USA Besuch, Reisebericht von Regionalbischof Michael Grabow

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USA Besuch, Reisebericht von Regionalbischof Michael Grabow
Partnerschaftsbesuch vom 25. Mai bis 07. Juni 2015
in den USA (Southeastern Synod)
Reisebericht von Regionalbischof Michael Grabow
Unter dem Motto "Together we can" werden sich die Teilnehmer über die Rahmenbedingungen kirchlichen Lebens in ihren Ländern austauschen und sich gegenseitig über erfolgreiche Projekte in Jugendarbeit, Diakonie und Bildungsarbeit berichten.
Der Besuch schließt mit dem Besuch der Synodalversammlung in Birmingham (Alabama), wo
Grabow die Predigt und einen Vortrag zum Synodalthema aus bayerischer Sicht "We are
Church" halten wird. Dabei wird auch der neue Film über den Kirchenkreis gezeigt werden,
der dafür amerikanisch synchronisiert wurde.
Foto: Die Jugendbeauftragte der Southeastern Synod, Rachel Alley, Regionalbischof Michael Grabow
und Rev. Carl Yost von der Ascension-Church in Savannah beim Begrüßungsgottesdienst
Zweiter Tag des Besuches
Dienstag, 27. Mai 2015:
Beginn mit Gottesdienst "Together wie can", aber was können wir gemeinsam tun: warship,
outreach, teaching the youth ...
Danach Stadtführung: Savannah ist eine schöne Stadt mit einem schönen Zentrum, viele
grüne Plätze mit Bäumen, alle mit historischen Bezügen: Monumente von und für die Stadt
oder die Region wichtigen Persönlichkeiten.
Es wird deutlich, auch in den folgenden Tagen, dass der amerikanische Bürgerkrieg vor allem
hier im Süden im Bewusstsein der Menschen immer noch sehr präsent ist, man hat fast den
Eindruck eines kollektiven Traumas, wobei die Frage der Sklaverei oft ausgeklammert wird
nach dem Motto: in unsrem County war Sklaverei ja schon lange verboten. Der Süden der
USA ist "Fromm": an allen Straßenecken Kirchen der unterschiedlichsten Denominationen.
Reisebericht: Regionalbischof Michael Grabow
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Der Gottesdienstbesuch in den Lutherischen Kirchen der Stadt liegt bei rund 33 %. Die erste
lutherische Gemeinde hat deutsche Wurzeln: die Salzburger, die nach dem Zwischenhalt in
Augsburg hierherkamen, gründeten 1733 die erste Gemeinde. Sie waren die erste nicht anglikanische Konfession, die von der englischen Kolonie Georgia geduldet wurde, da man den
Fleiß der "Deutschen" schätzte.
Mittags berichten wir mit unserem neuen Kirchenkreisfilm über das kirchliche Leben bei uns,
was sehr beeindruckt.
Nachmittags eine Führung durch SCAD (Savannah College of Art and Design); beeindruckend: aus kleinsten Anfängen vor 40 Jahren entstand eine große Universität mit über
12.000 Studierenden, die sich über 72 Gebäude über die ganze Stadt verteilt. In dem angeschlossenen Museum für zeitgenössische Kunst werden die Ausstellungen internationaler
Künstler nach wenigen Monaten bereits wieder ausgetauscht. Es entsteht eine äußerst kreative Atmosphäre, da die Lehrräume direkt über den Ausstellungsräumen liegen und die Studierenden sich so täglich in intensiver Auseinandersetzung mit hochkarätiger Kunst befinden. Besonders beeindruckend die Bilder eines jungen chinesischen Künstlers, der durch
seine Technik dazu auffordert, hinter die Oberfläche zu sehen: von vorne wirken die Bilder
wie klassische und sehr ästhetische Darstellungen chinesischer Landschaften, wenn man
hinter die Bilder tritt, sieht man, woraus dieser Eindruck entsteht: Stofffetzen, Stroh, Plastiküberreste und anderer "Müll". Ein anderes Bild: der Chinesische Tiger, gelegt aus 150.000
chinesischen Zigaretten - ein Schelm, der Böses dabei denkt. Höchst politische Botschaften.
SCAD und Lutherische Gemeinde arbeiten in Projekten zusammen.
Anschließend Besuch der St. Pauls- Gemeinde. Die Kirche aus dem 20. Jahrhundert beeindruckt mit ihren wunderbaren Glasfenstern, deren mystisches Blau ein fast ähnliche Atmosphäre entstehen lassen wie in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin.
Abends Essen mit meinen Gastgebern im Restaurant "The Pink House", einem der ältesten
Häuser Savannahs - sehr stimmungsvoll und edel. Spontan singe ich mit der dortigen
schwarzen Jazzsängerin, die auch zur lutherischen Gemeinde gehört, ein Duett aus Porgy
and Bess: "Summertime - and the Living is easy."
Besonders beeindruckt hat mich die selbstverständliche Frömmigkeit der lutherischen Gemeinde, die gleichzeitig mit großer Weltoffenheit verbunden ist. Man steht zu seinem Glauben, trägt ihn weiter und arbeitet gern mit anderen zusammen, auch in ganz weltlichen Institutionen.
