Elke Bippus - Zürcher Hochschule der Künste
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Elke Bippus - Zürcher Hochschule der Künste
Elke Bippus Forschen in der Kunst – Forschen über Kunst. Verschränkungen von Theorie und Praxis in zeitgenössischer Kunst Erschienen in: Dieter Lesage, Kathrin Busch (eds.), A Portrait of the Artist as a Researcher. The Academy and the Bologna Process, AS Mediatijdschrift / Visual Culture Quarterly, No. 179, Antwerpen: MuHKA, 2007, S. 20-27. 27.09.2007 Forschen in der Kunst – Forschen über Kunst. Verschränkungen von Theorie und Praxis in zeitgenössischer Kunst Elke Bippus Die Aufwertung der Theorie in der künstlerischen Praxis und die Nutzung wissenschaftlicher Methoden in der Kunst haben neben der kulturwissenschaftlichen Erweiterung der Philologien und der epistemologischen Kontextualisierung der Wissenschaften,1 eine Blickverschiebung auf die Kunst bewirkt. Diese wird zunehmend als „WissensKunst“2 befragt, indem ihre forschenden Anteile untersucht werden.3 Die damit zusammenhängende Annäherung von Kunst und Kulturwissenschaften ist im Kontext des Bologna Prozesses4 neu zu verhandeln. Bereits in den 1990er Jahren hat die Annäherung von Kunst an Fragestellungen und Theorien der Cultural Studies eine Intensität erreicht, die manch kritische Stimme dazu veranlasst hat, von der Kunst einen gewissen Grad von Kennerschaft und formale Qualität einzufordern.5 Auch das seit einiger Zeit festzustellende akademische Interesse an ästhetischer Erfahrung kann als eine Reaktion auf die Ausfransung kulturwissenschaftlicher und künstlerischer Disziplinen diskutiert werden.6 Die Fokussierung von ästhetischer Erfahrung vornehmlich von Seiten der Kunstwissenschaft und Philosophie als bloßes Rollback zu begreifen, verhindert eine notwendige Spezifizierung ästhetischer Erfahrung in diesen Disziplinen. Denn ästhetische Erfahrung kann heute keineswegs mehr als rein sinnliche, gar unmittelbare Erfahrung bestimmt werden, „genauso wenig ist sie gleichzusetzen mit der Erfahrung einer besonderen Klasse von Objekten – etwa Kunstwerken. Ästhetische Erfahrung kann auch nicht begriffen werden als Erfahrung bestimmter (ästhetischer) Eigenschaften von Objekten – etwa Schönheit – oder als Empfindung eines spezifisch ästhetischen Werts.“7 Nach Christian Rolle haben ein ästhetisches Objekt und eine ästhetische Gestaltung den Status eines Arguments, das andere vom Vorzug einer bestimmten Sicht der Welt zu überzeugen versucht. Diese Verschiebung des Begriffs ästhetischer Erfahrung korrespondiert damit, dass zahlreiche Künstler/innen ästhetische Verfahrensweisen in strategischer Hinsicht und widerspenstiger Absicht aufgreifen, um die Betrachter/innen in affektiver Weise anzugehen oder ihr Denken – sei es durch die Intensivierung der Wahrnehmung oder durch Brüche mit dem Erwartbaren – herauszufordern. Mein Interesse gilt im Folgenden der Bedeutung der Verbindung von recherchebasierter Kunst und ästhetischer Erfahrung für den Begriff der Forschung. Die Vorstellungen von künstlerischer Forschung sind weithin äußerst heterogen und nach allen Seiten offen. Während die einen behaupten, jegliche künstlerische Praxis sei Forschung, ersetzen die anderen aus antragspolitischen Gründen künstlerische Praxis durch die Vokabel künstlerische Forschung. Einige wenige sind darum bemüht, Kriterien einer künstlerischen Forschung auszubilden und werden dabei meist mit dem Vorwurf einer Verwissenschaftlichung und Theoretisierung der Kunst konfrontiert. Die Rede der Verwissenschaftlichung oder der Disziplinierung der Kunst impliziert eine Angleichung der Kunst an das Wissenschaftsmodell und ist