Big Band Sound - Erich-Thienhaus-Institut

Transcrição

Big Band Sound - Erich-Thienhaus-Institut
Diplomarbeit
Big Band Sound
Vergleichende Analyse aktueller Produktionstechniken
für traditionelle Big-Band-Musik
von
Robin Ken Bös
Erstgutachter: Prof. Michael Schubert
Zeitraum: Juni – September 2011
Erich Thienhaus Institut
Tonmeisterausbildung an der HfM Detmold
ii
Kurzfassung
Die vorliegende Diplomarbeit hat das Ziel, den Big Band Sound und seine Entstehung zu
erforschen. Hierzu werden zunächst die musikalischen Parameter des akustischen
Klangkörpers dargestellt, also die historisch gewachsene Besetzung und der Umgang mit den
Instrumenten sowie die Funktionen, die die Instrumente und Gruppen innerhalb der Big Band
erfüllen. Anschließend wird durch eine Art Momentaufnahme der aktuellen Produktionspraxis
die Frage erläutert, wie die historischen Vorgaben heute in Aufnahmen umgesetzt werden.
Dazu wurden die verantwortlichen Personen der deutschen Rundfunk-Big-Bands befragt,
deren tägliche Aufgabe es ist, den Big Band Sound im Radio zu transportieren. Ein
besonderes Augenmerk wurde unter anderem darauf gelegt, welche Lösung jeweils für die
Aufgabenstellung gefunden wurde, um die speziellen Anforderungen von Big Band
Aufnahmen in der Praxis aufzuzeigen.
Die in vielen Treffen und Telefonaten gesammelten Ansichten und Meinungen wurden
schließlich unter Laborbedingungen bei der Produktion eines beispielhaften Titels gezielt
untersucht. Diese Aufnahme bildet die Grundlage für die Hörbeispiele, auf die in den
einzelnen Kapiteln verwiesen wird.
Zu den Ergebnissen dieser Untersuchung zählt, dass der Big Band Sound vor allem durch
Parameter beeinflusst wird, die musikalischen Ursprungs sind. Zwar gibt es auch technische
Faktoren, die einen erheblichen Einfluss haben können, diese werden jedoch wirkungslos,
sollte die musikalische Grundlage Fehler aufweisen.
Abschließend lässt sich daraus die Erkenntnis gewinnen, dass gerade hier die Arbeit von
Tonmeistern mit ihren musikalischen, kommunikativen und technischen Fähigkeiten an Wert
gewinnt und zum Gelingen einer Aufnahme und eines für alle Seiten erfreulichen
Endprodukts beiträgt.
iii
Dank
Den folgenden Personen möchte ich für ihre freundliche Bereitschaft bei der Befragung oder
ihre tatkräftige Unterstützung bei der Produktion danken.
Big Band Leiter:
Michael Abene
Manfred Honetschläger
Jörg-Achim Keller
Ed Partyka
Jiggs Whigham
Tonmeister:
Carlos Albrecht
Oliver Bergner
Axel Gutzler
Rüdiger Orth
Christian Schmitt
Studenten:
Sebastian Clobes
Martin Müller
Sebastian Müller
und vor allem:
der Big Band der HfM Detmold unter Leitung von Prof. Oliver Groenewald
iv
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis_______________________________________________________v
CD Tracks_________________________________________________________________vi
1. Einleitung________________________________________________________________1
1.1 Zielsetzung.......................................................................................................................1
1.2 Arbeitsweise ....................................................................................................................2
2. Gattungsgeschichte Big Band________________________________________________5
2.1 Historische Grundlage......................................................................................................5
2.2 Beat...................................................................................................................................6
2.3 Harmonik..........................................................................................................................7
2.4 Die Ära der Big Bands...................................................................................................10
3. Arrangements____________________________________________________________15
3.1 Besetzung.......................................................................................................................15
3.2 Instrumente.....................................................................................................................17
3.3 Kurzanalyse "Hay Burner" by Sammy Nestico..............................................................23
4. Vergleich________________________________________________________________27
4.1 Befragung von Profis zur aktuellen Aufnahmepraxis....................................................27
4.2 Personen ........................................................................................................................28
4.3 Erkennbare Tendenzen / Meinungsbilder.......................................................................30
4.4 Auswahl der konstanten Parameter................................................................................36
4.5 Auswahl der Vergleichsparameter..................................................................................38
4.6 Aufnahme-Setup.............................................................................................................39
4.7 Aufstellungen..................................................................................................................39
4.8 Mikrofonierungsvergleiche............................................................................................45
4.9 Klangästhetische Konzepte............................................................................................49
5. Zusammenfassung / Fazit__________________________________________________53
5.1 Musikalische Aspekte.....................................................................................................53
5.2 Ausblick..........................................................................................................................55
6. Literaturverzeichnis_______________________________________________________57
7. Anhang__________________________________________________________________A
7.1 Produktions-Übersicht.....................................................................................................A
7.2 Partitur.............................................................................................................................B
v
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Verhältnisse der Stimmen zum Beat (Count Basie).......................................................6
Abb. 2: Hinzufügungen in Dur...................................................................................................7
Abb. 3: Hinzufügungen in Moll..................................................................................................8
Abb. 4: "close" und "open" Voicings..........................................................................................8
Abb. 5: Gitarren-Stimme mit Anweisung für den Verstärker ("AMP")....................................19
Abb. 6: Ambitus der Saxophon-Section....................................................................................21
Abb. 7: Dynamischer Formverlauf „Hay Burner“....................................................................24
Abb. 8: Paning der Bläser als Pyramide oder als Blöcke..........................................................31
Abb. 9: Studio der NDR Big Band...........................................................................................35
Abb. 10: Studio der WDR Big Band.........................................................................................35
Abb. 11: Studio der HR Big Band.............................................................................................36
Abb. 12: Ausschnitt der Pyramix EDL.....................................................................................40
Abb. 13: Konzertaufstellung.....................................................................................................42
Abb. 14: Getrennte Saxofone....................................................................................................43
Abb. 15: Kreisaufstellung.........................................................................................................44
Abb. 16: Mikrofonierung der Saxofone....................................................................................45
vi
CD Tracks
Hay Burner Ganzfassungen (Kap. 4.7)
1. Konzertaufstellung
2. Saxophone hinter Blech
3. Kreisaufstellung
4. Konzertaufstellung ohne Hall
5. Saxophone hinter Blech ohne Hall
6. Kreisaufstellung ohne Hall
Mikrofonierungsvergleich: Saxophone (Kap. 4.8.1)
7. Neumann TLM103
8. Elektrovoice RE20
9. Schoeps ccm41
Mikrofonierungsvergleich: Trompeten (Kap. 4.8.2)
10. Neumann U67
11. Neumann KM140
12. Neumann U67 in der Mischung
13. Neumann KM140 in der Mischung
Mikrofonierungsvergleich: Posaunen (Kap. 4.8.2)
14. Neumann TLM127
15. Neumann KM140
Mikrofonierungsvergleich: Klavier (Kap. 4.8.3)
16. Neumann U87
17. Schoeps ccm4v + Neumann TLM170
Paning der Bläser (Kap. 4.9.1)
18. Blöcke
19. Pyramide
Bassinstrumente (Kap. 4.9.2)
20. getrennt LR
21. gemeinsam R
22. beide Mitte
Ambience (Kap. 4.9.3)
23. Solo ohne Filter
24. Solo mit Filter
25. muted
26. -9 dB
27. 0 dB
28. +4 dB
Einleitung
1
1. Einleitung
1.1 Zielsetzung
Big Band- Musik ist in der heutigen Zeit zu einem Luxusprodukt geworden, das aus Mangel
an Interesse des Breitenpublikums in der Regel nicht mehr auf professioneller Basis
wirtschaftlich betrieben werden kann. Trotz einiger Versuche, Big Band-Musik wieder
eigenständig auf dem Popmarkt zu positionieren (Michael Bublé, Roger Cicero, Tom Gäbel
etc.) ist die professionelle zeitgenössische Big Band-Landschaft auf die Unterstützung von
kulturfördernden Maßnahmen und Programmen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten
oder anderen finanzstarken Institutionen angewiesen. Sie sind sozusagen "Kulturreservate",
die mehr noch als Theater und Orchester durch Sparmaßnahmen bedroht sind, da das
öffentliche Interesse und die Organisationsform vergleichsweise geringer sind. Dennoch gibt
es eine lebendige Szene von Musikern, die sich nicht auf den Erhalt einer darwinistisch
ausgestorbenen Stilrichtung konzentriert, sondern den Big Band Jazz ständig mit neuen
Impulsen, kreativen Ideen und Arrangements versorgt und damit auf künstlerischem Niveau
die „Königsdisziplin“ aktuell und lebendig erhält.
Als Pendant zu den musikalischen Entwicklungen ist auch die Studiolandschaft und damit
impliziert die Tonmeister und -Ingenieure auf der anderen Seite der Scheibe immer auf der
Suche nach neuen Lösungen und Klängen, die den neuen Anforderungen gerecht werden
sollen. Gerade bei den Rundfunk Big Bands, deren Aufgabe es ist, im Radio ohne visuelle
Information die Idee einer Komposition stilecht und verständlich dem Hörer nahe zu bringen,
werden im Rahmen der immer knapper werdenden finanziellen Mittel ständig neue Verfahren
eingesetzt, technische Möglichkeiten ausgelotet und experimentiert.
Das Ziel dieser Arbeit soll sein, den aktuellen Big-Band-Sound zu erforschen, also die Art
und Weise, wie der akustische Klangkörper der größten Besetzungsform des Jazz heute auf
akustischen Medien repräsentiert wird. Eine klare Klassifizierung oder Bewertung der Mittel
ist hierbei kaum möglich, da es wie bei allen ästhetischen Auseinandersetzungen kein 'richtig'
oder 'falsch' geben kann. Die Unterschiede sind jedoch greifbar und identifizierbar, so dass
hier sinnvolle Vergleiche technisch möglich wären, aber in der zeitlichen Disposition für
Studiozeiten heutiger Aufnahmen kaum zu integrieren sind. In der Regel wird man sich zu
Beginn einer Session für ein bestimmtes Setup entscheiden und dieses auch bis zum Ende der
Aufnahmen beibehalten, da größere Veränderungen des Setups nicht nur wertvolle Studiozeit
Einleitung
2
in Anspruch nehmen, sondern auch die klangliche Homogenität der Aufnahmen gefährdet. So
kann unter den „Laborbedingungen“ dieser Arbeit zum Beispiel die Frage erläutert werden,
welchen Einfluss unterschiedliche Aufstellungen auf das Endprodukt haben.
Die stilistische Breite, mit der Big Bands mittlerweile umzugehen haben, ist im Vergleich zu
den 40er Jahren enorm gewachsen, so kamen mit der Zeit etliche Einflüsse anderer
Musikrichtungen hinzu, was eine enorme Flexibilität der Musiker - vor allem der
Rhythmusgruppe - voraussetzt. Einhergehend mit den verschiedenen Richtungen, von Latin
über Rock und Pop bis hin zu sogenannter Neuer Musik und nicht zuletzt den individuellen
Ansprüchen der zeitgenössischen Big Band Arrangeure, sind entsprechend viele Klangideale
durch den Tonmeister zu verwirklichen. Eine vereinheitlichende Behandlung von Big BandMusik ist im Rahmen einer solchen Arbeit kaum möglich, so dass hier eine bewusste
Konzentration auf die ursprüngliche Klanggestalt des Big Band Jazz der 30er und 40er Jahre
notwendig war, von der als ursprünglicher Ausgangspunkt alle weiteren Formen abgeleitet
wurden.
1.2 Arbeitsweise
Es gibt etliche Quellen, die die Arbeitsweisen der frühen Tonmeister dokumentieren und
belegen, was aus musikalischer Sicht hochinteressant ist, schließlich erreichen frühe
Aufnahmen einen hohen Grad an Homogenität, "die wir heutzutage bei manchen Orchestern
vermissen..." (Carlos Albrecht, 2010, S.141). Jedoch hatten die hinzugewonnenen
Möglichkeiten der technischen Weiterentwicklung des Aufnahmeprozesses eine gewisse
Rückwirkung auf das Klangideal, so dass alte Aufnahmetechniken heute aus ästhetischer
Sicht, aber vor allem durch den Wunsch nach musikalischer Perfektion nicht mehr bestehen
können. Deshalb habe ich darauf verzichtet, auf historische Aufnahmetechnik einzugehen.
Ebenso hat es sich als wenig sinnvoll erwiesen, Big Band Aufnahmen von aktuellem
technischen Stand zu vergleichen. Die Variationsbreite der klangbeeinflussenden Faktoren ist
so hoch, dass die Unterschiede nicht eindeutig belegbar sind. Aufnahmen mit
unterschiedlichen Kompositionen, Musikern, Aufnahmeräumen, Mikrofonen, Aufstellungen,
technischen Einrichtungen und Tonmeistern bieten letztlich für eine solche Arbeit nur wenig
greifbares Material, da die Ursachen für festgestellte Unterschiede nicht eindeutig
identifizierbar sind.
Aus diesem Grund habe ich mich dazu entschieden, anhand einer speziell für diese Arbeit
Einleitung
3
konzipierten Recording-Session möglichst viele dieser genannten Faktoren zu kontrollieren,
um einzelne Parameter gezielt zu isolieren und zu untersuchen. Die Anzahl der Möglichkeiten
kann Stoff für mehrere Diplomarbeiten werden, wollte man alle Einflüsse gleichwertig
untersuchen. Durch eine Umfrage unter Tonmeistern mit langjähriger Erfahrung habe ich die
wichtigsten Faktoren evaluiert, und soweit möglich, diese zum Gegenstand der Untersuchung
gemacht. Zu diesem Zweck mussten konstante Parameter definiert werden, um einerseits die
Ergebnisse klar bewerten zu können, andererseits den Aufwand der beteiligten Musiker und
Tonmeister gering zu halten. Für die Aufnahme wurden also festgelegt:
•
Komposition ("Hay Burner" von Sammy Nestico)
•
Musiker (Big Band der Hochschule für Musik, Detmold, Leitung: Oliver Groenewald)
•
Aufnahmeraum (Konzerthaus Detmold)
•
Tonmeister (Robin Bös, Sebastian Müller, Sebastian Clobes, Martin Müller)
Dieses Verfahren hat neben allen Vorteilen auch einige Nachteile oder besser gesagt
Schwachstellen, die eine gewisse Beachtung verlangen, aber keine grundlegende Gefährdung
darstellen:
Erstens ist ein gewisser Übungseffekt zu bedenken, der vor allem bei Musikern auftritt, die
Unsicherheiten bei der Ausführung ihrer Stimmen haben. So tritt allein durch die
Wiederholung bei jedem neuen Take eine höhere Sicherheit im Spiel und damit eine
klangliche und dynamische Veränderung ein. Begegnet wurde diesem Effekt mit einer
vorhergehenden Übungsphase, so dass die Anzahl der Takes dadurch noch einmal reduziert
werden konnte.
Ein gegensätzlicher Effekt war auch zu erwarten, der nur durch viel Studioerfahrung der
Musiker ausgeglichen werden kann und selbst bei professionellen Spielern nicht
auszuschließen ist. Ständige Wiederholung bewirkt eine gewisse Abnutzung und einen
Motivationsverlust. Gerade bei Musikern mit wenig Erfahrung mit Aufnahmesituationen ist
die Motivation während der ersten Takes enorm hoch, kann aber im Verlauf einer Session
stark nachlassen. An dieser Stelle spreche ich einen besonderen Dank an die Musiker der Big
Band der Hochschule für Musik, Detmold aus, die mit sehr gemischten Voraussetzungen
angetreten sind, aber sehr diszipliniert gearbeitet haben.
Die gattungsgeschichtliche Herkunft des Klangkörpers der Big Band, sowie die Machart von
Einleitung
4
Arrangements und die typischen Spielweisen sind für einen Tonmeister wichtiges Wissen, um
sich selbst eine Klangvorstellung einer Partitur vor der Produktion zu erarbeiten und diese am
Mischpult umzusetzen und den Big Band Sound zu kreieren.
Aus diesem Grund baut diese Arbeit zunächst theoretisch auf, gibt einen kurzen
geschichtlichen Überblick und einen Einblick in die wichtigsten Arrangiertechniken und die
Funktionen der Instrumentengruppen. Schließlich werden diese Erkenntnisse auf das für die
Produktion ausgewählte Werk übertragen und sein exemplarischer Wert erläutert.
