Expertengutachten über die Sicherheit des Nuklearprojektes Angra 3 *

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Expertengutachten über die Sicherheit des Nuklearprojektes Angra 3 *
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Expertengutachten über die Sicherheit des Nuklearprojektes
Angra 3 *
Célio Bermann**
Professor des Instituts für Elektrotechnik und Energie
Universität von São Paulo
* Studie erstellt im Auftrag der deutschen Nichtregierungsorganisationen Urgewald und
Greenpeace
** Dr. Célio Bermann hat einen PhD-Doktor in Mechanical Engineering und ist
Professor für Post-Graduierten-Studien am Institut für Elektrotechnik und Energie an
der Universität von São Paulo, Brasilien. Er forscht für den Nationalrat für
wissenschaftliche und technologische Entwicklung (CNPq), der dem brasilianischen
Wissenschaftsministerium unterstellt ist. Als Energieexperte hat Dr. Bermann die
Entwicklung der Angra-Atomkraftwerke aus der Nähe verfolgt und über diese sowie
über andere Energieprojekte in Brasilien häufig publiziert.
Übersetzung: Christian Russau
Februar 2012
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Inhaltsverzeichnis
Zusammenfassung
Einführung
1. Standortrisiken bei Angra 3
1.1 Gefahren durch Erdrutsche
A) Die Erdrutsche im Januar 2010 in der Region von Angra dos Reis
B) Die Abbruchanfälligkeit des Erdreichs in Folge massiver Regengüsse und deren
Auswirkungen auf die Straße Rio-Santos in der Region von Angra dos Reis
1.2 Gefährdung durch Erdbeben
1.3 Absicherung
gegen
Meeresbewegungen
Extremklimavorkommnisse
(Tsunamis)
und
andere
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2. Bewertung der aktuellen Evakuierungspläne
A) Das prekäre Alarmsystem
B) Der unzureichende Evakuierungsplan
C) Der schlechte Zustand der zentralen Fluchtrouten und andere Transportprobleme
3. Die Reaktion von brasilianischer Regierung und Eletronuclear nach dem Unfall in
den Atomkraftwerken Fukushima in Japan
A) Die Abwesenheit einer unabhängigen Behörde zur Kontrolle und Überwachung der
Nuklearaktivitäten in Brasilien
4. Zusammenfassung
Literatur
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Zusammenfassung (Abstract)
Das vorliegende Gutachten über die Sicherheit des Nuklearprojektes Angra 3 wurde von
Professor Dr. Célio Bermann vom Institut für Elektrotechnik und Energie der
Universität von São Paulo, Brasilien, erstellt.
Erdrutsche, die in der Region von Angra dos Reis regelmäßig vorkommen, stellen die
größte Gefahr für die Sicherheit des im Bau befindlichen Atomkraftwerks Angra 3 dar.
Diese Probleme werden weder von der Firma Eletronuclear noch von den für die
Sicherheit der brasilianischen Atomanlagen verantwortlichen Behörden mit der
notwendigen Bedeutsamkeit behandelt, wie es solche Katastrophengefährdungen
erfordern.
Darüber hinaus gibt es schwerwiegende Probleme bei der Implementierung der Notfallund Evakuierungspläne. Der von der Firma Eletronuclear vorgesehene Radius von 3-5
Kilometern für Evakuierungen ist zu beschränkt, wie der Unfall vom März 2011 in der
Atomanlage von Fukushima gezeigt hat. Des Weiteren sind die Fluchtrouten in einem
sehr schlechten Zustand, was eine schnelle Evakuierung der lokalen Bevölkerung und
der Angestellten der Firma selbst (zusammen um die 200.000 Menschen in einem
Radius von 20 km) erschwert.
Auch wird bei den Notfallplänen die große Zahl an Touristen, die die Region in den
Ferien der Sommermonate, die gleichzeitig die Regenzeit ist, aufsuchen, nicht
berücksichtigt.
Auch die existierenden Notfallübungen für die Bevölkerung, die im Radius von 3 bis
5km von der Anlage entfernt leben, sind unzulänglich. Die Möglichkeiten zur
Evakuierung dieser Bevölkerung in einem Notfall sind unzureichend. Die Studie belegt
ferner, dass keine angemessenen Bedingungen vorhanden sind, um die zu evakuierende
Bevölkerung sicher unterzubringen, sollte es zu einem Nuklearunfall ähnlich dem in
Fukushima kommen.
Gerade wegen des hohen Risikos von Erdrutschen und der sehr unzulänglichen Notfallund Evakuierungspläne eignet sich Angra dos Reis nicht als Standort für den Bau von
Atomanlagen.
Unter diesen Bedingungen wird der Bau eines dritten Atomkraftwerkes in der Region
von Angra dos Reis die Probleme vervielfältigen und die hier angesprochenen
Gefährdungen unnötigerweise und in unverantwortlichem Maße ausweiten.
Im Hinblick auf die existierenden Probleme hat die Firma Eletronuclear bisher nur
unzureichende Maßnahmen ergriffen, um die besagten Probleme entscheidend zu
mindern oder zu lösen. Eletronuclear kann somit keine angemessenen
Sicherheitsbedingungen für die bestehenden und im Bau befindlichen Atomkraftwerke
in der Region von Angra dos Reis vorweisen.
Der Nuklearunfall von Fukushima wurde von den zuständigen Behörden in Brasilien
heruntergespielt. Die von der Regierung getroffenen Maßnahmen waren ausweichend
und die Pläne zum weiteren Ausbau der Atomkraft wurden nicht geändert.
Brasilien ist nicht abhängig von Atomenergie. Der Anteil der Atomenergie an der
Stromproduktion in Brasilien beträgt nur 1,8 Prozent. Der Zehnjahresplan zum
Energieausbau bis 2020 (MME/EPE, 2011) sagt für die nächsten Jahre ein massives
Wachstum bei Erneuerbaren Energien voraus, dies in einer Größenordnung von jährlich
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12% Zuwachs, vor allem im Bereich der Windenergie, Biomasse (Doppelnutzung auf
Basis der Zuckerrohrbagasse, weiterer landwirtschaftlicher Reste sowie von Biogas)
und der Photovoltaik. Bei diesen drei Energieerzeugungsformen gehört Deutschland
international zu den Technologievorreitern, was viel besser zum Vorteil beider Länder
genutzt werden könnte.
Diese Studie empfiehlt daher abschließend, keine Hermesbürgschaft für den Bau des
Atomkraftwerkes Angra 3 zu genehmigen.
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Einführung
Die Region von Angra dos Reis im Süden des Bundesstaates Rio de Janeiro wurde
wegen einiger standortgebundener Vorteile für den Bau von Atomkraftwerken
ausgewählt. Der wichtigste dabei ist die räumliche Nähe zu den großen
Konsumentenzentren, so dass die Atomkraftwerke die Energie über vergleichsweise
kurze Übertragungswege liefern können. Angra liegt 220 km Luftlinie von São Paulo,
130 km von der Stadt Rio de Janeiro und 350 km von Belo Horizonte entfernt. Das sind
zugleich die größten Verbraucherzentren elektrischer Energie in Brasilien. Die Nähe
zum Meer ist ein weiterer fundamentaler Aspekt, da die AKWs Druckwasserreaktoren
(PWR - Pressurized water reactor) sind und große Mengen an Wasser verbrauchen.
Die Standortentscheidung für Angra dos Reis basierte ausschließlich auf ökonomischen
Kriterien, ohne dass eine vergleichende Sicherheits- und Risikoanalyse alternativer
Standorte durchgeführt worden ist.
Auch wurden keine tiefer gehenden geologischen Studien (neben anderen
geomorphologische oder sedimentsbezogene geologische Untersuchungen) durchgeführt. Solche Studien hätten an das Wissen der indigenen Bevölkerung anknüpfen
können: der Ort, an dem die Atomkraftwerke errichtet wurden, wird von den Indigenen
als ITAORNA bezeichnet, was in der Tupi-Guarani-Sprache FAULE ERDE heißt.