mit der Vorstellung einer Vernachlässigung künstlerischer Qualitätsstandards verknüpft. Aus wissenschaftlicher Perspektive wiederum wird künstlerische Forschung als Gefahr für Qualitätsstandards der Wissenschaft empfunden. Gerade aus diesem Grund wird eine Arbeit an der Differenz der Disziplinen notwendig, wenn es darum gehen soll, nach dem spezifischen Wissen der Kunst zu fragen. Ich werde im Folgenden Felder öffnen, die mir aus einer (kultur-)wissenschaftlichen Perspektive für eine begriffliche Fassung einer künstlerischen Forschung wesentlich sind. Mein Anliegen ist es, die historisch entstandene und funktional bedingte Differenz von Kunst und Wissenschaft zu berücksichtigen, da sie zu einer Arbeit an und mit den Differenzen von Kunst und Wissenschaft beitragen kann. Die Schärfung der Differenzen richtet sich gegen eine reduktionistische Polarisierung der Disziplinen nach gängigen Mustern und gegen eine problematische Entdifferenzierung,8 welche dazu führen könnte, künstlerische Forschung in einer wissenschaftlichen aufzuheben. Unter dem Stichwort „Praxis der Theorie“ geht es mir zunächst um die Reflexion von Darstellung in wissenschaftlicher, aber vor allem in künstlerischer Praxis. Diese Reflexion begreife ich als zentral für eine ästhetische Erfahrung im oben genannten Sinne. Sie bewirkt eine Spannung zwischen Wissensgenierung und -vermittlung, die in produktiver und selbstkritischer Weise wirksam werden kann. Praxis der Theorie In seiner kulturgeschichtlichen und sozialgeschichtlichen Verwurzelung gründet der hohe Stellenwert der Theorie in der Verachtung der Arbeit, die in der Antike für einen freien Mann unwürdig war und von Frauen und Sklaven ausgeführt wurde. In der Neuzeit wurde Arbeit unter protestantischem Einfluss aufgewertet. Fortan wollten auch die Philosophen arbeiten. Kant und Hegel sprechen explizit von Arbeit gerade in philosophischen Zusammenhängen.9 Das Geschäft der Theorie gilt vornehmlich als eine objektivierende Schau. Ihre Aufgabe ist gemeinhin, die vielfältigen und irreführenden Erscheinungen auf eine Realität hin zu reduzieren und das Spezielle und Zufällige in das Allgemeine und Gültige zu übersetzen. Theorie in diesem Sinne ist eine Tätigkeit, die begreift, verobjektiviert, systematisiert, die der Ordnung verpflichtet ist und scheinbar frei von Interessen und Wertungen. Dieses Bild der Theorie hat von verschiedenen Seiten Modifizierungen erfahren. Eine grundsätzliche Relativierung des wissenschaftlichen Wissens formulierte Ludwik Fleck, der 1929 schrieb: „Man darf eben das soziale Moment der Entstehung der Erkenntnis nicht außer Acht lassen.“10 Er forderte: „Jede Erkenntnistheorie [muss] mit Sozialem und weiterhin mit Kulturhistorischem in Beziehung gebracht werden, insofern sie nicht in schweren Widerspruch mit der Geschichte der Erkenntnis und der alltäglichen Erfahrung […] geraten will.“11 In den 1980er Jahren haben Karin Knorr-Cetinas Untersuchungen wissenschaftlicher Labore dazu beigetragen, wissenschaftliche Erkenntnis als Resultat sozialer und technischer Konstruktions- und Herstellungsprozesse zu verstehen, die auch von den zur Verfügung stehenden Ressourcen und den Arbeitsbedingungen der Forscher abhängen. Indem die Wissenschaft nicht allein aus der Perspektive ihrer stabil gewordenen theoretischen und technischen Produkte in den Blick genommen wurde, trat sie als kulturelle Praxis in Erscheinung. Wissenschaft wird u.a. dabei zunehmend als Kulturtechnik untersucht und das Interesse an deren Verfahrensweisen, ihrer Medialität und ihren Darstellungspraxen wächst.12 Die Untersuchungen zielen bislang vor allem auf die Naturwissenschaften