Altersvorsorge-Kapital bis zu 238000 Euro kann unpfändbar sein

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Altersvorsorge-Kapital bis zu 238000 Euro kann unpfändbar sein
Recht
Soziales
Geänderte Zivilprozessordnung betrifft auch Hartz IV:
Altersvorsorge-Kapital bis zu 238.000 Euro
kann unpfändbar sein
Was unpfändbar ist, darf auch bei Hartz IV nicht angerechnet werden
Von Rolf Winkel
Schon seit dem 31. März 2007 gelten neue Regeln zum Schutz einer angemessenen Altersvorsorge vor Gläubigern
– und vor Hartz IV. Denn an diesem Tag ist das »Gesetz zum Pfändungsschutz der Altersvorsorge«1 in Kraft getreten. Hierdurch wurde die Zivilprozessordnung so geändert, dass (potenzielle) Schuldner nun Verträge zur privaten Altersvorsorge bis zu einem Wert (Rückkaufswert) von maximal 238.000 Euro pfändungsfrei und unverwertbar
stellen können. Diese Neuregelung ist außerhalb von Versicherungsunternehmen und Schuldnerberatungsstellen bislang kaum zur Kenntnis genommen worden. Insbesondere wurde bislang nicht registriert, dass damit auch
die Vermögens-Regeln nach dem zweiten Sozialgesetzbuch tangiert werden. Denn das SGB II schreibt eindeutig
vor, dass nur »verwertbares« Vermögen bei der Bedürftigkeitsprüfung vor dem möglichen Bezug von Hartz IV eine
Rolle spielen darf. Zumindest für Personen mit niedrigen Ansprüchen an die gesetzliche Rentenversicherung sind
damit weit höhere Rücklagen fürs Alter als die Ämter bislang zugestehen »Hartz-IV-sicher«, wenn die Versicherungsverträge entsprechend der neuen gesetzlichen Vorgaben verändert werden.
1. Hintergrund der Neuregelungen
»Mit diesen Neuregelungen werden selbstständige Unternehmer besser abgesichert. Der Pfändungsschutz für Lebensversicherungen, die heute einen großen Anteil an der
Altersvorsorge bilden, wird damit deutlich verbessert«2,
erklärte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries in einer
Pressemitteilung, nachdem der Deutsche Bundestag am
14. Dezember 2006 das »Gesetz zum Pfändungsschutz der
Altersvorsorge« abschließend beraten hatte. Die Überschrift der Presseerklärung der Ministerin macht die Stoßrichtung der Reform nochmals deutlich: »Bundestag beschließt Sicherung der Altersvorsorge Selbstständiger«.
Tatsächlich war die berechtigte Sorge um eine angemessene Altersvorsorge verschuldeter Selbstständiger Anlass für das Gesetzesvorhaben. Die Altersrücklagen Selbstständiger besaßen – zumindest bis zur Einführung der so
genannten Rürup-Rente – keinerlei Schutz vor Gläubigern,
ganz anders als die Einzahlungen abhängig Beschäftigter
in die gesetzliche Rentenversicherung, die – natürlich –
dem Zugriff von Gläubigern entzogen sind. Insoweit bestand hier Handlungsbedarf, wie das Bundesjustizministerium in seiner Presseerklärung deutlich machte: »In Einzelfällen kann dies dazu führen, dass Personen ihre gesamte
Alterssicherung verlieren und im Alter dann auf staatliche
Unterstützung angewiesen sind.«
Die Fokussierung der Diskussion auf die zwei Punkte
»Selbstständige« sowie »Pfändungsschutz« ist wohl verantwortlich dafür, dass bislang in der Öffentlichkeit die
Breitenwirkung der Gesetzesänderung vom März 2007
nicht wahrgenommen wurde. Tatsächlich betrifft die Neufassung des Gesetzes jedoch keineswegs nur Selbstständige. Dies macht auch das Bundeswirtschaftsministerium
in seinem Flyer zum Gesetz deutlich, in dem dieses als
»wichtiger Bestandteil der Mittelstandsinitiative der Bundesregierung« gewürdigt wird. Dort heißt es: »Vom Pfändungsschutz profitiert jede natürliche Person, die sich eine
private Altersvorsorge aufbauen will.«3 Das Ministerium
hat dabei eine bestimmte Klientel im Auge: »GmbH-Geschäftsführer, die in der gesetzlichen Rentenversicherung
versichert sind, genießen für ihre private ergänzende Altersvorsorge ebenfalls Pfändungsschutz.«4 Doch das Gleiche gilt für alle anderen natürlichen Personen, wozu auch
Beschäftigte und Arbeitslose gehören. Denn das Gesetz
nimmt beim Personenkreis, für das es gilt, keinerlei Einschränkungen vor.
Weiterhin geht es – wie zu zeigen sein wird – nicht nur
um den Pfändungsschutz, sondern auch um den Schutz vor
Verwertung von angemessenen Altersersparnissen im Falle
von finanzieller Bedürftigkeit. Anders gesagt: Es geht auch
um die »Hartz-IV-Sicherheit« der fürs Alter angesparten
privaten Rücklagen.
1
2
3
4
Bundesgesetzblatt Jahrgang 2007 Teil I Nr. 11, ausgegeben zu Bonn am 30.
März 2007
Pressemitteilung des Bundesjustizministeriums vom 14. Dezember 2007
Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (Referat Öffentlichkeitsarbeit): Mittelstandspolitik: Pfändungsschutz – Sicherheit für die Altersvorsorge von Selbstständigen, Unternehmerinnen und Unternehmern,
März 2008
ebenda
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Soziales
Recht
2. Die Neuregelungen im Einzelnen
Um den Aufbau einer angemessenen Altersvorsorge zu ermöglichen, hat der Gesetzgeber durch das Gesetz zum
Pfändungsschutz der Altersvorsorge vor allem die Zivilprozessordnung (ZPO) und das Versicherungsvertragsgesetz
(VVG) verändert.