Eine kurze Geschichte der Atomkraft in Brasilien
Das erste Atomkraftwerk Brasiliens (Angra 1) wurde ab 1971 gebaut, dies auf Basis
eines an die nordamerikanische Firma Westinghouse, Tochterfirma von General
Electric, vergebenen Vertrags über ein schlüsselfertiges Atomkraftwerk mit einer
installierten Leistung von 657 MW. Angra 1 wurde im April 1982 an das Stromnetz
angeschlossen und nahm seinen kommerziellen Betrieb im Januar 1985 auf. Die ersten
Betriebsjahre waren gekennzeichnet durch dauernde Betriebsunterbrechungen wegen
technischer Probleme, so dass die Anlage nur zu einem geringen Teil, in der
Größenordnung von 20%, ausgelastet war.
Im Jahre 1975, noch unter der Militärdiktatur, schloss Brasilien mit Deutschland einen
Kooperationsvertrag zur friedlichen Nutzung der Atomkraft ab. Der Vertrag sah den
Bau von weiteren acht Reaktoren im Lande vor: zwei in Angra dos Reis, neben Angra
1, und sechs weitere an der Südküste des Bundesstaates von São Paulo. Selbst während
der Militärdiktatur gelang es der Bevölkerung von São Paulo, den Bau der
Atomkraftwerke zu verhindern, indem genau an der für die AKW vorgesehenen Stellen
ein Naturschutzgebiet ausgewiesen wurde.
So wurde von den geplanten acht Atomkraftwerken nur Angra 2 fertiggestellt, mit einer
Kapazitätsleistung von 1350 MW. Das Projekt wurde durch die deutsche Firma
Siemens-KWU (Kraftwerk Union A.G.) entwickelt. Der im Juni 1976 begonnene Bau
war gekennzeichnet von technischen Problemen und andauernden Zeitverzögerungen.
Erst im Februar 2001 wurde der kommerzielle Betrieb aufgenommen, bei letztlichen
Kosten von circa zehn Milliarden US-Dollar.
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Bild 1: Lage der Atomkraftwerke Angra 1 und Angra 2
Bild 2: Lage der Atomkraftwerke Angra 1 und Angra 2
Als zweites Ergebnis des brasilianisch-deutschen Nuklearvertrages soll nun noch der
Bau des Atomkraftwerkes Angra 3 erfolgen. Technologisch lehnt es sich an Angra 2 an.
Es handelt sich um einen Druckwasserreaktor (PWR), entwickelt durch die SiemensKWU, mit einer Kapazität von 1.350 MW. Baubeginn war im Juni 1984, aber knapp
zwei Jahre später wurde der Bau wieder eingestellt. Bis zu diesem Zeitraum waren 750
Millionen US-Dollar für den Kauf von Ausrüstungsgegenständen ausgegeben worden.
Der Bau wurde im Juni 2010 wieder aufgenommen und während der letzten 24 Jahre
wurden jährlich 20 Millionen US-Dollar für die Lagerung und Wartung des Equipments
ausgegeben.
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Bild 3: Lage des Projektes des Atomkraftwerks Angra 3.
Bild 4: Lage des Projektes des Atomkraftwerks Angra 3.
Nach aktuellen Planungen soll Angra 3 im Dezember 2015 betriebsfertig sein. Bis dahin
sind noch Investitionen von insgesamt 6,5 Milliarden US-Dollar zu tätigen. Die
staatliche Bank für Wirtschaftliche und Soziale Entwicklung BNDES-(Banco Nacional
de Desenvolvimento Econômico e Social), wird für circa 60 % der Kosten (3,8
Milliarden US-Dollar) aufkommen. Ein Bankenkonsortium unter der Leitung der
französischen Bank Société Générale und unter Beteiligung von BNP Paribas, Crédit
Agricole, Santander und CIC soll den Kauf des Equipments von AREVA in Höhe von
1,6 Milliarden US-Dollar finanzieren. Es ist wichtig hervorzuheben, dass der von den
französischen Banken zu erteilende Kredit nur bewilligt werden wird, wenn die
Exportkreditagentur Hermes mit Zustimmung der deutschen Bundesregierung ihre
diesbezügliche Bewilligung erteilt.
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Auch ist es von Bedeutung darauf hinzuweisen, dass die brasilianische Regierung – um
den Kauf des Equipments zu erleichtern – am 30. Dezember 2010 eine Sonderregelung
für die Entwicklung von Nuklearanlagen mit Steuerbefreiung auf Industrieprodukte (IPI
- Imposto sobre Produtos Industrializados) und auf Importe verabschiedet hat. Es
handelt sich dabei um einen Steuereinnahmeverzicht, der das Fiskalgleichgewicht des
brasilianischen Haushaltes bedroht, und dies nur aus dem Grund, um offensichtlich die
Wettbewerbsfähigkeit von Atomanlagen im Vergleich zu anderen, alternativen
Energieträgern zu gewährleisten.
Ökonomisch fragwürdig ist der Betrieb der beiden Atomanlagen Angra 1 und Angra 2
noch aus einem weiteren Grund: die von den Reaktoren Angra 1 und 2 erzeugte
Elektrizität wird von der Staatsfirma Furnas für 84 US-Dollar je Megawattstunde
aufgekauft und von dieser zu einem Betrag von 53 US-Dollar je Megawattstunde an die
Vertriebsfirmen weiterverkauft. Diese Differenz bedeutet für die Staatsfirma einen
jährlichen Verlust von 315 Millionen US-Dollar1.
Die wichtigste ökologische Auflage beim Bau von Angra 3
Die Betriebsgenehmigung für das Atomkraftwerk Angra 3 ist geknüpft an verschiedene
allgemeine Auflagen sowie an 44 spezifische Auflagen, so z.B. an die Auflage, eine
Stätte für die Endlagerung der hochradioaktiven Brennelemente zu finden. Es ist
wichtig darauf hinzuweisen, dass im Fall von Angra 1 und 2 der Atommüll in
Abklingbecken unter freiem Himmel gelagert wird. Die Lagerungskapazitäten in den
Becken von Angra 1 haben bereits jetzt ihr Limit erreicht. In Bezug darauf existiert ein
Projekt, bis zum Jahre 2020 ein externes Becken zu errichten, dessen Kapazität
ausreichend sein soll, um den während der gesamten Laufzeit anfallenden Atommüll
aufzunehmen. Es sind darüber aber keine weiteren Informationen bekannt. 2 Als
Rechtfertigung für diese „Lösung“ wird das Beispiel der Atomanlage Olkiluoto in
Finnland herangezogen. Jedoch ist bekannt, dass der Unfall von Fukushima durch die
Tatsache, dass die abgebrannten Brennelemente außerhalb des Containments gelagert
wurden, verschlimmert wurde.
Die Firma Eletronuclear hat mit der Umweltbehörde Ibama die Ersetzung des Begriffs
„Endlager“ („Depósito Final“) durch ein „Zwischenlager langer Nutzungsdauer“
(„Depósito Intermediário de Longa Duração“) für benutzte Brennstäbe ausgehandelt,
nach dessen neuem Zeitplan nun diese Termine gelten:
-2009: Vorstellung des Vorschlags (Anm.: bisher noch nicht erfolgt)
-2013: Überprüfung des Prototypen
-2014: Projektbeginn
-2017: Standortentscheidung
-2019: Baubeginn
-2026: Betriebsbeginn
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1
Tageszeitung Folha de São Paulo, 30/09/2010.
Siehe hierzu die Ausführungen von Roberto C. A: Travassos, Planungs- und Haushaltsleiter der
Eletronuclear, “Ciclo do combustível nuclear no Brasil: salvaguardas para a operação de centrais
nucleares”, agosto de 2010. Zugänglich unter:
http://www.nipeunicamp.org.br/enumas2010/apresentacoes/Roberto%20Travassos%20-%201908%20Ciclo%20do%20Combustivel.pdf. Zugegriffen am 16.02.2012.
2
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1. Standortspezifische Risiken des Angra 3-Projektes
1.1 Gefährdung durch Erdrutsche an Hanglagen in der Region von Angra
In der Region, in der sich die beiden Atomkraftwerke Angra 1 und 2 befinden, kommt
es in den regenreichen Sommermonaten zwischen November und März regelmäßig zu
schwerwiegenden Erdrutschen. Dies belegen auch wissenschaftliche Studien sehr
anschaulich.3
Im Jahre 1985 kam es infolge starker Regenfälle zu einem Erdrutsch, der das
radioökologische Labor („Laboratório de Radioecologia da Eletronuclear“) auf dem
Betriebsgelände unter sich begrub und beinahe den Wasserabfluss des Kühlsystems von
Angra 1 unterbrach.
