Ausgabe 1
Transcrição
Ausgabe 1
April 2004 Meningococcus Meningokokken in Epidemiologie – Klinik – Therapie – Prophylaxe Meningokokken-Infektionen – klinische Verlaufsformen Dr. med. Rainer Noack, Helios Klinikum Berlin-Buch, Oberarzt am Institut für Infektiologie und medizinische Mikrobiologie und Wissenschaftlicher Beirat der Arbeitsgemeinschaft Meningokokken Invasive Meningokokken-Infektionen verlaufen überwiegend unter dem klinischen Bild einer Meningitis, Sepsis oder eines Waterhouse-Friderichsen-Syndroms (perakute oder fulminante Meningokokken-Sepsis). Andere Organmanifestationen wie zum Beispiel Arthritis, Endophthalmitis, Karditis oder Pneumonie sind selten. An dieser Stelle möchte ich Ihnen zwei typische Verläufe einer Meningokokken-Infektion bei einem 14- und einem 12-jährigen Mädchen vorstellen. 1. Meningitis/ Sepsis Katharina*, 14 Jahre. Bisher keine Krankenhausaufenthalte, keine schwereren Erkrankungen. Akut-Anamnese: am 12. 8. um 4 Uhr aufgestanden und Zeitungen ausgetragen. Gegen Mittag Kopf- und Ohrenschmerzen, kurz darauf Schüttelfrost, Fieber (38,8 °C) und einmal Erbrechen. Die Mutter verabreichte ihr eine Schmerztablette (Acetylsalicylsäure/Paracetamol), die Kopfschmerzen ließen nach. Bis abends ferngesehen, danach geschlafen. Am 13.8. um 5.30 Uhr erneut starke Kopfschmerzen, nochmals Einnahme einer Schmerztablette. Ab 11 Uhr plötzlich starke Unruhe, Stöhnen, Desorientierung und „rote Punkte“ an den Armen. Stationäre Einweisung über den Notdienst. Aufnahmebefunde: schwerkranke, somnolente bis soporöse Patientin, verwirrt, unruhig, deutlicher Meningismus. Petechiale Hautblutungen an den Armen und im Natesbereich, ganz vereinzelt am übrigen Körper. Suffiziente Atmung und stabile Kreislaufverhältnisse. Temperatur 38,6 °C. Liquor: 20.400 Zellen/mm³, Eiweiß 3,21 g/l (Norm < 0,4g/l), mikroskopisch gramnegative Diplokokken, die als Neisseria meningitidis der Serogruppe C differenziert wurden. Blut: Leukozyten 17,5 Gpt/l, CRP 210 mg/l (Norm < 5 mg/l), Thromboplastin- zeitwert (Quick) 43 %, aPTT 46 sec, Blutkultur: Nachweis von Meningokokken. Keine Verlegung zur Intensivtherapiestation. Verlauf: Die kausale Therapie erfolgte mit Cefotaxim 3 x 2 g/Tag über vier Tage. Keine neuen Hautblutungen, Entfieberung am vierten Tag. An diesem Tag auch Aufklärung des Bewusstseins. Nachfolgend psychotisches Durchgangssyndrom mit aggressivem Verhalten bei großer Unruhe, wechselnd mit tiefem Schlaf. Ab der zweiten Woche war Katharina zunehmend kooperativer, jedoch weiterhin psychisch auffallend, zum Beispiel pausenlos redend, offen, vertraulich, distanzlos. Das EEG am 14. Tag zeigte noch mäßige, diffuse zerebrale Funktionsstörungen. Audiometrie und kraniales CT o.p.B. Entlassung bei subjektivem Wohlbefinden. Nach sechs Monaten unter anderem noch verminderte körperliche Belastbarkeit (rasche Ermüdung) sowie Leistungsabfall in der Schule. 