Gattungsgeschichte Big Band
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2. Gattungsgeschichte Big Band
2.1 Historische Grundlage
Der Ursprung der Big Bands liegt in den 1920er Jahren, die von Orchestern wie dem von
Fletcher Henderson geprägt waren. Sie standen in der Tradition der Theaterorchester und
großen Tanzorchester. Die Musik war zwar stark durcharrangiert, bot aber Freiraum für
instrumentale Soli, die sich aus der Gruppenimprovisation früherer Stile (Dixie/New Orleans)
etablierten. Diese hatten einen besonderen Stellenwert, denn es wurden speziell dafür virtuose
Solisten engagiert, wie im Beispiel des Fletcher Henderson Orchestras der junge Trompeter
Louis Armstrong. Diese Tradition wurde auch von den Swing Bands der 30er Jahre
übernommen, in denen Big Band Leiter und Solisten als Ikonen - ähnlich heutiger Popstars Verehrung fanden. Während die Instrumentalsoli der 20er Jahre noch weitestgehend aus der
Verzierung und Variation des Hauptthemas bestanden, entwickelten sie sich nun melodisch,
harmonisch und rhythmisch weiter und wurden eigenständiger.
Die Melodien die den Kern der Arrangements bilden, sind meist aus Musicals und populären
Schlagern entnommen. Ein Einfluss, der aus der Praxis des Spiels in kleineren Ensembles
kommt, ist die Reduktion der Ursprünglichen Melodie auf den Refrain, alle weiteren
Songteile der für Revue- und Showprogramm komponierten Titel werden einfach
weggelassen. Auch auf die Verwendung von mehreren Themen innerhalb eines Titels wird
verzichtet. Diese Praxis reduziert die Form auf eine häufig 32 taktige Harmoniefolge, die von
Musikern einfach zu memorieren ist, und schnell verbreitet werden kann. Es festigt sich in
den 30er Jahren ein gewisses Standard-Repertoire („Standards“), das allen Instrumentalisten
bekannt war und auswendig gespielt werden konnte. Versierte Musiker konnten so in
kleineren Ensembles zusammen spielen, ohne vorher proben zu müssen. Als ebenso wichtiger
Einfluss auf die Kompositionsweisen gilt die Zweckgebundenheit an die Tanzsalons, die von
allen gesellschaftlichen Schichten besucht wurden und demzufolge eine Musik verlangten, die
unabhängig von sozialer Herkunft und Bildung akzeptiert wird. Die Länge der
Tanzkompositionen wurde durch die Spielzeit der Schellackplatte von ca. dreieinhalb Minuten
beschränkt.
Eine Ausnahme bildet die Musik von Duke Ellington, der das Glück hatte, in den 30er Jahren
Gattungsgeschichte Big Band
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die Bühnenshows im New Yorker „Cotton Club“ zu begleiten. So konnte er fernab des
Mainstream kompositorisch eigene Wege gehen. Er experimentierte unter anderem mit
komplexeren Themengestalten und Klangfarben.
2.2 Beat
"Das Moment des 'swing' (im Deutschen klein geschrieben und damit zu unterscheiden vom
Stilbegriff 'Swing') wird seit den 1930er Jahren als wichtigstes Charakteristikum angesehen..."
(Ludwig Finscher, 1999, S. 1394)
- Der swing entsteht duch das Zusammenspiel aller beteiligten Musiker. Die grundlegende
Basis liefern aber Schlagzeug und Bass, die ein rasterförmiges Beatschema definieren.
"Swing ergibt sich vor allem dort, wo der regelmäßige Beat durch einen 'walking bass' präsent
gehalten wird." (Ludwig Finscher, 1999, 1394). Im Gegensatz zum New Orleans/DixielandStil mit dominierendem two beat werden im swing vorwiegender alle vier Taktschläge (four
beat) betont.
Hinzu kommen weitere Rhythmusinstrumente, die durch die meist improvisierte Begleitung
eine höhere Gestaltungsfreiheit haben. So kann durch minimale Verschiebungen gegen den
Grundbeat der swing in Wirkung und Ausdruck variiert werden, ohne das Tempo oder die
Dynamik zu beeinflussen. Eine leichte Verschiebung des Rhythmus vor den beat hat einen
treibenden und spannungsreichen Charakter, eine Verschiebung hinter den beat wirkt
abgehangen und lässig ("laid-back"). In der Abbildung 1, einer Transkription der
Rhythmusgruppe des Count Basie Orchestras (Count Basie (p), Freddie Green (g), Walter
Page (b), Jo Jones (dr)), werden die Verhältnisse zum beat mit Pfeilen angedeutet.
Abb. 1: Verhältnisse der Stimmen zum Beat (Count Basie)
Gattungsgeschichte Big Band
7
Die kleinste Zelle des Beat ist die triolische Unterteilung des Viertelpulses in eine viertelTriole und eine Achtel-Triole (ternär). Diese Unterteilung wird nicht mathematisch genau
musiziert, sondern kann vom Musiker in der Ausführung, besonders von instrumentalen Soli,
interpretiert werden. Diese Variabilität wird nach ästhetischem Empfinden ausgenutzt und ist
in den Beispielen von Lennie Tristano oder Oscar Pettiford, die die Viertel fast duolisch
unterteilen, charakteristisch. Bei mehrstimmigen Sätzen wird die Phrasierung in der Regel
vom Stimmführer vorgegeben.
2.3 Harmonik1
Eine der großen Abgrenzungen des Jazz von der Harmonik der sogenannten "klassischen
Musik" ist die dem zugrunde liegenden Dreiklang hinzugefügte Note, meistens Septime oder
Sexte. Im Falle von Bläsersections ist deshalb eine Besetzung von jeweils vier Spielern eine
logische Konsequenz, wobei der Zusammenklang von Instumenten mit ähnlicher Klangfarbe
aufgrund der besseren Mischung entsprechende Vorteile mit sich bringt.
2.3.1
Variationen hinzugefügter Noten
Die addierte Note ist entgegen landläufiger Meinung nicht immer eine kleine Septime,
sondern richtet sich nach der verwendeten Skala und der jeweils vom Arrangement
abhängigen Lage und Stimmführung. Gebräuchliche Akkorde in Dur und Moll sind folgend
aufgelistet, unregelmäßige Formen in Klammern:
Abb. 2: Hinzufügungen in Dur
1 Gordon Delamont, 1965
Gattungsgeschichte Big Band
8
Abb. 3: Hinzufügungen in Moll
2.3.2
Addierte Noten
Die kleine Septime wird am häufigsten hinzugefügt, Ausnahme bilden die Tonika-Vertreter in
Moll, da die kleine Septime eine Instabilität bewirkt.
Falls die kleine Septime nicht in der jeweiligen Skala zur Verfügung steht, tritt häufig die
große Sexte auf, da die große Septime zwar nicht verboten, aber sehr spannungsreich ist.
Akkorde mit Dominantstruktur bieten die Möglichkeit weiterer Hinzufügungen („Tensions“)
und deren Alterationen wie z.B. None und Tredezim.
2.3.3
Open and Close Voicings
Als akkordische Struktur kommen enge Lagen (closed) häufiger vor als weite (open), da sie
kompakt und dicht klingen. Open Voicings vermeiden häufig entstehende große und kleine
Sekund-Intervalle, die in einem Akkord einen hohen Dissonanzgrad erzeugen. Sie klingen
breiter und unterstützen die Durchhörbarkeit einzelner Linien. Open Voicings werden durch
die Oktavtransposition des zweiten Akkordtons eines closed voicing hergestellt (drop two
voicing). (s. Abb. 4)
Abb. 4: "close" und "open" Voicings
Gattungsgeschichte Big Band
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Die harmonische Dichte lässt ohne den Einsatz von Stimmkreuzungen meistens nur
gleichförmige Bewegung der Linien zu. Das ist zwar nicht einhergehend mit einem Verbot
von Gegenbewegungen, diese werden jedoch nicht sehr häufig verwendet.
2.3.4
Umgang mit leiterfremden Melodietönen
Der konsequente 4-stimmige Satz sieht auch Akkorde für Melodietöne vor, die in der Skala
der aktuellen harmonischen Wendung nicht vorhanden sind. Hier wird von Fall zu Fall
unterschieden. Wichtig ist unter anderem, auf welcher Taktzeit (betont/unbetont) der
leiterfremde Ton steht, oder auch wie er erreicht bzw. verlassen wird. Je nach spezifischer
Eigenschaft kann z.B. ein verminderter Akkord in zwischendominantischer Funktion
eingesetzt werden. Bei chromatischen Schritten der Melodie sind verschiedene Arten von
Rückungen gängig (parallel oder mit verschiedenen Gegenbewegungen).
2.3.5
Stimmenreduktion (durch gezielte Verdopplungen)
Die vorübergehende Aufgabe des strengen 4-stimmigen Satzes ist durchaus erlaubt, geht aber
meistens mit einer deutlichen Ausdünnung des Klanges einher. Manchmal kann eine
Reduzierung der Stimmen sinnvoll sein, wie z.B. bei:
•
Auftakten
•
großen Sprüngen der ausgesetzten Melodie
•
unisono-Linien
•
durch Stimmführung notwendigen Verdopplungen
Eine beständige Reduktion auf zwei oder nur eine Stimme ist eine Geschmacksfrage und
wird als effektiver Klangfarbenwechsel eingesetzt (z.B. "Spain" von Chick Corea).
Häufiger hingegen kommt die Reduktion auf dreistimmige Akkorde bei vierfach besetzten
Sections vor. Notwendig wird sie natürlich bei Zitaten aus "klassischen" zusammenhängen
oder klassizierenden Abschnitten, bei denen eine grundlegend 4-Stimmige Harmonik
unpassend und stilfremd wäre. Häufiger wird bei fortgesetztem 4stimmig-harmonischen
Denken eine harmonieeigene Stimme fallen gelassen, um mit dem tiefsten Satzinstrument die
Melodiestimme eine Oktave tiefer zu verdoppeln.
Instrumente mit ausgeprägtem Bass-Charakter wie Baritonsaxophon oder Bass-Posaune
Gattungsgeschichte Big Band
10
können sich aus dem Satzverband herauslösen, um eine eigenständige Basslinie zu verfolgen,
was den Verlust ihrer Stimme im Satz zu Folge hat. Im Falle des Posaunensatzes ist so eine
Reduktion auf drei Stimmen notwendig.
2.3.6
Horizontale Betrachtung
Die lineare Fortschreitung der einzelnen Stimmen wie zu Zeiten der polyphonen Musik spielt
bei 4-stimmigen Sätzen im Jazz eine eher untergeordnete Rolle. Manchmal werden
Stimmkreuzungen (Vertauschen der Stimmen) bewusst eingesetzt, um die technische
Spielbarkeit einer Stimme zu erleichtern. In Kadenzen oder Passagen mit guter
Durchhörbarkeit wird davon aber eher Abstand genommen.
2.4 Die Ära der Big Bands2
2.4.1
Die Szene
Die Blütezeit der Big Bands beginnt Mitte der 30er Jahre und erstreckt sich über ungefähr ein
Jahrzehnt. Anfang der 40er Jahre gab es in Amerika etwa 200 voll besetzte Big Bands, die
ihren Unterhalt bei Tanzveranstaltungen verdienten und um die Gunst der Zuhörerschaft
warben. Musiker der großen Bands waren ähnlich wie heutige Fußballspieler in der
interessierten Öffentlichkeit bekannt. Ein beliebtes Medium waren Radio-Live-Übertragungen
von Tanzabenden. Einzelne Musiker, die sich so als Star-Solisten zu Berühmtheiten machten
(z.B. Gene Kroupa), lösten sich schließlich von ihren Bands und konnten eigene Orchester
bilden. In den Städten (New York) hatten viele Bands feste Engagements in Tanzclubs, und
bestimmten letztlich durch ihren Stil den Charakter der Tanzveranstaltung. Andere Bands
hatten sich an das Leben 'on the road' angepasst und reisten umher, um einfache Engagements
in verschiedenen Städten, sog. "one-nighters" wahrzunehmen. Die Swing Bands hatten ein
hohes Maß an Originalität, was vom Leiter und Arrangeur abhängig war und den Swing
facettenreich machte. So gab es den treibenden Stil eines Benny Goodman, einen entspannten
Swing von Jimmy Lunceford, den Riff-orientierten Stil eines Count Basie oder den
entwickelten, auskomponierten Stil von Duke Ellington stets nebeneinander.
Wie auch in heutigen kommerziellen Musikrichtungen standen Leader, Komponisten,
Arrangeure, Musiker und auch das Publikum im Zwiespalt zwischen reiner Kommerzialität
und künstlerischem Anspruch. Die Arrangeure konnten entweder reine Tanzmusik aus
2 George T. Simon, 1981
Gattungsgeschichte Big Band
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aktuellen und beliebten Melodien der Musicals schreiben oder mit Eigenkompositionen ein
unter Umständen härteres Brot verdienen. Auch das Publikum spaltete sich mehr in reines
Tanzpublikum und aufmerksame Konzertgänger.
Der Erfolg einer Swing Band war von verschiedenen Faktoren abhängig. Natürlich war auch
hier ein zuverlässiges Management wichtig. Geschickt verhandelte Verträge mit Veranstaltern,
Clubs und Musikern waren entscheidend, so dass hier eigens Manager notwendig waren, da
die meisten Musiker davon wenig Ahnung hatten. Ebenso wichtig wie das Management selbst
war die Kooperation zwischen Musikern und Leader/Manager.
Der musikalische Stil einer Band hatte einen enormen Einfluss, da die Vorlieben des
Publikums einer modebedingten Fluktuation unterlagen, die Bands aber in ihren stilistischen
Eigenschaften eher stabil blieben.
Einer der größten Faktoren für den Erfolg einer Band war die Außenwirkung, die zu gleichen
Teilen von dem/der jeweils engagierten Sänger/in und vom Bandleader abhängig war, der
neben musikalischem und wirtschaftlichem Talent auch eine charismatische Persönlichkeit
haben und einen geschickten Umgang mit der Öffentlichkeit pflegen musste. Sänger fanden
damals wie heute eine hohe Beachtung beim Publikum, also war es im Interesse des Leaders,
einen guten Sänger zu engagieren und die Arrangements so zu schreiben, dass sie die Stimme
des Sängers / der Sängerin am besten unterstützten.
Das Engagement einer/s Sängerin/ Sängers war für die damaligen Bands ein unumgängliches
Muss, da sie bei Auftritten eine Verbindung zwischen dem Publikum auf der Tanzfläche und
der Band auf der Bühne herstellen konnten. Das Ansehen und der Ruf einer Band war nicht
zuletzt abhängig vom Sänger, der gerade mit ihr die Auftritte bestritt. Ein regelmäßiger
Wechsel der Stimme war nicht unüblich. Dadurch dass Sänger allerdings nicht in der 'Union',
der American Federation of Musicians, organisiert waren, hat sich das Leben als Sänger
vielfach schwieriger gestaltet - im Vergleich zu den Instrumentalisten-Kollegen. Nicht
etablierte Sänger mussten mehrere Aufgaben in der Band übernehmen, um einen
Lebensunterhalt zu verdienen. Neben ihres Gesangsparts haben sie sich gleichzeitig als
Notenwarte oder Tourmanager für die Band arbeiten müssen. Musikalisch waren sie stark
vom Geschmack des Leaders abhängig, was Tonarten, Tempo (häufig schnelle Tempi) und die
geringe Vorbereitungszeit bei Aufnahmen angeht. Nach dem großen Big-Band-Sterben Mitte
der 40er Jahre hatten etablierte erfolgreiche Sänger in der Regel ihre ersten professionellen
Erfahrungen bei einer Big Band gesammelt, was möglicherweise genau auf die speziellen
Gattungsgeschichte Big Band
12
Anforderungen jener Zeit rückführbar ist, wie zum Beispiel in den Fällen von Frank Sinatra,
Ella Fitzgerald oder Billie Holiday.
Der Erfolg der Bands lässt sich meistens recht einfach beschreiben, wie das Beispiel von
Benny Goodman zeigt. Hier fand eine relativ starke Zentrierung auf den Leader statt. Benny
Goodman wurde zu einem tugendhaften
Symbol stilisiert, er pflegte eine sehr direkte
Verbindung zu seinem Publikum und das auf emotionaler und musikalischer Ebene.