und ihre Techniken der Visualisierung. Berlin kann hier geradezu als Schmiede einer Wissenschaftgeschichte bezeichnet werden: Das Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, das Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik und das Zentrum für Literatur- und Kulturforschung tragen dazu bei, die Praxisformen der Wissensgenerierung in den Mittelpunkt zu rücken. Das Anliegen von Hans-Jörg Rheinberger beispielsweise ist es, die Laborpraxis zum Gegenstand wissenschaftstheoretischer Untersuchungen zu machen, das heißt, die Praktiken der Spurenerzeugung in Labortagebüchern, Forschungsnotizen oder in Videoprotokollen. Aber auch die Untersuchung der Praxisformen der Geistes- und Kulturwissenschaften wurde in den letzten Jahren vorangetrieben. In diesem Zusammenhang kann auf Untersuchungen von Jörg Huber und Gesa Ziemer verweisen werden.13 Die Autoren begreifen Theorie als einen Gestaltungsvorgang. Sie richten ihre Aufmerksamkeit auf die literarische Seite eines Textes, auf die Bedeutung von Intertextualität und die Spannung zwischen Autor und Performanz. Sibylle Peters macht in ihren Vortragsperformances den Vortrag selbst zum Thema, indem sie trickreich die Form gegen den Inhalt verschiebt und es so möglich werden lässt, über den Akt des Vortragens während des Vortrags nachzudenken.14 Will man Theorie als eine Praxis begreifen, wird es notwendig, Stil- und Verfahrensfragen zu reflektieren. Deutlich wird dann, dass Visualisierungen – wie etwa das Durchstreichen oder Überschreiben von Wörtern und Sätzen – nicht allein illustrative oder eben rein ästhetische, sondern argumentative Funktionen im diskursiven Zusammenhang übernehmen und in ihnen die Vielschichtigkeit des Textes und seine Medialität deutlich werden. Aber auch auf Seiten der Kunst zeigen zahlreiche Beispiele der Kunstgeschichte des 20. und angebrochenen 21. Jahrhunderts eine Öffnung hin zu wissenschaftlichen Techniken und ein Bemühen, theoretisches Denken und praktisches Handeln in seinen Überkreuzungen zu verstehen. Bereits die historische Avantgarde hat neue Allianzen zwischen Medien, Lebenswissenschaften und Kunst gebildet. Kasimir Malewitsch hat „geschmäcklerische Methoden vom Typ ‚gefällt – gefällt nicht‘ einer[r] wissenschaftlichen[n] Herangehensweise“15 gegenüber gestellt und die Vorstellung vom Maler durch die des Malers als Wissenschaftler erweitert. Malewitsch und seinen Künstlerkollegen ging es, so Sabine Flach, „um die Beantwortung der Frage, was künstlerische Erkenntnisfähigkeit ist und was sie leistet. Dabei sollte nicht nur ein Bogen zwischen Kunst und Wissenschaft gespannt, sondern gleichzeitig die im 19. Jahrhundert vollzogene Teilung der Kunst in eine naturwissenschaftlich-experimentelle und eine nostalgisch-irreale Variante überwunden werden.“16 Das Instrumentarium, die Methoden und die Erkenntnisse der Kunst selbst wurden einer umfassenden Untersuchung unterzogen. So erforschte eine Gruppe russischer Künstler, unter ihnen Malewitsch, Matjuschin und Tatlin, am Staatlichen Institut für künstlerische Kultur, GINChUk, systematisch die Gestaltungsverfahren der Kunst, um eine allgemeingültige Methodologie zu formulieren. