. Ein Meisterstück des gedruckten Journalismus, lobte die Jury des Henri-Nannen-Preises, und zeichnete die FTD mit dem Sonderpreis aus. Sozusagen posthum fürs Lebenswerk. Weil der Schlussakkord, wie es in der Begründung hieß, „nicht von Larmoyanz und Bitterkeit getragen, sondern von Größe, kluger Selbstreflektion und einem Witz getra- Immer wieder wurde spekuliert, wie lange die lachsrosa Zeitung noch rote Zahlen schreiben darf, ehe Eigentümer Gruner + Jahr den Daumen senkt. Verluste von mehr als 250 Millionen Euro hatten sich in den knapp 13 Jahren seit dem Start der FTD angehäuft und im Herbst vergangenen Jahres war dann die Hoffnung gestorben, den Titel aus seinem wirtschaftlichen Wachkoma befreien zu können. Wenn Magazine und Zeitungen zu Verlustbringern werden, kommen sie auf den Prüfstand. Dann wird publizistisch gewogen und kaufmännisch (neu) kalFoto: iStockphoto Angesichts schrumpfender Anzeigenerlöse und sinkender Auflagen stehen Medienunternehmer immer häufiger vor der Frage: Abschalten oder durchhalten? Dass Stephan Scherzer, Geschäftsführer des Verbandes Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ), gerade erst einen historischen Höchststand von 1542 Titeln bekanntgegeben hat, erscheint wie ein Widerspruch. Ist aber keiner. Tatsächlich hören die Verlage nicht auf, neue Magazine auf den Markt zu bringen. Der Trend, mehr und stärker Nischen zu bedienen, zeigt sich an der zunehmenden Zahl von Neugründungen. Gleichzeitig werden aber auch taumelnde, überholte und unprofitable Titel eingestellt. Auf der jüngsten Sterbeliste stehen unter anderen die Stadtmagazine Prinz und Meier (Rhein-Neckar), die Nürnberger Abendzeitung, FHM und Focus Schule, Hey Girls und Hörzu Heimat, New Scientist und Season, Urlaub Perfekt und Yuno. Das Einstellen von Titeln galt lange Zeit als Zeugnis von Verfehlungen und verlegerischer Schwäche. Galt? Tut es wohl immer noch, denn Verleger verbindet mit ihren Printmedien bisweilen mehr als die Absicht, Geld damit zu verdienen. Sie betrachten ihre Zeitungen und Zeitschriften ein bisschen wie ihre Kinder „und wenn sie sich nicht so entwickeln, wie einem das gefällt, steht man trotzdem zu ihnen“, weiß Medienentwickler Jörg Künkel (siehe Interview Seite 15). Eine Haltung, die Christian Neuber nie verinnerlicht hat. „Ich betrachte es nicht als Misserfolg, wenn wir eine Zeitschrift 16 V e r l ag s le i t u n g V e r l ag s le i t u n g 17 2·2 0 13 2·2 0 13 einstellen müssen“, sagt der Gründer von Blue Ocean Entertainment in Stuttgart. Der auf Kinder- und Jugendmedien spezialisierte Verlag erwirbt Lizenzen von Buch-, Spielwaren- und TV-Marken und entwickelt dazu Zeitschriften. Das Geschäftsmodell unterscheidet sich somit erheblich vom Geschäftsmodell klassischer Verlage. Das verändert den Blick auf die Dinge. Der Lebenszyklus solcher Titel hängt nämlich extrem vom Wohlergehen der Lizenzmarke ab. Auch der Stuttgarter Panini Verlag hat darin viel Erfahrung. Das offizielle FanMagazin GZSZ Inside zur RTL-Daily Soap „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ zum Beispiel wurde Ende 2010 eingestellt – nach 15 Jahren. „Für einen Lizenztitel war das ein extrem langer Lebenszyklus“, sagt Marketing Director Daniela Kindervater. GZSZ Inside hatte zu Rekordzeiten rund eine halbe