Muster für Predigt - Stadtkirchen Stade

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Muster für Predigt - Stadtkirchen Stade
Konfirmationsgottesdienste am April/Mai 2010 in St. Cosmae/Stade
Predigttext: Römer 1,17
Liebe Gemeinde, ich möchte Ihnen eine Geschichte von einer Konfirmandenfahrt
erzählen. Diese Konfirmanden-Gruppe, von der ich erzählen möchte, ist nicht nach Holland
aufs Ijsselmeer gefahren, sondern ist in meine Heimatstadt nach Lüneburg gefahren. Und
wer nach Lüneburg fährt, muss sich natürlich einmal die Stadt angucken mit den alten
Kirchen.
Pastor Meyer hatte sich für die Fahrt viel vorgenommen – die Gruppe sollte immerhin
auf der Fahrt ihren Vorstellungsgottesdienst über das Glaubensbekenntnis vorbereiten –
aber am Nachmittag nach dem Eintreffen sollte es dennoch einen kleinen Stadtrundgang
geben.
Aus der Jugendherberge fuhren sie mit dem Bus in die Innenstadt zum Sande, dem
zentralen Platz in der Altstadt – direkt bei der Hauptkirche St. Johannis. Pastor Meyer ging
gleich zur Küsterwohnung, klingelte dort und holte sich ein großes Schlüsselbund. Er nahm
den Schlüssel, der bei weitem am größten war und am altertümlichsten wirkte, und schloß
die Turmtür auf.
Dann stiegen alle die 527 Stufen auf den 108 Meter hohen Turm. Von dort hatten sie
einen Blick über die mittelalterliche Stadt. Es gab gute Fernsicht, und so konnten sie in der
Ferne sogar die Elbe sehen. Im Zentrum Lüneburg war der alte Wasserturm ganz in der Nähe
eindrucksvoll und natürlich die alten Kirchen, St. Michaelis mitten in der Altstadt, und rechts
das hohe schmale Gewölbe der Nicolaikirche. „Toll, da hinten wohnt Onkel Thomas.“
erzählte Simone dem Pastor und zeigte auf das Haus neben der Kirche.
Nun stampften sie die 527 Stufen wieder herunter. Inka drängte: „Wir wollen noch
nicht gleich zurück. Wir wollen gern die Altstadt sehen.“ Das war natürlich nicht geplant,
eigentlich sollte es zurück in die Jugendherberge und in die Arbeitsgruppen gehen. Aber die
Sonne schien, und Pastor Meyer hatte allerdings sowieso schon aufgegeben, heute
Nachmittag mit der Gruppe noch etwas Sinnvolles anzustellen, und so schlenderten sie
durch die Altstadt in Richtung Michaeliskirche.
Sie kamen durch die engen Gassen über das gewölbte Kopfsteinpflaster, denn in den
vielen Jahrhunderten hatte sich die Erde gesenkt. Manche Hauswände waren so krumm und
schief geworden, so dass es aussah, als ob die Häuser einen Bauch hatten. Dann kamen sie
an einem Haus vorbei, das schon zusammengebrochen war. Die meisten der alten Steine
waren schon weggeräumt, so dass sich das Holzfachwerk wie ein Gerippe vor dem grauen
Putz des Nachbarhauses abhob.
Julius stieß Paul in die Seite: „Guck mal, was steht denn da auf dem Balken? Das ist
doch so altdeutsche Schrift.“ Paul war einer der besten in der Schule und wusste fast alles;
sogar diese Schrift konnte er lesen. Paul las Julius vor, was er entziffern konnte: „DER
GERECHTE WIRD AUS GLAUBEN L...“ Dann war der Balken abgebrochen, vom letzten Wort
- Predigt (Römer 1,17), Seite 2 -
war alles bis auf den ersten Buchstaben, das L verloren. „Herr Meyer, was hat denn da
gestanden?“ Julius holte den Pastor, um das Rätsel löst zu bekommen. Der holte die Gruppe
und guckte sich den Balken genau an.