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde zugunsten konstruktiver Fähigkeiten von künstlerischer Forschung explizit ein Bruch vollzogen zu Konzepten, in denen ein Werk als Medium der Repräsentation fungiert. Neben solchen (Grundlagen-)Forschungen für die Kunst, die in den 1960er Jahren verstärkt im technischen Bereich zu Kooperationen zwischen Wissenschaftlern und Künstlern führten,17 intensivierte sich die Forschung in der Kunst.18 Solche Forschungen in der Kunst19 geht es weniger um die Produktion eines positivierbaren und nachprüfbaren Wissens. Im Gegenteil, es geht um die je neue Produktion von Wissen. Forschungen in der Kunst verklammern Darstellung und Dargestelltes, reflektieren ihre Medialität und Theatralität. Sie schaffen ein Feld, in dem forschende Prozesse in Form von Gedankenexperimenten20 möglich werden. Hierin sind solche Arbeiten Texten von „Diskursivitätsbegründern“ (wie Freud und Marx) vergleichbar, wie sie Michel Foucault in „Was ist ein Autor“ beschrieben hat. Ein Diskursivitätsbegründer eröffnet „Möglichkeiten und […] Bildungsgesetze für andere Texte“ und einen Raum „für etwas anderes als sie selbst [sind], das jedoch zu dem gehört, was sie begründet haben.“21 Solche Diskursivitäten machen es notwendig, zum Ursprungstext, zur Quelle zurückkehren. Auch für Forschungen in der Kunst gilt es, sie in der konkreten Begegnung zu durchdringen, es gilt, sie in ihren Rahmungen und thematischen Setzungen als Ort einer intellektuellen Produktion zu nutzen. Wissen und ästhetische Erfahrung Die wissenschaftliche Erkenntnis ist in unserer kulturellen Tradition als die höchste und wichtigste Form des Wissens eingestuft, vor einem Alltagswissen oder einem Wissen der Kunst. Am Ranghöchsten stehen dabei immer noch die theoretischen Wissenschaften.22 Das Wissen der Kunst hat wenig mit den empirisch-analytischen Vermögen der Wissenschaften zu tun, in denen Begriffe der Klarheit, Kohärenz, Nachvollziehbarkeit, der Plausibilität, der Verallgemeinerung oder Übertragbarkeit zentral für deren Legitimierung sind. Das Wissen der Kunst und der künstlerische Umgang mit kulturellen Begriffen vollzieht sich im Unterschied zu (geistes-)wissenschaftlichen Wissensformen verstärkt in räumlichen und zeitlichen Inszenierungen. Die künstlerische Praxis baut in der Übersetzung von Konzepten und Materialisierungen von Imaginationen vielfach auf in der Moderne entwickelte Verfahren auf und setzt diese in bewusster und verführerischer Weise ein, beispielsweise um taktile Empfindungen zu suggerieren, Irritationen hervorzurufen oder Vertrautes aufzustören. Sie nutzt die Darstellungsweisen als Köder, versetzt mit ihnen die willigen Betrachter in bestimmte Haltungen und Erwartungen, vermag sie zu berühren und löst so Erfahrungen, Empfindungen und Assoziationen aus. Die Kunst, die mit aisthetischexperimentellen Strategien auf Affektion zielt, will nicht klassifizieren und zweckrational beherrschen, sondern setzt auf Singularität und reflektiert hierdurch den räumlichen und zeitlichen Aspekt der sprachlichen Zeichenaktivität als eine endlose Produktion von Differenzen. Die in der Moderne entwickelten Darstellungsverfahren hatten sich gegen die quasi immaterielle Konzeption künstlerischer Darstellungsweisen gerichtet, die im theoretischen Ideal der Handzeichnung in ihrer reinsten Form gefasst war. Insbesondere die explizite Offenlegung der Opazität der Medien war in diesem Zusammenhang bedeutsam.23 Die bildende Kunst bekräftigte durch sie, dass sie keine Repräsentation, keine Nachahmung oder ein bloßes Fabrizieren ist, sondern eine Ausdruckshandlung. Die Betonung der sinnlichmateriellen Qualitäten zielt auf eine ästhetische Erfahrung und ist eine dezidierte Absage an ein Verstehen, das vernunftgeleitetes Erkennen in den Vordergrund der Kunsterfahrung rückt. Durch die Entfremdung des ästhetischen Objekts aus unserem gewöhnlichen Verstehen und durch eine grundsätzliche Verunsicherung unseres verstehenden Zugangs zum ästhetischen Objekt soll unser gewöhnlicher Weltbezug unterbrochen werden. Die Betrachter sind aufgefordert oder eingeladen, sich auf ein