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Referat zum Christlichen Friedensseminar Königswalde am 20.10.2007
„Frieden schaffen – doch mit Waffen?“
Volker Heise, Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin
Auf der Einladung zum Seminar steht „Frieden schaffen – doch mit Waffen?“ Ich weiß nicht,
ob man mich eingeladen hat, Gegenargumente zum Thema „Frieden schaffen - ohne Waffen“
zu liefern. Ich habe nicht vor, die Frage zu beantworten, ob man Frieden mit oder ohne
Waffen schaffen soll. Ich werde Ihnen etwas zur deutschen Sicherheits- und
Verteidigungspolitik zu sagen, auch aus meiner Erfahrung im Verteidigungsministerium,
zuständig für europäische Sicherheitspolitik der EU, aus meiner Arbeit in der
Friedensforschung in Stockholm (Stockholm International Peace-Research Institute SIPRI)
und bei der NATO in Brüssel. Ich will etwas dazu beitragen, was Ihnen zu dieser Frage
Informationen gibt und beim Nachdenken hilft. Die eigentliche Frage müssen sie sich aber
selbst beantworten. Und da bin ich von einigem, was die Vorredner sagten, auch von Ihnen,
Herr Feige, sehr berührt.
Die Begriffe Sicherheits- und Verteidigungspolitik sind schwer voneinander zu trennen.
Wenn man Sicherheitspolitik ministerial betrachtet, so gibt es drei Ministerien, die sich dafür
zuständig erklären. Das eine ist das Auswärtige Amt mit der Außenpolitik, die sagen: „Wir
machen eigentlich Sicherheitspolitik.“ Das Verteidigungsministerium sagt: „Wir machen
Sicherheitspolitik mit Schwerpunkt Verteidigungspolitik.“ Aber das Auswärtige Amt sagt:
„Wir sind die, die an erster Stelle der Zuständigkeit stehen und ihr kommt danach.“ Die
Entwicklungsministerin erklärt sich ebenso für die Sicherheitspolitik zuständig. Das
Auswärtige Amt und das Verteidigungsministerium arbeiten sehr eng zusammen. Das
Entwicklungsministerium hält sich weitgehend getrennt davon, denn in der
Entwicklungspolitik wird Militärisches eigentlich als unangenehm empfunden. Was natürlich
großer Unsinn ist, denn man kann Sicherheitspolitik nicht in einzelne, getrennte Kapitel
aufteilen. Die Leute müssen miteinander reden, sie müssen sich über ihre Vorhaben
informieren, sie müssen das aufeinander abstimmen und gemeinsame Konzepte entwickeln.
Nun, die drei Begriffe kann man auch in drei Kapitel fassen. Es geht ja darum, Sicherheit und
Frieden zu bewahren, Frieden wieder herzustellen, Stabilität wieder herzustellen – im
Amtsdeutsch heißt es Konfliktprävention, Konfliktbewältigung und Krisennachsorge. Auch
das letztere ist ganz wichtig. Wenn es irgendwo mal gekracht hat, muss man den Leuten
helfen, den Staat, die Häuser und alles wieder aufzubauen - wie wir es auf dem Balkan
erleben.
Ich will über ein paar Begriffspaare sprechen.
Das eine ist, wichtig im Zusammenhang mit Stabilität, sind Entwicklungshilfe und
Demokratisierung. Das zweite ist Diplomatie und Militär, was sicherlich bei einigen hier im
Mittelpunkt des Interesses steht. Weiterhin will ich etwas sagen über EU und NATO und
ebenso über die USA und Russland. Das letzte Stichwort ist Rüstungskontrolle.
Fangen wir mit der Entwicklungshilfe an. Die Daten werden von der Organisation für
wirtschaftliche Zusammenarbeit, der OECD, gesammelt und sind im Internet abrufbar.
22 Staaten geben pro Jahr etwas über100 Milliarden US-Dollar aus. Das sind relative Zahlen,
denn der US-Dollar befindet sich im Vergleich zum Euro fast im freien Fall, aber es ist
trotzdem eine Menge Geld. Von den 22 Geberländern sind 17 europäische, ein weiterer Geber
ist die Europäische Kommission. Und diese 18 europäischen Geber tragen ungefähr 65% der
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weltweiten Wirtschaftshilfe. Die restlichen 35% teilen sich die USA, Kanada, Japan,
Australien und Neuseeland.
Eine Tatsache, die auf der Empfängerseite ganz interessant ist, ist dass China und Indien –
diese beiden neuen Wirtschafts- und sonstigen Weltgroßmächte, weiterhin zu den
Empfängerländern der Wirtschaftshilfe gehören. Aber der Punkt ist ja ein anderer. Der Punkt
ist, dass die Geberländer sich gegenseitig in die Hand versprochen haben, dass sie gemessen
am Bruttoinlandsprodukt (BIP) 0,7% ihres BIP für Entwicklungshilfe ausgeben wollen.
Rechnen wir das mal auf aktuelle Zahlen runter. Die Bundesrepublik zahlt zur Zeit ca. 11
Mrd. Dollar pro Jahr. Das sind 0,35% des deutschen BIP, also genau die Hälfte dessen, was
das Ziel ist. Damit steht sie international an fünfter Stelle. Der Schnitt bei allen reichen
Ländern, das sind ja die Geberländer, liegt irgendwo zwischen 0,35% und 0,40%. D.h. es
muss da noch eine Steigerung geben, nur diese Steigerung ist nicht so einfach. Unsere
Kanzlerin war ja gerade zu Besuch in Afrika und sprach sehr viel über internationale
Entwicklungspolitik, betonte auch, dass wir dem Ziel von 0,7% nahe kommen wollen.
Konkret will man bis zum Jahr 2010 immerhin auf 0,5% BIP kommen durch - wörtlich zitiert
„durch eine Kombination von Maßnahmen, wie Aufstockung von Haushaltsmitteln, weitere
Schuldenerleichterung und innovative Instrumente“. Auf die innovativen Instrumente bin ich
gespannt.
Wenn wir von Krisen- und Konfliktprävention sprechen, dann ist das Kapitel der
Gerechtigkeit, der Armutsbekämpfung, der Hungerbeseitigung, der Entwicklung von
grundlegender Bedeutung. Dazu fällt den Industriestaaten, den Geberländern in erster Linie
ein, dass man dafür Geld spenden soll – was zweifellos ganz wichtig ist. Damit verbunden ist
der Schuldenerlass. Wenn Staaten Kredite aufnehmen müssen, um die Zinsen für ihre
Schulden zu begleichen, erinnert das so ein bisschen an das Bundesland Berlin, das ist dort
Praxis und damit kommt man dort auch zurecht. Für Entwicklungsländer aber ist es sicher
nicht der richtige Weg.