2. Perakute Meningokokken-Sepsis Claudia*, 12 Jahre. Bisher keine schwereren Erkrankungen. Akut-Anamnese: am 17.12. um 15 Uhr plötzliches Unwohlsein, Schüttelfrost, Fieber (40,1 °C). Eine „Fieber-Tablette“ blieb ohne Effekt. Wegen zunehmender Apathie und anhaltendem hohen Fieber erfolgte bereits um 21 Uhr die Einweisung in eine Kinderklinik: bis auf eine mäßige Rachenrötung keine weiteren pathologischen Organbefunde, keine meningitischen Zeichen, Blutbild und CRP im Normbereich, Abnahme von Blutkulturen, Paracetamol-Gabe. In der Nacht ruhiger Schlaf. Am 18.12., 7 Uhr, auffallend blass, matt, ängstlich, einzelne Petechien an den Extremitäten, kein Meningismus. Unter dem Verdacht auf eine beginnende Meningokokken-Meningitis Liquorentnahme (11 Zellen/ mm³, keine Bakterien im Grampräparat, in der LiquorKultur später auch kein Keimwachstum) und Therapiebeginn mit Penicillin G hochdosiert i.v. Rasche AZ- *Name von der Redaktion geändert >1< Verschlechterung, u.a. Zunahme der Hautblutungen. Verlegung in unsere Einrichtung. Aufnahmebefunde (13.30 Uhr): moribunde Patientin im septischen Schock, großflächige, bereits livid verfärbte Hautblutungen am ganzen Körper, insuffiziente Spontanatmung, Anurie, kaum messbarer Blutdruck. Hochpathologische Gerinnungswerte. Verlauf: Intubation und kontrollierte Beatmung. Antibiotische Behandlung mit Cefotaxim. Protein-C-Substitution. Trotz Einsatz von reichlich Volumen, Blut und Plasma und 3-facher Katecholamingabe (Dopamin, Adrenalin, Noradrenalin) in höchster Dosierung konnte eine Stabilisierung des Blutdrucks zu keinem Zeitpunkt erreicht werden. Bei noch zunehmenden Hautblutungen, sich weiter verschlechternder Kreislaufsituation und letztlich elektromechanischer Entkopplung kam es gegen 18 Uhr zum irreversiblen Herzstillstand. In allen Blutkulturen konnten Meningokokken der Serogruppe B nachgewiesen werden. 12-jähriges Mädchen mit Sugillationen bei perakuter MeningokokkenSepsis Kommentar Akuter, sich gleichender Krankheitsbeginn bei zwei fast gleichaltrigen Mädchen. Beide wurden bei ihrer ersten Arztkonsultation auch prompt stationär eingewiesen. Katharina überstand nach einem längeren Krankenhausaufenthalt eine Meningitis ohne erkennbare neurologische Defektsyndrome (zum Beispiel Paresen; Hörminderung bis Taubheit bei etwa zwei Prozent der Erkrankten), wobei eine spätere Entwicklung eines Anfallsleidens nicht ganz auszuschließen ist. Psychische Alterationen und Verminderung der intellektuellen Fähigkeiten können weitere Komplikationen einer bakteriell-eitrigen Meningitis sein. Ob sich diese bereits angedeuteten Folgen bei Katharina manifestieren, wird erst die Zukunft zeigen. Bei der zweiten Patientin begann der schwere und perakute Krankheitsverlauf eigentlich erst nach der ersten Penicillinapplikation, welche die Abtötung fast aller im Körper befindlichen (endotoxinbildener) Meningokokken bewirkte. Eine hohe Keiminvasion lag sicher vor, die natürlich auch eine hohe Endotoxin- >2< belastung beinhaltet. Die Folge sind endotoxinvermittelte Symptome, insbesondere der hier irreversible Schock und die disseminierte intravasale Gerinnung. B- und C-Meningokokken verursachen etwa 95 Prozent aller invasiven Meningokokken-Infektionen in Deutschland. C-Meningokokken-Infektionen verlaufen – statistisch betrachtet – etwas schwerer als Erkrankungen durch B-Meningokokken. Ungefähr ein Drittel von jährlich etwa 800 invasiven Meningokokken-Erkrankungen – meist Kinder und Jugendliche – ist auf Infektionen mit C-Meningokokken zurückzuführen. Gegen diese unberechenbar verlaufende Infektion kann eine Impfung mit einem C-Meningokokken-Konjugat-impfstoff – wahrscheinlich lebenslang – schützen. Die Impfung ist ab dem vollendeten zweiten Lebensmonat möglich (Kinder bis zu 12 Monaten je nach Impfstoff zwei bis drei Impfdosen; eine