Pittura metafisica e Futorismo Predigt am
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Pittura metafisica e Futorismo Predigt am
Pittura metafisica e Futorismo Predigt am Himmelfahrtstag Innenstadtkirche St. Ludwig Darmstadt 9.5.2013 Meine Schwestern, meine Brüder, ich weiß nicht, ob ich es noch einmal sagen muss, dass wir es bei dem literarischen Erzählstoff von der Himmelfahrt Christi nicht mit der Wiedergabe eines historisches Ereignisses, sondern mit einem Erzähl-BILD zu tun haben, das eine eben meta-historische Wirklichkeit eben bildhaft – darum Erzähl-BILD - zum Ausdruck bringt. Nichts ist dadurch weniger wahr, aber eben anders, nämlich wahrer als wahrnehmbar wahr. Ich stand vor einigen Tagen im Wiener Museumsquartier vor einem Bild des italienischen Malers Giorgio e Chirico, der Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts die sogenannte „pittura metafisica“, verdeutsch „metaphysische Malerei“ begründete. Er bringt jenseits des oder hinter dem sinnlich Erfahrbaren eine zweite geheimnisvolle Wirklichkeit hinter den Dingen auf die Leinwand. Nichts anderes tut der Verfasser der Apostelgeschichte, nichts anderes tun wir, wenn wir im Glaubensbekenntnis von Jesus sagen, er sei „aufgefahren in den Himmel“. Es handelt sich bei dem Erzähl- und Bekenntnis-BILD der Himmelfahrt Jesu um „pittura metafisica“: um „metaphysische Malerei“. So nehmen wir dieses uns zur Verfügung gestellte Bild von der Himmelfahrt als eine Brücke von einer sinnlich elementaren Wahrnehmung zu einer meta-physischen Ahnung als die der offene Himmel daherkommt. Versuchen wir es ganz einfach. Sie kennen sicher das Gefühl, das sich einschleicht, wenn der Himmel über Wochen wolkenverhangen bedeckt ist. Die Welt wird eng. Die geschlossene Wolkendecke drückt uns aufs Gemüt. Uns fällt die Decke auf den Kopf. Wir neigen zu depressiven Verstimmungen. Wir sehnen uns danach, dass der Himmel aufbreche, dass sich die Sonne zeige, dass die Wolken aufbrächen und den Blick frei gäben in das weite Blau, in das hineinzusehen uns aufrichtete und ein Gefühl von Weite bewirkte. Was fasziniert uns am strahlenden Himmel, der uns aufblühen macht. Was an einem klaren Sternenhimmel, der unsere Blicke nach oben zieht? Schon diese schlichte Erfahrung lehrt uns. Wir sind nicht gemacht für einen horizontal abgeschlossenen Raum. Wir brauchen Höhe. Wir brauchen den offenen Himmel. Wir brauchen Perspektive. Und zwar eine Perspektive, die uns weit über uns selbst hinausführt. Wir brauchen hinter den Wolken den Himmel. Wir gehen in einer Welt, die glaubt sie sei alles und sich und also auch uns so auf die horizontale Wirklichkeit einengt und reduziert ein. Wir brauchen die Vertikale. Wir brauchen eine Weite, die wir eingekerkert in das horizontale System einer Welt ohne Himmel nicht unmittelbar, aber mittelbar schmerzlich vermissen, bis dahin dass dieser Verlust uns krank macht. So wie ein wochenlang verhängter Himmel, der keine Perspektive freigibt. Wer ohne Himmel oder besser ohne die Perspektive auf einen Himmel lebt, wer also jenseits einer metaphysischen Perspektive lebt, erkrankt unweigerlich. Er erstickt. Er tötet sein metaphysisches Gen, das ihn kraft seines Geistes oder seiner Seele mit einer Sehnsucht nach Mehr ausgestattet hat, das er aber mit dem bisschen Welt abzuspeisen versucht und die subkutane, also oft nur mittelbare und unbewußte Erfahrung macht, dass es sich so nicht abspeisen läßt. Es rumort in ihm. Es verschafft sich das und jenes, diese oder jene Bedeutsamkeit, diesen oder jenen Rausch – und nichts genügt. Sagen wir es schlicht. Der Metaphysiker realisiert schlicht und einfach und zwar durch Lebenserfahrun, dass ohne Gott alles nichts ist. Ich brauche den Himmel als die Wirklichkeit, die hinter den Dingen eine Perspektive bereit hält, die jenseits der Absurdität einen Fluchtpunkt darstellt, der Sinn macht und Zukunft verheißt. Einer der Protagonisten