ästhetisches Spiel einzulassen, um mögliche Weltzugänge zu entwerfen. Kunst produziert kein Wissen, das man besitzen könnte, sie eröffnet vielmehr Prozesse der Wahrnehmung, der Handlung und Reflexion. Durch diese Weise der ästhetischen Erfahrung wird die Wissensgenerierung zugunsten einer Vermittlung, in der Wissen selbst hervorgebracht wird vernachlässigt. Hans Haackes Umsetzungen seiner künstlerischen Ideen sind in diesem Zusammenhang aufschlussreich: Die Recherchen dieses Künstlers sind in vielfältiger Hinsicht soziologischen oder anthropologischen Untersuchungen ähnlich und können insofern und Schwierigkeiten mit den (vagen) Vorstellung einer künstlerischen Forschung identifiziert werden. Wesentlich für den hier entwickelten Zusammenhang ist mir nun, dass Haacke die von ihm genutzten Elemente in ihrer zeichenhaften Funktion und in ihrer Materialität in den Blick bringt und hierdurch eine Differenz öffnet, durch die der Prozess der Bedeutungsbildung reflektierbar wird. Hans Haackes Beitrag Germania zur Biennale Venedig von 199324 beispielsweise markiert die „Opazität der Repräsentation“25 und unterbricht den Reflex, die konventionell naheliegenste Bedeutung zu ermitteln, wie sie sich in funktionellen Zusammenhängen aufdrängt, da alles andere das Signum des Nebensächlichen erhält. In Germania inszeniert Haacke mit einem übergroßen D-Mark-Stück von 1990, dem Jahr der Wiedervereinigung, das über den Eingang des deutschen Pavillons in den Giardini der Biennale Venedig platziert war und einem gegenüber der Eingangstür aufgehängten vergrößerten Foto, das Hitler beim Besuch der Biennale in Venedig 1934 zeigt, einen bestimmten Kontext. Im Pavillon ließ er den Travertinfußboden herausstemmen, mit dem das Gebäude 1938 im nationalsozialistisch-faschistischen Geiste aufgerüstet wurde. Das Werk konfrontiert die Betrachter, indem es auf der Ebene der Ästhetik und der Information lesbar wird, mit Bedeutungen, die nicht an ihm selbst objektivierbar sind und an keinem vorgängigen Referenten. Sie ereignen sich vielmehr zwischen den Akteuren, zwischen Werk und Betrachter in ihren jeweiligen sozialen, historischen und gesellschaftlichen Verkettungen. Das Kunstwerk wird in einem Zusammenspiel von Materialität, Gestaltung und Bedeutung als Medium der Bedeutungs- und Wissensproduktion und nicht als Transportmittel von Bedeutung erfahrbar.26 Die Betrachter treten in einer theatralen Situation zu sich selbst in eine Distanz und werden sich ihrer Rolle innerhalb dieses Prozesses bewusst. Wissen wird insofern weder in einer referentiellen Weise aufgerufen, noch obliegt dessen Hervorbringung der alleinigen Willkür der Betrachter/innen. Diese Theatralisierung als Figur ästhetischer Selbstreflexion wird nach Juliane Rebentisch möglich, weil „die Bedeutung, mit denen das Werk dem Betrachter gleichsam entgegenkommt, weder objektiv am Werk abzulesen sind noch aber vom Betrachter im strengen Sinne ‚gemacht‘ werden.“27 Die Betrachter/innen erfahren sich „in bezug auf das ästhetische Objekt als performativ, als hervorbringend, ohne daß sich die so wirkenden subjektiven Kräfte jedoch vollständig kontrollieren ließen. […] Die ästhetische Verunsicherung des Zugangs des – konstitutiv einzelnenen – Subjekts zum Objekt führt im gleichen Zug zu einer Reflexion des Subjekts auf das eigene Herstellen von Beziehungen, auf die eigene Tätigkeit des ‚fortwährenden Lesens‘.