Außerdem fand seine Musik eine hohe Verbreitung, neben den Live-Auftritten war sie auf
Aufnahmen oder als Radiosendung überall präsent. Die einfache Musik, die stets freundlich
und immer swingend war, hatte eine breites Publikum, das von der Musikalität Goodmans
und seinen sympathischen Charakter begeistert in den Bann gezogen wurde.
2.4.2
Recording
Die technischen Bedingungen, unter denen Aufnahmen möglich waren, erforderten ein
enormes Maß an Disziplin und instrumental-technischer Perfektion. Dadurch war das Niveau
der Musiker und letztlich auch das der Aufnahmen sehr hoch. Allerdings herrschte ein hoher
Zeitdruck, teilweise wurden vier Schallplatten-Seiten pro Tag eingespielt, und das häufig ohne
Probenzeit und mit neuen Arrangements. Die Plattenindustrie (Decca, Victor, Columbia,
später Capitol) setzte die Bandleader unter Druck "sure hits" zu produzieren. Der Erfolg einer
Einspielung hing von der bereits erworbenen Reputation der Band und der Interpretation ab.
1937 hatte Benny Goodman einen Erfolg mit dem Titel "One o'clock Jump", obwohl Count
Basie das gleiche Arrangement erst sieben Monate zuvor bereits veröffentlicht hatte.
Das immer stärkere Schallplattengewerbe, der Rundfunk und die explodierende Nachfragen
verunsicherten viele Musiker, so dass manche Bandleader (z.B. Paul Whiteman, Fred
Warring) keine Schallplatten aufnahmen, aus Angst, dass Studioaufnahmen die üblichen
Liveübertragungen von Tanzabenden verdrängen könnten. Andere Leader vermieden es
zumindest, ihre "Theme-Songs" aufzunehmen, also Titel, die als Markenzeichen ihrer Band
immer zu Anfang und Ende eines Sets gespielt wurden. Dadurch verhinderten sie, dass im
Radio durch Zusammenstellung verschiedener Aufnahmen einer Band eine Live-Übertragung
künstlich nachgestellt werden konnte.
Die Radiostationen NBC, CBS und Mutual Network hatten jedoch eine große Bedeutung für
die Bands, da nun viel mehr Menschen als nur die Gäste der Tanzabende in den Genuss ihrer
Musik kommen konnten. Außerdem brachte das Radio weitere Einnahmen durch Sponsoring
Gattungsgeschichte Big Band
13
von zum Beispiel Zigaretten und anderen Gütern.
Aber auch die Big Bands selbst, die Anfang der 40er Jahre eine sehr große Beliebtheit
errungen hatten, übten einen Anreiz auf die Rundfunkstationen aus. Vereinzelt wurden Bands
auch in Hollywoods Filmindustrie zum reizhaften Gegenstand medialer Verarbeitung.
Allerdings waren die Filmemacher wenig von einer realistischen Abbildung getrieben,
sondern sie pressten die Big Bands (Artie Shaw, Duke Ellington, Bennie Goodman) in
Filmplots, die dem üblichen Umfeld von Big Bands zum Teil widersprachen oder zumindest
stark verzerrten.
Die Verunsicherungen seitens der Musiker haben schließlich unter anderem dazu beigetragen,
dass das Ende der Big Band Ära selbst eingeläutet wurde: 1940 gab der amtierende Präsident
der 'American Federation of Musicians', James Cesar Petrillo, eine Untersuchung in Auftrag,
die die Einflüsse von Schallplattenaufnahmen auf das Musikerleben erkunden sollte. Seine
Vermutung war, dass durch die wachsende Mechanisierung der Musikindustrie der Wert der
Live-Performance leidet und schließlich Musiker durch Musikboxen arbeitslos werden, da
Tanzclubs nur noch Schallplatten abspielen und keine Bands mehr engagieren. Er forderte von
den Plattenverlagen anteilige Auszahlungen an die aufgenommen Musiker, ähnlich der
deutschen GVL. Seiner Forderung wollte er durch einen Streik Nachdruck verleihen und
forderte alle Musiker auf, keine Aufnahmen mehr zu machen. Jedoch blieben die
Plattenfirmen lange standhaft und so dauerte der Streik ganze zwei Jahre von 1942 bis 1944.
Schließlich willigten alle Plattenfirmen in eine entsprechende Regelung ein, allerdings hatten
die Big Bands während dieser zwei Jahre derartig an Zuhörern verloren, dass sie es
schließlich nicht mehr schafften, an die alten Zeiten anzuknüpfen. Die Plattenfirmen hatten
sich durch vermehrte Aufnahmen mit Sängern, die nicht in der 'Union' im Streik waren, einen
neuen Markt für Vokalensembles und Gesangssolisten geschaffen, die schließlich eine neue
populäre Kulturbewegung ins Leben brachten. Die Tage des Swing als Massenkultur waren
vorbei.
Diese für Jazzmusiker dramatische Entwicklung wurde durch weitere Ereignisse und
Faktoren noch verstärkt. Zum einen hatte sich der Big Band Jazz weiterentwickelt und war
nun mit Namen wie Dizzy Gillespie oder Stahn Kenton musikalisch aus den Tanzclubs heraus
gewachsen, die Kompositionen wurden zu schwer und komplex für das normale
Breitenpublikum und waren somit so auf der Suche nach einem neuen konzertfähigen und
Gattungsgeschichte Big Band
14
musikalisch vorgebildeten Publikum. Gleichzeitig wurde in Amerika eine zusätzliche Steuer
eingeführt, die "amusement tax", die Eintrittskarten um 20 Cent verteuerte und dafür sorgte,
dass sich viele Menschen die Eintrittskarten nicht mehr leisten konnten. Der größte Faktor,
der die Menschen lieber zu Hause bleiben ließ, war aber die Verbreitung einer neuen
heimischen Freizeitbeschäftigung: das Fernsehen.
Im Dezember 1946 waren acht der bis dahin größten Big Bands aufgelöst.
Arrangements
15
3. Arrangements
3.1 Besetzung
Wie sich durch die Geschichte der Swing Bands zeigt, war die Besetzung zur Blütezeit der
Stilistik alles andere als standardisiert. Duke Ellingtons Band spielte fast nie mit mehr als 3
Posaunen und variierte die Anzahl der Trompeten zwischen zwei und sechs. 1946 gehörte
sogar eine Violine zur Stammbesetzung. Auch die Besetzung mit einer Gitarre in der
Rhythmusgruppe wurde unterschiedlich gehandhabt.
Ab dem Ende der 50er Jahre kann man mehr oder weniger von einer festen Besetzung mit 4
Trompeten, 4 Posaunen, 5 Saxophonen, Klavier, Gitarre, Kontrabass und Drumset sprechen.
Ausschlaggebend waren unter anderem Komponisten und Arrangeure wie Sammy Nestico,
die besonderen Wert auf die harmonische Vollständigkeit innerhalb der drei Bläsersections
gelegt haben. Da die traditionelle Jazzmusik zunächst auf vierstimmiger Harmonik basiert,
sind mit je vier Stimmen in den Trompeten und Posaunen alle Varianten von Dopplungen bis
antiphonen Techniken und Doppelchören abgedeckt. Die Saxophone haben in diesem Bezug
eine Sonderstellung, da sie als Section alle Lagen von Sopran bis Bass abdecken. Außerdem
zeigt sich in der 5-stimmigen Besetzung der flexible Umgang mit dem Baritonsaxophon, das
zum einen die Melodielinie des ersten Altsaxophons (Lead) doppelt oder alternativ das
Arrangement im Bass unterstützt. Der dadurch auf vier Instrumente reduzierte Saxophonsatz
bleibt harmonisch vollständig. Beide Techniken finden sich auch im Beispielarrangement
"Hay Burner".
Mit
der
Weiterentwicklung
der
Arrangiertechniken
wie
z.B.
die
harmonische
Weiterentwicklung (5 und mehr Harmonietöne) und den Einsatz von neuen Klangfarben und
Mischklängen wird die Besetzung mehr und mehr individuell für jede Komposition neu
entschieden. Selbst heute findet sich in den Besetzungen von professionellen Big Bands noch
minimale Unterschiede, so stehen bei der WDR-Big Band 5 Trompeter in "Lohn und Brot".
Bis auf diese Abweichung unterhalten die heutigen Big Bands normalerweise einen Stamm an
Musikern, der der oben angesprochenen Standard-Besetzung entspricht, allerdings wird von
den einzelnen Musikern vorausgesetzt, dass sie eine Vielzahl von Instrumenten und deren
Spieltechniken und Stilistiken beherrschen, um die häufig geforderten Sonderinstrumente
("Doublings") wie Flöten, Klarinetten, Flügelhörner, Waldhörner, Euphonien, Tuben, Banjo,
E-Bass oder Percussions abzudecken.
Arrangements
16
Ebenso wie bei der Besetzung hat sich auch eine bis heute übliche Konzertaufstellung aus
einer Vielzahl von Varianten entwickelt. Ausschlaggebend dabei waren hauptsächlich
praktische Gründe, die zum einen die optimale Ausführungen der Arrangements mit den
Bedürfnissen der Musiker vereint und zum anderen die Erwartung an einen ausgewogenen
Mischklang im Saal und nicht zuletzt eine gute Sichtbarkeit aller Musiker erfüllt.
So teilt sich die Aufstellung in zwei Blöcke auf: Die linke Bühnenhälfte ist für die
Rhythmusgruppe reserviert, wobei Drums und Bass hinter Klavier und Gitarre auf kleinen
Podesten spielen. Vorne steht das Klavier, oder besser Flügel, der den Deckel in Richtung
Publikum öffnet, um auch in unverstärkter Situation gehört zu werden. Vor dem Flügel ist die
Gitarre, die zum einen im Sitzen spielt und gesehen werden muss, zum anderen aber auch im
ständigen Kontakt mit dem Klavier steht, um z.B. improvisierte Abschnitte abstimmen zu
können.
Die rechte Bühnenhälfte wird von den Blasinstrumenten eingenommen, die sich blockhaft
anordnen, wobei Trompeten, Posaunen und Saxophone sich in drei Reihen aufstellen. Ein
Anspruch dem in der Big-Band-Musik Genüge getan werden muss, ist präzises rhythmisches
und dynamisches Zusammenspiel und eine gute Kontrolle der Intonation. Der ersten
Trompete kommt durch ihre hohe Lage, ihrer melodiegebenden Sopranstimme und der
kraftvollen Sonorität des Instrumentes eine globale stimmführende Rolle zu. Aus diesem
Grund steht sie in der Mitte der hinteren Reihe, so dass sie von allen anderen Bläsern gut
gehört werden kann. Daraus ergibt sich die Anordnung der ersten Posaune und des ersten
Saxophons direkt vor der ersten Trompete.
Im traditionellen Big Band Satz werden Instrumentalsoli in der Regel von der zweiten
Trompete, Posaune, oder dem zweiten Alt- bzw. ersten Tenorsaxophon gespielt. Diese Praxis
entstand, weil es ungünstig ist, wenn bei Bläsersoli der Stimmführer einer Bläsergruppe durch
den solistischen Einsatz nicht mehr für den begleitenden Satz (engl.: "Background") zur
Verfügung steht. Da der Solist auf einen guten Kontakt zur Rhythmusgruppe angewiesen ist,
sind die Positionen der Spieler am linken Rand des Bläserblocks am günstigsten.
Über die Jahre hinweg hat sich die Bedeutung der Solo-Passagen in den Kompositionen
vergrößert, so dass Bläsersoli häufig vor der Band gespielt werden. Einhergehend mit dem
gestiegenen technischen Niveau der Musiker haben die oben genannten Spieler ihre
Monopolstellung zu Gunsten von individueller gestalteten Solopassagen und mehr
Abwechslung eingebüßt, denn nun kann für jede Solo-Passage ein für Stil, Ausdruck und
Arrangements
17
Klangfarbe passender Solist frei ausgewählt werden.
Auf die Aufstellung der Blechbläser hat diese Entwicklung keinen Einfluss genommen. Die
Saxophon-Gruppe hat aber, da sie mit nur fünf Spielern annähernd den gleichen Ambitus
abdeckt wie die Blechbläser und dadurch Alt-, Tenor- und Baritonsaxophone verwendet, mehr
Variationsmöglichkeiten:
Traditionell sitzen sie in der Reihenfolge TS1, AS2, AS1, TS2, BS mit den
Soloambitionierten links. Ebenso verbreitet ist die folgende Aufstellung: BS, AS2, AS1, TS1,
TS2. Der Vorteil hier ist eine stärkere Verbindung zwischen den Tenorspielern und eine
Verbreiterung des Gesamtklangs dadurch, dass das Baritonsaxophon, welches häufig in
Koalition mit der Bassposaune arrangiert ist, nicht mehr vom gleichen Ort spielt und so dazu
beiträgt, dass der Bass-Part der Bläser insgesamt breiter klingt als zuvor. Allerdings ist das
Zusammenspiel durch die akustische Entfernung gefährdet.
Die Entscheidung wird meist in jeder Band einmal getroffen und normalerweise nicht mehr
geändert.
Die Trennung oder Verschmelzung der Stimmen von Baritonsaxophon und Bassposaune
durch ihre Sitzposition ist Geschmacksfrage und betrifft insbesondere auch Aufnahme und
Mischung. Auf diesen Punkt soll später noch eingegangen werden.
3.2 Instrumente3
Im Folgenden werden die Instrumente und deren spezifische Funktion und Stellenwert im
Big Band Sound erläutert.
3.2.1
Kontrabass
Der Kontrabass hat im Big-Band-Zusammenhang eine zentrale Position und trägt einen
erheblichen Teil zu den grundlegenden musikalischen Elementen Rhythmus, Harmonie und
Melodie bei. Die rhythmische Bedeutung erfüllt er in Zusammenarbeit mit dem Schlagzeug.
Eine Gewichtung dabei lässt sich schwer festlegen, da die Verhältnisse von einem zm anderen
Stück, aber auch innerhalb einer Komposition stark variieren können. Die harmonische Rolle
des Kontrabasses ist vielfältig und beschränkt sich nicht nur auf die Wiedergabe des
Grundtons
der
harmonischen
Fortschreitung.
Der
Bass-Part
nimmt
auch
Schlüsselposition bei harmonischen Wendungen, Modulationen und Kadenzen ein.
3 Gordon Delamont, 1965
eine
Arrangements
18
Durch die Alleinstellung des Instruments nimmt die Basslinie eine exponierte Stellung ein.
Ihr stetiger Puls bietet eine stabile Grundlage, auf der die anderen Instrumente bewegtere
Parts aufbauen können. Dieser Kontrast bestärkt zum einen die Durchsetzungsfähigkeit und
zum andern die melodische Qualität der Basslinie. Sie kann in melodischen Kurven gestaltet
sein, mit den anderen Stimmen in Kommunikation treten, den vorwiegenden Duktus
bestätigen oder ihm widersprechen.
Häufig verwendete Bewegungsmuster im Swing sind "two feel", oder "in two", bei dem
jeweils auf die erste und dritte Viertel eines Taktes ein Ton gespielt wird, und das "four in the
bar" oder "in 4", bei dem vier Viertel-Töne pro Takt gespielt werden.
Beim "two feel" werden häufig wechselbassartig Grundton und Quinte verwendet, aber auch
Terzen und Durchgangstöne, vor allem wenn der grundlegende Akkord unverändert bleibt.
Das "in 4" geht tonal zunächst vom "2 feel" aus und verdoppelt einfach die Töne auf 1 und 3.
Die Verwendung von Akkordtönen der Harmonie bildet den Übergang zum "walking bass",
bei dem vorrangig skaleneigenes Material in schrittweiser Bewegung benutzt wird. Bei
Harmoniewechseln ist auf der ersten Viertel des Taktes der Grundton, der chromatisch
vorbereitet werden darf.
Das Spiel mit dem Bogen hat in dieser Stilistik wenig Bedeutung, es wird immer gezupft.
3.2.2
Klavier
Das Klavier ist abgesehen von der Vokal- oder Solo-Begleitung zunächst kein essenzieller
Bestandteil der Rhythmusgruppe und beschränkt seine Funktion auf Soli und spezielle
orchestrale Effekte. Der notierte Klavierpart zeigt die harmonische Fortschreitung als
Akkordsymbol und der Pianist hat die Aufgabe, Stellen harmonisch zu stützen, die durch die
Bläser und denn Bass alleine nicht klar genug werden. Bei vollen Shouts oder voll
orchestrierter Band wird sich das Klavier in der Regel weder durchsetzen, noch einen
bereichernden Part beitragen können.
