Leiharbeit - bei der Arbeitnehmerkammer Bremen

Transcrição

Leiharbeit - bei der Arbeitnehmerkammer Bremen
Dr. Christiane Koch
Leiharbeit – Türöffner oder Drehtür?
Warum Leiharbeit problematisch und keine gute Arbeitsform der Zukunft ist
Die Praxis
Simone K. arbeitet als Kassiererin im Supermarkt in Ostdeutschland. Sie ist allerdings
nicht Angestellte des Marktes, sondern einer Zeitarbeitsfirma, die sie ausleiht –
stundenweise, tageweise, monatsweise, ganz wie die Auftragslage das hergibt. Frau K,.
verdient 4,60€ pro Stunde, ein Hungerlohn. Der ist zwar niedriger als die unterste Gehaltsstufe der großen Branchentarifverträge, aber wenn der Supermarkt seinen eigenen
Angestellten ebenso wenig zahlt oder wenn die Verleihfirma einen eigenen entsprechend
niedrigen Tarifvertrag hat, dann ist das rechtens. Simone K. ist Teilzeitkraft. 86 Stunden
monatlich garantiert ihr Arbeitgeber. In Wirklichkeit arbeitet sie aber meistens mehr,
denn Urlaub und Krankheit muss sie sozusagen vorarbeiten. Krankmeldungen kann sie
gerne abgeben, aber da sie keine festgelegten Arbeitszeiten hat, werden diese Zeiten
nicht verbucht. Das ist zwar illegal, aber durchaus üblich.
Ähnliche Erfahrungen kommen aus anderen Branchen mit relativ hohem Qualifikationsniveau.
Michael T. wohnt in Bremen und arbeitet für einen Zulieferbetrieb von Airbus als
technischer Zeichner in Hamburg. Er ist dort seit einem Jahr beschäftigt – als Leiharbeitnehmer, sein Arbeitgeber ist also nicht der beschäftigende Betrieb. Die normale
Arbeitszeit beträgt 40 Stunden, allerdings gibt es mehrfach im Jahr Auftragsphasen, in
denen die ZeichnerInnen teilweise unangekündigt an Wochentagen oder sogar an
Wochenenden durcharbeiten und auf weit mehr als die zulässigen 10 Stunden täglich
kommen. Die Überstunden werden auf Gleitzeitkonten im Nachhinein „legal“ gerechnet –
damit formell dem Gesetz Genüge getan ist.
Die Latte der Eigentümlichkeiten in der Zeitarbeit ließe sich seitenweise fortsetzen. Es ist
eine Branche mit schwierigen Gesetzen, die noch dazu nicht immer eingehalten werden.
Viele sprechen von moderner Sklavenarbeit, schildern Zustände des Ausgeliefertseins
und der rechtlichen Hilflosigkeit. Andere, meist gut Qualifizierte und gut Bezahlte, die es
in der Branche auch gibt, scheinen mit ihrem Schwebezustand ganz zufrieden zu sein.
1. Was ist Leiharbeit?
LeiharbeitnehmerInnen gibt es schon lange, aber erst in den letzten 5 Jahren sind sie in
Deutschland so richtig in Mode gekommen. Sie werden in vielen Branchen und in vielen
Beschäftigungsvarianten eingesetzt.
•
•
z.B. in der Produktion: bei BMW in Leipzig sind nach Betriebsratsauskunft 35% der
Beschäftigte ein Leiharbeitnehmer
z.B. im kaufmännisch-verwaltenden Bereich, etwa im Einzelhandel wie Frau K. an
der Kasse oder in Büros zum Tippen, Ablage Machen und sonstigen Routinearbeiten
1
•
z.B. auf dem Bau in Montage, wobei dies ein besonders sensibler Bereich ist, der
rechtlichen Sonderregelungen unterliegt. Gerade von dort aber sind die Erfahrungsberichte besonders erschreckend.
Zeitarbeitsfirmen sind meist kleine oder mittelständische Betriebe (ausgenommen die
großen Ketten). Abnehmer dagegen überwiegend Großbetriebe. (Koch, 2007)
Leiharbeit nennt man auch Zeitarbeit, Arbeitnehmerüberlassung oder BWL-deutsch
„Personal-Leasing“.
Quelle: Wikipedia
Leiharbeit basiert auf dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG). Ein Zeitarbeitsunternehmen stellt ArbeitnehmerInnen ein, die gegen einen fixierten Stundenlohn an ein
anderes Unternehmen verliehen werden. Der Entleiher bestimmt, was und wieviel bei
ihm gearbeitet wird. Das Gehalt aber zahlt die Zeitarbeitsfirma - nach Tarifverträgen, die
meist weit unter dem Durchschnitt der entleihenden Branchen liegen.
Warum ist Leiharbeit in manchen Branchen so beliebt?
Es gibt für Unternehmen mehrere ökonomische Gründe, sich der Leiharbeit zu bedienen:
• In der Industrie spart ein Unternehmen wegen der hohen Lohndifferenz schlicht
Lohnkosten ein. Die Preise, die der Entleiher an die Zeitarbeitsfirma zahlt,
werden selten offenbart. Der Hydraulikspezialist Eaton, eines der wenigen Unternehmen, die sich dazu äußern, gibt an, etwa 15% Lohnkosten einzusparen. Die
meisten Leiharbeitnehmer arbeiten bei Eaton im Lager. (FR, 08.06.2007) Je
größer die an einen Beschäftigter vermietete Crew, je höher also der Umsatz,
desto niedriger kann der gezahlte Entleihsatz, desto geringer die Spanne des
Überschusses für den Verleiher sein, ohne dass sein Geschäftserfolg in Gefahr
gerät. Viel Personal zu einem niedrigen Entgelt an einen Großbetrieb auszuleihen
ist also attraktiv für beide Seiten - den Ver- wie den Entleiher.