“28 In und durch die künstlerische Arbeit als eine komplexe Anordnung vollzieht sich eine ästhetische Erfahrung, die in einen kritischen Diskurs, in eine Erkenntnis münden kann. Eine ästhetische Erfahrung ohne Bezug auf Bedeutung ist undenkbar. Im Gegenteil, sie spielt sich „wesentlich zwischen rezipierendem Subjekt und ästhetischem Objekt“29 – als diskursiv-poetische Wissensform – ab. In der Wissenschaft wird ein bestimmter Teil dessen, was erforscht ist und gewusst werden kann, realisiert und konsistent dargelegt. Dabei wird üblicherweise die strukturierende Wirkkraft eines Mediums, die situative Bedingung und die Kontingenz der Verfertigung einer Theorie oder von Wissen zugunsten der eindeutigen und verständlichen Darstellung eines möglichst unwiderlegbaren und abschließenden Ergebnisses zurückgedrängt. Kunst setzt dagegen auf Vagheit, auf Ambivalenz und die Virtualität von Wissen, das in je spezifischen Situationen aktualisiert werden muss/kann. Es geht offenbar nicht um die Vermittlung von Ergebnissen, vielmehr um die Öffnung eines Forschungsfeld, das verschiedenste Anschlussmöglichkeiten bietet und so die Rezipienten zu einer aktiven Auseinandersetzung auffordert. Indem so die Aufmerksamkeit auf die Gestaltung und die Herstellungsprozesse gelenkt wird, wie auf strukturierende und bedeutungskonstitutive Funktionen, wird der historische, kunstimmanente oder kulturelle wie der gesellschaftliche, ökonomische oder alltäglichen Kontext reflektiert. Vielleicht sind künstlerische Forschungen aus wissenschaftstheoretischer Perspektive u.a. deshalb so attraktiv, da dort die in der Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Kunst entwickelten Theoriemodelle einer kritischen Darstellungspraxis verwirklicht scheinen. Künstlerische Forschung könnte meiner Ansicht nach hier ein Modell einer kulturwissenschaftlichen Vermittlungspraxis werden. 1 Insbesondere die kulturwissenschaftliche Erweiterung der Philologien hat weithin die Frage hervortreten lassen, ob die Bereiche des Ästhetischen, Kreativen, Subjektiven und Diskursiven auf der einen Seite und der Rationalität, des Logischen, Objektiven und Realen auf der anderen strikt zu trennen sind. Vgl. hierzu Nicolas Pethes: Poetik / Wissen. Konzeptionen eines problematischen Transfers, in: Gabriele Brandstetter, Gerhard Neumann (Hg): Romantische Wissenspoetik. Würzburg [Königshausen & Neumann] 2004, S. 341–372, hier S. 341. 2 Vgl. dazu Sabine Flach: WissensKünste. Die Kunst zu wissen und das Wissen der Künste, in: Sigrid Weigel (Hg.): 10 Jahre ZFL Zentrum für Literatur- und Kulturforschung, Berlin 2006, S. 77–81. 3 Susanne Witzgall: Kunst nach der Wissenschaft : zeitgenössische Kunst im Diskurs mit den Naturwissenschaften, Nürnberg [Verlag für Moderne Kunst] 2003. 4 Mit dem Bologna Prozess, der sich 1999 zum Ziel setzte, bis 2010 einen gemeinsamen europäischen Hochschulraum zu schaffen, ist ein erweiterter Leistungsauftrag der Hochschulen hinsichtlich der Forschung verknüpft. Dieser Leistungsauftrag hat auch die Diskussion um künstlerische Forschung angefacht, da die Kunsthochschulen, die sich dem Reformmodell anschließen, angehalten sind, in ihrer Institution Forschung zu betreiben. 5 Vertreter der linken Kunstkritik wie Benjamin Buchloh, Rosalind Krauss oder Timothy Clark stellten – bedingt durch die Cultural Studies – einen Verlust der formalen Qualität künstlerischer Praxis fest und sprachen sich dagegen aus, Kunstkritik mit kulturwissenschaftlichen Methoden zu verknüpfen. Vgl. Sabeth Buchmann: Kritik der Institutionen und/oder Institutionskritik? (Neu-)Betrachtung eines historischen Dilemmas. www.donauuni.ac.at/imperia/md/content/campuscultur/kritik_der_institutionen_und_oder_institutionskritik.pdf. Vgl. auch: Rosalind Krauss: Der Tod der Fachkenntnisse und Kunstfertigkeiten, in: Texte zur Kunst. 