Die jungen Alten - Ursula M. Staudinger
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Die jungen Alten - Ursula M. Staudinger
Die jungen Alten Die Welt, Sonderausgabe Aufschwung mit Perspektive Es rücken weniger Junge nach, als ältere Arbeitnehmer ausscheiden. Der Aufbruch in eine altersgerechte Arbeitswelt gestaltet sich jedoch mühsam Stefan von Borstel. Eine alte Dame mit Surfbrett am Strand, Grauhaarige auf schweren Motorrädern, Senioren mit Computer-Spielkonsole nein, das sind nicht die Bilder vom Alter, an die wir uns gewöhnt haben. Diese "Neuen Bilder vom Alter(n)" sind jetzt in einer Ausstellung in Berlin zu sehen. Die Fotos stammen aus einem Wettbewerb der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und sollen zeigen, was Menschen in einer älter werdenden Gesellschaft mit den gewonnenen Jahren machen. Drei Jahre lang hatte sich die Arbeitsgruppe "Altern in Deutschland" der Akademie hochwissenschaftlich mit der Frage beschäftigt, welche Folgen der demografische Wandel für Gesellschaft und Wirtschaft in Deutschland hat. Ihr Fazit: Die gewonnenen Jahre bedeuten vor allem eine Chance - wenn das Potenzial des Alters auch genutzt wird. Dafür, so sagt die Alternsforscherin der Jacobs University und Leopoldina-Vizepräsidentin Ursula Staudinger, sei die "überfällige Revision der Alterbilder ein wichtiger Schritt". Denn Sport, Fitness, Sex - das passt nicht in unser Altersbild. Eher schon die Oma mit Dutt und Enkelkind auf dem Sofa, ein altes Paar auf der Parkbank, der alte, hinfällige Mensch als Pflegefall. Dabei sieht die Realität des Alterns in Deutschland ganz anders aus. Wir leben heute länger als je zuvor, und das bei besserer Gesundheit. Die heute 60-Jährigen sind biologisch etwa fünf Jahre jünger als noch die Generation zuvor. Zugleich werden immer weniger Kinder geboren. Die Struktur im Altersaufbau verschiebt sich. Die Alten werden in Zukunft das Land stärker prägen. Schon heute leben in Deutschland mehr Menschen über 65 Jahre als unter 20 Jahre, rechnet Staudinger vor. "Die Kluft zwischen diesen fundamentalen Veränderungen einerseits und traditionellen Vorstellungen vom Lebensverlauf andererseits ist derzeit eine der größten Bremsen für Mensch und Gesellschaft", warnt die Bremer Professorin. Immer noch gilt: Das Leben ist dreigeteilt. Die Zeit der Ausbildung fällt in die Jugend, die Berufstätigkeit prägt das Leben der Erwachsenen, und im Alter wird der Ruhestand genossen. "Das Potenzial des letzten Lebensdrittels verpufft", sagt Staudinger. 15.02. Print S. WR 11 "Wir sollten uns daran gewöhnen, dass 40-Jährige noch einmal ein Studium anfangen und 55Jährige einen neuen Beruf ergreifen." Fit wie ein Turnschuh. Viele ältere Menschen würden gern über den Pensions- oder Rentenbeginn hinaus arbeiten, wenn man sie denn ließe ... Alter und Arbeit - das passt nach den traditionellen Vorstellungen nicht zusammen. Wer heute mit 50 arbeitslos wird, gilt in den Arbeitsagenturen als "schwer vermittelbar" und wird mit Sonderprogrammen gefördert. Von den 55bis 65-Jährigen arbeitet heute nur jeder Zweite, unter den 60- bis 65-Jährigen ist es gut jeder Dritte. Jahrelang herrschte der Jugendwahn in den Personabteilungen - und wurde vom Staat noch gefördert. Die Alten sollten Platz machen für die nachrückenden Jungen, und wurden in die Altersteilzeit und den Vorruhestand geschickt. Noch vor ein paar Jahren propagierten die Gewerkschaften die "Rente mit 60". Die Folge der jahrelangen Frühverrentungspolitik: Im Jahr 2000 gingen die Männer im Schnitt mit 62,2 Jahren in Altersrente, Frauen mit 62,3 Jahren. Zusammen mit den Erwerbsminderungsrentnern lag das Renteneintrittsalter mit 59,8 Jahren sogar unter 60. Dabei wird es ohne die Alten künftig kaum mehr gehen. Der viel beschworene demografische Wandel hat bereits eingesetzt und wird sich in den nächsten Jahren dramatisch beschleunigen: Es rücken weniger Junge nach, als ältere Arbeitnehmer ausscheiden. In der Wirtschaft wird lauthals über Fachkräftemangel geklagt. Bis 2030 wird es sechs Millionen Menschen weniger zwischen 20 und 64 geben, dafür rund fünf Millionen mehr über 65. Die Politik hat bereits umgesteuert. Die Frühverrentung wurde weitgehend gestoppt, wer früher in Rente