Mit dem reinen Geldausgeben hat man auch Probleme. Bisher gab man Entwicklungshilfe für
bestimmte Projekte. Aber dann sagten die Empfängerländer: „Ja hört mal, ihr führt uns sehr
am Gängelband, das wollen wir doch selber machen.“ Also hat man die Projektverantwortung
in die Länder gegeben. Dann hat man festgestellt, dass in vielen Staaten die Gelder irgendwie
verschwanden, weil diejenigen, die die Projektmacht hatten auch die örtlichen Machthaber
waren. Also wollte man es mit einem weiteren Maßstab verbinden, nämlich der so genannten
„good governance“, der guten Regierungsführung. Also Auflagen, wie und was alles gemacht
werden muss, welche Kontrollen notwendig sind, welchen Rechtsstaat entwickeln werden
muss. Das ist ein schon Fortschritt, aber das richtige Rezept hat man noch nicht gefunden.
Beim Schuldenerlass will man den ärmsten Länder mit den größten Schulden diese erlassen.
Aber hier kommt wieder das Problem, dass die Länder mit den meisten Schulden häufig auch
die mit schlechter Regierungsführung sind, also mit „bad governance“ statt „good
governance“. D.h. unsere Rezepte sind da noch nicht so richtig fertig. Es ist keine Frage, alle
haben den besten Willen, jedenfalls die, die etwas geben. Nur wie das umzusetzen ist, damit
sind wir mit unseren Konzepten noch nicht an dem Punkt angekommen, dass wir sagen
können, die sind wirklich gut. Einige afrikanische Wirtschaftswissenschaftler und Politiker,
die nüchtern denken, sagen sogar: „Hört auf mit eurer ständigen Geldgeberei. Wir Afrikaner
gewöhnen uns daran, dass wir für alles Geld kriegen und vergessen dabei, dass wir Afrikaner
selber Lösungen finden müssen, die uns weiter helfen, die uns helfen, den Hunger zu
beseitigen und dass die Wüsten sich nicht weiter ausbreiten usw. Also, es gibt gute Ansätze,
aber sie sind noch lange nicht vollkommen.
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Ein andere Punkt, der auch damit zu tun hat: die Öffnung des Welthandels. Es wäre sehr
wichtig, wenn diese Länder auch ihre Produkte bei uns verkaufen können, denn dann können
sie von dem Geld, das sie dafür bekommen, sich sehr viel selber helfen. Nur haben wir mit
der Öffnung des Welthandels so ein bisschen Schwierigkeiten. Die Amerikaner werden sehr
beschimpft, weil sie mit ihren Subventionen z.B. für amerikanische Baumwolle sehr rigoros
sind und da lassen sie auch nicht mit sich reden. Wir Europäer sagen etwas Anderes, aber wir
können uns auch darauf verlassen, dass in der Welthandelsorganisation die Amerikaner stur
bleiben. Schauen wir uns mal unseren Agrarhaushalt in der EU an. Von dem riesigen
Haushalt der Europäischen Union geht fast die Hälfte in den Agrarhaushalt, das sind so ca.
40-50 Mrd. Euro (in Dollar fast astronomisch). Also 40-50 Mrd. Euro pro Jahr sind
Direkthilfen und Landwirtschaftshilfen für die ländliche Bevölkerung. Und diese Hilfen sind
eigentlich Subventionen für europäische Agrarpreise. Die gleichen Produkte könnten wir aus
anderen Bereichen der Welt viel billiger einführen. Nur wenn wir von diesen Subventionen
etwas streichen, wird nicht nur Nicolas Sarkozy in Frankreich Schwierigkeiten bekommen,
sondern wir auch. Denn das hieße, von den Bauern Geld zu nehmen, an das sie sich lange
schon gewöhnt haben. Soweit zur Entwicklungspolitik, Schuldenerlass und Öffnung des
Welthandels.
Ein anderes Stichwort ist Demokratisierung. Es wird so gerne gesagt, dass Staaten, die eine
Demokratie sind, nicht so leicht einen Krieg anfangen. Da ist eine Menge dran. Nur mit der
Demokratisierung ist es so einfach nun auch nicht. Die Amerikaner sagen immer, dass Indien
jetzt eine Atomwaffe hat, sei nicht so schlimm, denn Indien sei (zahlenmäßig) die größte
Demokratie der Welt. Wenn Sie mal ein bisschen näher in indische Demokratiemechanismen
hineinschauen, z.B. für die parlamentarische Kontrolle oder den parlamentarischen Einfluss
auf indische Außenpolitik, so ist die Außenpolitik in Indien Sache des Außenministers und
seines Ministeriums, selbst das Kabinett wird bei Gelegenheit mal darüber nur informiert.
Parlamentarischer Kontrolle findet praktisch nicht statt. Damit will ich nur sagen, Demokratie
wird nicht überall so verstanden, wie wir es gern hätten. Sie ist auch nicht überall so geeignet,
wie wir es gerne hätten. Man sagt, Demokratie ist dort, wo freie Wahlen stattfinden.
Natürlich sind freie Wahlen eine Vorraussetzung für Demokratie und wir selber haben auch
ein Zentrum für internationale Friedenseinsätze, gleich neben unserem Institut in Berlin, in
dem unter anderem Wahlbeobachter und ausgebildet werden. Aber freie Wahlen allein sind
nicht immer das geeignetste Kriterium. In Palästina fanden freie Wahlen statt und nach dem
Ergebnis haben wir die Hände über dem Kopf zusammen geschlagen, weil plötzlich die
gewählte Mehrheit sagte, man müsse Israel ausradieren. Ahmadinedschad ist ein – nach
dortigen Maßstäben für freie Wahlen – gewählter politischer Führer. In Algerien hatte man
vor einigen Jahren mal freie Wahlen. Als das Ergebnis feststand, hat das Militär ganz schnell
gesagt: „gilt nicht“ , weil ganz plötzlich eine fundamentalistische Mehrheit an die Macht
gekommen wäre. Und seit dem gibt es dort keine wirklich freien Wahlen mehr. Also freie
Wahlen allein sind es nicht. Wichtiger ist es, etwas aufzubauen, was wir einen Rechtstaat
nennen, in dem Menschenrechte, Recht und Gesetz eine gesicherte Position haben. Wo man
wirklich Recht sprechen kann, ohne hinterher dafür aufgeknüpft zu werden, wo man
Rechtsanwälte, Richter, Staatsanwälte, Verwaltungsbeamte und Polizei ausbildet, nach
Grundsätzen zu arbeiten, die wir als rechtsstaatlichen empfinden. Dies mit unsere Hilfe zu
unterstützen ist wesentlich. Und das ist natürlich zum Teil auch, wie ich vorher sagte, mit der
„good governance“ und der Entwicklungshilfe gekoppelt.