2.1 Neuregelungen der Zivilprozessordnung
Zunächst zu den Neuregelungen der ZPO (§ 851 c und d):
Dadurch wird definiert,
• in welcher Höhe und
• unter welchen Bedingungen
Rücklagen fürs Alter unpfändbar sind.
2.1.1 Höhe der unpfändbaren Rücklagen
§ 851 c Abs. 2 ZPO bestimmt, welchen Betrag man als »unpfändbar« auf einem Alterssicherungsvertrag »ansammeln« kann. Dabei gibt es eine Altersstaffelung, die davon
ausgeht, dass pro Kalenderjahr mit zunehmendem Alter
mehr für die Alterssicherung zurückgelegt werden kann. So
sind etwa im Alter zwischen 40 und 47 insgesamt 4.500
Euro pro Jahr an zurückgelegtem Vermögen für die Alterssicherung vor dem Zugriff von Gläubigern geschützt (vgl.
Tabelle 1). Ob und in welcher Höhe zugleich auch von den
laufenden Einkünften ein Betrag in Höhe der jährlichen
erlaubten Ansparsumme unpfändbar ist, ist derzeit in der
Diskussion – unter anderem in der Schuldnerberatungsszene.5 Dies ist jedoch nicht Thema dieses Beitrags. Hier
geht es nur um erlaubte Rücklagen fürs Alter und nicht um
die Unpfändbarkeit der aktuellen Einkünfte.
5
6
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Die Frage spielt natürlich genauso für das ALG II, insbesondere für die Ermittlung der dabei anrechenbaren Einkünfte eine Rolle. Zumindest bei Personen, die von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit sind, sieht § 11 Abs. 2 Nr. 3b SGB II vor, dass die Betroffenen
Beiträge zur Alterssicherung, »die nach Grund und Höhe angemessen
sind«, von ihren Einkünften absetzen können. Der Landessozialrichter Christian Mecke geht – wie bislang auch (zu Recht) die Bundesagentur für Arbeit – davon aus, dass dies auch für Personen gilt, die nicht versicherungspflichtig sind (Christian Mecke, in Wolfgang Eichler/Wolfgang Spellbrink:
SGB II, 2. Auflage, München 2008, § 11 RdNr. 108).
Diese Beträge müssten nach der Logik des Gesetzes regelmäßig angepasst
werden – und zwar an drei Parameter: an die Entwicklung der Pfändungsfreigrenze, die Sterblichkeit (Sterbetafel) und die Entwicklung auf dem Kapitalmarkt. Die Notwendigkeit der Anpassung verdeutlicht bereits die Geschichte zur Gesetzgebung der ZPO-Änderung. Im ursprünglichen Gesetzesentwurf (noch aus rot-grünen Zeiten), bei dem von der Situation im Jahre
2004 ausgegangen wurde, war noch ein Maximalbetrag von nur 194.000
Euro für notwendig gehalten worden. Wegen des Übergangs auf die seit Anfang 2005 für Neu- und Bestandsrenten maßgebenden neuen Sterbetafeln
DAV 2004 R der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV) sowie der ab 2007 erforderlichen Absenkung des garantierten Rechnungszinses für Neuverträge
auf 2,25 Prozent und der Erhöhung der pfändungsfreien Beträge von 940
Euro auf 990 Euro wurde dieser Maximalbetrag aber auf 238.000 Euro angehoben.
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Tabelle 1: Pfändungsgeschützte Altersvorsorge
Lebensalter von … bis
Pfändungsfreier Betrag pro Jahr
18–29 Jahre
30–39 Jahre
40–47 Jahre
48–53 Jahre
54–59 Jahre
60–65 Jahre
2.000 Euro
4.000 Euro
4.500 Euro
6.000 Euro
8.000 Euro
9.000 Euro
Die in Tabelle 1 aufgeführten Beträge werden Jahr für Jahr
addiert. Daraus ergeben sich für jedes Alter (zwischen 18
und 65) unterschiedliche Höchstgrenzen der pfändungsgeschützten Rücklagen – maximal sind es 238.000 Euro zum
65. Lebensjahr.6 Wie hoch die Rücklagen in den einzelnen
Lebensjahren sein dürfen, zeigt Tabelle 2.
Tabelle 2:
Pfändungsfreie Maximalbeträge nach § 851 c ZPO
Alter
Pfändungsfreier
Maximalwert
Alter
Pfändungsfreier
Maximalwert
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
41
2.000 Euro
4.000 Euro
6.000 Euro
8.000 Euro
10.000 Euro
12.000 Euro
14.000 Euro
16.000 Euro
18.000 Euro
20.000 Euro
22.000 Euro
24.000 Euro
28.000 Euro
32.000 Euro
36.000 Euro
40.000 Euro
44.000 Euro
48.000 Euro
52.000 Euro
56.000 Euro
60.000 Euro
64.000 Euro
68.500 Euro
73.000 Euro
42
43
44
45
46
47
48
49
50
51
52
53
54
55
56
57
58
59
60
61
62
63
64
65
77.500 Euro
82.000 Euro
86.500 Euro
91.000 Euro
95.500 Euro
100.000 Euro
106.000 Euro
112.000 Euro
118.000 Euro
124.000 Euro
130.000 Euro
136.000 Euro
144.000 Euro
152.000 Euro
160.000 Euro
168.000 Euro
176.000 Euro
184.000 Euro
193.000 Euro
202.000 Euro
211.000 Euro
220.000 Euro
229.000 Euro
238.000 Euro
Ist das angesparte Altersvorsorgevermögen höher als sich
aus den Tabellenwerten ergibt, so gelten die übersteigenden Beträge zu 7/10 als verwertbar und dürfen damit gepfändet werden. Hat der Vertrag einen Wert von mehr als
714.000 Euro (= 3 x 238.000 Euro), so gilt alles, was über
diesen Betrag hinausgeht, als voll pfändbar.
