Frank Kressing Abschlußbericht zum - Phil.
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Frank Kressing Abschlußbericht zum - Phil.
Frank Kressing Abschlußbericht zum Forschungsprojekt Fremdheitslage, Fremdheitslast und Fremdheitslösungen im buddhistischen Ladakh – Perzeptions- und Abgrenzungsmechanismen in einer Region des indischen Himalayas - gefördert von der Stiftung Volkswagenwerk 1998 – 2001 Teilprojekt (2): Schamanenproliferation in Ladakh1 INHALTSVERZEICHNIS Seite A. EINLEITUNG 3 1. Schamanismus: Grundbegriffe 3 1.1. 1.2. 1.3. 1.4. 3 .7 9 10 2. Definitionen des Schamanismus Zur Phänomenologie der schamanischen Trance Berufung und Initiation des Schamanen/ der Schamanin Alter, Herkunft und Verbreitung des Schamanismus Schamanismus in Ladakh 12 2.1. Die Besonderheiten des Schamanismus in Ladakh 13 2.1.1. 2.1.2. 2.1.3. 2.1.4. 2.1.5. 2.1.6. 2.1.7. Die Proliferation des Schamanismus in Ladakh Oracles: in Ladakh: Dorforakel versus Klosterorakel Rituelle und soziale Funktionen der Schamaninnen und Schamanen Der Charakter der Trance Berufung, Initiation und Ausbildung Das Verhältnis von Schamanismus und Buddhismus Zusammenfassung: Die Besonderheiten des Schamanismus in Ladakh 13 14 14 15 16 18 18 2.2. Der Stand der bisherigen Forschung zum Schamanismus in Ladakh 20 3. Die Fragestellung des vorliegenden Projektes 20 4. Die Einordnung der Fragestellung 23 4.1. 4.2. 4.3. 24 25 31 Schamanismus und Buddhismus im Kontext des Synkretismus Revitalisierung und Proliferation des Schamanismus Die Wiederbelebung des Schamanismus in Sibirien - Fallbeispiele 2 4.3.1. 4.3.2. 4.3.3. 4.3.4. 4.3.5. 4.4.6. 5. Sacha / Jakutien Tyva Burjatien Die manschutungusischen Völker des Fernen Ostens Uralische Völker Westsibiriens Zusammenfassende Bemerkungen zur Revitalisierung ("Renaissance") des Schamanismus in Nordasien 33 35 36 37 39 39 Untersuchungsmethode und Datenbasis 40 5.1. 5.2. 5.3. 40 41 42 Untersuchungsmethode und sample Die Datenbasis Die Auswertung der Daten B. ERGEBNISSE 44 1. 2. Belege zur Proliferation des schamanischen Angebots Ursachentheorien zum Berufungszuwachs 44 49 2.1. 2.2. 2.3. 2.4. 49 62 67 74 3. Schamanen Klienten und potentielle Klienten Angehörige des buddhistischen Klerus Hypothesen zur Bewertung Ursachentheorien zum Bedarfszuwachs 80 3.1. 3.2. 3.3. 80 93 98 Schamaninnen und Schamanen Klienten und potentielle Klienten Hypothesen zur Bewertung C. DISKUSSION DER ERGEBNISSE 100 1. Die Ursachentheorien im Kontext der Akulturationsbegrifflichkeit 101 Die Ursachentheorien im Kontext von Revitalisierungskonzepten Offene Fragestellungen und Anregungen für künftige Forschung (Desiderata) 107 108 2 3. Literaturverzeichnis Glossar Danksagung 1 Unveröffentlichtes Manuskript, 2001. 110 119 125 3 A. EINLEITUNG In Ladakh2 ist in den letzten Jahrzehnten eine bemerkenswerte Ausweitung schamanischer Praktiken der als oracle (lha mo, lha pa) bezeichneten Volksheilerinnen und -heiler zu verzeichnen, so daß sich von einer "Proliferation" des Schamanismus sprechen läßt. Diese Proliferation findet auf zwei Ebenen statt: (1) Weitaus mehr Menschen als früher werden zu Schamanen berufen (Berufungsaspekt). (2) Es gibt ein weitaus größeres Klientel als früher (Aspekt des Bedarfs an schamanischer Heilung). Diese sprunghafte Zunahme der Schamanen und ihrer Heil- und Divinationstätigkeit in Ladakh soll im folgenden mit der rezenten Ausweitung schamanischer Praktiken in anderen Teilen der Welt (namentlich Sibirien als dem Gebiet des "klassischen Schamanismus") verglichen werden (Kap. 3), wobei diesem Vergleich zunächst einige Definitionen und Begriffsbestimmungen vorausgeschickt (Kap. 1) und die spezifischen Besonderheiten des Schamanismus in Ladakh herausgestellt werden (Kap. 2). 1. Schamanismus: Grundbegriffe Überblick über Kap. 1 1.1. 1.2. 1.3. 1.4. Definitionen des Schamanismus Zur Phänomenologie der schamanischen Trance Berufung und Initiation des Schamanen / der Schamanin Alter, Herkunft und Verbreitung des Schamanismus 1.1. Definitionen des Schamanismus Definitionen des Schamanismus wurden mit unterschiedlicher Akzentsetzung u.a. von ELIADE (1957), HULTKRANTZ (1973, 1978), LOMMEL (1980), JOHANSEN (z. B. 1999) und VAJDA 2 Zur besseren Vertrautheit mit der Region Ladakh empfiehlt es sich, Kap. 2: „Die Untersuchungsregion“ in Frank Kressing: Abschlußbericht für das von der Stiftung Volkswagenwerk geförderte Forschungsprojekt Fremdheitslage, Fremdheitslast und Fremdheitslösungen im buddhistischen Ladakh –Perzeptions- und Abgrenzungsmechanismen in einer Region des indischen Himalayas (1998 – 2001) - Teilprojekt (1): Subjektive Fremdheitserfahrung in Ladakh (= Subjektive_ Fremdheitslage_in_Ladakh), S. 6 ff. zu lesen. 4 (1959)3 vorgelegt. Bis auf wenige Ausnahmen (z.B. CHANG 1993; POTAPOV 1991; PUSTOGACHEV 1997) gehen alle Autoren davon aus, daß der Schamanismus keine Religion darstellt, sondern vielmehr ein Ritual- und Überzeugungssystem, welches die Handlungen des Schamanen umgibt und mit anderen religiösen Systemen verknüpft sein kann (vgl. SIIKALA 1987:208-215). Seine wichtigsten Elemente sind: (1) Schamanen können sich in voller Absicht in einen Zustand der Trance oder rituellen Ekstase versetzen, in dem sie mit ihrer Umgebung kommunizieren4 (2) die Existenz von Hilfs- und Schutzgeistern5 (3) die schamanische Berufung6 und Initiation (4) die Jenseits- oder Himmelsreise (5) eine spezifische Kosmologie mit mehreren Weltschichten (Ober-, Mittel/Erd- und Unterwelt), welche durch eine vertikale Achse (Weltenbaum, Weltenberg; axis mundi) miteinander verbunden sind. (6) bestimmte Aufgaben im Dienste einer menschlichen Gemeinschaft,7 vornehmlich Heilung, Divination (Orakelwesen) und Sicherung kosmischer Harmonie sowie die Begleitung der Totenseelen als sogenannter psychopompos. (7) Heilung durch Zurückholen der entschwundenen Seele (oder eines ihrer Aspekte) oder durch Aussaugen krankheitsverursachender Objekte. (8) Schamanen sind Träger einer spezifischen Kulturtradition.8 3 VAJDA (1959:456-475) nennt als definitorische Merkmale des Schamanismus: "a) rituelle Ekstase, b) theriomorphe Hilfsgeister, c) Berufung und nicht theriomorphe Schutzgeister, d) die Schama- neninitiation, e) die Jenseitsreise, f) die schamanische Kosmologie, g) den Schamanenkampf, h) die Schamanausrüstung". 4 JOHANSEN (1999:41), vgl. HULTKRANTZ (1978:11): "The central idea of shamanism is to establish means of contact with the supernatural world by the ecstatic experience of the professional and inspired intermediary, the shaman. There are thus four important constituents of shamanism: the ideological premise, or the supernatural world and the contacts with it; the shaman as the actor on behalf of a human group; the inspiration granted him by his helping spirits; and the extraordinary, ecstatic experience of the shaman". 5 "In this state of consciousness they are able to communicate with imagined beings (non-existent from a scientific point of view) whose form is determined by the religion under which they possess their vocation" (JOHANSEN 1999:41). 6 Oft nach schwerer psychischer Krise, vgl. JOHANSEN (1999:41). 7 "They generally induce the religious motivated state of altered consciousness in the interest of, and in accordance with, the whole of their society, in which they act as religious interpreters and to which they convey a feeling of security in relation to the powers of the other world“ (JOHANSEN 1999:41). 8 "In the directly visible forms of their activities, for example in ritual clothing, during rituals or in the preparation of their locality, they are bearers of a tradition" (JOHANSEN 1999:41). 5 SIIKALA (1987:208) gibt folgende Kurzdefinition des nord- und innerasiatischen Schamanismus: "Shamanism is founded on a special technique for achieving ecstasy by means of which the shaman enters an altered state of consciousness, and on the idea that the shaman is accompanied by helping spirits who assist him in this state. While in a state of trance, the shaman is regarded as capable of direct communication with representatives of the other world, either by journeying to the supernatural world or by calling the spirits to the séance. He is thus able to help his fellow men in crises believed to be caused by the spirits and to act as a concrete mediator between this world and the otherworld in accompanying a soul to the otherworld, or fetching it from the domain of the spirits. The shaman acts as a healer and as a patron of hunting and fertility, but also as a diviner, the guardian of livelihoods, and so on." Bei allen Autoren gilt als zentrales Element des Schamanismus gilt die Trance oder rituelle Ekstase, ein außergewöhnlicher Bewußtseinszustand (ASC = altered state of consciousness),9 der vom normalen Alltagsbewußtsein stark abweicht und damit die Fähigkeit des Schamanen zur Heilung und Weissagung überhaupt erst möglich macht.10 Schamanistische Heilverfahren machen sich somit die non-ordinary reality (SCHARFETTER 1999) zunutze, indem sie zur Heilung verschiedene menschliche Bewußtseinsbereiche miteinander verbinden. Die Trance kann in zwei Formen auftreten: (1) Als sogenanntes "Besessenheits-Phänomen", d.b., daß übernatürliche Geistwesen vom Schamanen Besitz ergreifen und seinen Bewußtseinszustand verändern. (2) als Himmels- oder Jenseitsreise des Schamanen in die Ober- oder Unterwelt.11 9 Siehe BOURGUIGNON (1976, 1979, 1989), DITTRICH & SCHARFETTER (1987:35, 36), PETERS (1989), WINKELMAN (1990). 10 Für den sibirischen Schamanismus gilt die Ekstasetechnik als zentrales Element (KÖHLER 1990:259; ELIADE 1957; LOMMEL 1980:7). JOHANSEN (1999:41,42) sieht religiöse Trance als ein Konzept an, welches die Übernahme einer religiösen Rolle ("religious role-taking") umfassen kann. Die Übernahme einer religiösen Rolle in Trance kann sich sowohl als Ekstase als auch als "Besessenheit" manifestieren: "I use 'religious trance', 'a specific religious form of suggestive absorption' (Arbmann 1963:XV; Hultkrantz 1978:41), as a concept subordinate to 'religious roletaking', which includes the subjective experience of different roles : ecstasy - when consciousness leaves the self to go on soul journeys- on the one hand, and possession - subjective experience of entry of another being in one's self - on the other. In Siberian shamanism ecstasy prevails ... In the shamanism of southernmost Siberia, as in the steppes, in Tibet, Korea and China, possession is characteristic". 11 PETERS & PRICE-WILLIAMS (1980:414-418) postulieren folgende konstituierende Merkmale des Schamanismus: (1) Trance (2) Trance in Verbindung mit Besessenheit, (3) mythischer Seelenflug – Himmels- bzw. Unterweltreise des Schamanen, (4) Kontrolle des ekstatischen Zustandes, (5) Erinnerung an Zustände in der Ekstase, (6) kulturelle Handlungsfähigkeit in Trance; vgl. DOBKIN 6 Dementsprechend wird in der deutschsprachigen Literatur zum Schamanismus (z. B. FINDEISEN 1957; THIEL 1984:134, 1992:177) häufig zwischen dem sogenannten "Wanderschamanismus" und Zuständen der schamanischen "Besessenheit" unterschieden: Beim ersten Zustand wird davon ausgegangen, daß Geister (oder göttliche Wesen) vom Körper des Schamanen Besitz ergreifen, dem zweiten Zustand liegt die Vorstellung zugrunde, daß der Schamane seine Seele (oder Aspekte seiner Seele gemäß den multiplen Seelenvorstellungen schamanischer Kulturen) ausschickt. Die Vorstellung vom Seelenflug setzt zwei Grundannahmen voraus: (1) Es gibt eine kosmische Struktur mit (mindestens) drei Ebenen: Ober-, Erd- und Unterwelt, verbunden durch eine vertikale Weltachse in Gestalt eines Weltenbaumes oder Weltenberges. Gemäß dieser Vorstellung besteht der Himmel (die Oberwelt) meist aus sieben oder neun verschiedenen Schichten (SIIKALA 1987:211), z.T. auch die Unterwelt. (2) Es wird zwischen mindestens zwei verschiedenen "Seelen" oder "Seelenaspekten" unterschieden: einer "Körperseele", die für die vegetativen Funktionen zuständig ist, und einer flüchtigen "Freiseele", den den Körper im Traum oder in außergewöhnlichen Bewußtseinszuständen (ASC, z.B. in Trance) verlassen kann (PAULSON 1958). Dementsprechend gelten Seelenraub und Seelenverlust im schamanischen Weltbild als häufige Krankheitsursachen. Tatsächlich sind die kulturspezifischen Seelenvorstellungen meist noch um ein Vielfaches komplexer und umfassen u.a. Atemseelen, Schattenseelen und Seelenaspekte als spirituelle Doppelgänger. - Die wichtigsten Aufgabe des Schamanen bestehen in der Heilung und der Vorhersage der Zukunft, daneben (in jägerischen Kulturen Sibiriens und auch des südamerikanischen Tieflandes) auch in der Sicherung des Jagdglücks und kosmischer Harmonie: "Daneben fungiert [der Schamane oder die Schamanin] .. aber auch als Wahrsager, Opferpriester, Totenführer ... und Regenzauberer, Zeremonienmeister, Hüter religiöser Traditionen und Mythen, Sänger, Tänzer, Künstler ..." (HIRSCHBERG 1988:416). Alle diese Tätigkeiten werden im Zustand der Ekstase ausgeführt, welche durch das Schlagen der Trommel, Musik, Rezitation, Drogengenuß (vor allem in Südamerika; FURST 1987:220-222) und vielfältige Formen der Deprivation (Hunger, Kälte, Einsamkeit, Selbstverstümmelung; vgl. GILL 1987:216) hervorgerufen werden kann. Während der Ekstase werden Schutz- und/oder Hilfsgeister angerufen, mit deren Hilfe der Schamane die Krankeitsursache erfahren kann. Je nach Diagnose werden vornehmlich zwei Therapieformen angewandt: (1) beim Verlust der Seele des Kranken fängt der Schamane diese wieder ein und begibt sich dazu auf die Jenseits- oder Himmelsreise (mythischer Seelenflug). Dabei müssen häufig DE RIOS & WINKELMAN (1989, mit Bezug auf ELIADE 1957), welche als Merkmale des Schama- nentums die Ekstase im Auftrag der Gemeinschaft, den mythischen Seelenflug (Charakteristikum von Schamanismus, aber keine notwendige Bedingung schamanistischer Betätigung); die schamanische Krise und die Erwählung von oder durch Geister ansehen. 7 übelwollende Geistwesen, welche die Krankheit hervorgerufen oder von der Seele des Kranken Besitz ergriffen haben, bekämpft werden - diese Kämpfe finden häufig in Gestalt des Schutzgeistes als Alter Ego des Schamanen (z.T. Tierverwandlung) statt. In ähnlicher Weise können entführte Seelen gegen andere menschliche oder Tierseelen eingetauscht oder kann über die Seelen zu erlegender Jagdtiere verhandelt werden. (2) Verderblich wirkende Substanzen werden aus dem Körper des Patienten ausgesaugt. Sie manifestieren sich beispielsweise in Gestalt von Würmern, rostigen Nägeln, Blut- und Schleimklumpen, Kieselsteinen, kleinen Fischen oder Schlangen, Knochensplittern oder blutigen Kristallen. Zur materiellen Grundausstattung (den "Paraphernalia") des Schamanen gehören: - die Schamanentrommel (meist eine Rahmentrommel), in Süd- und Mesoamerika häufig durch Rasseln ersetzt (FURST 1976b:219, 220; KÖHLER 1990:261) Schamanenkronen (vornehmlich aus Geweihteilen oder Federn zusammengesetzt, vgl. auch die fünfzackige Krone – ringa /rigs lnga - ladakhischer Schamanen) Amulette, welche mit Schutz- und Hilfsgeistern assoziiert werden. die Schamanentracht (häufig mit Hinweisen auf Tiergeister oder Metallgegenständen auf der Kleidung, in Sibirien oft mit Skelettdarstellungen; vgl. SIIKALA 1987:213). 1.2. Zur Phänomenologie der schamanischen Trance Veränderte Bewußtseinszustände (=ASC) treten in mehr als 90% aller menschlichen Kulturen auf und werden in der Regel als Ausdruck erweiterten Bewußtseins hoch geschätzt (BOURGUIGNON 1979:247). Nach LUDWIG (1968:235) definieren sich ASC-Zustände durch "...(1) reduction of exteroceptive stimulation and / or motoric activity, (2) increase of exteroceptive stimulation and/or motoric activity, (3) increase of alertness or mental involvement, (4) decrease of alertness or mental involvement, (5) a series of 'somatopsychological factors'." Innerhalb der Variationsbreite dieser Zustände lassen sich "Trance" und "Besessenheit" als unterschiedliche Formen gegensätzlichen Charakters unterscheiden (BOURGUIGNON 1976, 1979; DOBKIN DE RIOS & WINKELMAN 1989, PETERS 1989). Diese beiden Formen unterschiedlicher ASC-Zustände weisen eine ganz verschiedene Verbreitung auf: Nach BOURGUIGNON sind "Besessenheitsphänomene" in 74% von 488 untersuchten Gesellschaften vertreten12 und regional sehr unterschiedlich verteilt: Die höchste Dichte findet sich in Ozeanien, die niedrigste in Amerika (Nordamerika: 52%; Südamerika: 64%). Dieselbe Autorin sieht eine direkte Korrelation zwischen diesen beiden verschiedenen ASC-Zuständen und bestimmten Gesellschaftsstrukturen: Nach BOURGUIGNON ist Trance13 mit der Kontrolle 12 Grundlage dieser Erhebung ist der Ethnographic Atlas von MURDOCK (1969). 13 Im Gegensatz zu ROUGET (1985)von mir synonym mit Ekstase verwandt. 8 und Meisterung von ASC-Zuständen, der Manipulation der Geister und der aktiven Reise zu diesen Wesenheiten verbunden ("Wanderschamanismus"). Nach ihr fördert das Phänomen der Trance eine Geisteshaltung, in der das Individuum als autonomes Wesen angesehen wird, welches sich der Geister bedient. Unter der Vorannahme, daß die spirituellen Vorstellungen einer Kultur auch die gesellschaftlichen Wertvorstellungen wiederspiegeln, ist das Phänomen der Trance für Jäger-, Sammler- und Pflanzerkulturen typisch, in denen segmentäre statt hierarchischer Strukturen herrschen, und in denen die Unterordnung des Individuums unter zentrale Autoritäten wenig ausgeprägt ist. - "Besessenheit" (possession) ist nach ihrer Ansicht damit verbunden, daß Menschen von den Geistern manipuliert werden, diesen ausgeliefert sind und ein Vehikel dieser Geister darstellen. Im Gegensatz zur "Trance" tritt "Besessenheit" in komplexen Agrargesellschaften (sowohl mit stattlicher als auch mit nicht-staatlicher Organisation) auf. Im selben Maße, wie dort die Menschen der Autorität der Führungsschicht unterworfen sind, unterwerfen sie sich in Zuständen des ASC auch den "Geistern", welche von ihnen Besitz ergreifen, und von denen sie manipuliert werden. Im ASC-Zustand der "Besessenheit" steht somit das passive Element im Vordergrund. Darüber hinaus weisen beide Phänomene nach BOURGUIGNON auch einen geschlechtsspezifischen Charakter auf: Die schamanische Trance ist mit männlicher spiritueller Betätigung und (wenn auch nicht ausschließlich) mit der Tendenz zur drogeninduzierten Trance mit Hilfe von Halluzinogenen assoziiert,14 "Besessenheitskulte" sind vor allem in männerzentrierten Gesellschaften mit rigider Sozialkontrolle verbreitet und werden dort von Frauen ausgeübt, welche sich damit die Möglichkeit erschließen, dieser randständigen Position - zumindest zeitweise, in Zuständen veränderten Bewußtseins - zu entkommen.15 Bessessenheitskulte erhalten somit eine Ventil- und Kompensationsfunktion. Folgt man dieser Betrachtungsweise, so sollte Schamanismus idealerweise mit (1) Tranceinduktion, (2) der Abwesenheit von "Besessenheits"-Phänomenen (3) mythischem Seelenflug als aktiver Reise zu den Geistern, (4) der Kontrolle des ekstatischen Zustandes,16 (5) der Erinnerung an Zustände während der Ekstase17 und (6) der Handlungsfähigkeit in Trance einhergehen. Im Gegensatz dazu zeigt meine vergleichende Erhebung (KRESSING 1997) zur schamanischen Performanz in Nord- und Zentralasien, Nord- und Mesoamerika, Südamerika und den SüdAnden, daß die schamanische Trance in fast 60% der behandelten Fälle mit Phänomenen der 14 Vgl. DOBKIN DE RIOS & WINKELMAN (1989:2-5); FURST (1976); ROSENBOHM (1991:22); SCHUL-TES, HOFMANN & RÄTSCH (1998:30); LA BARRE (1970:76). 15 Als Beispiel dafür wird gern der in Äthiopien, Nubien und Ägypten verbreitet Zar-Kult genannt. 16 Nach LEWIS (1971) ist die Kontrolle der Geister durch den Schamanen eine Grundeigenschaft schamanischer Betätigung überhaupt. 17 Nach PETERS (1989:115) gehen schamanische Praktiken mit dem bewußten Erleben des SSC (shamanic states of consciousness) als einer besonderen Form von Trance und dem Erinnerungsvermögen des Schamanen einher. 9 sogenannten "Besessenheit", der "Verkörperlichung" (embodiment) von Geistwesen,18 oder possession trance einhergeht. In Übereinstimmung damit gehen in emischer Betrachtungsweise eine ganze Reihe von Kulturen mit schamanischen Zügen davon aus, daß ihre religiösen Funktionäre sehr wohl von Geistern oder Göttern "besessen" sein können - als Indizien dafür werden die Übernahme einer anderen Sprache, Unempfindlichkeit gegenüber Feuer, Unverwundbarkeits usw. angesehen. - In 63% der untersuchten Fälle läßt sich die Vorstellung nachweisen, daß die Seele des Schamanen oder der Schamanin eine Reise in die Ober- oder Unterwelt unternimmt.19 Die Trance des Schamanen oder der Schamanin wird in fast der Hälfte der untersuchten Studien als kontrolliert angesehen. Damit stützt dieses Ergebnis PETERs (1989) Auffassung, daß die "Verkörperung" (embodiment) von Geistwesen in Trance nicht notwendigerweise im Widerspruch zur Kontrolle des schamanischen Zustandes und den Erinnerungen daran stehen muß.20 Die Amnesie des Schamanen oder der Schamanin läßt sich lediglich in 15% der behandelten Studien als Merkmal der Trance nachweisen - in fast 30% der Studien wird davon ausgegangen, daß der Schamane oder die Schamanin die vollständige Erinnerung an die Trancezustände hat.21 Die Interaktionsfähigkeit des Schamanen in Trance ist bei fast 26% der Studien nachweisbar - gegenteilige Belege finden sich in der gesichteten Literatur nicht.22 1.3. Berufung und Initiation des Schamanen / der Schamanin Schamanen werden meist unfreiwillig berufen. Dies kann während schwerer Lebenskrisen, im Laufe einer physischen oder psychischen Krankheit, durch Blitzschlag, im Traum oder durch Visionen geschehen (ELIADE 1987:202, 203). Kennzeichnend ist dabei, daß dem zukünftigen Schamanen während der Berufungsphase übernatürliche Wesen, Geister oder Gottheiten, erscheinen (EBD.). Teilweise wird er auch mit einer "Geisterfrau" (spirit wife) oder einem "Geistermann" verheiratet (KÖHLER 1990, MADSEN 1955:49 ff.). Zu unterscheiden ist zwischen der Begegnung mit einem (oder mehreren) Schutzgeistern, die dem späteren Schlammen seine Fähigkeiten vermitteln, und der Begegnung mit den zahlreichen Hilfsgeistern, die sich der Schamane dienstbar macht, damit sie ihm während der Trance helfen. Die Hilfs- und der Schutzgeist des Schamanen, welcher sein spirituelles Doppel (Alter Ego) verkörpert, sind 18 Vgl. die Vorstellung des lus gyar (gesprochen [luyer]), des ausgeliehenen Körpers (rented body) im ladakhischen Schamanismus. 19 Interessanterweise wird diesem Aspekt - obwohl er zu den Grundkonstituenten des Schamanismus zählt, s.o. - in 15% der zugrunde gelegten Studien keine Beachtung geschenkt. 20 In fast 40% der behandelten Studien findet dieses Phänomen keine Beachtung. 21 Über die Hälfte der gesichteten Schamanismusstudien schenkt dieser Fragestellung keine Beachtung. 22 Allerdings widmen auch ¾ aller Schamanismusstudien der Handlungsfähigkeit des Schamanen oder der Schamanin in Trance keine Aufmerksamkeit. 10 häufig tiergestaltig (vor allem in Jäger- und Viehzüchterkulturen). Die Berufung des Schamanen ist in der Regel mit sozial auffälligem Verhalten ("Verrücktheit") verknüpft und wirft die Frage nach möglichen psychopathologischen Grundlagen des Schamanismus auf (vgl. ELIADE 1987:203). Sensible Persönlichkeiten oder Menschen, welche für neurologische Leiden anfällig sind, werden besonders häufig von dem oben beschriebenen schamanistischen Berufungsphönomenen heimgesucht; psychische und physische Extremzustäne - sogenannte "Deprivationen" wie Krankheit, Hunger, Kälte, Einsamkeit, Dunkelheit oder der Gebrauch halluzinogener Pflanzen23 begünstigen das Berufungserlebnis und damit verbundene Visionen. Einige Autoren - allen voran OHLMARCKS 1939 mit seiner These von der "arktischen Hysterie"- gingen soweit, die schamanistische Trance allein auf neurotische Persönlichkeitsmerkmale in Kombination mit Hunger, Kälte und Einsamkeit zurückzuführen, übersahen dabei allerdings geflissentlich, daß der zukünftige Schamane im Verlauf seiner Initiation die Berufungskrise überwindet und sich aufgrund seiner neu erworbenen spirituellen Fähigkeiten selbst davon heilt (ELIADE ebd.; SIIKALA 1987:211) - dies im Verlauf einer oft mehrjährigen Lehrzeit bei einem älteren, erfahrenen Schamanen und weiterer Unterrichtungen durch Schutz- und Hilfsgeister in Trance (EBD.; ELIADE 1987:210). Zur Initiation des sibirischen Schamanen gehört das Erlebnis von Tod und Wiedergeburt (SIIKALA ebd.). In Träumen und Halluzinationen wird der zukünftige Schamane von Dämonen gepeinigt, sein Kopf wird abgeschnitten, sein Leib zerstückelt, häufig sogar sein Skelett in seine Einzelbestandteile zerlegt und mit eisernen Verbindungen wieder zusammengesetzt oder ganz durch metallene Knochen ersetzt (vgl. SCHRAFFIERTER: "Der eiserne Schamane"). Die abgeschlossene Lehrzeit und Initiation des Schamanen wird häufig, aber nicht bei allen Eth-nien, vor der gesamten Sozialgruppe (Dorf- oder Jurtengemeinschaft, Clan oder Jagdlager) durch Tänze und Zeremonien oder ähnliche rites de passage dokumentiert.24 1.4. Alter, Herkunft und Verbreitung des Schamanismus Hier stehen sich im wesentlichen zwei kontroverse Einstellungen gegenüber: (1) Schamanismus repräsentiert ein "rein religiöses Substrat", das einer "jägerischen Grundschicht" im menschlichen Bewußtsein entsprechen soll. Es handelt sich demnach um einen aus bestimmten definitorischen Elementen zusammengesetzten Bedeutungskomplex (s. o.), der in regional und historisch differenzierter Form auftritt und sich bei den- 23 Zu nennen sind hier als Beispiele für viele andere Fliegenpilz, Psilocybe, Peyote, Ayahuasca, der San Pedro-Kaktus und verschiedene Nachtschattengewächse wie Datura (Stechapfel), Brugmansia (Engelstrompete) sowie Tabak; vgl. FURST (1987:221, 222); GILL (1987:218); SIIKALA (1987: 214). 