Es gibt eine Broschüre vom Auswärtigen Amt, die dazu viel aussagt. Nach einer Zeit legt
man die aber zur Seite, weil dort immer nur steht, wie toll wir Deutschen doch eigentlich sind,
dass wir überall zu den größten Geldgeber gehören – bei der UNO sind wir die drittgrößten,
bei der Welthandelsorganisation die zweitgrößten, in der Entwicklungshilfe zumindest die
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fünftgrößten in der Welt. Und überall sind wir beteiligt. Und es ist noch ein Stichwort dabei,
das ich hier auch aufgreifen will, der interkulturelle Dialog, dessen Bedeutung uns
zunehmend bewusst wird. Das heißt, dass man gemeinsam mit der richtigen Sprache und in
der richtigen Offenheit mit den verschiedenen Kulturen und Religionen reden muss. Wie man
es nicht machen sollte, dafür kriegen wir Beispiele von jenseits des Atlantiks aber ebenso,
wenn wir nach Dänemark oder ähnlich auch nach Schweden schauen. Mit MohammedKarikaturen machen wir nicht die richtige Tür auf zum interkulturellen Dialog.
Zum nächsten Stichwort: Diplomatie und Militär. Natürlich ist Diplomatie nicht nur das erste,
sondern es ist auch das wichtigste Mittel, wenn irgendwo Krisen in der Luft hängen, wenn es
Spannungen gibt, die zu Konflikten führen werden, wenn es gilt Konflikte zu beenden. In
allen Phasen, auch in der so genannten Konfliktnachsorge ist Diplomatie eigentlich immer das
wichtigste Mittel. Die Schwierigkeit ist nur, dass eine Krise als solche erst einmal anerkannt
werden muss. Manchmal ist es sonderbar, wenn man Politik beobachtet. Zwar warnen alle
schon einmal vor kommenden Krisen. Wenn wir z.B. an den Balkan denken: seit Titos Tod,
schon als es erkennbar wurde, dass Tito nicht ewig leben würde, sprachen alle davon, dass
eine Krise auf uns zu kommt und warnten: „Vorsicht, da wird’s bald gewalttätig!“ Nur, bis
sich das in Politik umgesetzt hat, da war es lange schon soweit. Politik ist eigentlich meistens
optimistisch in der Hoffnung, dass es schon gut gehen wird. Meistens wird Politik erst dann
tätig, wenn es nicht mehr anders geht. Denn Politik, und das ist ein altes Rezept in unseren
Welten, versucht immer, gute Nachrichten zu verkünden und mit schlechten möglichst positiv
umzugehen. Da brauchen wir manchmal etwas mehr Realismus.
Also im Fall Balkan hat die Diplomatie dann versucht, etwas zu richten. Darauf komme ich
noch, aber ich will jetzt mal mehr vom Grundsätzlichen her sagen, welche Mittel und
Möglichkeiten hat die Diplomatie. Natürlich, der Sinn ist, zwischen streitenden Parteien einen
gewaltfreien Kompromiss zu suchen und diesen dann so auch umzusetzen, dass sich
möglichst keine der Parteien als Verlierer fühlt. Wenn sich beide Seiten als Sieger fühlen ist
es am Besten, wenn beiden Seiten sich nicht als Verlierer fühlen, ist es eigentlich ein tragbarer
Kompromiss. In solchen Fällen kann man an die Vernunft appellieren, nur ist in solchen
Fällen die Vernunft bei den Streitenden Parteien meist ziemlich weit hinten angestellt. Was
hat man anzubieten? Man hat wirtschaftliche, finanzielle Vorteile, politische Anerkennung; in
einigen Fällen ist es in Europa auch ganz wirksam, eine EU-Beitrittsperspektive anzubieten.
Nur auf der anderen Seite, was kann man tun, wenn’s nicht funktioniert? Das wären
Sanktionen. Die aber sind ein sehr schwieriges Kapitel, denn erstens – wie wir aus Erfahrung
wissen –wirken sie erst nach sehr langer Zeit. Zweitens: Sanktionen treffen meistens nicht die
Mächtigen, sondern das Volk. Und die Hoffnung darüber, dass das Volk irgendwann so
erbittert ist, dass es die Mächtigen abwählt, ist eher unwahrscheinlich. Wenn die Mächtigen
wirklich mächtig sind, dann lassen sie sich nicht abwählen, dann sorgen die schon dafür, dass
ihnen keiner in die Quere kommt. Es gab mal eine Ausnahme, wo gezielte Sanktionen auch
bei den Mächtigen etwas bewirkt haben. Das war bei Kim Jong-Il in Nordkorea. Bei der
Bevölkerung war nun wirklich nichts mehr zu holen, weil die wirklich nichts mehr hatten.
Aber seine Privatkonten zu sperren, dass er den Luxus, der er sich selbst leisten wollte, nicht
mehr bezahlen konnte, das hat schon mal gewirkt. Aber das ist ein Einzelfall.
Noch ein anderer Gedanke hierzu. Wirtschaftliche Sanktionen treffen einen häufig auch
selbst, denn wenn wir mit dem Land keinen Handel mehr treiben, haben wir selber Verluste.
Wenn es sich um Staaten handelt, die Öl liefern, wird es für uns sogar noch kritischer. Wenn
man fragt, warum die Chinesen bei dem Völkermord in Dafur lange verhindert haben, dass in
der UNO eine Resolution für einen Friedenseinsatz getroffen werden konnte, dann steht
chinesisches Interesse an Öl aus der Region. Wenn uns fragen, warum in der UNO nicht mehr
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als ein mahnender Zeigefinger gegen Birma erhoben wird, dann darf man nicht vergessen,
dass Birma ist ein ganz wichtiger Außenhandelspartner für China ist. Aber schauen wir auf
uns selbst. Als Angela Merkel so hoch gelobt wurde, dass sie den Dalai Lama bei sich
empfangen hat, da gab es große Ängste in Parchim. Ich weiß nicht, ob sie Parchim kennen, so
ein bisschen nördlich von Berlin. Die Parchimer sagten: „Um Gottes Willen, um Gottes
Willen, was macht die denn da bloß?“ Denn in Parchim soll ein großer chinesischer Flugplatz
gebaut werden, der viele Arbeitsplätze und der Region Wohlstand verspricht. Das heißt, bei
Sanktionen, die ins eigene Fleisch schneiden, geht es manchmal bis in Kleingemeinden rein.