Dosis ab dem 13. Lebensmonat). Die STIKO-Empfehlungen sollten diesbezüglich voll ausgeschöpft oder, besser noch, zukünftig erweitert werden. Epidemiologie bakteriologisch gesicherter Meningokokken-Infektionen in Deutschland 2003 Prof. Dr. med. Ulrich Vogel, Dr. med. (A) Johannes Elias, Prof. Dr. med. Matthias Frosch Nationales Referenzzentrum für Meningokokken (NRZM), Würzburg In Deutschland wurden im Jahr 2003 773 invasive Meningokokkenfälle gemeldet. Dieser Wert liegt im Rahmen der üblichen Schwankungen. Daten des Robert Koch-Instituts (RKI; SurvStat, http://www3.rki.de/ SurvStat, Datenstand 16.03.2004) zeigen, dass 38 Prozent dieser Fälle in der Altersgruppe der 0- bis 4-Jährigen, 21 Prozent in der Altersgruppe der 15- bis 19Jährigen auftraten. Das NRZM ist vom RKI mit der Feintypisierung und der Surveillance von Antibiotikaresistenzen bei Meningokokken beauftragt. 2003 konnte das NRZM Neisseria meningitidis bei 566 Patienten nachweisen. Insgesamt wurden 671 Proben von Patienten mit invasiven Infektionen untersucht. In 110 Fällen musste die Analyse mit molekularen Methoden erfolgen, da die Anzüchtung der Keime durch das einsendende Labor nicht möglich war, weil beispielsweise vor der Materialentnahme eine Antibiotikatherapie begonnen wurde. Wie im Vorjahr lag der Anteil der Serogruppe-CErkrankungen bei etwa 30 Prozent (s. Abb.). Es scheint sich demnach der 2002 zuerst beobachtete Trend zu einem höheren Serogruppe-C-Anteil verfestigt zu haben. Feintypisierungen zeigen, dass der größte Teil dieser Serogruppe-C-Erkrankungen durch Klone verursacht ist, die auch in anderen Teilen Europas für die Mehrzahl der Serogruppe-C-Erkrankungen verantwortlich sind. Neben der Serogruppe ist der PorA-Typ ein wichtiger Marker der Feintypisierung. Unter insgesamt 131 Serogruppe:PorA-Kombinationen waren die Kombinationen C:P1.5,2; B:P1.7-2,4; B:P1.7,16 und C:P1.5-1,10-8 wie auch in anderen europäischen Ländern am häufigsten zu beobachten. Die Feintypisierung mittels PorA und anderer Marker, zum Beispiel FetA, erlaubt nicht nur die Überwachung langfristiger Trends der epidemiologischen Entwicklung, sondern auch eine computergestützte Detektion möglicher Kluster. Diese Datenbankfunktion hat das NRZM erst kürzlich entwickelt. Für 2003 wurden 17 mögliche Kluster retrospektiv ermittelt. Hierunter fielen offensichtliche Kluster wie der Serogruppe-C-Ausbruch durch den hochvirulenten ET-15 Klon in Schwerte im März 2003, aber auch mehrere mögliche Kluster ohne offensichtliche epidemiologische Verknüpfung. Mit Hilfe der nun regelmäßig durchgeführten Kluster-Analyse können Gesundheitsämter schnell auf regionale Häufungen eines Klons hingewiesen werden. Antibiotikaresistenzen spielen bisher bei Meningokokkenstämmen in Deutschland keine nennenswerte Rolle. Alle 469 vitalen Stämme, die 2003 vom NRZM getestet wurden, waren sensibel gegenüber Ciprofloxacin und Rifampicin. 