24 Vgl. z. B. die besonders umfangreichen Schamaneninitiationen bei den nordmongolischen Burjaten (BALZER 1987). 11 jenigen Ethnien am umfangreichsten erhalten hat, die noch in jüngster Zeit unter den Bedingungen paläolithischer Großwildjäger leben, d.h. in der Arktis und Subarktis Eurasiens (vgl. JANHUNEN 1996) und Nordamerikas. Autoren wie z.B. KIRCHNER (1952) und NARR (1959) glaubten den schamanischen Kulturkomplex bis ins Jungpaläolithikum, LOMMEL (1965:173) sogar über 50 000 Jahre zurückverfolgen zu können, und halten Schamanen für die ersten Künstler überhaupt (LOMMEL 1980:207 ff.), LA BARRE (1970) sah die gesamte amerindianische Religion als Auswuchs der meso- und paläolithischen schamanischen Religion Nordasiens an. Diese Ansätze entbehren natürlich nicht eines starken spekulativen Grundgehalts (vgl. HULTKRANTZ 1989:43).25 (2) Demgegenüber gibt es andere Stimmen - vor allem aus der kulturhistorischen Schule der deutschsprachigen Ethnologie -, die den Schamanismus für eine relativ junge Erscheinung halten , welche kaum älter als die Bronzezeit sei und auf vorder- und südasiatische Kultureinflüsse im nördlichen Asien zurückgehe.26 Eindeutige archäologische Relikte Schamanismus finden sich in Ausgrabungen in der östlichen Mongolei (Čojbalsan; NOVGORODOVA 1989:77ff., OPPITZ, pers. Mitt. 1997) und im Baikal-Gebiet (OKLADNIKOV 1955: 236, 349 ff.), welche auf den Beginn des 3. Jht. v. u. Z. bzw. auf die Zeit zwischen 1700 und 1300 v. Chr.27 datiert werden (JOHANSEN 1999:46), sowie in frühen chinesischen Quellen aus derselben Zeit.28 Somit kann die Kontinuität schamanischer Tätigkeit - zumindest im nördlichen Asien - über fünftausend Jahre hinweg zurückverfolgt werden (OPPITZ, pers. Mitt.). Schamanismus mit den oben beschriebenen klassifikatorischen Merkmalen findet sich in der heutigen Zeit bei den indigenen Ethnien Nord- und Zentralasiens sowie auf dem amerikanischen Doppelkontinent (vgl. ELITE; FURST; GILL; SIIKALA, jeweils 1987). Bestimmte Elemente des schamanischen Heil- und Divinationskomplexes sind auch über das Verbreitungsgebiet des eigentlichen Schamanismus hinaus zu finden, ohne daß die entsprechenden Heiler und Orakel deshalb notwendiger weise als Schamanen zu bezeichnen sind29 - insbesondere in Nordamerika sind "Versatzstücke" des schamanischen Kul- 25 Für eine Zusammenfassung zu diesem Thema s. JOHANSEN (1999:42 ff.). 26 KOPPERS (1940/41:809 ff.); SCHMIDT (1949); vgl. ELIADE (1957); SCHRÖDER (1964:297-299); VAJDA (1959:479): Der "schamanistische Komplex [ist als ] ... ein Produkt von fruchtbaren Wechselwirkungen zwischen südlich-agrarischen und nördlich-jägerischen Kulturen ... phaseologisch jung. Sein absolutes Alter reicht deshalb möglicherweise nicht weiter als höchstens in die Bronze-zeit zurück". 27 Die sogenannte Glazkovo-Periode; vgl. OKLADNIKOV ebd. 28 Mit Bezug auf Schamanen (wu) bei den Hsiung-nu und T'u-küe, welche gemeinhin als Vorfahren der heutigen Turktataren angesehen werden (EBD.:47ff.). 29 Vgl. ELIADE (1987:202): "... the presence of a shamanic complex in one religion or the other does not necessarily mean that the magico-religious life of the corresponding people is crystallized around shamanism". 12 turkomplexes in einer Vielzahl von Kollektivritualen verbreitet;30 in Südamerika weist vor allem der Schamanismus der Feuerländer31 und der Araukaner (Mapuche) viele Gemeinsamkeiten mit Nordasien auf (GILL 1987: 219). 2. Schamanismus in Ladakh Nach einem allgemeinen Überblick über den Schamanismus als überregionalem Phänomen sollen nun die Besonderheiten des ladakhischen Schamanismus und der bisherige Forschungstand zu diesem Thema vorgestellt werden. Die Datengrundlage dafür besteht einerseits in der Auswertung der bislang zu diesem Thema vorliegenden Literatur,32 andererseits in eigenen teilnehmenden Beobachtungen und Informationsgesprächen mit Schamaninnen und Schamanen.33 30 Z.B. das Aussaugen krankheitsverursachender Objekte, die Suche nach einem individuellen Schutzgeist, das "Einschließen" einer magischen Muschel, spirit lodges wie etwa das shaking tent; vgl. GILL (1987:218). HULTKRANTZ (1973:25-37) gelangte zu der "... conclusion that most North American practices are pseudoshamanism, since ecstasy is not widespread ... ecstasy in shamanism occurs rarely beyond the Sub-Arctic and the Northwest Coast" (EBD.). Für eine Definition des Schamanen im nordamerikanischen Kontext vgl. FEEST (2000:455): "Schamane (aus dem sibi- rischen Ewenkischen), eine Person, die in einem absichtlich herbeigeführten Zustand der Ekstase mit übernatürlichen Wesen in Verbindung tritt, indem sich ihre Seele ins Jenseits begibt, ihre Hilfsgeister zu sich ruft oder von ihnen besessen wird. Oft wird als S. [Schamane] auch jeder religiöse Funktionär bezeichnet, der nicht als 'Priester' routinemäßig komplexe Zeremonien eines regelmäßigen Ritualkalenders durchführt und Teile einer durch das Vorhandensein dauerhafter Kultstätten, organisierten Klerus und die geschäftsmäßige Abwicklung der heiligen Handlungen charakterisierten Religion ist. Die Tatsache, daß in vielen Kulturen Nordamerikas jedermann (und teilweise auch Frauen) durch Träume und Visionen Zugang zum Übernatürlichen haben kann (Æ Visionssuche), rückt viele religiöse Praktiken in das Umfeld des Schamanismus, doch fehlt in vielen Fällen der ekstatische Zustand bei der Ausübung der so erworbenen Fähigkeiten. Die größten Ähnlichkeiten zu sibirischen S. [Schamanen] finden sich in der Arktis und in Teilen des westlichen Nordamerika. Die Verwendung des Begriffs S. für jeden Medizinmann oder rituellen Spezialisten ist jedoch nicht sinnvoll." 31 32 33 Selk'nam (Ona), Yámana (Yahgan) und Halakwalip (Alacaluf). Vgl. BRAUEN (1980); BURKE-MASON (1997); DAY (1989,1990); FRANK (1983); KALWEIT (1987); KAPLANIAN (1984, 1985, 1987, 1992); KRAUSE (1994), KUHN (1988); KUHN & HOFFMANN (1986); O’HARE (1999), RÖSING (1997, 1999a, 1999b); SCHENK (1990, 1993, 1994, 1996); SRINIVAS (1997), WIRZ (1948); YAMADA (1993, 1996) sowie auch die beiden Filme von H. SCHLENKER (1983), Krankenbehandlung durch einen Orakelpriester. 17 Min.; Ausbildung einer Orakelpriesterin, 34 Min, jeweils 16 mm, Institut für den Wissenschaftlichen Film / IWF Göttingen. Jeweils mit IL = Informationsgespräch mit lha mo / lha pa gekennzeichnet. 13 Übersicht über Kap. 2 2.1. Die Besonderheiten des Schamanismus in Ladakh 2.1.1. 2.1.2. 2.1.3. 2.1.4. 2.1.5. 2.1.6. 2.1.7. Die Proliferation des Schamanismus in Ladakh Oracles: Dorforakel versus Klosterorakel Rituelle und soziale Funktionen der Schamanen Der Charakter der Trance Berufung, Initiation und Ausbildung Das Verhältnis von Schamanismus und Buddhismus Zusammenfassung: Die Besonderheiten des Schamanismus in Ladakh 2.2. Der Stand der bisherigen Forschung zum Schamanismus in Ladakh 2.1. Die Besonderheiten des Schamanismus in Ladakh Wie in anderen Regionen des tibetischen Kulturraumes auch, existiert in Ladakh neben dem Buddhismus (und dem Islam) eine vorbuddhistischen, schamanisch geprägte Volksreligion. Das Projekt konzentrierte sich auf den Bereich dieser sogenannten Volksreligion und untersuchte neuere Entwicklungen innerhalb der schamanistischen Tradition Ladakhs. Neben der "offiziellen" Buddhismus tibetischer Prägung ist auch der Schamanismus als autochthone Religion (im Sinne von KOHL 1988) tief in der ladakhischen Bevölkerung verwurzelt. Die in der Literatur auch als "Orakelheiler" oder "Medien" (siehe DAY 1990:26; BERGLIE 1978, 1996; NEBESKY-WOJKOWITZ 1975; STEIN 1993) bezeichneten Schamanen repräsentieren sowohl in Ladakh wie im gesamten tibetischen Kulturraum eine eigene religiöse Schicht, welche nur teilweise vom Symbolssystem des Buddhismus durchdrungen wurde. 2.1.1. Die Proliferation des Schamanismus in Ladakh Zu verstehen ist unter dieser Proliferation eine sprunghafte Zunahme der "Schamanenberufungen" und infolgedessen der Zahl der Schamanenadepten, wobei es sich in der Mehrzahl um Frauen handelt. Diese Proliferation wird in übereinstimmender Weise von allen Beteiligten des volksreligiösen Bereichs bestätigt - sowohl von den Rinpoches (deren Bestätigung als geistlichen Würdenträgern die Schamanenkandidaten bedürfen) als auch von älteren Schamanen, den Jungschamanen in der Ausbildung sowie dem angewachsenen Klientel der Schamanen. Diese Proliferation zeitigt einige gravierende Veränderungen im volksreligiösen Bereich: z Auf die älteren Schamamen kommt eine enorme zusätzliche Ausbildungsaufgabe zu z Die Jungschamanen sehen sich einer erheblichen Konkurrenz untereinander gegenüber z Den Klienten der Schamanen steht eine weit größere Auswahl als früher zur Verfügung. 14 2.1.2. Oracles in Ladakh: Dorforakel versus Klosterorakel Schamaninnen und Schamanen werden auf Ladakhi lha pa (männlich) oder lha mo (weiblich)34 genannt, da sie in Trance-Zustände Gottheiten verkörpern, und beim Gebrauch des Englischen durch Ladakhis als oracle bezeichnet. Die Schamanen nehmen eine ausgesprochen wichtige Stellung im religiösen Alltagsleben der Laienbevölkerung ein, ihre Dienste werden bei allen Arten von Sorgen, Kümmernissen und Beschwerden in Anspruch genommen. Auch wenn sie der vorbuddhistischen Volksreligion entstammen, werden sie von Rinpoches legitimiert, welche ihre Ausbildung und ihre Aktivitäten überwachen. Unter den oracles ist zwischen Dorforakeln (khyim lha; SCHENK 1994:225) und Klosterorakeln zu unterscheiden (DAY 1989:10 ff.; vgl. I-3, I-8). Während letztere in Kollektivrituale im gemeinschaftlichen Auftrag eingebunden sind, führen die Dorforakel auf ein individuelles Klientel ausgerichtete Heilungen und Divinationen aus. Das Ansehen der Klosterorakel ist im allgemeinen höher als das der Dorforakel, auf die sich das Forschungsprojekt konzentriert. 2.1.3. Rituelle und soziale Funktionen der Schamaninnen und Schamanen Die rituellen und sozialen Funktionen der dörflichen Schamaninnen und Schamanen bestehen im Heilen und Wahrsagen. Die Art der Krankheit und ihre Ursache wird entweder anhand der Pulsdiagnose,35 durch Palpation der entsprechenden Körperteile oder durch Divination - meist indem Gersten- oder Reiskörner auf eine kleine Trommel (damaru / daru)36 geworfen und Rückschlüsse aus ihrer Bewegung gezogen werden - durchgeführt (vgl. SCHENK 1994: 200, 201). Die Therapie besteht vornehmlich im Aussagen der krankheitsverursachenden Substanzen aus den verschiedensten Körperteilen mit Hilfe eines kleinen Saugrohrs (puri; vgl. SCHENK 1994:198-200), oder direkt mit dem Mund. Die ausgesaugte Substanz - meist schwarzer oder grünlicher Schleim oder kleine, teerartige Klumpen - wird danach sowohl dem Patienten als auch allen Anwesenden gezeigt und in eine auf dem Boden stehende Schale oder einen Topf gespuckt. Tiere, in erster Linie Hornvieh,37 werden in weitgehend derselben Art wie Menschen behandelt, wobei vor allem Nadeln und andere krankheitsverursachende Objekte aus dem Magen und den Eingeweiden gesaugt werden.38 Manchmal werden Patien34 Siehe Glossar. 35 Eine Form der Diagnose, welche auch bevorzugt von amchis (siehe Glossar) durchgeführt wird. 36 Siehe Glossar. 37 Rinder, dzos (Yak-Rind-Mischlinge) und Yaks bzw. drimos (weiblicher Yak, Yak-Kuh). 38 Vgl. SCHENK (1994:227): "khab - Nadel, spitzer Gegenstand ... khablung - Belehrung eines Schamanen, wie Nadeln und spitze Gegenstände herauszusaugen sind". 15 ten an einen westlich ausgebildeten Allopathen oder einen amchi überwiesen, falls die Schamanin oder der Schamane zu dem Schluß kommt, daß diese ihm besser helfen können (SCHENK 1994:40). Neben physischen Beschwerden werden von den Schamanen auch mentale Störungen behandelt, einschließlich von Krankeiten, welche durch übelwollende Geistwesen oder schwarze Magie hervorgerufen wurden.39 2.1.4. Der Charakter der Trance Neben der Krankenheilung bestehen weitere Aufgaben der Schamaninnen und Schamanen in Ladakh in der Divination (wie auch in der Bezeichnung oracle zum Ausdruck kommt), in der Beratung ihrer Patienten und Klienten sowie im Einsatz für harmonische Gemeinschaftsbeziehungen (vgl. Il-76). Heilung und das Vorhersagen zukünftiger Ereignisse finden in einem Trance-Zustand (altered state of consciousness - ASC; vgl. BOURGUIGNON 1976; 1979; 1989) statt, in welchem der Schamane von einer oder mehreren Gottheiten (lha) besessen ist.40 Diesbezüglich besteht die Vorstellung, daß der Schamane seinen Körper der Gottheit ausleiht und als ihr "Gefäß" dient (lus gyar).41 In der Trance wechselt die Sprache zu Tibetisch oder einer idiosynkratischen Mischung aus Tibetisch und Ladakhi (SCHENK 1994:202). Weiterhin besteht in Ladakh die Vorstellung, daß auch die lhas dem Kreislauf der Wiedergeburten unterworfen sind und somit als Wesen des samsara42 Verdienste erwerben können, indem sie Besitz von Menschen (bzw. lus gyar) ergreifen und durch diese zum Wohlergehen der lebenden Wesen beitragen (vgl. BURKE-MASON 1997:5; I-84). Die Trance beginnt mit einer Einladung an Götter und Göttinen (lha) verschiedener Macht und Stellung in der göttlichen Hierarchie, die sowohl dem buddhistischen als auch dem vor- 39 Eine Schamanin in Choglamsar bei Leh betonte ganz ausdrücklich daß eine lha mo oder ein lha pa gebraucht werde, falls jemand als Folge von Neid und Eifersucht anderer Menschen "Gift" (tug) in sich trage, vgl. SCHENK (1994:236): "tug (dug) - Gift, krankmachender Stoff.". Umgangssprachlich verwenden viele Englisch-sprachige Ladakhis das Wort poison für Hexerei und schwarze Magie; vgl. DAY (1989:601). 40 Ladakhi-Termini für den Zustand der schamanischen Besessenheit sind lha zhug byes (DAY 1989:10 ff.; SCHENK 1994:225; zhug byes heißt wörtlich "to sit; to stay, reside, dwell", HAMID 1998:233), lha skyod byes und lha ‘bams byes (EBD.:301). Nach KUHN (1988:94) können bis zu 55 Gottheiten an diesem Zustand beteiligt sein. 41 Vgl. Glossar. Dementsprechend kann der ladakhische Schamanismus als "Besessenheitsschamanismus" (vgl. JOHANSEN 1999:42 sowie Kap. A. 1.2.) angesehen werden und unterscheidet sich vom klassischen sibirischen Schamanismus, in dem der Schamane eine Himmels- oder Unterweltsreise unternimmt, um seine Schutz- und / oder Hilfsgeister zu treffen. 42 Vgl. Glossar. 16 buddhistischen Pantheon entstammen.43 Während der Trance werden den Gottheiten Opfergaben wie etwa Reis, Gerste, Wasser und chang dargebracht.44 Die Trance wird durch Trommeln mit der damaru eingeleitet und aufrecht erhalten (SCHENK 1994:200, 201), es kann während dessen Räucherwerk in Form von Wacholder (shug pa) oder Senfsamen verbrannt werden (eigene Beobachtungen 1999; EBD.:147). Dabei handelt es jedoch lediglich um zusätzliche Stimulanzien, welche keinesfalls ursächlich für die Trance der Schamanen verantwortlich sind. Einige (vornehmlich männliche) Schamanen trinken während der Trance chang oder anderen Alkohol (IL 76, IL 78). Die Schamanentracht besteht aus einer fünfzackigen Krone (rigs lnga),45 einem Umhang mit farbigen Ornamenten (stod le),46 Kopf- und Mundtüchern sowie khataks47 in der Krone. Die Zeremonialkleidung während der Trance und die schamanische Performanz können sehr variabel sein, stets werden während des Rituals jedoch der dorje und die Glocke (dril bu)48 verwandt (KALWEIT 1987; SCHENK 1994:169, 226). Dies erinnert ebenso wie die Anrufung der Gottheiten vor einem Altar an buddhistische Zeremonien. Die schamanischen Heilsitzungen finden gewöhnlich in der Küche oder einem anderen ebenerdigen Raum im Hause der lha mo oder des lha pa statt. Vermeintliche Unverwundbarkeit und der Besitz übernatürlicher Kräfte in Trance wird häufig dadurch demonstriert, daß ein zuvor rotglühend erhitztes Messer auf die eigene Zunge gehalten wird und dort keine Verletzungen hinterläßt.49 Alle befragten ladakhischen Schamaninnen und Schamanen gaben an, sich an Geschehnisse während der Heilsitzungen hinterher nicht mehr erinnern zu können.50 2.1.5. Berufung, Initiation und Ausbildung Am Anfang einer "Schamanenkarriere" in Ladakh steht - wie in anderen Teilen des Verbreitungsgebietes des Schamanismus auch (vgl. Kap. A. 1.3.) - eine Berufungskrise, welche in 43 Z. B. Tsering Chenga (tshe ring ched lnga), die "fünf Schwestern des langen Lebens", vgl. NEBESKY-WOJKOWITZ 44 (1975). Vgl. SCHENK (1994:224): "serdjem (gser skyems) - 'goldenes Trankopfer', Getränke, die für Schutzgottheiten oder die lha der Schamanen während ihrer Zeremonie geopfert werden; diese Getränke können sein: Tee, Chang oder Milch mit Samen oder Getreidekörnern angereichert, die in einer Tasse aus Gold oder Jade gereicht werden." Zu chang vgl. DIES. (S. 224): "tibetische Bierart, aus Reis, Weizen oder Gerste gebraut." 45 Siehe Glossar. 46 Siehe Glossar. 47 Siehe Glossar. 48 Drilbu und dorje - siehe Glossar. 49 BURKE-MASON (1997); RÖSING (1999a:24); SCHENK 1994:191, 197). 50 Vgl. SCHENK (1994:173, 174). Zur weiteren Diskussion dieses Phänomens und der Frage nach der Authentizität der schamanischen Amnesie vgl. RÖSING (1999a). 17 den erhobenen Schamanenbiographien ausgiebig dokumentiert werden konnte.51 Diese Lebenskrise drückt sich häufig in geistiger Verwirrtheit oder sozial unangepaßtem Verhalten aus und kann lebensbedrohliche Ausmaße erreichen. Von daher ist es nicht verwunderlich, daß die dergestalt Heimgesuchten die Berufung zum Schamanenamt in der Regel zunächst ablehnen und sich ihr nur sehr zögerlich stellen (z.B. IL-66, IL-67, IL-78, IL 100). Die meisten Schamanen wünschen ihren eigenen Kindern und Enkelkindern nicht, auch berufen zu werden, andererseits sind sie der Meinung, daß sich gegen vererbte Besessenheit nicht unternehmen läßt (z.B. Il-80)52 und daß es immer noch besser sei, von lhas statt von einem 'dre53 besessen zu sein (IL 59). Es heißt, daß die lhas Diener der drei Juwelen (siehe Glossar) und ebenso wie die Menschen dem samsara verhaftet seien - von daher sei es notwendig daß sie Besitz von einem lus-gyar ergreifen, um Verdienste (merit) zu erwerben (BURKE-MASON 1997:5; IL-61). Wie es eine 45-jährige Schamanin in der New Housing Colony von Leh (IL70) ausdrückte: "... if there would be no lhas, people would have severe problems - some would jump into rivers or from mountain peaks or simply become crazy".54 Besessenheit kann durch sowohl durch göttliche Mächte (lha) als auch durch übelwollende Geistwesen ('rde) erfolgen - beide sind immer im Körper der Menschen oder zumindest in ihrem Schatten anwesend (RÖSING 1999b:132). Im Regelfall wird bei Anzeichen einer Schamanenberufung ein Rinpoche hinzugezogen, um die Besessenheit durch einen oder mehrere lha zu bestätigen und diese von eventuell ebenfalls involvierten übelwollenden rde oder anderen Geistwesen (einschließlich Hexen) zu trennen (SCHENK 1994:81; IL 76, IL 97). Danach gibt ein vom Adepten gewählter, ausbildender Schamane oder eine Schamanin (gergan) Belehrungen und Einweihungen (lha pok).55 Einige Schamanenadepten erhalten von mehreren Ausbildern Unterweisungen56 oder wechselten während ihrer Lehrzeit den gergan (IL 57; IL 80). Die meisten befragten Schamaninnen und Schamanen hatten selbst Schülerinnen und 51 Bei den von mir erhobenen narratives z.B. in IL-66; IL-67; IL-76, Il-78, IL-79; IL-80; vgl. DAY (1989:230-235); KUHN (1988:76, 70); RÖSING (1999a:16, 17); SCHENK (1994:22-87). Es heißt, daß diese Berufungskrisen früher sogar noch schlimmer gewesen seien (KUHN 1988:76). 52 Unter bestimmten Bedingungen kann ein sogenanntes tum-Ritual durchgeführt werden, um die weitere lha-Besessenheit von Berufenen zu verhindern (BURKE-MASON 1997:10). 53 Übelwollende Geistwesen; siehe Glossar. 54 Dieselbe Schamanin hatte versucht, ihrer Bessessenheit durch ein tum-Ritual Einhalt zu gebiete, war jedoch nach eigenem Bekunden von hochrangigen Rinpoches und vom Dalai Lama selbst aufgefordert worden, mit ihrer Schamanentätigkeit zum Wohle aller lebenden Wesen fortzufahren. 55 Siehe Glossar; vgl. IL 76; IL 79; IL-97; DAY (1989:294-303), SCHENK (1994:119-140). 56 Bei den von mir befragten Schamaninnen und Schamanen kamen bis zu vier verschiedene Ausbilder vor (IL 98). 18 Schüler, im Regelfall zwischen zwei und fünfzehn.57 Nach Auskunft der Ayu Lhamo (IL-55) müssen die Schülerinnen und Schüler sehr sorgfältig ausgewählt werden, da eben nicht nur lhas, sondern auch 'rde Besitz von Menschen ergreifen.58 2.1.6. Das Verhältnis von Schamanismus und Buddhismus Die Tatsache, daß die Schamanen durch hochrangige Lamas (möglichst einen Rinpoche) der buddhistischen Religion in ihrem Amt bestätigt werden müssen (DAY 1989:269), stellt eine Besonderheit des Schamanismus in Ladakh dar, wird damit doch die vorbuddhistische Volksreligion dem erst später in diese Region gekommenen Buddhismus untergeordnet.59 Hinzu kommt, daß schamanische Praktiken eng mit buddhistischen Ritualelementen verwoben sind, wie der Gebrauch von dril bu, rigs lnga und buddhistischer Anrufungsformeln sowie die Bedeutung der persönlichen Schutzgottheit (yi dam) zeigen (DAY 1989:238; KALWEIT 1987; SCHENK 1994). Im Unterschied zum "klassischen" sibirischen Schamanismus erfolgt eine Besessenheit des Schamanen durch göttliche Wesen statt einer aktiven Reise zu den Schutz- und Hilfgeistern (vgl. Kap. 1). 2.1.7. Zusammenfassung: Die Besonderheiten des Schamanismus in Ladakh Die Besonderheiten des ladakhischen Schamanismus können wie folgt zusammengefaßt werden: Es gibt in Ladakh eine Klasse ritueller Spezialistinnen und Spezialisten, auf Englisch als oracle und auf Ladakhi als lha mo (weiblich) oder lha pa (männlich) bezeichnet, die ihre Tätigkeit in einer mit "Besessenheit" verknüpften Trance ausführen.60 Ihre Aufgaben bestehen in der Krankenheilung (Diagnose durch Pulsfühlen, Palpation oder Orakel: Körner auf einer 57 Z.B. Il-55, IL-97. Lediglich zwei Schamaninnen innerhalb des samples (IL-65, IL-66) gaben an, keine Schüler zu haben, weil ihr - mittlerweile verstorbener - gergan nicht wünschte, daß sie zu seinen Lebzeiten als Schamanen-Ausbilderinnen fungierten. Ein Schamane in Hundar (IL-80) gab an, vierzig bis fünfzig Schülerinnen und Schüler zu haben, eine Schamanin in Choglamsar (Il-70) sprach sogar von 300 bis 400 Adepten, denen sie lha pok gegeben habe. 58 Außerdem, so sagte mir eine etwa 50-jährige Schamanin in Diskit (IL-79), neigen viele jüngere Schamanenadepten zur Vernachlässigung ihrer rituellen Pflichten - dies führe zum Verdruß der lhas und bewege sie dazu, von einer wachenden Zahl junger Menschen Besitz zu ergreifen 59 Der Buddhismus erreichte das tibetische Hochplateau nicht vor dem 7. Jahrhundert (vgl. KAUL & KAUL 1992:122). Auch wenn die Geschichte des Buddhismus in Ladakh bis ins 2. Jahrhundert n. Chr. zurück reicht, wurde er in seiner tibetischen Ausprägung erst im 9. Jahrhundert durch tibetisch-stämmige Einwanderer aus dem Osten eingeführt, welche durch Vermischung mit der dardischen Vorbevölkerung die Ladakhis als ethnische Einheit begründeten (KAUL & KAUL 1992:39-41; SCHENK 1994:9). 60 Gottheiten nehmen Besitz vom Körper des Menschen, der nach eigener Überzeugung danach nichts mehr davon weiß (Amnesie; vgl. KRESSING 1997; RÖSING 1999a). 19 Sanduhrtrommel [damaru / daru], Therapie durch "Aussaugen" [mit dem Mund oder Saugrohr], Prophezeiungen (Vorhersage der Zukunft) und der Erteilung von Ratschlägen (z.B. Überweisung an Arzt oder amchi, Rat zum Schulwechsel). Typisch schamanistische Elemente der dazu durchgeführten Rituale sind: die Trance, die Anrufung von Schutz- und Hilfsgottheiten (lhas mit verschiedenen Befugnissen und verschiedener Stellung in einer göttlichen Hierarchie), die ausgeübten Funktionen (Krankenheilung, Wahrsagen und Lebensberatung bzw. die Herstellung harmonischer Beziehungen), die Heilung durch Aussaugen unheilverursachender Substanzen, die Verwendung der Trommel, von Weihrauch und anderen Ingredienzen zum Räuchern (obwohl die Trance ladakhischer Orakel nicht drogeninduziert ist!)61 und die Verwendung einer Krone (ringa). Abweichend von "klassischen" schamanischen Praktiken (namentlich in Sibirien) findet keine Himmels- oder Unterweltreise des Schamanen statt, statt dessen dringen Wesenheiten von außerhalb in seinen Körper ein - man kann also von einem "Besessenheitsschamanismus" (statt "Wanderschamanismus") sprechen (vgl. JOHANSEN 1999; THIEL 1984:134). Die Tätigkeit der ladakhischen Schamanen ist mit buddhistischen Praktiken verknüpft,62 was z.B. durch die Verwendung der Glocke (dril bu) und des vajras (dorje), der fünfzackigen Krone (ringa) mit den Dhyani-Buddhas,63 der "Besessenheit" durch Gottheiten des buddhistischen Pantheons, die Verwendung buddhistischer Zufluchts- und Anrufungsformeln und die Vorstellung einer persönlichen Schutzgottheit (yi dam) zum Ausdruck kommt. Ferner bedürfen ladakhische Schamaninnen und Schamanen (auch die neuerdings unter den Moslems Berufenen!) der Bestätigung hochrangiger buddhistischer Lamas zur Ausübung des Heil- und 61 Zum Gebrauch von Bergwacholder (shug pa) in den schamanischen Ritualen der den Ladakhis benachbarten Hunza vgl. SIDKY (1994:67-96). 62 Das ist in einer interkulturellen Perspektive betrachtet nicht so ungewöhnlich, gibt es doch durchaus weitere Beispiele für die Verknüpfung schamanistischer Praktiken mit denen sogenannter Hochreligionen, z.B. im islamisch geprägten Mittelasien in relativer geographischer Nähe Ladakhs (siehe BASILOV 1978, BASILOW 1996 sowie BASILOV, VUILLEMENONT und ZARCONNE, jeweils pers. Mitt. Sept. 1997). 63 Die ringa (rigs lnga) – vgl. HAMID (1998:259): "ringa head-piece worn by lhabas or monks during special ceremonies" - stellt sowohl ein schamanisches Element (vgl. die Schamanenkronen, z.T. in Form von Federhauben - etwa bei den Tuvinern - und Hirschgeweihen bei den Schamanen verschiedener Völker in Nordasien und Amerika) als auch einen Teil der buddhistischen Paraphernalia dar. Das Wort rigs hat eine vielfache Bedeutung, nämlich "1 kind, sort. 2 caste, social class. 