Schauen wir mal zum Iran. Das Problem mit dem Iran ist nicht nur, dass Ahmadinedschad den
Holocaust leugnet und Israel von der Landkarte vertilgen will, sondern vor allem seine
Atompläne. Selbst unter wohlwollenden Experten ist klar, dass die Urananreicherung in erster
Linie auf den Erwerb von Nuklearwaffen zielt. Auch die Staaten in der Region, Saudi Arabien
und alle anderen, sehen das mit großer Besorgnis, denn wenn Iran Atomwaffen hat, bedeutet
dies die Vorherrschaft im Nahen Osten. Außerdem wissen wir aus Erfahrung, dass eine
Nuklearmacht selten allein kommt. Es kommt gleichzeitig oder danach mindestens eine
zweite. So war es mit Indien und Pakistan. Über Israel munkelt man seit einiger Zeit, aber
jetzt liest man in den Zeitungen, dass andere Staaten der Region ihre Fühler nach
entsprechender Nukleartechnologie ausstrecken. Denn sie wollen auf keinen Fall dulden, dass
der Iran die zentrale Atommacht im Nahen Osten wird. Ahmadinedschad sagt: „Ja guckt doch
mal nach Indien und Pakistan. Wenn wir auch die Bombe haben, wird man erst einmal laut
aufschreien und danach wird man mit uns wieder kräftig Handel treiben.“ Schließlich machen
wir es jetzt so mit Indien und Pakistan, wir Deutschen, die Amerikaner und alle. Man kann
natürlich eine Menge Sanktionen gegen den Iran verhängen, aber es wird da auch kritisch. Es
geht nicht nur um unsere eigenen Handelsinteressen mit dem Iran, insbesondere den
iranischen Einfluss auf unsere Ölversorgung. Die Russen sind da noch viel rigoroser. Darüber
hinaus sind die Probleme zwischen Palästina und Israel oder im Irak ohne eine positive
Mitwirkung des Iran kaum lösbar. Nur einen Punkt möchte ich hier deutlich unterstreichen,
das Problem mit dem Iran ist militärisch nicht zu lösen. Man kann zwar bestimmte nukleare
Einrichtungen, die bekannt sind, durch Luftangriffe zerstören und damit das Programm für
einige Jahre aufschieben. Lösen kann man das Problem damit aber nicht. Und die
Nebenwirkungen, die sie dadurch vor allem in der muslimischen Welt erzeugen, sind schwer
zu kalkulieren.
Damit kommen wir zu nächsten Stichwort: Militär.
Als es auf dem Balkan zu knirschen anfing, lief die Diplomatie auf Hochtouren. Die EU,
damals hatten wir eine italienische Präsidentschaft, entsandte ständig Diplomaten, die mit
Milosevic und allen anderen geredet haben. Man hat Vereinbarungen verfasst, die von allen
unterzeichnet wurden. Es schien alles gut zu sein und es war überhaupt nichts gut. Und so
ging es immer weiter. Herr Koschnick, der ehemaligen Bürgermeister von Bremen, der auch
lange der UN-Beauftragte in Mostar war, der sagte mal: „Wir behaupten, Milosevic hätte uns
getäuscht. Das stimmt nicht. Wir haben uns in uns selbst getäuscht.“ Denn Milosevic blieb auf
seiner Linie und so blieben auch alle Führer dort. Und das Schwierige war auch, die Guten
von den Bösen zu unterscheiden. Eigentlich waren alle die Bösen. Man kann sagen, die
Diplomatie hat dort nicht sehr geschickt gehandelt, sondern sehr blauäugig. Als man sich
dann endlich in der EU entschlossen hat, eine Sanktion durchzuführen, nämlich
jugoslawischen Flugzeugen das Landen auf europäischen Flughäfen zu verbieten, da lachten
die darüber. Außerdem haben die Engländer nicht mitgemacht, da sie sich vertraglich
gebunden fühlten, Jugoslawien das Landen zu erlauben. Europa hat sich damals dort wirklich
blamiert. Als die Gewalt dann übermächtig wurde, gab es bei uns heiße Diskussionen, ob sich
die Deutschen an militärischen Friedensmissionen der UN auf dem Balkan beteiligen dürfen,
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um das Morden dort zu beenden. Das ging dann bis zum Verfassungsgericht. Am Anfang, als
offenkundig wurde, dass zu Tausenden Leute umgebracht wurden, war man bei uns bereit,
dort bis zum letzten Briten und Franzosen zu kämpfen. Als dann die Nachricht von den
Massenvergewaltigungen kam, dann war selbst in der Grünen Partei eine Bereitschaft
vorhanden, sich mit deutschen Kräften dort zu engagieren.
Wo steht die deutsche öffentliche Meinung heute? Natürlich haben wir unsere
geschichtlichen Schwierigkeiten, die auch noch lange nicht ausgewachsen sind und die wir
den anderen manchmal wieder erklären müssen. Wenn ein kanadischer Abgeordneter sagt, die
Deutschen müssen endlich mal wieder das Töten lernen, dann erzählen wir denen: „Moment
mal, es gibt eine Menge, die ganz froh waren, dass wir das Töten so ziemlich verlernt hatten.“
Der öffentliche Konsens bei uns liegt überwiegend auf der Linie, dass wir bereit sind,
dazwischen zu gehen, wenn Leute sich gegenseitig umbringen, um das Morden zu beenden,
dass wir uns an der Stabilisierung und am Wiederaufbau beteiligen.
An dieser Stelle gibt es aber auch besondere Befindlichkeiten. Wir haben im Verband der
deutschen Nicht-Regierungs-Organisationen, das sind Organisationen, die nicht dem Staat
unterstehen, über hundert deutsche NROs, die wertvolle Hilfe leisten. Die sagen gerne: „Mit
euch Militärs wollen wir nichts zu tun haben.“ Nur, auf der anderen Seite, gehen sie aber nicht
in ein Land, das unsicher ist, das noch im oder kurz nach dem Konflikt steht. Eine militärische
Absicherung ist dann auch für sie die Voraussetzung für ihren Einsatz. Manchmal ist sogar
eine Nahrungsmittelverteilung ohne militärische Absicherung nicht möglich, wenn sie im
Konfliktgebiet stattfindet.
Also, der allgemeine Konsens in Deutschland ist: Wenn es darum geht, ein Morden zu
beenden, dann wollen wir uns nicht ausschließen. Wenn es darum geht, die Stabilität zu
bewahren, dann wollen wir mithelfen. Wenn es darum geht, wieder aufzubauen – dazu
brauchen wir alle Ressourcen -, dann wollen wir dabei sein. Aber um eine mögliche
Bedrohung militärisch präventiv zu beseitigen, da sieht es anders aus. Nehmen wir den Irak.