Speziell gewünschte Akkorde oder komponierte Passagen werden in der Regel ausnotiert.
Klaviertechniken, die in kleineren Gruppen Verwendung finden, werden ebenso eingesetzt,
aber tendenziell eher in solistischem Zusammenhang. Dazu gehören unter anderem "locked
hands style", Arpeggios, Glissandi, Tremoli, Melodien in Oktaven usw.
Arrangements
3.2.3
19
Gitarre
Da die Gitarre in den frühen Bands zunächst das Banjo verdrängte, war die Spieltechnik noch
überwiegend ähnlich. Die Gitarre gewann erst durch die Verwendung von Stahlsaiten und
schließlich Verstärkern an Flexibilität, so konnten auch andere sich entwickelnde
Spieltechniken im Big Band Zusammenhang sinnvoll eingesetzt werden.
Deshalb wird in traditionellen Big Band Charts ausschließlich in Akkordsymbolen und
"rhythm dashes" notiert. Bei bestimmten geforderten Lagen kann die obere Note des Akkords
mitnotiert sein.
Ohne Verstärkung reduziert sich die Spieltechnik auf eine viertel-basierte AkkordSchlagtechnik, die mit der Funktion des Cembalo verglichen werden kann. Es wird ein
metrisch pulsierender perkussiver Klang erzeugt, der die harmonische Substanz enthält und
den Rhythmus stützt. Diese Spielart erfordert vom modernen Gitarristen einigen Mut, den
Verstärker auszuschalten, schließlich ist man daran gewöhnt und befürchtet, nicht gehört zu
werden. Tatsächlich gibt es die ersten brauchbaren Gitarren mit Tonabnehmer schon seit
Anfang der 40er Jahre. Diese waren in der Jazz-Szene schnell verbreitet, es entwickelten sich
Spieltechniken mit und ohne Verstärkereinsatz. Z.B. war es nun möglich, einfache
Melodielinien so zu verstärken, dass sie sich gegen eine Band durchsetzen konnten. Für Soli
oder Ensemble-Passagen des neuen Melodieinstruments war das Einschalten des Verstärkers
in der Partitur gefordert (s. Abb. 5)
Der Anschlag mit dem Plektrum bei eingeschaltetem Verstärker war sehr deutlich, so dass
sich der wesentlich weichere Anschlag mit dem Daumen als Alternative entwickelte.
Abb. 5: Gitarren-Stimme mit Anweisung für den Verstärker ("AMP")
Arrangements
3.2.4
20
Drumset
In traditioneller Big Band Musik ist davon auszugehen, dass ein Drumset mindestens aus
folgenden Instrumenten besteht:
Bass-Drum, Snare Drum, Hihat, Crash Becken, Ride Becken, zwei Tom Toms.
Die Schlagzeug-Parts im Swing lassen dem Schlagzeuger in der Regel relativ viel Freiraum
zur eigenen Gestaltung. In der Stimme sind lediglich ein Grundbeat, der Formablauf einer
Komposition und wichtige Bläserkicks notiert. Neben dem Erzeugen des Basis-Grooves in
Zusammenarbeit mit dem Kontrabass werden improvisierte Fills erwartet, die die
Bläsereinsätze rhythmisch und dynamisch vorbereiten und für die jeder Schlagzeuger einen
Vorrat an Möglichkeiten bereithält.
3.2.5
Saxophone
Die Saxophon Section ist der tonale Kern. „Sie haben einen vollen, obertonreichen Klang.
Ausgeglichene volle Sätze sind klangfarbenreich und substanziell.“ (Delamont, 1965, S. 21)
Im Gegensatz zu den Blechbläsern sind Saxophone durch den "einfachen" Klangerzeuger des
aufschlagenden Rohrblatts im Mundstück und die Klappenmechanik sehr wendige und
schnelle Instrumente, die einzeln, aber auch im Satz für einen virtuosen Umgang sehr gut
geeignet sind. Sie können vielfältig artikulieren und mischen sich gut mit vielen anderen
Klangfarben. Das Saxophonspiel beansprucht die Lippenmuskulatur des Spielers deutlich
weniger im Vergleich zu Blechblasinstrumenten, so dass in Partituren weniger Augenmerk auf
die Kondition des Spielers geworfen werden muss. Folglich sind die Parts umfangreicher und
haben weniger Pausen. Üblich in Big Bands sind die Instrumente der mittleren
Instrumentenfamilie Alt, Tenor und Bariton. Sopran-Saxophone werden manchmal aufgrund
der
unterschiedlichen
Klangfarbe
als
Lead
eingesetzt,
durch
ihre
geringere
Durchsetzungskraft, muss sich der Rest des Satzes anpassen. Ein mit Alt, Tenor und Bariton
standardmäßig besetzter Satz hat einen Ambitus von 3,5 Oktaven (s. Abb. 6).
Arrangements
21
Abb. 6: Ambitus der Saxophon-Section
Bass-Saxophone waren in den 30er Jahren noch gebräuchlicher, werden heute aber nicht
mehr häufig eingesetzt, da die tiefe Lage von Bassklarinette und Kontrabassklarinette
preislich günstiger und logistisch leichter zu handhaben ist.
Auch wenn durch verschiedene Klangideale und Schulen generell die tonale Qualität von
Bläsern und anderen Instrumentalisten immer einer gewissen Streuung unterliegt, scheint
diese bei Saxophonisten besonders ausgeprägt zu sein. Dies gilt natürlich sehr stark für
Amateurbands, aber auch bei professionellen Ensembles finden sich mitunter starke
Unterschiede, vor allem dadurch, dass heute viele Bands aus Solisten "zusammengekauft"
werden und wenig Zeit in einen ausgeglichenen Satzsound investiert werden kann. Der
heutige Vorteil der qualitativ guten und erschwinglichen Instrumente kommt dadurch nur
wenig zum Tragen.
3.2.6
Das Blech
„The brass instruments provide power and sonority.“ (Gordon Delamont, 1965, S. 34)
Rhythmische Passagen wie Kicks und Shouts sind ihre Stärke, ihre klanglichen Qualitäten
zeigen sie im Choralsatz in getragenen Passagen. Obwohl schnelle Repetitionen und Fanfaren
gut ausführbar sind, sind sie mit Arpeggien oder Tonleitern weniger virtuos als die
Saxophone. Das liegt an der Bauweise als Rohrresonator, so dass ohne Einsatz von Ventilen
nur Obertöne eines Grundtones spielbar sind. Die Trompete ist in der Familie mit ihrer engen
Mensur und den drei Ventilen noch am beweglichsten, da der Grundton so tief liegt, dass die
verfügbaren Obertöne eng liegen und mit geringen Übergängen ansprechen. Posaunen oder
gar Tuben werden sehr schwerfällig. Hohes Spiel ist extrem anstrengend und sollte nicht
überstrapaziert werden. Übliche Effekte bei Blechbläsern sind "drops" (abwärts Glissandi von
einer betonten Note ausgehend), "flares" (kurze aufwärts Glissandi mit einer betonten Note
Arrangements
22
als Zielton) und "shakes" (Lippentriller zwischen benachbarten Partialtönen).
Die Klangfarbe wird durch eine Reihe von verschiedenen Dämpfern erweitert:
-"Straight Mute": Der "gerade" Dämpfer erzeugt einen bissig klaren Ton, ermöglicht klare
Artikulation und eine belebte Phrasierung ohne laut spielen zu müssen.
-"Cup Mute": Die "Tasse" klingt weich und wird häufiger bei Balladen eingesetzt.
-"Harmon Mute": Der Harmon Mute hat den stärksten Effekt und muss bei der
Mikrofonierung getrennte Beachtung finden. Da er wie ein starkes Hochpassfilter wirkt, fehlt
dem Klang im Mikrofon zu viel Grundtonanteil. Eine gängige Möglichkeit, dem Effekt
entgegenzuwirken, ist die Ausnutzung des Nahbesprechungseffektes. Dadurch dass die
Partitur möglicherweise Wechsel des Dämpferwechsel vorschreibt, ist der Tonmeister auf die
Mitarbeit des Spielers angewiesen.
-"Hat": Der Hut war in den Zeiten der frühen Swing Bands die einfachste Dämpferlösung, da
er zur Herren Standard-Ausstattung gehörte und man ihn einfach an die Stürze hing. Es gab
schließlich Dämpfer-Hüte, die nicht mehr als Kleidungsstück zu benutzen waren und auf
einem Stativ vor den Blechbläsern aufgestellt wurden. Die Spielanweisung lautet "into hat".
Der Hut war aber groß und konnte nicht immer mitgeführt werden, weshalb er durch den
Bucket Dämpfer mit ähnlicher Wirkung verdrängt wurde.
-"Bucket": Der "Eimer" ist eher eine Art Dose mit dem Durchmesser der Stürze der Trompete
oder Posaune. Er ist zum Instrument offen und mit Wolle gefüllt und wird mit drei
Metallklammern an der Stürze befestigt. Die Höhen werden dadurch sehr stark bedämpft und
es entsteht ein muffiger Klang.
-"Plunger": Hiermit wird ein Wah-Wah Effekt erzeugt, der durch "o" (offen) und "+"
(geschlossen) in der Partitur notiert wird. Im Beispiel von „Hay Burner“ werden in Takt 53
(Anhang B) phonetische Worte („WA, WAP“) benutzt, um die Artikulation der Plunger
differenzierter zu beschreiben. Viele Blechbläser versorgen sich mit Plungern aus dem
einschlägigen Sanitärfachhandel und benutzen das Gummistück eines Abflusssaugers. Der
gleiche Effekt kann in abgeschwächter Form durch Einführen der Hand in den Trichter
erzeugt werden.
Arrangements
23
3.3 Kurzanalyse "Hay Burner" by Sammy Nestico4
Taktangaben beziehen sich auf die Partitur (Anhang B)
3.3.1
Sammy Nestico (geb. 1924)
Der Komponist und Arrangeur der bedeutendsten Count Basie Aufnahmen ist in Pittsburgh
(PA) geboren und studierte an der Duquesne University. Er spielte Posaune für Tommy
Dorsey, Woody Hermann, Gene Krupa und war 12 Jahre als Arrangeur für die US Air Force
und die US Marine Band (The presidents's own) tätig. Der mehrfache Grammy-Preisträger hat
die Big Band Geschichte geprägt und leitete Aufnahmen von Künstlern wie Phil Collins,
Sarah Vaughan, Bing Crosby, Frank Sinatra und vieler anderer.
3.3.2
Melodie (ab Takt 9)
Hay Burner hat eine 32taktige AABA Form mit 2taktiger Erweiterung in der ersten
Erscheinung. Sie ist einfach und unscheinbar, und hat einen ländlichen Country-musicCharakter, der durch das entspannte Tempo, das two beat feel und die Verwendung von bVII
V7 I statt II V7 I erzeugt wird. Möglicherweise geht die Komposition auf Count Basies
Zuneigung zu Pferden zurück.
3.3.3
Formverlauf
Das Arrangement erstreckt sich über 3 Chorusse, die durch ein Intro, einen Übergangsteil in
der Mitte und eine Coda (Outro) miteinander verknüpft werden. Nestico verzichtet auf
Modulationen und erzeugt Kontrast durch die Verwendung von 2-feel und 4-feel (z.B. ab
Ziffer C, Takt 25), verschiedenen Klangfarben (wie z.B. Mischfarben von Saxophon und
Trompete in Takt 9 und full open shouts, z.B. Takt 84), und dynamischen Brüchen und
Kontrasten, die für kurze Klavier-Soli (z.B. Takt 95) Raum schaffen.
Der B Teil des zweiten Choruses ist durch ein Saxophonsatz-Solo (ab Takt 59) geprägt, das
sich weiter über den folgenden A Teil der Form hinwegzieht, aber die harmonische Struktur
des B Teils beibehält.
Im Anschluss daran gibt es eine langes Crescendo der gesamten Band (build up) über einen
eingefügten Übergangsteil mit Dominantorgelpunkt, der zum Klimax in H (Takt 84) hinführt,
einem Tutti Shoutchorus nach ca 72% des Verlaufs (s. Abb. 7).
4 Rayburn Wright: „Inside the Score“
Arrangements
24
Abb. 7: Dynamischer Formverlauf „Hay Burner“
3.3.4
Voicings
Hier kommen die charakteristischen Elemente des Count Basie Sounds zur Geltung. Es sind
erstens die Verwendung der Instrumente in den individuell gut klingenden Lagen und
zweitens die harmonische Vollständigkeit der einzelnen Bläsersätze.
Die Trompeten sind immer in enger Lage (closed voicings) geschrieben, der Abstand
zwischen erster und vierter Trompete ist nie größer als eine Oktave, Saxophone und Posaunen
nutzen neben den closed voicings auch weite Lagen (open voicings).
Ensemble-Passagen kommen in drei verschiedenen Typen vor:
1. "Classic Basie 4-part Voicing":
Die vier Trompetenstimmen werden von Posaunen und Saxophonen eine Oktave tiefer
verdoppelt, Das Baritonsaxophon spielt zwei Oktaven tiefer und der Grundton ist in dem
Akkord nicht oder selten vorhanden, jedoch häufig Terz, Septime (oder Sexte). Alle
Stimmen bewegen sich parallel zur Lead-Stimme, der dadurch entstehende Druck suggeriert
Arrangements
25
einen höheren Grad an Komplexität, und wird speziell in Big-Band-Musik eingesetzt.
2. "Basic ensemble/Basic chorale Voicing":
Posaunen- und Saxophon Voicings sind offener und von unten aufgebaut. Sie enthalten die
grundlegenden harmonischen Bestandteile Grundton, Terz und Septim. Der Abstand
zwischen dem Grundton und den anderen Harmonietönen darf hier etwas weiter sein. Die
Einzelstimmen müssen sich nicht an den Verlauf der Leadstimme halten, können so auf
spezielle Situationen reagieren und Stimmen-Konflikte ausgleichen oder auf gute klangliche
Eigenschaften der jeweiligen Spieler eingehen. Die Trompeten sind dreistimmig mit
verdoppelter Melodie oder "closed 4-part" geschrieben.
3. Eine Kombination der beiden; z.B. Trompeten und Posaunen in „4-part closed“ und
Saxophone in „Ensemble type Voicing“ mit dem Baritonsaxophon als Bass
Für Saxophon-Soli wählt Nestico ein vierstimmiges drop2 (open) Voicing mit verdoppelter
Leadstimme im Barisax. Durch die Oktavtransposition des jeweils zweiten Akkordtons
gewinnt diese Satztechnik an Breite und Größe, kann aber nicht beibehalten werden, wenn das
Lead in tiefer Lage spielen soll. Dann wird auf eine closed 4 part Technik mit oktaviertem
Lead zurückgegriffen.
Die Lead Trompete wird stets eine Oktave tiefer gedoppelt, nicht immer durch eine andere
Trompete.
Die Posaunen spielen eine wichtige Rolle bei Übergängen und Begleitung, jeweils in closed 4
Part voicing (Takte 24, 61-63, 75). Ausnahme bildet die Shuffle Figur in Takt 16 mit offenen
Dreiklängen.
3.3.5
Bass Doubling
Im Choral-Voicing vermeidet Nestico verdoppelte Bass-Noten, während er bei Line-Voicing
Passagen in allen Oktavlagen Bassnoten verdoppelt.
3.3.6
Harmonie
Nestico beschränkt sich bei seinen Sätzen in der Regel auf 4 stimmige traditionelle
Jazzharmonie und geht nur manchmal darüber hinaus.
Arrangements
26
Im Gegensatz zu anderen Komponisten wie Thad Jones oder Bob Brookmeyer vermeidet
Nestico die dissonante Wirkung der kleinen Sekunde.
3.3.7
„Passing chords“
Durchgangsakkorde, die normalerweise benutzt werden, um skalenfremde Melodietöne zu
harmonisieren, werden von Nestico eher unregelmäßig benutzt, was ihn abermals von Jones
und Brookmeyer unterscheidet. Er benutzt stattdessen Umkehrungen und wenn es nicht
anders möglich, verwendet er „planing chords“, die einen Halbton versetzt sind und in einen
Zielakkord gleiten, wenn sich die Melodie in Halbtonschritten bewegt (z.B. Saxophone Takt
63).