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•
•
Flexibilitätspotenzial:
o Unternehmen können mit Leiharbeit Auftragsspitzen, Saisonbestandteile
ihres Geschäftes, Konjunkturdellen etc. ohne personalpolitische Probleme
abdecken. Sie mieten für Zeiten, in denen sie sporadisch mehr Personal
brauchen, einfach Leute dazu.
o Unternehmen, die sich neu auf dem Markt platzieren, können personalpolitisch friktionslos ihren Personalbedarf erproben. Sie müssen keine
Entlassungen vornehmen, falls sich herausstellt, dass sie zuviel Personal
eingestellt haben. Sie können vielmehr das bereits erprobte Leihpersonal
fest einstellen oder an den Verleiher „zurückgeben“, wenn sich das als
wirtschaftlich opportun erweist.
o Moderne Unternehmen verändern und optimieren permanent ihre Arbeitsorganisation. Mit Leiharbeit nehmen sie Rationalisierungseffekte auf
billige Weise vorweg, indem sie einen Teil der Belegschaft bereits im
Voraus für tendenziell überflüssig erklären und diesen nur so lange ausleihen wie noch unkalkulierbar mehr Personal benötigt wird. Sie sparen
sich mit dieser blinden Antizipation der Produktivitätsfortschritte aufwändiges, unangenehmes und teures Entlassprozedere.
Verringerung
der
Opportunitätskosten:
Mit
der
Erprobung
von
ArbeitnehmerInnen via Leiharbeit spart sich ein Unternehmen hohe Kosten für
das Personalrecruitment. Die Suche geeigneten Personals obliegt der Zeitarbeitsfirma, sie steht auch für Fehlbesetzungen gerade und muss bei Nichteignung
entsprechenden Ersatz ausfindig machen. Vergleichbares gilt auch für das Ausleihen von teuren und aufwändig zu suchenden SpezialistInnen.
2. Zahlen und Entwicklung der Leiharbeit in Bremen
2.1 Entwicklung in Bremen und Bremerhaven
Leiharbeit boomt, bundesweit und in Bremen. Bundesweit gibt es mittlerweile rund
600.000 ZeitarbeitnehmerInnen. Zwischen 1999 und 2006 hat sich die Zahl der LeihArbeitnehmerInnen durchschnittlich verdoppelt.
Richtig Aufwind hat die Branche in Bremen zwischen 2005 und 2006 bekommen: Hier
lagen die Zuwachsraten zwischen 32% im Bund und in Bremerhaven, und bei stolzen
40,5 % in Arbeitsagenturbezirk Bezirk Bremen.
Zuwächse in der Leiharbeit 1999-2006
Bund:
+ 108%
AA-Bezirke Bremen Land:
+ 107%
AA Bremen Stadtbezirk:
+ 111%
AA Bremerhaven:
+ 87%
Zuwächse in der Leiharbeit 2005-2006
Bremen Stadt:
+ 40,5%
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Bremerhaven:
Quelle: AA/eig. Berechnungen
+ 32,6%
Bremerhaven und Umgebung liegt in beiden Zeiträumen deutlich unter dem Bundesund dem Bremer Durchschnitt.
1.356
8.321
2006
9.677
AA Brhv
1.023
2005
5.920
6.943
AA Bremen
Bremen
724
1999
3.939
4.663
0
2.000
4.000
6.000
8.000
10.000
12.000
Quelle: AA Bremen, eigene Berechnungen
2.2 Geschlecht
Noch ist die Leiharbeit überwiegend Männersache. Etwa drei Viertel der Leiharbeitnehmer sind Männer, ein Viertel Frauen. Das gilt in etwa auch für Bremen, wenngleich
Frauen hier etwas unter dem Bundesdurchschnitt entliehen werden.
Mitte 2006 Frauen in Leiharbeit
Bund:
AA-Bezirke Bremen/Brhv gesamt:
24,9%
23,9%
Das liegt einerseits an der Branchenstruktur (dazu unten mehr), andererseits daran, dass
Leiharbeit ein Höchstmaß an Beschäftigungsflexibilität erfordert, das Frauen mit
Familienpflichten i.d.R. nicht erbringen können. Sie weichen aus auf andere
Prekaritätsvarianten, etwa Minijobs und gering entlohnte Teilzeitarbeit.
Allerdings liegt der Anteil der Leih-Arbeitnehmerinnen in Bremerhaven deutlich unter den
sonstigen - westdeutschen - Durchschnittszahlen und entspricht in etwa den Anteilen,
die Frauen in Ostdeutschland erzielen.
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Frauen in Leiharbeit 2006
AA Bremen:
AA Bremerhaven:
24,6%
19,4%
Zum Vergleich:
Sachsen: 19,9%; Sachsen-Anhalt/Thüringen: 19,2%
Ba-Wü: 25,2%; Bayern: 26,5%; Hessen: 30,5%
Quelle: AA Bremen, eigene Berechnungen
Möglicherweise hat der Zeitarbeitsgrad mit Rationalisierungseffekten in der Industrie
und/oder damit verbundener Wirtschaftsprosperität zu tun.
Frauenanteile in der Leiharbeit 2006
24,90%
Bund
23,90%
Bremen
2006
AA Bremen
24,60%
AA Brhv
19,40%
0,00%
5,00%
10,00%
15,00%
20,00%
25,00%
30,00%
Quelle: AA Bremen, eigene Berechnungen
Quelle: AA Bremen, eigene Berechnungen
2.3 Wirtschaftszweige - Berufe
Leiharbeit ist produktionsorientiert.