3 class or family (of animals or plants)" (HAMID 1998:259); lnga bedeutet fünf damit bezieht sich die Bezeichnung rigs-lnga auf die fünf Buddha-Familien oder Dhyani Buddhas, tib. rgyal ba rigs lnga, skrt. pañcakula jina (vgl. COLEMAN 1994:300; SCHENK 1994:232), auch als "enlightened families" (COLEMAN 1994:308) bezeichnet. Somit kann die ringa in ihrer Verwendung sowohl im Schamanismus als auch im tantrischen Buddhismus als contested symbol im Sinne von GELLNER (1997) verstanden werden. 20 Orakelwesens, d.h, praktizierende Schamanen und Schamaninnen werden durch Autoritäten aus einer anderen Religion legitimiert. 2.2. Der Stand der bisherigen Forschung zum Schamismus in Ladakh Obwohl sich die religions- und ritualbezogene ethnographische - und vor allem die tibetologische - Literatur zu Ladakh schwerpunktmäßig mit dem Buddhismus beschäftigt, gibt es doch eine Reihe von Autoren, welche den Schamanismus in den Mittelpunkt ihres Interesses stellen (vgl. Kap. 2.1.1.). Somit sind einige Aspekte der Heilritualistik und Berufung ladakhischer Schamanen bereits untersucht und dokumentiert worden. Dabei stehen Konzepte von Gesundheit, Krankheit und Heilung (vgl. KUHN & HOFFMAN 1986; KUHN 1988), Behandlungsmodelle (u. a. SCHENK 1990, 1993, 1994, 1996), die Frage der schamanistischen Trance (DAY 1989, 1990) sowie Berufung, Ausbildung und Sozialisation der Schamanen (DAY 1989, 1990; SCHENK 1990, 1993, 1994, 1996) im Vordergrund. Die bisherige Schamanismusforschung in Ladakh weist jedoch konkret folgende Lücken auf: z Die derzeitige Proliferation des Schamanismus wurde bislang weder systematisch untersucht noch zum gesellschaftlichen Wandel in Ladakh in Beziehung gesetzt. z Es fehlen Untersuchungen zum Klientel der Schamanen, d.h. eine Untersuchung des Proliferationsphänomens von der Bedarfslage her, und eine qualitative Motivationsanalyse der Inanspruchnahme von Schamanen. z Die Dokumentation des Heilungsprozesses mit detailliertem Ablaufprotokoll einschließlich des gesamten gesprochenen Wortes, fehlt gänzlich. z Alle Schamanenbiographien sind retrospektiv und legen ihr Schwergewicht grundsätzlich mehr auf die Symptomatik der Schamanenkrankheit als auf die gesamte dörfliche und familiäre Ausgangslage der Kandidaten vor Ausbruch der "Berufungskrankeit". Im vorliegenden Projekt geht es jedoch gerade um die Rekonstruktion dieser Ausgangslage, welche durch Gespräche mit jungen und jüngsten Kandidaten im oder kurz nach dem ersten Ausbruch der "schamanistischen" Krankheit zu ermitteln ist. z In der gesamten bisherigen Schamanismusforschung zu Ladakh ist die Frage des subjektiven Ertrags schamanischer Heilung - sowohl für den Schamanen selbst als auch für die Klienten - gänzlich ausgeblendet worden. Welche Motive zum Schamanen führen und welchen Gewinn der Klient davon trägt, ist bislang unbekannt. 3. Die Fragestellung des vorliegenden Projektes Angesichts der beschriebenen Forschungsdefizite war es Ziel des Projektes, zu untersuchen, in wieweit es sich bei der quantitativen Ausweitung des Schamanismus-Phänomens tatsäch- 21 lich um eine Reaktion auf die gesellschaftlichen Wandlungsprozesse in Ladakh und eine mögliche Fremdheitslösung handelt. Da Schamanen eine wichtige Instanz der Gesundheitsversorgung in Ladakh darstellen, bot die Untersuchung von Schamanen und ihres Klientels eine gute Möglichkeit, die Manifestation gesellschaftlicher Wandlungsprozesse in der subjektiven Befindlichkeit zu erfassen. Ziel des Projektes war es somit, Ursachen für die belegbare Zunahme der Schamanninen und Schamanen in Ladakh zu ermitteln. Es ging dementsprechend nicht um die spezifischen Erscheinungsformen des Schamanismus in Ladakh an sich welche in der dazu publizierten Literatur in durchaus hinreichender Form beschrieben wurden (vgl. Kap. A. 2.2) - sondern um die Frage, in wieweit es sich bei der quantitativen Ausweitung des Schamanismus-Phänomens tatsächlich um eine Reaktion auf die gesellschaftlichen Wandlungsprozesse in Ladakh und eine mögliche Fremdheitslösung handelt, d.h., ob sich Hinweise auf Korrelationen zwischen der Proliferation der Schamanen in Ladakh auf der einen Seite und der dreifachen Fremdheitslage, hervorgerufen durch Einflüsse aus dem indischen Tiefland, dem moslemisch dominierten Kashmir und des Westens (vornehmlich in Gestalt des Tourismus) auf der anderen Seite, finden lassen. Der Zuwachs an Schamanen ist keineswegs mit einer Verminderung der schamanistischen Gruppenheilungen oder sinkender Teilnehmerzahl verbunden - ein klares Indiz für einen stark gestiegenen Bedarf an schamanistischen Heilungen. Als Grund hierfür wie auch für die quantitative Zunahme der typischen schamanistischen "Berufungskrankeit" (zeitweilige geistige Verwirrtheit und räumliche Desorientiertheit, sozial nicht akzeptables Verhalten, z.B. Beschimpfung buddhistischer Mönche; vgl. Kap. A. 2.1.5) werden sowohl von Rinpoches als auch von einigen der ältesten Schamanen gerade die aktuellen gesellschaftlichen Wandlungsprozesses in Ladakh angesehen. Das vorliegende Projekt dient zur Klärung der Frage, in wieweit sich sowohl die schamanische Proliferation als auch die Bedarfssteigerumg nach schamanischer Heilung als eine Form der lebensweltlichen Spannungsreduktion ansehen lassen, welche im dargelegten Sinne als Fremdheitslösung umschrieben werden kann. Die Verminderung von Belastungssymptomen, welche aufgrund der als beeinträchtigend angesehenen Außeneinflüsse auftreten, kann sich in zweierlei Weise manifestieren: Einerseits in der Therapie belastungsbedingter mentaler Störungen und Beeinträchtigungen, andererseits in Form vermehrter Berufungen von Jungschamaninnen und Jungschamanen (vgl. Kap. A. 2.1.4.). Dementsprechend ist bezüglich der Fragestellung des Projektes zwischen der Zunahme des Bedarfs an schamanischer Heilung und der Zunahme der schamanischen Berufungen zu unterscheiden, und es ergaben sich aus dem bisherigen Bearbeitungsstand des Themas folgende Fragenkomplexe, die in der Untersuchung anzugehen waren: (i) Die Zunahme der schamanischen Berufungen z Ursachen für das vermehrte Auftreten der schamanischen Berufung und der damit verbundenen 'Schamanenkrankheit": 22 Stellt diese ein Symptom des Fremdheitserlebnisses und der Fremdheitslast dar? Wie ist die diesbezügliche Lage in den Dörfern, in denen die Schamanenkrankheit besonders häufig anzutreffen ist? Unterscheidet sich die dortige Lage bezüglich der Fremdheitslast in erkennbarer und nachweisbarer Weise von der in anderen Dörfern oder im kleinstädtischen Umfeld von Leh? Gibt es einen Nachahmungseffekt bezüglich der Schamanenberufungen bei Jugendlichen, Formen einer "epidemiehaften" Berufung? z Die Rolle der Schamanenausbilder und ihre Einstellung zur Proliferation Wie stellen sich die Ausbilder (=Alt-Schamanen) dazu, daß eine ständig steigende Zahl von neu berufenen und anerkannten Schamanen bei ihnen in die Lehre gehen? Ist für sie die zunehmende Zahl von Schamanen-Schülerinnen und Schülern erwünscht? Sehen sie in den Jungschamanen eine Konkurrenz? Worin sehen sie die Gründe für die zunehmende Zahl von Berufungen? Was war in früheren Zeiten bezüglich der Berufung, der Verteilung der Adepten auf Alter, Geschlecht und bestimmte Regionen in Ladakh anders? Was hat sich für die Altschamanen überhaupt an Lebensumständen in ihrem sozialen und spirituellen Umfeld geändert? z Biographische Rekonstruktionen der Lebenswege von Schamenen und Schamanenadepten Was verlief im Leben der Schamanenadepten anders als bei ihren Alters- und Geschlechtsgenossen? In wieweit unterschieden sich ihre Biographien von denen anderer junger Leute? Wo sehen sie selbst die entscheidenden Momente auf ihrem Lebensweg, welche zur Schamanenkrankheit und Berufung führten? Wie sah ihr Leben vor Ausbruch der "Krankheit" aus? z Haltung des buddhistischen Klerus zur Schamanenproliferation Die zentrale Instanz für die Anerkennung der Schamanenadepten durch den buddhistischen Klerus sind die Rinpoches. In ihren Händen liegt die "Aussiebung" der Schamanenkandidaten und die Steuerung der Proliferation. Es ist der Frage nachzugehen, ob die gehäufte Anerkennung "authentischer" Berufungen bei Jungschamanen einen (von mehreren) Gründen für ihre Proliferation darstellt, und in wieweit die Rinpoches die Schamanenproliferation als eine mögliche Fremdheitslösung - bewußt oder unbewußt durch ihre Anerkennungspraxis unterstützen. (ii) Vermehrter Bedarf an schamanischer Heilung z Ursachen für die Zunahme des Klientels: Wer nimmt Schamanen als Heiler oder Orakel in Anspruch? Wie sieht die alters-/geschlechts- und berufspezifische Verteilung des Klientels aus? Aus welchen Gegenden 23 von Ladakh kommen die Hilfesuchenden? Was läßt sich über die dort erfahrene Fremdheitslast aussagen? z Gründe für die Konsultation eines Schamanen: Hier geht es um die genaue Erfassung der Sorgen und Nöte, der psychosozialen Befindlichkeit der Klienten, d.h um die Motivation zur Konsultation der Schamanen und auch um den subjektiven Gewinn, den die Klienten aus der Heilung ziehen. Die Ausgangshypothese ist dabei, daß u.a. die Verunsicherungen und Beeinträchtigungen durch Fremdheitseinflüsse (die Fremdheitslast) zur stark gestiegenen Inanspruchnahne der Schamanen führen. Deshalb ist zu klären: Warum suchen die Klienten Schamanen auf? Welches sind die persönlichen Probleme, die hinter der Konsultation von Schamaninnen und Schamanen stehen? Welche Beziehungen zur jeweiligen Fremdheitslast der betreffenden Person lassen sich feststellen? Lassen sich diese Probleme in der Sicht der Klienten durch die schamanistischen Behandlungen - ganz oder ansatzweise - lösen? z Änderungen im "religiösen Ambiente" Ladakhs? Ausgehend von der Hypothese, daß Fremdheitslösungen angesichts der Konfrontation mit dem Fremden vor allem im Bereich der Religion gesucht werden, dient die Sonde auch der Untersuchung der Frage, in wieweit die Proliferation des Schamanismus ganz allgemein mit einer erstarkenden Religiösität in Ladakh in Verbindung zu bringen ist. Als konkrete Indikatoren zur Untersuchung dieser Frage dienen Zeremonien, welche im volksreligiösen Bereich stark verwurzelt sind: Rituale für das Wohl des Hauses und zur Bannung "böser Geister". Ist eine generelle Zunahme dieser Zeremonien zu verzeichnen? Welche Leute (Alte / Junge, Männer / Frauen, Bauern / Städter, Laien / Mönche) nehmen daran teil? Zu welchen Zeremonien werden die Schamanen von welchen Personen gerufen? Wie beurteilen die entsprechenden Personen die gegenwärtige Hinwendung zur bzw. Abwendung von der Religion im heutigen Ladakh? Vor dem Hintergrund der oben skizzierten Forschungslage und in engem Bezug zu der im Teilprojekt Subjektive Fremdheitserfahrung in Ladakh dokumentierenden Fremdheitserfahrungen und Fremdheitslösungen untersuchte die vorliegende Forschungssonde diese Fragenkomplexe vor allem durch eingehende Gespräche mit Schamanen und ihrem Klientel über Motive für die Konsultation eines Schamanen zu Heilungszwecken und über den wahrgenommenen Ertrag im eigenen Lebenskontext. 4. Die Einordnung der Fragestellung Die zuvor umrissene doppelte Fragestellung (Ursachen für den Bedarfszuwachs an schamanischer Heilung und Ursachen für den Zuwachs an schamanischen Berufungen) läßt sich in einen zweifachen theoretischen Kontext einordnen: 24 z Zum einen in den Kontext der dem Gesamtprojekt zugrunde liegenden Hypothese, daß Fremdheitslösungen in Ladakhs auch vor allem im Bereich der Religion gesucht werden: Im Falle Ladakhs kommt dem Bekenntnis zum Buddhismus in Abgrenzung von anderen, moslemischen Bewohnern der Region und hinduistischen Zuwanderern als identitätstiftendem Merkmal bei der Mobilisierung von Ethnizität eine besondere Bedeutung zu. Allerdings weist die buddhistische Bevölkerung Ladakhs eine zweifache religiöse Verortung auf. Neben dem Buddhismus tibetischer Prägung existiert auch eine autochthone Volksreligion (im Sinne von KOHL 1988) in Gestalt des Schamanismus. Das Verhältnis zwischen Buddhismus und Schamanismus (vgl. Kap. 2.1.6.) soll zunächst in den theoretischen Kontext des Synkretismus eingeordnet werden. z Zum anderen ergibt sich - ausgehend von der quantitativen Ausweitung schamanischer Praktiktiken gegenüber früher - die einordnung der Fragestellung wie der Ergebnisse in die Diskussion um religiös begründete Revitalisierungsbewegungen. Im folgenden (Kap. 4.2.) sei deshalb zunächst kurz erläutert, was unter Revitalisierung zu verstehen ist, um dann zu überprüfen, ob die Merkmale einer religiös begründeten Revitalisierungsbewegung auch auf die Proliferation des Schamanismus in Ladakh anzuwenden sind. Zum Vergleich werden - wie in Kap. A.3. angekündigt - Daten und rezente Beobachtungen zur Revitalisierung ("Renaissance") des Schamanismus in verschiedenen Regionen Sibiriens herangezogen. Überblick über Kap. 4 4.1. Schamanismus und Buddhismus im Kontext des Synkretismus 4.2. Revitalisierung und Proliferation des Schamanismus 4.3. Die Wiederbelebung des Schamanismus in Sibirien - Fallbeispiele 4.3.1. Sacha / Jakutien 4.3.2. Tyva 4.3.3. Burjatien 4.3.4. Die manschutungusischen Völker des Fernen Ostens 4.3.5. Uralische Völker Westsibiriens 4.4.6. Zusammenfassende Bemerkungen zur Revitalisierung ("Renaissance") des Schamanismus in Nordasien 4.1. Schamanismus und Buddhismus im Kontext des Synkretismus Die praktizierenden Schamanen bedürfen der Autorisierung durch einen buddhischen Rinpoche und sind dem buddhistischen Klerus untergeordnet (vgl. Kap. 2.1.). Gleichzeitig aber konsultieren Mitglieder des buddhistischen Klerus auch Schamanen, und nicht selten sieht man buddhistische Mönche in schamanischen Sitzungen (eigene Beobachtungen). Im ladakhischen Schamanismus werden eine Fülle von buddhistischen Symbolen und Ritualelementen 25 verwendet (vgl. Kap. A. 2.1.6., 2.1.7.), und es werden buddhistische Inhalte und Handlungsanweisungen vom Schamanen als "therapeuthische Intervention" eingesetzt. Im ladakhischen Buddhismus spielen andererseits, insbesondere in den mehrtägigen cham-Spielen64 der großen Klöster, schamanische Praktiken (z.B. Trance) und Symbolelemente eine große Rolle. In vielen Fällen ist es jedoch sehr schwierig, das eine oder andere, zunächst einem jeweiligen religiösen Bereich (Buddhismus oder Schamanismus) zugeordnete Element zweifelsfrei als abgrenzbares "Eigenes" oder "Anderes" anzusehen. In der Tat ist in Bezug auf den gesamten tibetischen Kulturraum immer wieder vertreten worden, daß der tibetisch geprägte Buddhismus und der tibetische Schamanismus untrennbar miteinander verbunden seien (vgl. SAMUEL 1993). Damit steht der Gegenstand unseres Forschungsprojektes im Umfeld dessen, was in den Religionswissenschaften meist unter dem Konzept des Synkretismus diskutiert wird: Jenseits der Begriffsgeschichte von "Synkretismus" und allen Teildefinitionen von Synkretismus als "Symbiose", "Assimilation", "Amalgierung", "Identifikation", "Kohärenz" sowie jenseits aller Kontroversen über Synkretismus als objektivem versus normativem Konzept, als Prozeß oder Endprodukt, sowie der schwierigen Bestimmung von Eigenem und Fremden65 soll hier Synkretismus als Prozeß der gegenseitigen Durchdringung verschiedener religiöser Symbole oder Symbolsysteme verstanden werden, deren Zugehörigkeit strittig (contested) ist - um eine sehr hilfreiche Konkretion von GELLNER (1997) aufzunehmen. Auch wenn es explizit nicht das Anliegen des Forschungsprojektes sein konnte, eine Tiefenanalyse buddhistischer und schamanischer Symbolsysteme zu leisten, so gab es in unserem Projekt doch eine Reihe von konkreten Berührungspunkten mit dem Umfeld des Begriffs Synkretismus: Da die Klienten der Schamanen ebenso wie diese selbst meist Buddhisten sind, war das Projekt zur Schamanenproliferation ein Ort für die Untersuchung beider Religionen im Kontakt. 4.2. Revitalisierung und Proliferation des Schamanismus Der Begriff Revitalisierung geht auf WALLACE (1956, 1966, 1970) zurück. Das Studium von Nativismus und Revitalisierungsbewegungen entwickelte sich in den 1940er und 50er Jahren als Seitenzweig der Akkulturationsstudien, "... to account for quite sudden, voluntary changes made by people who are seeking 'to construct a more satisfying culture by rapid acceptance of a pattern of multiple innovations' (Wallace 1970). This striking, recurrent process involves a series of stages starting from a steady state, in which a cultural system is operating normally through periods of increased individual stress and cultural distortion into the revitalization proper. As the new ways of life spreads and adapts to often hostile conditions, the initially radi- 64 65 Siehe Glossar. Vgl. DROOGERS (1989). 26 cal movement becomes routinized, leading to the final stage, anew steady state. As noted by Bock (1988), 'Wallace's analysis now sounds rather old-fashioned, but psychological anthropologists have yet to develop a more workable general model of rapid cultural change.'" (BOCK 1996:301) Zu verstehen ist unter einer Revitalisierungsbewegung "A conscious process on the part of a people designed to produce change through the renewal of their old cultural patterns and traditions, which have disintegrated due to contact with Western culture [FRIEDL 1976:422] ... thus making it different from diffusion or acculturation as types of cultural change." (EBD.:386) Religiöse Revitalisierungsbewegungen werden als Antwort indigener Gemeinschaften auf Eroberung oder Dominanz durch fremder Mächte angesehen, nachdem als Folge von Akkulturation zahlreiche tradionelle Strukturen zerstört wurden. Mögliche "Fremdheitslösungen" bestehen in solch einem Fall einerseits in der Assimilation an die europäisch bestimmte Gesellschaft, andererseits in der Separation als einer beabsichtigten Rückkehr zu den alten Gegebenheiten und der Wiederbelebung (Revitalisierung) der traditionellen Kultur (FRIEDL 1976:384-386); vgl. KOTTAK (1994: 275): "As a response to conquest or foreign domination, religious leaders often undertake to alter or revitalize a society. We call such movements nativistic movements (Linton 1943) or revitalization movements (Wallace 1956)." Nach WHITTEN & HUNTER (1993:321) handelt es bei Revitalisierungsbewegungen um "religious movements of a reformative nature that arise among exploited or disorganized groups (often after socioecomomic or political traumas) and that attempt to reinject cultrally salient meaning into people's lives - often through a radical assault on existing conditions and/or institutions." PEOPLES & BAILEY (1994:451) sehen in Revitalisierungsbewegungen ein "religious movement explicitly intended to create a new way of life for a society or group". HARRIS (1989:304) betont den Zusammenhang von Revitalisierung, Nativismus und Politik und definiert Revitalisierung (Nativismus) wie folgt: "Die Beziehung, die zwischen Religion einerseits und den politischen und ökonomischen Verhältnissen andererseits besteht, läßt sich gut an den sogenannten Revitalisierungsbewegungen erkennen. Unter dem Druck kolonialer Eroberung und intensiver Klassen - und Minoritätenausbeutung neigen Religionen dazu, sich in Bewegungen zu verwandeln, die eine durchgreifende Verbesserung der diesseitigen und/oder der zu erwartenden jenseitigen Lebensumstände zum Ziel haben. Diese Bewegungen werden manchmal als nativistische, millenarische, messianische oder Erneuerungsbewegungen bezeichnet. Der Begriff Revitalisierung ist der Oberbegriff, der all die mit diesen Begriffen bezeichneten besonderen kognitiven und rituellen Varianten umfassen soll (Wallace 1966). 27 Revitalisierung meint den Prozeß der politischen und religiösen Wechselwirkung zwischen einer unterdrückten Kaste, Klasse, Minderheit oder untergeordneten sozialen Gruppen einerseits und einer übergeordneten Gruppe andererseits. Einige Revitalisierungsbewegungen betonen passive Haltungen, also eher die Rückbesinnung auf alte als die Übernahme neuer kultureller Verhaltensweisen, oder erwarten das Heil erst nach dem Tod. Andere treten für mehr oder weniger offenen Widerstand bzw. aggressive politische oder militärische Aktionen ein. Diese Unterschiede ergeben sich hauptsächlich aus dem Verhalten der übergeordneten Gruppen, d.h. daraus, wie diese auf die Infragestellung ihrer Macht und Autorität reagieren. Revitalisierungsbewegungen, die unter Bedingungen passiver Ausbeutung und großer Not entstehen, haben früher oder später politische und selbst militärische Konfrontationen zur Folge, auch wenn beide Seiten bewußt einen Konflikt vermeiden wollen (Worsley 1968)." Gemäß der These von WALLACE entsprangen sowohl das aufkommende Christentum66 als auch der Geistertanz von 1890 unter nordamerikanischen Ureinwohnern,67 die TaipingRebellion in China und die russische Revolution denselben Prozessen sozialen Wandels. Weitere Beispiele für Revitalisierungsbewegungen stellen die um das Jahr 1800 aufgekommene Religion des Handsome Lake unter den Irokesen (Sechs Nationen) im Staate New York (vgl. WALLACE 1970), die Cargo-Kulte des 20. Jh. in Melanesien oderoder aber auch die durch frühchristliche Ideale geprägte Bewegung der Amish in den USA dar (FRIEDL 1976:385, 386). Nach WALLACE stellt Revitalisierung eine Reaktion auf Streß dar: "When an individual is faced with a problem, he must either change himself to be able to tolerate it, or else change the stress at its source. But when a group of people experience the same stress, and they choose to do something about it, they are in effect seeking to revitalize their way of life, their culture." (FRIEDL 1976:386) 66 "Christianity originated as revitalization movement" (KOTTAK 1994:275). 67 Vgl. HARRIS (1989:305,306); FEEST (2000:445): "Geistertanz, Name für zwei religiöse Bewegungen, die sich im letzten Drittel des 19. Jh. im westlichen Nordamerika als Folge der raschen Veränderung der Lebensbedingungen der indigenen Völker entwickelten und den Mitgliedern die Rückkehr oder die Wiedervereinigung mit den verstorbenen Verwandten und die Wiederherstellung früherer Verhältnisse versprachen. Die erste G.-Bewegung von 1869/70 ging auf die Lehre des Paiute Wodziwob zurück und fand vor allem im Plateau und in Kalifornien Anhänger, wo sie zur Entstehung der Bole Maru-Religion beitrug. Eine Vision des Paiute Jack Wilson (Wovoka) löste 1889 eine zweite Welle des G. aus, der diesmal vor allem bei den durch die Ausrottung des Bisons in eine Sinn- und Existenzkrise geratenen Plains-Völkern große Hoffnungen weckte. Von den Lakota wurde die pazifistische Lehre als Aufforderung zum militärischen Widerstand gedeutet ; die Unterdrückung der G.-Bewegung durch die amerikanische Armee gipfelte im Massaker von Wounded Knee (1890)". Vgl. FRIEDL (1976:421): "Ghost Dance ... an attempt to return to traditional cultural patterns, as a result of the frustration experienced by many North American Indian tribes through contact with Western culture". 28 Mit Bezug auf den Geistertanz des 19. Jh. im westlichen Nordamerika und die Cargo-Kulte des 20. Jh. in Melanesien kommt FRIEDL (ebd.) zu dem Schluß: "Both types of movements arose primarily in response to the desintegration of the former way of life due to contact with white culture." Derselbe Author unterscheidet in seiner Klassifikation von Revitalisierungsbewegungen ("different sub-types") zwischen (1) nativistischen Bewegungen (z. B. der Geistertanz: "Return to the good old days"), (2) Cargo-Kulten ("Imitating the new ways") und (3) millenaristischen Bewegungen (FRIEDL 1976:386-391). Nativistische Bewegungen sind vor allem auf die Eliminierung alles Fremden und die Rückkehr zu einem früheren kulturellen Zustand ausgerichtet,68 die Cargo-Kulte dagegen "seek to adopt new cultural patterns in order to revitalize their culture, rather than return to traditional ways of life" (FRIEDL 1976:388). Der Begriff Cargo-Kult leitet sich aus dem melanesischen Pidgin-Englisch (cargo = Fracht) her; gemeinsame Merkmale der so bezeichneten Kulte sind u.a. die bald erwartete Rückkehr der Toten, die Annahme, daß die Ahnen weiß wie die Europäer seien und die Güter der Weißen eigentlich für die Einheimischen bestimmt seien, weshalb Landebahnen, Docks zu ihrer Entladung gebaut werden. Einige Führungspersönlichkeiten dieser Kulte erhoben überdies den Anspruch, Jesus Christus zu sein. Nach WEISS (1988:79, 80) handelt es sich bei Cargo-Kulten um "... Ausdrucksformen religiös und politisch orientierter Heilserwartungsbewegungen ... , die sich gegen die europäische Kolonisation und Mission in Melanesien richten. Denn die Autochthonen glaubten, ohne Einblick in die kapitalistische Produktionsweise zu 68 "Nativistic Movements: an attempt to return to the traditional or native cultural patterns and to eliminate alien persons, customs, values, and materials from the culture" (FRIEDL 1976:421).; vgl. auch: "Unter Nativismus versteht man in der Völkerkunde und der Religionssoziologie "... das betonte Festhalten an (oder das Wiederbeleben von) bestimmten Elementen der eigenen Kultur infolge ihrer Bedrohung durch eine überlegene Fremdkultur. Sozialpsychologisch kann ein solcher Rückgriff auf überlieferte Glaubensvorstellungen und soziale Institutionen als der Versuch gewertet werden, ein 'erschüttertes Gruppen-Selbstgefühl' (W. E. MÜHLMANN) wiederherzustellen; mit neuen Inhalten gefüllt, werden sie zu Symbolen der ethn. Identität und des Widerstands gegenüber einer Fremdherrschaft. Nativistische Bewegungen sind seit dem Beginn der europ. Kolonisation bei den Völkern Amerikas, Afrikas und Ozeaniens in Reaktion auf die Überfrendung ihrer traditionellen Lebensformen und die drohende Zerstörung ihrer ökonom. Subsistenzgrundlagen entstanden. Vermengt mit chiliast. und messian. Momenten, wurden sie meist von prophet. Führern ins Leben gerufen und organisiert. Bereits die seit dem 16. Jh. überlieferte Suche der Guaraní nach einem 'Land ohne Übel' weist nativistische Züge auf. Zum N. zählen auch die Æ Geistertanzbewegung der Prärie- und Plains-Indianer, die Æ Cargo-Kulte im melanes. Inselraum sowie die synkret. Religionen und Kirchen, die bes. in Afrika entstanden sind Æ unabhängige Kirchen). teils in Sektenbildung und teils in pol. Unabhängigkeitsbewegungen mündend (MauMau-Aufstand), lassen sich in den nativist. Bewegungen religiöse Frühformen antikolonialen Widerstands erkennen" (Brockhaus 1991 XIV:364). 