Nestico gibt dem schlichten harmonischen Klang den Vorrang, zur Not auch auf Kosten von
einem beweglichen Satz, weshalb er bei skalenkonform bewegter Melodie auch Akkordtöne
in einzelnen Stimmen liegen lässt.
Vergleich
27
4. Vergleich
Nachdem im theoretischen Teil dargestellt wurde, aus welchen Elementen im Allgemeinen
und im Speziellen der Big Band Sound besteht, soll in diesem Kapitel zunächst eine
Bestandsaufnahme der Techniken stattfinden, die diese Bausteine auf das Aufnahmemedium
transportieren sollen und wie sie in der aktuellen Praxis vorkommen. Daraus gehen
anschließend die Vergleichsparameter hervor, die bei der Durchführung der verschiedenen
Aufnahmen gegenübergestellt werden sollen.
4.1 Befragung von Profis zur aktuellen Aufnahmepraxis
In der Aufnahmepraxis zeigt sich häufig, dass manche Ergebnisse nicht auf direktem Wege
durch das Studium der elektro-akustischen Parameter und den daraus gewonnenen
Erkenntnissen erzielt werden. Die Vergangenheit zeigt, dass möglicherweise sogar ein
gezielter Verstoß gegen die zunächst durch physikalische Gesetze und Modelle erlangten
Wertvorstellungen eine subjektive Verbesserung der klanglichen Eigenschaften einer
Aufnahme herbeiführen kann. Ob eine solche Technik (etwa eine bestimmte Mikrofonierung
oder elektrische Bearbeitung) sich weiter etabliert oder wieder verworfen wird, entscheidet
sich letztlich, wenn sie sich auch in anderen Aufnahmesituationen bewährt und sich der
ursprüngliche Verstoß gegen die Elektroakustik im Nachhinein erklären lässt. Die Kenntnis
veschiedener Techniken und deren klanglichen Eigenschaften sowie den eventuell
verbundenen Vor- und Nachteilen zeichnet einen erfahrenen Tonmeister aus.
Im Vorfeld der Arbeit wurden verschiedene Tonmeister und Leader mit langjährigem
Umgang mit Big-Band-Aufnahmen zu deren Erfahrungen befragt. Die Liste der Befragten
kann keinen Anspruch auf Vollständigkeit haben, zumal hier aus logistischen Gründen die
Umfrage im Ursprungsland der Jazzmusik nicht möglich war. Jedoch haben die Teilnehmer
der Umfrage im erweiterten deutschsprachigen Raum sich gegenseitig bestätigt und als
wertvolle Informationsquelle benannt.
Besonders geeignet haben sich diese Personen auch dadurch, dass sie regelmäßig in festen
Konstellationen wie den Big Bands und den Studios der öffentlichen Rundfunkanstalten der
ARD arbeiten. Dadurch steigt zum einen die Aussagekraft der Tonmeister, da sie ihre
Äußerungen jeweils nur auf eine Band und ein Studio beziehen und diese Faktoren somit als
klangbeeinflussende Faktoren ausgeklammert werden können. Zum anderen wird begünstigt,
Vergleich
28
dass sich in der Praxis an den jeweiligen Standorten bestimmte Verfahrensweisen
standardisieren, andere variabel bleiben. Dadurch entstehen in den Aussagen der Befragten
Übereinstimmungen und Widersprüche, die zum Gegenstand dieser Arbeit wurden und später
in diesem Kapitel konkretisiert werden sollen.
Des weiteren wurde die Befragung bewusst nicht nur unter Tonmeistern durchgeführt,
sondern die Meinung der musikalischen Leiter mit einbezogen. Das hat verschiedene Vorteile,
schließlich verfügen die Leader über eine beim Komponieren und Arrangieren entwickelte
Klangvorstellung, die sie vom Tonmeister umgesetzt wissen wollen. Big-Band Leader stehen
außerdem durch Gastengagements und Workshops in ständiger Kommunikation und
permanentem Austausch mit verschiedenen Bands und Studios. Dadurch verfügen sie selbst
über eine umfangreiche Erfahrung mit verschiedenen Aufnahmepraktiken und können diese
einander gegenüberstellen und in Bezug zu ihren Kompositionen setzen.
Die Inhalte der rein qualitativen Befragung sind sehr individuell und damit statistisch kaum
fassbar. So wurde auch nicht das Ziel verfolgt, eine empirische Umfrage anhand von
Bewertungsbögen zu machen. Die Treffen und Telefonate waren als Informationsquelle und
Diskussionsgrundlage eine wichtige Anregung für diese Arbeit. Aspekte, die aufgrund von
Einzelaussagen zu einer Untersuchung in diesem Zusammenhang geführt haben, werden im
Folgenden zusammen mit dem jeweiligen [Gesprächspartner] benannt.
4.2 Personen
Jiggs Whigham5
Jiggs Whigham, geboren 1943 in Cleveland, Ohio, zählt zu den erfahrensten Big Band
Leitern Europas. Bevor er selbst in leitende Funktion trat, spielte er unter anderem im Glenn
Miller Orchestra, bei Stan Kenton, später bei Kurt Edelhagen und Peter Herbolzheimers
Rhythmcombination and Brass. Als Big Band Leiter arbeitete er neben unzähligen
Einzelengagements (u.a. bei WDR, NDR, HR) bei der RIAS Big Band (Berlin) und aktuell
der BBC Big Band (London).
5 Wikipedia
Vergleich
29
Manfred Honetschläger6
Jahrgang 1959, studierte unter anderem Jazz-Arrangement bei Rayburn Wright, Bill Dobbins
und Bob Brookmeyer. Neben seiner regelmäßigen Tätigkeit als Posaunist und Arrangeur der
HR-Big Band komponiert und arrangiert er für Film und Fernsehen.
Ed Partyka7
Ed Partyka wurde im Jahr 1967 in Chicago, Illinois geboren. Er trat als Spieler, Arrangeur
und Komponist mit zahlreichen Big Bands (u.a. HR, WDR, NDR) in Erscheinung. Seit 1997
ist er festes Mitglied des New Art Orchestra (Bob Brookmeyer) und er ist Gründer und Leiter
des Ed Partyka Jazz Orchestra.
Michael Abene8
Michael Abene ist seit 2004 Chefdirigent der WDR Big Band. Michael Abene ist seit seiner
Geburt 1942 in New York mit Big Band Musik verbunden und spielte mit Größen wie
Maynard Ferguson, Dizzy Gillespie und B.B. King. Seine Produktionen mit der WDR Big
Band wurden mehrfach mit dem "Grammy" ausgezeichnet.
Christian Schmitt9
Christian Schmitt studierte Musikübertragung in Detmold. Seit 2002 ist er fest angestellter
Tonmeister beim WDR und betreut neben der klassischen Musik die WDR Big Band als erster
Tonmeister.
Zahlreiche Aufnahmen von Christian Schmitt erhielten internationale Preise wie den
„Diapason d'Or“ oder den Preis der deutschen Schallplattenkritik.
2009 wurde seine Aufnahme Symphonica mit Joe Lovano, dem WDR Rundfunkorchester
und der WDR Big Band für einen Grammy nominiert.
Die SACD Some Skunk Funk mit der WDR Big Band und den Brecker Brothers wurde 2007
mit zwei Grammys ausgezeichnet. Einen weiteren Grammy erhielt 2008 die Produktion
6
7
8
9
HR-Website
Ed Partyka Website
Wikipedia
Institut für Musik und Medien-Website
Vergleich
30
„Avant Gershwin“ mit der WDR Big Band.
Axel Gutzler
Seit Jahren hauptverantwortlicher Tonmeister der HR-Big Band, der mit seinen reichhaltigen
Erfahrungen mit vielfachen Werkzeugen und Techniken einen großen Teil zum Gelingen
dieser Arbeit beigetragen hat.
Jörg Achim Keller10
Bereits während seines Studiums schrieb Jörg Achim Keller Arrangements für Peter
Herbolzheimers „Rhythm Combination and Brass“ und das „Metropole Orchestra“. Im
Februar 2000 wurde Keller mit nur 34 Jahren Chefdirigent der hr-Bigband und war Urheber
von Produktionen wie „Porgy and Bess“, „The Music of Ornette Coleman“, „Money Jungle“
oder „Mediterrana“. Heute arbeitet Jörg Achim Keller als Chefdirigent der NDR Big Band
und ist häufiger Gast bei der hr-Big Band.
Oliver Bergner
Als eine absolute Größe in der deutschen Jazz-Szene ist Oliver Bergner einer der
prominentesten freien Tonmeister. Seine Referenzen umfassen die Big Bands von WDR und
NDR sowie viele renommierte deutsche und internationale Jazz-Musiker.
4.3 Erkennbare Tendenzen / Meinungsbilder
Der Produktionsalltag in Big Band Studios ist schwer einheitlich zu beschreiben. Trotzdem
sind einige grundlegende Faktoren zu erkennen, die allgemein Zustimmung zu finden
scheinen und möglicherweise von einer eher längerfristigen klangästhetischen Mode und
deren
technischen
Bedingungen
abhängt.
So
ist
zum
Beispiel
eine
Overdub-
Aufnahmetechnik, die in den 80er Jahren angewendet wurde (z.B. Herbolzheimer: RCnB), im
professionellen Bereich kaum mehr zu finden. Die Möglichkeiten des DAW basierten
Editings ermöglichen die Aufnahme der kompletten Big Band, wobei - ausreichend
Signaltrennung vorausgesetzt - Takes spurweise miteinander kombinierbar sind, oder einzelne
Sätze oder Instrumente in Timing und Pitch beeinflussbar sind. Eine solche Nachbearbeitung
10 HR-Website
Vergleich
31
ist ein neues Arbeitsfeld des Tonmeisters geworden [Axel Gutzler, Christian Schmitt] und
erspart möglicherweise zeitaufwändige Retakes oder Overdubs. Die Entscheidung trifft der
Tonmeister bei der Aufnahme, wobei ein Aufschieben meist zu keinem befriedigenden
Ergebnis führt. Aus diesem Grund werden unsichere Edits direkt während der Session
zumindest ausprobiert, um eine sichere Abschätzung abgeben zu können, ob ein weiterer Take
notwendig ist.
Dadurch dass eine Big Band im Normalfall ein ausgeglichenes musikalisches Ereignis
darstellt, wäre der Einsatz von Haupt- oder besser Ambience-Mikrofonen [Axel Gutzler]
durchaus gewinnbringend, die Mehrspurtechnik und ihre manipulativen Möglichkeiten haben
ihren Einsatz jedoch sinnlos gemacht. Die Homogenität alter Aufnahmen zeigt, dass gute
Aufnahmen auch mit weniger Mikrofonen zustande kommen können, und dass "nicht immer
viele Mikrofone ein Garant für guten Klang" sind (Carlos Albrecht, 2010, S.142). Dennoch
sieht der heutige Standard individuelle Mikrofone für jeden Bläser, und etliche Mikrofone für
die Rhythmusgruppe vor.
Das Paning der Bläser folgt im Wesentlichen zwei etablierten und weitgehend akzeptierten
Modellen, eine pyramidenförmige Verteilung mit der ersten Trompete als Zentrum, und eine
blockhafte Anordnung, bei der Posaunen und Trompeten geteilt werden und die Mitte frei
lassen.
Abb. 8: Paning der Bläser als Pyramide oder als
Blöcke
Vergleich
32
Kontrovers sind die professionellen Meinungen allerdings über statische oder dynamische
Eigenschaften des Panoramas. Ausschlaggebend in beiden Fällen ist die Komposition bzw.
das Arrangement. Zeitgenössische Komponisten haben eine Neigung dazu, verschiedene neue
Querverbindungen in der Band durch Mischklänge zu schaffen. Diese Eigenschaft würde z.B.
den Einsatz einer dynamischen Automation des Panoramas im Einzelfall legitimieren, die den
Erlebnisfaktor
eines
solchen Arrangements
fördert
und
eine
neue
künstlerische
Herausforderung an den Tonmeister darstellt [Axel Gutzler].
Traditionelle Arrangements ordnen den einzelnen Instrumenten eine eindeutigere
Funktionalität zu, so dass in der Regel keine dynamische Pan-Automation erforderlich ist.
Eine Ausnahme bildet der flexible Umgang der Bassinstrumente, so dass hier verschiedene
Verfahren existieren. Sehr häufig findet bei der Mischung eine künstliche Trennung von
Bassposaune, Kontrabass und Baritonsaxophon statt, bei der die Instrumente ganz links,
mittig und ganz rechts aufgeteilt werden, was eine Verbreiterung des Klangbilds bewirkt und
subjektiv schöner wirkt. Im Gegensatz dazu können die Bassinstrumente alle mittig im
Stereobild dargestellt werden, besonders wenn bei der Aufnahme eine Konzertaufstellung
gewählt wurde, bei der die jeweiligen Spieler auch in der Mitte der Band positioniert sind
[Jiggs Whigham, Christian Schmitt]. Spieltechnische Unebenheiten werden bei diesem
Verfahren verdeckt und es fällt nicht unangenehm auf, wenn eine gemeinsame
Rhythmisierung nicht mit vollendeter Präzision ausgeführt wurde.
Das Verhältnis von Tonmeistern und Musikern ist, was Big-Band Aufnahmen angeht,
zunächst nicht ganz spannungsfrei. Die Gewohnheiten, die sich in der alltäglichen Ausübung
des Musikerberufs im Proberaum und auf der Bühne einschleifen, sich manchmal sogar zu
Ritualen oder speziellen Charakteristika einzelner Solisten entwickelt haben, stehen im
Widerspruch zu dem hohen Maß an Kontrolle und Disziplin, das für Tonaufnahmen im Studio
vorausgesetzt werden muss, was unabhängig von einer persönlich-organisatorischen Disziplin
zu sehen ist, die professionelle Musiker aller Genres ohnehin beherrschen müssen. Die
entstandenen Spannungsverhältnisse entstehen an „tektonischen“ Punkten, die für Aufnahmen
und dadurch auch für diese Arbeit von großer Bedeutung sind und verdienen hier besondere
Beachtung.
Das größte Konfliktpotenzial liegt in der Aufstellung. Während sich für Live-Aufstellungen
mit und ohne Beschallung sich im Prinzip eine feste Sitzordnung etabliert hat, gibt es im
Vergleich
33
Studio keine übergreifende Regelung. Die meisten Musiker werden aus Gewohnheit auch im
Studio eine Konzertaufstellung bevorzugen, weil eine Umgewöhnung an abweichende
Lautstärkeverhältnisse der mitspielenden Instrumente an verschiedenen Hörpositionen als
unangenehm empfunden wird. Der Tonmeister hingegen wird in Abhängigkeit von Programm
und Besetzung unter Umständen eine von der Konzertaufstellung abweichende Sitzordnung
wählen wollen, um eine Verbesserung von Übersprechen, Klang und Räumlichkeit zu
erzielen. Wie in vielen Fällen, lässt sich ein echter Konflikt was diese Punkte betrifft durch
eine gesunde Kommunikationskultur in der Regel vermeiden. In der Praxis zeigt sich, dass die
ungewohnten Hör- und Sichtverhältnisse, die alternative Aufstellungen der Bläser mit sich
bringen, durchaus positive Effekte für das Zusammenspiel (Intonation, Phrasierung) bewirken
können [Ed Partyka].
Drei Aufstellungsmodelle habe sich in der Befragung als praktikabel erwiesen und kommen
mit Varianten zur regelmäßigen Anwendung:
1. Konzertaufstellung
Traditionsbewusste Musiker schwören auf diese Aufstellung. Der Einsatz von Podesten
und Trennwänden zwischen den Bläsersections hilft, die Ohren der Musiker zu schonen
und das Übersprechen z.B. der Trompeten auf die vorderen Mikrofone zu reduzieren.
Eine Variante ist das Platzieren der Rhythmusgruppe gegenüber des Bläserblocks. Der
Leiter sitzt in der Mitte. (s. Abb. 13)
2. Kreis
Die Bläser werden in einem großen Kreis aufgestellt, der nur von der Rhythmusgruppe
unterbrochen wird. Vorteile sind eine gute Trennung der Bläsermikrofone und eine gute
Sichtbarkeit aller Musiker. Außerdem haben die Bläser innerhalb ihrer Sections eine
bessere Kontrolle über den Satzsound, dadurch dass die Sätze kleine Halbkreise bilden. (s.