2004 bundesweit fanden sich in den Metall- und Elektroberufe fast ein Viertel: 24,5%,
zusammen mit den sonstigen Fertigungsberufen fast 30% (29,7%) aller LeihArbeitnehmerInnen. Addiert man noch die Technischen und Bauberufe hinzu, so kommt
man auf ein gutes Drittel (34,97%) männerdominierter qualifizierter Arbeitsfelder. Die
Hilfsarbeiten, unter denen ebenfalls viele mit schwerer körperlicher Arbeit verbunden
sind, sind hierbei noch nicht mitgerechnet.
Der Dienstleistungssektor, und damit auch zunehmend Frauentätigkeiten, ist aber im
Kommen: Büro und Verwaltung machten 11,02% aus. Dienstleistungsberufe, darunter
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auch Körperpflege und das Reinigungsgewerbe, lagen schon 2004 bei 12,24%. Addiert
man alle Tätigkeiten in diesem Sektor, so kommt man für 2004 bereits auf 26,65%.
Den weitaus größten Einzelposten der Leiharbeit aber machen die Hilfsarbeiten aus:
30,16%.
Ähnlich sieht die Bremen Statistik aus dem Jahre 2006 aus: Der Metallbereich
dominiert die qualifizierten Fertigungsberufe mit etwa einem Viertel der Leiharbeit.
Routinearbeiten im Büro machen insbesondere in Bremen Stadt immerhin 13,1% aus.
Wichtig für Bremen als Logistikregion ist auch der Verkehrs- und Lagerbereich mit etwa
11%. Dienstleistungen sowie der Gesundheits-/Pflege-/Sozialsektor sind deutlich unterrepräsentiert; sie werden in Bremen wohl überwiegend von Minijobberinnen abgedeckt.
(Bremen hat die höchste Quote an Minijobbern bundesweit.)
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Leiharbeit in Bremen in ausgewählten Berufsfeldern
AA Bremen
AA Bremerhaven
Leih-AN gesamt
8.321
1.356
Metall-/Elektro
2015 (24,2%)
491 (36,2%)
Büro/Verwalt/Orga
1.088 (13,1%)
114 ( 8,4%)
Verkehr/Lager
980 (11,8%)
125 ( 9,2%)
Waren-/Dienstlkaufl
90 ( 1,1%)
20 ( 1,5%)
Gesundheit/Sozial
386 ( 4,6%)
2 ( 0,1%)
Allg
Dienst- 175 ( 2,1%)
66 ( 4,9%)
leistungen*
Hilfsarbeiten
2.273 (27,3%)
366 (26,9%)
*Körperpflege, Gastgewerbe, Hauswirtschaft, Reinigung
AA Bremen+Brhvn
9.677
2.506 (25,9%)
1.202 (12,4%)
1.105 (11,4%)
110 ( 1,1%)
(Minijobberinnen!)
388 ( 4%)
(Minijobberinnen!)
241 ( 2,5%)
2.639 (27,3%)
Quelle: AA Bremen, eigene Berechnungen
2.4 Beschäftigungsdauer in der Leiharbeit
Zeitarbeit ist überwiegend kurzfristige Arbeit! Sie ist verbunden mit hoher einer extrem
hohen Fluktuationsrate, denn die Verweilzeiten bei einem Zeitarbeitgeber sind sehr
gering. 60% der Beschäftigungsverhältnisse in der Zeitarbeit dauern nach Recherchen
des IAB weniger als 3 Monate. Seit das sog. „Synchronisationsverbot“ abgeschafft
wurde, können Leiharbeitnehmer von einer Zeitarbeitsfirma exakt so lange beschäftigt
werden wie sie ausgeliehen werden. Danach können sie wieder entlassen werden – unter
Einhaltung des Kündigungsschutzes, der allerdings in der sechsmonatigen Probezeit anfangs wenige Tage, in den ersten drei Beschäftigungsmonaten eine Woche, danach zwei
Wochen beträgt. (Dies sind z.B. die Konditionen des Tarifvertrags zwischen dem
Bundesverband Zeitarbeit Personal-Dienstleistungen e.V. (BZA) und dem DGB- Tarifgemeinschaft Zeitarbeit)
Zeitarbeitsfirmen tendieren trotz der eigentlich klaren Rechtsregularien zum Heuern und
Feuern: Während in der Gesamtwirtschaft jedes siebte Arbeitsverhältnis gekündigt wird,
ist es in der Leiharbeitsbranche jedes dritte. (Promberger 2005, S. 14) Dabei sind
Kündigungen aufgrund einer kurzfristig stockender Auftragslage keineswegs zulässig,
denn verleihfreie Zeiten gehören zur Personalvermietung naturgemäß hinzu und liegen
infolgedessen im normalen Risikobereich des Verleiher, der damit nicht zur Kündigung
berechtigt ist. (BAM 04/2007, S. 19)
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2.5 Zeitarbeit und Qualifikation
Zeitarbeit ist überwiegend niedrig qualifizierte Arbeit und Niedriglohnarbeit. Das ergibt
sich bereits aus der beschriebenen hohen Quote der Hilfsarbeiten (30%).
Der Entgelttarifvertrag zwischen DGB und dem Bundesverband Zeitarbeit (BZA), der eine
noch relativ „solide“ Basis markiert, liegt in den unteren Entgeltgruppen erkennbar unter
dem aktuell diskutierten Mindestlohn von 7,50€. Die Entgelte, die der Christliche Gewerkschaftsbund mit den Zeitarbeitgebern ausgehandelt hat, liegen in den unteren Entgeltgruppen noch ein Stück darunter.