Recht
Die »erlaubte« (Mindest-)Rücklage von 238.000 Euro für
65-Jährige wurde so gewählt, dass die Betroffenen auf dieser Basis im Alter eine zur Existenzsicherung erforderliche
Rente beziehen können. Maßstab sind dabei die Pfändungsfreigrenzen der Zivilprozessordnung.
Ähnliche Überlegungen hatte das Bundessozialgericht
(BSG) bereits in einer Entscheidung vom 22. Oktober 1998
angestellt (Az.: B 7 AL 118/97 R). Dabei ging es um die Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs »angemessene
Alterssicherung« im Zusammenhang mit der damaligen Arbeitslosenhilfe-Verordnung. Konkret verhandelt wurde die
Frage, welches Vermögen zur privaten Alterssicherung
einem Arbeitslosenhilfe-Antragsteller neben seiner zu erwartenden Rente (etwa 1.800 DM) zugestanden werden
sollte. Zur Bestimmung eines für die Massenverwaltung
der Arbeitsbehörden erforderlichen allgemein verbindlichen Maßstabs knüpfte das Gericht an das System der
gesetzlichen Rentenversicherung, insbesondere an die
Situation eines »idealtypischen« so genannten Standardrentners (45 Beitragsjahre auf der Basis eines Durchschnittsverdienstes) an.
Mit heutigen Werten hätte das BSG damals die »angemessene« Altersvorsorge so berechnet: Die Standardrente
beträgt derzeit 1.182,15 Euro (Rentenwert West in Höhe von
26,27 x 45 Entgeltpunkte). Sie liegt damit also – selbst nach
Abzug der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung,
die für Rentner im Schnitt zehn Prozent ausmachen7 – noch
deutlich oberhalb der Pfändungsfreigrenze, die derzeit 990
Euro pro Monat beträgt. Die weitere Überlegung des BSG:
Wie viel Kapital wäre nötig, damit Rentner mit durchschnittlicher Lebenserwartung (derzeit etwa 17 Jahre nach
Vollendung des 65. Lebensjahres) Monat für Monat eine
solche Standardrente bekommen könnten? Christian
Mecke, Richter am Landessozialgericht Sachsen-Anhalt,
beziffert das Kapital, das für eine der Standardrente entsprechende Alterssicherung notwendig ist, auf 241.000
Euro.8 Dieser Betrag, der als Grundlage für die Festlegung
einer »angemessenen« Altersvorsorge im Alter von 65 dienen könnte, ist wohl inzwischen angesichts des gesunkenen Zinsniveaus höher anzusetzen. Deutlich wird hier jedoch, dass im Sozial- und im Zivilrecht ähnliche Überlegungen angestellt werden.
2.1.2 Bedingungen für unpfändbare Rücklagen
Damit sie dem Pfändungsschutz nach § 851 c Abs. 2 ZPO
unterliegen, müssen private Rentenversicherungen, Bankspar- und Investmentfondssparpläne folgende Bedingungen erfüllen:
• Die Leistung muss lebenslang gewährt werden.
• Die Rente wird nicht vor Vollendung des 60. Lebensjahres gewährt – es sei denn, es tritt vorher Berufsunfähigkeit ein.
• Über die Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag
kann bis zu der gesetzlich festgelegten pfändungsgeschützten Höchstgrenze nicht verfügt werden, eine vorzeitige Kündigung, Beleihung, Verpfändung oder Abtretung ist nicht möglich.
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• Die Bestimmung von Dritten – mit Ausnahme von Hinterbliebenen (Ehepartner, eingetragener Lebenspartner, Kinder) – als Berechtigte ist ausgeschlossen.
• Die Zahlung einer Kapitalleistung, außer einer Zahlung
im Todesfalle, ist nicht vereinbart.
Soweit diese Voraussetzungen erfüllt werden, sind neben
lebenslangen privaten Altersrenten z. B. auch Auszahlungspläne mit Restverrentung geschützt. Für das »klassische« Sparbuch, Aktien und ähnliche Anlageformen gilt
das Gesetz allerdings nicht.
2.2 Änderungen beim Versicherungsvertragsgesetz
Damit Versicherungsverträge überhaupt in der skizzierten
Höhe pfändungssicher gestellt werden konnten, war zum
31. März 2007 auch eine Änderung des Versicherungsvertragsgesetzes erforderlich, insbesondere eine Ergänzung
in § 168 VVG.9 Denn Kapitallebensversicherungen und Rentenversicherungen – also die Alterssicherungsverträge, um
die es hier in erster Linie geht – können im Normalfall »jederzeit für den Schluss der laufenden Versicherungsperiode«10 gekündigt werden. Diese ansonsten zwingend vorgeschriebene Kündigungsmöglichkeit musste ausgeschlossen werden.
Das Problem ist bereits im Zusammenhang mit den –
weitgehend analogen Regelungen – für Hartz-IV-Bezieher
bekannt.11 Diesen werden pro Lebensjahr 250 Euro (bei
Paaren gilt jeweils ein Betrag von 250 Euro für jeden der
Partner) als Vermögensfreibetrag für »geldwerte Ansprüche, die der Altersvorsorge dienen«12, zugestanden. Dabei
wird – anders als bei der neuen ZPO-Regelung – allerdings
nicht verlangt, dass die Vertragsleistungen nur in Rentenform ausgezahlt werden können. Voraussetzung ist allerdings auch hier, dass »der Inhaber sie vor dem Eintritt in
den Ruhestand auf Grund einer vertraglichen Vereinbarung
nicht verwerten kann«.
Um diese (Hartz-IV-)Bedingung zu erfüllen, muss mit
der Versicherungsgesellschaft ein teilweiser VerwertungsAusschluss vereinbart werden. Dies ermöglicht § 168 Abs.