29 haben, daß die Europäer keinerlei Arbeit für die Erzeugung und den Besitz materieller und geistiger Güter leisteten und mythische und mystische Hintergründe zum Reichtum der Kolonisatoren führten. Die wachsende Unzufriedenheit mit den herrschenden ökonomischen und sozialen Mißständen führte zur Organisation von Widerstands- und Selbstfindungsbewegungen, die sich auf religiöser Basis in der Vermischung traditioneller und christlicher Glaubensinhalte formierten. In der Vision eines Propheten manifestierte sich die Botschaft von der Rückkehr der Ahnengeister, der Versicherung, daß alle Melanesier weiß und die Europäer dunkelhäutig würden, dem Glauben an das unmittelbar bevorstehende Ende der Welt durch eine Sintflut, die alles zerstören würde, der Ankunft eines Messias und von der Wiederherstellung der ökonomischen, sozialen und politischen Kontrolle durch die Eingeborenen. dann würden die Ahnen oder Gott in einem großen weißen Dampfer, Flugzeug oder Lastwagen vollbeladen mit den begehrten europäischen Gütern (Cargo) zurückkehren. In der Erwartung des Cargo (Tabak, Äxte, Gewehre, Messer, Dosennahrung, Außenbordmotoren, Schiffe, Flugzeuge, Traktoren, Zeitschriften) bauten die Eingeborenen Landungsbrücken, Flugplätze und Vorratshäuser für die Lagerung der erwarteten Güter. Sie erwarteten mit der Ankunft des Cargo den Beginn eines paradiesischen Zustandes. möglicherweise auch die komplette Umkehrung der bestehenden Weltordnung: Land wird zu Meer, Berge zu ebenen, Satan wird der wahre Gott, die Weißen werden die Diener der Melanesier. In der Erwartung des Paradieses kann auch jede wirtschaftliche Aktivität aufgegeben werden Das Nichteintreffen des Cargo wird v.a. auf Betrug und Schwindel der Europäer zurückgeführt." 69 Unter millenaristischen Bewegungen (auch Chiliasmus; vgl. HIRSCHBERG & WEISS 1988:84) versteht man "... Revitalisierungsbewegungen, in denen die Hoffnung einer bedrängten Gesellschaft auf Befreiung von einer fremden Übermacht in einer dem christlichen Gedankengut entlehnten Vorstellung von einem zukünftigen glücklichen tausendjährigen Reich Ausdruck findet (WEISS 1988:312).70 Millenaristische Bewegungen gehen vom Anbruch eines neuen 69 Vgl. HARRIS (1989:306-308) und FRIEDL (1976:388-390): "Cargo Cult An attempt to adopt new cultural patterns in order for a group to renew their culture, rather than return to traditional ways of life. These movements took place in the Pacific Islands where there was considerable contact with Western culture, but where the people were unable to participate in the higher standard of living they witnessed in the white community". 70 "... revitalization movement in which an oppressed and frustrated people believe in the coming of a new age. Such a movement relies upon symbolically important beliefs, usually has a charismatic leader, and is an attempt to eliminate foreign or unwanted elements from the culture." (FRIEDL 1976:421) WHITTEN & HUNTER (1993:318): "Millenarianism A revivalistic movement reacting to the perceived disparity between ideal and real social conditions, with the belief that this gap is about to close, usually with disastrous consequences for nonbelievers." 30 Zeitalters, von einer "... transformation of the world design ... carried out by supernatural powers" (FRIEDL 1976:390) aus. Bewegungen dieser Art kommen insbesondere bei stark unterdrückten Gruppen vor; es handelt sich um eine Verbindung zwischen Religion und Politik, welche oft den Prototyp moderner revolutionärer Bewegungen darstellt. Bestandteile von millenaristischen Bewegungen sind Initiationsrituale (ordeal) in Form einer schwierigen Reise, einer Pilgerschaft oder einer "Mutprobe", welche oft die Teilnahme an gewalttätigen Handlungen mit einschließt (FRIEDL 1976:290, 291). Elemente des Millenarismus finden sich in vielen der wichtigsten politischen Bewegungen der jüngeren Geschichte (FRIEDL 1976:391), z. B. die Idee einer notwendigen Eliminierung fremdkultureller Elemente im Nationalsozialismus. Nach LANTENARI (1968) entspringen millenaristische Bewegungen einer Kombination aus Deprivation und Frustration, "relative Deprivation" wird als Ursache von Revitalisierungsbewegungen überhaupt gesehen: "It is not so much the discomfort as the dissatisfaction that is a cause of revitalization movements." (FRIEDL 1976:392). Zu verstehen ist darunter "A change over time that leads a group of people to feel deprived to some other standard (relative to another group, or to their own past situation). The resultant dissatisfaction may be a cause of revitalization movements."71 - Relative Deprivation mag somit auch sehr gut das Resultat von Fremdheitslast sein. 4.3. Die Wiederbelebung des Schamanismus in Sibirien - Fallbeispiele HOWARD (1993:320, 321, [385]): "A weakening or disruption of the old social order, periods of social unrest, or subjugation and a loss of power frequently result in religious movements categorized as millenarian. Millenarian movements ... expose a belief in the coming of a new world, in part through supernatural action. These are religions born of frustration, despair, or bewilderment, which seek to cut through a seemingly hopeless situation with a promise of the millenium a period of good governments, great happiness, and prosperity. Millenarists call for a complete change, although their actual visions are, of course, limited by their own sociocultural milieu. As Kenelm Burridge (1969: 141) has pointed out, their main theme is moral regeneration and the creation of a new kind of person. Such themes are often expressed or symbolized by a hero or prophet. Figures such as Haile Selassie, Jesus, or Buddha serve as focal points for the call for a new life." LINDSTROM (1996:371, 372): "Anthropologists, sociologists and historians have extended the term 'millenarism' from the Christian tradition to categorize religious movements worldwide that predict an impending, supernatural transformation and perfection of human society. Jesus Christ's Kingdom on Earth will last 1,000 years - a round and solid number - or so foretold the prophet John in the Book of Revelation ... Generalized from its Christian origins, the label 'millennial' describes a broad variety of social movements that have in common an aspiration to reform or overturn the social order with supernatural assistance." 71 FRIEDL (1976:422); vgl. auch DERS. (S. 391-393). 31 Im folgenden möchten wir klären, welche Zusammenhänge zwischen religiösen Erneuerungsbewegungen (Revitalisierung, Nativismus und Milleniarismus) auf der einen Seite und dem Wiederaufleben des Schamanismus in vielen Teilen seines Verbreitungsgebietes, insbesondere in Sibirien, bestehen.72 Der Schamanismus war in vielen Teilen ihres Verbreitungsgebietes bereits tatsächlich im Verschwinden begriffen, oder aber er wurde als Relikt der Vergangenheit angesehen und totgesagt. Die Gründe dafür liegen sowohl in der allgemeinen gesellschaftlichen Modernisierung (vgl. HOPPÁL 1996:99, 100) als auch in der religiösen Unduldsamkeit der sozialistischen Staatswesen (vgl. BALZER 1996a:5-11). Im Gegensatz zur Prognose vom Verschwinden des Schamanismus und der Annahme, daß es sich um ein Relikt der Vergangenheit handle, läßt sich in vielen Teilen Nordasiens wie auch in anderen Teilen der Welt ein erstaunliches Beharrungsvermögen des Schamanismus feststellen, vgl. BALZER (1996b:1185): "Like a patient consumed with a terrible unknown illness, shamanism has been declared moribund many times in the last several centuries, but it lives to be reincarnated and reinvented among some believers in each generation in Eurasia and the Americas ... Shamanism has unevenly withstood missionizing Christian, Buddhist, Confucian, Islamic, and Soviet pressures against it. When Soviet officials came to arrest Siberian shamans in the 1930s, at least some managed to outwit their oppressors in mystical and political ways that became legendary. Colonial encounters with indigenous peoples have taken complex and mutually unpredictable tolls, yielding new revitalization movements (from Siberian Burkhanism to Native American Ghost Dancing), personal syncretism during crises of faith, and colonists in Asia and in the Americas appealing to shamans for cures. Michael T. Taussig (1987), steeped in the Colombian curing dynamics, terms shamans the 'shock absorbers of history'."73 Aspekte der Wiederbelebung des Schamanismus in Sibirien möchte ich im folgenden anhand von Fallbeispielen aufzeigen. unter den indigenen Völkern Sibiriens sind 26 offiziell aner72 Angemerkt sei hier, daß eine genaue Differenzierung zwischen den Begriffen "Renaissance" (vor allem von HOPPÁL verwandt) und "Revitalisierung" des Schamanismus von den meisten Autoren (z.B. BALZER, IRIMOTO, KIM, YAMADA, pers Mitt. 1997) nicht getroffen wird, vielmehr tauchen die beiden Begriffe in synonymer Verwendung auf, die Terminologie der entsprechenden Autoren ist diesbezüglich nicht besonders exakt. 73 Ganz ähnlich äußert sich D'ANGLURE (1996:507): "Contrary to the pessimistic prognosis of the preceding period, shamanism was not dead. It has even gone through a revival in numerous regions of the world, such as Siberia and Amazonia, where it had been considered doomed as a result of persecution and major socioeconomic changes. In these regions an urban form of shamanism is even emerging. Certain traditional shamanic groups, which have long been dominated by imported ideologies and religions, have also rediscovered their roots ... [Shamanism] shows an astonishing capacity to adapt to new urban contexts, to be able to exist side by side with major religions, and to resist all attempts at institutionalization and reduction to one or other of its aspects." 32 kannten "Kleinen Völker des Nordens"74 von den demographisch sehr viel bedeutsameren und damit politisch einflußreicheren Völkern Südsibiriens im Übergangsbereich zwischen Zentral- und Nordasien zu unterscheiden.75 Dementsprechend werde ich mich zunächst den aktuellen Entwicklungen im Schamanismus der Jakuten (Sacha), Tuwiner (Tyva) und Burjaten und anschließend bei den kleinen Ethnien Sibiriens zuwenden. Dabei gehe ich davon aus, daß sich infolge höherer Bevölkerungszahl und größerer Verwaltungsautonomie schamanische Praktiken bei Burjaten, Jakuten, Tuwinern und auch den turksprachigen Chakassen, Schoren u.a. turksprachigen Völkern des Altai besser bewahrt werden konnten als bei den "Kleinen Völkern" der Ugrier, Samojeden, Tungusen und Paläoasiaten. 4.3.1. Sacha / Jakutien Die Repubklik Sacha im nordöstlichen Sibirien umfaßt 3,1 Mio. km2 (JOENG 1998:19) und wurde 1992 von 1,1 Mio. Menschen bewohnt, von denen 33% Jakuten waren. Der Anteil der Sacha (= Jakuten) stieg bis 1995 auf 40% (KANG ebd.). Lediglich 6,1% der Jakuten gaben bei der Volkszählung von 1989 Sacha als ihre Muttersprache an (KANG 1998:21). BALZER 74 Dieser Begriff der Sowjetadministration wird inzwischen von den Betroffenen weitgehend abgelehnt, "politisch korrekt" ist der Begriff "Indigene Völker Nordsibiriens und des Fernen Ostens [der Russischen Föderation]“. 75 Vgl. JANHUNEN (1996:1187): "Recent developments in post-Soviet Russia have ... opened new possibilities for a few larger indigenous groups (Tuva, Buryat, Yakut) to claim political independence. The same nationalistic trend has also infected many smaller indigenous groups". Derselbe Autor geht aus (EBD.:1188) geht davon aus, daß heute ca. eine Million Indigene in 30-60 verschiedenen ethnischen Gruppen in Sibirien leben. Er unterscheidet innerhalb Sibiriens fünf verschiedener kulturanthropologische Regionen (West-, Süd-, Zentral-, Nordost- und Südostsibirien) und drei verschiedene Ökozonen mit jeweils spezifischer Kulturausprägung: Die Tundra mit zirkumpolarer Kultur, die Taiga mit zirkumpolar-borealer Kultur, sowie die Steppenregion mit starken Kultureinflüssen aus Innerasien (EBD.:1187, 1188). Zu den Völkern dieser süssibirischen Steppenregion, deren Wirtschaftsweise stärker als die der nordsibirischen Völker vom Hirtennomadismus beeinflußt ist, werden neben den mongolischen Burjaten die turktatarischen Völker der Tuviner, Chakassen, Altaier und Schoren (im russischen Hoch-Altai) sowie die Jakuten gezählt dies trotz ihres in Nordsibirien gelegenen Siedlungsgebietes, in welches sie allerdings erst im 13/14. Jahrhundert einwanderten (KANG 1998:21); vgl. DAHL (1995:80): "Besides the '26 Small Peoples' there are a number of other indigenous peoples in Russian Asia. In 1989, there were 421,000 Buryats, 382,000 Yakuts, 207,000 Tuvins, 80,000 Khakass, and 71,000 Altays ...", während die "Kleinen Völkern des Nordens" demgegenüber jeweils nicht mehr als 30 000 Angehörige umfassen (EBD.), im wahrsten Sinne des Wortes "Mikro-Minoritäten" darstellen und zur Sowjetzeit lediglich über autonone Bezirke (avtonomskij oblast') oder Nationalkreise (avtonomskij okrug, abtonomskij rajon) verfügten. Demgegenüber hatte man Burjaten, Jakuten und Tuvinern jeweils den Status einer Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik (ASSR) zugestanden. 33 (1996a:5) faßt das derzeitige Erscheinungsbild des Schamanismus in der Republik Sacha wie folgt zusammen: "Shamamism in the Sakha republic (Yakutia) of the Russian Federation recently has come out of the hiding after Soviet repression, and into fashion. Images of the shaman are changing in villages where traditional healers maintained their practices in difficult conditions and in cities where a resurgence of spirit beliefs and healing has led to the founding of the Association of Folk Medicine. Shamans and folk healers manipulate their own images, and in turn are changed by the upheavals of politicized cultural revitalization." Im Zuge dieser Änderungen werden Kräutertherapie, Atem- und Massagetechniken sowie Telepathie und sowjetische "extra-sense"-Techniken in die schamanische Diagnostik und Therapie integriert,76 der jakutische Schamanismus als solcher wurde institutionalisiert: Vladimir Kondakov, selbst Schamane, Historiker und "extra-sense"-Praktizierender, gründete 1990 eine "Jakutische Gesellschaft für Volksmedizin",77 im selben Jahr formierte sich als Bewegung zur kulturellen Wiederbelebung die Organisation Kut Sür.78 Das stark schamanisch geprägte Ysyach-Fest (vgl. KANG 1998:144-164) ist seit 1991 ein nationaler Feiertag Sachas. Es gibt inzwischen jakutische Schamanen, die nach Moskau oder Kiew zum "extra-sense"Training reisen; als Novum wurden schamanische Gruppentherapie ("group séances") eingeführt. Einige Heiler sind Umweltschutzaktivististen und betonen die ökologischen Aspekte des Schamanismus.79 Nach wie vor sind die Jakuten von Geschichten über wundersame Schamanenheilungen fasziniert,80 und neue Geschichten in denen Schamanen etwa ein Rönt- 76 "Traditional Sakha healers also were specialized, so such divisions are not new. What is different is that they are being revitalized in a politicized context of rekindled confidence in the potential of such cures, after intense Soviet propaganda to the contrary. New too is the group orientation, for traditional healers often jealously guarded their community turf and competed with each other, a phenomenon also not unknown today" (BALZER 1996a:15). 77 Diese Gesellschaft ist "... focused on curing, broadening and syncretising its repertoires of techniques to incorporate practices supplementing shamanic séance spirit mediation ...Kondakov, whom many consider an aiyy oiuun [weißer Schamane], also has a degree from V. M. Kandyba's 'extrasense' institute in Kiev, has added aspects of Eastern religion and acupuncture to his practices, knows a range of herbal medicines, and is by training a historian. ... Shamanic practice itself has historically been highly syncretic, so Kondakov's supporters can argue his innovations are within a shamanic tradition of creativity and flexibility" (BALZER 1996a:12). 78 Zu übersetzen etwa als "Herz - Seele - Bewußtsein - Verstand" ("Heart - Soul - Mind - Reason"). Nach BALZER (1996a:13) handelt es sich dabei um eine "self-defined Sakha traditional philosophy, aiyy yöreghe ... benevolent spiritual teaching ... for recent times of transition and trial". 79 "Some healers are also ecology activists, building on shamanic harmony with nature through spirit helpers, meditation and telepathy" (BALZER 1996:13) 80 "Sakha fascination with stories of shamanic cures of cancer, gallstones., diabetes, infertility ... remains" (BALZER 1996a:12). 34 genblick ("x-ray vision") zugesprochen wird, sind im Umlauf. Der Glaube an die Wiedergeburt ist ebenso allgegenwärtig wie der Brauch, den Geistern an heiligen Orten Opfergaben darzubringen. Auch der Glaube, daß Plätze mit Schamanengräbern geheim gehalten werden müssen, besteht fort - andererseits werden diese Schamanengräber auch zunehmend zu Pilgerstätten und Orten der Verehrung durch "Neo-Schamanen". Während bis 1986 schamanische Tätigkeiten und Traditionen noch allgemein verheimlicht wurden, wurden solche Familientraditionen schon ab 1990 neu erfunden (BALZER 1996a:12, 13). Sacha-Ethnologen wie etwa V. Jakovlev sind selbst an der Ausführung von Riten beteiligt (z.B. an der Errichtung von Gedächtnispfählen, serge, an heiligen Orten). Der Rundtanz Ohuochai, welcher früher lediglich an dem sommerlichen Ysyach-Fest aufgeführt wurde, wird inzwischen in einem eigens dafür gegründeten Club allwöchentlich unter der Leitung des Ethnologen und Linguisten Nikolaj E. Petrov abgehalten. Es gibt Schamanenaufführungen im Nationaltheater von Jakutsk (HOPPÁL 1996:103), die Errichtung eines house of spirits in der dortigen Innenstadt wird behördlicherseits diskutiert.81 Trotz der neuen Popularität der Volksmedizin bestehen Vorbehalte der Sacha-Intelligencija gegenüber einer „neuen Welle von Scharlatanen", lediglich sieben Personen in der gesamten Republik (Jakuten und Evenken verschiedenen Alters und Geschlechts, ländlich und städtisch) werden von der Bevölkerung als "wahre" Schamanen oder zumindest potentielle Schamanen anerkannt (BALZER 1996a:12), die Authentizität der schamanischen Kultur im gegenwärtigen Jakutien wird nachhaltig in Frage gestellt.82 Dessen ungeachtet besteht gegenwärtig in der Republik Sacha ein enger Bezug zwischen Schamanismus und (Ethno)-Nationalismus. Der Schamanismus wird als Ressource der Ethnizitätskonstruktion genutzt, von Behörden (z.B. dem jakutischen Kulturministerium) offiziell unterstützt und ist Bestandteil einer politisch motivierten Revitalisierungsbewegung,83 auch wenn für viele Sachas keine unmittelbare Verbindung zwischen ethnischer Identität und dem Glaube an schamanische Praktiken besteht:84 81 Was die Gefahr einer erstarrten Ritualistik in einem staatlich gelenkten, städtischen Tempel mit sich bringen und zu einer konformen, "von oben" verordneten Religion führen könnte; BALZER (1996a). 82 "... much that has been done in the name of 'tradition' was actually being invented;" DIES. (1997). BALZER spricht auch von "patchy continuities of some shamanic concepts [used in] recapturing of identity and spirit in the Sakha Republic" (EBD.). Nach KANG (1998:8, 182-184) war der jakutische Schamanismus bereits zur Zarenzeit weitgehend zum Erliegen gekommen und der weiße Schamanismus im 19. Jh. schon ganz verschwunden (S. 182). 83 "[a] consciously politically relevant cultural movement stimulated by some members of the Sakha intelligentsia"; BALZER (1997). 84 "no simple correlation ... between Sakha identity and belief in shamans," BALZER (1996a:14). In den Worten derselben Autorin heißt es: "... ancient shamanic techniques ... [are] used in new socio-political contexts ... An adapted shamanism has become one medium for the message of 35 "Ethno-national identity and pride can be constructed from diverse cultural branches. For many Sakha, such cultural branches include shamanic beliefs, very broadly interpreted." (DIES. 1997). 4.3.2. Tyva Die Republik Tuva (offiziell Tyva)85 innerhalb der russischen Föderation hat eine Fläche von 170 500 km2 und wurde 1995 von 0,3 Mio. Menschen bewohnt, von denen 64% (also ca. 0,2 Mio.) Tuviner sind (vgl. BALZER 1999a:12). Ein kleine Minderheit von Tuvinern lebt auch verschiedenen Regionen der angrenzenden Mongolei (5-15 000 Menschen; TAUBE, pers. Mitt. 1997).86 Tyva stellt eine Übergangsregion zwischen Zentral- und Nordasien und neben Burjatien und Kalmükistan die nördlichste Region dar, in welcher der tibetische Buddhismus Eingang gefunden hat,87 daneben wurde jedoch stets auch Schamanismus praktiziert.88 1931 soll es in Tyva 800 Lamas und 700 Schamanen gegeben haben (WAJNSCHTEJN 1996:239). Ab den 1980er Jahren wurde eine kulturelle Wiederbelebungsbewegung von Wissenschaftlern des Instituts für Sprachen, Literatur und Geschichte in der Hauptstadt Kyzyl gegründet: "It centered on regeneration of the Tuvan language and folklore, including the great Tuvan tracreative post-Soviet cultural revival ... Shamanism, as part of a vast and complex philosophical system, becomes a symbol of the richness of the Sakha past" (BALZER 1996a:13-15). "Raising individual and group spirits, in the sense of morale building, is part of the neo-shamanic curing endeavor ... making the link between Sakha identity and personal health explicit ... Sakha spiritual revival and morale building simultaneously proceeded along other fronts, in part sponsored by the ministry of Culture and in part less official, more 'grasroot'". Nach KANG (1998:8) gibt es "... verschiedene politische Richtungen in Jakutien. Die radikale nationale Richtung möchte mit der Türkei eine Verbindung herstellen. Eine andere Richtung bezieht sich auf die nördlichen Minoritäten [die sogenannten 'Kleinen Völker des Nordens']. Eine dritte, will mit den östlichen Nachbarn (Korea, Mongolei, China usw.) kulturelle Verbindungen aufnehmen. Noch eine weitere Gruppe möchte sich an ihrer alten Tradition, Schamanismus usw. orientieren.". 85 Zu den verschiedenen Ethnonymen der Tuviner, den synonymen bzw. alternativen Bezeichnungen Tyva, Urjanchai, Sojoten, Tsaatan, Ducha etc. sowie dem daraus resultierenden Begriffswirrwarr vgl. TAUBE (1994). 86 Für die Aufrechterhaltung bzw. Wiederbelebung schamanischer Traditionen kommt dieser kleinen Minderheit eine überproportionale Rolle zu (vgl. z.B. den Film Boo Nar - Die Boten der Geister), was u. a. auf das Wirken des deutschsprachigen (Germanistikstudium in Leipzig) tuvinisch-mongolischen Schriftstellers Galsan Tschinag zurückgeht. Das Gebiet um den Chövsgöl(See) in der Mongolei, in dem 30-40 tuvinische Tsaatan-Familien (Ducha) leben, soll als "schamanistische Landschaft" unter Schutz gestellt und in die Liste des UNESCO-geschützten Weltkulturerbes aufgenommen werden (Mongolian Minstry of Enlightment, UNESCO o. J.:34-36). 87 offizielle Religion der Tuviner ab dem 17. Jahrhundert, erste buddhistische Zeugnisse ab dem 14./15. Jahrhundert (WAJNSCHTEJN 1996:239). 88 ANAIBAN (1999); KENIN-LOPSAN (1997a, 1997b). 36 dition of throat singing [chömej]" (BALZER 1999a:8). Gleichzeitig wurde auch der traditionelle Kult der ova (oder oboo) wieder aufgenommen, und der Buddhismus erstarkte. Neben der Hinwendung zum Buddhismus zeichnen sich jedoch gleichzeitig auch Tendenzen einer verstärkten Rückbesinnung auf schamanische Traditionen und deren Einsatz in der Gesundheitsfürsorge ab. HOPPÁL (1996:104) spricht von einer "Renaissance" des Schamanismus seit 1995, welche im Westen erheblichen Widerhall erfahren hat.89 Tuvinische Schamanen haben sich in der Organisation Düngür ("Die Trommel") zusammengeschlossen (BALZER 1999a), schamanische Kliniken wurden inzwischen als Alternative zur allopathischen Gesundheitsversorgung aufgebaut werden.90 4.3.3. Burjatien Die Republik Burjatien (östlich des Baikalsees) wird von knapp zwei Millionen Menschen bewohnt, 24% davon (etwa eine halbe Million) sind Burjaten der nordmongolischen Sprachgruppe. Sowohl bei den Burjaten in der russischen Föderation als auch bei der burjatischen Minderheit in der Mongolei scheint sich der Schamanismus sehr viel besser erhalten zu haben als bei den Chalcha und anderen ostmongolischen Völkern.91 In der Mongolei selbst scheint 89 "Foreign groups and individuals have made pilgrimages to Tuvan shamans and sacred sites high in the mountains of the breathtaking Altai-Saian range; conferences and festivals have been organized in Tuva on the themes of music, shamanic spirituality, and healing" (BALZER 1999a:5). Die Begeisterung westlicher Kreise für religiöse und andere Traditionen der Tuviner löst bei den Tuvinern selbst häugig Erstaunen aus und steht in bemerkenswertem Kontrast zu den bedrückenden Lebensbedingungen und Alltagsproblemen in der Republik; vgl. DIES (1999): "Tuvans I met seem surprised to find their spirit bound traditions so widely admired in the West [S. 10] ... But Tuva has another, less exuberant side, the daily life of growing poverty, wage arrears, serious health problems, and concerns about interethnic tension that their own competent ethnosociologists have been studying and explaining with increased freedom in the 1990s [S. 5]". 