Quelle: Tarifvertag BZA-DGB 2006
Der Leiharbeitsmarkt ist ein gespaltener Markt, denn es gibt neben den vielen
Routinearbeits- und Aushilfskräften zunehmend auch gut bis sehr gut Qualifizierte, die
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auf Zeit ausgeliehen werden. Sie ersetzen dann häufig ehemalige Stammbelegschaften,
eine Entwicklung, die in den letzten Jahren spürbar zugenommen hat. Oder aber sie
werden für temporäre Spezialaufgaben eingesetzt, die nur vorübergehend abgerufen
werden.
Die Rekrutierung von Spezialisten ist für ein Unternehmen teuer und aufwändig, solche
Kosten lassen sich mit dem Rückgriff auf Zeitarbeit bequem einsparen. Auf diese Weise
findet ein generelles Outsourcing des Spezialistentums statt; Spezialaufträge werden zunehmend in Projektform in begrenzten Zeiteinheiten abgewickelt. (Dies markiert eine
Grenzzone zum Werkauftragnehmertum, das eine weitere Form prekärer Beschäftigung –
diesmal im Segment Hochqualifizierter – bildet.)
Der Spaltung der Tätigkeiten entspricht der Markt der Anbieter: Es gibt kleine und große
Generalisten wie Manpower, Randstad und Adecco, die die Breite abdecken. Regional
agieren sie oft branchenspezifisch (Produktion oder Dienstleistung/Verwaltung), sind also
vor Ort Branchenspezialisten. Und es gibt daneben Spezialisten für Spezialisten, die
hochqualifizierte und hochspezialisierte Fachkräfte vermieten, z.B. die DIS-AG, neuerdings eine Tochterfirma von Adecco. Und Geiz ist auch in der Zeitarbeit geil: Inzwischen
haben sich auch Anbieter auf dem Markt platziert, die sich selbst als „discounter“ sehen
und mit billigen online-Angeboten in der Leiharbeit werden. (vgl. www.discountzeitartbeit.de)
Daneben gibt es Spezialisten, die sich auf die Zielgruppe Arbeitslose spezialisiert haben;
ihr Kerngeschäft ist die Personalvermittlung, die sie über den Personalverleih erreichen
wollen, z.B. Start Zeitarbeit GmbH.
3. Besondere Anforderungen der Leiharbeit
Wenn es darum geht zu beschreiben, was die Arbeit der Zeitarbeitenden eigentlich auszeichnet und was sie können müssen, so tauchen immer wieder als zentrale Begriffe auf:
Flexibilität
Anpassungsfähigkeit
Schnelle Einarbeitung
Austauschbarkeit
Leiharbeit ist diskontinuierliche, ist unstete Arbeit. Ein wichtiges Merkmal ist der
Wechsel, d.h. häufige kurzfristige Änderung des Arbeitsortes und der Arbeitsinhalte.
Qualifikation spielt dabei durchaus eine Rolle, und zwar in ganz spezifischer Weise, denn
es kommt bei dem hohen Anteil an Hilfs- und Routinetätigkeiten weniger auf die fachliche Kompetenz an, sondern vielmehr auf eine ganz spezielle Schlüsselqualifikation, die
Fähigkeit nämlich, sich ständig um- und einstellen zu können. Das ist ein hoher Anspruch an die Beschäftigten und für Leih-Arbeitnehmer verbunden mit großer Anstrengung und hoher psychischer Belastung. Sie müssen unter sich ständig verändernden Bedingungen arbeiten, sich permanent auf andere Arbeiten und eine andere
Arbeitsumgebung einstellen. Sie kommen im Arbeitskontext sozusagen nie „zu Hause“
an. Sie haben keine festen Kollegen, mit denen sie sich austauschen können, keinen
eigenen Arbeitsplatz, kein eigenes Büro, das sie sich einrichten können. Nicht einmal der
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Arbeitsweg kann zur Routine und in das tägliche Zeitkorsett eingespeist werden, Arbeitsalltage sind auf diese Weise nie langfristig planbar und zuverlässig.
LeiharbeitnehmerInnen sind also SpezialistInnen im Austauschbarsein, im Beliebigsein,
im Wechsel. Und eben das macht, neben den ökonomischen Komponenten, die noch zu
thematisieren sind, einen Teil der Prekarität dieser Beschäftigungsform aus:
Denn außerhalb des Hochqualifiziertensegmentes, also den bereits beschriebenen
projektarbeitenden Spezialisten, dequalifiziert Leiharbeit. Viele ehemals gut Qualifizierte,
die auf dem regulären Arbeitsmarkt keine Stelle finden, lassen oft weit unter ihrem Qualifikationsniveau verleihen, um überhaupt Arbeit zu haben. Die Erfahrungsberichte sind
voll von diesem Beispielen. So berichtet die FR am 08.06.07 von einem Steuerfachmann der nun als Leih-Lagerist arbeitet. Wer aber einmal über einen Zeitraum hinweg
aus seinem angestammten Berufsfeld und dem bisherigen Qualifikationsniveau heraus
ist, der findet kaum mehr Zugang zum ursprünglichen Beschäftigungslevel, zumal nicht
seit die Arbeitsmarktreformen die beruflichen Zumutbarkeitsgrenzen gen Null gesenkt
haben.
Überhaupt hat die Hartz-Reform dem Arbeitsmarktsegment „Zeitarbeit“ einen beachtlichen Zulauf gebracht. Denn viele Langzeitarbeitslose wählen lieber das unstete Dasein
und die fachliche Dequalifizierung durch Leiharbeit als sich den Kontrollmechanismen
und Armutskonditionen von Hartz IV zu unterwerfen. Damit allerdings geraten sie in eine
spezifische Abwärtsspirale: Anders als in qualifizierten Tätigkeitssegmenten gereicht
ihnen die abverlangte und praktizierte Flexibilität und Anpassungsfähigkeit nicht im
Sinne einer damit erworbenen Schlüsselqualifikation zum Vorteil. Sie gelten gemeinhin
als „nur“ LeiharbeitnehmerInnen und nicht als die Flexibilitätskünstler, die sie tatsächlich sind.