Abb. 15)
3. Getrennte Saxophone
Ein Grundproblem ist das Übersprechen der Blechbläser auf die Mikrofone der
Holzbläser, die eine höhere Vorverstärkung benötigen. Ein Lösungsansatz ist das
Abtrennen der Saxophone vom Blechsatz, indem sie
Vergleich
•
34
gegenüber der Blechgruppe aufgebaut werden, und die Rhythmusgruppe die Lücke
füllt.
•
hinter die Blechbläser rücken, die dann in einer Reihe aufgebaut werden.
Die letztgenannte Variante bringt zwei Nachteile mit sich, die Beachtung finden müssen:
Erstens wirkt sich die extrem unterschiedliche Hörposition der Saxophonisten auf deren
gespielte Dynamik aus, zweitens leidet der Kontakt zwischen Lead-Alt und Lead-Trompete
sowohl optisch als auch akustisch. Eine häufige Abhilfe ist der Einsatz von individuellen
Kopfhörern, was allerdings zu weiteren Nachteilen in der Kontrolle führen kann. (s. Abb. 14)
Ein weiterer Punkt, bei dem Musiker und Tonmeister oft verschiedener Meinung sind, ist die
Akustik des Aufnahmeraums. Hierbei kommt es weniger auf den Nachhallanteil an, sondern
mehr auf die Anzahl und Beschaffenheit der frühen Reflektionen. Eine eingehende
Untersuchung dieses Zusammenhangs könnte Gegenstand einer weiteren Diplomarbeit sein,
weshalb ich mich hier auf die Erfahrungsberichte aus den Interviews reduzieren muss.
Vor allem Bläser bevorzugen relativ aktive Räume, die einen hohen Verschmelzungsgrad der
einzelnen Instrumente ("Blending") bieten. Dadurch lässt es sich leichter intonieren, aber vor
allem mit weniger Kraftaufwand musizieren, was sich sowohl klanglich bemerkbar macht, als
auch die Ausdauer der Blechbläser verbessert . Zu trockene Räume wirken sich in den
genannten Punkten negativ aus, so dass hier eine Ursache für möglichen Frust zu finden ist
[Jiggs Whigham].
Tonmeister freuen sich für gewöhnlich über wenige, oder sehr diffuse Reflektionen mit
geringer Lautstärke, was eine gute Signaltrennung und einen geringen Diffusschallpegel (z.B.
vom Drumset) bedeutet. Durch die für gewöhnlich überwiegend nahe Mikrofonierung ist der
Toleranzbereich für die Nachhallzeit relativ hoch, so dass unter Umständen auch Konzertsäle
mit Nachhallzeiten von 1,5 Sekunden und mehr für Big Band-Aufnahmen geeignet sein
können [Axel Gutzler].
Einer der beliebtesten Aufnahmeräume für sowohl Tonmeister als auch Musiker [Jiggs
Whigham, Ed Partyka] stellt das Studio des NDR dar (s. Abb. 9). Die Akustik ist trocken,
aber nicht unangenehm. Zwei begrenzende Wände sind mit den offenen Galerien diffus
reflektierend, während die beiden anderen Wände durch große Bühnenvorhänge
weitestgehend absorbierend wirken. Die Raumhöhe ist so groß, dass Reflexionen von der
Decke mit so geringem Pegel wieder an den Mikrofonen ankommen, dass sie quasi
Vergleich
35
vernachlässigbar sind.
Abb. 9: Studio der NDR Big Band
Durch die trockene Akustik eher unbeliebt, aber für Tonmeister akzeptabel ist das WDR
Studio (s. Abb. 10). Als ein ehemaliges Fernseh-Studio ist es für Tonaufnahmen etwas zu
klein, störende Reflektionen wurden mit aufwändigem textilen Behang an den Wänden
eliminiert, was aber auch eine ausgesprochen trockene, fast unangenehme Akustik mit sich
bringt. Von großem Vorteil ist die schalldichte Kabine, die für Gesang oder manche SoloEinsätze gebraucht wird.
Abb. 10: Studio der WDR Big Band
Vergleich
36
Als Abhilfe gegen zu wenige Reflektionen im Aufnahmeraum, hat man im Studio der HR Big
Band (s. Abb. 11) bei Aufnahmen die Distanz der Bläser zum Regieraum so verkürzt, dass
dadurch eine relativ starke Reflektion des Sichtfensters sowie der Wand des Regieraums
erzeugt wird, die von den Musikern als angenehm empfunden wird. Es stellt so einen
Kompromiss zwischen den Bedürfnissen der Musiker und des Tonmeisters dar.
Abb. 11: Studio der HR Big Band
4.4 Auswahl der konstanten Parameter
Wie in der Einleitung bereits erwähnt, ist ein Vergleich nur sinnvoll, wenn sich festgestellte
Auswirkungen eindeutig auf eine Ursache zurückführen lassen. Zu diesem Zweck war es
hilfreich, den Einfluss wechselnder Kompositionen, Aufnahmeräume, Musiker und
Tonmeister auszuschließen, was im Folgenden kurz begründet werden soll:
Die Komposition "Hay Burner" von Sammy Nestico als Auftrag für die Count Basie Big
Band eignet sich in vielfacher Weise für eine beispielhafte Betrachtung:
Zwar ist das Stück Mitte der 60er Jahre komponiert worden, also gut 20 Jahre nach der
Blütezeit der Swing-Musik, dennoch zeigt es aber alle charakteristischen Merkmale für die
Musik dieser Zeit. Im übrigen war Count Basie stets der Tradition verpflichtet und hatte das
Glück, die schweren Zeiten der Stilistik überstanden zu haben und diese Musik bis in die
1980er Jahre auf professioneller Basis spielen zu können.
Sammy Nestico wurde als Komponist und Arrangeur für viele Aufnahmen verpflichtet, so
Vergleich
37
auch für das Album "Basie - Straight ahead", das 1968 veröffentlicht wurde und auf dem sich
der Titel "Hay Burner" befindet. Das Arrangement wurde für die publizierte Version an
wenigen Stellen angepasst, so dass diese sich in geringer Weise von der Aufnahme
unterscheidet.
Diese
Anpassungen
wurden
bei
veröffentlichten
Partituren
häufig
vorgenommen, um Arrangements auch für nicht-professionelle Spieler umsetzbar zumachen.
Zum Glück waren hier keine grundlegenden Änderungen vorgenommen worden.
Wie bereits erwähnt, zeigt die charakteristische Komposition viele typische Satztechniken
des Swing. Dazu gehören die in den 40er Jahren von Sammy Nestico selbst geprägten
harmonisch vollständigen vierstimmigen Bläsersätze, sowie der Instrumenten-spezifische
Umgang mit den Sätzen. So finden sich neben Shouts und Kicks der Blechbläser auch ein
virtuoses Solo des Saxophonsatzes. Ebenso zu erwähnen ist der geschickte Einsatz
verschiedener Klangfarben durch geforderte Dämpfer, Mischklänge oder die spezielle und
flexible Behandlung von Baritonsaxophon und Bassposaune.
Der Wechsel von two-feel und four-feel ist eine Eigenschaft, durch die man verleitet ist, das
Stück stilistisch auf den Übergang zwischen 20er und 30er Jahren zu datieren. So ist es also
zur Zeit der Komposition ganz klar historisierend und aus diesem Grund bei heutigen
Amateurbands beliebt. Der Faktor der Spielbarkeit, also des relativ überschaubaren Anspruchs
an die technischen Fähigkeiten der Bläser und der maßvolle Einsatz anstrengender Passagen
für das Blech (Trompeten) haben nicht zuletzt zur Auswahl dieses Titels für eine beispielhafte
Betrachtung und die Aufnahme mit der Big Band der Hochschule für Musik, Detmold unter
Leitung von Prof. Oliver Groenewald geführt.
Sowohl Band als auch die durchführenden Tonmeister waren unter anderem aus
persönlichem Interesse an dem Projekt der Aufnahme beteiligt und haben mit ihrem
Engagement letztlich eine Arbeit in dieser Form erst ermöglicht.
Die Wahl des Aufnahmeraums fiel nicht schwer, da der Bühnenbereich des Konzerthauses
Detmold im Vergleich der an das Erich Thienhaus Institut angeschlossenen Räume die
meisten Möglichkeiten bietet. Nur hier war es denkbar, verschiedene Aufstellungen mit
Podesten und Stellwänden innerhalb von kurzer Zeit zu realisieren. Einziger Nachteil war ein
relativ stark erwarteter Diffusschall des Drumsets, der durch den Einsatz des Bühnenvorhangs
reduziert werden sollte. Davon abgesehen ist die fast ausschließlich hölzerne Beschaffenheit
der akustisch wirksamen Begrenzungsflächen eine allgemein willkommene Eigenschaft des
Konzerthauses Detmold.
Vergleich
38
4.5 Auswahl der Vergleichsparameter
Die zum Vergleich in Betracht gezogenen Parameter wurden sorgfältig aus der Vielfalt an
Möglichkeiten ausgewählt und repräsentieren die wichtigsten Unterschiede in der
professionellen Aufnahmepraxis. Sie waren ein gewünschtes Ergebnis der Befragung, können
aber keinen Anspruch auf Vollständigkeit haben.
Als wichtigster Unterschied im Vergleich verschiedener Big Band recording sessions ist die
Aufstellung der Bläser zu nennen, die normalerweise flexibel gehandhabt wird und je nach
Anforderung der Musiker und des Tonmeisters für jede Produktion neu verhandelt werden
kann. Neben klanglichen Aspekten der verschiedenen Ansätze sind auch die musikalischen
Auswirkungen von starkem Interesse für einen Vergleich, schließlich ist ein je nach
Hörsituation
unterschiedliches
Spiel
der
Musiker
(Dynamik/Phrasierung...)
nicht
unwahrscheinlich.
Des weiteren hat sich angeboten, gleichzeitig mit den Aufstellungen, verschiedene
Mikrofontypen und Mikrofonierungen zu vergleichen. Bei den Blechbläsern hat sich die
Verwendung von Großmembranmikrofonen durchgesetzt, was nun durch einen Vergleich mit
Kleinmembrankapseln hinterfragt werden soll. Bei den Holzbläsern finden sich bei den Profis
verschiedene Mikrofonierungsvarianten, wobei auf den ersten Blick alles erlaubt zu sein
scheint. Hier soll ein Mikrofonierungsvergleich weiterhelfen, bei dem sowohl die klanglichen
Erwartungen als auch Unterschiede in der Übersprechdämpfung verglichen werden können.
Die offenkundig größten Übereinstimmungen in den Arbeitsweisen finden sich bei der
Rhythmusgruppe. Das Drumset wird in der Regel einzeln abgenommen, mit einer Auswahl an
Mikrofonen, die die Anforderungen der häufig wechselnden Schlagzeuger und Instrumente
günstig treffen. Der Kontrabass wird häufig mit zwei Mikrofonen (im und vor dem Steg) und
mit zusätzlichem DI Signal aufgenommen und mehr oder weniger aufwändig durch
Aufbauten vor übersprechgefährdeten Schallquellen wie z.B. Schlagzeug geschützt. Gitarren
werden in der Regel stilabhängig mit einem Mikrofon vor dem Verstärker oder vor der Gitarre
abgenommen, ggf. noch zusätzlich durch DI oder Kontaktmikrofon für einen perkussiveren
Klang. Dadurch, dass die ersten brauchbaren elektrischen Gitarren und Verstärker noch
während der Swing-Ära auf den Markt kamen (ca. 1936), fällt in diese Zeit auch der Umbruch
zwischen rein akustischem Akkordspiel und der Verwendung als kombiniertem Melodie- und
Rhythmusinstrument. Da das Stück "Hay Burner" einen bewusst traditionalistischen Ansatz
verfolgt, ist die Gitarre hier ausschließlich akkordisch und ohne Verstärker zu spielen.
Vergleich
39
Wesentliche Variationen bei der Mikrofonierung der Rhythmusgruppe finden sich lediglich
beim Klavier, wobei auch hier neben der Mikrofonierung verschiedene Lösungen mit Decken
und Wänden gefunden werden, um Übersprechen anderer Instrumente zu verhindern.
Schließlich finden sich etliche Unterschiede in der elektrischen Behandlung der teuren
Signale. Ein Augenmerk soll bei den Mischvergleichen auf unterschiedliche Panoramisierung
und den Einsatz von Ambience-Mikrofonen gelegt werden.
4.6 Aufnahme-Setup
Die Aufnahme wurde mit der im Erich Thienhaus Institut vorhandenen Technik durchgeführt.
Die Mikrofonierung ist detailliert in der Anlage A tabellarisch dargestellt, als Vorverstärker
und A/D Wandler wurde das Nexus-System von Stagetec benutzt. Die Recording Software
war Merging Pyramix 6, die Spuren wurden einzeln direkt hinter dem Wandler aufgenommen.
Für Schnitt und Mischung wurde ebenfalls diese Software und ein Lexicon PCM native
Reverb Plugin verwendet.
4.7 Aufstellungen
Die erstellten Zeichnungen dienen der Verdeutlichung der Positionen der Musiker bei der
Aufnahme. Die Mikrofon-Schalt-Symbole sollen jeweils die Spielrichtung der Blasmusiker
verdeutlichen. Da dies bei der Rhythmusgruppe weniger von Bedeutung ist, sind zur besseren
Übersicht dort keine Mikrofone eingezeichnet worden.
Die Klangbeispiele sind alle zum Teil stark editiert worden, was der Tatsache Rechnung trägt,
dass die Musiker der Big Band der HfM Detmold zwar engagierte Studenten sind, aber
aufgrund der sehr geringen Vorbereitungszeit keine fehlerfreien Ganztakes möglich waren. So
habe ich mich dazu entschieden, grobe Fehlgriffe zu korrigieren, um einen unbeeinflussten
Vergleich der Klangbeispiele sicherzustellen.
Dabei hat sich bereits gezeigt, dass die Signaltrennung bei den Bläsern bei allen
Aufstellungen so gut ist, dass mit geringem Aufwand auch in Einzelspuren Takes
kombinierbar sind, sogar mit verschiedenen Aufstellungen.
Bei der ersten aufgenommenen Aufstellung wurden bewusst viele Takes gemacht, um
musikalisch
eine
einheitliche
Basis
zu
schaffen.
Da
wie
bereits
erwähnt
der
Vorbereitungsstand relativ niedrig war, mussten in der Anfangsphase der Produktion
interpretatorische Fragen geklärt werden, was auch zu der vergleichsweise höheren Anzahl
Vergleich
40
von Takes geführt hat. Abb. 12 zeigt die Spuren der Gitarre und der Trompeten in der
Pyramix-EDL („Edit Decision List“). Blau gefärbte Clips sind Abschnitte von Takes der
Konzertaufstellung. Grüne Clips sind Takes aus der Produktionsphase in Kreisaufstellung, die
insgesamt auf einem musikalisch höheren Niveau war. Man sieht außerdem, dass es möglich
war, die Schnitte und Editierungen (graue vertikale Linien) auf einzelne Spuren zu begrenzen.
Abb. 12: Ausschnitt der Pyramix EDL
Bewertung
Der Vergleich der Mischungen - vor allem in den Ausspielungen ohne Hall - zeigt, dass durch
die verschiedenen Aufstellungen keine wesentliche Änderung des Klangs eingetreten ist. Die
Tracks haben alle die gleiche Grundeinstellung im Mix und mussten lediglich in der Balance
leicht angepasst werden. (Aus diesem Grund habe ich auf detaillierte Kommentare zu den
folgenden Punkten verzichtet und verweise hiermit auf die Abbildungen 13-15 und die
entsprechenden CD-Tracks.)
Dennoch sind zum Teil deutliche Unterschiede wahrnehmbar, die nun eindeutig der
Interpretation zugeschrieben werden können. Während in der Konzertaufstellung eine sehr
disziplinierte, aber etwas neutrale Version aufgenommen wurde, zeigt die Aufnahme in
Kreisaufstellung mehr Spielfreude, was sich in Tempo, Artikulation und Dynamik bemerkbar
macht. Gleichzeitig passieren aber auch mehr kleinere spieltechnische Fehlgriffe, was ich aber
Vergleich
41
daraufhin zurückführe, dass in dieser Aufstellung wesentlich weniger Takes aufgenommen
wurden.