Foto: Die deutsche Reisegruppe und ihre amerikanischen Partner vor der lutherischen
Ascension Church in Savannah
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Foto: Pferd aus SCAD Museum
Foto: The Pink House
Foto: John Wesley, der in Savannah die Methodistische Kirche gründete
Dritter Tag des Besuches
Mittwoch, 27. Mai 2015:
Nach der anstrengenden Reise und dem ausgefüllten ersten Tag steht heute Erholung auf
dem Programm. Wir treffen uns gegen 9.00 Uhr gemeinsam mit unseren Gastgebern vor der
Ascension-Church im Stadtzentrum von Savannah und fahren gemeinsam auf Tybee-Island
zum Schwimmen. Mit unsren Gastgebern ergeben sich interessante Gespräche über das
Gemeindeleben und den Alltag im Süden der USA. Pastor Carl Yost berichtet von Plänen, im
Erdgeschoss des Pfarrhauses ein Café einzurichten. Dort sollen, mitten in der Historischen
Altstadt, Begegnungsmöglichkeiten geschaffen werden für Touristen, Gemeindeglieder und
für sozial Schwache, die bei einem Kaffee auch den ganzen Tag bleiben können. Verschiedene inhaltliche Angebote sind geplant, die in anderen Gemeinden bereits erfolgreich erprobt
wurden: Bier und Bibel, Bier und geistliche Lieder, aber auch Konzerte oder KunstausstellunReisebericht: Regionalbischof Michael Grabow
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gen gemeinsam mit SCAD (Savannah College of Art and Design). Das Café soll professionell
betrieben werden und sich selbst tragen. Mich beeindruckt die Verbindung von sozialen und
missionarischen Aspekten dieses Projektes.
Am Nachmittag geht es auf ein Boot, um Delphine und Pelikane zu beobachten. Wir kommen auch an einem typischen Shrimpsfischerboot vorbei, wie sie im Film Forrest Gump vorkommen, der in und um Savannah gedreht wurde. (Wir erfahren auch, dass es die berühmte
Bank und Bushaltestelle des Filmbeginnes, auf der Forrest Gump am Rand eines Innenstadtplatzes sitzt und zu erzählen beginnt, an dieser Stelle nie gab).
Und am Abend werden wir eingeladen zu Captain Butlers zum "Low Country Boil", einem
typischen Essen der Region am Meer: Kartoffeln, Truthahn, Würstchen, Reisauflauf, Gemüse
und Unmengen Shrimps. Anschließend tritt eine Band auf, deren Mitglieder alle weit über
70 Jahre alt sind, eine Musikerin kommt gar mit dem Rollator, packt ihr Instrument aus und
legt los. Zunächst werden "deutsche" Lieder gespielt, aber mit englischem Text. Wir werden
dann aufgefordert, Volkslieder auf Deutsch zu singen, was allgemein mit großem Beifall bedacht wird.
Später folgen Evergreens der Band.
Mich fasziniert, mit welcher Begeisterung die alten Leute spielen und singen. Wenn man mal aus dem Takt
gerät, findet man eben wieder zusammen und spielt dann weiter Es
muss nicht perfekt sein, sondern das
gemeinsame Tun ist wichtig und genug, das ist die Botschaft.
Und alle freuen sich dran…
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Ich empfinde das, was diese alten Menschen mit ihrer Band so selbstverständlich leben, als
ein deutliches Zeichen und einen Gegenentwurf zum Jugendwahn unserer heutigen Gesellschaft, wo alles glatt, schön und perfekt sein muss und eine solche Band wahrscheinlich
keine Chance hätte.
Vierter Tag des Besuches
Donnerstag, 28. Mai 2015:
Wir fahren gemeinsam nach Ebenezer und Jerusalem, den ursprünglichen Gründungen der
Salzburger Exulanten. Quer durch das Gelände eines Industriebetriebs, links begrünte Abraumhalden, rechts Dichter Wald, fahren wir auf schmaler Sandstraße zum ersten Friedhof
der Salzburger Siedler. Es ist beeindruckend, mitten in der "Wildnis" auf Grabsteine mit
deutschen Namen zu stoßen.
Die ersten Siedler wurden vom Gouverneur in sumpfigem Gelände zwischen Savannah River
und kleinen Flüssen angesiedelt. Binnen einem Jahr starben 50% der Menschen, die aus
dem Gebirge kamen und nun in feuchter Hitze mitten im Sumpfigen Wald saßen, an Malaria
und Entbehrungen. Eine zweite Gruppe von Salzburgern kam ein Jahr später an, und man
siedelte um auf das Hochufer des Savannah River, das bessere Bedingungen bot. Der Ort
wurde Ebenezer genannt. Mit den Indianern lebten diese Siedler friedlich zusammen und
lernten von ihnen eine an die hiesigen Bedingungen angepasste Landwirtschaft.
Man baute eine Kirche, die heute noch steht und den Mittelpunkt der Lutherischen Gemeinde bildet, auch wenn dort heute keine Menschen mehr leben, weil die Menschen ein
paar Kilometer entfernt neue Siedlungen bauten: New Ebenezer und Jerusalem. Die Gemeinde ist heute zahlenmäßig klein, der Gottesdienstbesuch aber erstaunlich hoch und
Identitätsstiftend. Man fühlt sich immer noch als "Salzburger", gar ein kleines Museum eingerichtet, wo der Aufenthalt in Augsburg eine wichtige Rolle spielt. Wir sehen dort die Originale von Bildern dieses Aufenthaltes, deren Kopien in der Augsburger Lutherstiege zu sehen
sind.
Auch ein Portrait von Samuel Urlsperger, dem damaligen Pfarrer von St. Anna, ist zu sehen,
der die Salzburger Exulanten bei ihrem mehrmonatigen Aufenthalt in Augsburg nachhaltig
unterstützte.
Wir wurden von Mitgliedern der Gemeinde in historisierenden Gewändern empfangen und
freundlichst bewirtet. Ich sprach davon, dass uns als Salzburger Society und als Augsburger
gemeinsame Wurzeln tragen, die zwar nur kurze Zeit vor bald 300 Jahren betreffen, uns aber
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bis heute eng zusammenbinden. Mir fällt auf, dass etliche unserer Gastgeber Gesichtszüge
tragen, die mich stark an Bekannte aus Tirol und dem Salzburger Land erinnern.
Als ich das einer Frau sage, strahlt sie sichtlich.
Anschließend werden uns die Kirche und das Museum der Salzburger Society gezeigt, die
diese gemeinsamen Wurzeln bewahren.
Der Gemeindepfarrer feiert mit uns gemeinsam Abendmahl. ich beteilige mich auf seine Bitte als chalice Assistent bei der Austeilung. Mit einem Reisesegen entlässt uns ein Gemeindemitglied in dem Kostüm des für die Salzburger Gemeinde wichtigen zweiten Pfarrer der
Gemeinde im 18. Jahrhundert, Johann Martin Boltzius.