3 Satz 1 Versicherungsvertragsgesetz (VVG).13 Danach ist
die ansonsten generell bestehende Möglichkeit der Kündigung des Vertrags »nicht auf einen für die Altersvorsorge
bestimmten Versicherungsvertrag anzuwenden, bei dem
der Versicherungsnehmer mit dem Versicherer eine Verwertung vor dem Eintritt in den Ruhestand ausgeschlossen
7
Berücksichtigt wurde dabei die Hälfte des durchschnittlichen allgemeinen
Krankenversicherungsbeitrags (7 Prozent) sowie der Zusatzbeitrag von 0,9
Prozent, den Versicherte alleine tragen müssen, und der Pflegeversicherungsbeitrag für Versicherte mit Kindern (in Höhe von 1,95 Prozent ab Juli
2008), den Rentenbezieher seit April 2004 alleine zu tragen haben.
8 Christian Mecke, in Wolfgang Eichler/Wolfgang Spellbrink: SGB II, 2. Auflage, München 2008, § 12 RdNr. 68
9 früher § 165 VVG
10 § 168 Abs. 1 VVG
11 vgl. Rolf Winkel: Arbeitslosengeld II und Lebensversicherungen: Damit die
neuen Freibeträge fürs Altersvorsorgevermögen gelten, müssen die Versicherungsverträge geändert werden, in SozSich 6/2004, S. 205 ff.
12 § 12 Abs. 2 Nr. 3 SGB II
13 früher § 165 VVG
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hat; der Wert der vom Ausschluss der Verwertbarkeit betroffenen Ansprüche darf die in § 12 Abs. 2 Nr. 3 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch bestimmten Beträge (aktuell
also: 250 Euro pro Lebensjahr; d. Verf.) nicht übersteigen«.
Unmittelbar an diesen Passus wurde nun der neue Satz 2
angefügt, mit dem nicht auf das SGB II, sondern auf die
ZPO-Änderung Bezug genommen wird: »Entsprechendes
gilt, soweit die Ansprüche nach § 851 c oder § 851 d der Zivilprozessordnung nicht gepfändet werden dürfen.«
Darüber hinaus gibt § 173 VVG Versicherten das Recht,
bereits bestehende Verträge in Kontrakte des neuen pfändungssicheren Typus umzuwandeln. Danach kann der
»Versicherungsnehmer einer Lebensversicherung […] jederzeit für den Schluss der laufenden Versicherungsperiode die Umwandlung der Versicherung in eine Versicherung verlangen, die den Anforderungen des § 851c Abs. 1
der Zivilprozessordnung entspricht«. Diese Umwandlung
ist allerdings nicht möglich, wenn die Versicherung bereits
an Dritte abgetreten ist oder das Verfügungsrecht durch
eine Pfändung verwirkt wurde.
Das Recht zur Umwandlung der Verträge bezieht sich
sowohl auf bereits bestehende Verträge als auch auf neue
Vertragsabschlüsse. Niemand muss sich also bereits bei
Vertragsabschluss dafür entscheiden, den Altersvorsorgevertrag pfändungssicher zu machen. Denn hiermit sind
schließlich auch Nachteile verbunden. So kann der Vertrag
dann weder in Finanzierungen (z. B. zum Kauf eines Eigenheims) eingebunden noch bei kurzfristig auftretendem
Geldbedarf beliehen werden. Daher ist es nicht unbedingt
sinnvoll, »vorbeugend« bereits einen pfändungsgeschützten Vertrag abzuschließen.
Unter steuerlichen Gesichtspunkten bietet es sich allerdings unter Umständen an, Verträge, die vor dem 31.
März 2007 geschlossen wurden, noch vor dem Jahresende
2009 pfändungssicher zu machen. Der Hintergrund: Bei
diesen Verträgen ist im Alter meist wahlweise (oder sogar
ausschließlich) eine Kapitalauszahlung (statt Rentenzahlung) vorgesehen. Gerade das darf aber nicht der Fall sein,
wenn das Vorsorgevermögen nach der ZPO-Neuregelung
unpfändbar sein soll.
Mithin müssen die (Alt-)Verträge entsprechend geändert werden. Steuerlich gesehen gilt dann normalerweise
der alte Versicherungsvertrag als beendet und ein neuer
Vertrag als abgeschlossen. Dies bringt meist gravierende
(Steuer-)Nachteile mit sich. So müssen ggf. die Erträge aus
dem Altvertrag versteuert werden und beim Neuvertrag
gelten ggf. ungünstigere steuerliche Regelungen als beim
bisher geltenden Vertrag.
Solche nachteiligen Folgen gegenüber den Finanzämtern sind jedoch bis Ende 2009 »aus Billigkeitsgründen«
weitgehend ausgeschlossen. Das geht aus einem Schrei-
ben des Bundesfinanzministeriums an den Gesamtverband
der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. hervor, welches der Redaktion der Sozialen Sicherheit vorliegt.14 Dieser Ausschluss gilt allerdings nur für Verträge, die vor dem
Inkrafttreten des Gesetzes zum Pfändungsschutz der
Altersvorsorge geschlossen wurden, also vor dem 31. März
2007.
3. Bedeutung der Neuregelungen zum
Pfändungsschutz für Hartz-IV-Bezieher
3. 1 Pfändungsfreies Vermögen ist nicht verwertbar
Dass die skizzierten Änderungen der ZPO zum Pfändungsschutz der Altersvorsorge auch im Rahmen des SGB II bedeutsam sind, ist evident. Denn sie betreffen den obersten
Grundsatz der Vermögensregel. § 12 Abs. 1 SGB II bestimmt
nämlich kategorisch: »Als Vermögen sind alle verwertbaren
Vermögensgegenstände zu berücksichtigen.« Im Umkehrschluss bedeutet das: Nicht verwertbare Vermögensgegenstände sind nicht als Vermögen zu berücksichtigen.