Bild 5: Lage der Atomkraftwerke nahe der Hanglagen.
Bild 6: Lage der Atomkraftwerke nahe der Hanglagen.
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3
Siehe Soares, E. P. Caraterização da precipitação na região Angra dos Reis e a sua relação com
a ocorrência de deslizamentos de encostas. Dissertação de Mestrado. Rio de Janeiro: PEC/COPPE/UFRJ,
2006. Zugänglich unter: http://www.coc.ufrj.br/. Zugegriffen am 10.02.2012.
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Bild 7: Lage der Atomkraftwerke an den Hanglagen der Serra do Mar in der Region
von Angra dos Reis.
Im Jahr 2002 kam es zu Erdrutschen und Überschwemmungen, die die Stadt Angra dos
Reis trafen und an die 30 Todesopfer forderten.
Im Jahre 2010 kam es zur größten je in der Stadt von Angra dos Reis registrierten
Naturkatastrophe, als infolge starker und langanhaltender Regengüsse 55 Einwohner
wegen Bergrutschen ihr Leben ließen4.
A) Erdrutsche im Januar 2010 in der Region von Angra dos Reis
Die folgenden Bilder veranschaulichen sehr deutlich Form und Ausmaß der Erdrutsche
in der Umgebung von Angra dos Reis: an den Hanglagen, an den Hauptzufahrtstraßen
zur Stadt von Angra dos Reis sowie an der Straße von Rio nach Santos, die die
Hauptverkehrsader der Region ist.
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4
Für internationale Betroffenheit sorgten auch die Erdrutsche im Hinterland des Bundeslandes Rio de
Janeiro 2011, bei denen fast 1000 Menschen ums Leben kamen. Nach UN-Angaben gehört diese
Katastrophe in einer Entfernung von ca. 200 km von Angra zu den 10 schlimmsten weltweit registrierten
Erdrutschen. Nach wissenschaftlichen Einschätzungen sind aber nicht nur die Regenfälle der Grund für
derartige Katastrophen, sondern auch fehlende urbane Planungen und Kontrollen von Risikostandorten.
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Bild 8: Erdrutsch am Morro da Carioca im Stadtzentrum von Angra dos Reis
Quelle: Photo von Roosewelt Pinheiro/Agência Brasil; 02/01/2010.
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Bild 9: Erdrutsch an den Hängen in der Region von Angra dos Reis
Quelle: Photo von AP-Associated Press; 02/01/2010.
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Bild 10: Rettungseinheiten am Morro da Carioca in Angra dos Reis
Quelle: Photo von Roosewelt Pinheiro/Agência Brasil; 02/01/2010.
Bild 11: Versperrte Zugangsstraße zum Zentrum von Angra dos Reis.
Quelle: Photo von Danielle Viana/AE-Agência Estado; 01/01/2010.
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Bild 12: Chaos auf der Zufahrtsstraße nach Erdrutschen in der Region von
Angra dos Reis.
Quelle: Photo von Jadson Marques/AE-Agência Estado; 01/01/2010.
B) Die Abbruchanfälligkeit des Erdreichs nach Regengüssen und die
Auswirkungen auf die Straße von Rio nach Santos in der Region Angra dos Reis
Bild 13: Erdrutsch reisst Fahrbahn der Straße Rio-Santos in der Region von Angra dos
Reis in die Tiefe.
Quelle: Photo von Manoel Francisco de Oliveira/O GLOBO; 10/05/2011.
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Bild 14: Erdrutsch mit Felsbrocken blockiert die Straße von Rio nach Santos auf der
Höhe von Conceição do Jacareí in der Region von Angra dos Reis.
Quelle: Photo von Roberto Bonfim, verfügbar unter http://oglobo.globo.com/transito/deslizamento-depedras-interdita-trecho-da-rodovia-rio-santos-3024814
Wegen der schweren Auswirkungen der starken Regenfälle, die die Stadt Angra dos
Reis Anfang Januar 2010 (Unpassierbarkeit der Bundesstraße BR 101 infolge von
Erdrutschen) erleiden musste, bat der Bürgermeister der Stadt, Tuca Jordão, die Firma
Eletronuclear den Betrieb der beiden Atomkraftwerke Angra 1 und 2 temporär
einzustellen.5
Als Antwort schickte der Präsident der Betreiberfirma Eletronuclear, Othon Luiz
Pinheiro da Silva, eine Pressemitteilung und teilte mit, dass er den Nuklearkomplex
nicht wie vom Bürgermeister gewünscht abschalten werde, weil es „dazu einer realen
technischen Notwendigkeit“ bedürfe und die Anlagen abzuschalten „ein Akt
unverantwortlichen Managements“ wäre.
Hier zeigt sich, dass die Firma Eletronuclear nicht verantwortlich auf die starken
Regenfälle und Erdrutsche in der Region Angra dos Reis reagiert hat. Sie stellte
technische und ökonomische Fragen den Sicherheitsbelangen der Bevölkerung aus dem
Umfeld der Atomanlagen voran.
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Laut einer Reportage der BBC vom 03/01/2010 unter dem Titel “Brazil landslides 'may close
nuclear plants'”, the Mayor Mr Jordao said that with roads blocked there was no way to quickly evacuate
the city's inhabitants in case of a catastrophe at the nuclear plants. There are no operational problems at
Angra I and Angra II... but if landslides persist in the hills, we'll need to shut them down," said Mr
Jordao. "We don't want any risk. We want to avoid a future problem.". Zugänglich unter:
http://news.bbc.co.uk/2/hi/americas/8438842.stm
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Stromversorgungsprobleme bei Hangrutschen
Das Hauptproblem für die Atomkraftwerke bei Hangrutschen besteht in möglichen
Schäden an den Strommasten, die für den Transport der elektrischen Energie zuständig
sind. Sie versorgen die Wasserpumpen mit Strom, die den Reaktor kühlen.
Ende März 2011 legte die Firma Eletronuclear einen Plan zur Errichtung eines kleinen
Wasserkraftwerkes zur Notfallversorgung der Atomkraftwerke von Angra dos Reis vor.
Eine andere Maßnahme, um die Sicherheit der Anlagen zu erhöhen, sei der Bau einer
elektrischen Stromübertragungsleitung ausschließlich für die Atomkraftwerke. Die von
dem Wasserkraftwerk zu produzierende Energie solle die Atomkraftwerke mit Notstrom
versorgen, wenn die normale Stromversorgung ausfiele. Gegenwärtig sollen 12
dieselbetriebene Generatoren die Kühlwasserpumpen von Angra 1 und 2 in
Notsituationen mit Strom versorgen.
Jedoch wird der Bau eines kleinen Wasserkraftwerkes in der Nähe der Atomkraftwerke
das Sicherheitsproblem nicht lösen. Die Masten der Stromleitungen, die von diesem
Wasserkraftwerk kämen, könnten ebenfalls durch Erdrutsche an den Hängen beschädigt
werden.
Die Firma kündigte zudem an, dass sie eine externe Consultingfirma beauftragen
werde, die in der Nähe der drei Anlagen in Angra dos Reis gelegenen Hänge erneut zu
überprüfen. Durch ihre Lage in der Nähe von Hängen besteht die Gefahr, dass
Erdrutsche die Hilfsinfrastruktur, wie beispielsweise die Atommülllagerstätten,
beschädigen könnten 6. Eine externe Consultingfirma unter Vertrag zu nehmen, ist
jedoch keine Lösung, um die Gefahr von Erdrutschen zu reduzieren, wie hier gezeigt
und analysiert wurde.
1.2 Gefährdung durch Erdbeben
Ein von der Firma Eletronuclear erstelltes Dokument über die bei den Atomkraftwerken
Anga 1, Angra 2 und Angra 3 getroffenen Sicherheitskriterien (“Critérios de segurança
adotados para as usinas nucleares Angra 1, Angra 2 e Angra 3“ vom 10/05/2011)
besagt, dass die Atomkraftwerke von Angra in einer Region mit sehr geringer
Erdbebenwahrscheinlichkeit errichtet wurden. Für diesen Standort seien die
Atomkraftwerke ausreichend ausgelegt, um Erdbeben zu widerstehen. Das Dokument
verweist darauf, dass „diverse Systeme das sichere Herunterfahren der Reaktoren nach
jedwedem Erdstoß garantieren, der die im Rahmen der Planung in Betracht gezogenen
Werte erreicht” (S.9).