Anschließend fahren wir, auf mehrere Autos verteilt, zurück nach Savannah, wo wir auf die
einzelnen Partnergemeinden Griffin, Jonesboro und Woodstock verteilt werden. Die Kissinger werden von Pastorin Morgan Gordy, der Frau des Bischofs, abgeholt und kommen gegen
ein Uhr Nachts wohlbehalten in Nashville an.
Freitag, 29. Mai 2015:
Die Partnerschaftsgruppen sind in ihren Gemeinden in Jonesboro, Griffin, Woodstock und
Nashville angekommen und haben ein je eigenständiges Programm mit ihren Partnergemeinden. (Darüber wird zu berichten sein)
Bill Alderfer, der Partnerschaftsbeauftragte der Southeastern Synod und seine Frau Paulette,
die dort ehrenamtlich mitarbeitet, bringen mich zum Büro der Synodalverwaltung, die in
Atlanta in einem großen Bürogebäude für NGOs untergebracht ist. Wir werden dort sehr
freundlich empfangen. Das Büro bereitet gerade die Synodaltagung vor, die am kommenden
Wochenende in Birmingham (Alabama) stattfindet.
Die Southeastern Synod umfasst ca. 45.000 Gemeindeglieder. Bei der Synodalversammlung
werden mit Gästen ca. 400 Teilnehmende erwartet. Das Büro ist für die Verwaltung des gesamten Synodalbezirkes verantwortlich, nicht nur für die Synodalversammlung. Bischof
Gordy ist der erste, der nicht von seinem Büro in Atlanta aus arbeitet, sondern in Nashville
wohnt und den Kontakt mit seinen Mitarbeitenden meist über Handy und Internet hält, da
er meistens in seinem riesigen Bezirk, der die Staaten Alabama, Georgia, Mississippi und
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Tennessee umfasst - rund 420.000 km2. Weniger als zehn Büroangestellte und theologische
Mitarbeitende sind für die gesamte Verwaltung und inhaltliche Arbeit zuständig.
Anschließend besuchen wir das Historische Museum von Atlanta, wo ich viel über den Bürgerkrieg erfahre. Das Museum stellt die einzelnen Jahre des Bürgerkriegs aus Sicht von beiden Kriegsparteien dar…
Es wird deutlich, dass der Bürgerkrieg
zunächst über der Frage aufbrach, ob die
USA eine Union von Staaten bildete, oder ob es eine mehr oder weniger lockere Konföderation unabhängiger Staaten
darstellte. Die Frage der Sklaverei und
damit der wirtschaftlichen Grundlage
spielte zunächst keine Rolle. Zum einen
gab es auch in den Nordstaaten Sklaverei, wenn auch in geringerem Ausmaß,
zum anderen kämpften auch Gebiete auf
Seiten der Südstaaten, in denen es keine
Sklaverei gab
Am Abend sprechen Bill und ich über die Zukunft der Partnerschaft, die in den bisher vier
Partnergemeinden gut und intensiv läuft. Nun haben aus dem Bereich Savannah zwei weitere Gemeinden Interesse mit einer schwäbischen Gemeinde angemeldet: Ascension in Savannah und die Salzburger Gemeinde Zion in Jerusalem, in der Nähe von Savannah. Darüber
hinaus ist auch die Gemeinde Lillburn in der Nähe von Atlanta interessiert. Es wäre schön,
hier auch auf unserer Seite interessierte Partner zu finden.
Fünfter Tag und sechster des Besuches
Freitag, 29. Mai und Samstag, 30. Mai 2015:
Am Vormittag besuchen wir das historische Museum von Kennesaw. Der dort ausgestellte
"General" ist eine Lokomotive, die im Bürgerkrieg eine für die Südstaaten wichtige Rolle
spielte. In diesem Museum wird sehr klar der Bürgerkrieg aus Sicht der Südstaaten dargestellt. Die Lokomotive "Der General" wurde von Soldaten der Nordstaaten okkupiert, um die
kriegswichtige Eisenbahnlinie Chattanooga zu zerstören. Das Museum erzählt zum einen die
große Bedeutung, die die Eisenbahn als damals modernste Technik für den Kriegsverlauf
hatte.
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Zum anderen wird die Rückeroberung des "General" durch Südstaatler als heroische Tat geschildert, die ihren Niederschlag im Stummfilm "der General" mit Buster Keaten und in einem Spielfilm der Disney-Studios gefunden hat. Es bestätigt sich noch einmal aus einem anderen Fokus heraus, dass der amerikanische Bürgerkrieg vor allem hier im Süden im Bewusstsein der Menschen immer noch sehr präsent ist, man hat fast den Eindruck eines kollektiven Traumas, wobei die Frage der Sklaverei oft ausgeklammert wird.
Nachmittags arbeite ich an meinem Bericht bei der Synodalversammlung über unsren Kirchenkreis und über die Partnerschaft zwischen Augsburg und der Southeastern Synod. Mir
ist immer deutlicher geworden, dass wir zwar in unterschiedlichen Kontexten und Strukturen
arbeiten, aber die gleichen Herausforderungen ins Auge fassen. Dabei entdecke ich, dass
auch im frommen "Biblebelt" die Kirchen in einem immer säkularer werdenden Umfeld arbeiten und über Mitgliederverluste klagen. Fragen nach Ehe und Familie werden dort genauso diskutiert wie die sexuelle Orientierung der Pfarrerinnen und Pfarrer. Es geht dort genauso um die Betreuung von Flüchtlingen oder die Finanzierung von Altenpflege, die Arbeit mit
Minderheiten und Wohnungslosen oder Fragen einer traditionellen oder "modernen" Liturgie und ihren Auswirkungen auf die Lutherische Identität. Wir können hier viel voneinander
lernen."