Soweit Hartz-IV-Bezieher einen privaten Rentenversicherungsvertrag abgeschlossen haben, der den in § 851 c
ZPO festgelegten Kriterien genügt, gilt dieser als nicht
verwertbar, er steht damit einem Anspruch auf Arbeitslosengeld II nicht entgegen. Denn die Verwertung des Vertrags ist im Grundsatz ausgeschlossen. Die Hartz-IVEmpfängern gemäß § 12 Abs. 2 SGB II zugestandenen Vermögensfreibeträge – 150 Euro bzw. 520 Euro15 pro
Lebensjahr für nicht zweckgebundenes Vermögen sowie
250 Euro pro Lebensjahr für Altersvorsorge-Vermögen –
spielen in diesem Zusammenhang zunächst keine Rolle.
Denn diese Absetzbeträge beziehen sich auf das vorab in
§ 12 Abs. 1 SGB II definierte »Vermögen« – und hierzu gehören, wie das Gesetz eindeutig bestimmt, nur die »verwertbaren« Bestände.
Klar ist damit: Ein erwerbsfähiger Bedürftiger, der über
ein durch Verwertungsausschluss nach § 168 Abs. 3 Satz 2
VVG gebundenes Altersvorsorgevermögen verfügt, das
sich insgesamt – einschließlich seiner Ansprüche an die gesetzliche Rentenversicherung (!) – im Rahmen der Beträge
bewegt, die in § 851 c ZPO festgeschrieben sind, hat Anspruch auf Arbeitslosengeld II, soweit er auch die sonstigen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt.
Dies gilt für alle, die Grundsicherungsleistungen nach
dem SGB II beanspruchen können – also nicht nur für
Selbstständige, sondern auch für Arbeitnehmer und Arbeitslose –, gleichermaßen.
3.2 BSG-Urteil in neuem Licht
14 Schreiben des Bundesfinanzministeriums vom 15. November 2007, GZ: IV
C8 – S 2255/07/0023 und IV B8 – S 2252/07/0001
15 für Hartz-IV-Bezieher, die vor 1948 geboren wurden
16 Az.: B 14/7b AS 68/06 R
17 vgl. »Neue Härten für Arbeitslose – Bundessozialgericht: Bei Lebensversicherungen kein Anspruch auf Hartz-IV-Leistungen« sowie den Kommentar
dazu von Heribert Prantl, in Süddeutsche Zeitung vom 16. 4. 2008
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Soziale Sicherheit 6–7/2008
Vor dem Hintergrund der ZPO-Neuregelung gewinnt ein Urteil des Bundessozialgerichts vom 15. April 200816, für welches das Gericht eine heftige Urteilsschelte bezogen hat17,
neue Bedeutung. Dabei ging es um einen 1956 geborenen
Kläger, der seit 1984 etwa 20 Jahre selbstständig tätig war
Recht
und im Dezember 2004 ALG II beantragte. Denn er verfügte
als Einkommen lediglich über eine private Rente in Höhe
von 439 Euro. Allerdings hatte er Vermögen, nämlich eine
1986 abgeschlossene Lebensversicherung, die im Zeitpunkt der Beantragung von ALG II einen Rückkaufswert von
62.895 Euro auswies, jedoch mit einem Policendarlehen in
Höhe von 20.000 Euro belastet war. Ein Verwertungsausschluss vor Eintritt des Ruhestandes war hierfür nicht vereinbart. Der Kläger hatte bei der gesetzlichen Rentenversicherung nur eine Anwartschaft von monatlich 88,23 Euro.
Er machte daher vor Gericht geltend, dass bei ihm die
Pflicht, vor dem Anspruch auf ALG II zunächst den Restwert
seiner Lebensversicherung zu verwerten, eine besondere
Härte darstelle. Denn wegen seiner langjährigen Selbstständigkeit verfüge er nur über eine unzureichende Absicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung und sei
deshalb auf die Lebensversicherung angewiesen.
Das BSG konnte dem Betroffenen jedoch auf Grund der
gesetzlichen Regelungen kein ALG II zugestehen, da dessen Lebensversicherungs-Vermögen »verwertbar« war und
die geltenden Freibeträge überschritt.18 Da er keinen Verwertungsausschluss nach § 168 Abs. 3 Satz 1 VVG vorgenommen hatte, konnte der 1956 geborene Ex-Selbstständige auch noch nicht einmal einen Teil seiner Lebensversicherung durch den Freibetrag zur privaten Altersvorsorge
von 250 Euro pro Lebensjahr (für ihn aktuell: 13.000 Euro)
in Anspruch nehmen. Zugleich konnte er sich auch nicht auf
die Sonderregelung von § 12 Abs. 3 Nr. 3 SGB II berufen. Danach sind für diejenigen (Selbstständigen, Freiberufler
oder ehemaligen Beamten), die »von der gesetzlichen Rentenversicherung befreit« sind, wesentlich großzügigere
Regelungen für das private Vermögen zur Alterssicherung
vorgesehen. Doch der Kläger war nicht von der Versicherungspflicht bei der gesetzlichen Rente befreit…
3.3 Betroffene Personengruppe wächst
Allerdings weist der Fall auf ein grundsätzliches Problem
hin: Selbst wenn ALG-II-Antragsteller in ähnlichen Situationen – also mit Mini-Rentenansprüchen, aber bedeutenden
Rücklagen zur privaten Alterssicherung – gemäß § 168 Abs.
3 Satz 1 VVG einen Verwertungsausschluss vor Eintritt des
Ruhestands vereinbart haben, bekommen sie heute in der
Regel kein Arbeitslosengeld II. Sofern der Rückkaufwert ihres Alterssicherungskapitals die Freibetragsgrenze gemäß
§ 12 Abs. 2 SGB II überschreitet, gehen sie bei den Hartz-IVLeistungen zunächst leer aus. Sie werden so – trotz ihrer
niedrigen Rentenansprüche – zunächst gezwungen, ihr aus
Sicht der SGB-II-Träger überschüssiges AlterssicherungsVermögen aufzulösen und bis zur Freibetragsgrenze zu
»verbrauchen«. Erst dann können sie Hartz IV erhalten. Im
Alter fehlen ihnen dann aber die Rücklagen für eine angemessene Absicherung.