Zudem: Leiharbeit isoliert! Denn Zeit-ArbeitnehmerInnen gehören nicht zum entleihenden Betrieb, dort sind sie Fremdarbeiter. Ihre eigentlichen KollegInnen, die
anderen Leih-ArbeitnehmerInnen ihres Arbeitgebers, kennen sie i.d.R. nicht. Man trifft
sich nicht mal eben auf dem Flur, in der Kantine, im Aufzug; man spricht nicht miteinander, man kann weder Arbeitssituationen vergleichen, noch analysieren, noch sich
solidarisieren. Der Organisationsgrad in der Leiharbeit ist demnach, und auch weil die
meisten Zeitarbeitsfirmen eher klein- und mittelständisch sind, denkbar gering, so dass
die dort Beschäftigten den Zumutungen der Branche, auch den nicht seltenen illegalen
Praktiken relativ hilflos ausgeliefert sind.
Probleme der Leiharbeit aus ArbeitnehmerInnen-Sicht
•
•
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•
•
•
er/sie erhält einen geringeren Lohn
seine/ihre Arbeitszeiten sind ungeregelter
eine Kündigung erfolgt schneller
Arbeitswegkosten sind höher
er/sie kann seine Arbeitnehmerrechte schlechter durchsetzen
höhere Gefahr von Arbeitsunfällen
Quelle: Wikipedia, 11.06.2007
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4. Warum und wann Leiharbeit prekär ist
Prekäre Arbeitsverhältnisse sind unsichere, teilweise oder ganz ungeschützte Arbeitsverhältnisse, die ArbeitnehmerInnen nicht auf Dauer einen Lebensunterhalt sichern.
Indikatoren für Prekarität einer Beschäftigung (nach Keller/Seifert6) sind:
subsistenzsicherndes Einkommen
Integration in soziale Sicherungssysteme
Beschäftigungsstabilität
-Beschäftigungsfähigkeit
Einkommen
Wie dargestellt, besteht das Gros der Leiharbeit auch heute noch aus Einfacharbeit, die
nur kurzer Anlernzeiten bedarf und leicht ersetzbar ist. Damit befinden sich die dort Beschäftigten ohnehin am unteren Ende der Gehaltsskala. Da die Branche auch in
komplexere Arbeitsfelder, soweit sie auf kurze und mittlere Sicht extern bearbeitbar sind,
expandiert, mag sich in absehbarer Zeit das Gehaltsgefüge etwas verbessern, Leiharbeit
wird aber mit Gewissheit auch in Zukunft überwiegend Niedriglohnarbeit bleiben.
Unabwendbar ist als zweites strukturbildendes Moment, dass die ganze Branche überhaupt nur ökonomischen Sinn macht, wenn und solange der Verleiher eine zählbare
Differenz zwischen dem, was er für die Verleihung bekommt, und dem Gehalt erzielt,
das er selbst an seine Leih-ArbeitnehmerInnen zahlt. Sein Profit und seine Existenz
resultieren aus dieser Differenz zwischen dem Gehalt seiner Leih-MitarbeiterInnen und
dem, was der entleihende Betrieb für die Nutzung der Fremdarbeitskraft zu zahlen bereit
ist. Das Entleihen muss sich natürlich auch für den Entleihbetrieb rechnen, weshalb die
Leiharbeitnehmer i.d.R. billiger sind als die Stammbelegschaft. Die gültigen Tarifverträge
für die Zeitarbeit liegen daher –logischer Weise - auf denkbar niedrigem Niveau.
Gerade mit der Einführung fächendeckender Tarifverträge in der Zeitarbeit ist eine
Zementierung der Schlechterstellung der Leiharbeit gegenüber den Stammbelegschaft zu
verzeichnen, und das vor allem im industriellen Einsatzfeld, dem aktuellen Hauptfeld der
Leiharbeit. (Promberger 2005, S.13) Berechnungen zufolge bewegt sich das Lohnniveau
eines Leiharbeitnehmers in der Industrie zwischen 20% (Angelernte Hilfsarbeiten) und
25-30% (Facharbeit) unter dem Verdienst eines tariflich entlohnten Festangestellten.
Entgeltdifferenzen für Stammkräfte- und LeiharbeitnehmerInnen - Beispielrechnungen
Exemplar. Tarifentgelt
Tarifvertrag DGB-BZA
Einfache Tätigkeiten mit Eisen- u Stahlindustrie NRW Entgeltgruppe M-1:
kurzer Anlernzeit
7,15 – 7,38 €
9,41
nach 1 Jahr beim gleichem
Entleiher:
7,49-7,60€
11
€
ca. 80%
des Stammkräfteentgelts
Facharbeiter-Tätigkeit
Metallindustrie
Nord- Entgelt Gruppe 3-4:
württemberg/Nordbaden
9,37-9,91€
TG 7: 13,10 €
nach 1 Jahr beim gleichem
TG 12: 17,69
Entleiher:
9,65-10,20€
ca. 70-75%
des Stammkräfteentgelts
Papier, Pappe und Kunst- Entgelt Gruppe 3-4:
stoff verarbeitende Ind./ 9,37-9,91€
Westfalen:
nach 1 Jahr beim gleichem
TG VI: 11,77-12,79€
Entleiher:
TG VIII: 13.35€
9,65-10,20€
ca. 75-80%
des Stammkräfteentgelts
Quelle: WSI, eig Berechnungen
Zum Dritten kommt es bei der Bezahlung in Zeitarbeit darauf an, wo und wie ein Leiharbeitnehmer/eine Leiharbeitnehmerin eingruppiert ist. Die Eingruppierung dürfte von
Seiten des Beschäftigers möglichst am unteren Ende stattfinden. Den Tarifbestimmungen
zufolge kann man dann eine Zeit lang über dem vereinbarten Eingruppierungsniveau
arbeiten, ohne Anspruch auf die höhere Geldleistung zu haben. Es gibt also auch in
diesem Bereich zumindest vorübergehende Verbilligungsmomente.