Siebter Tag des Besuches
Sonntag, 31. Mai 2015:
Am Vormittag predige ich in den drei Gottesdiensten zum Trinitatisfest in der Good Shepard
Kirche in Woodstock. Thema ist der Segen, der heilt, stärkt und begleitet.
Um 8:00 Uhr findet ein Gottesdienst in klassischer lutherischer Liturgie statt, der von ca. 30,
vorwiegend älteren Menschen besucht wird. Um 9:30 Uhr treffen sich etwa 120 Besucher
jeden Alters in der Kirche zu einem Gottesdienst, der alle Elemente des ersten Gottesdienstes enthält, aber in moderner Formulierung und neuen Liedern mit Bandbegleitung. Um
11:00 Uhr kommen ca. 150 Besucher wieder zur traditionellen Liturgie.
Mir fällt auf, dass die Rituale in allen drei Gottesdiensten sehr ähnlich sind, auch in dem
"modernen" Gottesdienst: zunächst erfolgen durch den Pfarrer die Abkündigungen in lockerer Form von der Kanzel aus. Dann geht der Pfarrer zum Kircheneingang, kommt aber zum
Sündenbekenntnis nach dem Orgelvorspiel wieder nach vorne, geht danach wieder zum Ein-
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gang zurück, um beim ersten Lied mit den anderen Mitwirkenden mit Vortragekreuz erneut
einzuziehen. Das scheint mir wenig logisch, wird aber nach meiner Beobachtung in allen Kirchen so oder so ähnlich praktiziert und nicht als steif empfunden, auch nicht im "modernen"
Gottesdienst. Das Abendmahl wird in allen Gottesdiensten gefeiert. Zur Austeilung knien
sich die Teilnehmenden an der Altarschranke nieder, empfangen Brot und Wein und gehen
sofort nach dem Empfang wieder auf den Platz. Das bei uns übliche Betonen der Gemeinschaft durch die Abendmahlskreise ist dort anscheinend unbekannt, die Kommunion ein individueller Akt. Mich fasziniert das anscheinend selbstverständliche Miteinander von liturgisch eher steif empfundenen Elementen mit einer großen Lockerheit.
Nach den Gottesdiensten bei der Verabschiedung werde ich sehr freundlich begrüßt und
neben dem sehr herzlichen Welcome immer wieder auch einmal mit einem deutschen Grüß
Gott angesprochen, das dann aber fast immer die einzigen deutschen Worte sind. Die Partnerschaft mit dem Kirchenkreis wird allgemein als positiv gesehen. Das Bild der Deutschen
ist offensichtlich auch durchweg positiv besetzt. Ein Deutschlehrer der dortigen Highschool
spricht mich mit perfekter Grammatik an. Es entwickelt sich ein längeres Gespräch.
Nach den Gottesdiensten fahren mich Paulette und Bill Alderfer nach Chattanooga, wo wir
uns mit Bischof Gordy treffen, der mich weiter mit nach Nashville nimmt, meiner nächsten
Station.
Dort treffen wir gegen 18:00 Uhr ein und werden in der Christuskirche, in der Bischof Gordys
Frau arbeitet, empfangen. Es schließt sich ein Treffen mit afrikanischen Flüchtlingen an, die
überwiegend aus Tanzania stammen. Sie berichten über die Geschichte ihres Landes und der
Lutherischen Kirche dort. Ich bin überrascht, wie allgemein bekannt und überaus positiv besetzt die Partnerschaft der Bayerischen Landeskirche mit Tanzania ist. Das wird immer wieder betont. Dass ich ein paar Brocken Kisuahili spreche wird mit Begeisterung aufgenommen.
Die Flüchtlinge sind in den USA gut aufgenommen, manche waren vorher in Deutschland,
einige betonen, dass sie gern wieder nach Deutschland kommen wollen, was die positive
Einstellung zu Deutschland noch einmal deutlich macht. Anschließend werden wir zu einem
festlichen tanzanischen Abendessen eingeladen, Die Christuskirche in Nashville kümmert
sich schwerpunktmäßig um ethnische Randgruppen wie Afrikaner, Hispanics, Koreaner und
andere. Als ich vor vier Jahren schon einmal dort zu Besuch war, kümmerte sich die Gemeinde vor allem um die Hispanics, die häufig illegal aus Mittelamerika über die Grenze kommen.
Inzwischen ist das Spektrum erheblich weiter geworden, was man auch an den Geschäften
und Restaurants Downtown erkennen kann.
Beherbergt werde ich von Jim und Vivian McKenna, wo ich vor vier Jahren ebenfalls untergebracht war. Jim McKenna war lange an der Vanderbilt- Universität als Professor an der
Entschlüsselung des menschlichen Genoms beteiligt. Seine Frau Vivian arbeitet ebenfalls an
der Universität. Es entspinnen sich noch bis tief in die Nacht interessante Gespräche.
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Achter Tag des Besuches
Montag. 1. Juni 2015:
Vormittags treffen wir uns in der St. Andrewskirche in Franklin, einer sehr wohlhabenden
Stadt mit hohen Grundstückspreisen, wo Bischof Gordy vor seiner Wahl zum Bischof als Gemeindepfarrer tätig war.
Nach einer kurzen Kirchenführung gibt
der hauptamtliche Kirchenmusiker ein
kleines Orgelkonzert an der beeindruckenden, mächtigen Kirchenorgel. Sein
Schwerpunkt liegt in der französischen
Romantik, was man auch bei der Auswahl und Interpretation der einzelnen
Stücke hören kann. Es ist beeindruckend.
Beim gemeinsamen Lunch erzählt er
mir von Plänen, 2017 nach Augsburg
und Deutschland zu kommen, wo er
noch nach Gastauftritten sucht.
Nachmittags besichtigen wir ein hochprofessionelles Tonstudio, in dem viele Aufnahmen von
Musikern der Musikstadt Nashville abgemischt werden. Die Gemeinde arbeitet mit diesem
Studio immer wieder zusammen.
Abends geht es in einen Club, wo wir essen und anschließend ein beeindruckendes Konzert
der Western-Swing-Gruppe "Time Jumper" hören, die sich aus Musikern der Begleitgruppen
der bekanntesten Countrymusiker bei jedem Auftritt ein wenig anders zusammensetzt.