20 : 5, 1995, S. 61–67; 6 Beispielhaft kann in diesem Zusammenhang auf den Sonderforschungsbereich „Ästhetische Erfahrung im Zeichen der Entgrenzung der Künste“ der Freien Universität Berlin verwiesen werden. www.sfb.626.de 7 Christian Rolle: Was heißt "ästhetische Erfahrung"? Annäherungen an einen Grundbegriff der Ästhetik in musikdidaktischer Absicht, in: Birgit Jank, Jürgen Vogt (Hg.): Ästhetische Erfahrung und Ästhetisches Lernen. (Dokumentation Erziehungswissenschaft. Schriften aus dem FB 06 der Universität Hamburg; 13), Hamburg 1998, S. 187–220, hier, S. 188. 8 Vgl. hierzu Flach 2006, S. 78. 9 Vgl. dazu Herbert Schnädelbach: Erkenntnistheorie zur Einführung, Hamburg [Junius] 2002, S. 85f. 10 Ludwik Fleck zit. nach Hans-Jörg Rheinberger: Epistemologie des Konkreten, Frankfurt am Main [Suhrkamp] 2006, S. 27. 11 Fleck zit. nach Rheinberger 2006, S. 28. 12 Die Perspektive auf die Aufzeichnungs- und Darstellungstechniken der Theorie lässt deutlich werden, wie der Wissenschaftsapparat der immanenten Differenz schriftlicher Repräsentation gehorcht und das wissenschaftliche Handeln konstitutiver Teil wissenschaftlicher Wahrheiten ist. Nicht allein der Gehalt einer wissenschaftlichen Untersuchung, sondern auch deren Rhetorizität ist von Bedeutung. Vgl. hierzu Pethes 2004, v.a. S. 365. 13 Gesa Ziemer: Verletzbare Orte : Entwurf einer praktischen Ästhetik, Potsdam [Online-Datei.] 2006. Jörg Huber: Gestaltung Nicht Verstehen, in: In: Albrecht, Juerg u.a. (Hrsg.): Kultur Nicht Verstehen. Zürich [Edition Voldemeer] 2005, S. 193–201. 14 Vgl. Sibylle Peters, Martin Jörg Schäfer (Hg.): Intellektuelle Anschauung : Figurationen von Evidenz zwischen Kunst und Wissen, Bielefeld [transcript] 2006. 15 Sabine Flach: Das ‚Gefühl‘ ist es, welches das ‚Hirn‘ korrigiert. Wahrnehmungsexperimente zwischen Kunst und Lebenswissenschaft, unveröffentlichtes Manuskript, S. 5. 16 Flach (unv. Manuskript), S. 5 17 Viele Künstler experimentieren in den sechziger Jahren mit neuen Materialien und Prozessen. Die Organisation Experiments in Art and Technology des schwedischen Ingenieurs Billy Klüver und seine Zusammenarbeit mit Robert Rauschenberg, in der Klüver nicht allein das technische Know How lieferte, sondern von der Konzeption an bis zur Realisation mit Rauschenberg zusammen Projekte verfolgte, hatte eine Brückenfunktion zwischen Kunst und Technowissenschaften. 18 Die Unterscheidung einer Forschung in und über Kunst übernehme ich von Henk Borgdorff. Der Kunsttheoretiker hat in seinem 2006 publizierten Text The Debate on Research in the Arts künstlerische Forschung systematisch unterschieden in: research on the arts, for the arts, in the arts. Eine typische Forschung über Kunst ist beispielsweise die Kunstgeschichte. Material- und Gestaltungsforschungen sind Untersuchungen für die Kunst. Im Unterschied dazu sind Forschungen in der Kunst immanent und performativ. Spezifisch für sie ist, dass sie sich im Unterschied zu den Wissenschaften nicht auf eine Subjekt-Objekt-Trennung berufen, im Gegenteil, die künstlerische Praxis ist konstitutiv für den Forschungsprozess und das Resultat. Research in the arts basiert nach Borgdorff auf dem Verstehen, dass es keine fundamentale Trennung zwischen Theorie und Praxis gibt und sie reflektiert die Materialität wie deren Transzendierung, das heißt die Medialität der künstlerischen Darstellung. Henk Borgdorff, The Debate on Research in the Arts, (Sensuous Knowledge. Focus on Artistic Research and Development, 2, herausgegeben von der Kunsthøgskolen Bergen), Bergen 2006. 19 Vgl. Zur Forschung in der Kunst auch: Elke Bippus: Forschen in der Kunst. Anna Oppermanns Modell der Welterschließung / Research in Art. Anna Oppermann’s Model for Understanding the World, in: Ausst.