Als Gerhard Schröder damals sagte, dieser Krieg ist falsch und wir machen da auf keinen Fall
mit, da haben viele gesagt: Sieh an, der Fuchs, das kommt genau zur richtigen Zeit nach der
Oderflut, um ihm den Wahlkampf zu retten. Wenn Sie damals bei der Münchner
Sicherheitskonferenz die Argumente der damaligen Opposition CDU hörten und allen voran
der damalige außenpolitische Sprecher der CDU Friedbert Pflüger, der hat die Regierung
dafür gescholten, dass sie soviel Schwäche und Amerika-Unfreundlichkeit zeigt. Nebenbei
gesagt, auch wenn eine Opposition immer kritisch gegenüber der Regierung sein muss, die
jetzige Irakpolitik unter Angela Merkel hat sich um keinen Zentimeter gegenüber der
Schröderschen verschoben.
Gerhard Schröder sagte nein – aber warum sagte er nein? Das war eben nicht nur Wahlkampf,
sondern es war auch die tiefe Überzeugung, dass man das mit einem deutschen Volk nicht tun
kann. Man darf ein deutsches Volk nicht in einen Krieg hineinführen, dessen Ursachen unklar
sind, der kein UNO-Mandat hat, während wir in Berlin noch fast jeden Tag Bomben
ausgraben und wir und andere an den Folgen eines schrecklichen Krieges, den wir verursacht
haben, leiden. Dann können wir so etwas nicht mit anderen machen. Dazu kam, was viele
Nahost-Experten sagten: „Wenn Sie im Nahen Osten bei dortigen diffizilen Gleichgewicht
und Gefüge (das für Europäer ohnehin kaum verständlich ist und für Amerikaner
unverständlich), etwas ändern, dann wissen Sie nicht, was dabei herauskommt. Die
Wahrscheinlichkeit, dass dies zu einer neuen hochexplosiven Mischung führt, ist extrem
hoch.“
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Aber noch weiter zu den Militäreinsätzen. Weltmeister sind wir ja schon. Nur in einer völlig
anderen Kategorie. Wir sind Weltmeister in der parlamentarischen Kontrolle von Streitkräften
und militärischen Einsätzen. Wir haben einen Parlamentsvorbehalt, den es so nirgends sonst
auf der Welt gibt. Bei uns muss der Bundestag für jeden bewaffneten militärischen Einsatz ein
Mandat erteilen. Das gilt auch, wenn nur ein einzelner Soldat irgendwo hingeschickt wird und
zum Selbstschutz eine Pistole trägt. Das ist auch eine sehr unbequeme Sache. Wenn sich die
Bundesrepublik an einer NATO- oder EU-Operation beteiligen will, kann man im
Planungsstadium eine deutsche Beteiligung zwar ankündigen, aber nur unter Vorbehalt. Wenn
der Operationsplan in allen Einzelheiten über teilnehmende Einheiten fertig ist, erst dann
haben wir alle Angaben, die für ein Bundestags-Mandat notwendig sind. D.h. erst dann kann
das Auswärtige Amt zusammen mit dem Verteidigungsministerium ein Mandat beantragen,
das wird im Parlament diskutiert und nach einiger Zeit wird das Mandat dann erteilt oder auch
nicht. In der Regel wird es erteilt, wenn die Vorgespräche mit den Partei-Obleuten und
Ausschüssen zur Übereinstimmung geführt haben. Die Regierungsarbeit ist dadurch
schwierig, aber auch die Arbeit der Planungsgremien in EU und NATO. Andere Staaten
haben keinen solchen Vorbehalt. Deren Regierungen können über militärische Einsätze selbst
entscheiden und irgendwann dem Parlament Bericht geben. Die Franzosen sowieso, der
Präsident hat für uns unvorstellbare Machtbefugnisse. Die Briten, Italiener, Spanier,
Amerikaner… alle können einfach ihre Truppen losschicken. Wenn Sie zur Zeit des
Irakkrieges mal in Spanien waren, als noch Aznar der Regierungschef war, da hingen fast in
jedem Fenster Fahnen mit der Aufschrift: „Schluss mit diesem Krieg!“ Auf vielen Plakaten
stand: „Aznar, du bist ein Kriegsverbrecher!“ Aber das brauchte ihn nicht zu interessieren,
weil er die Befugnis hatte, den Einsatz zu befehlen. Was ist die Schlussfolgerung für uns? Ich
meine, so unbequem unser Parlamentsvorbehalt ist - und an einigen Stellen, wo es z.B. um
einzelne Soldaten geht, könnte man die Prozeduren erleichtern - halte ich das für eine ganz
wichtige Sache, weil es alle zwingt, sich mit der Öffentlichkeit, mit dem Parlament darüber
auseinander zu setzten. Und nicht einfach regierungsherrlich Truppen in den Kampf zu
schicken.
Die Bundeswehr hat z.Zt. ca. 250.000 Soldatinnen und Soldaten. Davon sind ungefähr 50.000
Wehrpflichtige, die nicht in einen Auslandseinsatz geschickt werden dürfen. Nach den
offiziellen Quellen der Bundesregierung waren bisher bereits 200.000 Soldatinnen und
Soldaten im Auslandseinsatz, d.h. eigentlich jeder. Im Durchschnitt haben wir ständig
zwischen 7000 und 10000 Mann in internationalen Einsätzen. Das ist natürlich eine geringe
Zahl, nur sie können ja nicht länger als ein halbes Jahr dort bleiben und müssen dann
ausgewechselt werden. Solche Einsätze, sei es auf dem Balkan oder in Afghanistan, sind nicht
eine Sache von 1-2 Jahren. Dort, wo ein grausamer Konflikt stattgefunden hat, wo die Leute
sich mit unglaublicher Brutalität gegenseitig umgebracht haben, dort können wir nicht sagen:
„Gut, jetzt habt ihr 2 Jahre Zeit gehabt, euch zu versöhnen, zusammen Bier zu trinken und
eure Häuser zu reparieren. Jetzt ziehen wir wieder ab.“ Nein, auf dem Balkan ist das eher die
Sache einer Generation. Nun ist man schon 12 Jahre dort. Zwar werden die
Truppenkontingente dort schon immer weniger, aber es wird noch lange dauern, bis man sie
ganz abziehen kann. Für Afghanistan kündigte der Verteidigungsminister Jung schon mal an,
dass wir dort auf jeden Fall noch 5-10 Jahre bleiben müssen.