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Neunter Tag des Besuchs
Dienstag, 2. Juni 2015: Auf der Fahrt zu Rock Harbour, wo uns einer der Gastgeber auf seinem Hausboot erwartet, sehen wir am Straßenrand die ganze soziale Widersprüchlichkeit
der amerikanischen Gesellschaft.
Zunächst fahren wir durch ein
Gebiet, wo viele berühmte
Country-Stars und andere sehr
wohlhabende Menschen leben:
große, repräsentative Häuser,
umgeben von riesigen Rasenflächen und teilweise im Wald liegend. Häuser, die viele Millionen
Dollar kosten. Zwei Straßenecken weiter stehen dicht an
dicht kleine Holzhäuser, oft mit
abblätternder Farbe, teilweise
auch Wohncontainer, umgeben
oft von Hausrat, der im Inneren
keinen Platz mehr hatte.
An etlichen Häusern steht ein Schild "for sale". An den Ampeln sehen wir immer wieder
Menschen, die versuchen, sich durch den Verkauf von einzelnen Zeitungen ein paar Dollar zu
verdienen. Kurz darauf begegnen wir einem Mann, der auf seinem Fahrrad riesige Säcke mit
gesammelten Blechdosen und anderem Recyclingmaterial aus dem Müll transportiert, die
ihm ein paar Dollar einbringen sollen.
Die Gesellschaft driftet immer weiter auseinander zwischen extremem Reichtum und großer
Armut. Hier engagieren sich viele Lutherische Gemeinden, da die Kommunen sich nicht entsprechend engagieren, und die Reichen durch ihre Lobbyarbeit die Politik auf allen Ebenen
für ihre eigenen Interessen beeinflussen. Der Bürgermeister von Nashville ist Demokrat, der
gern hier eine Änderung herbeiführen würde. Sein Council aber ist republikanisch dominiert
und blockiert vieles. Der Staat Tennessee insgesamt ist sehr konservativ. Die regierenden
Republikaner sind laut unserem Gastgeber weitgehend von der konservativen „Teaparty“Bewegung bestimmt. Hier sind keine sozialen Umwälzungen zu erwarten. Im Gegenteil, viele
Vermögende verlassen die Stadt Nashville und ziehen ins republikanisch regierte Umland. Da
in Tennessee keine Einkommensteuer erhoben wird und alle Steuern indirekt über die Lebenshaltungskosten als Steueraufschlag auf die Einkäufe geregelt werden, zahlen die Armen
und Geringverdiener im Verhältnis zu ihren finanziellen Einkommen überproportional mehr
Steuern als die Superreichen. Gleichzeitig fehlt überall das Geld für soziale Aktivitäten, für
Schulen und Infrastruktur.
Bei der kleinen Bootstour komme ich neben den Dekan von Nashville zu sitzen, der in einem
Gebiet von der Größe Bayerisch Schwabens 16 Kirchengemeinden zu betreuen hat. Heute
fahren die Pfarrer des Dekanats als "Pfarrkonferenz" mit uns mit. Der Dekan hat ähnliche
Aufgaben wie ein Dekan bei uns. Die Pfarrkonferenzen dienen dem Erfahrungsaustausch
ebenso wie dem Besprechen anstehender Fragen und der Kontaktpflege. Es entwickelt sich
ein interessantes Gespräch über die verschiedenen Strukturen und Traditionen und doch
weitgehend gleichen Herausforderungen. Wir sprechen über Finanzierung der kirchlichen
Arbeit, Mitgliederverlust, religiösen Traditionsabbruch in den Familien, der in den amerikani-
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schen Familien in ganz ähnlicher Weise stattgefunden hat wie bei uns und sich nun entsprechend auswirkt. Auch die Frage der missionarischen Arbeit in der Gesellschaft ist ein Thema.
Die ELCA gründet ganz bewusst Missionsgemeinden in bestimmten Gebieten, wo es noch
keine lutherischen Gemeinden gibt. Diese neuen Gemeinden entwickeln nach einigen Jahren
oft ein erstaunliches Leben. Dieses Konzept ist auf unsere Kirche schwer übertragbar, da wir
ja bereits heute flächendeckend über das ganze Gebiet der Landeskirche Gemeinden haben.
Im Augenblick entscheidet der Supreme Court der USA über die Gültigkeit der "SameGender-Marriage" in den USA. Dabei geht es um die Frage, ob die in einem Bundesstaat geschlossene Ehe zwischen Gleichgeschlechtlichen Paaren auch in den Bundesstaaten Gültigkeit hat, die diese Form eigentlich nicht zulassen. Diese Frage beschäftigt auch die Gemeinden der ELCA, da die ELCA vor einigen Jahren sich positiv zur Homosexualität von Pfarrern
gestellt hat, was damals eine schwierige und langwierige Diskussion ausgelöst hatte.
Am Abend feiern wir mit der First Lutheran Christ-Church Gemeinde einen schönen Abschiedsgottesdienst, bevor es am Mittwoch zum Reflektieren unseres Besuches in das Retraitcenter "Lutherranch" geht.
Zehnter Tag des Besuches
Mittwoch, 3. Juni 2015:
Nach vielen Abschiedsumarmungen
verteilen wir uns auf die Autos und
fahren viereinhalb Stunden von
Nashville zur Lutherranch, einem
wunderschönen Ort an der Grenze
zwischen Georgia und Alabama,
mitten in unberührter Natur mit
zwei kleinen Seen. Dort werden wir
auf die Zimmer verteilt.
Am Abend feiern wir im Freien am See einen Abendmahlsgottesdienst. Die sehr persönlich
formulierte Predigt hält uns Krispin, der aus dem Kongo unter Lebensgefahr fliehen musste
und nun berichtet, wie die ELCA ihm geholfen hat, hier in den USA Fuß zu fassen.
