zur grossen kugel

Transcrição

zur grossen kugel
a u d i f i s s k i w o r l d c u p f i n a l s S t. M o r i t z
Der lange Anlauf
zur grossen Kugel
10
ma i 2016
a u d i f i s s k i w o r l d c u p f i n a l s S t. M o r i t z
Lara Gut ist die 7. Schweizer WeltcupGesamtsiegerin. In der Szene herrscht
die Meinung vor: Gesamtsiege kann
man nicht planen, die passieren einfach. Diese Er­kenntnis ist leicht zu
­relativieren. Glück und günstige Umstände spielen im Sport immer eine
Fotos: Keystone
M Auf der Lenzerheide fragte ein Journalist
Pauli Gut, ob der Gewinn des Europacup-Gesamtsieges 2008 jener Moment gewesen sei,
an dem er (sich) gesagt habe: «Jetzt kann
Lara auch den Weltcup-Gesamtsieg erringen.» Leicht konsterniert antwortete Pauli:
«D a s soll ich gesagt haben? Daran kann ich
mich nicht erinnern und ich kann mir auch
nicht vorstellen, jemals so etwas gesagt zu
haben.»
In der Tat: Pauli Gut ist viel zu clever, um
seine Tochter mit unbedachten Äusserungen
fahrlässig unter Druck zu setzen. Um zu realisieren, dass die kleine Lara aus Comano
aussergewöhnliches Talent besitzt und eine
potenzielle Weltklasse-Athletin ist, musste
man nicht einmal etwas vom Skisport verstehen. Man brauchte nur einen Blick in die
Siegerchroniken der einschlägigen Nachwuchs-Bewerbe zu werfen. Denn dort steht
der Name Lara Gut überall neben jenen, die
inzwischen Skigeschichte geschrieben haben.
Referenz künftiger Stars
Angefangen bei der Trofeo Topolino, der
populärsten Talent-Show für 11- bis 14-Jährige. Diese gab es schon, lange bevor olympische Jugendspiele organisiert wurden. Der
Event ist übrigens wie der Ski-Weltcup von
einem Journalisten ins Leben gerufen worden. Bei der 1958 gegründeten Trofeo Topolino gab schon einer wie Ingemar Stenmark
seine Visitenkarte ab, mit 86 Weltcupsiegen
immer noch Rekordhalter. Aber auch Marc
Girardelli, Doris De Agostini, Petra Kronberger, Pernilla Wiberg, Benjamin Raich, Lindsey
Vonn, Tina Maza, Mikaela Shiffrin, Anna
­Fenninger oder eben Lara Gut – übrigens im
Slalom!
Die Siegerliste der Trofeo Topolino ist als
Referenzwert für künftige Stars fast verbindlicher als jene der Junioren-Weltmeisterschaften. Lara Gut war übrigens nie Junioren-Weltmeisterin. Sie wurde 2007 hinter
Tina Weirather «nur» Zweite. Kurz vor dem
Rennen hatte Lara Gut einen Schweizer
Rennanzug erhalten, nachdem sie zuvor jeweils in italienischen und spanischen LeihKombis gestartet war.
Rolle. Aber beim Gewinn dieser grossen Kristallkugel, der 100. übrigens,
die zur Verteilung gelangte, ist wenig
dem Zufall überlassen worden.
Lara Gut feiert den Weltcup-Gesamtsieg
mit ihrem Fanclub.
Einige Verantwortliche von Swiss-Ski waren
nicht unglücklich, dass Lara nur Zweite wurde. Junioren-Weltmeister sind jeweils startberechtigt beim Weltcup-Finale, in jenem
Jahr auf der Lenzerheide. Die BeltramettiPiste präsentierte sich damals in einem nicht
ungefährlichen Zustand. Für Bruno Kernen,
der dort schwer stürzte, bedeutete es das
letzte Rennen seiner Karriere. Und Tina Weirather, die eine Zehntelsekunde vor Lara Junioren-Weltmeisterin geworden war, stürzte
ebenfalls und riss gleich beide Kreuzbänder.
Wer sich erinnert, wie ungestüm Lara Gut ein
Jahr später in St. Moritz ihre erste WeltcupAbfahrt bestritt, als sie spektakulär ins Ziel
stürzte und Dritte wurde, kann die Befürchtungen der Swiss-Ski-Verantwortlichen verstehen.
Fokus auf Europacup
So richtete Lara Gut in der Saison 2007/08 den
Fokus auf den Europacup, wo übrigens ein
gewisser Reto Nydegger, jetzt Coach der norwegischen Überflieger Svindal, Jansrud und
Kilde, ihr Chef war. Pauli Gut ging damals
noch seinem zivilen Beruf als Lehrer nach
und war nicht so oft dabei. Ende Saison liess
sich Lara als Gesamtsiegerin und Nachfolgerin von Anna Fenninger feiern, die 2006 und
2007 diesen Wettbewerb gewonnen hatte. Die
Parallelen zum Weltcup sind verblüffend. Auch
da hatte Fenninger erst zweimal in Folge
­gewonnen, bevor Lara an die Reihe kam.
Schliesslich ist sie ja auch zwei Jahre jünger . . . Zwischendurch erhielt Lara Gut Einsätze im Weltcup, zum Beispiel in St. Moritz
mit dem denkwürdigen 3. Platz beim Abfahrtsdebüt. Im Jahr vorher hatte sie auf
derselben Piste im Europacup mit der Startnummer 66 den 4. Platz belegt. Ein Jahr danach errang sie dort im Super-G ihren ersten
Sieg, als jüngste Weltcup-Siegerin aller Zeiten in dieser Disziplin.
Schnell am Ziel
Es liegt offenbar in der Natur der Tessinerinnen, dass sie im wahrsten Sinne des Wortes
schnell ans Ziel kommen. Doris De Agostini
siegte einst in Badgastein sogar in ihrer allerersten Weltcup-Abfahrt. Auch Michela Figini
fackelte nicht lange: In ihrem zweiten Weltcup-Super-G und ihrer dritten Weltcup-Abfahrt stand sie schon auf dem Podest. Lara
Gut, gross geworden am selben Skiberg wie
De Agostini und Figini auf der Alpe Pesciüm
oberhalb Airolo, hat dieses schnelle Tessiner
Gen offenbar mitbekommen.
Etwas länger dauerte indes der Anlauf auf
den ultimativen Olymp des Skisports – dem
Weltcup-Gesamtsieg. Auch bei JahrzehntTalenten wachsen die Bäume nicht in den
Himmel. Acht Jahre nach ihrem Debüt im
Dezember 2007 in Lienz wurde ihr in
St. Moritz nach dem 195. Weltcuprennen die
grosse Kristallkugel überreicht für die beste
und kompletteste Skirennfahrerin einer Saison. 13-mal stand sie auf dem Podest, sechsmal als Siegerin – in vier verschiedenen Disziplinen!
Und es war nicht einfach eine Kugel: Es war
genau die 100. in 50 Jahren Weltcup. In der
«Hall of Fame» des Schweizer Skisports steht
in einer Reihe mit Lise-Marie Morerod, MarieTheres Nadig, Erika Hess, Maria Walliser,
Michela Figini und Vreni Schneider jetzt auch
R ich ard He g g l i n
der Name – Lara Gut. ma i 2 0 1 6
11