9,6 Prozent der Stämme erwiesen sich phänotpyisch als intermediär sensibel gegenüber Penicillin: Allerdings enthielten nur 17 dieser 45 Stämme tatsächlich ein mutiertes penA Gen, das für reduzierte Empfindlichkeiten gegenüber Penicillin verantwortlich gemacht wird. Dieser Befund belegt, dass die Bewertung der Resistenztestungen bei Meningokokken international derzeit noch mit Fragezeichen zu versehen ist. In Kürze werden die statistischen Auswertungen des NRZM auf der Homepage www.meningococcus.de zur Verfügung gestellt. Serogruppenverteilung invasiver Meningokokken-Infektionen 2003 2% 4% B C W135 Y 30% 64% >3< Ankündigungen „Public Health Management bei invasiven MeningokokkenErkrankungen“ Workshop beim 54. Wissenschaftlichen Kongress der Ärzte und Zahnärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes in Marburg, 6. Mai 2004 Der Workshop, organisiert von der Arbeitsgemeinschaft Meningokokken (AGMK) beim Deutschen Grünen Kreuz e. V., Marburg, stellt aktuelle Zahlen und neue Entwicklungen in Deutschland und dem benachbarten Ausland vor. In vier Vorträgen werden die epidemiologische Situation in Deutschland, den Niederlanden und der Schweiz präsentiert, Erfahrungen mit nationalen Programmen ausgewertet sowie geeignete und der Situation angemessene Maßnahmen bei Einzelerkrankungen oder Ausbrüchen diskutiert. Dr. Günter Pfaff vom Landesgesundheitsamt Baden-Württemberg und Dr. Sigrid Ley vom Deutschen Grünen Kreuz e. V. führen durch den Workshop. Professor Ulrich Vogel vom Nationalen Referenzzentrum für Meningokokken in Würzburg berichtet über die aktuelle epidemiologische Entwicklung in Deutschland. Dr. Aura Timen stellt die Situation in den Niederlanden und das Meningokokken-C-Impfprogramm vor. Den Stand der MeningokokkenErkrankungen in der Schweiz und die dortige Impfpolitik beleuchtet Dr. Phillip Zucs vom Bundesamt für Gesundheit, und Dr. Ingrid Ehrhard von der Landesuntersuchungsanstalt für das Gesundheits- und Veterinärwesen Sachsen beleuchtet Aspekte der Prävention invasiver Meningokokken-Infektionen. Weitere Informationen unter www.agmk.de oder bei Dr. Michael Forßbohm Fachausschuss Infektionsschutz Postfach 39 20 65029 Wiesbaden tel.: (06 11) 31 - 28 15 fax: (06 11) 31 - 39 16 e-mail: [email protected] Epidemiologie, Prävention und Therapie invasiver Meningokokken-Erkrankungen Workshop des Nationalen Referenzzentrums (NRZM) in Würzburg, 18. Juni 2004 Epidemiologie, Vakzinierung und klinische Aspekte der Meningokokken-Erkrankungen sind die drei Schwerpunkthemen. Dabei stehen unter anderem Beiträge zur Epidemiologie in Europa (M. Ramsey, London) und zur Datenlage in Deutschland auf dem Programm (M. Frosch, Würzburg; W. Hellenbrand, Berlin). Die erfolgreiche Impfkampagne in den Niederlanden wird vorgestellt (A. van der Erde, Amsterdam) und die Meningokokken-Impfung in Gegenwart und Zukunft (S. Dittmann, Berlin) beleuchtet. Das Risiko einer Meningokokken-Infektion bei Personal im Gesundheitsdienst (U. Vogel, Würzburg) steht neben der Frage „Muss man denn heute noch an Infektionen sterben?“ (M. Reng, Regensburg) auf der Workshop-Tagesordnung. Weitere Hinweise auf die Veranstaltung finden Sie auf der Webseite des Nationalen Referenzzentrums www.meningococcus.de oder bei den Organisatoren Prof. Dr. U. Vogel, Prof. Dr. M. Frosch Nationales Referenzzentrum für Meningokokken Institut für Hygiene und Mikrobiologie Josef-Schneider-Str. 2 97080 Würzburg tel.: (09 31) 2 01-4 68 02, -4 61 61 fax: (09 31) 2 01-4 64 45 [email protected] [email protected] Impressum Herausgeber: Deutsches Grünes Kreuz e. V. I im Kilian, Schuhmarkt 4, 35037 Marburg tel.: (0 64 21) 2 93-0, fax: (0 64 21) 2 93-7 20 Redaktion: Arbeitsgemeinschaft Meningokokken (AGMK) Layout & Satz: Petra Köster/medialog Marburg Druck: Druckerei Kempkes, Gladenbach >4<