Wegen der zunehmend unsteten Erwerbsbiografien,
bei der sich Phasen von abhängiger Beschäftigung, Arbeitslosigkeit und Selbstständigkeit abwechseln, wird die
davon betroffene Personengruppe immer größer. Immer
mehr der davon betroffenen Menschen können nur niedrige
Soziales
Ansprüche gegenüber der gesetzlichen Rente aufbauen,
wie auch die jüngst vorgelegten Ergebnisse der Studie
Altervorsorge in Deutschland (AVID) 2005 zeigen.19 Wenn
die Betroffenen dann wenigstens eine angemessene private Altersvorsorge aufgebaut haben, werden sie benachteiligt, falls sie in finanzielle Nöte kommen und auf Hartz IV
angewiesen sind. Denn nach der gängigen Praxis müssen
sie dann den Teil ihrer privaten Altersvorsorge, der über
den Freibetragsgrenzen liegt, zunächst verwerten. Für
Hartz-IV-Bedürftige, die höhere gesetzliche Rentenansprüche aufgebaut haben, gilt der Verwertungszwang aber
selbstverständlich nicht, da diese unantastbar sind …
Eine Lösung dieses Problems würde bei ähnlich gelagerten Sachverhalten die Anwendung der ZPO-Neuregelung bieten. Das verdeutlicht das oben angeführte Beispiel
des Mannes, dem jüngst wegen seiner Lebensversicherung
vom BSG kein Anspruch auf ALG II zugebilligt wurde. Der
Rückkaufswert seiner Versicherung überstieg zwar die Freibetragsgrenzen nach dem SGB II, nicht aber die (oben angeführten) Grenzen nach § 851 c ZPO. Dies würde wohl
selbst dann gelten, wenn auch die private Rente, die der
Betroffene bereits bezog, und seine niedrigen gesetzlichen
Rentenansprüche (entsprechend der durchschnittlichen
Lebenserwartung20) kapitalisiert und zu seinem Vermögen
aus der Lebensversicherung hinzugerechnet würden. Mithin hätte der Betroffene nach der seit dem 31. März 2007
geltenden Rechtslage für seine Versicherung einen Verwertungsausschluss nach den Pfändungsfreigrenzen der ZPO
vereinbaren können21 – und hätte dann im Grundsatz auch
Anspruch auf ALG II gehabt.
Hier zeigt sich allerdings auch bereits das praktische
Problem der ZPO-Regelung. Der Beispielfall ist ja insoweit
typisch, als die Alterssicherung des Betroffenen nicht aus
einer Quelle (etwa nur aus einer privaten Rentenversicherung – was die Sache einfach machen würde), sondern aus
verschiedenen Quellen stammt. Den für Hartz IV zuständigen Ämtern wächst damit – bei der Prüfung der Bedürftigkeit – eine weitere Aufgabe zu: Sie müssen quasi als Versicherungsmathematiker die verschiedenen Alterssicherungsansprüche der Betroffenen ermitteln und sie in der
Summe für angemessen oder unangemessen befinden.22
Dabei müssen sie auch errechnen (lassen), was die (monatlichen) Ansprüche der gesetzlichen Rentenversicherung
als einmaliges Vorsorge-Kapital wert wären.
18 Zur endgültigen Feststellung, ob ein ALG-II-Anspruch bestand, wurde der
Fall an das zuständige Landessozialgericht zurückverwiesen, das zu klären
hat, ob eine Verwertung des Vertrags »wirtschaftlich« gewesen wäre.
19 vgl. Ingo Nürnberger: Was bekommen künftige Rentner: Neue AVID-Studie
liefert wichtige Trendaussagen, in SozSich 12/2007, S. 406 f.
20 Näheres zur Methode siehe oben am Schluss von Abschnitt 2.1.1
21 Dabei müsste natürlich der Versicherungsvertrag geändert werden – unter
Berücksichtigung der Tatsache der (teilweisen) Darlehensbelastung des
bestehenden Vertrags.
22 Die zum 1. Januar 2008 in Kraft getretene Neuregelung der ALG II/Sozialgeld-Verordung macht die Hartz-IV-Träger bei der Prüfung der Bedürftigkeit
von Selbstständigen bereits zu einer Art Ersatz-Finanzämtern. Denn für die
Prüfung der Betriebsausgaben von (armen) Selbstständigen, die (aufstockendes) ALG II beziehen, gelten seitdem nicht mehr die steuerlichen Regeln, sondern eigene – noch zu entwickelnde – SGB-II-Regeln, nach denen
zu ermitteln ist, welche Betriebsausgaben für ALG II beziehende Selbstständige »angemessen« sind.
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209
Soziales
Recht
Regeln, wie hierbei verfahren werden könnte, gibt es bislang nicht. Die Zusammenrechnung der Altersrücklagen
könnte aber folgendermaßen aussehen: Nehmen wir als
Beispiel einen 60-Jährigen: Für ihn sind pfändungsfreie
Rücklagen fürs Alter in Höhe von 193.000 Euro erlaubt – dadurch soll nach den Berechnungen der Bundesregierung
gesichert sein, dass ihm im Alter ein Betrag in Höhe der
Pfändungsfreigrenze zur Verfügung steht (derzeit also 990
Euro pro Monat). Nehmen wir an, dass der Betroffene laut
Renteninformation derzeit einen Anspruch auf eine gesetzliche Altersrente in Höhe von 490 Euro hat. Hiervon würden
nach Abzug der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung etwa 440 Euro übrig bleiben. Damit hätte er vier Neuntel (440/990 Euro) der ihm zustehenden (Mindest-)Alterssicherung durch die gesetzliche Rentenversicherung abgedeckt. Die verbleibenden fünf Neuntel verblieben für die
private Absicherung. Fünf Neuntel von 193.000 Euro sind
107.222 Euro. Bis zu diesem Wert könnten Rücklagen in einem privaten Rentenversicherungsvertrag als unverwertbar gestellt werden. Denn aus einem Vertrag mit einem solchen Wert könnte – nach den Kalkulationen der Bundesregierung – eine Zusatzrente in Höhe von 550 Euro monatlich
gezahlt werden.