Das Dokument führt weiter aus, dass „dieses Projekt auf internationalen
Sicherheitsnormen fußt, die eine Horizontalbeschleunigung des Gesteins von 0.10 g
(Erdschwerebeschleunigung 10 m/s2) in Betracht ziehen. Fachleute der Päpstlichen
Katholischen Universität zu Rio, PUC/RJ, sowie des Instituts für Astronomie und
Geophysik der Universität von São Paulo USP (IAG/USP), schätzen die
Wahrscheinlichkeit, dass ein Erdstoß dieser Größenordnung in der Nähe des
Atomkomplexes vorkommt, als extrem niedrig ein, als bei Eins zu 50.000 Jahren” (S.9).
Das entsprechende Dokument weist ferner darauf hin, dass ein “Erdstoß der Stärke 5 im
Umkreis von weniger als 12 Kilometern nötig sei, um Schädigungen hervorzurufen;
oder es zu einem Erdbeben der Stärke 6 im Umkreis von weniger als 37 km von der
Atomanlage” kommen müsse (S.10).
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6
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Tageszeitung Folha de São Paulo, 29/03/2011.
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Das stärkste in den letzten Jahrzehnten in der südöstlichen Region von Brasilien
registrierte Erdbeben ereignete sich am 22. April 2008 und erreichte einen Wert von 5,2
auf der Richterskala. Es hatte sein Epizentrum im Atlantischen Ozean, 215 Kilometer
vor der Stadt São Vicente, an der Küste von São Paulo und 315 Kilometer vom
Atomkomplex Central Nuclear Almirante Álvaro Alberto (CNAAA) entfernt.
Zusammenfassend stellt jedoch selbst die Umweltverträglichkeitsstudie des
Atomkraftwerkes Angra 3 klar, dass die gegenwärtig zur Verfügung stehenden Daten
„unzureichend sind, um die Zonen zu definieren, in denen Erdbeben ausgelöst werden,
oder um die seismotektonischen Zonen zu bestimmen, die für eine seismische
Parametermessung herangezogen werden könnten, um zu einer Bewertung der
Gefährdung in der Region zu gelangen“ (Berrocal et al., 1996)7.
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Angesichts der schwachen Datenlage zugänglicher Informationen sollte die Möglichkeit
eines Erdstoßes über die im Baudesign vorgesehene Stärke hinaus in die Planungen
einbezogen werden.
1.3 Absicherung
gegen
Meeresbewegungen
Extremklimavorkommnisse
(Tsunamis)
und
andere
Obschon die Gefahr von Tsunamis im Pazifischen Ozean viel ausgeprägter ist, kommen
sie auch im Atlantischen Ozean vor. Tatsächlich wurde eine der ersten europäischen
Siedlungen in Brasilien, in São Vicente, im Jahre 1541 durch einen Tsunami zerstört.
Der schwerste jemals im Atlantischen Ozean gemessene Tsunami ereignete sich 1755
und wurde durch ein schweres Erdbeben vor der Küste Portugals ausgelöst. Laut einer
Studie von Barkan et al. (2009) „haben die großen durch das Erdbeben ausgelösten
Tsunamiwellen an den östlichen kleinen Antillen, nördlich bis nach Neufundland,
Kanada, und südlich bis nach Brasilien Schäden angerichtet“.8 Auch wenn von 1775
keine größeren Schäden in Brasilien überliefert sind, zeigt dieses Beispiel doch, dass
selbst weit entfernte seismische Ereignisse die brasilianische Küste betreffen können.
Obwohl Tsunamis im Atlantischen Ozean selten vorkommen, haben Gruppen von
Meeresgeologen,
Geophysiker,
Geotechnikingenieure
und
HydrodynamikModellentwickler damit begonnen, Tsunami-Quellen, die potentiell Einfluss auf die USamerikanische Atlantikküste haben könnten, zu untersuchen. Sie tun dies im Rahmen
eines von der U.S. Nuclear Regulatory Commission finanzierten Projektes. Ihre Arbeit
weist darauf hin, dass Tsunamis nicht nur durch Meeresbeben, sondern auch durch
Unterwassererdrutsche ausgelöst werden können.
Der entsprechenden Studie zufolge können „Erdrutsche, die unter Wasser geschehen
oder Auswirkungen auf das Wasser haben, Tsunamis auslösen. Massive Erdrutsche
können auch Megatsunamis auslösen, die normalerweise hunderte Meter hoch sind“.9
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7
Daten entnommen von http://www.eletronuclear.gov.br/hotsites/eia/v02_06_diagnostico.html
(ponto 6.2.2.)
8
Siehe Barkan et al. “Far Field tsunami simulations of the 1755 Lisbon earthquake: Implications
for Tsunami hazard to the U. S. East coast and Caribbean”. International Journal of Marine Geology,
August 2009.
9
Siehe Brink, U. “Tsunami hazard along the U. S. Atlantic coast”. International Journal of
Marine Geology, March 2009.
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Dies trifft vor allem auf Orte wie Buchten zu: 1958 löste ein Erdrutsch in der Bucht von
Lituya Bay in Alaska einen Tsunami mit einer Wellenhöhe von über 500 Metern aus.
Da bislang keine vergleichbaren Studien in Brasilien durchgeführt wurden, ist es
schwierig, die potentiellen Risiken eines die Atomanlagen von Angra treffenden
Tsunamis zu bewerten.
Electronuclear hat letztlich seine Bereitschaft erklärt, eine externe Consultingfirma
heranzuziehen, um das Tsunami-Risiko zu überprüfen. Es ist jedoch unklar, was die
Bandbreite der Studie sein wird und welchen Einfluss sie überhaupt haben könnte,
angesichts des Unwillens des Betreibers, den Bau von Angra 3 zu verzögern.
Was
Electronuclear
bislang
komplett
ignoriert
hat,
sind
mögliche
Extremklimavorkommnisse, die Auswirkungen auf die Angra-Bauten haben könnten.
Gerade in diesem Punkt macht die Studie des Betreibers Eletronuclear keinerlei
Aussagen über extreme Vorkommnisse, die sich infolge des globalen Klimawandels
bereits in verschiedenen Regionen Brasiliens ereignen.
Im Jahr 2004 etwa traf ein tropischer Zyklonsturm die Küste des im Süden des Landes
gelegenen Bundesstaates Santa Catarina. Zudem existiert eine Tendenz
zu
Vorkommnissen vergleichbaren Ausmaßes in anderen Gegenden der Küste Brasiliens,
wie beispielsweise an der Südküste des Bundesstaates von Rio de Janeiro.
Tatsächlich wurde diese Tendenz in den Erhebungen des jüngsten IPCC-Berichts
(2007) berücksichtigt, in dem von einer Ausweitung der Dauer und Intensität der
Stürme und Unwetter ausgegangen wird. Der Bericht sieht dies in enger Korrelation mit
den Temperaturschwankungen der Oberflächengewässer tropischer Gegenden. In diesen
Erhebungen wurden extreme Klimaereignisse (Zyklon- oder Taifunstürme) in
Gegenden, in denen dergleichen nie zuvor gesehen wurde, nachgewiesen. Laut IPCC
(2007), das sich dabei auf diverse Vorhersagemodelle stützte, existiert eine mehr als
66%ige
Wahrscheinlichkeit,
dass
der
anhaltende
Anstieg
der
Oberflächengewässertemperatur in den Ozeanen dazu führt, dass es mehr tropische
Zyklonstürme, mit höheren Windgeschwindigkeiten und deutlich größeren Regenfällen
je Quadratmeter geben wird.10
Die Küstenregion im Süden des Bundesstaates von Rio de Janeiro ist bekannt für seine
regelmäßig in den Sommermonaten (während der Monate November bis März)
auftretenden Überschwemmungen und Wetterextreme. Diese Tendenz wird sich infolge
des globalen Klimawandels noch verstärken.