Die Tendenz in der Zeitarbeit geht demnach klar zum Niedriglohn. DGB-Berechnungen
zufolge verdient jeder achte Zeitarbeitnehmer so wenig, dass er auf ergänzende Hartz IVLeistungen angewiesen ist.
Integration in die Sozialversicherung
Eine Integration in die Sozialversicherung findet während der Beschäftigungszeit beim
Verleiher statt. Aber da die Fluktuationsrate hoch, die Beschäftigungszeiten oft nur kurz
sind, da in vielen Fällen die gültigen Arbeitsrechtsregelungen, wie z.B. Nutzung der
rechtlosen Momente der Probezeit und Kündigung kurz vor deren Abschluss, gegen die
ArbeitnehmerInnen ausgelegt werden, ist Leiharbeit nur ein vorübergehend sozial abgesicherter Beschäftigungszustand.
Beschäftigungsstabilität:
Die Wissenschaft rechnet die LeiharbeitnehmerInnen den sog „fluiden Belegschaften“ zu,
also denen die fließen, die sich ständig auf dem Markt bewegen müssen. Die Anteile
solcher Beschäftigungsformen nehmen in den letzten Jahren immer mehr zu. In ähnlich
bewegter Position befinden sich beispielsweise auch freie MitarbeiterInnen und
WerkauftragnehmerInnen im hochqualifizierten Bereich.
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Ziel der meisten Leih-ArbeitnehmerInnen ist es, diesen Schwebezustand möglichst rasch
zu verlassen. Sie setzen – zumindest bei längerer Entleihung - auf Übernahme, darauf
„kleben zu bleiben“, wie man in der Fachterminologie der Arbeitsmarktforschung sagt.
Das allerdings gelingt nur wenigen. Untersuchungen des IAB zufolge finden nur etwa
30% der ZeitarbeitnehmerInnen eine feste Stelle, etwa die Hälfte davon im Einsatzbetrieb, die andere aufgrund anderer Bewerbungsanstrengungen. Die Klebequote, d.h.
die Übernahme durch den Entleihbetrieb beträgt etwa 12%. (Promberger 2005, S.10)
Die Hoffnungen der Hartz-Reform auf das Klebenbleiben Arbeitsloser, deretwegen Leiharbeit in Form von Personal-Service-Agenturen (PSA) flächendeckend durch die Bundesagentur für Arbeit eingeführt wurden, haben sich nicht bewahrheitet und konsequenterweise zu einer raschen Auflösung dieses Modells geführt.
Es liegt in der Natur der Leiharbeit, dass sich dieser erwünschte Effekt nicht einstellt.
Wo sollen LeiharbeitnehmerInnen hängen bleiben, wenn ihr herausragendes Merkmal
Austauschbarkeit und Beliebigkeit ist? Wie sollen sie sich als attraktive Arbeitskräfte bemerkbar machen, wenn sie nur so kurzfristig bei einem Entleiher arbeiten, dass der ihre
Qualitäten gar nicht kennenlernen kann? Hinzu kommt, dass Verleihfirmen ihre guten
Arbeitskräfte, die friktionslos ihre wechselnden Aufträge erfüllen und dann zum nächsten
Entleiher weiterziehen, nicht gehen lassen wollen. Erfahrungsberichte künden davon,
dass Ablösesummen gehandelt werden oder dass Arbeitskräfte gezielt ausgetauscht
werden, just bevor eine Übernahme relevant werden könnte. Außerdem bildet Leiharbeit
inzwischen ein relevantes unternehmerische Flexibilitätspotential, mit dessen Hilfe sich
der Personal leihende Betrieb Luft im Arbeitskräftepool verschafft und eben KEINEN
festen Mitarbeiter einstellen wollte. Auch die reduziert die Übernahmechancen.
Statusänderungen durch Übernahme in den Entleihbetrieb münden zudem nahezu
systematisch nicht etwa in festen, sondern in befristeten Arbeitsverhältnisse, begründen
also eine neue Form unsicherer Beschäftigung, die die Palette Erpressungsverhältnisse
durch prekarisierte Beschäftigung um ein neues Farbelement erweitert.
Beschäftigungsstabilität in der Leiharbeit ist also begrifflich ausgeschlossen.
Beschäftigungsfähigkeit
Ähnliches gilt für die Beschäftigungsfähigkeit, die u.a. per Qualifikation und Qualifikationserhalt hergestellt wird. Wer flexibel im Segment der Einfacharbeit tätig ist, kann
sich fachlich kaum qualifizieren. Seine persönliche „Entwicklung“ besteht darin, die oben
skizzierte abstrakte Flexibilität als Schlüsselqualifikation herauszubilden und zu
perfektionieren. Da diese aber nicht mit Fachlichkeit kombiniert ist, erhöht sie nur in
seltenen Fällen die Attraktivität der Arbeitskraft. Das herausragende Merkmal der
meisten Leiharbeitskräfte besteht eben in ihrer beliebigen Austauschbarkeit, die sie zur
Manövriermasse im Bereich kurzfristiger Arbeitsbedarfe macht. Zwar gibt es in diesem
Segment immer wieder Arbeit, der ständige und zuverlässige Wechsel in kurzfristige Beschäftigung verbaut aber gleichzeitig die Chancen, diesem Zirkel zu entfliehen.