Million Hefte verkauft, am Schluss waren es nur noch 25.000. „Die Fans der RTL-Kultse- Interview mit Jörg Künkel, Medienentwickler, Künkelmedia, Brühl „Bauchgefühl genügt nicht“ M edienentwickler Jörg Künkel aus dem nordbadischen Brühl über zögerliche Verleger, geplantes Titelsterben und radikale Veränderungen. Die FTD und die Frankfurter Rundschau haben jahrelang hohe Verluste gemacht – und wurden letztes Jahr eingestellt. Die Zeit und Die Welt mussten in früheren Jahrzehnten von ihren Verlegern durchgefüttert werden – und haben später die Kurve ins Plus gekriegt. Wie erkennt man, ob sich Weitermachen lohnt oder ein Schnitt besser wäre? Jörg Künkel: Eine so grundlegende Entscheidung sollte man nur auf Basis von verlässlichen Daten treffen. Natürlich hat jeder erfahrene Verleger ein Bauchgefühl, wie sich seine Märkte in Zukunft entwickeln könnten, aber das genügt heute nicht mehr als Entscheidungsgrundlage. Die Fragestellung muss lauten: Gibt es unter den Rahmenbedingungen des Verlags ein Entwicklungspotenzial, das für ein Weitermachen spricht? Unter Umständen ist auch ein Verkauf möglich, weil andere Häuser andere Rahmenbedingungen haben und der Titel dort besser ins Portfolio passt. Business Analytics liefert diese Daten. Kaufmännisch betrachtet ist es kein großer Unterschied, ob man eine Zeitschrift einstellt oder einen Schokoriegel vom Markt nimmt. Warum tun sich Verleger dennoch oft schwer damit? Viele Verlage haben mit einer einzigen Zeitschrift angefangen, die dann zur Grundlage eines umfangreichen Verlagsportfolios wurde. Diese Zeitschriften, die manchmal sogar im Verlagsnamen auftauchen, zum Beispiel Neue Wirtschaftsbriefe, Platow Brief, Deutscher Drucker, spielen für das Unternehmen, vor allem aber für die Gründer eine sehr wichtige Rolle. Oft haben sie in der Anfangszeit selbst Hand angelegt und entsprechend stark ist die emotionale Bindung an ihr Blatt. So etwas wirft man nicht leichtfertig über Bord, auch wenn andere Medien inzwischen wirtschaftlich wichtiger geworden sind. Wie sagte mir einmal ein Verleger: „Medien sind wie Kinder, auch wenn sie sich nicht so entwickeln, wie einem das gefällt, steht man trotzdem zu ihnen.“ Bei Kinder- und Jugendzeitschriften, die sich an TV- oder Produkttrends orientieren, ist der Lebenszyklus von vornherein kurzfristiger. Was können sich klassische Verleger davon abgucken? Wir haben unter anderem Medien entwickelt für Asterix, Akte X und andere Filme oder Events, die nur in der absoluten Hype-Phase funktioniert haben und schnell wieder eingestellt wurden. Das war den Herausgebern aber von Anfang an klar und gehörte zum Konzept. Eine Zeitschrift für iPad- rie sind mit der Serie groß geworden und irgendwann aus dem Alter von Fanmagazin-Lesern herausgewachsen“, erklärt Kindervater die zu erwartende Entwicklung. Wenn der Deckungsbeitrag nicht mehr stimmt, wird dann eben das Aus beschlossen. Mit dem Taschenrechner in der Hand – und nicht mit Tränen in den Augen. Auch in anderen Branchen ist das Kommen und Gehen von Produkten ein User wird sich nur so lange am Markt halten können, wie das Produkt im Fokus der Kunden steht. Die Auflagen von Finanztiteln steigen und fallen mit den Börsenkursen – und wenn es zum Crash kommt, sterben die Titel als erstes. Wenn einem