Dann fing er an zu erklären: „In früheren Jahrhunderten schnitzte man in die Balken
eines Hauses einen Vers aus der Bibel. Das sollte den Bewohnern den Segen Gottes bringen.
Auch hier hat man etwas hineingeschnitzt. Wie Julius schon richtig gelesen hat, steht da: DER
GERECHTE WIRD AUS GLAUBEN ..., und vom letzten Wort ist nur der erste Buchstabe, das L,
da.“
„Wie ging der Satz weiter? Was stand da denn?“ fragte Simone unbekümmert. „Was
würdest du vermuten?“ fragt der Pastor zurück. Simone überlegt einen Augenblick lang,
dann kommt ihre Antwort: „Das wichtigste am Glauben ist die Botschaft der Liebe, dass die
Menschen sich lieben sollen, sogar ihre Feinde, sagt doch Jesus. Außerdem steht in der Bibel
ja auch, dass Gott die Menschen liebt. Da hat bestimmt gestanden: DER GERECHTE WIRD
AUS GLAUBEN LIEBEN.“
„Mhhim, klingt vernünftig,“ nickte der Pastor: „das meinst du also. Gibt es noch andere
Meinungen?“ Da meldete sich Corinna zu Wort, ihre Mutter sang im Gospelchor: „Ich könnte
mir vorstellen, das heißt: DER GERECHTE WIRD AUS GLAUBEN LOBEN. Meine Mutter singt
das immer in Englisch: Praise the Lord. Im Gottesdienst wird andauernd davon geredet; der
Mensch soll Gott loben, mit allen seinen Taten. Im Gottesdienst wird ja auch Gott gelobt mit
der Musik. Mit der Musik in unserer Kirche kann ich mir das kaum vorstellen, aber wenn das
ehrlich gemeint ist, ist das auch okay.“ „Aha, gut aufgepaßt, Corinna.“
Dann drehte der Pastor sich zu Inka: „Was denkst du denn? Du bist doch sonst mit
Vorschlägen schnell bei der Hand.“ „Wenn dieser Glauben überhaupt mir etwas zu sagen
haben soll, muss dieser Satz heißen: DER GERECHTE WIRD AUS GLAUBEN LACHEN. Ich will
Spaß haben im Leben, und wenn Glauben mir etwas bedeuten soll, muss er auch Spaß
machen oder wenigstens nicht Spaß verbieten.“
Jenny, die Stille, setzte an, etwas zu sagen, hielt sich dann doch zurück. „Jenny, was
wolltest du denn sagen?“ fragte der Pastor aufmunternd. „Ich finde Glauben und Spaß sind
nicht dasselbe. Ich habe vielleicht sogar zusätzliche Probleme mit dem Glauben. Ich überlege
mir oft, ob Gott das gefällt, was ich tue. Und manchmal schäme ich mich für das, was ich
getan habe. Und andere – die in meiner Klasse – machen sich manchmal darüber lustig, dass
ich in der Bibel lese und an Gott glaube. Bestimmt heißt dieser Satz: DER GERECHTE WIRD
AUS GLAUBEN LEIDEN.“
Paul, der überall immer der Beste war, kam nun mit seinem Vorschlag: „Ich werde
bestimmt nicht recht haben mit meinem Vorschlag, aber ich würde so ergänzen: DER
GERECHTE WIRD AUS GLAUBEN LESEN. Glauben ist doch nicht nur eine Gefühlssache,
sondern eine Überzeugung, wo man Argumente dafür oder dagegen abwägen muss. Woher
- Predigt (Römer 1,17), Seite 3 -
sonst erfährt man die als aus Büchern. Auch die Bibel ist ja ein Buch. Und beim Chatten im
Internet muss ich auch lesen, und manchmal diskutiere ich im Netz über den Glauben.“
„Wenn wir schon dabei sind, eigene Ideen vorzutragen“, sagte Julius: „dann möchte ich
meine auch sagen. Ich meine, da müßte stehen: DER GERECHTE WIRD AUS GLAUBEN