der „pittura metafisica“, Carlo Carrà, nannte seinen Stil nicht umsonst „futurismo“. Seines Freundes Fillipo Marinettis provokanten Thesen gewinnen im Blick auf die Himmelfahrt Jesu eine ganz ungewöhnliche Dynamik. In Christus erfüllt sich die Sehnsucht des Menschen die Erde zu durchbrechen auf den Himmel hin, die Physis zu übersteigen auf das Metaphysische, sich nicht mit der Erde zufrieden geben zu müssen, sondern in einem Himmelfahrtskommando die Erde auf den Himmel im Sinne einer hinterliegenden Wirklichkeit aufzubrechen. Er befreit aus jeder Form von Enge und zeigt uns, indem ER das Weite sucht, wo wirklich Weite ist. Von dieser Dynamik erfasst brechen wir aus, wie Carrá zum Ausbruch und zur Dynamisierung unseres Wesens und nicht nur der Malerei seiner Tage aufrief: Wir wollen die Liebe zur Gefahr besingen, die Vertrautheit mit Energie und Verwegenheit. Mut, Kühnheit und Auflehnung werden die Wesenselemente unserer Dichtung sein. Bis heute hat die Literatur die gedankenschwere Unbeweglichkeit, die Ekstase und den Schlaf gepriesen. Wir wollen preisen die angriffslustige Bewegung, die fiebrige Schlaflosigkeit, den Laufschritt, den Salto mortale… Wir erklären, daß sich die Herrlichkeit der Welt um eine neue Schönheit bereichert hat: die Schönheit der Geschwindigkeit. Wir wollen den Mann besingen, der das Steuer hält, dessen Idealachse die Erde durchquert, die selbst auf ihrer Bahn dahinjagt. Wir stehen auf dem äußersten Vorgebirge der Jahrhunderte! … Warum sollten wir zurückblicken, wenn wir die geheimnisvollen Tore des Unmöglichen aufbrechen wollen? Zeit und Raum sind gestern gestorben. Wir leben bereits im Absoluten… CHRISTUS erhebt sich – auferstanden - mit einer nie dagewesenen Geschwindigkeit gen Himmel. Ohne seine Himmelfahrt führen wir zur Hölle. Und das ist: Enge ohne Perspektive. Das Relative ohne das Absolute. Das Bild seiner Himmelfahrt ist viel mehr als eine Abbildung. Es ist die Einführung der metaphysischen Perspektive in eine eindimensionale Tristesse, in der uns die Perspektivlosen zu halten versuchen. Nichts da! Wir träumen nicht – und wenn: ich habe meinen Freud gelesen – und wenn selbst träumend wären wir Realisten, die in dem Material ihrer Träume eine Wirklichkeit anwesen sähen, die wahrzunehmen nur dem Realisten vorbehalten ist. Wer die Wirklichkeit hinter der Wirklichkeit nicht zu ahnen, zu glauben, zu ver-muten oder gar wahrzunehmen in der Lage ist, darf sich schwerlich Realist nennen. Er ist eher ein Utopist. Insofern nämlich, dass ihm kein Ort beschieden ist, auf den hin seine Sehnsucht und also sein Wesen zielte. Unser Leben hat ein Ziel. Über uns ist – ich spreche im Bild – ein Himmel. ER verhalf uns zum Durchbruch, zur Auffahrt, zur Auferstehung aus zu engen Verhältnissen: Kehre dich um, von diesen Höhen Nach der Stadt zurückzusehen. Aus dem hohlen finstern Tor Dringt ein buntes Gewimmel hervor. Jeder sonnt sich heute so gern. Sie feiern die Auferstehung des Herrn, Denn sie sind selber auferstanden Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern, Aus Handwerks- und Gewerbesbanden, Aus dem Druck von Giebeln und Dächern, Aus der Straßen quetschender Enge, Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht Sind sie alle ans Licht gebracht. Ja der Himmel ist weiter als die Kirche ihn lehrt. Sie kommt dem Auferstandenen kaum nah. Wie recht hatte der emeritierte Bischof von Rom, der in diesem Sinne von „Ent-Weltlichung“ sprach. Hätten die Kirchenfunktionäre ihren Rilke gelesen, sie hätten verstanden, warum er im Blick auf den himmelfahrenden Herrn von „Entweltlichung“ sprach: Und sie hatten Ihn in sich erspart und sie wollten, daß er sei und richte, und sie hängten schließlich wie Gewichte (zu verhindern seine Himmelfahrt) an ihn ihrer großen Kathedralen Last und Masse. Und er sollte nur über seine grenzenlosen Zahlen zeigend kreisen und wie eine Uhr Zeichen geben ihrem Tun und