2. Bewertung der aktuellen Evakuierungspläne
Die Region, in der sich die Atomkraftwerke Angra 1 und Angra 2 befinden, verfügt
über einen Lokalen Notfallplan („Plano de Emergência Local – PEL“). Dessen Ziel ist
es, in jedweder radiologischer Notfallsituation bei Angra 1 und/oder Angra 2 die
Gesundheit und Sicherheit der Werksarbeiter wie der allgemeinen Öffentlichkeit, die
sich auf dem Gelände befindet, zu schützen und zu garantieren. Der PEL umfasst das
gesamte Gelände des Nuklearkomplexes, das Wohnviertel Vila Residencial de Praia
Brava sowie die Region von Piraquara de Fora. Die Firma Eletronuclear verfügt über
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10
Siehe hierzu IPCC (2007). Siehe auch Woodworth & Blackman (2004); Emanuel et al. (2004),
Woth et al. (2006).
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keine Informationen zur Anzahl der Angestellten und Anwohner, die in der „PEL“Zone leben, aber Schätzungen zufolge leben ungefähr 250 Personen in einem Radius
von 3 km um die Atomanlagen herum.
Für die weiteren in der Nähe der Anlage befindlichen Gebiete, die nicht Gegenstand der
Maßnahmen des PEL sind, hat die Firma Eletronuclear einen externen Notfallplan
(„Plano de Emergência Externo – PEE/RJ)“ erstellt. Im PEE/RJ werden spezifisch
einzuleitende Maßnahmen für die Zonen mit Notfallplänen („Zonas de Planejamento de
Emergência – ZPE“) festgelegt. Diese Zonen sind die den Atomanlagen CNAAA
benachbarten Gegenden, die sich in Kreisabständen von 3 km, 5 km, 10 km und 15 km,
jeweils gemessen vom Gebäude des Reaktors von Angra 1 befinden. Diese Zonen
werden ZPE-3, ZPE-5, ZPE-10 und ZPE-15 genannt:
Bild 15: Zonen um die Atomkraftwerke von Angra mit Notfallplänen.
Laut Auskunft von Eletronuclear „wurde dieser Plan der Nationalen
Nuklearenergiekommission Comissão Nacional de Energia Nuclear (Cnen) vorgelegt,
die für die Genehmigung der in Brasilien befindlichen Nuklearanlagen zuständig ist und
die von den Organen des Zivilschutzes („Defesa Civil“) koordiniert wird”.
Die Pläne sehen nur den Schutz der Bevölkerung vor, die in einem Radius von bis zu 5
Kilometern von den Atomkraftwerken leben. Diese Region verfügt über 8 Sirenen, die
sich im Umkreis von 5 Kilometern befinden, aufgestellt, so wie auf den Bildern 16 und
17 gezeigt wird:
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Bild 16: Lage der 6 Sirenen in der Region des Umkreises von bis zu 5 km.
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Bild 17: Lage der 2 weiteren Sirenen in der Region des Umkreises von bis zu 5 km .
A) Das prekäre Alarmsystem
Das Warnsystem wird an jedem 10. eines Monats um 10 Uhr morgens einem Testlauf
unterzogen, dies als Sicherheitsmaßnahme für die Anwohner im Umfeld der acht
Sirenen.
Jedoch zeigen diverse Situationen, dass die im Umkreis von 5 Kilometern der Anlagen
lebende Bevölkerung nicht auf Notfallsituationen vorbereitet ist, wie vor einigen Jahren
geschah, als während eines Unwetters ein Blitzeinschlag eine Sirene in der Gemeinde
Frade traf und den Alarm auslöste.
Laut der Aussage von Frau Elizabete Moreira Rodrigues, 41 Jahre alt, “glaubten die
Bewohner, dass es ernst war. Alle haben alles Stehen und Liegen gelassen, sind auf die
Straße gerannt, es kamen sogar Leute nur mit einem Handtuch bekleidet. Es gab keine
Soforthilfe, aber die Leute haben es per Auto und LKW bis Angra dos Reis geschafft.
!
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Bringt es dort einen weiter? Wenn so ein Unfall passiert, ich glaube, alle würden
sterben.”11
Im Jahr 1988 fiel die elektrische Stromversorgung in der Atomanlage aus und die Sirene
gab außerhalb der Testzeiten Alarm. Laut Aussage von Evandro Vieira, 41 Jahre alt und
Präsident der Anwohnervereinigung von Frade, „war das ein Chaos, die Leute sind in
Schlafanzügen auf die Straße gerannt, ohne zu wissen wohin. Ich glaube nicht, dass sich
seither viel geändert hat.”12
Es gibt zwei Arten von Übungen des Notfallplanes für die Atomanlagen von Angra dos
Reis: in geraden Jahren werden Teilübungen durchgeführt, in ungeraden Jahren die
vollständigen Übungen vollzogen. Die letzte vollständige Übung wurde am 31. August
und 1. September 2011 durchgeführt.
Schätzungen gehen davon aus, dass im Umkreis von 5 Kilometern von der Atomanlage
ca. 15.000 Menschen wohnen. Trotzdem nähmen, so der Senator Lindbergh Farias (PTRJ) „maximal 300 Personen aktiv an den Notfallübungen teil. Die Bevölkerung ist nicht
gut informiert.“13!
!
B) Der eingeschränkte Evakuierungsplan
Der Evakuierungsplan14 sieht in Extremsituationen vor, dass zunächst die im Umkreis
von 3 Kilometern von der Anlage lebende Bevölkerung (geschätzte 250 Personen)
evakuiert wird und dann anschließend die Bevölkerung, die im Umkreis von 5 km lebt,
(geschätzte 15.000 Personen).
Es ist Aufgabe der im Inneren der Atomanlagen anwesenden Inspektoren der
Atomaufsichtsbehörde CNEN einen nicht gewöhnlichen Vorfall anzuzeigen und damit
den im Notfallplan festgelegten Prozess in Gang zu setzen. Dieses Vorgehen ist nicht
mehr ratsam aus zwei Gründen. Der erste Grund liegt darin, dass die CNEN eine
Doppelrolle ausübt, sowohl Förderer als auch Kontrolleur von Nuklearaktivitäten zu
sein. Die Inspektion der Vorgänge im Innern der Atomanlagen sollten durch eine
autonome Instanz durchgeführt werden (siehe hierzu auch Kapitel 3, Abschnitt A dieser
Studie). Hier sollte man auch Lehren aus Fukushima ziehen, wo die japanischen
Behörden um jeden Preis versuchten, Natur und Ausmaß der Schädigungen in den vier
Reaktoren der Anlage herunterzuspielen und zu verschleiern.
Ähnliche Erfahrungen gibt es auch in Brasilien: wenn es in der Vergangenheit zu
Problemen beim Betrieb der Anlagen von Angra 1 und Angra 2 kam, hat Eletronuclear
die Probleme oftmals erst dann öffentlich eingestanden, nachdem das Bürgermeisteramt
der Kommune von Angra dos Reis oder Umweltschutzgruppen der Region die Presse
kontaktiert hatten, um die Vorkommnisse öffentlich anzuzeigen und ihre Besorgnis zum
Ausdruck zu bringen. Diese Situation ereignete sich z.B. im Jahre 2001, als radioaktives
Wasser aus der Anlage von Angra 1 ausgelaufen war.
!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
11
Nachrichtenagentur Agência BBC Brasil, 26/04/2011.
Tageszeitung O Estado de São Paulo, 27/04/2011.
13
Tageszeitung Estado de São Paulo, 27/04/2011.
14
Laut Informationen des Coronel Saul Zardo Filho (Ministerium für Wissenschaft und Technologie),
des Tenente Coronel Jerri A. Pires (Feuerwehrmann des Bundesstaates von Rio de Janeiro) und des Tenente
Coronel Roberto Sobral (Zivilschutz des Bundesstaates von Rio de Janeiro ), zugänglich auf der Webseite:
http://www.eletronuclear.gov.br/seguranca/perguntas.php
12
!
!
C) Die schlechte Zustand der Fluchtwege und die mangelhaften Transportmöglichkeiten
Die einzige Fluchtroute, um im Notfall die Bevölkerung zu evakuieren, ist die
Bundesstraße Rio-Santos (BR-101). Laut der Bürgermeisteramt von Angra dos Reis
weisen allein die 90 Kilometer, die die Kommune durchschneiden, 18 Punkte auf, die
ein hohes Risiko an Erdrutschen aufweisen. Es ist allgemein bekannt, dass es bei Regen
auf der Straße Rio-Santos regelmäßig zu erdrutschbedingten Blockaden kommt, und
selbst an normalen Tagen gibt es Staus bei der Zufahrt zur Stadt von Angra dos Reis.