90 HOPPÁL ( pers. Komm. 1997), vgl. ANAIABAN (1999:60), "Religious Life ... At present, the list of the various religious functioning in Tuva is quite broad and is not limited to the two principal ones - [Lamaist] Buddhism and [Russian] Orthodoxy. Among the groups functioning more or less actively are Muslims (mainly the Tartar diaspora); a growing group of Baptist Christians; a solid Old Believer congregation; a newly created society of shamans (Dungur - "The Drum"); and a small group of Hare-Krishnas". 91 DUGAROV; DULAM; KHUNDAEVA; KUMIN; SKRYNNIKOVA; ZHUKOVSKAYA, jeweils pers. Mitt. 1997; vgl. TAUBE & TAUBE (1983:96): "Im Gegensatz zu sibirischen Völkern ist über den Komplex der Initiation und Weihe bei den Mongolen wenig geschrieben worden. Da vom 16.-18. Jahrhundert viele süd- und nordmongolische Familien in das burjatische Gebiet flüchteten, hat sich im burjatischen Schamanismus vieles an religiösen Vorstellungen der Süd- und Nordmongolen jener Jahrhunderte bewahrt". Denselben Autoren zufolge (1983:106) wurde "... die Verdrängung des Schamanismus und die Festigung des Lamaismus am vollkommensten bei den Südmongolen vollzogen", obgleich sie auch einräumen: "Noch 1927 zählte man in der mongolischen 37 der Schamanismus schon vor geraumer Zeit weitgehend zum Erliegen gekommen zu sein, wesentliche Impulse zu seiner Wiederbelebung bzw. Aufrechterhaltung scheinen von Tuvinern und Burjaten auszugehen.92 4.3.4. Die manschutungusischen Völker des Fernen Ostens HOPPÁL (1996:99-103) spricht auch in Bezug auf die anderen Völker Nordasiens von einem "contemporary revival of shamanism among the small ethnic groups of Sibiria" und von einer ungebrochenen Kontinuität des Schamanismus bei den mandschutungusischen Völkern der Amur- und Ussuri-Region. Dazu einige Anmerkungen: KISTER (1999) bringt ein Beispiel für den rudimentär fortbestehenden Schamanismus bei den Mandschu. In Lingan in der chinesischen Amur-Provinz Heilongjiang sollen 20% der Einwohner Mandschu sein und und gegenwärtig ca. 120 Schamanen (70 männlich, 50 weiblich) praktizieren (S. 78). Der Schwerpunkt des gegenwärtigen Schamanismus sei die Verehrung der Clan-Gottheiten, Riten würden von jüngeren Leuten oft vollzogen, ohne daran zu glauben (S. 79). Die Anrufung von Schutz- und Hilfsgeistern wurde schon vor 200 Jahren verboten (vermutlich der Versuch der Sinisierung durch die Mandschu-Herrscher), infolgedessen haben sich schamanische Rituale lediglich in einer sehr ritualisierten Form gehalten, welche keine direkte Kommunikation zwischen Schamane und Geistwesen oder Göttern beinhalten es kommt kaum zu einer Interaktion zwischen dem Ritualisten und den gerufenen (oder zurückgesandten) Göttern (EBD.:78-80,86). Im Gegensatz zu SHIROKOGOROV, der 1935 schrieb: "there is no chance for the survival of shamanism in Sibiria, in Manchuria and Mon- Hauptstadt, dem einstigen Zentrum des lamaistischen Glaubens in der Äußeren Mongolei, mindestens fünfzig Schamanen. So galten auch damals noch Georg Timkowskis Beobachtungen über die Verehrung der Onggod und anderer 'schamanistischer Gebräuche, welchen, so sehr auch die Priester des Schigemuni (Budhha [mongolische Verballhornung von Shakyamuni?]) dagegen kämpfen, doch einige von den Mongolen mit Eifer und Vertrauen folgen“. 92 Vgl. DULAM; KUMIN, pers. Mitt. 1997. Wie aus den Aussagen einer mongolischen Seminarteilnehmern in der Abteilung Kulturanthropologie an der Universität Ulm hervorgeht, gibt es unter den chalch-Mongolen nur insgesamt zwanzig Schamanen in allen aimaks (Bezirken) der Mongolei. Die praktizierenden Schamanen in der Mongolei seien sonst Angehörige anderer Ethnien (Tuviner, Burjaten etc.). Dennoch sei das Bewußtsein vom Schamanismus in der mongolischen Bevölkerung stark verwurzelt, auf ihre Frage nach Schamanen in der Mongolei sah sich die Seminarteilnehmerin am Telefon mit der Erwiderung konfrontiert: "Brauchst Du Hilfe?". Schamanen dienen weniger der individuellen Heilung als kollektiven Ritualen zur Versöhnung mit den Geistern und der Opferung, z.B. an den owos. Dennoch wird im Zuge der Heilerwahl (health shopping) bei Erkrankungen oder anderen (mentalen?) Beschwerden zunächst ein Lama (auch noch in der heutigen Mongolei), dann ein (westlich ausgebildeter) Doktor, und dann ein Schamane aufgesucht (ERDE-NETSETSEG, pers. Mitt. 2 000). 38 golia" (S. 34), kommt KISTER (1999:88) zu dem Schluß: "Contrary to his prediction, shamanism still survives among the Manchu, though in a weak state as a communal belief system; and it is actually experiencing something of a renaissance in Siberia and Mongolia". Bei den Orotschen,93 einer lediglich 7 000 Personen (1990) umfassenden mandschutungusischen Ethnie auf der russischen und chinesischen Seite des Amur sind nur noch zwei praktizierende Schamanen (ein Mann und eine Frau) am Leben, linguistisch ist das Volk völlig akkulturiert (russische und chinesische Muttersprachler). Seit 40 Jahren werden keine schamanistischen Riten mehr praktiziert, jedoch Frühlings- und Herbst- sowie Begräbnisriten von den beiden Schamanen vorgenommen und bei der Jagd immer noch Gebet an den Berggott gerichtet.94 Insgesamt kommt KISTER (1999:88) bezüglich des rezenten Schamanismus bei den amurtungusischen Völkern Südostsibiriens zu dem Schluß: "Shamanism among the peoples of the northern Amur cannot be said to experience the kind of communal revival that it enjoys among the Buryat and Yakut peoples, but the scattered shamans whom I met in isolated villages along the banks of the Amur are now able to practice private healing rites in peace. They apparently enjoy a certain amount of respect and attract at least a few aspirants who may carry on their tradition, which in its present form focuses on contact with the world of the gods and spirits in illness and rites of healing." Wie KIM (1997) am Beispiel der Nanai zeigt, ist die Wiederbelebung des Schamanismus mit Forderungen nach vergrößerter kultureller und politischer Autonomie, Umweltschutz und Schutz der Wildbestände verknüpft, wobei auch die ökologische Komponenten des Schamanismus gezielt eingesetzt werden: "In conclusion, the shamanism revived among the nomadic small peoples is not merely cultural survival from the past but the modern invention for the national self-determination." 4.3.5. Uralische Völker Westsibiriens Eine etwas andere Situation dokumentiert HOPPÁL (1996:104 ff.) bei den uralischen Völkern Westsibiriens: Bei dem Chanten wird das Bärenzeremoniell trotz offiziell totgesagtem Schamanismus nach wie vor durchgeführt (S. 105),95:bei den Nganasanen, wo die Schamanen traditionell aus dem Ngamtusua-Clan kamen, widmet sich dieser einer folkloristischen Wiederbelebung schamanischer Praktiken: "... practically all the relatives have now joined in the 93 Auch Oroqon (chin. Pinying-Umschrift), Orochon und Elunchun. 94 KISTER (1999:88-90); dokumentiert etwa im Film The Last Mountain God, BAI LAN (1990). 95 Sehr eindrucksvoll belegt in Filmdokumentation des estnischen Ethnologem Lennart MERI. 39 chain of folklorism, reproducing in theatre-like forms the songs and art of the shaman father [Demnime, last great shaman]".96 4.3.6. Zusammenfassende Bemerkungen zur Revitalisierung ("Renaissance") des Schamanismus in Nordasien In Sibirien ist im letzten Jahrzehnt (1990-2000) eine "politisierte kulturelle Revitalisierung" des Schamanismus zu verzeichnen. Nach BALZER (1996b:1185) ist die Revitalisierung des Schamanismus mit dem Selbstbehauptungswillen und dem Wunsch nach verstärkter politischer Emanzipation indigener Völker verknüpft, "Shamanistic revitalization in new indigenous contexts can be linked to diverse twentieth-century Asian and American nationalisms, as well as to movements of native solidarity," und fügt sich damit in den oben beschriebenen Rahmen nativistischer Bewegungen ein: "... ancient shamanic techniques ... are used in new socio-political contexts" (BALZER 1996a13).97 Die Revitalisierung des Schamanismus in Sibirien (vgl. BALZER, IRIMOTO, KIM, jeweils pers. Mitt.. 1997) ist eingebunden in politische Bewegungen und wird zum Teil als Ressource der Ethnizitäts(re-)konstruktion genutzt.98 Dementsprechend kommt es im Zuge des Revitalisierungsprozesses z.T. zur Wiederbelebung und Modifikation bereits verlorener oder unvollständig tradierter Elemente des Schamanismus (z.B. bei den Golden / Nanai). Zusammenfassend lassen sich folgende Aspekte der Wiederbelebung (Revitalisierung) des Schamanismus im heutigen Sibirien verzeichnen: z Die Revitalisierung findet in Form von institutionalisierten Bewegungen mit politischer Zielvorgabe statt und wird in Sacha, Tyva und Burjatien (den Republiken mit größerem politischen Handlungsspielrauum) häufig von Behörden oder wissenschaftlichen Institutionen betrieben oder tatkräftigt unterstützt. z Schamanische Traditionen werden - z.T. bewußt - verändert, mit anderen spirituellen Praktiken kombiniert oder ggf. neu erfunden (rekonstruiert), falls der Überlieferungsstrang entsprechender Traditionen völlig abgerissen sein sollte. z Schamanismus ist mit dem Erstarken ethnischer Identität verbunden und wird als Ressource der Ethnizitätskonstruktion selbst in den Fällen genutzt, in denen eine schamanische Performanz überhaupt nicht mehr nachzuweisen ist. 96 HOPPÁL (1996:105), wobei sich derselbe Autor auch gleich die berechtigte Frage stellt, ob diese Form des Neo-Schamanismus gleichbedeutend mit dem Ende des Schamanismus ist (EBD.:106). 97 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die bewußt ökologische Rhetorik in Beiträgen von KENINLOPSAN. 98 Wie BALZER (1996a:14,15) allerdings schreibt, "no simple correlation exists between Sakha identity and belief in shamans ...an adapted shamanism has become one medium for the message of creative post-Soviet cultural revival". 40 5. Untersuchungsmethode und Datenbasis 5.1. Untersuchungsmethode und sample Das Projekt versuchte nicht nur einen Überblick über das Phänomen der Proliferation zu bekommen, sondern auch die Bedarfssituation auf der einen Seite und die steigende Anzahl der Schamanenkandidaten auf der anderen Seite unter den Gesichtspunkten von Fremdheitslast und Fremdheitslösung zu analysieren. Daraus ergab sich folgendes Untersuchungs-sample: - - Jungschamanen Altschamanen: Einige in ganz Ladakh bekannte Schamanen und Schamaninnen sowohl in Leh und Umgebung wie in den dörflichen und in peripheren Regionen des Bezirks (z.B. im Nubra-Tal) Das Klientel der Schamanen. Durch die Einbeziehung des Klientels der Schamaninnen und Schamanen überschnitten sich die befragten Personengruppen mit dem im Teilprojekt Subjekte Fremdheitserfahrung in Ladakh zur Untersuchung vorgesehenen Bevölkerungssegmenten in Ladakh. Die für die vorliegende Forschungssonde relevanten Fragen nach der Einschätzung schamanistischer Rituale, der Teilnahme dieser Personen daran und der Beurteilung der gegenwärtigen Hinwendung zu oder Abwendung von der Religion im heutigen Ladakh konnten im Rahmen einer gemeinsamen Erhebung gleich mitgestellt werden. Außerdem ergaben die im Rahmen des Projektes zur subjektiven Fremdheitserfahrung erhobenen narratives wertvolle Hinweise zu Fremdheitslösungen, denen in dieser Sonde auf der Ebene des Handlungsvollzugs nachgegangen werden konnte. Somit wurden auch alle für das Projekt Subjektive Fremdheitserfahrung in Ladakh geführten 121 Informationsgespräche (I- 1-121) in die vorliegende Studie zur Schamanenproliferation in Ladakh mit einbezogen (vgl. Kap. 5.2. [ii]). Den Informationsgesprächen mit den Schamaninnen und Schamanen (IL) lag folgendes Frageraster zugrunde, das in situationsspezifischer Weise an die jeweilige Erhebungssituation angepaßt wurde: 1. Zur Proliferation des Schamanismus 1.1. Mehr Schamanen als früher? 1.2. Mehr Schüler? 1.3. Mehr Klientel? 2. Zum Klientel 2.1. Welches Klientel? 2.2. Warum kommen die Menschen zu Schamanen? 3. Eigene Einschätzung 41 - Wenn es heute mehr Schamanen als früher gibt, warum ist das so? Wenn es heute ein größeres Klientel als früher gibt, warum? 4. 5. 6. Wie lange praktiziert die jeweilige Schamanin / der Schamane schon? Bei wem und wie lange wurde die Ausbildung vollzogen? Hat die jeweilige Schamanin oder der Schamane selbst Schülerinnen oder Schüler? Um einen Einblick in die rituelle Praxis von Schamaninnen und Schamanen sowie Vertrautheit sowohl mit den Schamaninnen und Schamanen als auch ihrem Klientel zu bekommen, besuchte ich zehn Schamanenheilungen (H) besucht und nahm sechs davon auf Band auf (HT). Weiterhin fertigte der einheimischen Projektmitarbeiter Ngawang Namgyal "Sundar" aus Wanla aufgrund eigener Umfragen eine statistische Übersicht zu sieben männlichen Schamanen und 13 weiblichen Schamaninnen an, welche Angaben zu Alter, Wohnort, Familienverhältnissen, Berufstätigkeit, evtl. erblicher Berufung zum Schamanenamt, ausbildendem Altschamanen, zum Namen des verkörperten lha, zur Frequenz der Trance, weiteren Berufungen in der Familie und evtl. Schülerinnen und Schülern enthält. 5.2. Die Datenbasis Insgesamt besteht die Datenbasis somit aus vier verschiedenen Kategorien: (i) (ii) (iii) (iv) insgesamt 22 Informationsgespräche mit Schamanen (IL), davon 16 mit lha mos und sechs mit lha pas insgesamt 121 Informationsgespräche (I) mit Ladakhis beider Geschlechter, verschiedener Altersstufen und Schichten, in denen regelmäßig nach eigenen Erfahrungen mit und Einschätzungen zum Wirken der Schamaninnen und Schamanen gefragt wurde Ingesamt zehn beobachtende Schamanenheilungen (H), von denen sechs vollständig auf Band aufgenommen wurden (HT) eine statistische Übersicht zu Schamanen, welche von dem einheimischen Forschungsmitarbeiter Namgyal Sundar angefertigt wurde. Darin finden sich Angaben gemäß folgendem Raster: Name Age Address permanent Address present Family Status Number of children (if any) Profession Name of the Oracle Possessed By Heritage Yes / No Name of the Teacher under which the Oracle was initiated first Male / Female Single / Married / Divorced 42 Address Does he or she go into Trance Do any other Members of the Family go into Trance? When did the Oracle first go into Trance? How? Any new Oracle under Training (If Yes, Name and Addresses Notes Everyday One in a Week Once in a Month Yes / No 5.3. Die Auswertung der Daten Die Fragestellung nach dem subjektiven Gewinn des schamanischen Rituals für Heiler und Klient erforderte, daß die geführten Informationsgespräche in zentralen Teilen transkribiert und inhaltsanalytisch ausgewertet wurden. Die inhaltsanalytische Kategorisierung konzentrier-te sich vor allem auf die erlebten Probleme, die wahrgenommenen Ressourcen und die Wege zur Spannungsreduktion. Dazu wurden die zur Transkription ausgewählten Informations-gespräche nach einem dreistufigen Schema mit Hilfe von vier einheimischen Mitarbeitern aus Ladakh transkribiert: (1) Grobtranskription in englischer Übersetzung (2) verfeinerter Transkription ausgewählter Textpassagen mit wortgetreuer Übersetzung von Schlüsselbegriffen (Ladakhi - Englisch) (3) eingehende Transkription besonders zentraler Gesprächspassagen nach folgendem Schema: (i) wortwörtliche Transkription in tibetischer Schrift (Bod yig) (ii) Transliteration in Lateinschrift99 (iii) eine Interlinearübersetzung (Wort für Wort) (iv) Formulierung einer Übersetzung gemäß englischer Grammatik und Syntax Diese aufwendige Transkriptionsweise diente dazu, die Ladakhi-Gesprächspartner gemäß den Anforderungen der "sprechenden Anthropologie" auch tatsächlich zu Wort kommen zu lassen, dementsprechend werden ihre Äußerungen in den zentralen Redepassagen in all ihrer Ausführlichkeit, Redundanz, in der für Westler oft umständlich wirkenden Höflichkeit und gegebenenfalls auch ihrer Widersprüchlichkeit wiedergegeben. Darüber hinaus ermöglicht diese wortwörtliche Wiedergabe die Kontrolle des Übersetzungsvorgangs. Natürlich konnte diese aufwendige Transkriptionsweise nicht gleichermaßen auf alle transkribierten Gespräche angewandt werden, so daß eine Auswahl der relevantesten Textpassagen im Sinne der Fragestellung (vgl. Kap. A. 3) getroffen werden mußte. 99 Soweit vom Kenntnisstand der Transkriptmitarbeiter her möglich gemäß WYLIE (1959). Allerdings galt es häufig auch dialektale Varianten des Ladakhi zu berücksichtigen, welche sich nicht in die etablierten Regeln der tibetischen Orthographie einfügen. 43 Bei der Darstellung ausführlicher Transkripte im Ergebniskapitel wurde aus Gründen der Übersichtlichkeit auf die Wiedergabe der Interlinearübersetzung (Zeile [iii]) verzichtet; aus druck- und computertechnischen Gründen mußte auch auf die Wiedergabe der tibetischen Schrift (Bod yig) verzichtet werden. Weiterhin wurden viele englische Ausdrücke, welche entweder in den Interviews selbst von Ladakhi-Sprechern als Lehnworte oder aber vom Übersetzer verwandt wurden, auch im deutschen Text so belassen. Sie sind jeweils in den narratives durch Hochstellung gekennzeichnet. Im Ladakhi werden wie in anderen tibetobirmanische Sprachen auch viele Sachverhalte lediglich angedeutet oder nur ansatzweise benannt werden - deshalb war es notwendig, bei der Übersetzung von Interviewpassagen manchmal Worte hinzuzufügen. Diese Einfügungen sind jeweils durch eckige Klammern [ ] gekennzeichnet. Zum Teil war es notwendig, die Äußerungen vorsichtig zu redigieren, um überhaupt lesbares Englisch zu erhalten. Dabei wurde versucht, allzu große Eingriffe in den Sprachstil der Gesprächspartner zu vermeiden. 44 B. ERGEBNISSE Im Ergebniskapitel der vorliegenden Studie werden zunächst Belege zur Proliferation des schamanischen Angebots in Ladakh vorgestellt, bevor wir die Ursachen für die quantitative Zunahme des Schamanismus in dieser Region untersuchen. Im Sinne der doppelten Fragestellung (vgl. Kap. A. 3) kommen dabei sowohl Ursachentheorien zum Berufungszuwachs als auch Ursachentheorien zum Bedarfszuwachs zur Sprache. Diese Ursachentheorien von Ladakhis selbst werden aufgeschlüsselt nach Schamaninnen und Schamanen, potentiellen Klienten, tatsächlichen Klienten und Angehörigen des buddhistischen Klerus vorgestellt, bevor wir Hypothesen zu ihrer Bewertung entwickeln. 1. Belege zur Proliferation des schamanischen Angebots Die quantitative Zunahme der Schamaninnen und Schamanen wird sowohl von diesen selbst100 als auch von buddhistischen Mönchen (I-22, I-31, I-81, I-84, I-86, I-109)101 und Laien (I-17, I-33, I-42, I-56, I-75, I-82, I-85, I-108, I-114, I-116, I-115, I-119) bestätigt.102 Ein amchi aus Nurla (I-56) ist der Meinung, daß die Proliferation der Schamanen inzwischen fast epidemiehafte Züge angenommen habe: Er vermute dahinter irgendeine Form mentaler Verwirrung (emotional disturbance).103 Auch ein Ladenbesitzer in Diskit (I-108) bestätigt generell die Proliferation der Schamanen, hat allerdings keine Erklärung für die zunehmde Zahl der oracles104: "During my childhood I have never seen a lha, only I heard that there is a lha. Now since ten years there are two three lhas." Nach Aussage eines inzwischen verstorbenen tour guide (I-17) gibt es allein in Leh 15-20 Schamanen und in jedem Dorf Ladakhs mindestens eine lha mo oder einen lha pa - augen100 IL-55, Il-59, Il-61, IL-65, IL-66, IL-70, IL-76, IL-79, IL-80, IL-98, IL-103, IL-112, IL 117 das bedeutet in zwei Dritteln aller erhobenen narratives mit Schamanen. 101 Unter diesen weist ein Mönch aus Lamayuru (I-22) auf Änderungen im Betätigungsfeld der Schamanen hin: Früher seien Schamanen vor allem konsultiert worden, wenn ein Stück Vieh verloren gegangen oder nicht rechtzeitig von der sommerlichen Hochweide zurückgekehrt war. 102 Bezüglich dieser Frage lassen sich nur ganz wenige gegenteilige Aussagen finden: Ein Apotheker aus Basgo (I-4) vertritt die Meinung, daß es zwar in Unter-Ladakh (Sham, namentlich in Basgo und Shey) viele Schamanen gebe, allerdings sei keine Proliferation zu verzeichnen, da ein lha immer von einem Verstorbenen auf anderer Menschen übergehe und die Zahl der lhas demnach gar nicht ansteigen könne. 103 Hintergrund dieser Äußerung mag natürlich auch die Konkurrenz sein, die ihm als einem Doktor der traditionellen tibetischen Medizin durch die zunehmende Zahl der praktizierenden Schamanen erwächst; vgl. KUHN (1988). 104 Und auch nicht für die gleichzeitig abnehmende Zahl der Mönche in seinem Heimatdorf. 45 blicklich seien es zusammen genau 361 oracles, und diese Zahl entspreche einer alten Prophezeiung (I-67).105 Eine entsprechende Vorhersage des Stakna Rinpoche, der zufolge es einmal 360 lhas geben werde und diese vor allem Besessenheit bei Frauen hervorrufen, wurde auch von einer lha mo in Choglamsar (IL-97) erwähnt, welche selber bereits 13 Schülerinnen (hauptsächlich aus Stod; aber auch in Leh, Sham, Zanskar und an anderen Orten) hatte: Now, that is what even the Rinpoches say, that 360 lhas will come, and mostly they will possess (skyod-dug) females. Even I have a lot of pupils, I have more than thirteen pupils, some are possessed by a lha, and in some cases the lhas made a promise (tam-ja) not to come again. Nach Meinung eines Agronomen in Diskit (I-105) gebe es inzwischen genügend lhas, sie sollten nicht weiter zunehmen, denn mit der Zunahme der lhas werde auch die Achtung vor ihnen und der Glaube an sie verlorengehen: There should not be an increase of lhas because the lhas we have now are enough. Otherwise, if the lhas keep increasing, then the people will lose faith in them. If every family has their own lha, then there will be no respect for the lhas. Im folgenden soll das Augenmerk auf vier spezifische Umstände der Schamanenproliferation gerichtet werden: (i) den regionalspezifischen Charakter der Berufungen, (ii) auf die Proliferation als vergleichsweise rezentes Phänomen der letzten zehn bis zwanzig Jahre, (iii) auf schamanische Berufungen unter Moslems, (iv) auf den geschlechtsspezifischen Charakter der Berufungen, (v) auf Zweifel bezüglich der Authentizität der Berufungen und der Qualität der vielen Schamaninnen und Schamanen, welche sowohl von diesen selbst als auch von Laien und Mönchen geäußert werden. (i) Der regionalspezifische Charakter der Berufungen Verschiedene Gesprächspartner wiesen auf regionalspezifische Aspekte der Proliferation hin: In Leh werde das Orakelwesen inzwischen zu einer professsion - so ein Schullehrer in Khardong (I-115). Ein tour operator in Leh (I-118) ist der Ansicht, daß es eine Proliferation der oracles weniger in Leh selbst als in den umliegenden Dörfern gebe, aber auch in den new colonies am Rande der Stadt (z.B. der New Housing Colony). Nach Meinung einer Bäuerin 105 Dieselbe Person äußerte auch, daß dies nicht gut für das Land sei Land - warum, wisse er auch nicht - und machte einige sehr ironische Angaben zur Gesundheitsfürsorge und der üblichen Reihenfolge der Konsultation verschiedener Heilerpersönlichkeiten in Ladakh: Im Krankheitsfalle gingen die Leute erst zum Lama, dann zum amchi, dann zum Schamanen, und wenn sie dann endlich zum Doktor kämen, seien die Patienten meistens schon tot ... Inzwischen glaubten mehr Menschen in Ladakh an die westliche Medizin, in Notfällen gebe es Hubschraubereinsätze, um Leute ins Krankenhaus zu bringen. 46 aus Sumur (I-75) findet eine Schamanenproliferation besonders im Dorf Khardong, und auch ein dort ansässiger Schamane (I-76) spricht von der Konzentration der oracles in diesem Dorf, 106 in welchem es zehn lhamos und vier lhapas gebe. Wie eigene Beobachtungen (Frank Kressing, tnb-iv 2000) zeigen, gibt es im gesamten Nubra-Tal - an den Ufern des Shyok wie des Nubra-Stromes - eine Proliferation der Schamanen, allerdings nicht in allen Dörfern, und hauptsächlich in den Ausländern nicht mehr zugänglichen Dörfern stromaufwärts von Panamik. Lediglich in Sumur, Chemshin und Panamik soll es überhaupt keine oracles geben, dagegen sehr wohl in Charasa, Kubet und anderen Dörfern. (ii) Der rezente Charakter der Proliferation Gemäß einer Jungschamanin aus Khardong (IL-57) ist die deutliche Zunahme der Schamaninnen und Schamanen ein Phänomen der letzten zehn Jahre. Dieselbe Meinung vertritt Reverend Elijah Gergan (I-58) von der Moravian Mission School. Ein tour operator in Leh (I-118) ist der Meinung, daß bis vor zwei oder drei Jahren die Zahl der oracles beständig angestiegen sei, inzwischen sei der Zuwachs aber zum Erliegen gekommen: Viele junge Frauen in der Berufungsphase gäben das Orakelwesen irgendwann einmal auf, sobald sie genügend Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben. Der rezente Charakter der Proliferation wird sowohl von einigen älteren Schamanen (IL-111, IL-117) als auch jüngeren lha pas (IL-112) bestätigt: Ein 40-jähriger lha pa in Diskit ist nach eigenem Bekunden der zweite lha pa im gesamten Nubra-Tal, seine Berufung sei von Bakula Rinpoche bestätigt worden. Inzwischen verfüge er über 32 Schüler, welche alle von Stakna Rinpoche bestätigt worden seien (IL-103, IL-112). Der angeblich "dienstälteste" lha pa im Nubra-Tal (I-117) gibt an, seit 23 Jahren Schamane zu sein. Während dieser Zeit habe es eine definitive Zunahme der lha mos und lha pas gegeben, während er am Anfang seiner Ausbildung zusammen mit einem inzwischen 70-jährigen lha pa in Hundar der einzige im Tal gewesen sei - deshalb habe er damals auch eine Lehrerin in Leh bzw. im Indus-Tal aufsuchen müssen: It is correct (sahi107 yin nog), earlier there was only one lhapa in Khardong. Now there are many lhas, I cannot exactly give the reason, why - maybe it is due to the fact that the people do not visit the Rinpoches. In ancient times we used to have one lha in Khardong village. Now there is a lot of lhas and lhamos here. 106 Eine gegenteilige Meinung äußert hier ein alter Schamane (70 Jahre, IL-78) in Diskit: Anders als in anderen Teilen Ladakhs gebe es im Nubra-Tal gerade keine starke Zunahme der oracles, in Diskit ist er der einzige lhapa: "Unlike other parts of Ladakh, in Nubra we do not have that much increase in lhas and lhamos. In Diskit I am the only lha, and I am the yul tsa. I became a lha by the lineage, because my grandfather also was a lha. This is why I am the only one in the village. I cannot say exactly why there is that increase in lhas." 107 Hindi-Lehnwort. 