Wir Deutschen sind in Europa eine relativ große Militärmacht. Aber trotzdem sind wir – im
Gegensatz zu England und Frankreich – ein Staat, für den grundsätzlich nur multinationale
Einsätze in Frage kommen. D.h. wir werden Einsätze nur im Rahmen der EU oder im
Rahmen der NATO mit einem Mandat der Vereinten Nationen oder in einer multinationalen
Formation der Vereinten Nationen durchführen, jedenfalls nicht als Einzelstaat. Anders ist es
mit England und Frankreich, aufgrund ihres Selbstverständnisses als globale Akteure, als
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Vetostaaten der UN und auch aufgrund ihrer kolonialen Vergangenheit (die wir ja auch
haben, aber die ist schon einige Generationen früher zu Ende gewesen und das versuchen wir
auch so ein bisschen zu verdrängen).
Zur EU und NATO.
Die Europäische Union hat sich 1999 unter deutscher Präsidentschaft zum Ziel gesetzt,
europäische Verantwortung auch im Krisenmanagement zu übernehmen. Wesentlich war die
Erfahrung des Balkankrieges, wo man feststellte, dass die Europäer weder politisch noch
militärisch nicht in der Lage waren, ohne amerikanische Hilfe das Morden zu beenden.
Aber das neue Konzept der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik war nicht auf
das auf das militärische begrenzt. Die EU hat, anders als alle anderen Organisationen, die
gesamten Politikbereiche und die notwendigen Ressourcen zur Verfügung, die notwendig
sind, um das gesamte Spektrum des Krisenmanagements abzudecken, von der
Konfliktprävention bis zur Konfliktnachsorge. Eine ihrer Stärken sind gerade die zivilen
Mittel und Fähigkeiten, über die keine andere Organisation verfügt. Aus den Mitgliedsstaaten
können Kontingente von ca. 5000 Experten zur Katastrophenhilfe entsandt werden. Ebenso
können über 1000 Verwaltungs- und juristische Experten beim Aufbau eines Rechtsstaates
helfen. Mehr als 5000 Polizeikräfte können die die örtliche Polizei nicht nur technisch
sondern vor allem auch nach rechtstaatlichen Prinzipien ausbilden. Zur Zeit führt die EU 10
zivile Missionen in Krisenländern durch. Die EU, d.h. die Kommission zusammen mit den
Mitgliedsstaaten, hat natürlich auch finanzielle Mittel für Krisen- und Katastrophenfälle.
Was die militärischen Fähigkeiten zur Krisenbewältigung anbelangt, so reichen diese bisher
aus, um solche Aufgaben zu übernehmen, die nicht zu hohe Ansprüche stellen. Die EU hat die
Fähigkeiten, Stabilisierungs-Operationen wie im Kongo über drei oder sechs Monate
durchzuführen. Die Fähigkeiten der EU reichen aus, um dann, wenn die NATO – wie in
Bosnien Herzegowina – die Konfliktebene von hoch auf relativ niedrig herunter gefahren hat,
die weitere Stabilisierungsaufgabe von der NATO zu übernehmen. Aber um einen
Bürgerkrieg und ein wirkliches Massenmorden zu beenden, wie es am Anfang in Bosnien und
im Kosovo der Fall war, dafür reichen die europäischen Fähigkeiten noch nicht aus. Nun
sagen die Engländer und Franzosen häufig zu den Deutschen: „Ihr müsst mehr für
Verteidigung ausgeben!“ (tatsächlich geben wir deutlich weniger als diese beiden Staaten
aus). Wir entgegnen dann: „ Wir müssen nicht mehr für Verteidigung ausgeben, wir müssen
weniger Geld verschwenden.“ In der EU haben wir 27 Staaten und diese 27 Staaten sind sehr
stolz darauf, eine eigene Armee zu haben. Das bedeutet 27 Luftwaffen, 27 Heere, Marinen
nur 22 ( 5 von den 27 Staaten haben keine Küste, was sie sehr bedauern). Wir haben 27
Verteidigungsministerien und ebenso viele nationale Kommandostrukturen. Als Polen der EU
beitrat, zunächst hatten sie noch mal 400 Millionen Extra-Beihilfe herausgehandelt, kauften
sie sich als erstes amerikanische Abfangjäger. Tschechien und Ungarn haben sich
schwedische geleast, Rumänen hat sich gebrauchte gekauft. Das mag ganz gut für das
Nationalgefühl sein, aber um unsere Aufgabe in der Krisenbewältigung zu erfüllen, brauchen
wir in Europa nicht diese vielen Abfangjäger, denn davon gibt es bereits genug. Was dringend
gebraucht wird, sind Transporthubschrauber und Transportflugzeuge. Die sind zwar sehr viel
billiger, nur will die keiner. Wenn am Nationalfeiertag statt Düsenjägern mit farbigen
Kondensstreifen nun Transporthubschrauber die National-Allee hinunter fliegen, das gibt
nichts her. Wir könnten eine Menge Geld sparen, wenn die Europäer statt 27
Nationalstreitkräften eine gesamt-europäische Armee schaffen würden. Das wäre die beste
Lösung. Nur so einfach ist das nicht. Dafür brauchen sie eine europäische Regierung, dafür
brauchen Sie ein europäisches Parlament, das auch die parlamentarische Kontrolle ausüben
kann. (z.Zt. kontrolliert jedes nationale Parlament die nationalen Streitkräfte). Man braucht
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einen europäischen Verteidigungshaushalt. Das heißt, eine Europäische Armee ist noch eine
Vision, denn wenn wir die Diskussion um den Reformvertrag angucken, dann merken wir,
dass wir davon weit entfernt sind. Für eine Europäische Armee müssen Sie eines aufgeben,
nämlich ihre nationale Befindlichkeit. Aber nationale Befindlichkeiten haben z.Zt. in Europa
Hochkonjunktur. Nicht nur in Polen und in England. Aber wenn wir es wenigstens erreichen
könnten, dass alle Staaten so vernünftig sind, nicht alles selbst haben zu wollen, was bei
anderen schon reichlich vorhanden ist, sondern ihre Mittel darauf konzentrieren, was den
Europäern insgesamt fehlt. Dann könnten wir nicht nur eine Menge Geld sparen sondern auch
schneller die Gesamtheit der europäischen Fähigkeiten erreichen. Das ist die Botschaft, die
man bei den Europäern noch weiter verbreiten muss.