Bild 18 zeigt die einzige Fluchtroute im Falle einer Notsituation, die Straße Rio-Santos
(BR-101):
Bild 18: Die Straße Rio-Santos (BR-101) und die Region der Anlagen von Angra dos
Reis
Laut Eletronuclear soll die zu evakuierende Bevölkerung durch Busse von vorher
lizenzierten Firmen sowie durch betriebseigene Busse abtransportiert werden. Es wird
darauf hingewiesen, dass diese Busse „im Voraus bereitgestellt werden, bevor es zu
irgendeinem Austritt von radioaktivem Material kommt“. Nichts wird gesagt darüber,
wie diese Busse im Voraus bereitgestellt werden, bevor es zum Austritt von
radioaktivem Material kommt. Je nach Art des Unfalls kann die radioaktive Wolke sich
vom Reaktor der Anlage im Umkreis von 5 Kilometern relativ schnell ausbreiten, was
eine dauerhafte Bereitstellung der Busse notwendig machen würde. Dies geschieht
jedoch nicht.!
Des Weiteren, so die Aussage des Präsidenten der Busfahrergewerkschaft nach den
jüngsten Evakuierungsübungen im September 2011, Herr Marcelo Barbosa, sind die
Fahrer der Region nicht darauf vorbereitet, an einer Evakuierung teilzunehmen, da sie
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an keinen speziellen Schulungen teilgenommen oder einen finanziellen Anreiz erhalten
hätten, durchgängig in Einsatzbereitschaft zu sein.15
Die Sammelplätze, wo sich im Falle eines Unfalls die Bevölkerung einzufinden hat,
sind von vorneherein festgelegt und durch entsprechende Beschilderung entlang der
Straße Rio-Santos ausgewiesen.
Ende 2010 kündigte das Verkehrsministerium („Ministério dos Transportes“) die
Verdoppelung der Fahrspuren der Straße Rio-Santos zwischen den Städten Itacuruçá
und Paraty im Rahmen des zweiten Wachstumsbeschleunigungsprogramms der
Regierung, PAC 2, an. Die Strecke von einer Länge von 160 Kilometern geht an den
Atomanlagen vorbei bis zur Hauptstadt des Bundesstaates Rio de Janeiro. Die
Bauarbeiten sollten im Verlauf des Jahres 2011 ausgeschrieben werden (Anmerkung:
bis heute ist nichts diesbezüglich geschehen!) und ca.18 Monate dauern.
Diese Arbeiten jedoch, sollten sie eines Tages begonnen werden, werden mehr Zeit als
bisher veranschlagt in Anspruch nehmen. So wurde zum Beispiel im Dezember 2010
die Verdoppelung der Fahrspuren der 26 Kilometer langen Strecke zwischen Itacuruçá
und Santa Cruz eingeweiht. Die 26 km nahmen vier Jahren Bauzeit in Anspruch und
kosteten 245 Millionen Reais (umgerechnet in etwa 106 Millionen Euro).
Zur Zeit kündigt Eletronuclear an, alternative Fluchtwege zur Straße für den
Evakuierungsplan zu sondieren. So gibt es die Idee, vier Piers (Mambucaba, Praia
Vermelha, Praia Brava und Frade) zu bauen, um Teile der Bevölkerung mittels Schiffen
evakuieren zu können. Alternativ wird über den Bau von vier Sportplätzen innerhalb der
Notfallplanungszone nachgedacht, die als Hubschrauberlandeplätze fungieren könnten.
Es liegt auch der Vorschlag vor, den Flugplatz von Angra, der nur für Kleinflugzeuge
ausgelegt ist, zu erweitern und zum Flughafen auszubauen. Diese Lösungen sind jedoch
derzeit nur Pläne und können das Evakuierungsproblem nicht lösen, da angemessene
Bedingungen für eine Evakuierung einzig durch den Bau weiterer Straßen, die
Absicherung derselben und die Verdoppelung der Fahrspuren der Straße Rio-Santos auf
der Strecke von Rio de Janeiro bis zur Stadt Paraty erreicht werden kann.
Die prekären Bedingungen reichen bis hin zur Frage der Unterbringung der evakuierten
Bevölkerung. Eletronuclear weist darauf hin, dass die Kommune und das Bundesland
bestimmte Schulen zur Verfügung stellen würden, um die Bevölkerung aufzunehmen.
Für die Inselbewohner ist als Notunterkunft die Marineschule in der Stadt von Angra
dos Reis vorgesehen. Es wird nichts über die Ausstattung der Unterkunft berichtet
(Anzahl der Betten, hygienische Bedingungen oder die Verpflegung der evakuierten
Bevölkerung mit Lebensmitteln).
Letztlich, um diese Bewertung abzuschließen, ist es notwendig darauf hinzuweisen,
dass der Notfallplan nicht die Evakuierung der Bevölkerung im Umkreis von 10 bis
15 Kilometer der Atomanlage (ZPE-10 und ZPE-15) in Betracht zieht. Innerhalb
der Zone ZPE-15 befindet sich das Stadtgebiet von Angra dos Reis mit einer
Bevölkerung von 170.000 Einwohnern16. Auch bleibt unberücksichtigt, dass die Region
alljährlich von vielen Touristen besucht wird, die sich besonders in den regenreichen
und überschwemmungsanfälligen Sommermonaten in der Gegend aufhalten.
Laut Eletronuclear zieht der Notfallplan die Hypothese einer radioaktiven Wolke, die
die Städte Angra dos Reis oder die Stadt von Rio de Janeiro bedecken könnte, mit dem
Argument nicht in Betracht, dass ‘wissenschaftlichen Studien’ diese Möglichkeiten
!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
15
16
!
Quelle: htttp://costazulfm.com.br/novosite/noticias.asp?vNoticia=4081
Siehe IBGE, Censo Demográfico, 2010.
!
nicht zulassen, wie Coronel Saul Zardo Filho vom Ministerium für Wissenschaft und
Technologie verlautbaren ließ.17
Eletronuclear jedoch erstattet keine weiteren Auskünfte über Art und Weise dieser
besagten 'wissenschaftlichen Studien', ein Umstand, der an die Vertrauenswürdigkeit
dieser Aussage starke Zweifel aufkommen lässt.
Bild 19 zeigt die Lage der Stadt von Angra dos Reis sowie die der weiteren urbanen
Gegenden der Region und die unzähligen Inseln in der Bucht von Ilha Grande und setzt
diese in Bezug zur Lage der Atomkraftwerke und zeigt dergestalt die Unzulänglichkeit
und Beschränkheit des gegenwärtig von Eletronuclear festgelegten Evakuierungsradius
bei bis zu 5 Kilometern Entfernung.
!
Bild 19: Lage der Atomkraftwerke (A) und die Nähe zu urbanen Gegenden und den
Inseln in der Region von Angra dos Reis
Wie unzureichend der Evakuierungsplan ist, wird noch augenscheinlicher, wenn wir uns
an den Unfall in den Atomkraftwerken von Fukushima in Japan vom 11. März 2011
erinnern. Dies bewog die japanischen Behörden dazu, den Evakuierungsplan einen Tag,
nachdem dort erstmals radioaktive Materialien ausgetreten waren, von den anfangs
geplanten 3 Kilometern auf 10 Kilometer im Umkreis der Atomanlagen auszuweiten.
Am selben Tag, nach der Explosion der Gase, die hochkonzentrierte Mengen an
Wasserstoff aufwiesen und sich im Inneren des Schutzmantels eines der Reaktoren von
Fukushima angesammelt hatten, wurde der Evakuierungsradius auf 20 Kilometer
ausgedehnt, und nach erneuter Explosion in der Einheit 2 am 15. März wurde der
Bevölkerung im Umkreis von 20 bis 30 Kilometern Entfernung von der Atomanlage
!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
17
!
Siehe http://www.eletronuclear.gov.br./seguranca/perguntas.php
!
empfohlen, ihre Häuser nicht zu verlassen und sich einer freiwilligen Evakuierung zu
unterziehen18.
Die US-amerikanische Regierung kritisierte damals die Entscheidung der japanischen
Regierung, den Evakuierungsradius auf 20 Kilometer zu beschränken, scharf. Sie
empfahl den im Umkreis von bis zu 80 Kilometern von den Anlagen von Fukushima
lebenden amerikanischen Staatsbürgern, ihre Wohnungen und Häuser zu verlassen und
Zuflucht in entfernteren Gegenden zu suchen.