gehen will, muss Abschläge zahlen. Die Lebensarbeitszeit wurde gegen heftigen Widerstand um zwei Jahre verlängert - im Jahr 2029 werden sich die ersten Rentner erst mit 67 in den Ruhestand verabschieden. Doch das Umdenken fällt schwer. Für die Rente mit 67 können sich nur sieben Prozent der Deutschen erwärmen. Jeder zweite Deutsche möchte lieber mit 62, 60 oder noch früher in Rente gehen. "Die ersten beiden Jahre des Ruhestands finden die meisten auch ganz toll", berichtet Alternsforscherin Staudinger. "Doch danach entdecken viele die sinnstiftende Bedeutung von Arbeit." Bei nicht wenigen stelle sich dann eine Leere ein. Welche Leere? So etwas kennt Winfried Häsing nicht. Der 72-jährige Bauunternehmer aus einem Dorf bei Hofgeismar in Nordhessen feiert in diesem Jahr 50. Firmenjubiläum. "Als ich anfing, war ich jünger als viele meine Mitarbeiter", erinnert sich Häsing. "Das war schon komisch, so als Chef mit 22 Jahren." Heute hat er keine Mitarbeiter mehr. Doch auch mit 72 setzt er sich immer noch auf seinen Bagger, gräbt Baugruben für Biogasanlagen, reißt marode Fachwerkhäuser ab oder planiert Waldwege und Sportplätze. Auf Arbeitstage von zehn Stunden kommt der rüstige Unternehmer. Kürzertreten, ja, das kann er sich vorstellen. Ans Aufhören denkt Häsing aber noch lange nicht. Am liebsten würde er bis 100 weiterarbeiten, sagt er. Noch sind Menschen wie Winfried Häsing in unserer Arbeitswelt Exoten. Ältere gelten vielen Personalverantwortlichen auch heute noch als unproduktiv, zu teuer, zu unflexibel und krankheitsanfällig. Während die Unternehmen die Älteren als "Silver Shopper" oder "Generation Gold" schon längst als Kunden umwerben, ist die Generation 60 plus als Mitarbeiter in den Betrieben nicht gern gesehen. Zu Unrecht, findet Handwerkspräsident Otto Kentzler. "Jüngere sind zwar schneller und agiler, aber Ältere haben den Vorteil der größeren Erfahrung", sagt der Handwerkspräsident, der in diesem Jahr 70 Jahre alt wird. "Wir brauchen eine Mischung aus Alt und Jung", ist Kentzler, der einen Dachdeckerbetrieb führt, überzeugt. Und für diejenigen, die in ihrem erlernten Beruf aus Gesundheitsgründen nicht mehr weiterarbeiten können, müsse die berufliche Neuorientierung in der Mitte des Berufslebens selbstverständlicher werden. Der Aufbruch in eine altersgerechte Arbeitswelt gestaltet sich mühselig. In einer Umfrage für die Commerzbank sah fast die Hälfte der befragten Unternehmen eine Beschäftigung bis 67 Jahre als "problematisch" an. Altersgemischte Teams, Gesundheitsvorsorge, altersgerechte Arbeitsbedingungen - für viele Unternehmen ist das immer noch Terra incognita. Aber es gibt rühmliche Ausnahmen. Als erste Branche in Deutschland hat die Chemie schon 2008 einen "Demografie-Tarifvertrag" abgeschlossen, der eine umfassende Altersanalyse der Belegschaften und Maßnahmen zur altersgerechten Gestaltung der Arbeitsprozesse sowie zur Qualifizierung vorsieht. "Viele Unternehmen sind gezwungen umzudenken, weil ihnen die Fachkräfte fehlen und sie auf das Knowhow der Älteren angewiesen sind", sagt der Chef des Demografie-Netzwerks (ddn), Jürgen Pfister. Vor allem in der Automobilindustrie hat die Zukunft schon begonnen. So probt Audi in Neckarsulm schon einmal die altersgerechte Arbeitswelt von morgen. Den Sportwagen R8 lässt der Autobauer bewusst in gemischten Teams mit vielen älteren, erfahrenen Mitarbeitern montieren. Bei Audi wird in fünf Jahren jeder dritte Mitarbeiter älter als 50 Jahre sein. Konkurrent BMW hat schon vor vier Jahren in einem Teil der Produktion in seinem Dingolfinger Werk die Arbeit mit einer Belegschaft, die der Alterstruktur im Jahr 2017 entspricht, simuliert: 47 Jahre, heute sind es 39 Jahre. Rund 45 Prozent der Mitarbeiter werden 2020 älter als 50 sein - heute sind es nur 25 Prozent. Mit vielen kleinen Einzelmaßnahmen sorgte das Werk für ein altersgerechtes Arbeitsumfeld: Mittlerweile wurden die Erfahrungen aus dem Pilotprojekt auf andere Unternehmensbereiche übertragen. Es ist gar nicht so lange her, da hatte sich der Konzern von älteren Mitarbeitern noch durch Altersteilzeitregelungen und teure Abfindungsmodelle getrennt. Altersteilzeit gibt es auch heute noch, heißt es bei BMW, aber nicht mehr im großen Stil.