Verleger das klar ist, wird er einen Titel so konzipieren, dass er ihn auch schnell und geplant wieder vom Markt nehmen kann. Bei den klassischen Medien ist dieser Lebenszyklus deutlich länger. Aber auch hier gilt: Verändert sich die Branche oder das Thema, müssen sich die Medien auch ändern. Sollten Verleger solche Quick-and-Dirty-Produkte ins Portfolio aufnehmen, müssen sie auch die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen. Ein Titel gerät in die roten Zahlen – nach welchen Kriterien sollte ein Verleger entscheiden, ob es weitergeht oder nicht? Auch hier geht nichts über valide Daten und eine gründliche Analyse. Warum ist der Titel in die roten Zahlen geraten. Ist das ein kurzfristiger Einbruch oder ein Foto: Jörg Künkel gelernter, unsentimentaler Prozess. Bei den sogenannten Fast Moving Consumer Goods (FMCG) beispielsweise liegt die Floprate bei etwa 70 Prozent. „Wir Verlage müssen von der Konsumgüterindustrie lernen, dass man mit einem neuen Produkt auch durchaus scheitern darf“, fordert Philipp Welte, für das Verlagsgeschäft zuständiger Vorstand bei Hubert Burda Media, seine Zunft zu mehr Selbstbewusstsein auf. Selbst im Fernsehen ist die Trefferquote nicht be- langfristiger Trend. Wie stehen die Leser zu dem Produkt? Interessante Impulse liefert hier ein Medien-Check. Dabei schlüpfen Medienprofis in die Rolle eines typischen Lesers und überprüfen, ob der Titel die Leserbedürfnisse noch erfüllen kann. Der Verleger erhält eine erste Einschätzung, ob ein Relaunch die richtige Maßnahme ist, um den Titel wieder auf Erfolgskurs zu bringen. Und wenn ja, wo der Hebel anzusetzen wäre. Nach meiner Erfahrung scheitern viele Relaunches daran, dass der Mut zur Neuausrichtung fehlt. Wenn es ernst wird brauchen sie keinen Schminktopf, sondern ein Skalpell. Und damit muss man umgehen können. Entweder gibt es zu wenig Input von den Nutzern oder dieser Input wird schlicht ignoriert. Ein Beispiel: Wir sollten vor einigen Jahren eine Zeitschrift in der Schweiz neu gestalten. Bei der Überprüfung des Konzepts kamen uns große Zweifel, ob ein Redesign die richtige Maßnahme ist. Obwohl die Macher das für unnötig hielten, weil man ja im ständigen Kontakt mit den Lesern stehe, bestanden wir auf einer Leserbefragung. Das Ergebnis dieser Außensicht war erschreckend. Die Leser bescheinigtem dem Blatt „…wenn es den Titel nicht mehr gäbe, würde ich ihn auch nicht vermissen. Für meine Arbeit brauche ich ihn sowieso nicht.“ Sie werden häufig mit Relaunches und Überarbeitungen von Titeln beauftragt. Wenn eine Zeitschrift in ihrem Markt Probleme hat, was sind die häufigsten Gründe? Wir stellen immer wieder fest, dass eingefahrene Routinen einer konsequenten Weiterentwicklung im Wege stehen. Viele Verleger und Macher produzieren ihre Medien aus einer Innensicht heraus. Wie ging der Fall aus? An diesem Punkt stellte sich nur noch die Frage: Einstellen oder radikal neu aufstellen? Der Verlag entschied sich für eine radikale Neuausrichtung – inhaltlich, optisch, strategisch und personell. Der Titel ist noch am Markt und das erfolgreich. Das Interview führte Roland Karle 18 V e r l ag s le i t u n g 2·2 0 13 erst knapp drei Jahrzehnte später erstmals die Gewinnzone. Auch hier spielten politische Motive eine Rolle, auch hier konnte ein Verleger – Bucerius war Miteigentümer des Stern – dank Quersubvention hohe Verluste ausgleichen. Es hat sich gelohnt: Heute ist Die Zeit eine gut verdienende Medienmarke, die gegen den allgemeinen Trend wächst. Würdiger Abschied: Final Times, so lautete der Titel der letzten FTDAusgabe. Für ihre Verneigung auf der Schlussseite wurde die FTD-Mannschaft mit dem Sonderpreis des Henri-NannenPreises ausgezeichnet rauschend. 