Das Geschäft der Zeitarbeit ist der Verleih. Verleihfreie Zeiten, und zu diesen zählt auch
Qualifizierungszeit, bedeuten wirtschaftlichen Verlust für den Verleiher und sind zudem
mit Kosten verbunden, deren Rentabilität für ihn (nicht aber für die Arbeitskraft) fraglich
ist. Entsprechend gering ist das Weiterbildungsangebot der Zeitarbeitsfirmen für ihre
MitarbeiterInnen. Fortgebildet werden in der Regel die Disponenten, also diejenigen, die
den Verleih organisieren. Was die Weiterbildung für die LeiharbeitnehmerInnen angeht,
so wird geschätzt, dass nur etwa jedes 2. Unternehmen überhaupt Qualifizierungs13
anstrengungen unternimmt. (Terzic 2007, S. 50) Fortgebildet werden zudem fast ausschließlich qualifizierte und qualifiziert arbeitende LeiharbeitnehmerInnen. Die An- und
Ungelernten bleiben auch in dieser Sphäre außen vor. (Bolder et al 2005, S. 62ff)
Ausgenommen sind Zeitarbeitsfirmen, deren Zweck es ist, Arbeitslose auf diesem Wege
in Arbeit zu bringen. (Terzic 2007, S. 59ff)
5. Beschäftigungspolitische Konsequenzen
Arbeitsmarktpolitisch ergeben sich aus diesen Bestimmungsmomenten der Leih- oder
Zeitarbeit weitreichende und generelle Probleme: Der Armutsforscher Klaus Dörre beispielsweise macht seit einiger Zeit darauf aufmerksam, dass es reguläre Vollzeitarbeit ist,
die auch in qualifizierten Tätigkeitsfeldern durch Leiharbeit ersetzt wird. Leiharbeitskräfte
sind Arbeitnehmer 2. Klasse, die die Stammbelegschaft unter Druck setzen, die Verhandlungsbedingungen der Arbeitnehmervertretungen auf fatale Weise verschlechtern.
Das gilt für Entgeltfragen wie für die Rahmenkonditionen der Arbeit (Zeit, Krankenstand,
Arbeitsdruck etc). Leiharbeit ist prekäre Arbeit, die die Bedingungen der Festangestellten
spürbar verschlechtert.
Leiharbeit ist damit einer der Sargnägel einer existenzsichernden Vollzeitbeschäftigung
namens Normalarbeitverhältnis. Mag sein, dass in absehbarer Zeit wieder Sozialkämpfe
wie im 19. Jahrhundert eingeleitet werden müssen, wenn man von der Arbeit, die man
hat, auch leben will.
1. Leiharbeit sichert keine dauerhafte eigenständige Existenz
2. Leiharbeit senkt individuelle Beschäftigungschancen durch unmittelbare Dequalifizierung (überwiegend austauschbare Einfacharbeit) und Verzicht auf Personalentwicklung
3. Wer prekär beschäftigt ist, bleibt es in der Regel.
4. Leiharbeit ersetzt zunehmend reguläre Vollzeitarbeit in der Industrie.
5. Leiharbeit übt damit Druck auf die Stammbelegschaft aus.
6. LeiharbeitnehmerInnen sind zwar erpressbar, aber nicht rechtlos
Handlungsbedarf und Forderungen
LeiharbeitnehmerInnen sind also erpressbar, da sie rechtlich oft als Underdogs der Beschäftigtenriege behandelt werden und keinen Schutz durch Interessenvertretung besitzen. Die meisten fühlen sich allerdings erpressbarer als sie es wirklich sind, denn sie
unterliegen dem Arbeits- und Tarifrecht wie andere ArbeitnehmerInnen auch. Die
Rechtslage der Zeitarbeit ist durchaus so angelegt, dass sie Möglichkeiten bietet, sich
gegen allerlei Zumutungen zur Wehr zu setzen.
Aus dem Gesagte leiten sich kurz- und mittelfristig als beschäftigungspolitische Handlungsleitlinien ab:
1. Aufklärungsarbeit: Nur wenn LeiharbeitnehmerInnen ihre Rechte und die Besonderheiten ihrer Beschäftigung erkennen, können sie selbst aktiv werden und handeln. Es ist
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also wichtig, die Informationsarbeit, wie sie in einigen Gewerkschaften bereits begonnen
wurde, zu intensivieren. Prekäre Beschäftigung muss in all ihren Feldern thematisiert
werden und aus der aktuellen „Verschämtheit“ herauskommen.
2. Einführung eines Mindestlohns in der Zeitarbeit/Gleichstellung: Da der Flächentarif in
der Leiharbeit zum Niedriglohn tendiert, muss in der Branche ein Mindestlohn eingeführt
werden, der das aktuell diskutierte Minimum von 7,50 € nicht unterschreitet. Im
Übrigen ist mindestens bei längerfristigem Einsatz bei einem Entleiher auf die Einhaltung
des Gleichstellungsgebotes zu dringen, nicht nur hinsichtlich des Lohnes, sondern auch
bezüglich der sonstigen tariflichen Konditionen (z.B. betriebliche Sonderzahlungen,
Arbeits- und Urlaubszeiten etc.)