Krispin ist ehemaliger Jesuit und katholischer Priester, der nun konvertiert ist und lutherischer Pfarrer werden möchte.
Dabei halfen ihm mehrere Theologieprofessoren durch kostenlose Teilnahme an Seminaren,
die nötigen Scheine für den Studienabschluss vorzubereiten. Beim Abendmahl, das ich zu
halten gebeten wurde, wirkt Krispin bei der Austeilung mit. Der Friedensgruß, den alle miteinander teilen, entwickelt sich zu einer ergreifenden und lange dauernden gegenseitigen
"völkerverbindenden" Umarmung.
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Anschließend treffen wir uns bei einem Lagerfeuer, wo alle lange zusammensitzen und singen. Gegen ein Uhr Nachts falle ich ins Bett.
Elfter Tag des Besuches
Donnerstag, 4. Juni: Nach einem Frühstück trifft sich die Gruppe zum Morgengebet. Rachel
Alley, die Jugendbeauftragte, Bill Alderfer, der Partnerschaftsbeauftragte und ich setzen uns
zusammen, um über den nächsten Besuch der amerikanischen Partner in Augsburg für 2017
zu planen. Das Reformationsgedenkjahr ist dabei eine besondere Herausforderung, aber
auch eine große Chance. Als Thema wird von mir die Herausforderung einer ständigen Reformation der Kirche auch heute ins Spiel gebracht. Wir einigen uns auf einen Arbeitstitel,
der ein früheres Motto wieder aufnimmt: „Be a Reformer – Sei ein Reformer“.
Anschließend trifft sich die Gruppe zur Abschlussreflexion. Dabei wird von nahezu allen Teilnehmenden die überwältigende Gastfreundschaft an allererster Stelle genannt. Viele Teilnehmende freuen sich auch schon auf die Wiederbegegnung 2017 bei uns in Schwaben, wo
sie diese Gastfreundschaft gern erwidern möchten.
Aufgefallen ist vielen die relativ strenge lutherische Liturgie, die manche als "katholisch"
empfinden. Hier spielt die liturgische Reformbewegung in den letzten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts eine wesentliche Rolle, die "hochkirchlich" bestimmt war und besonders die südlichen Teile der USA erfasst hat. Mir ist aufgefallen, dass auch bei Gottesdiensten mit moderner Musik die wesentlichen Teile der Liturgie beibehalten werden, was
von den Amerikanern nicht als Bruch oder Gegensatz empfunden wird. Es wird deutlich, dass
es bei dieser Form der Liturgie um die Identität einer sich als bewusst lutherisch verstehenden Kirche und Gemeinde in einer in den Südstaaten stark baptistisch und freikirchlich geprägten Landschaft geht, wo an jeder Straßenecke eine Kirche steht, die entweder baptistisch ist oder keiner Gemeinschaft angehört, sondern sich um einen mehr oder weniger charismatischen Prediger schart. Katholiken gibt es in den Südstaaten sehr wenige.
Diese Anfrage nach der eigenen Identität bewegt auch viele aus der Gruppe. Mehrere fragen: Was ist meine lutherische Identität, nicht nur im Gegenüber zu den anderen Kirchen
gewissermaßen als Negativfolie, sondern in aller selbstverständlichen Eigenständigkeit? Wie
kann ich diese Identität als Christ und Lutheraner bewusster leben? Spannend ist die Erkenntnis aus der Begegnung mit den amerikanischen Lutheranern, dass eine bewusst gelebte lutherische Identität gar nicht als altmodisch oder langweilig empfunden werden muss.
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Auch die Frage nach der Selbstverständlichkeit, sein Christsein in der Gesellschaft und Öffentlichkeit zu leben, beschäftigt viele. Sie empfinden hier die Allgegenwärtigkeit des
Christseins in den USA auch in den Medien als Herausforderung.
Benannt wird auch das große finanzielle Engagement vieler Gemeindemitglieder für Ihre
Gemeinde und Kirche. Auch hier kommt wieder die Frage nach der eigenen Identität und der
Identifikation mit der Gemeinde und Kirche auf: Was bedeutet Dir Deine Kirche, wie stolz
bist Du auf Deine Gemeinde und auf die ganze Kirche? Viele wollen noch selbstverständlicher ihr Christsein leben und es auch nach außen zeigen.
Eine große Rolle spielt in amerikanischen lutherischen Kirchen die Gemeinschaft, die sich
besonders auch in regelmäßigem gemeinsamem Frühstück vor oder Essen nach dem Gottesdienst ausdrückt. Dabei geht es nicht nur um eine Tasse Kaffee, sondern um ausgedehnte
Essen, zu denen jeder etwas mitbringt. Ein Teilnehmer formuliert es so: nach dem spiritual
Food braucht es auch physical Food für die Gemeinschaft einer Gemeinde. Viele aus unserer
Delegation wollen dies als Anregung mit nach Hause nehmen.
Das Thema des sozialen Engagements der Kirchengemeinden wird angesprochen. Hier ist für
die amerikanischen Partner nicht nur die soziale Komponente dieses Engagements wichtig,
sondern auch der spirituelle Hintergrund: physical help and spiritual help !
Besonders die Gruppe, die Nashville besucht und viele wunderbare musikalische Events erlebt hat, betonte die wichtige Rolle der Musik für die kirchliche Arbeit.
Die Reflexion war sehr dicht, auch die Jugendlichen Teilnehmenden beteiligten sich intensiv
an den Überlegungen.
Am Nachmittag hatte die Gruppe frei, um sich noch einmal zu entspannen und sich auf die
Abreise nach Deutschland am folgenden Tag vorzubereiten. Pfarrerin Wagner und die Pfarrer Lorenz und Schubert fliegen nicht mit der Gruppe zurück, sondern kommen am Freitag
ebenfalls nach Birmingham, um an der Synodalversammlung teilzunehmen.