50 Prozent aller neuen Formate im Fernsehen erleben laut Welte keine zweite Staffel. „Wenn aber ein Verlag einen neuen Titel nicht durchbringt, kippt die ganze Branche Häme über ihn aus“, sagte der Burda-Manager in einem Horizont-Interview. Im Vergleich zu vordigitalen Zeiten sind finanzielle Reserven und verlegerische Geduld geringer geworden. Unvorstellbar, dass sich ein Medienunternehmer heute ein Blatt wie Die Welt leisten würde, wie das Axel Springer getan hat. Für den Verleger war die Tageszeitung ein Statement, eine politische Festlegung – koste sie, was sie wolle. Vor fünf Jahren, also 2008, schrieb die Welt-Gruppe erstmals seit ihrem Bestehen schwarze Zahlen. 55 Jahre lang hatte sich der Verlag die Zeitung geleistet. Nur einmal stand der Titel vor dem Verkauf. Mitte der 1970er Jahre hatte die Zeitung bei einem Umsatz von 73 Millionen D-Mark einen Verlust von 29 Millionen gemacht. Die Übernahme durch die Frankfurter Allgemeine Zeitung war bis ins Detail verhandelt und der Vertrag unterschriftsreif, als Axel Springer in letzter Minute einen Rückzieher machte. Weil sein Verlag vor allem dank Bild so glänzend verdiente, konnte er die hoch defizitäre Welt durchschleppen. Ähnlich lag der Fall, wenn auch in kleinerer Dimension, bei der 1946 von Gerd Bucerius gegründeten Zeit. Der Verleger, der 13 Jahre lang für die FDP im Bundestag saß, erreichte mit der Wochenzeitung Aufhören oder weitermachen? Die Frage lässt sich nur im Einzelfall klären. Die richtige Antwort hat, abgesehen von der wirtschaftlichen Potenz der Eigentümer, stets mit den Perspektiven zu tun. Die können für ein und denselben Titel unterschiedlich und ganz davon abhängig sein, in welchem Verlag er zuhause ist. Beweismaterial liefert Gruner + Jahr. Dort ist die erfolgreiche Fußball-Zeitschrift 11 Freunde (verkaufte Auflage I/2013 laut IVW: 74.444) zuhause, die binnen sechs Jahren ihre Abo-Auflage auf über 32.000 verdoppelt hat. Dass auch im Anzeigengeschäft sichtbare Spuren von Kraft und Wachstum zu erkennen sind, hat mit dem Einstieg von G+J zu tun, das 2010 die Mehrheit am 11 Freunde Verlag übernahm. Umgekehrt verhält es sich bei Impulse. Das Unternehmermagazin war für den Großverlag zu klein und zu speziell geworden, um es nach Auflösung der Wirtschaftsmedien-Sparte weiterzuführen. Im Zuge eines Management-Buy-Outs kaufte Chefredakteur Nikolaus Förster, unterstützt von Minderheitsgesellschafter und Immobilienunternehmer Dirk Möhrle, den Titel. Er ist überzeugt davon, Impulse publizistisch und wirtschaftlich mit Erfolg weiterführen zu können. Den Glauben an große Organisationen hat er dagegen verloren. Die seien zu träge, zu unflexibel, zu wenig innovativ. „Wenn Titel unter Druck geraten“, so Försters Fazit aus eigener Anschauung nach gut 13 Jahren bei G+J, „können kleinere Einheiten viel besser reagieren.“ o Foto: FTD