Die Aufnahme der zweiten Aufstellung (s. Abb. 14) ist musikalisch am schwächsten. Es
passieren sehr viele Fehler im Zusammenspiel, was ich auf die schwierigere Hörsituation der
Bläser zurückführe. Die Saxophone verlieren den akustischen Kontakt zu den Blechbläsern
und die 1. Trompete kann ihre in Kapitel 3.1 beschriebene stimmführende Funktion ('Lead')
nicht mehr hinreichend ausfüllen, was sich auf Posaunen und Saxophone auswirkt. Hinzu
kommt noch eine gewisse Verwirrung in der gesamten Blechgruppe, dadurch dass sie von
hinten von den Saxophonen angespielt werden und sich selbst dadurch weniger hören.
In der Kreisaufstellung zeigt sich, dass hier alle Anforderungen für Aufnahmen ohne
wesentliche Einschränkungen erfüllt werden. Dank dieser Verhältnisse hat sich – was von den
Musikern direkt bestätigt wurde – ein für alle Seiten positives Spielgefühl eingestellt, was
schließlich zu der belebten und frischen Interpretation geführt hat. Zusammenfassend möchte
ich die einzelnen Faktoren noch einmal benennen:
•
halbkreisförmige Anordnung der Sätze (gut für Zusammenspiel und Intonation)
•
Kein Satz wird von einem anderen direkt angespielt
•
Die Lead Trompete ist von allen gut hörbar
•
optischer Kontakt zwischen den Musikern
•
Nähe der Bläser zum Schlagzeug (Zusammenspiel, Timing!)
Vergleich
4.7.1
Konzertaufstellung (CD Track 1 + 4)
Abb. 13: Konzertaufstellung
42
Vergleich
4.7.2
Saxophone hinter Blech (CD Track 2 + 5)
Abb. 14: Getrennte Saxofone
43
Vergleich
4.7.3
Kreisaufstellung (CD Track 3 + 6)
Abb. 15: Kreisaufstellung
44
Vergleich
45
4.8 Mikrofonierungsvergleiche
Die gezielte Befragung der Profis hat verschiedene Mikrofonierungsvarianten zu Tage
gefördert, sei es zum einen durch widersprüchliche Aussagen („Wir haben das mal ausprobiert
und fanden die Lösung xy am besten.“) oder zum anderen durch konkrete Vorschläge, die sich
während der Gespräche entwickelten („Das wollten wir schon immer mal ausprobieren, aber
kamen nie dazu.“). Die Mikrofone von Drumset, Kontrabass und Gitarre waren die einzigen,
bei denen keine Veränderung ausprobiert wurde, da die Aussagen weitgehend kongruent
waren.
4.8.1
Saxophone
Hier finden sich die meisten Varianten in der Instrumentenabnahme, was dazu geführt hat, die
komplette Section dreifach zu mikrofonieren (s. Abb. 16). In der Mischung hat sich gezeigt,
dass schließlich alle drei Varianten unter Einsatz von EQs im Frequenzgang angepasst werden
mussten, wobei auch die Klangunterschiede der verschiedenen Spieler angeglichen wurden.
Die Veränderung der mikrofonspezifischen Klangfarben kommen in der Gruppen-SoloSchaltung mit ausgeschaltetem EQ am deutlichsten zum Vorschein.
Abb. 16: Mikrofonierung der Saxofone
Vergleich
46
1. Neumann TLM103 (CD Track 7)
Ein sehr häufig für Saxophon verwendetes Mikrofon ist das Neumann U87, das direkt vor
dem Instrument aufgestellt wird und je nach Spieler in der Entfernung etwas variiert. Hier
wurde das Modell TLM103 verwendet, das eine ähnliche klangliche Abstimmung hat und
in nahezu ausreichender Anzahl zur Verfügung stand.
Der Klang ist trotz der deutlichen Präsenzanhebung ab 3 kHz als warm zu bezeichnen, mit
einer guten Abdeckung des Grundtonbereichs. Das Übersprechverhalten ist akzeptabel,
wohingegen im Vergleich zu den anderen Mikrofonen eine leichte aber unangenehme
Färbung bei 2 kHz wahrnehmbar ist.
2. Elektro Voice RE20 (CD Track 8)
An der gleichen Position wie das TLM103 wird bei Live-Auftritten der WDR Big Band
das dynamische RE20 eingesetzt, um Übersprechen von Trompeten und Posaunen zu
vermeiden.
Die guten Eigenschaften in puncto Übersprechen können hier bestätigt werden, allerdings
kaum besser im Vergleich mit dem TLM103. Der Klang ist fast als muffig zu bezeichnen
und bedarf auf jeden Fall der Entzerrung. Die Anhebung bei 8 kHz im Mikrofon ist hörbar,
aber kann den Mangel an Höhen nicht ausgleichen.
3. Schoeps MK41 (CD Track 9)
Bei der HR Big Band hat sich dieses Kleinmembran Kondensatormikrofon mit
Supernieren-Charakteristik etabliert (technisch identisch mit ccm41). Es bietet vor allem
die Vorteile der Abnahme von oben und der einfachen Handhabung. So können nicht nur
die Saxofone, sondern auch ggf. Klarinetten und Flöten mit dem gleichen Mikrofon
abgenommen werden, und das in fliegendem Wechsel, da die Spieler die Mikrofone selbst
justieren können.
Die Supernieren haben einen sehr klaren und schlanken Klang mit leichter Tendenz zur
Schärfe. Trotz der Mikrofonierung und der deutlicheren Richtwirkung, haben die
Mikrofone mehr Übersprechen von Posaunen und Ride Becken.
Bewertung
Alle drei Mikrofonierungsvarianten sind durchaus brauchbar, jedoch ist keine optimale
Variante dabei, bei der kein EQ eingesetzt werden müsste. Der Satzklang leidet etwas
Vergleich
47
unter der stark unterschiedlichen Tonqualität der Spieler, die zum großen Teil mit
klassischem Ansatz spielen. Bei Sections mit professionellen Musikern, die obertonreicher
und ausgeglichener spielen, würde dieser Mikrofonierungsvergleich eventuell andere
Ergebnisse hervorbringen und eine Bewertung mehr zu Gunsten der wärmeren Mikrofone
verschieben.
4.8.2
Blech
In der Blechabteilung der Big Band-Studios ist der Einsatz von Großmembranmikrofonen
mittlerweile als selbstverständlich anerkannt, was aber aufgrund einer dankenswerten
Anregung von Carlos Albrecht an dieser Stelle hinterfragt werden soll. Historisch gewachsen
ist dieser Usus möglicherweise durch die starke Empfindlichkeit gegen hohe Schalldrücke der
früheren Modelle in Kleinmembranbauweise. Moderne Wandler kennen dieses Problem nicht
mehr und können dank -10 dB Dämpfungs-Schaltung auch im Emissionsstrahl von Posaunen
und Trompeten im linearen Übertragungsbereich arbeiten.
Durch den kleineren Membrandurchmesser haben Mikrofone in Stäbchenbauweise einen
prinzipiellen Vorteil, da hier keine unkontrollierbaren Resonanzschwingungen entstehen wie
bei den „Großmembranern“, deren Membran im Bereich der zu übertragenden Wellenlängen
liegt. „Kleinmembraner“ haben deshalb in der Regel einen vergleichsweise geraden
Übertragungsfrequenzgang, also einen neutraleren Klang und klingen untereinander ähnlicher.
Hersteller von Großmembranmikrofonen müssen hier einerseits nach Lösungen in der
Membranabstimmung oder Elektronik suchen. Andererseits setzen sie gerade hier auf
bestimmte klangliche Eigenschaften ihrer Mikrofone, so dass charakteristische Merkmale ggf.
für spezielle Einsatzgebiete ausgeprägt sind. Diese werden zum Beispiel bei der
Mikrofonierung von Trompeten ausgenutzt, die im Nahbereich tendenziell dünn und spitz
klingen. Um diesem Effekt entgegen zu wirken, werden Mikrofone mit warmem Klang
eingesetzt und/oder den Grundtonbereich der Trompete gut Abbilden wie zum Beispiel die
Modelle U47 oder TLM170 von Neumann.
1. Trompeten Neumann U67 (CD Track 10 + 12)
Die Wahl des Großmembranmikrofons fiel auf das U67, da hier bewusst auf die Anhebung
des Präsenzbereichs (z.B. bei TLM127 ab 3 kHz) verzichtet wurde:
„Der Frequenzgang des Übertragungsfaktors ist auch im oberen Tonfrequenzbereich für
senkrechten Schalleinfall praktisch linear und zeigt nicht die sonst übliche Überhöhung.
Vergleich
48
Damit kann das Mikrofon speziell auch in geringerem Abstand von den Schallquellen
eingesetzt werden, ohne dass sich eine unnatürlich scharfer Klangeindruck ergibt.“
(Neumann, Prospekt U67, 1966)
Klanglich ist das U67 in den Höhen eine Spur wärmer als die zum Vergleich stehenden
KM140, hat aber auch eine Färbung in den oberen Mitten bei ca 2 kHz. Im Bassbereich
hört man deutlicheres Übersprechen, was aber durch ein einfaches Filter schnell behoben
ist.
2. Trompeten Neumann KM140 (CD Track 11 + 13)
Das KM140 Mikrofon als sehr verbreitetes - wenn nicht sogar „das“ - Stäbchen-Mikrofon
soll hier als Vergleich dienen und wurde direkt neben dem U67 positioniert.
Die Kleinmembraner klingen sehr natürlich und ausgewogen, allerdings fehlt ein wenig die
Wärme im Grundtonbereich. Die leichte Anhebung um 2 dB bei 8 kHz kommt bei den
Trompeten voll zum Tragen und führt zu einer hohen Durchsetzungskraft in der Mischung.
Bei Professionelle Trompetensections, die insgesamt obertonreicher spielen, könnte diese
Anhebung
unter
Umständen
unangenehm
auffallen
und
müsste
dann
durch
entgegengesetztes Filtern korrigiert werden. Auf jeden Fall zeigt sich, dass die
Kleinmembran-Mikrofone hier gute Dienste erweisen.
3. Posaunen Neumann TLM127 (CD Track 14)
Da die erwähnte Präsenzanhebung dieses Modells den Posaunen (und den Spielern mit
vorwiegend klassischem Ansatz) eher zu Gute kommt, wurde hier dieses Mikrofon
eingesetzt. Satter Klang, mit leichtem Übersprechen des Schlagzeugs.
4. Posaunen Neumann KM140 (CD Track 15)
Identischer Vergleich wie bei den Trompeten. Der Klang ist erstaunlich ähnlich zum
TLM127. Sie lassen sich kaum unterscheiden, jedoch ist die Zeichnung im Bassbereich bei
den Stäbchen etwas dünner.
Bewertung
Die Kleinmembraner schlagen sich überraschend gut, so dass bei diesem einfachen
Vergleich zumindest keine prinzipiellen Gründe gegen ihren Einsatz am Blech feststellbar
sind. Einzig bei den Trompeten könnte die Höhenanhebung der KM140-Kapsel ein
Argument sein, da sie hier unter Umständen für eine unangenehme Schärfe in den Höhen
Vergleich
49
sorgen.
4.8.3
Klavier
Bei der Abnahme von Flügeln im Big Band Zusammenhang liegt der Erfolg im Kompromiss
zwischen gutem Klang und wenig Übersprechen anderer Schallquellen, in der Regel des
Schlagzeugs. Hier eine optimale Einstellung zu finden und gleichzeitig noch den persönlichen
Geschmack von Dirigent und Pianist zu treffen, ist eine Aufgabe, für die eine Vielzahl an
Lösungsansätzen existiert. Zwei verschiedene Möglichkeiten wurden herausgegriffen und hier
gegenübergestellt:
1. Stereo mit Neumann U87 (CD Track 16 + 1)
Die Mikrofone werden über den Saiten so angebracht, dass sie möglichst gleichmäßig
Diskant- und Bassbereich abdecken. Der Deckel befindet sich auf halber Stütze.
2. 2x Schoeps ccm4v + Neumann TLM170 (CD Track 17 + 2 + 3)
Diese Variante wird häufig bei den Aufnahmen der WDR Big Band verwendet. Der warme
Klang des TLM170 rundet klanglich das Stereobild der klaren und brillanten Schoeps
Nieren ab, die ähnlich wie die U87 über den Saiten positioniert werden. Die Schoeps
Mikrofone fangen deutlich mehr Übersprechen vom Schlagzeug ein.
Bewertung
Die beiden Varianten unterscheiden sich hauptsächlich durch das Übersprechen und den
Klang in der Diskantlage, weshalb ich aus technischer Sicht die erste Lösung bevorzuge.
Ästhetisch möchte ich hier keine Bewertung vornehmen, und diese dem Geschmack des
Pianisten überlassen.
4.9 Klangästhetische Konzepte
Wie weiter oben bereits erwähnt, gibt es zwar unendlich viele Möglichkeiten, eine Big Band
abzumischen, unter denen aber bestimmte Modelle etabliert sind, und die in der Regel - wenn
auch nur als Idee oder auch persönliche Vorliebe – zu Beginn und während des
Mischvorgangs die Klangvorstellung des Tonmeisters prägen.
Diese „klangästhetischen Konzepte“ habe ich an geeigneten Stellen des Arrangements
umgesetzt. Im Folgenden werden die Mischungen zunächst beschrieben und anschließend
eine kurze persönliche Bewertung angefügt.
Vergleich
4.9.1
50
Panorama der Bläser
1. Paning in Blöcken (CD Track 18)
Da das Beispielstück ohne vokalen oder instrumentalen Solisten komponiert ist, habe ich
die in Abbildung 6 extrem getrennt dargestellten Blöcke etwas mehr auf die gesamte
Stereobreite verteilt, um kein Loch in der Mitte zu erhalten. Das antiphonische Prinzip des
Arrangements wird in einer Art Links-Rechts-Schaukel dargestellt, 1. Trompete und 1.
Posaune rücken jeweils zur inneren Position, ohne ganz aus der Mitte zu kommen.
2. Paning in Pyramidenform (CD Track 19)
Die Panorama-Einstellung wurde entsprechend der Abbildung 6 umgesetzt. Der
antiphonische Kontrast wird dadurch in die Modulation der Stereobreite verlagert.
Bewertung
Die blockweise Panoramisierung bietet zwar den Effekt der Links-Rechts-Schaukel,
allerdings leiden die Trompeten an Durchsetzungskraft durch breitere Verteilung. Der im
Tutti erwartete Stereo-Effekt der Blechbläser (hoch nach tief) bleibt ein wenig hinter den
Erwartungen zurück. Die Pyramidenform sorgt durch die engen Trompeten in der Mitte für
Transparenz und Kraft im Tutti. Der Posaunensatz bettet zwar die Trompeten gut ein,
verliert aber seine Kompaktheit, vor allem bei den engen (closed) Voicings im
Zusammenspiel mit dem Baritonsaxophon.
4.9.2
Panorama der Bassinstrumente
Da in diesem Arrangement die Bassposaune selten das Bassregister bedient und keine
unisono Passagen mit Kontrabass oder Baritonsaxophon teilt, ist in diesem Punkt der
Vergleich hier nicht sehr sinnvoll. Unabhängig davon ist allerdings die Aufmerksamkeit auf
den flexiblen Umgang mit dem Baritonsaxophon zu lenken.
1. getrenntes Panorama (CD Track 20)
Das Baritonsaxophon ist im Stereobild ganz links und erfüllt somit seine Funktion im
Saxophonsatz und gleichermaßen Zusammenspiel mit den Posaunen.
2. gemeinsames Panorama (CD Track 21)
Das Baritonsaxophon wurde lediglich von der linken auf die rechte Seite verschoben und
im Pegel angeglichen. Diese Einstellung simuliert eine Aufstellung, bei der
Vergleich
51
Baritonsaxophon und Bassposaune auf der gleichen Seite sitzen (HR Big Band) und dem
Wunsch nach einer natürlichen Panoramisierung nachgegangen werden soll.
3. alle Bassinstrumente in der Mitte (CD Track 22)
Diese Einstellung hat den Vorteil, dass unisono-Passagen im Bass besser verschmelzen
[Christian Schmitt] (was hier nicht hörbar ist), dies jedoch auf Kosten von Breite im
Stereobild.