Hier möchte ich einen Gedanken anschließen, der mir sehr am Herzen liegt, der eigentlich aus
dem Vorangegangenen folgt. Die nationalen Befindlichkeiten. Wir hatten mal einen
Verfassungsvertrag (es war ein großer Unsinn ihn „Verfassungsvertrag“ zu nennen, denn es
war die Fortführung der Vertragsänderungen von Maastricht, Amsterdam, Nizza; schon vom
Namen her war das ein zu großer Anspruch). Der Verfassungsvertrag ist durchgefallen, weil
die Franzosen „Non“ gesagt haben und Niederländer „Nee“¨ (bei uns wurden die Niederlande
danach häufig „Nee-derlande“ genannt). Jetzt haben wir einen etwas abgespeckten ReformVertrag, der gerade im sicherheitspolitischen Bereich einen ziemlichen Rückschritt darstellt.
Da wird noch einmal die nationale Autonomie in der Sicherheitspolitik ausdrücklich
festgeschrieben. Da sind die Möglichkeiten, nationale Vetos einzulegen, nochmals vergrößert
worden. Da ist erneut bestätigt worden, dass in der Sicherheitspolitik nur im Konsens (d.h.
mit Zustimmung aller 27 Staaten) etwas beschlossen werden kann, wobei die Staaten ja auch
sehr unterschiedlich sind. Malta z.B. hat eine Bevölkerung von ca. 400.000. Das entspricht
ziemlich genau der Ortsgröße von Berlin-Spandau. Es ist nicht einfach, alle 27 unter einen
Hut zu kriegen. Europa ist noch weit davon entfernt, ein gemeinsames Europa zu werden.
Europa ist zur Zeit ein Verein von sehr eigenwilligen Staaten, von denen einige alles daran
setzen, ihre nationalen Vetomöglichkeiten zu maximieren, was als Folge Europa in seiner
Handlungsfähigkeit lähmt. Die Europäer müssen endlich einsehen, dass europäische Politik
über Europa hinaus nur dann wirksam ist, wenn nationale Politiken auch in den europäischen
Rahmen eingebettet sind. D.h. europäisches Denken muss nicht davon bestimmt werden, wie
man als Nation sein Vetorecht maximieren kann, sondern es müsste endlich darauf zielen, wie
man als Europäer gemeinsam mehr tun und mehr erreichen kann. Ich hoffe, dass, wenn sich
die Diskussion um den Vertrag beruhigt hat, das europäische Denken weiter geht.
Zur NATO. Die NATO ist ja nun was anderes als die EU. Die NATO hat nicht die zivilen
Mittel zum Krisenmanagement wie die EU, aber sie hat militärische Vorteile, zum Beispiel
eine gemeinsame (d.h. integrierte) Kommandostruktur mit16 großen Hauptquartieren und fast
10 000 Offizieren aus allen NATO-Staaten. Für militärische Einsätze sind solche
Hauptquartiere von zentraler Bedeutung, denn dort wird eine Operation in allen Einzelheiten
geplant und die Durchführung der Operation geleitet. Die EU hat keine eigene
Kommandostruktur, das heißt, sie muss sich für einen Einsatz entweder von der NATO ein
Hauptquartier leihen oder sie muss aus nationalen Hauptquartieren ein solches multinational
zusammenstellen. Das dauert Zeit und kostet Geld.
Das Zweite: Die Europäer sind fast die gleichen sowohl in der NATO als auch in der EU. Die
Türken z.B. sind nicht in der EU und deswegen gibt es auch oft Probleme zwischen den
beiden Organisationen. Aber ansonsten sind die alle ziemlich gleich. Nur, was den Europäern
in beiden Organisationen an Fähigkeiten fehlt, kann in der NATO durch das umfangreiche
Arsenal der USA ausgeglichen werden.
Ein weiterer Punkt: Die NATO ist ein kollektives Verteidigungsbündnis, die EU nicht.
Gegenwärtig ist das Wort Verteidigung nicht so ganz aktuell. Wir fühlen uns nicht so richtig
bedroht, zumal wir Deutschen ja nur von Freunden umzingelt sind. Dennoch ist es ein sehr
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angenehmer Gedanken, in einem Verteidigungsbündnis zu sein, denn man weiß ja nicht was
kommt. Gerade jetzt, wo neue Nuklearmächte am Horizont entstehen, ist man ja ganz
dankbar, dass es eine Absicherung gibt, auch eine nukleare Abschreckungskomponente, die
durch die USA gestellt wird. In dieser Beziehung sind wir den USA etwas freundlicher
gesinnt, und die NATO ist nun mal ein wesentliches Instrument, um die USA in einen
sicherheitspolitischen Dialog einzubinden. Dieser Dialog war zwar am Anfang der BushRegierung ein Trauerspiel, aber inzwischen hat sich das wieder ein bisschen normalisiert.
Von der NATO zu den USA. Etwas Gutes über die USA zu sagen, das ist zur Zeit nicht leicht.
Es werden jährlich Umfragen bei der Bevölkerung der USA und ungefähr 25 weiteren Staaten
abgehalten zu der Frage: „Was haltet ihr von der amerikanischen Sicherheitspolitik?“ In den
USA hatte man im Jahr 2001, als das mit dem World Trade Center passierte, eine
Zustimmung zur amerikanischen Politik von ungefähr 80%. Weltweit war es etwas weniger.
Seit dem ging ziemlich abwärts. Zur Zeit sind wir etwa bei 30% Zustimmung und 70%
Ablehnung (in den USA liegt die Ablehnung bei etwa 60%). Das ist bisher einmalig. Selbst in
Staaten, für die Amerikafreundlichkeit eigentlich zum Staatsdenken gehört - wie in Indien und
vor allem in Polen -, ist zwar bei den Regierungen diese Meinung unverändert, in der
Bevölkerung sind aber auch dort dramatische Rückschritte zu erkennen. Die wesentlichen
Kritikpunkte haben vor allem mit dem Irakkrieg zu tun, aber auch mit den militärischen
Drohungen gegenüber dem Iran. Kritikpunkt ist aber auch die Kriegserklärung von Präsident
Bush gegenüber dem Terrorismus; anfänglich hat er sogar zum Kreuzzug aufgerufen.
Natürlich sehen wir uns alle in der Situation, etwas gegen den Terrorismus zu unternehmen,
uns davor zu schützen. Einen Krieg zu erklären führt aber, alleine schon durch die Wortwahl,
zu einer Polarisierung und führt zu einer verstärkten Freiwilligenbildung im islamistischen
Bereich. Auf ‚youtube’ kann man immer noch ein Video sehen: „Die Kreuzzügler wollen uns
ausrotten, also meldet euch zum Kampf.“ Und sie melden sich.