Die Vertretung von Greenpeace in Japan nahm eigene Strahlenmessungen vor Ort vor
und stellte in den Tagen nach dem Unfall in einer Entfernung von 40 Kilometern von
Fukushima Messwerte in Höhe von über 10 Mikrosievert fest.
Grafik 1 zeigt die in der Region von Angra geschätzte Bevölkerungszahl für den
jeweiligen Umkreisradius (3-5-15-20 km), die im Notfallplan der Firma Eletronuclear
berücksichtigt werden müsste:
No Habitantes
250.000
200.000
200.000
170.000
150.000
100.000
50.000
250
0
0
15.000
35
10
Raio (Km)
15
20
Grafik 1: Bevölkerung der Region von Angra dos Reis in Bezug auf die Umkreisradien
Quelle: Eigene Erarbeitung.
An dieser Grafik zeigt sich die Unzulänglichkeit des gegenwärtigen Notfallplanes der
Firma Eletronuclear sehr deutlich: rund 185.000 Bewohner, die in der Region von
Angra dos Reis im Umkreis von 20 Kilometern leben, werden in den Notfallplanungen
nicht mit einbezogen (Touristen nicht eingerechnet).
Die bloße Ausweitung des Evakuierungsplanes auf 15 oder 20 Kilometer wird
gleichwohl die Sicherheitsbedingungen für die Bevölkerung im Falle eines schweren
Atomunfalls nicht erhöhen. Beschränkungen und Probleme wie schlechte Fluchtwege
etc. bleiben weiter bestehen.
!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
18
Siehe IAEA. Mission Report–Fukushima Dai-Ichi NPP accident following the great east Japan
earthquake and tsunami. Division of nuclear installation safety/Department of nuclear safety and security.
Japan, 24 May-2 June 2011, S.127-135.
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3. Die Reaktion der brasilianischen Regierung und des Atombetreibers
Eletronuclear auf die Havarie im japanischen Atomkraftwerk Fukushima
Fünf Tage nach dem Nuklearunfall in Fukushima nannte der Minister für Wissenschaft
und Technologie, Aloizio Mercadante, dies einen "Vorfall“, der die Gelegenheit biete,
eine Revision der Sicherheitspolitik in den brasilianischen Anlagen vorzunehmen.
„Aber nichts [diesbezügliches] wird gleich heute gemacht“, so der Minister19.
Seither hat sich wenig geändert: Brasilien hat noch immer keinen Notfallplan zur
Räumung der Stadt Angra dos Reis, sollte sich ein Nuklearunfall ereignen. Wie bereits
dargelegt wurde, sieht der Notfallplan von Angra lediglich die Evakuierung einer
Bevölkerung von circa 15.000 Personen vor, die sich im Umkreis von 5 Kilometern der
Anlage befinden, was der Mindestanforderung der Internationalen Atomenergiebehörde
IAEA entspricht. Laut dem Präsidenten der Nationalen Atomenergiekommission CNEN
(Comissão Nacional de Energia Nuclear) würde eine Evakuierung im Umkreis von 20
Kilometern, wie in Japan geschehen, "die Stadt Angra betreffen und das ist
komplizierter". Die brasilianische Regierung "werde darüber nachdenken", den
Notfallplan einer Revision zu unterziehen20.
Aber, wie dargelegt wurde, erwies sich das 5 Kilometer umfassende Minimum als nicht
ausreichend im Fall von Fukushima. Und nach dem Unfall sagte der IAEA-Vorsitzende,
Yukiya Amano, auf einer Notfallsitzung seiner Ratskollegen in Wien, dass das
gegenwärtige Notfall-Reaktions-Rahmenwerk zusammen mit der Rolle der IAEASicherheitsstandards einer erneuten Überprüfung unterzogen werden müsse.21
Im August 2011 verkündete Eletronuclear einen Investitionsplan von 300 Millionen
Reais (umgerechnet 130 Millionen Euro) für den Zeitraum der nächsten fünf Jahre. Laut
Auskunft der Firma ist dieser Plan Resultat der Untersuchungen, die direkt nach dem
Nuklearunfall in Japan vorgenommen worden sind. Er sieht eine erneute Überprüfung
der Hanglagen, der Höhe der Wellen und der Intensität der Regengüsse vor. Eine
externe Consultingfirma soll weitere Untersuchen zur aktuellen Qualität der
Erdrutschüberwachung im Umfeld der Atomanlagen vornehmen.
Es sticht ins Auge, dass der Plan sich auf Bewertungs- und Neubewertungsstudien
beschränkt. Er gibt keinen Hinweis auf irgendein konkretes Bauvorhaben, das die
gegenwärtig ausgemachten Probleme, die in dem hier vorliegenden Gutachten dargelegt
werden, abmindern oder gar aus der Welt schaffen könnten. Selbst das kleine
Wasserkraftwerk, wie hier bereits erörtert, wird nicht das Sicherheitsproblem bei der
Stromversorgung in Notfallsituationen lösen (siehe Abschnitt 1.1 dieser Studie). Auch
findet sich im Kostenplan kein dafür vorgesehener Ausgabenposten22.
Eletronuclear kündigte zudem an, diesen Investitionsplan der Nationalen
Atomenergiekommission CNEN (Comissão Nacional de Energia Nuclear) vorzulegen,
die für die Überwachung der Atomanlagen zuständig ist und die gegebenenfalls noch
andere Anforderungen stellen könnte.
!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
19
Tageszeitung Folha de São Paulo, 16/03/2011.
Tageszeitung Folha de São Paulo, 15/03/2011.
21
"Nuclear emergency response must be upgraded in light of Japanese crisis – UN atomic chief",
UN News Centre, 21/03/2011. Siehe: http://www.un.org/apps/news/story.asp?NewsID=37834&Cr=japan.
22
Tageszeitung O Globo, 22/08/2011.
20
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Dies ist allerdings nicht zu erwarten, da es v.a. allem die CNEN ist, die sich als großes
institutionelles Problem bei der Nutzung und Kontrolle der Nuklearenergie in Brasilien
erweist.
A) Die Abwesenheit einer unabhängigen Behörde zur Kontrolle und Überwachung der Nuklearaktivitäten in Brasilien
Die gegenwärtige Struktur zur Überwachung der Strahlungs- und Nuklearsicherheit
weist inhärente Risiken für Bevölkerung und Umwelt auf, da die Bereiche Kontrolle,
Definierung der Nuklearpolitik sowie Ausführung operativer Tätigkeiten nicht
institutionell voneinander getrennt sind.
Abb. 20: Organigramm des brasilianischen Nuklear-Sektors
Quelle: http://energianuclearbr.blogspot.com/2010/10/o-setor-nuclear-brasileiro.html
Die hauptsächlichen Aktivitäten des brasilianischen Nuklearsektors werden auf drei
Ministerien verteilt. Das Ministerium für Wissenschaft und Technologie (MCT)
genehmigt und kontrolliert - über die Nationale Atomenergie-Kommission CNEN - die
Nuklearaktivitäten, stellt Produkte und Dienstleistungen zur Verfügung und fördert
Forschungen in dem Sektor. Dem MCT sind ferner zugeordnet die INB, die
verantwortlich ist für den Zyklus der Nuklearbrennstoffe, und die Nuclep, die schweres
Equipment für die Atomanlagen herstellt. Dem Ministerium für Bergbau und Energie
(MME) zugeordnet ist Eletronuclear, die die Atomanlagen Angra 1 und Angra 2
betreibt. Das Verteidigungsministerium forscht und entwickelt, über die brasilianische
Marine, den Gebrauch von Atomkraft zum Antrieb im Marinebereich. Vornehmliches
Projekt hier ist der Bau eines Atom-U-Bootes.
Heutzutage weisen, vergleicht man die Kontroll- und Regulierungsstrukturen der
Länder mit Ambitionen bei der Entwicklung der Atomenergie, nur wenige Länder
vergleichbare Strukturen bei Überwachung und Kontrolle der Nuklearaktivitäten auf,
wie sie in Brasilien vorliegen. Diese Struktur ist zentralisiert, ohne die Bereiche
Förderung, Produktion und der Entwicklung von dem Bereich Regulierung und
Kontrolle zu trennen. Man muss hervorheben, dass es diese zentralisierte Struktur war,
die in Brasilien ein geheimes Nuklearprogramm ermöglichte mit dem Ziel, Atomwaffen
für militärische Zwecke herzustellen.