Doch vor solchen technischen »Details« ist zunächst
grundsätzlich zu klären, wie sich die verschiedenen (und
disparaten) Regelungen zum Schutz bzw. Verwertungsausschluss von Vermögen von Hartz-IV-Beziehern bzw. -Antragstellern zueinander verhalten.
3.4 Kein einheitliches Konzept zum Schutz
der Altersvorsorge
Fraglich ist etwa: Ergänzen (addieren) sich die einzelnen
Grenzen zum Schutz der Vorsorge oder gibt es eine verbindliche Obergrenze?
Die Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers, den
Ausbau der privaten Alterssicherung zu fördern, führte
nämlich zu ganz verschiedenen Formen, wie die Altersvorsorge gefördert bzw. »geschützt« wird:
• Es gibt die oben beschriebenen Regeln nach dem SGB
II, wonach ein Freibetrag für die private Altersvorsorge
in Höhe von 250 Euro pro Lebensjahr Hartz-IV-sicher ist.
• Daneben existieren die oben beschriebenen neuen
pfändungsfreien Beträge nach der ZPO, die einen
neuen Mindeststandard an angemessener Alterssicherung definieren.
• Außerdem gibt es besondere Schutz-Regeln für so genannten Rürup-Renten. Dies sind private Leibrenten,
die in § 10 Abs. 1 Nr. 2 b Einkommenssteuergesetz definiert sind und steuerlich gefördert werden. Sie dürfen
allerdings »nicht beleihbar, nicht veräußerbar und nicht
kapitalisierbar sein und es darf darüber hinaus kein Anspruch auf Auszahlungen bestehen«. Der Verwertungsausschluss besteht dabei in Höhe der steuerlich förderbaren Einzahlungen, die sich immerhin auf 20.000 Euro
pro Kalenderjahr belaufen können (bei Ehepaaren auf
das Doppelte). Im Grundsatz sind sie daher bereits
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Soziale Sicherheit 6–7/2008
durch § 12 Abs. 1 SGB II geschützt, weil sie wohl eindeutig nicht »verwertbar« sind.
• Etwas anderes gilt für den Schutz bei so genannten Riester-Renten. Diese sind zwar – soweit die Einzahlungen
das Maß des steuerlich Förderbaren nicht überschreiten – nach § 97 Einkommensteuergesetz vor Pfändung
geschützt. Allerdings können sie von den Betroffenen –
anders als Rürup-Renten – nach § 1 Abs. 1 Nr. 10 b des
Gesetzes über die Zertifizierung von Altersvorsorgeverträgen binnen einer Frist von drei Monaten gekündigt
werden. Sie sind damit grundsätzlich verwertbar und
damit nicht durch § 12 Abs. 1 SGB II (»VerwertbarkeitsRegel«) geschützt. Da der Gesetzgeber sie privilegieren
wollte, musste er für diese Form der Altersvorsorge
(und nur für diese) eine Sonderregelung schaffen – und
zwar in § 12 Abs. 1 Nr. 2 SGB II, der vorsieht, dass ein
entsprechender Vertrag »einschließlich seiner Erträge
und der geförderten laufenden Altersvorsorgeverträge« vom Vermögen absetzbar ist. Dies gilt allerdings
nur, soweit der Inhaber den Vertrag nicht vorzeitig kündigt. Wer sein angespartes Riester-Kapital vorzeitig aufgelöst hat, muss es sich also bei der Bedürftigkeitsprüfung vor einem möglichen Hartz-IV-Bezug anrechnen
lassen.
• Darüber hinaus gelten im SGB II noch Sonderregeln für
das private Vorsorge-Vermögen von Personen, die »von
der gesetzlichen Rentenversicherung befreit« sind oder
für die eine Verwertung ihres Vermögens eine »besondere Härte bedeuten würde« (§ 12 Abs. 3 Nr. 6). Das
könnte etwa für Personen gelten, die kurz vor Eintritt
ins Rentenalter stehen.
In diesem chaotischen Regelungs-Gewirr werden wohl
nicht nur Mitarbeiter der Hartz-IV-Träger, sondern auch Experten oft vor lauter Wald die Bäume nicht mehr sehen. Ein
einheitliches Konzept ist hier nicht zu erkennen. Die Frage
ist: Wie verhalten sich alle diese Regeln zueinander?
Eindeutig geregelt sind der Schutz der Riester-Rente
und der Schutz einer zusätzlichen Altersvorsorge durch die
250-Euro-pro-Lebensjahr-Bestimmung. Zweck dieser Regelungen ist es, die (sich im »normalen Rahmen« bewegende) private Altersvorsorge von Arbeitnehmern, die ausdrücklich erwünscht ist, zu privilegieren – und zwar unabhängig davon, welche Ansprüche an die gesetzliche
Rentenversicherung die Betroffenen erworben haben.