47 Inzwischen habe er 24 Schülerinnen und Schüler im Nubra-Tal und in Ober-Ladakh (Stod: in den Dörfern Stakna, Thiksey und Sabu).108 Wie ein 40-jähriger Verwaltungsbeamter des Hill Councils (I-119) ausführt, waren ihm zu seiner Jugendzeit nur drei oracles bekannt, nämlich ein lha pa in Thiksey, ein oracle in Martselang und die Ayu Lhamo in Sabu - alle anderen seien erst später hinzugekommen. Diese in unter verschiedenen Bevölkerungssegmenten Ladakhs in qualitativen Erhebungen gewonnenen Aussagen lassen sich auch durch stichprobenartig erhobene quantitative Daten stützen: In der statischen Übersicht von Ngawang Namgyal wurden von 13 weiblichen lhamos neun in den 1990er Jahren, zwei in den 1980er Jahren und eine in den 1930er Jahren berufen (welche gleichzeitig die Lehrerin von fünf der neuberufenen Jungschamaninnen ist). Bei den sieben männlichen lha pas finden sich vier Berufungen in den achtziger Jahren, zwei in den 1990ern und eine (die des Ausbilders von vier lha pas und sechs lha mos) in den 1930er Jahren: Zeitraum der Berufung der Berufung - 1990er Jahre - 1980er Jahre - vorher lha pas lha mos 2 4 1 9 2 1 (iii) Schamanische Berufungen unter Moslems Nach Aussage einer Schamanin in Thiksey (IL-95) werden immer mehr Moslems als Orakel berufen, und zwar von buddhistischen lhas (!). Auch sie müssen sich dem buddhistischen Initiationsritual und der Bestätigung ("Approbation") durch einen Rinpoche unterwerfen, um lha und rde voneinander trennen zu lassen bzw. sich die weiteren Anweisungen und Ratschläge zu holen. Ein Agronom im selben Dorf (I-120) betont ebenfalls, daß es eine Proliferation auch der schi'itischen Schamanen gebe.109 108 109 Allerdings hält er - im Unterschied zur Mehrheit der anderen Schamanen und Schamaninnen - die Proliferation kein rezentes Phänomen: Auch in früheren Zeiten habe es sehr viele oracles gegeben haben, wie man anhand der vielen la thos (siehe Glossar) sehen könne, zwischendurch waren sie eine Zeitlang verschwunden, und nun kommen sie wieder: “It seems that in ancient times, there was also a lot of lhas and lhamos – because in most villages there are many lha thos, and in between the ancient times and the modern times, the lhas and lhamos disappeared, and now again they reappear. And all the lhas and lhamos belong to different lha thos”. Er fügte hinzu, daß diese im Prinzip gar keine Moslems seien, sondern dieselbe kulturelle Grundlage wie die buddhistischen Ladakhis aufwiesen und deshalb ebenfalls über oracles verfügten Angesichts der Tatache, daß sich unser Forschungsprojekt auf das buddhistische Ladakh konzentrierte, konnte diesem Thema nicht weiter nachgegangen werden. An dieser Stelle sei allerdings darauf hingewiesen, daß der Schamanismus durchaus auch bei den moslemischen Nachbarn der Ladakhis, den Darden und Hunza der Northern Region Pakistans (frühere Gilgit Agency) zu fin- 48 (iv) Der geschlechtsspezifische Charakter der Berufungen Die Mehrzahl der neuberufenen Schamanen (etwa zwei Drittel) sind Frauen. Dies wird auch von den Schamaninnen selbst bestätigt, z.B. von einer lha mo in Thiksey (IL-66): [There are] more than before because it is the end of the world (dus-thama song-ste yin nog-pa)110 - the case is more in the women. There are very few [possessions] in males. It is the end of time (dus thama song-ste yin nog-pa-le). Coming into women, it is called dudmo,111 it is not much in males. It is increasing year by year. Auch eine Schamanin in Choglamsar (IL-97), die selbst 13 Schülerinnen hat, bestätigt, daß vor allem Frauen von den lhas besessen werden. "Now, that is what the Rinpoches also say, that 360 lhas will come, and mostly they are will possess (skyod-dug) females." Ein Schamane in Khardong (IL-76) hält es nicht für gut, daß so viele Frauen besessen werden: Lots of women were possessed (yong-ces-po) which is not good because they cannot keep themselves very clean (tsang-da) and they cannot travel a lot. For example, I myself travel a lot to get initiations, whereas women cannot travel a lot. Aufgrund ihrer Monatsblutung (=Unreinheit) hätten Frauen Schwierigkeiten, von einem lha besessen zu werden, deshalb trete Besessenheit durch eine Vielzahl anderer Geister, also eine unklare, schwierige Schamaninnenberufung auf - so derselbe Schamane sechs Monate später (IL-117). Um von einem lha besessen zu werden, müsse der lus gyar sehr rein sein - viele Frauen unterließen es jedoch, sich rein zu halten, deshalb seien viele Frauen von allen möglichen Geistern (spirits) besessen. Außerdem gebe es zunehmende Probleme zwischen Männern und Frauen, sei es, daß sie keine passenden Heiratspartner fänden, sei es, daß zu Scheidungen komme - deshalb werden z.T. mehr Frauen von lhas und spirits besessen. Eine Schamanin in Diskit (IL-107) nennt als Gründe für die Proliferation weiblicher oracles, daß die Göttin Palden Lhamo112 und ihre Gehilfen bevorzugt Frauen heimsuchen. Aufgrund den sind; vgl. z.B. JETTMAR (1975); MÜLLER-STELLRECHT (1979:262 ff.); SIDKY (1994). Zum Ver-hältnis von Islam und Schamanismus in Turkestan (immerhin nördlich angrenzende Nachbarregion von Ladakh vgl. BASILOV (1978), BASILOW (1996) sowie BASILOV, VUILLEMENONT und ZAR-CONNE (jeweils pers. Mitt. 1997). 110 Dus: time, thama: shore, edge (N. Sundar), "last" (HAMID 1998:114). 111 Rdud, bdud: tib. Entsprechung von pali, skrt. mara - "evil spirit"; rdud-mo dementsprechend die weibliche Form; vgl. HAMID (1998): "evil spirit"; JÄSCHKE (1998:269): "the personified evil principle, the Evil One, the Devil, the adversary of Buddha, and he who attempts men to sin". Der Verweis auf "Sünde" in diesem Wörterbuch eines protestantischen Missionars muß angesichts seines religiösen Hintergrundes natürlich kritisch betrachtet werden. 112 Siehe Glossar. 49 der Tasache, daß Palden Lhamo die zehnte Stufe der Buddhaschaft erlangt habe, verfüge sie über viele attendants. Da wir das Ende des Zeitalters des Buddha Shakyamani erreicht hätten, fühle sich Palden Lhamo nicht wohl und schicke all ihre Untergebenen aus, um bei den Menschen Besessenheit hervorzurufen. 2. Ursachentheorien zum Berufungszuwachs In diesem Kapitel sollen zunächst im Sinne einer Innensicht Ursachentheorien von Ladakhis selbst zum nachweisbaren quantitativen Anstieg der Berufungen (vgl. Kap. B. 1.) behandelt werden, und zwar Theorien von Schamaninnen und Schamanen, ihrem potentiellen Klientel, dem tatsächlich behandelten Klientel sowie von Angehörigen des buddhistischen Klerus (Mönchen und Lamas). Danach werde diese (in Kap. 2.5.) einer kritischen Bewertung und Gegenüberstellung mit nachprüfbaren Fakten unterzogen. 2.1. Schamanen Von den Schamaninnen und Schamanen selbst werden - z.T. spontan, ohne diesbezügliche Nachfrage - verschiede Ursachentheorien für die Zunahme der Berufungen genannt, die sich entlang folgender Linien orientieren: (i) Die lhas fliehen aufgrund der dort herrschenden religiösen Unduldsamkeit aus Tibet und rufen deshalb verstärkt Besessenheit bei Menschen im benachbarten Ladakh hervor (IL59; IL-65, IL-66, IL-70, IL-76, IL-97, IL-98). (ii) Mangelnde Achtung vor den lhas und der Bewußtseinswandel der Menschen (nachlassende Religiösität, rituelle Verfehlungen): Auch in Ladakh werde den lhas oft nicht der nötige Respekt entgegengebracht - deshalb würden zunehmend mehr Menschen von ihnen besessen (IL-98, IL-112). Es habe ein allgemeiner Bewußtseinswandel (change of mind) stattgefunden. Die Menschen seien nicht mehr so religiös wie früher - deshalb würden sie in zunehmendem Maße von lhas besessen (Il-66, IL-76, IL-79, IL-80, IL-100, IL-103). Die Zunahme der Bevölkerung führe auch zur Zunahme schlechter Gedanken und schlechter Absichten (IL-66). In diesem Zusammenhang wurde auch geäußert, daß zunehmende Berufungen aufgrund ritueller Verfehlungen der Schamanen selbst aufträten (IL-97). (iii) Das Ende des gegenwärtigen Weltzeitalters, der Ära des Buddha Shakyamuni, sei gekommen. Die Zeiten seien schlecht, deshalb brauchten die Menschen die lhas (IL-61, IL65, IL-66, IL-79, IL-80IL-97, IL-103, IL-107, IL-112), denn nur in schlechten Zeiten werde die Schamanentrommel (damaru) benutzt (IL-66). Die Zunahme der Berufungen sei somit kein gutes Zeichen (IL-61, IL-65, IL-66, IL-79, IL-97, IL-103, IL-107) 50 (iv) Die Gebete oder Anrufungen der onpos (lha gsol) führten zu zunehmenden Berufungsepisoden (I-103). (v) Auch die lhas seien dem samsara (dem Kreislauf der Wiedergeburten; siehe Glossar) verhaftet und darauf angewiesen, den lebenden Wesen Gutes tun, um Verdienst (merit) zu erwerben - zu diesem Zwecke berufen sie Menschen und "leihen deren Körper aus"(Vorstellung des lus gyar - "rented body"; IL-61, IL-112). (vi) Die lhas treten in ganzen Familien auf, wenn ein Mensch von lhas besessen wurde, ruft dies auch die Besessenheit der anderen Familienangehörigen hervor (IL-97). Wenn bereits ein lha in einem Dorf ist, zeigt er den anderen lhas den Weg in dieses Dorf. Eines Tages werden vielleicht in manchen Dörfern alle Menschen von lhas besessen sein (IL112). (vii) Die lhas ergreifen Besitz von Menschen in Ladakh, weil hier der Buddhismus bewahrt würde und die Menschen sehr religiös seien (I-117). (viii) Die lhas hätten den Schutz der Grenzen zur Aufgabe - hier werden die zunehmenden Berufungen mit der aktuellen politisch-militärischen Krise im Bundesstaat Kashmir und der gespannten Beziehungen Indiens zu Pakistan verbunden (IL-70, IL-103, IL-112). (ix) Die Zunahme des Klientel ziehe auch die Zunahme der lha mos und lha pas nach sich (unmittelbarer Zusammenhang zwischen schamanischer Proliferation und Zunahme des Bedarfs an schamanischer Heilung; vgl. Kap. B. 3., IL-80). Im Gespräch wird oft eine Kombination mehrere "Theorien" als Ursache für die Schamanenproliferation angegeben, z.T. werden widersprüchliche Erklärungen zu verschiedenen Zeiträumen von ein- und derselben Person genannt (z.B. [iii] und [viii] von ein- und demselben Schamanen in Khardong [Il-76, IL-117]). Zudem spielen auch bei den Ursachentheorien zur Zunahme der schamanischen Berufungen Aspekte des vermehrten Bedarfs an schamanischer Heilung (vgl. Kap. B. 3.) mit hinein - in den Aussagen der Schamaninnen und Schamanen selbst werden diese beiden Aspekte keinesfalls säuberlich getrennt (siehe insbesondere [x]). (i) Die Flucht der lhas aus Tibet Als ein Grund für die Zunahme der Schamanen in Ladakh wurden von verschiedenen Schamanen (s. o.) die Zustände in Tibet seit der chinesischen Besetzung 1959 und die damit verbundene religiöse Unduldsamkeit genannt, welche zu einer "Flucht der lhas" und dementsprechend ihrer Verkörperung in ladakhischen "Medien" (lus gyar) geführt hätten. So nennt ein Schamane in Khardong als Grund für die zunehmenden Schamanenberufungen in Ladakh die rituelle Verschmutzung der Schreine der lhas in Tibet: 51 Also, the cause for the increase in lhas and lhamos is that the lhatos113 in Tibet are destroyed (shiks pa) by the Chinese, they pollute (tshe tu) the lathos, so all the lhas and lhamos arrive (sleb dug) in Ladakh. Eine Schamanin in Leh (IL-59) ist der Meinung, daß lha mos und lha pas in Ladakh zunehmen, weil ihnen in Tibet nicht die gebührende Achtung entgegengebracht wird: ka sa ta ci she no no ma ne dag sa ka re su'i zer ces la bod bod la yang yi zug tsi ba med pa skyod te Yes, I cannot say [exactly], young man, [but] these days some people say yin nog zer dug ya le yi ru'a la dags la le te zug zhg ga skyod te yin-nog gang zer dug yin na zug ga that in Tibet the oracles are not respected and [therefore they] come here, right - like that it is said - this way, they come to Ladakh , it is said. zu ga mang po skyod dug ci she le ta a tus la su zhig gang yod med kyag pa ha ha le ka sa ju It is also said that in this way more [oracles] are coming, but I do not know 'o zug shig zer dug le dag sa mang tsad po'i le In earlier times there was no one, right? - Like this it is told by more people now. Eine Schamanin in der New Housing Colony von Leh (Il-70) sagte uns, daß es in den Jahren direkt vor der chinesischen Okkupation in Tibet eine Zunahme von lha mos und lha pas gegeben habe. Das gleiche spiele sich nun in Ladakh ab, und das sei kein gutes Zeichen. In Tibet gebe es "lakes of blood" und "rocks of bones", da alle Nonnen und Mönche umgebracht worden seien (vgl. eine ähnliche Wendung bei BRAUEN 1980:150). (ii) Mangelnde Achtung vor den lhas und Bewußtseinswandel der Menschen (nachlassende Religiosität, rituelle Verfehlungen) Nach Aussage einer Schamanin in Choglamsar (IL-97) bestehen die Gründe für die Zunahme der oracles darin, daß die Menschen heutzutage mehr Probleme als früher haben und an vielen Orten den lhas nicht der nötige Respekt entgegengebracht werde: ta lha lha mo mang po skyod hes se gyu tshan bo'ang Now, the reason for the increase in oracles is: ngan la te zug nas lugs chin te med pen nga me thrim According to ancient traditions, there was never such a serious situation like now. ta dag sa ni su'a nas lugs cin teng song yul la ma ne 113 Siehe Glossar. 52 Now, for some [people] it has become very serious. rgyal la zhig gang med pa sang na nad mi dra mi dra yong pa de ne yang Since there is nothing good in the villages, different diseases have also come. ma ne mar do da do'a ma ne yang kho lha chos kyong114 nga tsi wa med kan. Actually, there is not respect for the lhas and the protective deities. ta kho khyam nad te zug mang po'i zug ste yin nog no no khyen Now the diseases from outside are increasing, brother. 'i ru kha ma rong tsan zer re ta mang po skyod te yin nog ka sa. Now many who are called Khama Rongtsan115 are coming here, yes. Eine andere Schamanin im gleichen Ort (IL-98) sagte, die Menschen hätten keine Zeit mehr, den lhas die nötige Referenz zu erweisen,116 deswegen würden die lhas manchmal ärgerlich und sandten sogar ihre "Assistenten", um die Menschen heimzusuchen.117 Ein Schamane in Khardong (IL-76) macht die nachlassende Religiosität für die Zunahme der oracles verantwortlich: Now there are many lhas, I cannot exactly give the reason, why - maybe it is due to the fact that the people do not visit the Rinpoches. In ancient times we used to have one lha in Khardong village. Now there is a lot of lhas and lhamos here. Nach Aussage eines Schamanen in Hundar (IL-80) werden mehr Menschen von lhas besessen, weil sich ihr Bewußtsein verändert habe - sie seien eigennützig, ungläubig, eifersüchtig und voller Haß: The reason of the increase is [as revealed by the lha]: there is a lot of changes in the people (mi'a gyur ja), people are selfish (nan-tang), they are faithless in the religion (chos-la tad-pa med-khan), there is a lot of jealousy and hate (sems-ngan thrad-dog). Like, there are 360 varieties of disease (nad), there are 360 varieties of pulse (tsa), one for each disease (nad), and there are 360 varieties of medicine (smans-rigs), and like that, there is a lha for each evil (don), each has an opponent (khag-non) - with the time (tus-na rag-ste), it comes by itself (rang-zhin-ne). Fünf Schamaninnen in Choglamsar (IL-100) erklärten einhellig, es gebe mehr und mehr lhas in Ladakh, weil die Leute nicht in Eintracht und Frieden lebten und Disharmonie herrsche. 114 Chos skyong: siehe Glossar. 115 Name einer Gruppe von lhas. 116 Dies treffe auch auf Hindus und Moslems zu, ergänzte sie im selben Atemzug. 117 Außerhalb von Ladakh gebe es viele Leute, die mehr an die Kraft der lhas glaubten als die Ladakhis selbst, unabhängig von deren Religion und Lebensumständen, fügte sie hinzu. 53 Die lhas versuchen immer, den Menschen Ratschläge zu geben, und legen ihnen ein friedliches Zusammenleben nahe, dennoch leben die Menschen in sehr konkurrenzorientierter Weise und schädigen sich gegenseitig durch "Gift" (tug): ta ngan ma ni ma ne mi-zang-po-rig gang yin kan tsog te zam In earlier [times], people were good also and te tug chu zer kan te-zug zer kan tang ngang med kyag pa. They did not give what is called poison. dag sa yin na yin nog mi-mang-po ta dag sa tsam shig zhigs dug no no sems ngan rang nge thrag dog po tang tun ne te ne lha lha mo gun nang kho ma ne tsa pig ga zug ma cha skyod te yin cha dug ga le ka sa. Now you see many people with bad mind and with jealousy, and because of that, the oracles are also coming, yes. Eine Schamanin in Diskit (IL-97) äußerte, daß die Gottheiten z.T. aufgrund ihrer Unzufriedenheit mit dem Lebenswandel eines lus gyar weitere Schamanenadepten berufen. So liege die vergleichsweise große Anzahl von Berufungen in Khardong darin begründet, daß der yul tsa des Dorfes in Diskit arbeite und der yul lha darüber unzufrieden sei, deshalb würden Angehörige seiner "Familie" weitere lus gyar "besitzen": The yul lha in Khardong village - the one who is possessed by the yul-lha - he is employed by the government. So he is living in Diskit, not in Khardong - that is why the yul lha is not happy with him. The yul-lha has a lot of family members. Since the yul lha is not happy, he tries to bring all his family around him, that way many people are possessed by his family lhas. Weiterhin müßten die lha pas und lha mos ein sehr einfaches Leben führen, was von vielen Jungschamaninnen und Schamanen nicht befolgt werde - deshalb seien die lhas unzufrieden und würden immer mehr junge Leute besessen machen: Also some young guys and girls, they just don't want to follow the path of the lus gyar - if you want to become a lus gyar we have to give up all these worldly things, we are even not allowed to use decorations and ornaments - I never use these things ... [Zwischenfrage: even not wearing a perak118?] Even not a perak - nothing at all. I have to be very simple, I have to live a very simple life. Now the boys and girls, they don't want to follow this path, they want to be very fashionable -that way the lhas are not happy with the lusgyars, that way they want to bring more and more and many people are possessed. 118 Siehe Glossar. 54 (iii) Das Ende des gegenwärtigen Weltzeitalters Wie z.B. eine Schamanin in Leh (IL-61) ausführt, ist die Zunahme der Schamanen auf den Wandel der Zeiten zurückzuführen - allerdings sei dies kein gutes Zeichen. Der Grund für die Proliferation des Schamanismus liegt auch nach Meinung einer lha mo in Thiksey (IL-65) im Wandel der Zeiten. Das "Ende der Welt", das Ende der Lehren des Buddha Shakyamunis und das Zeitalter es kommenden Buddhas Maitreya sei nahe: [There are] more than before because it is the end of the world (dus tha ma song-ste yin nog pa)119 - the case is more in the women. There are very few [possessions] in males. It is the end of time (dus tha ma song-ste yin nog pa le). Coming into women, it is called dudmo,120 it is not much in males. It is increasing year by year. Auch eine weitere lha mo in Thiksey (IL-66) äußerte sich dahingehend, daß die quantitative Zunahme der Schamanen kein gutes Zeichen sei: Nur in schlechten Zeiten werde die Trommel (damaru) gebraucht. Mit zunehmender Bevölkerungszahl gebe es auch mehr schlechte Gedanken, und deshalb würden mehr Schamanen benötigt. Die Schamaneninnen und Schamanen täten alles in ihrer Macht stehende, um ihr Bewußtsein rein zuhalten und anderen Wesen Gutes zu tun: da kho-yi zug ge da-mang po-cha na rgyal la zhig-ma nog pa;-no no Now, actually it is not good that they become more, young man. kho dus ngan pa-ma ne da ru khu ra srid ces man ze ra nog pa ya le It is said (that) the drum is not carried except in bad times, dus dang thun de dus rtsog po ma ne da ru khu ra srid ces man the drum is only carried in bad times. ze ra nog le da kho dus dang thun de mi 'ang mang po song It is said that now, with the time, people also increase, sems ngan nang mang po sams pa lha pa lha mo 'ang bings de yin nog le and that many bad thoughts and oracles come out as well. 119 dus: time, thama: "shore, edge" (N. Sundar), "last" (HAMID 1998:114). 120 rdud: s.o.. 55 dgos da dgos de yin nog ku lu yi ne nga zha rang nge Actually they are needed, my dear. Here, in our khyim tshes na gnyis yod de nang ga ba mi rug neighbourhood, there are two, but still it is not enough. de ne nyan khan bo ni kho da dkon mchog go'i ka khur de whatever is possible for us by carrying Allah and the [triple] gem on our heads,121 pu sang cos de-nga zha rang nge sems-lag mo cos de is done well with our own mind being cleaned. ja zhig yod nang nga zhe rgad po rgad mo kun la If there is any tea, we serve it to the old people, tangs de lam cu gad ya le de ne nga zha rang nge give [it] and send [it to them], right? So, in our sems be nang nga ni dkon mchog mkhyen rgyal na sam mad mind we think that by the blessing of the triple gem [they] will be cured. de ne tho re rgyal tog zer na khan sang tsha ra rag So, the next day, if they say that they are cured, we feel fine. de ne ma rgyal tog zer na khrel khrel rig cha rag Then, if they say that they are not cured then we become shameful. Auch eine lha mo in Diskit (IL-79) ist der Meinung, daß die Zunahme der Schamanen daher rühre, daß wir zum "Ende der Zeiten" kämen. Allein in ihrer Familie gebe es sieben Fälle von Besessenheit, ihr eigener lha sei eine Helferin (attendent) von Palden Lhamo: This is the time, according to the Rinpoches, when we are coming to the end of the world (dus-skalpa-rnying-ma).122 That is why we cannot stop (yongs-se-man-ne-drig-ces-mannog) the coming of lhas and lhamos to so many people ... I possess one lha, and I have seven in my family. In this way all the lhas and lhamos are increasing. I am possessed by an attendant lha of Palden lha mo. 121 Daß hier Allah bemüht wird, ist vieleicht auf den starken moslemischen Bevölkerungsanteil in Thiksey zurückzuführen. Die Bedeutung der Formel ist ungefähr: "bei Beachtung der religiösen Gebote, entsprechend den Erfordernissen der Religion, entsprechend religiös adäquatem Verhalten." - triple gem, dkon mchog (sum): siehe Glossar. 122 Gemeint ist das Ende des Zeitalters des Buddha Shakyamuni (Ngawang Namgyal, Sonam Wangchok). "dus (tus), time" (HAMID 1998:128); skalpa: Ära (von kalpa, skrt.), „rnying-ma to wear out, to be away in a short time“ (JÄSCHKE 1998:195). 56 Nach Meinung eines Schamanen in Hundar (IL-112) ist die Berufung vornehmlich weiblicher lus gyar ist auf das Wirken der weiblichen Göttinen Palden Lhamo und Tsering Chenga123 sowie deren Assistentinnen zurückgeführt, welche alle friedvolle Gottheiten seien und von weiblichen lus-gyar Besitz ergriffen, weil Frauen im allgemeinen friedfertiger seien. In der heutigen Situation, in der die Welt zu ihrem Ende komme und viele innere und äußere Probleme im Dorf und im Haus aufträten, wollten diese friedvollen Gottheiten den Menschen helfen (vgl. [v])- vielleicht würden eines Tages alle Dörfer voller lhas sein, wie es bereits prophezeit worden sei: de bo yi zug ga yin nog le dags sa dus It is like this: now the end of time [has come]. snyig me dus la dpal ldan lha mo'i 'khor bo kho rang in this time, the attendants of Palden lha mo dang tshe ring ched lnge 'khor bo tshang ma zhi ba and all the attendants of Tshering Chenga are peaceful. nang dus na rags de dus po zur zur song dags sa and with the coming of the time nearer to the edge, now 'dzings thabs mang po na gcig pa nang 'khrug [there are] many disputes and interior agitations cha ces dang dzam bu gling 'khrug shes nang de phi'a and wars are taking place in the world. For that [reason], 'chos skyong bo tshang ma 'khro'a zhangs de yin nog the dharma protectors124 have all become angry. yi lha mo tshang ma zhi ba yin nog le ci'a zer na and these goddesses125 are peaceful because bu mo'i rigs la zhi ba songs pa sang ci zhig since females are [usually] peaceful, whatever is co nang 'ga dam nga di zhu ba nyan ces de done, they immediately listen to our requests and don grub ces de phi'a lha mo da rung ngang fulfill the requests, and for that [reason], still more lhamos skyod ces yin nog da dus shig ga de zugs shig gang 123 Eigentlich thse ring ched lnga - die "fünf Schwestern des langen Lebens". Zu Palden Lhamo (dpal ldan lha mo) und Tsering Chenga siehe auch das Glossar. 124 Zu 'chos skyong (Schutzgottheiten) s.o. und Glossar. 125 lha mos. 57 will come. Now at a certain time yin ca 'dug ma na khrom gang gang it might be like this that until the cities are filled, yul gang gang skyo den zer de ma 'ong and until the villages are filled. [The lhamos] will come and that is ... lung stan ne nanga nga yod de'ang yin nog in the prophecies also. (iv) Zunehmende Berufungsepisoden aufgrund der Anrufungen der onpos (lha gsol) Ein Schamane in Diskit (IL-103) bringt ebenfalls die zunehmden Berufungen ebenfalls mit dem Ende unseres gegenwärtigen Zeitalters in Verbindung, führt aber zusätzlich an, daß die lhas aufgrund bewußter Einladungen durch onpos (lha gsol) kämen: de ne dags sa skal pa mtha mai dus la So now in the time of the end of the kalpa,126 sangs rgyas se sung nang ngang yong 'dug lha it is also said in the teachings of the Buddha that more oracles mang po bskyod den zer de yul gang song nga would come. In every place lha mang po 'dug le ka ru dang di ring nga lha pa there are so many oracles these days. The oracles, lha'i rigs po yi zugs yon cen ba le the kind of lhas are like this that: lha gsol zer khan zhig co cen 'on po'e the onpo does an offering which is called lha gsol. lha gsol bo co'a zhig de ne khar mdzong nge When this offering was done at Khardong, rgya lu lcam sring nga bskyod gcig de ne firstly Gya lu lcam sring127-possessed me and then yul tsa grag dmar rgyal po skyod gnyis de ne nga rang nge secondly yul tsa drag dmar rgyal po128 came 126 Siehe Glossar. 