Bewertung
Der Erlebnisgewinn ist meiner Ansicht nach für dieses Arrangement bei einem strikt
getrennten Panorama am größten. So würde ich auch bei einer anderen Aufstellung der
Saxophone versuchen, das Bariton mit guter Übersprechdämpfung zu mikrofonieren und
am Mischpult künstlich zu trennen.
4.9.3
Fluch und Segen der Ambience
Vielfach werden gar keine Ambience-Mikrofone, also ein Stereo-System, das die Bläser mit
Rauminformation aufnimmt, mehr aufgenommen. Der Vorteil ist unumstritten, denn ein
Zumischen von diffusen Signalen hilft, die einzelnen und sehr trockenen Mikrofone der
Bläser miteinander zu verkleben und einen gemeinsamen Satzsound zu erzeugen. Eine
Bearbeitung mit künstlicher Rauminformation aus einem Hallgerät bringt häufig deutlich
mehr zeitlichen Aufwand und ein schlechteres Ergebnis mit sich. Jedoch werden die Spuren
der Raummikrofone unbrauchbar, wenn das Verlangen nach musikalisch perfekten
Aufnahmen den Einsatz von Overdubs einzelner Instrumente oder Sections erfordert.
Für einen deutlicheren Vergleich habe ich eine laute Stelle im Arrangement ausgewählt und
verschiedene Einstellungen ausgespielt:
1. Ambience Solo ohne Filter (CD Track 23)
2. Ambience Solo mit Filter (CD Track 24)
3. Ambience muted (CD Track 25)
4. Ambience -9 dB (CD Track 26)
5. Ambience 0 dB (CD Track 27)
6. Ambience +4 dB (CD Track 28)
Vergleich
52
Bewertung
Die Einstellung des Filters (Hochpassfilter bei 110 Hz, -8 dB bei 250 Hz mit Q 4,4
(Raummode), -7 dB bei 7,7 kHz mit Q 3,7 (Becken)) mag auf den ersten Eindruck hin zu
stark sein, wurde aber nicht im Solo-Modus, sondern in der Mischung klanglich justiert. Es
zeigt sich, dass die Kanäle der Ambience-Mikrofone bereits bei -9 dB ihr Wirkung zeigen und
ein Auseinanderfallen der isolierten, trockenen Signale verhindern, ohne dabei einen
entscheidenden Lautstärke-Anteil in der Mischung beizutragen.
Erstaunlich sind bei diesem Punkt zwei Dinge: Erstens fallen die Bläser im dritten Beispiel
auseinander, obwohl in der Mischung relativ viel künstlicher Hall eingesetzt war. Dies
unterstreicht die Notwendigkeit von frühen und mittleren Reflexionen für die Mischung, auch
wenn diese im Pegelverhältnis einen vergleichsweise geringen Anteil haben. Deshalb ist - um
noch einen Schritt weiter zu denken - der Einsatz von Time-Alignment in Form von
samplegenauen Delays in jedem Kanal bei diesem Anwendung auch nur von mäßigem Erfolg.
Erstens wird eine verschobene Phasenlage erst dann klanglich bemerkbar, wenn die
dekorellierten Signale im ähnlichen Pegelverhältnis zueinander stehen. Außerdem kann eine
Phasenanpassung nur funktionieren, wenn die zeitliche Nullachse, also in diesem Fall das
Stereo-Ambience-System, im Idealfall nur von einer Richtung bespielt wird, und nicht wie
hier von beiden Seiten.
Zweitens
funktioniert
der
Mehrspurschnitt
inklusive
der
Ambience-Mikros
von
verschiedenen Bläseraufstellungen Aufstellungen (in Grenzen) ohne hörbare Brüche in der
Ortung. Diese Schnitte sind natürlich etwas „gemogelt“ und sind nur unter starken
Einschränkungen durchführbar, aber in jedem Fall ausreichend, um mit den AmbienceMikrofonen als Lieferant von Reflexionen arbeiten zu können.
Zusammenfassung / Fazit
53
5. Zusammenfassung / Fazit
5.1 Musikalische Aspekte
Ein Eindruck, den ich bereits während der interessanten und lehrreichen Treffen mit den Big
Band Tonmeistern und -Leitern erhalten hatte und sich während der Arbeit an der Aufnahme
bestätigte, ist, dass viele Aspekte, die für den angehenden Tonmeister von großer Bedeutung
zu sein scheinen, letztlich einen viel geringeren Einfluss auf das Endprodukt haben. Zum
Beispiel spielt die Frage nach dem richtigen Mikrofon für einen bestimmten Zweck eine
vergleichsweise kleine Rolle, während trotz aller digitaler Bearbeitungs-möglichkeiten die
musikalische Qualität der Musiker von gleicher oder ähnlicher Bedeutung ist wie zu Zeiten
der Swing Ära. Die viel zitierte Ausrede „We fix it in the mix!“ verdient angesichts dieser
Tatsache nicht mehr als ein müdes Lächeln, wissend, dass als logische Folge die Ausrede des
Mischtonmeisters lauten wird „We fix it in the mastering!“ und schließlich in der Ausrede des
Mastering-Engineers „We fix it in the marketing!“ gipfeln muss.
Die Konsequenz lautet eindeutig, die musikalischen Einflüsse während der Aufnahme so zu
fördern, dass der Musiker die Bedingungen vorfindet, unter denen er bestmögliche Leistung
abliefern kann. Der Big Band Sound ist also letztlich nicht oder besser nicht 'nur' in den
Mikrofonen, den Lämpchen, Fadern und Knöpfen zu suchen, sondern entsteht schwerpunktmäßig zunächst einmal vor den Mikrofonen. Und gerade hier, obwohl dies vom
technischen Feld eines Aufnahmesetups wegführt, findet sich ein wichtiges Tätigkeitsfeld des
Tonmeisters während der Aufnahme. Zum Beispiel hatte die Untersuchung der verschiedenen
Aufstellungen in Kapitel 4.7 das Ziel, klangliche Unterschiede dingfest zu machen, wobei ich
hauptsächlich Auswirkungen auf technische Parameter wie zum Beispiel das Übersprechen
der Blechbläser in den Saxophon-Mikrofonen oder einen veränderten Raumklang des
Drumsets erwartet hatte. Tatsächlich hat sich der Sound auch verändert, was aber zum großen
Teil durch musikalische Faktoren beeinflusst wurde. Zum Beispiel ist das Zusammenspiel des
1. Saxophons und der 2. Trompete im Thema vom akustischen und optischen Kontakt
zwischen den Spielern abhängig. Sowohl die Konzertaufstellung als auch die Aufstellung der
Saxophone hinter dem Blech haben dazu geführt, dass sich die Spieler entweder nicht sehen
oder nicht sehen und nicht hören konnten. Erst die Kreisaufstellung brachte dann gute
Bedingungen, was nicht nur für diese beiden Musiker von Vorteil war, sondern für die
gesamte Band, da jeder mit jedem Blickkontakt aufnehmen konnte (z.B. für gemeinsames
Zusammenfassung / Fazit
54
Einatmen), kein Musiker durch „Hintermänner“ beschallt wurde und die Sections
untereinander besser intonieren und phrasieren konnten. Letztlich war also der festgestellte
Unterschied möglicherweise zum großen Teil aufgrund der musikalisch besseren Leistung
zustande gekommen. Dies zu untersuchen, könnte ein Ansatzpunkt einer weiter führenden
Diplomarbeit werden.
Der Einfluss der Mikrofonierung auf den Big Band Sound ist differenziert zu betrachten. Alle
verglichenen Mikrofonierungsvarianten sind im Prinzip unproblematisch, tragen also einen
bestimmten Anteil zum Gesamtsound einer Big Band bei, der aber keine charakteristischen
Auswirkungen
hat.
Die
Möglichkeiten
unterscheiden
sich
hauptsächlich
in
der
Bearbeitungsdauer der Filtereinstellungen. Anders verhält es sich mit den AmbienceMikrofonen, bei denen ich im Nachhinein sehr froh bin, sie aufgenommen zu haben, denn sie
spielen - trotz ihres allgemein anerkannten Nutzens - in der aktuellen Produktionsweise mit
Overdubs quasi keine Rolle. Ich sehe hier die Möglichkeit einer generellen Verbesserung,
indem Korrekturen, sollten sie nicht durch einfaches Editing möglich sein, mit der kompletten
Band aufgenommen werden und so eine Verwendung von Raummikrofonen in der Mischung
möglich ist. Bei meinen Besuchen, die ich im Rahmen der Befragungen gemacht habe, hat
sich gezeigt, dass die Möglichkeiten des Editings oft noch nicht voll ausgeschöpft werden,
und so mehr Overdubs aufgenommen werden als notwendig. Die durch Edits in der
Workstation gesparte Zeit könnte so für Korrektur-Aufnahmen der gesamten Band eingesetzt
werden.
Eindeutiger als bei der Mikrofonierung gestaltet sich eine abschließende Bewertung bei den
untersuchten Parametern der Mischungen. Hier gibt es klare Strukturen, die sich ästhetisch oft
leichter abgrenzen und begründen lassen, als bei dem gemachten Vergleich von Mikrofonen.
Handwerkzeug ist hier die Partitur, die zum einen klare Forderungen an die Mischung stellen
(hier z.B. Paning des Baritonsaxophons) und zum anderen gleichzeitig Freiraum für kreative
individuelle Lösungen lassen kann.
Die vollständige Untersuchung weiterer Mischparameter (z.B. Balance, Filter, Dynamik)
könnte abermals Stoff für eine weitere Arbeit werden, schließlich gibt es hier enorme
Möglichkeiten, den Big Band Sound zu beeinflussen. Denkbar wäre zum Beispiel
Mischungen des selben Titels auf nur einem Mischsystem von verschiedenen Tonmeistern
anfertigen zu lassen und diese zu vergleichen.
Ein weiterer interessanter Ansatzpunkt für weiterführende Untersuchungen ist meines
Zusammenfassung / Fazit
55
Erachtens die Untersuchung der Akustik des Aufnahmeraums, die trotz naher Mikrofonierung
durch ihren Diffusschall und die frühen Reflexionen den Big Band Sound entscheidend prägt.
Darüber hinaus hat sie einen direkten Einfluss auf die bereits erwähnten musikalischen
Aspekte des Big Band Sounds. Eine sehr trockene Akustik ist zwar zunächst durch den
geringen Diffusschallanteil für Aufnahmen förderlich, aber gibt gleichzeitig den Bläsern das
Gefühl, Kontrolle zu verlieren und zu leise zu sein. Die Folge ist, dass insgesamt lauter und
fester gespielt wird, wodurch die Kondition schnell abnimmt und Nährboden für
Unzufriedenheit und Frustration wird. Somit kann der Vorteil der trockenen Akustik schnell
zum Nachteil werden.
5.2 Ausblick
Einen Ausblick auf zukünftige Produktionstechniken traditioneller Big Band Musik zu
schreiben, hielt ich zunächst nur für wenig sinnvoll. Wirft man einen Blick auf die veränderte
musikalische Landschaft der Big Bands scheinen die gewonnenen Erkenntnisse allerdings
ebenso aktuell und übertragbar.
Obwohl die zeitgenössischen Arrangeure und Komponisten für Big Band Musik eine
allgemeine Affinität zu binären Rhythmen, ungeraden Taktschemas, einer zerklüfteten
Satztechnik und auch zum Einsatz von Elektronik haben, sind die wichtigen Punkte beim
Aufbau im Studio die gleichen geblieben. Die komplexeren Arrangements, die das
ursprünglich akustisch ausgewogene Klangideal zu Gunsten von mehr Farbe aufgegeben
haben, und ein umfangreiches Sortiment an Sonderinstrumenten vorschreiben, erfordern viel
mehr noch eine geschickte Platzierung der Spieler, um besonders leise Instrumente von zu
starkem Übersprechen zu schützen.
Nicht zu unterschätzen an dieser Stelle ist auch die Bedeutung der kommunikativen
Kompetenz des Tonmeisters, der im Studio eine zentrale Position einnimmt, bei der
verschiedene Wege (Musiker, Dirigent, Produzent, Redakteur, etc...) zusammengeführt
werden. Er ist das verbindende Glied zwischen beiden Seiten der 'großen Scheibe', was im
besten Fall zu einer gegenseitig anregenden und produktiven Arbeitsatmosphäre führt. Leider
habe ich auch immer wieder Berichte gehört, wonach dieses Verhältnis gestört war und
infolgedessen die musikalische Qualität beeinflusst wird. Der Zusammenhang von der
kommunikativen Fähigkeit des Tonmeisters mit dem Endprodukt, also die Auswirkung auf
den Big Band Sound, verdient meiner Meinung nach eine ebenso eingehende Untersuchung,
was im Rahmen dieser Arbeit leider nicht möglich war.
Zusammenfassung / Fazit
56
Unabhängig von allen technischen Entwicklungen, deren Tendenz auch in der Big-BandMusik die Integration aller relevanten Funktionen in computerbasierten Workstations ist, wird
der Tonmeister als „ein Beruf im Spannungsfeld zwischen Kunst und Technik“ (Website ETI,
Detmold) seinen Wert als multifunktionaler Recordingspezialist und musikalischer Partner
und Berater beibehalten. Eine große Sorge bleiben die Sparmaßnahmen auf dem kulturellen
Sektor, von denen viele professionelle Big Bands bedroht sind.
Literaturverzeichnis
57
6. Literaturverzeichnis
•
Albrecht, Carlos: Der Tonmeister, Schiele und Schön, Berlin, 2010
•
Delamont, Gordon: Modern Arranging technique, Kendor music, New York, 1965
•
Simon, George T.: The Big Bands, Collier Macmillan Ltd, New York, 1981
•
Wright, Rayburn: Inside the score, Kendor music, New York, 1982
•
Finscher, Ludwig (Hrsg.): Musik in Geschichte und Gegenwart, Bärenreiter/Metzler,
Kassel, 1999
•
Internetquellen (11.09.2011)
◦ http://de.wikipedia.org/wiki/Jiggs_Whigham
◦ http://de.wikipedia.org/wiki/Michael_Abene
◦ www.edpartyka.com
◦ www.hr-bigband.de
◦ http://musikundmedien.net/studium/mitarbeiter/christian-schmitt/
◦ www.eti.hfm-detmold.de
◦ www.neumann.com
Anhang
A
7. Anhang
7.1 Produktions-Übersicht
Produktion:
Titel:
Datum:
Ort:
Tonmeister:
Big Band der HfM Detmold
Sammy Nestico: „Hay Burner“
30.05.2011, 18-22 Uhr
Konzerthaus, Detmold
Erich Thienhaus Institut, Regie 2
Robin Bös, Sebastian Müller, Sebastian Clobes, Martin Müller
Chn
Instr
Mic
Chn
Mic
Chn
Mic
1
BD
U47
2
SN
C414
3
SN bot
KM84
4
HH
KM84
5
OH L
MK4
6
OH R
MK4
7
Tom1
e604
8
Tom2
e604
9
Bass steg
MKH 80
10
Bass finger
MKH 50
11
Bass DI
Radial
12
Pno L
U87
12 ccm4v
13
Pno R
U87
13 ccm4v
14
Pno Opt
15
Gtr
MD421
16
Gtr Di
MKH50
17
Trp 2
U67
25 KM140
18
Trp 1
U67
26 KM140
19
Trp 3
U67
27 KM140
20
Trp 4
U67
28 KM140
21
Pos 4
TLM127
25 KM140
22
Pos 1
TLM127
26 KM140
23
Pos 2
TLM127
27 KM140
24
Pos 3
TLM127
28 KM140
29
Bari
RE 20
34 MK41
39 U87
30
Alt2
RE 20
35 MK41
40 TLM103
31
Alt1
RE 20
36 MK41
41 TLM103
32
Ten1
RE 20
37 MK41
42 TLM103
33
Ten2
RE 20
38 MK41
43 TLM103
44
Ambience L
KM140
44 KM83
45
Ambience R KM140
45 KM83
14 TLM 170
Anhang
B
7.2 Partitur
„Hay Burner“11
von Sammy Nestico
11 Rayburn Wright, 1982
Selbstständigkeitserklärung
Hiermit erkläre ich, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbstständig verfasst habe. Es wurden
keine anderen als die in der Arbeit angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt. Die wörtlichen
oder sinngemäß übernommenen Zitate habe ich als solche kenntlich gemacht.
Ort, Datum
Unterschrift

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