Nicht ganz eindeutig scheint die Sachlage zum Verwertungsausschluss bei den Regelungen zur ZPO sowie zu den
Rürup-Renten. Diese Regelungen schützen zwar auf der einen Seite verarmte Selbstständige und Arbeitnehmer mit
niedrigen gesetzlichen Rentenansprüchen, die zusätzlich
eine nennenswerte private Altersvorsorge aufgebaut haben. Falls allerdings generell Rürup-Rentenansprüche (die
sich künftig ja auf mehrere 100.000 Euro belaufen können)
vor dem Zugriff von Gläubigern und Hartz-IV-Ämtern gesichert sein sollten, auch wenn sie über der altersabhängigen pfändungsfreien Maximalgrenze liegen (vgl. Tab. 2),
wären hier Vermögenswerte geschützt, die über das Maß
einer »angemessenen« Altersvorsorge hinaus gehen. Es
Recht
wäre kaum nachvollziehbar, würde man Besitzern dieser
Vermögenswerte trotzdem einen Anspruch auf FürsorgeLeistungen des Staates als Zuschuss-Leistungen zugestehen. Gegebenenfalls käme hier eine »großzügigere« Anwendung der Darlehens-Regelung von § 23 Abs. 1 SGB II in
Frage.
4. Der (Nicht-)Umgang der Bundesagentur
für Arbeit mit den ZPO-Regeln
Wie mit den ZPO-Neuregelungen vom 31. März 2007 im Bereich des SGB II im Einzelnen umzugehen ist – darüber wird
sicherlich noch gestritten werden. Klar ist allerdings: Negiert werden können diese neuen Regeln nicht. Doch genau
das tut die Bundesagentur für Arbeit (BA) bis heute. In den
»Fachlichen Hinweisen« (früher: Durchführungsanweisungen) der BA vom 30. Januar 2008 zu § 12 SGB II (»Zu berücksichtigendes Vermögen«) ist die Neuregelung von
§ 851 c ZPO mit keinem Wort berücksichtigt. Mehr noch: Am
Anfang der Fachlichen Hinweise zu § 12 SGB II sind zwar die
einschlägigen Paragrafen anderer Gesetze abgedruckt
bzw. ins Internet eingestellt. Berücksichtigt wird dabei –
natürlich – auch das Versicherungsvertragsgesetz, allerdings in der vor dem 31. März 2007 geltenden Fassung. Die
Bundesagentur für Arbeit scheint mithin noch nicht einmal
registriert zu haben, dass seit diesem Datum eine neue
Rechtslage gilt …
Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass die
Neuregelung von § 851 c ZPO auch in dem für Antragsteller
bestimmten aktuellen Merkblatt »Grundsicherung für Arbeitsuchende – Arbeitslosengeld II/Sozialgeld« nicht auftaucht. Durch diese Informationspolitik wird ein Trend mit
Sicherheit verstärkt: Tatsächlich Bedürftige mit nur geringen Rentenansprüchen, aber höheren privaten VorsorgeAnsprüchen werden so vom Leistungsbezug ausgeschlossen – falls sie nicht zufällig anderweitig über die höchst
komplizierten Regelungen und Gestaltungsmöglichkeiten
zum Schutz der privaten Altersvorsorge informiert worden
sind. Klar ist jedenfalls: Wenn ein Hartz-IV-Bezieher bzw.
-Antragsteller einen privaten Altersvorsorgevertrag gemäß
den Neuregelungen der ZPO vor jeder Verwertung gesichert hat, muss die BA dies akzeptieren.
Der Autor:
Rolf Winkel ist Sozialwissenschaftler und
verantwortlicher Redakteur der Sozialen Sicherheit
Soziales
Musterklagen gegen den Eingliederungsbeitrag
BA-Beitragszahler fordern Beitrags-Erstattung
Der Deutsche Gewerkschaftsbund und die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) wehren sich gemeinsam gegen den Eingliederungsbeitrag.
Damit müssen die Beitragszahler zur Arbeitslosenversicherung die Hälfte der staatlichen Aufwendungen für
Hartz-IV-Leistungen zur Eingliederung in Arbeit aufbringen (s. S. 204). Dieser Beitrag löste den so genannten
Aussteuerungsbetrag ab. Danach erhielt der Staat bis
Ende 2007 von der Bundesagentur für Arbeit (BA) eine
Abgabe (rund 10.000 Euro) für jeden Arbeitslosen, der
während der Zeit, in der er Arbeitslosengeld I bezogen
hatte, nicht auf einen neuen Arbeitsplatz vermittelt werden konnte und im Anschluss staatliche Fürsorgeleistungen nach dem SGB II beziehen musste. Etwa 10
Prozent der BA-Beitragseinnahmen gingen jährlich für
diesen Zweck als Finanzierungsspritze an die Haushaltskasse des Staates.
Experten schätzen, dass die Finanzierung des – nun
neuen – Eingliederungsbeitrags noch erheblich teurer
wird. Obwohl die Leistungen der Grundsicherung Fürsorgeleistungen des Staates sind und nicht auf einem
Sozialversicherungssystem beruhen, also durch die
Steuer finanziert werden müssen, zahlen die Versicherten mit ihrem Beitrag zur Arbeitslosenversicherung die
Leistung mit. Dies widerspricht den verfassungsrechtlichen Grundsätzen (vgl. SozSich 1/2008, S. 25 ff.).
Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften haben
daher in Abstimmung mit der BDA vereinbart, gezielte
Musterverfahren zu führen, um diese Rechtsfrage klären
zu lassen und letztlich eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts herbeizuführen. D. h. diejenigen
BA-Beitragszahler und Mitglieder einer Gewerkschaft,
die ein Interesse daran haben, diese Rechtsfrage klären
zu lassen, werden durch den gewerkschaftlichen Rechtschutz in ihren Verfahren unterstützt. Schließlich zahlen
sie aus Sicht von DGB und BDA wegen der systemwidrigen Abgabe einen zu hohen Beitrag an die Arbeitslosenversicherung.
Massenverfahren sind nicht notwendig. Denn wenn
das Bundesverfassungsgericht diese Rechtsauffassung
bestätigt, können noch Erstattungsanträge wegen zu
Unrecht abgeführter Beiträge rückwirkend für vier Jahre
gestellt werden. Wer ein solches Musterverfahren führen möchte, sollte sich bei seiner Gewerkschaft melden
und die nächsten Schritte zum weiteren Vorgehen abklären.
R. G.
Soziale Sicherheit 6–7/2008
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