127 Name einer Gottheit (lha). 128 Name einer weiteren Lokalgottheit (yul lha), zu rgyal po, rgyal mo (eigentlich König / Königin): Zusatzbezeichnung der lhas der Schamanen (siehe Glossar). 58 phas lha129 skya 'od skyo rad pinde lha gsum ka and then my own family lha. When I was possessed by these three lhas, skyod da cig nge khar dzong nge yul le nang nga in the village of Khardong kam se kam lha gsol bo kho rang bdun cos pi I did at least seven lha gsols. 'on po'i thu ru de lha gsol bo co cig khar mdzong and when that was done by the onpo, rang na lha brgyad dgu zhig bings song ya le eight or nine lhas came up from Khardong itself. de na tsogs la hun dar la co kag le hun dar re Like that it was done in Hundar also. yul tsa skyod de lha gsol co'a zhig yang When the god of village came and did the lha gsol another time lha drug bdun zhig bings dog de ne lha six or seven oracles came up. gcig gnyis bing nga gcig de ne ku du ra ti When there are one or two oracles, then [they] come naturally ci yin pi na kho rang sangs rgyas se sung nang zhin zhig It is by themselves or due to the teachings of the Buddha skal pa mtha ma lha mang po yon ngen that many oracles will come at the end of the kalpa. de na tsogs la yul mang po'a gangs de 'dug. In this way many villages are full of [oracles] and tshang ma skyod 'dug ka sa 'o do'a skyod 'dug mol lang the lhas come to all .Yes, tell him, for that [reason] many [lhas] come. lha gsol zer khan bo yi zug yin nog pa le The thing called lha gsol is like this: lha gsol zer pa lha kun gsol ces yin nog lha gsol means worship to all gods, 129 Siehe Glossar. 59 khrus dang nga tsogs de ne lha klu130 tshang ma like offering water to all the gods and underworld spirits lha gsol phul ces lha klu tshang ma skul dang nga nog making the offering of lha gsol and bringing it around all these. de ne skul dang nga zhig khong ma na zhangs sa tsogs shig Then when they are bringing around it, it is like they are rising up yang yong zer khan tsog shig ched tsug pa skal pa it becomes like saying "please come" mtha ma'i dus la slebs mi tshang ma [now we are] reaching the end of the kalpa, and all people ngan drang song rtsog po song de ne nye rang kun skyod have become ill-hearted and bad. Then "[please] you all come" zer khan tsog shig yin nog de ne de na don la - it is saying like this, and then, for this reason, skyod de yin ca 'dug [more oracles] might have come. (v) Die lhas sind dem samsara verhaftet und suchen Verdienst (merit) Die lhas seien auch "Diener der drei Juwelen" (triple gem) und dem samsara verhaftet und wollen den Menschen etwas Gutes tun ("want to do them a favour") - so eine Schamanin in Leh (IL-61). Ein Schamane in Hundar (IL-112) drückte sehr klar und deutlich aus, daß die lhas deshalb Besitz von lus gyar nehmen, um den Menschen zu helfen: Es sei gut, daß es in neuerer Zeit so viele lhas gebe, damit den Leuten geholfen werde. Daneben sei es auch sehr wichtig, daß die Menschen Zuflucht zu den drei Juwelen nähmen. Doch auch wenn die Menschen Zuflucht zu den drei Juwelen nähmen, bräuchten sie Hilfe und Unterstützung - die lhas seinen dazu da, ein friedliches Zusammenleben aufrecht zu erhalten bzw. überhaupt erst herbeizuführen. Es sei sehr schwierig, die Probleme der modernen Zeit selbst zu lösen: In den Dörfern, in denen es keine lhas gebe, gebe es auch mehr Zwietracht, mehr Streit. Wenn man Zuflucht zu den drei Juwelen genommen habet, könne man keine Zuflucht zu den lhas mehr nehmen - dennoch seien die lhas notwendig, um den Frieden aufrecht zu erhalten. Oder wie es eine 45-jährige Schamanin in der New Housing Colony von Leh (IL-70) ausdrückte: "If there would be no lhas, people would have severe problems - some would jump into rivers or from mountain peaks or simply become crazy.131 130 klu / glu [lu]: Siehe Glossar. 131 Dieselbe Schamanin hatte versucht, ihrer Bessessenheit durch ein tum-Ritual Einhalt zu gebiete, war jedoch nach eigenem Bekunden von hochrangigen Rinpoches und vom Dalai Lama selbst 60 (vi) Die lhas treten in ganzen Familien auf Wenn ein Mensch von einem lha besessen wurde, kann dies auch die Besessenheit der anderen Familienangehörigen hervorrufen, weil die lhas in ganzen Familien auftreten - so eine Schamanin in Diskit (IL-97): One reason for the possession by lhas is that one lha has many brothers and sisters, like a family. I possess one lha, and I have seven in my family. In this way all the lhas and lhamos are increasing. I am possessed by an attendant lha of Palden lha mo. Wie ein Schamane im selben Ort (IL-103) ausführte, gebe es orts- und famliengebundene khyim-lha, dort, wo bereits Leute von lhas berufen worden seien, träten noch mehr lhas auf: That is like this - that I told already: in villages where they do more lha gsol, more lha will come. In Khardong, there is different kinds of lhas, the Kang-zhu, Skya-ot, Zang-nam, Mar-zang, altogether seven or eight family lhas (khyim-lha). Like that, there are seven or eight in Skamphuk, near Gonbo,132 also there are so many lhas like Zang-nam and Kubet133 and so on - that is the reason. Wenn bereits ein lha in einem Dorf sei, zeige er den anderen lhas den Weg in dieses Dorf. Eines Tages werden vielleicht in manchen Dörfern alle Menschen von lhas besessen sein - so ein Schamane in Hundar (s.o.; IL-112). (vii) Verwurzelung der ladakhischen Bevölkerung im Buddhismus als Ursache für zunehmende Berufungen Ein Schamane in Khardong (IL-117) führte die Zunahme der lhas auf die tiefe Verwurzelung der ladakhischen Bevölkerung im Buddhismus zurück: Es gebe so viele oracles in Ladakh, weil die Bevölkerung hier sehr religiös sei und ihren Glauben mit reinem Herzen und pure mind ausübe - das mache die lhas glücklich und veranlasse sie, die Körper (lus gyar) der hiesigen Menschen zu besitzen. aufgefordert worden, mit ihrer Schamanentätigkeit zum Wohle aller lebenden Wesen fortzufahren. Zum Aspekt der Akkumulation von Verdienst (merit) als Ursache zunehmnder Berufungen vgl. auch BURKE-MASON (1997:5). 132 Namen von Dörfern im oberen Nubra-Tal. 133 In diesem Fall Name eines lhas - eventuell der yul lha des gleichnamigen Dorfes am Ufer des Shyok. 61 (viii) Schutz der Grenzen als Aufgabe der lhas Im Gegensatz zu den friedvollen weiblichen Gottheiten (insbesondere Palden Lhamo und Tsering Chenga, s.o.) hielten sich die zornvollen männlichen Gottheiten aus Tibet an der Grenze auf, um das Land zu beschützen - deshalb können sie wenig im Lande selbst wirken, um die Lehren des Buddha zu verbreiten, so ein Schamane in Hundar (IL-112). Es gebe viele Konflikte zwischen Ländern und Religionen, bei denen die zornvollen Gottheiten als Schützer wirkten - analog dazu, wie die schwere Arbeit in den Dörfern von Männern verrichtet werde, ergänzte er dazu. Sogar der Dalai Lama habe diese Gottheiten in die Grenzregionen "beordert", wo es Religionskonflikte134 gebe - deshalb müßten sich die friedfertigen Gottheiten um die Leiden der Menschen in den Dörfern kümmern, und deshalb gibt es dort so viele lha mos. In teilweiser Übereinstimmung damit erklärte eine Schamanin in der New Housing Colony in Delhi (IL-70), daß der Schutz der Grenzen Aufgabe ihres lhas: Das erste Mal habe sie den Dalai Lama in Nyimu getroffen, und er habe ihr sagte, wenn sie tatsächlich von Tsering Chenga besessen sei, solle sie mit Hilfe dieses lhas die indischen Spoldaten auf dem SiachenGletscher an der Grenze (Line of Control = L.o.C.) zu Pakistan beschützen und dort drei Jahre wirken. Ein Widerspruch zur vorherigen Aussage besteht insofern, als hier die Tsering Chenga als Verkörperung weiblicher Gottheiten mit dem Schutz der Grenzen beauftragt wird, während dies doch nach Aussage des alten Schamanen in Hundar (IL-112, s.o.) in den Zuständigkeitsbereich der zornvollen männlichen Gottheiten falle. (ix) Zusammenhang mit zunehmendem Bedarf an schamanischer Heilung (vgl. Kap. B.3.) Sowohl ein Schamane in Hundar (IL-80) als auch eine Schamanin in Choglamsar (IL-97) waren der Meinung, daß die zunehmende Zahl der Berufungen auf den zunehmenden Bedarf an schamanischer Heilung zurückgehe: It is increasing (mang-nga cha-rug-le) according to the need, like that, if we need a leader, we need a knowledgeable one (shes-khan-zhig) to protect (gyab-sten) and to support (choks-skyor), like that, we need it for all the time (tus sum).135 For those who do not need it is also not necessary (ma-gos-khan-gun-na ma-gos-nang drig-ga-nog). As much as the lhas increase, in the same way there is also increasing need (gos-dom) for them. Like, when the hospital is next, everyday the medicine is in use, it is needed more and more, isn't the flues (cham-pa) increasing? Like that, there is no doubt that there would not be any need (mi-gos-shes-shig), wherever you go (IL-80). 134 Offensichtlich wied der indo-pakistanischer Konflikt hier als Religionskonflikt interpretiert. 135 Wörtlich "drei Zeiten" - bezieht sich auf Morgen, Mittag und Abend, also "zu allen Zeiten des Tages". 62 Die Schamanin in Choglamsar (IL-97) stellte einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Proliferation der Schamaninnen und Schamanen und der Zunahme des Klientels her, welche eben auch die Zunahme der Schamanen nach sich ziehe. Insbesondere, wenn Leute "Gift" (tug; als Folge schwarzer Magie) in sich hätten und ein Doktor nichts dagegen ausrichten könne, werde ein oracle gebraucht: ta te bo tus go log song ta kho tse wa ngon me ci zer ren Now the time has come that things are upside down, that a previous birth - how to say no no khyen ha la ta yul-la mang po yod te yin nog pa. there are many [who give poison] in the villages, brother, right? te ne kho su'ang shes sa mi dug no no khyen ha-la nga-tang-nga136 Then, nobody knows it, even not we, right, brother? yi bo ni kho rang ma ne tsang-me sung nga dzad te yin nog. This is said by everybody. ma ne lag sog po kol te yin nog bdud yi zug ge gyal-teNow bad hands are used, and the devils137 are victorious. no no khyen ha la ta yul la ma sog po song ste yin nog le The situation in villages has become very bad, right? ten ne ka ne ta sems ngan trag dog ge ten na yin nog pa ka sa. From that, ill-will and zealousy [are originating], yes. kho rang mi se tang ste yin-nog no no khyen ma ne cig tang cig ge people themselves give [poison] to each other, brother. sems pa thrag dog ge ta su rgyal la zhig las grub ces yod tro. They are zealous on each other. When someone has a good work that might be done or mi grub ce zhig yod tro su ran kan-zhig yod-tro. that might not be done. Some might be good to [each other] and mi ran kan zhig yod-tro. mi na tsog mang po yin nog tus la. some not. There are all kinds of people in this time. o ten na se 'a zug dzad ta yin nog ka-sa Because of that [people] do it [giving poison], yes. 2.2. Klienten und potentielle Klienten 136 Exklusives wir, bezieht sich in diesem Falle auf die Schamaninnen und Schamanen im Gegensatz zur übrigen Bevölkerung. 137 zu bdud / rdud s.o. 63 Entgegen der ursprünglichen Absicht erwies es sich im Verlauf des Forschungsprozesses als unmöglich, eine größere Anzahl von Klienten der schamanischen Heilungen direkt vor oder nach den entsprechenden Zeremonien oder auch zu einem anderen Zeitpunkt zu befragen – die entsprechenden Personen waren dazu entweder zu scheu oder zu beschäftigt.138 Dementsprechend stammen die in diesem Kapitel vorgestellten Daten aus der Befragung von Ladakhis verschiedenen Geschlechts, Alters und sozialer Schicht in anderen Zusammenhängen, bei denen auch nach Erfahrungen mit schamanischen Heilungen und weiterführenden Meinungen dazu gefragt wurde (vgl. den Projektbericht Subjektive Fremdheitserfahrung in Ladakh). Die Ursachentheorien der Klienten und potentiellen Klienten schamanischer Heilungen weisen teilweise Übereinstimmungen mit denen der Schamaninnen und Schamanen selbst auf, zum Teil herrschen allerdings auch davon abweichende bzw. völlig andere Deutungsmuster vor. Insgesamt lassen sich die Äußerungen gemäß folgender Leitlinien ordnen: z Generelle Unklarheit darüber, warum es zu vermehrten Schamanenberufungen kommt Einige Gesprächspartner (I-33, I-42, I-75, I-108) bestätigten zwar generell die Proliferation der Schamanen (vgl. Kap. B. 1.), waren sich über deren Gründe jedoch im unklaren - z.B. ein Bauer und Elektriker aus Phyang (I-33), der angab, es gebe zwar eine größere Anzahl von oracles als früher, den Grund kenne jedoch nur ein hochrangiger Rinpoche (tulku / sprul sku):139 "... but the reason (gyu-tsan) of increase I cannot explain (nga ma-ne-zer-nyen-ces mi-rag). Only a tulku can explain it." Auch eine Restaurantbetreiberin im Buddh Vihar (I-42) war sich über die Gründe der Zunahme im unklaren: "There are many oracles - I have seen that, but why there are so many, really I do not know, and I cannot understand it." z Die lhas fliehen aufgrund der dort herrschenden religiösen Unduldsamkeit aus Tibet und rufen deshalb verstärkt Besessenheit bei Menschen im benachbarten Ladakh hervor Die Theorie, daß die lhas aus dem chinesisch okkupierten Tibet nach Ladakh fliehen, wurde im Einklang mit Schamaninnen und Schamanen selbst - auch von Reverend Elijah Gergan vertreten (I-58) vertreten, der während der letzten zehn Jahre eine deutliche Zunahme der 138 Eventuell muß auch mit in Betracht gezogen werden, daß die Orakelheiler der ladakhischen Volksreligion bei vielen Bevölkrungssegmenten in Ladakh kein hohes Ansehen genießen und ein Teil der Klienten den Besuch bei einer Schamanin oder einem Schamanen nicht publik lassen werden wollte. 139 Sprul sku, siehe Glossar. 64 oracles verzeichnete. Auch ein ehemaliger Dozent am Institute for Higher Buddhist Studies in Choglamsar (I-85) führt als Erklärung für die Zunahme der Schamanen die Flucht der lhas aus Tibet an: Actually, the people say, now it is stopped in Tibet, and so, many lhas and lhamos who stayed in Tibet come to Ladakh in the Himalayan region. So that is why so many are here.140 z Die Proliferation des Schamanismus hängt mit vermehrter Religiosität zusammen Ein Bauernsohn und ehemaliger Stipendiat der Mährischen Brüder (I-56) sagte uns, die wachsende Zahl von lha mos und lha pas gehe mit einer allgemeinen Zunahme buddhistischer Aktivitäten einher, es gebe im gleichen Ausmaß mehr oracles, wie es auch mehr buddhistische Mönche und Nonnen gebe. Die Zunahme der Mönche und Nonnen wie auch der oracles sei von der Ladakh Buddhist Association (LBA) erwünscht. Auch nach Meinung eines Bauern und ehemaligen Schullehrers in Khardong (I-116) treten Schamanenberufungen auf, wenn die Menschen besonders gläubig sind - wenn ihnen die Zuflucht zu den drei Juwelen141 nicht ernst sei, träten weniger lhas. In diesem Zusammenhang kritisierte er die Bestrebungen Drubang Rinpoches, die Schamanenberufungen einzudämmen: te bo yin as si le142 nang pe chos se skor re nang nga le ka be nang nga skyab dro ngo tog shig med na te ne te gun ne nang nga lha gun nyung song te yod kyak ya le Actually, in Buddhism, because there was no real refuge, the lhas among them [the people] became less. o na skyab dro rgyal la don go chod na If you are able to recite the skyabdro143 very well, te ne lha te ne dang di ring nge tus po tang rag se Then the lhas [are increasing], like in the present time. a zug ge nga tang nge sam ba zhig ge nang nga ta kho lha ngo-tog yin na ta kho yang sems chan ne dro don zhig In our view, if it is a real lha, it will be for the welfare of the sentient beings. co ces se phi'a phan thogs yin nog. It is a beneficial act. tus sog po tang rag ste te bo'ang phan thogs shig yin nog sam ma rag ya le 140 Gleichzeitig fügte gleichzeitig hinzu, daß er von den Praktiken der Schamanen selbst nichts hält. 141 Buddha, dharma (die Lehre) und sangha (die Gemeinschaft der buddhistischen Gläubigen); vgl. triple gem - dkon mchogs bsum [konchok sum] und siehe Glossar. 142 143 asile (Hindi): tatsächlich, wahrhaftig. Formel der dreifachen Zuflucht, s.o. und Glossar. 65 Since times are bad, I think this is beneficial, yes. we se144 a co rang nga ta yang drub wang rin po che gun145 te gun ne mol ces se nang nga te ne skyab dro wab dro146 rgyal la don te zug con na rgyal la yin nog. Well, brother, Drubang Rinpoche and all the others teach that it is good if the skyabdro is well recited. te ne ma yong na rgyal la yin nog sum147 dug pa le. He says; it is good if they [the lhas] do not come. te bo'ang ma ryal la zhig ma nog sam ma rag. I do not think that is very good. z Der Bewußtseinswandel der Menschen - Neid, Eifersucht und rituelle Verfehlungen, geringe psychische Widerstandskraft ("low sparkha, low lungsta")148 und die Unfähigkeit, den eigenen Geist zu kontrollieren - führen zu vermehrten Schamanenberufungen. In einer Reihe von Äußerungen (I-56, I-75, I-82, I-99, I-105, I-116) werden die bewußtseinsmäßigen Veränderungen der Menschen im heutigen Ladakh, ihre nachlassende Verwurzelung im Buddhismus, ihre Unfähigkeit zur Kontrolle und Stärkung des eigenen Geistes und der allgemeine Werteverfall für die Zunahme der schamanischen Berufungen verantwortlich gemacht. Wie der oben zitierte Bauernsohn aus Leh ist auch ein Agronom in Diskit (I-105) der Meinung, daß es eine Zunahme der Religiosität in Ladakh gebe - diese finde jedoch nur auf einer oberflächlichen Ebene statt. Entscheidend sei die Entwicklung des Bewußtseins 144 wese (Hindi): wie irgend etwas, zum Beispiel. 145 Die hier gewählte Pluralform gun ist nach Ansicht der Transkribenten (Gelong Thinlas Gyurmet und Lobzang Rinchen Takchanpa) Ausdruck mangelnder Wertschätzung. 146 wab-dro „is meaningless in ths expression, just a reduplication of syllables“ (Wangchok). 147 High honorific. Sparkha und lungsta sind zwei Schlüsselbegriffe des Ladakhischen und Tibetischen zur 148 Beschreibung psychischer Befindlichkeiten; vgl. RÖSING (1999b) und SCHENK (1994:229): "lung-ta (rlung rta) - Windpferd; Gebetsfahne; Zeremonie, welche die spirituelle Kraft steigern soll; ein Windpferd als Glückssymbol auf vielen Gegenständen abgebildet oder auf Papier oder Stoff gedruckt, mit dem Wind fortgetragen, soll den Menschen Mut machen, zu siegen, ein psychologisch-spiritueller Begriff für Kraft und Glück verbunden mit Karma" sowie DIES. (1994:231): "parkha (spar kha) - astrologisches Diagramm; es existieren neun parkha; spirituelle Macht, geistig karmische Verfassung, die u.a. karmisch und astrologisch bedingt ist, im Leben Schwankungen unterliegt und einmal schwach, einmal stark sein kann; ein zukünftiger Schamane mit viel parkha wird von einem hochstehenden lha besessen, einer mit wenig parkha von einem niedrigstehenden." 66 (mind), und dies habe sich nicht zum Positiven verändert. Dies sei der Grund für die Zunahme der Schamanen, deren Ziel es sei, to convert bad people into good people: This is due to the people's mind. Since they have no religious mind and they have become selfish the oracles come to convert these people and to make them good. Ähnlich äußert sich eine Bäuerin in Khardong (I-75): Nach ihrer Ansicht geht die Zunahme der Schamanenberufungen auf die Unfähigkeit der Menschen zurück, den eigenen Geist zu kontrollieren, infolge dessen breiteten sich üble Absichten und Neid aus: Why lha-lha-mos are increasing that I do not know [lachend]. The people - I think, is it their own misery (lan-chaks). There are more evil wishes (sem-ngan) and jealousy (thradog). [The people] eat different kinds of things, and there are different kinds of diseases (zur-mo). It is created by themselves (rang-rang-ngi phing-ste yin-nog), by not being able to control their mind (sem-pa nan-ma-thop-pa) - it is mostly due to ... the disability to control their mind (sem-pa nan-ma-thop-pa). Im allgemeinen würden solche Menschen zu lha mos und lha pas, die über wenig spirituelle Energie verfügten - so der oben zitierte Bauernsohn und ehemaliger Stipendiat der Herrnhuter Brüder in Leh (I-56). Auch nach Ansicht eines ladakhischen Doktoranden in Delhi (I-99) nehmen die Schamanenberufungen heutzutage zu, weil die Menschen über weniger lungsta149 verfügten und ihre mentale Widerstandsfähigkeit nachlasse. Wenn der lungsta zu niedrig sei, seien die Menschen anfällig für die "Attacken" der lhas.150 - Eine Bäuerin in Rongjuk (I-82) führt die Schamanenproliferation im Nachbardorf Khardong auf die rituellen Verfehlungen des örtlichen yul tsa zurück: In Khardong gebe es so viele Schamanen, weil sich der yul tsa des Ortes in Diskit aufhalte (er arbeitet dort in der Verwaltung) und seinen angestammten Platz nicht einnehme. z Monetäre Aspekte der Schamanentätigkeit, finanzieller Zugewinn und Prestige Ein Schullehrer in Khardong (I-105) war der Ansicht, eine Zunahme von oracles gebe es vor allem in Leh, wo das Orakelwesen inzwischen zu einer professsion geworden sei. Ein tour operator (I-86) vertrat die Meinung, daß zum Teil monetäre Gesichtspunkte bei der Zunahme der Schamanen eine Rolle spielen, ebenso der Status und das Prestige eines Heilers. Schamanen träten zunehmend in Konkurrenz zu anderen Heilerpersönlichkeiten. Mönche und Lamas, die zum Teil ebenfalls spirituelle Heilpraktiken anwandten, fühlen sich durch die Zunahme der Orakel bedroht, am chis ebenso. 149 Von ihm mit =sparka gleichgesetzt. 150 Der Zusammenhang zwischen abnehmender spiritueller Widerstandsfähigkeit und Schamanenberufung wird vor allem von einigen Mönchen (I-84, I-109, I-110) dezidiert vertreten (vgl. Kap. B. 2.3.) 67 Mittlerweile gibt es eine touristische Vermarktung von Schamanen in Ladakh: So erzählte mir ein Doktorand aus Delhi (I-54), daß er regelmäßig Touristen zur Ayu Lhamo führe. Dies würden auch andere guides für Touristen tun, und er habe öfter erlebt, daß Ayu Lhamo Touristenführer wegen unzutreffender Erklärungen in den buddhistischen Klöstern beschimpft und bedroht habe, ihm sei dies allerdings niemals passiert. Weitere eigene Beobachtungen zum finanziellen Zugewinn von Schamanen zeigten, daß z.B. eine Schamanin in Diskit mit ihrem Ehemann zusammen einen Gemischtwarenladen und sogar einen alten Jeep besaß, der als Taxi verwandt wurde, obwohl die Familie in recht ärmlichen Verhältnissen in einem vom örtlichen Kloster gemieteten Raum in einem Mehrfamilienhaus wohnten. Ein weitere Schamane im selben Ort besaß zwei Lastwagen und betätigte sich neben seiner Stelle in der örtlichen Tierzuchtanstalt noch als Fuhrunternehmer. z Berufung / Besessenheit aufgrund der Vernachlässigung junger Frauen durch ihre Ehemänner Vor allem viele jüngere Frauen seien der Besessenheit ausgeliefert, weil diese sich von ihrem Ehemann vernachlässigt fühlten oder weil der Eheman vielleicht ein Liebesverhältnis mit einer anderen Frau habe - so ein 26-jähriger tour operator in Leh (I-118). Er hielt dies für Kompensation der Frauen in ihrer nachgeordneten Position: Besessenheit und Orakelwesen seien ein Versuch, in solch einer Lage die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und aus einer inferior position auszubrechen. Viele junge Frauen in der Berufungsphase gäben das Orakelwesen irgendwann einmal auf, sobald sie genügend Aufmerksamkeit auf sich gezogen hätten. Eigene Beobachtungen deuten ebenfalls auf Zusammenhänge von Schamanenberufungen und familiären Krisen hin. So wurde mir erzählt, daß ein junger Mann aus Khardong ziemliche Alkoholprobleme habe, er hinge im wesentlichen arbeitslos herum. Wenn er Arbeit fand, habe er in der letzten Zeit lediglich tausend Rupien151 monatlich für unqualifizierte Jobs bekommen. Im Dorf Phyang habe er als magpa in eine Familie eingeheiratet, welche er aber inzwischen verließ.152 Seine Schwester hatte bereits vor einigen Jahren eine Schamanenberufung erlangt, im Frühling des Jahres 2000 machten sich auch bei ihm Symptome der typischen Berufungskrise bemerkbar, und es wurde berichtet, daß er inzwischen regelmäßig in Trance ginge. 2.3. Angehörige des buddhistischen Klerus 151 Im Jahre 2000 ca. dreißig Euros. 