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Infolge dieser Struktur des „sich selbst kontrollierenden“ Organs wird eine beachtliche
Zahl der Nuklear- und radioaktiven Anlagen von der CNEN nur schwach überprüft und
verfügt teilweise nicht einmal über eine Genehmigung. Dies trifft auch für die zur
CNEN gehörende Indústrias Nucleares do Brasil – INB zu, die den Bergbau, die
Gewinnung und die verschiedenen Schritte der Anreicherung des Urans betreibt.
Der Vorschlag, eine neue nationalen Behörde zur Regulierung des Sektors zu schaffen,
liegt seit 2009 (!) auf Eis. Eine entsprechende Analyse der 11 in den brasilianischen
Nuklearsektor involvierten Ministerien steht noch aus, da der entsprechende Ausschuss
seit 2009 nicht mehr getagt hat.
Der gegenwärtige Vorschlag sieht vor, eine neue Nuklearregulierungsbehörde ARNB
(Agência Reguladora Nuclear Brasileira) zu schaffen, die sich die Aufgaben mit der
CNEN teilen soll, die heute für alles zuständig ist, was mit radioaktivem Material zu tun
hat – von der Genehmigung eines Röntgengerätes bis zur Genehmigung von
Atomanlagen im Werte von Milliarden von Reais. Laut dem gegenwärtigen im Raume
stehenden Vorschlag, sollte er wirklich eines Tages umgesetzt werden, soll die CNEN
in Zukunft mit dem Bereich der Forschung verbleiben, und die ARNB würde sich um
die Atomkraftwerke sowie um die „Entwicklung und Durchführung von
Handlungsplänen bei nuklearen oder radiologischen Notfällen kümmern."23
4. Zusammenfassung
Diese Studie zeigt, dass das vorrangigste Problem in Angra dos Reis die Instabilität des
Erdreichs am Ort der Atomanlagen ist. Erdrutsche infolge schwerer Regengüsse, wie es
etwa vor einem Jahr in der Region geschah, bergen nicht nur ein Risiko für die
Atomanlagen, sondern führen auch zu Blockaden auf dem einzigen Fluchtweg, die
Bundesstraße Rio-Santos (BR-101), über die im Falle eines Atomunfalles die
Evakuierung der Bevölkerung vonstatten gehen müsste.
Diese Studie hat gezeigt, dass es schwerwiegende Probleme bei der Umsetzung der
Notfall- und Evakuierungspläne gibt, sollte es zur Unterbrechung der Stromversorgung
der Atomanlagen Angra 1 und 2 infolge von Erdrutschen o.ä. kommen. Die
Maßnahmen zur Minderung oder Beseitigung dieser Gefährdung sind unzureichend.
Des Weiteren hat diese Studie gezeigt, dass der von der Firma Eletronuclear für
Evakuierungszwecke vorgesehene Radius zu beschränkt ist und dass die Fluchtrouten in
schlechtem Zustand sind und darüber keine angemessene Evakuierung der mindestens
170.000 Einwohner, die im Radius von 20 Kilometern um die Anlage herum wohnen,
garantiert werden kann.
Das Gutachten hat auch dargelegt, dass die Schulung der Lokalbevölkerung im Radius
von drei bis fünf Kilometern unzulänglich ist, ebenso wie auch die
Transportbedingungen dieser Bevölkerung bei einem Notfall prekär sind. Des Weiteren
sind angemessene Bedingungen für die Unterbringung der Bevölkerung nicht gegeben,
sollte diese Bevölkerung in Sicherheit gebracht werden müssen im Falle eines mit
Fukushima vergleichbaren Nuklearunfalles.
!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
23
!
Tageszeitung Folha de São Paulo, 16/03/2011.
!
Unter diesen Bedingungen wird der Bau einer dritten Atomanlage in der Region
von Angra dos Reis die Probleme und hier genannten Gefährdungen weiter
steigern.
Der Atomunfall von Fukushima wurde ferner von den brasilianischen Behörden
heruntergespielt. Die von der Regierung bisher getroffenen Maßnahmen waren
ausweichend und die Pläne zum weiteren Ausbau der Atomkraft wurden nicht geändert.
Während die brasilianische Regierung von Deutschland die Bewilligung einer
Kreditbürgschaft zur Fertigstellung der Atomanlage von Angra 3 erbittet, zeigt eine
unlängst vom Meinungsforschungsinstitut IBOPE Inteligência in Brasilien
durchgeführte Studie, die im Auftrag der Agentur WIN-Worldwide Independent
Network of Market Research im Zeitraum vom 21. März bis 10. April 2011 in 47
Ländern durchgeführt wurde, um die Auswirkungen des Atomunfalls von Fukushima
auf die internationale öffentliche Meinung zu untersuchen, dass 54 % der Brasilianer
„gegen“ die Nutzung der Atomenergie zur Gewinnung von Elektrizität sind, während
das weltweite Mittel der Gegner bei 43 % liegt. Es ist wichtig zu erwähnen, dass vor
dem Unfall von Fukushima 49 % der Brasilianer gegen die Atomenergie war. Die
Erhebung offenbarte auch, dass 57 % der Brasilianer besorgt sind über die Möglichkeit
eines Atomunfalles im eigenen Land, während im weltweiten Mittel dies 49% fürchten.
Diese Studie empfiehlt daher die Nicht-Bewilligung einer Hermesbürgschaft für
den Bau des Atomkraftwerkes Angra 3.
!
Prof. Dr. Célio Bermann
IEE-USP
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!
Literatur
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earthquake: Implications for Tsunami hazard to the U. S. East coast and Caribbean”.
International Journal of Marine Geology, August 2009.
BERMANN, C. “Country Perspective: Brazil”. In: NETZER, N. & STEINHILBER, J.
(eds.). The End of Nuclear Energy? – International perspectives after Fukushima.
Berlin: Friedrich-Ebert-Stiftung, July 2011, pp. 23-26.
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BERROCAL et al. „Sismicidade do Brasil“. São Paulo: Instituto Astronômico e
Geofísico da USP, 1996
BRINK, U. “Tsunami hazard along the U. S. Atlantic coast”. International Journal of
Marine Geology, March 2009.
Comissão de Meio Ambiente e Desenvolvimento Sustentável da Câmara dos Deputados
do Brasil. Relatório do Grupo de Trabalho “Fiscalização e Segurança Nuclear”. Brasíla
(DF), 2006.
ELETRONUCLEAR/ELETROBRÁS. Documento: “Critérios de segurança adotados
para as usinas nucleares Angra 1, Angra 2 e Angra 3”, de 10/05/2011, 36 p.
EMANUEL et al., 2008
IAEA. Mission Report: “Fukushima Dai-Ichi NPP accident following the great east
Japan earthquake and tsunami”. Division of nuclear installation safety/Department of
nuclear safety and security. Japan, 24 May-2 June 2011, 162 p.
MME/EPE-Ministério de Minas e Energia/Empresa de Pesquisa Energética. Plano
Decenal de Expansão de Energia 2011-2020. Rio de Janeiro, 2011.
SOARES, E. P. Caraterização de precipitação na região Angra dos Reis e a sua relação
com a ocorrência de deslizamentos de encostas. Dissertação de Mestrado. Rio de
Janeiro: PEC/COPPE/UFRJ, 2006.
TRAVASSOS, R. C. A. “Ciclo do combustível nuclear no Brasil: salvaguardas para a
operação de centrais nucleares”. Apresentação no II Workshop Internacional ENUMAS
2010: Oportunidades em Atividades Nucleares no Brasil: Medicina, Agricultura e
Indústria. Campinas: Faculdade de Engenharia Química da UNICAMP, agosto de 2010.
WOODWORTH P. L. & BLACKMAN, D. L. “Evidence for Systematic Changes in
Extreme High Waters since the Mid-1970s”. In: Journal of Climate, Vol.17, 2004, pp.
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WOTH, K.; WEISSE, R.; VON STORCH, H. “Climate change and North Sea storm
surge extremes: an ensemble study of storm extremes expected in a changed climate
projected by four different climate models. In: Ocean Dynamics, V.56, 2006, pp. 3-15.
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