Ich fahre mit Rachel Alley nach Birmingham (Alabama). Rachel ist die Beauftragte der SES für
die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Unterwegs unterhalten wir uns über die zunehmende Unkenntnis der Jugendlichen über Glauben und Christentum. Rachel berichtet, dass
auch in der ELCA ein deutlicher religiöser und kirchlicher Traditionsabbruch zu beobachten
ist, wie bei uns, und auch bereits in der dritten Generation der Familien.
In Birmingham findet von Freitag bis Sonntag die diesjährige Synodalversammlung der
South-Eastern-Synod der ELCA statt. Etwa 400 Delegierte aus den Evangelisch-Lutherischen
Kirchengemeinden der vier US-Bundesstaaten Mississippi, Tennessee, Georgia und Alabama
kommen zusammen, um gemeinsam Themen zu diskutieren und ggf. zu entscheiden. Es
werden Positionen für zukünftige Versammlungen besetzt, in Workshops miteinander debattiert und Gottesdienst gefeiert.
Für uns ist der Aufenthalt in Birmingham noch aus einem anderen Grund besonders beeindruckend. Nur wenige Schritte entfernt vom Tagungsort steht das Jefferson County Jail, in
dem Martin Luther King Jr. am 16. April 1963 seinen berühmten Brief aus dem Gefängnis
schrieb und damit der Welt die Augen öffnete, dass jegliche Form von Diskriminierung gegen
das Evangelium verstößt und von Christen nicht toleriert werden darf. Inzwischen ist Birmingham ein wichtiger Ort für die Gleichberechtigung aller Amerikaner geworden. Ein „CivilRights“-Museum und ein Civil-Rights-Weg erinnern an die Bürgerrechtsbewegung, die in
Birmingham ihren Anfang nahm.
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Im Hotel erwartet mich bereits Bischof Julian Gordy in der Lobby. Am Abend tauschen wir
uns beim Dinner mit den Mitgliedern des Synod Councils über die kirchliche Arbeit aus, wobei viel Neugier über unsere Kirche in Deutschland zu spüren ist. Einige Mitglieder des Council treffe ich in den nächsten Tagen immer wieder, wo wir unsere Kontakte vertiefen können.
Es herrscht ein außerordentlich herzlicher Ton bei all diesen Begegnungen.
Zwölfter Tag des Besuches
Freitag, 5. Juni 2015: Nach einem Frühstück für die Synodenleitung und besondere Gäste im
Sheraton Club, wo ich auch Pastor Carl Yost und seine Frau Debra aus Savannah wieder treffe, arbeite ich an meiner Rede für das glocal breakfeast, bevor um 12.30 Uhr die Synodalversammlung im BJCC (Birmingham Jefferson Conference Center) gegenüber dem Hotel beginnt. „Glocal“ leitet sich aus den beiden Begriffen local und global ab; gemeint ist der missionarische Auftrag von Kirche, der sich, in der lokalen Umgebung beginnend, weltweit erstreckt.
Der Eröffnungsgottesdienst beginnt sehr feierlich mit dem Einzug der am Gottesdienst Beteiligten. Die Pfarrer sind alle in Albe und Stola gekleidet, die leitende Pfarrerin trägt dazu eine
bestickte Kasel. Bischof Gordy ist sehr festlich mit Albe, Kasel und einer prächtigen Stola gekleidet. Auch die nichtgeistlichen Assistierenden tragen weiße Gewänder. Die Musik mit Orgel ist festlich und in "Tutti" gehalten. Die Bläsergruppe erinnert mich an unsere Posaunenchöre, sie spielt zum Einzug Musik von Bach. Für alle drei geplanten Gottesdienste wurde ein
Podest mit einer Wasserschale aufgebaut. Zu Gottesdienstbeginn füllen zwei Liturginnen die
Schale mit Wasser und erinnern die Gottesdienstgemeinde an ihre eigene Taufe.
Viele Lieder im Gottesdienst stammen aus amerikanischer Tradition, einzelne Lieder werden
von einer Band mit Chor begleitet und kommen aus koreanischer oder afrikanischer Tradition und werden sehr schwungvoll mehrsprachig gesungen. Uns zu Ehren ist als erstes Lied
"Ein feste Burg" vorgesehen, allerdings auf Englisch. Pfarrer Lorenz aus unserer Gruppe liest
die Epistel auf Deutsch, das Evangelium wird auf Koreanisch verlesen. Bischof Gordy predigt
sehr anschaulich über den Schriftgelehrten Nikodemus aus Johannes 3.
Das Abendmahl ist sehr feierlich. An vielen Stationen wird das Abendmahl ausgeteilt: viele
praktizieren Intinctio, wer möchte, kann auch aus dem Gemeinschaftskelch trinken.
Anschließend wird die Synodalversammlung von der Assembly-Chaplan
mit Gebet eröffnet. Es fällt auf, dass
die gesamte Versammlung vom Bischof geleitet wird, der auch sich
selbst zu seiner Rede auffordert. Die
Vizepräsidentin der Versammlung
sitzt am Podium, hat aber für den
Außenstehenden keine erkennbare
Funktion.
Nach der Klärung der Tagesordnung und der Regeln für die Verhandlung hält Bischof Gordy
seinen Rechenschaftsbericht. Er geht dabei auf die auch in den USA und auch in den Südstaaten, dem ehemaligen Biblebelt, immer stärker spürbare Säkularisierung der Bevölkerung
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ein und belegt das mit Statistiken, die in ganz analoger Form auch für Mitteleuropa und Bayern Gültigkeit haben.
Nach der Benennung der zur Wahl stehenden KandidatInnen für die Gesamtversammlung
der ELCA im Jahr 2016, die streng nach Alter, unterschiedlicher Muttersprache und Pfarrer/Nichtpfarrer getrennt gewählt werden, beginnt der inhaltliche Teil der Versammlung:
"Wir sind Kirche". Dr. Mark Allen Powell vom Trinity Lutheran Seminary hält den ersten Teil
seines Vortags über biblische Bilder von Kirche. Es fällt auf, dass er, obwohl Professor für die
Exegese des Neuen Testaments, im Wesentlichen narrativ und auf dem Hintergrund eigener
Erfahrungen spricht. Sein sehr emphatischer und humorvoller Bericht kommt bei der Synode
sehr gut an. Er spricht über Kirche als Leib Christi und den grundsätzlichen Gemeinschaftscharakter von Kirche.