LAUFEN.“ „Was meinst du denn damit?“ Der Pastor guckt Julius ein bisschen spöttisch an:
„Also wenn man von einer Sache überzeugt ist, dann setzt sie einen in Bewegung. Dann kann
man nicht mehr sitzen bleiben, sondern tut alles, um die Sache weiterzubringen. Und wenn
der Glauben wirklich für die Entrechteten und die Machtlosen eintritt, dann müssen alle
Christen sich einmal aufmachen, laufen, rennen, damit diese Welt anders wird.“
„Noch jemand einen anderen Vorschlag?“ Torsten, der etwas kleiner als die anderen
Jungen war, meldete sich jetzt zu Wort: „Also, das heißt bestimmt: DER GERECHTE WIRD
AUS GLAUBEN LERNEN. Denn lernen ist das wichtigste im Leben, dass man nicht
stehenbleibt, sondern sich weiter entwickelt. Auch aus dem Glauben lässt sich lernen, wie
man mit Menschen umgehen soll, mit der Natur. Und aus dem Glauben lernt man, wie man
zu Gott findet. Und dann noch die zehn Gebote, die wir im Unterricht lernen mussten, ‘Du
sollst nicht töten!’ und so, handeln ja davon, wie man leben soll.“
Im Verlauf dieses Gespräches war die Gruppe weitergegangen, und schließlich kamen
sie zurück zum Sande. Der Linienbus in Richtung Jugendherberge stand schon da. Sie stiegen
alle schnell ein, und als sie an der Soltauer Straße ausgestiegen waren, ruft Pastor Meyer
seine Konfirmanden zusammen: „Aufgabe an alle!“, verschaffte der Pastor sich Gehör,
während er in der Bibel herumblätterte: „Ich habe die Stelle herausgesucht. Lest sie nach im
Römerbrief, Kapitel 1, Vers 17. Schreibt euch das auf. Nach dem Abendbrot sehen wir einen
Film; bei der Andacht reden wir noch einmal über die Bibelstelle.“
Gegen 10 Uhr – nach dem Film – kamen alle im Tagungsraum zusammen. Der Raum
war von Kerzenlicht sanft erleuchtet, ein Kreuz stand in der Mitte auf einem blauen
Samttuch. Der Pastor schlug die Bibel auf: „Also, ihr habt es sicher nachgelesen – die
Bibelstelle im Römerbrief. Dort steht im Brief des Paulus an die Römer, Kapitel 1: DER
GERECHTE WIRD AUS GLAUBEN LEBEN.“ Jenny redete dazwischen: „Also hatte wir hatten
alle Unrecht.“
Der Pastor entgegnete: „Einerseits ja; keiner ist auf den richtigen Wortlaut gekommen.
Andererseits bin ich mir nicht so sicher: Ich glaube, ihr hattet alle Recht. Lieben, loben,
lachen, leiden, lesen, laufen, lernen - das alles ist doch Leben. Und Leben ohne Lieben,
Loben, Lachen, Leiden, Lesen, Laufen, Lernen gibt es nicht. Und Glauben auch nicht, das
wäre ja ein langweiliger, lebloser Glauben.“
Und weil Pastor Meyer sich ganz sicher war, dass seine Konfirmanden und
Konfirmandinnen alle Recht gehabt hatten, weil sie alle etwas über den Glauben zu sagen
wussten; deshalb ärgerte er sich nicht, dass der erste Nachmittag auf der Konfirmandenfahrt
nach Lüneburg nicht so arbeitsintensiv war wie geplant. Dass die Jugendlichen nun
- Predigt (Römer 1,17), Seite 4 -
selbstständig herausgefunden hatten, dass zum Glauben Lieben, Loben, Lachen, Leiden,
Lesen, Laufen, Lernen gehört, das war eine gute Vorbereitung für den
Vorstellungsgottesdienst und fürs Leben sowieso. Amen.