In der EU-Sicherheitsstrategie gibt es keine Kriegserklärung. Die EU-Sicherheitsstrategie und
die europäische Politik sieht den Terrorismus nicht als ein militärisches Problem. Das ist
vielmehr die Aufgabe der Polizei, der Nachrichtendienste, der internationalen
Zusammenarbeit. Durch Kampfflugzeuge, Panzer und Raketen ist das Problem nicht zu lösen.
Es ist absehbar, eine Frage von Monaten, bis wir einen anderen amerikanischen Präsidenten
oder Präsidentin haben. Aber auch wenn wir uns davon eine andere amerikanische
Sicherheitspolitik erhoffen (Optimisten sagen: schlechter kann’s eigentlich nicht werden), so
darf man dabei nicht vergessen, dass die amerikanische Politik und Sichtweise auf die Welt
immer anders sind als europäische. Natürlich gibt es in Amerika auch andere Denkweisen.
Wir müssen daher die Kommunikation mit diesen Andersdenkenden und amerikanischen
Meinungsführern suchen. Wir müssen jetzt schon solche Verbindungen schaffen und können
nicht einfach abwarten. Denn eines ist auch sicher: ohne die USA oder gar gegen die USA ist
kein größeres Weltproblem zu lösen; das sagt auch die Europäische Sicherheitsstrategie.
Zu Russland. Die Sowjetunion hatte den kalten Krieg verloren. Wenn man damals mit
russischen Historikern oder Staatswissenschaftlern sprach, dann sagten die immer, dass es für
die Sowjetunion ganz wichtig gewesen sei, in der Mitte von Europa sichtbar vertreten zu sein.
Die Anwesenheit sowjetischer Truppen in Deutschland, im Zentrum Europas, war ein
Zeichen, dass die SU eine bedeutende europäische Macht war und in Europa keine wichtige
Frage ohne die SU entschieden werden konnte. Und dann musste sich die SU immer weiter
aus Europa zurückziehen, aus Deutschland, aus Polen, Ungarn, Tschechoslowakei, und immer
weiter. Auf der anderen Seite kam die NATO immer hinterher. Das russische
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Selbstbewusstsein lag ziemlich am Boden. Heute kann Putin sagen: „Russland ist wieder
wer!“ Das ist zur Zeit ein wesentliches Merkmal russischer Politik.
Es ist nicht die militärische Macht (die hat man zwar immer noch, die ist aber nicht mehr so
wichtig), jetzt hat man Gas und Öl und eine entscheidende Stimme und ein Veto im
Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Wer ‚nein’ sagen kann, der wird respektiert. Wenig
hilfreich war in diesem Zusammenhang auch die ganze Debatte um das amerikanische
Raketenabwehrsystem, das in Polen und Tschechien errichtet werden soll. Eigentlich sollte
man nichts gegen ein Raketenabwehrsystem haben, angesichts einer möglichen Bedrohung
aus Iran, Nordkorea oder sonst woher. Aber wie die Debatte geführt wurde, das war
ausgesprochen ungeschickt und kurzsichtig. Als damals die Mauer fiel und der
Viermächtevertrag beschlossen wurde, da hat man den Russen bzw. Sowjets versprochen,
dass man bei einer Erweiterung der NATO keine strategischen Installationen in den neuen
Mitgliedsstaaten einrichten wird. Eine Raketenabwehr ist aber eine strategische Installation.
Dass Putin darauf böse reagiert, war absehbar. Ebenso wenig hilfreich ist, dass einige
europäische Staaten, die sehr unter der Sowjetunion gelitten haben (wie z.B. in Polen und den
Baltischen Staaten spürbar), jetzt mit Rückendeckung von NATO und EU gegenüber
Russland auftrumpfen. Eine Folge davon ist, dass ein neues Partnerschaftsabkommen
zwischen Russland und der EU an der Frage des polnischen Schweinefleisches gescheitert ist.
Früher gab es ein großes russisches Interesse an einem Partnerschaftsabkommen, heute sind
wir mehr daran interessiert, weil es für unsere Energiesicherheit wichtig ist. Und heute kann
Putin sagen: „Ihr wollt unser Öl und unser Gas, wir können warten.“
Der letzte Punkt, den ich ansprechen will, heißt Rüstungskontrolle. Russland hat gedroht,
wegen dieses Raketenabfangsystems zwei wesentliche Rüstungskontrollverträge der
Vergangenheit aufzukündigen, den über Mittelstreckenraketen und den über Stationierung
konventioneller Streitkräfte in Europa. Beide sind nicht mehr so aktuell, das ist eigentlich
mehr eine Formsache. Nur ist das Thema Rüstungskontrolle, das unter Zeiten des Ost-WestKonflikts ein fundamentales war, fast in Vergessenheit geraten und das ist falsch. Es geht jetzt
nicht um Putins Drohung, dass er aus diesen beiden Verträgen aussteigen will, was
bedauerlich wäre. Es geht auch nicht darum, dass Putin angekündigt hat, neue Atomraketen
zu bauen. Das macht Russland sowieso und das wird das Weltbild nicht verändern. Es geht
darum, dass der Gedanke von Rüstungskontrolle quasi nicht mehr existiert. Das ist um so
bedauerlicher, weil gerade jetzt die Rüstungen der Welt sich verändern. Das Thema
Rüstungskontrolle steht weder mit Indien, noch mit Pakistan, Irak, noch mit sonstigen Staaten
auf der Tagesordnung. Wir brauchen Rüstungskontrolle.
Ich sagte am Anfang, ich will Ihnen nicht die Antwort auf die Frage geben „Frieden schaffen
mit Waffen mit oder ohne Waffen?“ Ich wollte Ihnen ein paar Gesichtspunkte für ihre eigenen
Überlegungen liefern. Ein Patentrezept gibt es nach meiner Ansicht ohnehin nicht. Wir
brauchen eigentlich für jeden konkreten Fall eine Lösung, die auf diesen speziellen Fall
abgestimmt ist. Der Nachteil ist nur, dass wir mit unserem menschlichen Verstand, mit
unserer menschlichen Vernunft unsere Rezepte immer daraus bauen, was bisher funktioniert
hat. Nur das muss nicht heißen, dass es im nächsten Fall auch so richtig ist. Und deswegen ist
mein Plädoyer: Wir haben zwar Lösungen, wir haben Maxime. Aber die sind alle noch
verbesserungswürdig – von der Entwicklungshilfe bis zum militärischen Einsatz.
In der Einführung dieses Seminars wurde zitiert, dass einen Frieden gibt, der höher ist denn
alle Vernunft. Nur: Da wir auf die Vernunft angewiesen sind, sollten wir sie auch gebrauchen.
Jedenfalls danke ich Ihnen, dass sie mir eine ganze Stunde lang zugehört haben.
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