3. Wiedereinführung des Synchronisationsverbots: Die zeitliche Gleichschaltung von Entleihung und Beschäftigung beim Zeitarbeitgeber hat die Attraktivität des Personalvermietens deutlich befördert. Dem Verleiher wurde mit den Wegfall des Synchronisationsverbots nahezu jedes Beschäftigungsrisiko genommen, denn er kann relativ problemlos
betriebsbedingt entlassen, wenn ein Auftrag zu Ende ist, und muss sich nicht die Mühe
machen, aus eigenem Interesse Anschlussbeschäftigung für seine Leih-MitarbeiterInnen
zu suchen. Das führt zu den beschriebenen diskontinuierlichen Beschäftigungsverläufen,
das Risiko tragen einzig die LeiharbeitnehmerInnen.
4. Strengere Kontrollen bei
-Einhaltung der Arbeitszeitbestimmungen
-Bezahlung und Eingruppierung
-Kündigungs- und Wiedereinstellungspraxis
Insbesondere in diesen Feldern wird deutlich zu Ungunsten der verliehenen Beschäftigten und häufig illegal agiert. Die für die Zulassung zur Arbeitnehmerüberlassung
zuständigen Stellen bei den Regionaldirektionen der Arbeitsagenturen müssen personell
deutlich besser ausgestattet werden, um ihrer Rechtsverpflichtung zur Kontrolle der Zeitarbeit regulär nachkommen zu können. Aktuell sind kaum mehr als flüchtige Zulassungsund Wiederzulassungskontrollen möglich. Die Beschäftigungsgepflogenheiten der bekannten und bewährten Anbieter werden meist nur auf Grund von eindeutigen Hinweisen
und Beschwerden unter die Lupe genommen. Angesichts der weit verbreiteten halb- oder
illegalen Praktiken wären aber regelmäßige und systematische Überprüfungen dringend
vonnöten.
Überhaupt gilt es, alle gesetzlichen Varianten, die das Verleihen und Entleihen von
ZeitarbeitnehmerInnen attraktiv machen, noch einmal auf den Prüfstand zu heben.
Die IG-Metall in NRW hat sich der Leiharbeitsproblematik mit einer Kampagne angenommen
„Gleiche Arbeit – Gleiches Geld“
Leiharbeit: IG Metall prangert Ausbeutung an
"Menschenunwürdige Arbeitsbedingungen“
(20. Juni 2007). Die IG Metall NRW hat gravierende Missstände in der Leiharbeit aufgedeckt.
Bezirksleiter Detlef Wetzel fasste heute in Düsseldorf seine Kritik an der Praxis vieler Leiharbeits-
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firmen in neun "Anklagepunkten" zusammen. Löhne würden vorenthalten, Zwangsurlaube angeordnet und Vertragsstrafen verhängt. Leiharbeit finde immer häufiger "unter Ausschluss
elementarer Arbeitnehmerrechte" statt, die Arbeitsbedingungen der Leiharbeiter seien oft
"menschenunwürdig". Pressemitteilung
Die Anklage
1. Leiharbeit verdrängt Stammbelegschaft
Bei Nokia in Bochum und Schmitz Cargobull in Altenberge sind inzwischen mehr Leiharbeitnehmer als Festangestellte tätig. Bei Deuta in Bergisch Gladbach werden regulär Beschäftigte
sogar entlassen und durch Leiharbeiter ersetzt.
2. Leiharbeiter in Vollzeit erhalten Teilzeitlohn
Der Verleiher Allbecon lässt seine Beschäftigten 152 Stunden im Monat arbeiten, zahlt aber nur
den Lohn für 110 Stunden, neuerdings sogar nur für 60 Stunden.
3. Verleiher verstoßen gegen Tarifverträge
In Umfragen beklagen Leiharbeiter falsche Eingruppierungen und Stundenlöhne, ausbleibende
Einkommenserhöhungen und Zulagen sowie Umgehungen von Urlaubs- und Weihnachtsgeld.
4. Leiharbeiter zahlen doppelten Kantinenpreis
Bei Nokia zahlen Leiharbeiter doppelt so viel für das Kantinenessen wie Stammbeschäftigte,
obwohl sie nur halb so viel verdienen.
5. Eingruppierungsansprüche werden unterlaufen
Leiharbeiter sind oft Facharbeiter und üben höherwertige Tätigkeiten aus, als im Arbeitsvertrag
vereinbart. Dadurch entgehen ihnen ein bis zwei Euro die Stunde.
6. In verleihfreier Zeit wird Zwangsurlaub verfügt
Kann ein Verleiher seine Beschäftigten nicht einsetzen, muss er sie dennoch entlohnen. Häufig
werden Leiharbeiter jedoch vor die Alternative Urlaub oder Entlassung gestellt.
7. Unternehmenseigene Verleiher bereichern sich Hella in Paderborn und Krone in Spelle haben
eigene Verleihfirmen gegründet, sie verdienen zweimal: Sie sparen die Entleihkosten und zahlen
den Leiharbeitern weniger als den Stammbeschäftigten.
8. Leiharbeitern werden Bankkredite verweigert
Kreditinstitute wie comdirect lehnen es ab, Leiharbeitern Geld zu leihen.
9. Verleiher verhängt Vertragsstrafe
Das Zeitarbeitsunternehmen WIR verhängt Vertragsstrafen von 147 Euro, wenn sich die Beschäftigten nicht bis morgens um 9 Uhr krank gemeldet haben.
Für IG Metall-Bezirksleiter Detlef Wetzel sind die aufgedeckten Missstände nur "die Spitze des
Eisbergs".
Die IG Metall NRW schätzt, dass in ihrem Organisationsbereich 100 000 Leiharbeiter tätig sind,
d.h. jeder zehnte Beschäftigte ist Leiharbeiter - Tendenz steigend. 300 Leiharbeiter sind seit
Beginn der Kampagne "Gleiche Arbeit - Gleiches Geld" der IG Metall beigetreten
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