-Kat.: Anna Oppermann Ensembles 1968-1992 hrsg. von Ute Vorkoeper, Stuttgart [Hatje] 2007 (im Druck). 20 Gedankenexperimente unterscheiden sich von der Fiktion darin, dass sie „die Welt zumeist nur an einer einzigen Stelle [verändern]; aber sie überprüfen an vielen anderen Stellen, wie sich diese Veränderung auswirken könnte.“ Annette Wunschel, Thomas Macho: Mentale Versuchsanordnungen, in: Dies. (Hg.): Science & Fiction. Über Gedankenexperimente in Wissenschaft, Philosophie und Literatur. Frankfurt am Main [Fischer] 2004, S. 9–14, hier. S. 9. Gedankenexperimente sind notwendig literarisch und wissenschaftlich und die Verfasser von Gedankenexperimenten wollen „oft gar nicht zu Wissen gelangen“. Robert Pfaller: Das vertraute Fremde, das Unheimliche, das Komische. Die ästhetischen Effekte des Gedankenexperiments, in: Macho, Wunschel (Hg.) 2004, S. 265–286. 21 Michel Foucault: Was ist ein Autor? (1969), in: Ders.: Schriften zur Literatur, erste Aufl. 1974. Frankfurt am Main [Fischer] 1988, S. 7–31, hier S. 25. 22 Theoretische Wissenschaft bedeutet im Wortsinn eine Wissenschaft in kontemplativer Haltung. Dazu vgl. Schnädelbach 2002, S. 85. Die theoretische Wissenschaft ist hierin der ästhetischen Erfahrung ähnlich, in der – neben einem korresponsiven und imaginativen – ein kontemplativer Modus wirksam ist. Vgl. dazu Rolle 1998, S. 212. 23 Zur Opazität vgl.: Louis Marin: Über die Opazität, in: Ders.: Über das Kunstgespräch, Paris 2001, S. 47–65. In der Moderne wurde die Überhöhung der kognitiven Leistungen der Zeichnungen, wie sie in der Renaissance ausgebildet worden war, angegangenen. Das Renaissance-Konzept der Zeichnung war bekanntlich darauf ausgerichtet, eine Allianz zwischen Kunst und Wissenschaft zu ermöglichen. Die Zeichnung war zu dieser Zeit das maßgeblich Darstellungsmedium in der Umwertung der klassischen Kunsttheorie und ihrer Institutionen. Indem die Funktion der Zeichnung vom rein Technischen zum Konzeptionellen hin verschoben wurde, stellte man die Künste auf ein intellektuelles Fundament. Die Nobilitierung zur freien Kunst gegenüber dem mechanischen Handwerk gründete vor allem auf der Erkenntnisfunktion, die mit der Zeichnung verknüpft war. Sie gewährleistete eine Anschlussfähigkeit an die Diskurse und die theoretische Einbindung künstlerischer Praxis. Die Moderne betonte dagegen die sinnlichen und materiellen Qualitäten. Die „Linie [wurde] primär zur Registratur einer Gebärde und zur Spur einer Physis“, d. h. sie wurde als Medium des Subjektiven und der Empfindung relevant. Carolin Meister: Randgänge der Zeichnung, in: Werner Busch, Oliver Jehle, Carolin Meister (Hg.): Randgänge der Zeichnung, München [Wilhelm Fink Verlag] 2007, S. 7–10. Die Umwertung machte es möglich, die Zeichnung als Form eines materiellen Wissens zu befragen. 24 Vgl. dazu: Hans Haacke, „Bodenlos“, Biennale Venedig 1993 Deutscher Pavillion, herausgegeben von Klaus Bußmann und Florian Matzner, Ostfildern bei Stuttgart [Edition Cantz]1993. 25 Marin 2001, S. 47–65. 26 Vgl. zu Haackes Arbeit: Elke Bippus: Mediale (Eigen-)Sinnigkeiten. Überlegungen zur künstlerischen Wissensbildung im Medium / Media Stubbornness and Appropriateness. Considerations on artistic knowledge formation within the medium, in: Torsten Meyer, Timo Meisel, u.a. (Hg.): Bildung im Neuen Medium, Münster [Waxmann] 2007 (in Vorbereitung). 27 Juliane Rebentisch: Ästhetik der Installation, Frankfurt am Main [Suhrkamp] 2003, S. 67. 28 Rebentisch 2003, S. 67f. und 71. 29 Rebentisch 2003, S. 135. Da die Erfahrung selbst historisch wandelbar ist, erschließt diese die Werke immer wieder neu. Vgl. ebd., S. 137.