Nach einem Abendgebet wird die Versammlung aufgehoben und wir werden von Bischof
Gordy in die "Southeastern Kitchen" zum Abendessen eingeladen. Dort wird eine für die
Südstaaten typische Küche angeboten.
Anschließend besuchen wir das „Beer and Hymn" Projekt. Diese Veranstaltung findet normalerweise in einer Bar statt. Für die Assembly haben sie die Veranstaltung in einen der Veranstaltungsräume verlegt. Alle Tische sind belegt. Bei einem Bier werden alte und moderne
Kirchenlieder gesungen, begleitet von einer mitreißenden Band. Es macht Spaß, und am Ende stehen alle und klatschen begeistert mit.
Dreizehnter Tag des Besuches
Samstag, 6. Juni 2015: für den Samstag übernehme ich den Bericht von Benjamin Lorenz, da
ich an diesem Tag vier eigene Beiträge zu leisten hatte. Ich ergänze an wenigen, deutlich erkennbaren, Stellen:
Benjamin Lorenz: „Wir beginnen den Tag
um 7.00 Uhr mit dem „Glocal-Breakfast“,
denn lokales und globales Denken sind
jeweils Ansichtssache.
Regionalbischof Grabow gibt einen Überblick über unseren Kirchenkreis und mögliche gemeinsame Herausforderungen unserer beiden Kirchen.
Reisebericht: Regionalbischof Michael Grabow
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Anschließend besuchen wir Workshops zur Mitgliedergewinnung, Musik als gelebtes Evangelium und die Möglichkeiten, das Kirchengemeindeleben umweltfreundlicher zu gestalten.
Wir hören von den finanziellen Herausforderungen der ELCA-Synode aufgrund schrumpfender Mitgliederzahlen und erleben inspirierende und kraftgebende Bibelstudien mit Dr. Mark
Powell.
In der Mittagspause besuchen einige von uns das Civil Rights Museum in Birmingham. Regionalbischof Grabow zeigt zur gleichen Zeit den neuen Film über den Kirchenkreis Augsburg.
Beim Abendmahlsgottesdienst zur Halbzeit der Synodalversammlung begeistert Regionalbischof Grabow die Synodalen mit einer Predigt zu 1. Petrus 2 (Haus aus lebendigen Steinen)
und Johannes 17 über die liebevolle Zuwendung Jesu Christi zur Welt. (Dieser Gottesdienst
wird mit Liedern und Musik aus verschiedenen Ländern, z.B. Lateinamerika und Tanzania,
gestaltet und bringt am Ende etliche Gottesdienstbesucher zum Tanzen).
Mit einem Grußwort des Regionalbischofs in der Nachmittagsvollversammlung verabschieden wir uns aus zwei
Wochen wundervoller, wenngleich auch
(wegen der unterschiedlichen Partnergemeinden) unterschiedlicher Erfahrungen auf unserer Begegnungsreise durch
den Süd-Osten der U.S.A. in der Hoffnung, auch zukünftig unsere gegenseitige Partnerschaft zwischen den beiden
Kirchenkreisen zu leben.
Ergänzung Grabow: Am Abend findet ein Empfang der Dekaninnen und Dekane statt, bei
dem ich unter anderem mit Dr. Powell ein längeres Gespräch über die unterschiedlichen
theologischen Traditionen amerikanischer und deutscher Theologie führe.
Vierzehnter Tag des Besuches
Sonntag, 7. Juni 2015: am Morgen nehmen wir noch einmal am Gottesdienst teil. Es ist ein
ganz traditioneller Gottesdienst mit großem Einzug der Zelebranten. Bischof Gordy hatte mir
vorab mitgeteilt, dass dieser Gottesdienst ganz bewusst an die übliche Liturgie gekoppelt ist,
um am Sonntag auch die mitzunehmen, die sich darin wohler fühlen. Gleichzeitig zeigt die
Vielsprachigkeit der Lesungen und Texte (englisch, spanisch, Kiswahili), dass die SES auch in
dieser traditionellen Liturgie die Multilingualität und Multikulturalität ihrer Mitglieder sehr
ernst nimmt und sich bewusst in allen Vollzügen als Teil der weltweiten Kirche und Christenheit wahrnimmt und auch darstellt.
Reisebericht: Regionalbischof Michael Grabow
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Nach dem Gottesdienst verabschieden
wir uns mit vielen Umarmungen und
sehr emotional von Bischof Gordy, den
Freunden und Begleitern aus den Partnerschaftsbegegnungen und von vielen
Menschen, mit denen auf der Synodalversammlung ein neuer und oft erstaunlich wiederholter Kontakt ergeben
hatte.
Beim Heimflug, der wegen Überbuchung der Maschine in Atlanta noch einmal etwas aufregend wird, merke ich, wie dicht und intensiv die Eindrücke und wie eng die Beziehungen geworden sind.
Was mich beim Heimflug bewegt:
-
Liturgie und Identität
-
die Multikulturalität, die in der ELCA, früher eher eine mittelstandsorientierte Kirche
der Weißen, zunehmend bewusst gelebt wird.
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das hohe Interesse der ELCA und der SES an weltweiten Partnerschaften, besonders
intensiv derzeit zu Augsburg und zu Guatemala.
-
der sich in den ganzen USA, auch im Biblebelt der Südstaaten, immer deutlicher abzeichnende Traditionsabbruch und die zunehmende Säkularisierung.
-
der realistische Umgang mit Gemeinden, die zu klein geworden sind, um eigenständig existieren zu können und die gezielte Förderung von Missionsgemeinden, die in
Gebiete gehen, wo bisher kaum Lutheraner waren.
-
die Verbindung von tiefer, oft "pietistisch" geprägter Frömmigkeit mit großer Weltoffenheit und liberaler Grundhaltung.
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