Tagwerk. Aber plötzlich kam er ganz in Gang, und die Leute der entsetzten Stadt ließen ihn, vor seiner Stimme bang, weitergehn mit ausgehängtem Schlagwerk und entflohn vor seinem Zifferblatt. Also. Mit IHM der Enge entfliehen. Sich auf den Himmel zubewegen. Das heißt auf jenen Gott, der immer größer ist. Sich nicht – auch und gerade nicht in der Kirche – mit Lächerlichkeiten aufhalten, sondern Himmelfahrtkommandos lostreten. Entgegen dem landläufigen Sinne dieses Wortes, mit dem man aussichtlose Unternehmung belegt, halte ich Himmelfahrtskommandos für eine Investition in die Zukunft, die der Himmel sein wird. Es geht doch bei allem um unsere Zukunft, die nicht ein irgendwie gearteter Himmel, sondern die ER ist, der reine Weite, reine Liebe, reine Barmherzigkeit, reine Zärtlichkeit ist. Der Himmelfahrtstag wehrt denen, die glauben den Himmel veruntreuen zu dürfen oder zu können. Die Essenz Romanes „Der veruntreute Himmel“ und mit der seinen die des heutigen Festes lauten – ich zitiere Werfel: „Der veruntreute Himmel ist der große Fehlbetrag unserer Zeit.“ Man brächte den Menschen um seine Zukunft, veruntreute man den Himmel. Nichts da. Wir alle sind auf IHN hin geschaffen: „Noster enim municipatus in caelis“ „Unsere Heimat ist im Himmel“ (Phil 3,20). Wer die Weite liebt, wer sich nicht einengen lässt, wer die Schrankwand nicht für das Letzte hält, wer sich bei anhaltender äußerer Bedrängnis einen freien und weitschweifenden Geist erhält, wer sich kein Denkverbot überstülpen läßt bohrt Löcher in die enge Schale, die uns umgibt, absolviert Exerzitien für den Himmel, in dessen Weite er sich auf Anhieb zurechtfinden wird. Herzverengung führt zum Tod, aber nicht in den Himmel. Wer seine Seele weitet wird sein Herz entdecken und dabei selbst eine Weitung erfahren, wie die sagenhafte Frau Linek, der Hauptperson des 1938 von Franz Werfel ersonnenen Romans „Der veruntreute Himmel“. Hören Sie eine Inhaltsangabe des gleichnamigen Filmes, der im Oktober 1958 in unsere Kinos kam: Die aus Böhmen stammende österreichische Köchin Teta Linek hat bei ihrer Pilgerfahrt nach Rom den Tod gefunden und wird nun auf dem Friedhof Campo Santo Teutonico beigesetzt. Wie es dazu kam, schildert die Rückblende: Für Teta Linek ist das Leben auf Erden nur eine mehr oder weniger lange Vorbereitung für das ewige Leben im Himmel. Sie setzt alles daran, dass ihr dieser Wunsch einmal erfüllt werde. Als gottgeweihten Mittler für die Ewigkeit hat sie ihren einzigen Neffen Mojmir auserkoren. Nachdem sie ihm eine gute Schulausbildung finanziert hat, zahlt sie auch noch die Kosten für das Priesterseminar und die ständig steigenden Beträge für die persönlichen Bedürfnisse des jungen Mannes. Sie legt dabei keinen Wert darauf, persönlichen Kontakt mit ihm zu halten. Weil sie eigentlich überhaupt keine Liebe für ihn empfindet, gibt sie sich mit einem regen Briefaustausch zufrieden. Um sich den Himmel zu sichern, bezahlt sie seine Rechnungen und begleicht immer wieder seine Schulden. Sie selbst lebt dabei äußerst bescheiden. Viele Jahre vergehen, bis Teta von ihrem Neffen hört, er sei jetzt zum Priester geweiht worden und werde die Pfarrei von Hustopec übernehmen. Nun entschließt sie sich, zu ihm zu ziehen und kündigt ihre Stelle als Haushälterin. Gleich nach ihrer Ankunft merkt sie, dass sie über Jahrzehnte hinweg einem Betrüger auf den Leim gegangen ist. Um ihren Seelenfrieden wieder zu erlangen, nimmt Teta Linek an einer Pilgerfahrt nach Rom teil. Während der Reise freundet sie sich mit dem jungen Kaplan Seydel an und erzählt ihm ihre Lebensgeschichte. Dabei bekennt sie sich dazu, dass ihr berechnendes Handeln eine Sünde war. Die Papstaudienz im Petersdom erfüllt sie mit tiefer Freude. Doch nach dem Niederknien vor dem Heiligen Vater versagen ihr die Kräfte. Sie wird in das Krankenhaus auf der Tiberinsel gebracht, wo sie mit Gott versöhnt stirbt. Das ist „pittura metafisica“!