152 Während unseres Besuchs in Khardong arbeitete er gerade auf den Feldern seiner Herkunftsfamilie mit. 68 Die Theorien der diesbezüglich befragte Mönchen und Lamas zur Zunahme der schamanischen Berufungen wiesen gegenüber den Erklärungen der Laien ein eingeschränkteres Spektrum auf, wurden jedoch in dezidierterer Form vorgetragen. Sie können wie folgt zusammengefaßt werden: z Die lhas fliehen vor religiöser Verfolgung aus Tibet (I-77, I-110). z Mangelnder Respekt vor lhas, tsan und anderen spirits führt zu vermehrten Berufungen und Heimsuchungen der Menschen durch diese, womit sie sich Aufmerksamkeit und Achtung verschaffen wollen (I-84). z Abnehmende Willenskraft und spirituelle Verwundbarkeit der Menschen sind für die Zunahme der Berufungen verantwortlich (I-84, I-109, I-110), das heißt niedriges sparkha / lungsta aufgrund mangelnden Vertrauens der Menschen in die buddhistische Lehre und mangelnder Festigkeit im Glauben (I-84, I-109, I-110). Die Menschen konzentrieren sich zu sehr auf die weltlichen Dinge und sind beständig beschäftigt (busy; I-109). Im Zusammenhang damit wurde geäußert, daß die Zunahme der Berufungen ein Zeichen für den Niedergang des Buddhismus sei sei und die zunehmenden Berufungen sich schädigend auf die buddhistische Lehre (chos / dharma) auswirkten (I-109, I110). Anders als in den Ursachentheorien der Schamaninnen und Schamanen wurde das bevorstehende Ende des gegenwärtigen Weltzeitalters (kalpas) nicht erwähnt. z Die zunehmenden schamanischen Berufungen sind auf monetäre Gesichtspunkte zurückzuführen (Schamanismus als business; I-110). Ein Mönch im Kloster Sumur (I-77) führte - im Einklang mit den auch von Schamanen und Laien geäußerten Berufungstheorien- die Proliferation des Schamanismus auf die Flucht der lhas aus Tibet zurück: The question concerning the increase in lhamos: All the lhas and lhamos were in Tibet, and then China just disturbed them in Tibet, and that is why they are coming down to Ladakh. And that is what I believe in. Ein anderer Mönch im Kloster Spituk (I-84) führte die Proliferation der oracles darauf zurück, daß es zunehmend Menschen gebe, die seelisch niedergeschlagen (psychologically down) und mental verwundbar seien - man sollte sich der Tatsache bewußt sein, daß die lha pas, lha mos und andere spirits letztendlich unter den Menschen stünden, da doch die Wiedergeburt als Mensch so kostbar sei: lha lhamo mang po skyod ces po da rang nge phas lha 69 The coming of more oracles is due to the fact that one's phas lha153 or zer nang mi shi tsan skyes zer nang ma thar ra adug khan bo tshang ma a dead person who is reborn as a tsan, or all those who are still not liberated de ne lhung sta med khan ne mi rig ga de gun yong ngen songs de yin nog keep coming to people who are psychologically down. cig pa da mi de zugs shig ga yong dig 'dug nga cig song mi dang nga he The first thing is that they come to people who think something may happen to me or nga cig mi cha he zer khan zhig ga de ne lha bo nga rgyal ches cha na nyam po something may not happen to me, like that,154 then the lha becomes more and more powerful, de ne yi mi bo ci tshang ma zugs po rgud dbang bo rgud and the person's body, abilities and everything else becomes weak, and de ne lhung sta chags sa nang kho'i rgyud la yongs de nga phad yin mad yin the person becomes psychologically down. Then lha possessing him says 'I am this and I am that.' de ne sngon la la dags la skyag lang rtsog po dangs de 'dug So; a bad kind of freedom was given to them [the people] in ancient Ladakh, rtso bo rang nge phas lha yin zer de dkon mchog gsum me sang rtsad che'a so that they were saying "he or she is our phas lha" and considering [the lhas] more important than the triple gem, cos de lo mang po na pha la la dags se rgyal po gong ma ne pha la sten nen since the former kings of Ladakh were dependent on [them], yongs de yin nog chos ma shes pe skyon gyi da kho kun phru gu tsogs because they did not know the dharma. Now, they [the oracles] are like children, hags khan zhig tsogs shig rgyur de ma rtsi na mi kun la yongs de [they] became very proud, entered the people and harmed them, nga ma grigs khyo ma grigs zer de snod skyal dangs de yin nog de snod skyal saying: "I do not like [this]" or "you do not like it [this]". zug ces po de ne yi ngu se mi kun la rang nge rgyud skyabs 'gro med khan ne They also harm the people because they do not have [proper knowledge of] the triple gem in themselves. 153 Familien-lha, siehe Glossar. 154 Gemeint sind damit Selbstzweifel, unbegründete Sorgen um die Zukunft und seelische Unsicherheit. 70 skyen gyi de bo zugs de yin nog zhan rang nga skyabs 'gro yod na Due to this the people are effected. Otherwise, if there is [faith in the] triple gem in oneself, kho mi shi tsan skyes shig ga nga dang 'jig dgo shes shi dang kho sang 'dug ga zhig we do not need to fear the dead person born as tsan,155 and we are not lower than they. man nog pa songs pa sang rang nge ladags pa kun chos rgya leg So, since the Ladakhis do not know the dharma properly, ma shes pa'i skyen gyi de ne 'a gun dbang thang ches songs de they become more powerful and lhung sta med khan rig ga zhugs de man gro'a sam ma rag zhan mi zer khan bo they may enter those who are psychologically down, I think. Besides that, kho rang bsod nams chen mo yin nog mi lus thob ces po kho rang someone who is a human being is very fortunate because he got a human life. Auch ein Mönch in Choglamsar (I-86) wies ebenfalls darauf hin, daß nach buddhistischer Überzeugung die lhas keine höherstehenden oder dem Menschen übergeordneten Wesen, sondern genauso dem samsara verhaftet seien wie alle sterblichen Wesen seien. Wie der oben zitierte Mönch in Spituk (I-84) ergänzte, seien die lhas und tsan früher sehr respektiert worden - das habe sich infolge besserer Bildung der Bevölkerung inzwischen gegeben, so daß es verschiedene Geister (spirits)156 nötig machen, mental instabile Menschen heimzusuchen: In ancient times people used to take them as a refuge, and they respected the lhas and lhatos157 very much, since they were uneducated. Now, people became educated, and they do not respect these lhas, lhatos, tsan and all these beings, and that is why they try to do something in people, like entering people who are psychologically down people, and they try to say: 'you are not respecting us' - like this and that. Ein weiterer Mönch, welcher im Kloster Diskit als Lehrer beschäftigt ist (I-109), sagte uns, daß er die Zunahme der Schamanen nicht für ein gutes Zeichen hält. Dieser Meinung seien auch führende Rinpoches, und der Sras Rinpoche erkenne niemals lha mos und lha pas als solche an. I cannot tell much about the lha (nga te-skor-la rgyal-la zer-mi-nyen). It is not good that many lhas come (lha mang-po skyod-cas-po-ta rgyal-la ma-nog) because the Rinpoches, especially Sras Rinpoche, do not give any importance to lhas (rin-po-che–gun-ne sang, 155 Siehe Glossar. 156 Auffällig ist, daß Lobsang zwischen diesen verschiedenen Kategorien von Geistwesen nur wenig zu differenzieren scheint - so macht er auch keinen Unterschied zwischen lha, tsan (Geistern der Mittelwelt) und Totengeistern. 157 Siehe Glossar. 71 Sras Rin-po-che, a-zug ma-co-a yin-nog). The coming of many lhas can be bad (lha mangpo bab-ces-pe-ka tsog-po ca-ces yin-nog). I cannot explain about the lha, it is difficult (lha mang-pe skor-la zer-ces-po kaks-po yin-nog). Die Zunahme der Berufungen brachte er mit abnehmender Willenskraft (will power / sparkha) in Verbindung: Besessenheit trete vor allem bei Menschen auf, welche seelisch sehr niedergedrückt (psychologically down) seien. Es falle schwer, an all diese lhas zu glauben, allerdings gebe es auch gute lhas, welche den Menschen wertvolle Dienste leisteten: This is due to the lack of will power, and the people who have less will power (spar-ka sma-mo yod-de), they are possessed by many lhas and dres. It is very difficult to separate them, and to believe in all these lhas and lhamos, [to find out] what they are really possessed by. There are some good lhas who really benefit the people and who tell what sort of difficulties we have and what will happen, they tell us directly and do some service for the people. Auf die Frage, warum die Menschen heute seelisch niedergedrückt (psychologically down) seien und über wenig sparka verfügten, antwortete er, daß die Zunahme der Religiosität nur auf einer oberflächlichen Ebene stattfinde. Viele Leute hätten viele heilige Texte in ihren Gebetsräumen, aber sie beherzigten die Lehren dieser Texte nicht. Die mangelnde seelische Stärke der Menschen sei darauf zurückzuführen, daß sie sich nicht auf die buddhistische Religion konzentrieren, sondern sich statt dessen weltlichen Dingen widmen - sie seien zu geschäftig, zu sehr mit dem Gelderwerb beschäftigt, und fänden zum Teil noch nicht einmal mehr Zeit, ihren chod khang158 zu säubern. Um das eigene sparkha zu stärken, sei religiöse Betätigung mit Glauben im Herzen sei nötig, z.B. das Aufhängen von Gebetsfahnen oder die Wiederinstandsetzung von chörten:159 The main reason for this is, the people are not concentrating on the teachings (chos), and in each other direction, they are developing (ngan-tang), like working on the land or building houses. There are old religious books and statues in the houses and they never take care (dag-skyen ma-chos) [of them], they do not clean them, they are very busy working all the time, they think of work. Compared to the to olden days, people now are not practicing religion much, the only practice is just to show it to each other, and they do not keep clean, and due to that the willpower is decreasing (spar-ka ma-mo songte yin-nog). Ein Mönch im Kloster Sumur (I-110) führt den Zuwachs der oracles in Ladakh ebenfalls führt er auch die anti-religiöse Verfolgung in Tibet zurück. Viele der lhas seien im übrigen Hungergeister (yi-dag)160, welche Besitz von den Menschen ergreifen. Die Proliferation der Schamanen sei kein gutes Zeichen, sie genössen vor allem das Vertrauen derjenigen Men158 Siehe Glossar. 159 Siehe Glossar. 160 Siehe Glossar. 72 schen, welche nicht stark im Buddhismus verwurzelt seien. Deshalb deute die Zunahme der oracles auf den Niedergang des Buddhismus hin: do ta ma zhi zer cas khag po zhig tsog shig yin nog ga le Actually it is difficult to say, nga tang nga rig shig ge yang te zug shig sung-kan-zhig-gaangbut there are some [people] who tell us [the following things]: yong dug ga pe zhig ge nang nga bod la gya mi'i mag yong ste for example, the Chinese made war in Tibet, bod rang wang shor ha le bod rang wang shor pa pod la Tibet lost her freedom, right? Since Tibet lost her freedom, chos se kho ma khag po zhig song nga tang nga chi zer ra nog it became very difficult for us, too. How to say kar chogs ge we chos chogs ge las co kan bo tshang ma those all who did meritorious deeds and who followed the dharma, nag bar do zhig thong nga tang nyam-po mi'a since these people faced a lot of difficulties and hardship, lha gun nang te tang te zhin 'e ni kar chogs ge lha gun la the oracles of the good side might in fact also nag bar do zhig tan tan yong ste yin cha 'dug ga have faced difficulties and hardship. do yong se khong gun nang a ka 'dug ma zod kan tsog shig Since they faced these it seems that they also could not live there. khag po zhig song se 'e ni 'di ngo'a shor te yong kan tsog shig [Since it] became difficult it seems that they escaped to this side. te zug shig gang yin cha 'dug mang che'a ta lha lha mo zer chas po It is like this also, and mostly those who are called oracles nga zhe ngos dzin cho chas po ni kho yin bo yi dags tsog shig According to our understanding they are like yidags161 [tormented spirits], yin ka nog pa ha la nga tang nge ta chi yin nang right? Now whatever it may be, 'e ne ma zhi nga tang nge la dags ga te tsog shig mang po zhig actually many of them [are] in our Ladakh 161 Siehe Glossar. 73 tar chas po ta nge sam pe ka den pa gyal la zhig thong nga mi rag and the increase [in oracles] truly does not look good in my opinion, chi’a zer na di sang gyas se tan ba nyam chas se because this seems to be a sign of decrease of the Buddha's teachings. tags tsog shig 'dug ga-le chia zer na mi gun te zug ge Because in this way, people lha lha mo gun la tad pa tang yid ches mang po chos have more faith and trust in oracles. 'e ni khas khas ga tad pa cho gos sha yin So what for do you need this special faith? nga tang nge kon chog sum gun la tad pa ma cho'a our [people] do not have faith in the triple gem. te ne o te zug ge dra mi dra chos log pa rig ge ka grul se but follow many false dharmas like [that of] these [oracles]. 'e ni te ka ne stan ba nod skyon chen mo zhig gang yong chas se jigs pa sran te'dug So from these there is a fear that these may seriously harm the teachings [of the Buddha]. Was könnte man gegen diese Gefahr für den Glauben tun? Es gebe Methoden, die Besessenheit durch lhas zu stoppen, so der Mönch in Sumur: Diejenigen, welche von lhas besessen seien, könnten das unterbinden und mehr mantras rezitieren, so daß ihr sparka nicht so angreifbar sei. Aber viele oracles in Ladakh wollen ihre Besessenheit gar nicht unterbinden, sondern diese sei ihnen vielmehr als zusätzliche Einkommensquelle willkommen, heutzutage sei für viele Menschen aus monetären Erwägungen heraus diese Besessenheit erwünscht: It is difficult (kaks-po) because it enters naturally, without the will of the person (rangwang med-pa) who is psycologically down (spar-kha bab-ste yod-khan). So, they themselves have same ways (cos-thaps) like reciting skyab-do, ban-zar gu-ru, mig-rtse-ma,162 and so on. If they do these, even when the lhas enter them, they will disappear (med-khan cha-ces) afterwards, for example, it is said that there was a monk here before my arrival who was like this (do-tsogs-shig, [possessed]). After that, Rinpoche asked him to do meditations (tsams-tang-ste), now he is fine (tik-yod).163 So it is possible ([to stop], nyan-nyances yin-tig-dug). These days the people, when they know they are possessed (lha skyod-dug ze-ra nyam-po), they feel happy (thad-po), because then there is a good income (yong-go), and for that reason they are permitting the lhas to possess them, without feeling any problems and difficulties (nags-bar-dos). 162 Bezeichnung verschiedener mantras, siehe Glossar. 163 Kombinations eines Ladakhi-Ausdrucks mit einem Lehnwort aus dem Hindi. 74 Wie aus diesen Äußerungen klar ersichtlich wird, bestehen von Seiten der befragten buddhistischen Mönche große Vorbehalte bzw. offene Abwehr gegenüber den Praktiken der vorbuddhistischen Volksreligion und ihrer Schamanen. Lediglich ein Mönch, der - als eine Art Militärseelsorger - für die religiöse Betreuung der Ladakhi Scouts164 zuständig ist (I-31), suchte selbst im Krankheitsfalle auch Schamanen165 auf und war der Meinung, daß ihre Praktiken mit dem Buddhismus voll und ganz vereinbar seinen: There are many lhas and lhamos in the world (dzam-bu-ling), but they are different due to the culture, language and people's thinking (tsam-tshul) of the area. It is difficult to say that all lhas and lhamos in Ladakh are real (den-be) but mostly they come according to the Buddhist teaching for keeping peace in the world (nang-pa sang-gyes-pe chos-tang thun-pe dzam-bu-ling-nge zhis-de). Then if we live according to their instructions (sten-te), then life will be happy (skyid-po), and we will be benefited (phan-thogs) by them. Eine etwas moderatere Position vertritt auch ein Mönch (I-81) im Kloster von Diskit: Bezüglich der Schamanen sei es wichtig, nicht Zuflucht zu diesen zu nehmen - abgesehen davon seien sie zur Heilung von großem Nutzen für die Bevölkerung: People are benefited by the lhas. It is right to go to a lha, but we should not take refuge to them, we should not go in refuge - that is what His Holiness [Dalai Lama] always uses to say - we go to a lha to cure some of our problems, cure some diseases or whatever problem we have - but we should not take refuge to them. 2.4. Hypothesen zur Bewertung Zusammenfassend werden in den Äußerungen der Schamanen selbst, ihres Klientels und potentiellen Klientels sowie der buddhistischen Mönche folgende Ursachen für die Proliferation des Schamanismus in Ladakh genannt: z Die Flucht der lhas aus Tibet (I-58, IL-59, Il-65, Il-66, IL-70, Il-76, I-77, Il-97, IL-98, I-110) z Nachlassende Achtung vor den lhas (sowie auch anderen Gottheiten und Geistwesen; Il-98, I-108, IL-112) z Die Zunahme der Berufungen sei kein gutes Zeichen (IL-61, IL-65, IL-66, IL-79, IL97, IL-103, IL-107, I-109, I-110). Lediglich bei den Schamaninnen und Schamanen selbst (IL-61, IL-65, IL-66, IL-79, IL-80, IL-97, IL-103, IL-107, IL-112) fand sich in 164 Aus Einheimischen zusammengesetzte Hochgebirgs-Spezialtruppe der indischen Armee in Ladakh. 165 Wie übrigens viele buddhistische Mönche, vgl. I-31, I-81 und Kap. B. 3. 75 diesem Zusammenhang die Äußerung, das Ende des gegenwärtigen Zeitalters (kalpa)166 sei nahe. z Veränderungen des Bewußtseins: allgemein nachlassende Religiosität, Abkehr vom Glauben, rituelle Versäumnisse, mangelnde Geisteskontrolle, allgemeiner Werteverfall (IL-66, IL-76, IL-79, IL-80, IL-97IL-100, IL-103) und Schwächung des seelischen Gleichgewichts (sparkha / lungsta, I-56, I-75, I-82, I-99, I-105, I-116), wobei letztere Ursache nicht von Schamaninnen und Schamanen selbst genannt wird. z z Monetarisierung, Folklorisierung, Geld- und Erwerbsorientierung (I-54, I-86, I-105). Die prekäre Situation Ladakhs als Grenzregion gegenüber pakistanisch und chinesisch kontrolliertem Territorium (I-70, IL-71, IL-103, IL-112). Die damit umrissenen emischen Theorien verschiedener Bevölkerungssegmente sollen im folgenden auf nachweisbare Wirkungszusammenhänge abgeklopft werden. Die Flucht der lhas aus Tibet Bei dieser Ursachentheorien scheint sich auf den ersten Blick um eine "metaphysische Erklärung" zu handeln, welche nach westlichen Verständnis nicht faßbar ist. Tatsächlich stellte jedoch die dahinter stehende religiöse Intoleranz im chinesisch besetzten Tibet auch für die Ladakhis eine schwerwiegende Beeinträchtigung dar.167 Da der Buddhismus in Tibet bedroht ist, gilt dies aufgrund der engen religiösen Verknüpfungen zu Tibet auch für den Buddhismus in Ladakh, dasselbe wie in Tibet mag auch in Ladakh passieren. Die "Flucht der lhas" aus Tibet kann somit auch als metaphorische Wendung, als Warnsignal vor vergleichbaren Brüchen in der religiösen Tradition Ladakhs, interpretiert werden - seien diese nun durch gewaltsame Außeneinflüsse (Moslem-Dominanz) oder durch eine schleichende Angleichung an die umgebenden Mehrheitskulturen (sinkende Bevölkerungszahl der Buddhisten, Angleichung an Wertemuster des Westens und Indiens) hervorgerufen. Somit ist die Ursachentheorie von der Flucht der lhas aus Tibet auch Indiz für deutlich wahrgenommene Streßsymptome aufgrund der Beeinträchtigungen durch Außeneinflüsse (Fremdheitslast). Fremdheitserfahrungen in Ladakh 166 Siehe Glossar. 167 Auf die Auswirkungen der chinesischen Besetzung Tibets für die geistige Kultur Ladakhs (fast alle buddhistischen Mönche, zumindest höherer geistiger Schulung, wurden dort ausgebildet) und den damit verbundenen Bruch der geistlichen und geistigen Tradition machte implizit ein Mönch im Kloster Sumur (I-110) aufmerksam, indem er darauf hinwies, daß diese Besatzung auch für die buddhistische Geistlichkeit große Schwierigkeiten zeitigte. 76 Auch in den übrigen, oben aufgeführten Ursachentheorien der verschiedenen Bevölkerungssegmente168 sind eindeutig Faktoren benannt, welche auf Streßsymptome und tiefgreifende Beeinträchtigungen hindeuten, alle diese Faktoren sind mit Traditionsbrüchen und somit mit der unserem Forschungsprojekt als Ansatzpunkt zugrunde liegenden Fremdheitslage verknüpft. Sehen wir die Schamaninnen und Schamaninnen in ihrer therapeutischen Praxis als Sensoren für die Befindlichkeiten der Menschen in Ladakh an, so ergibt sich, daß diese Fremdheitslage vornehmlich als Fremdheitslast wahrgenommen wird. Die Ursachentheorien zur schamanischen Berufung enthalten ganz eindeutige Hinweise auf Streßsymptome, z.B. die Aussagen eines tour operators (I-118), daß eine eine Proliferation der Schamanen weniger in Leh selbst als in den umliegenden Dörfern, aber auch in den new colonies am Rande der Stadt (z.B. der New Housing Colony) gebe und der Grund dafür sei, daß bei diesen Leuten, die dort angesiedelt seien, mehr soziale Probleme, Familienstreitigkeiten, unsichere Lebensverhältnisse etc. auftreten als bei den alteingesessenen Bewohnern von Leh.169 Der geschlechtsspezifische Charakter der Berufungen und die veränderte Rolle der Frau Obwohl es sich bei der Mehrheit der in Ladakh tätigen oracles um Schamanninen handelt, wurde der geschlechtsspezifische Aspekt der Schamanenberufungen (vgl. Kap. B. 1 [iii] ) in den geführten Informationsgesprächen durchwegs nur auf Anfrage angesprochen. Lediglich zwei Schamanen im Nubra-Tal (IL-111, IL-117) machten von sich aus Angaben dazu und erwähnten, daß dies mit vermehrten Neid, vermehrter Eifersucht und vermehrter Giftmischerei (schwarze Magie) bei Frauen im Vergleich zu Männern zusammenhänge Als Ursachen wird die bevorzugte Berufung von Frauen werden genannt: (i) Eine Art Arbeitsteilung zwischen weiblichen und männlichen lhas (IL-103, IL-112) Die Berufung vornehmlich weiblicher lus-gyar ist auf das Wirken der weiblichen Göttinnen Palden Lhamo und Tsering Chenga sowie deren Assistentinnen zurückgeführt, welche alle friedvolle Gottheiten sind und von weiblichen lus-gyar Besitz ergreifen, weil Frauen im allgemeinen friedfertiger seien (IL-106, IL-112). In der heutigen Situation, in der die Welt zu ihrem Ende kommt und viele innere und äußere Probleme im Dorf und im Haus aufträten, wollen diese friedvollen Gottheiten den Menschen helfen - vielleicht werden eines Tages alle Dörfer voller lhas sein, wie es bereits prophezeit wurde. Die zornvollen, männlichen Gottheiten aus Tibet halten sich demgegenüber eher an der Grenze auf, um das Land zu beschützen, deshalb können sie wenig im Lande selbst wirken, um die Lehren des Buddha zu 168 Nämlich, daß die zunehmenden Schamanenberufungen ein schlechtes Zeichen darstellten, u.a. für negativ bewerteten Bewußtseinswandel, sich verschlechternde seelische Verfassung der Menschen (vermindertes sparkha / lungsta) und Werteverfall. 169 Außerdem seien die Menschen in Leh selbst zu busy, um sich viel mit dem Orakelwesen zu beschäftigen. 77 verbreiten. Es gebe viele Konflikte zwischen Ländern und Religionen, in denen die zornvollen Gottheiten als Schützer wirken, genauso, wie die schwere Arbeit in den Dörfern von Männern verrichtet werde. Sogar der Dalai Lama "beorderte" diese Gottheiten in die konfliktträchtigen Grenzregionen, deshalb müßten sich die friedfertigen Gottheiten um die Leiden der Menschen in den Dörfern kümmern, und deshalb gebe es dort so viele weibliche lha mos so ein alter Schamane in Hundar (I-112). In ähnlicher Weise äußerte sich eine Schamanin im Nachbarort Diskit (IL-106, Schülerin des vorher zitierten Schamanen): Aufgrund der Tatsache, daß Palden Lhamo die zehnte Stufe der Buddhaschaft erlangt habe, verfüge sie über viele attendents. Da wir das Ende des Zeitalters des Buddha Shakyamuni erreicht hätten, fühle sich Palden Lhamo nicht wohl und schicke diese Untergebenen aus, um bei den Menschen Besessenheit hervorzurufen. Da nur in Ausnahmefällen männliche lus gyar von weiblichen lhas besessen werden können, handelt es sich bei der Mehrzahl der neuberufenen Schamanen um Frauen.170 (ii) Zunehmende Arbeitsbelastung von Frauen, insbesondere der Schamaninnen Frauen müssen inzwischen sehr viel mehr arbeiten als früher, in ancient times they had nothing much to do (IL-106). Heutzutage seien die Männer irgendwo beschäftigt, die Kinder gingen zur Schule - früher habe es keine Armee und keine I.T.B.P.171 gegeben, welche Beschäftigungsmöglichkeiten geboten hätten. Deshalb müßen die Frauen sehr schwer arbeiten, insbesondere diejenigen, welche zusätzlich noch von lhas besessen würden - zum Beispiel müsse sie selbst: oft um zwölf oder ein Uhr nachts aufstehen, wenn die Leute ihren lha benötigen, und daneben das Haus, die Felder und den Laden versorgen. (iii) Zunehmende Probleme im zwischengeschlechtlichen Bereich – emotionale Vernachlässigung von Frauen, Eheprobleme Vor allem viele jüngere Frauen seien der Besessenheit ausgeliefert, weil diese sich von ihrem Ehemann vernachlässigt fühlten oder weil der Ehemann vielleicht ein Liebesverhältnis mit einer anderen Frau habe - so ein 26-jähriger tour operator in Leh (I-118). Er hielt dies für Kompensation der Frauen in ihrer nachgeordneten Position: Besessenheit und Orakelwesen seien ein Versuch, in solch einer Lage die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und aus einer inferior position auszubrechen. Viele junge Frauen in der Berufungsphase gäben das Orakelwesen irgendwann einmal auf, sobald sie genügend Aufmerksamkeit auf sich gezogen hätten. Weiterhin gebe es zunehmende Probleme zwischen Männern und Frauen, sei es, daß sie keine passenden Heiratspartner gefunden haben, sei es, daß zu Scheidungen komme - deshalb werden z.T. mehr Frauen von lhas und spirits besessen - so ein Schamane in Khardong (IL-117). 170 Sie erwähnte in diesem Zusammenhang, daß sie hat nur einen Schüler habe, der lediglich einmal jährlich besessen werde. 171 Indo Tibetan Border Police. 78 (iv) Zunehmende mentale Beschwerden bei Frauen Lediglich zwei Schamanen im Nubra-Tal (IL-111, IL-117) machten von sich aus Angaben dazu und erwähnten, daß dies mit vermehrten Neid, vermehrter Eifersucht und vermehrter Giftmischerei (schwarze Magie) bei Frauen im Vergleich zu Männern zusammenhänge. Frauen seien insgesamt anfälliger für Besessenheit, Hexerei und Schadenzauber (IL-111, IL117). Der oben bereits zitierte Schamane (IL-117) ist der Auffassung, es gebe bei den Frauen im heutigen Ladakh zunehmende mentale Beschwerden und Erkrankungen - bis hin zur Selbstmordneigung und verstärkten Anfälligkeit für Hexerei. Ursache dafür seien Familienprobleme, Eheschwierigkeiten, Probleme bei der Partnerwahl sowie die Tatsache, daß Frauen insgesamt anfälliger für mentale Schwierigkeiten seien, weil sie ihr Bewußtsein schlechter kontrollieren könnten als Männer. Bei den mentalen Beschwerden seiner Patienten handele es sich meist um Besessenheit durch shinde, son de, gong pos oder gong mos.172 Vor allem Frauen seien das Opfer solcher Schädigungen, nur zum kleineren Teil Männer,173 weil diese mehr Konflikte, z.B. in der Ehe hätten. Auch hätten Frauen aufgrund ihrer Monatsblutung (= Unreinheit) größere Schwierigkeiten als Männer, beständig von einem lha besessen zu werden (Il-78, IL-117) - deshalb träten bei ihnen häufig Besessenheiten durch eine Vielzahl anderer, niederer Geister (unklare und schwierige Schamaninnenberufungen) auf: A woman who has a strong personality in talking and fighting, expert in every field, can be possessed by son-dre (khyad-te po-mo-zhig ma-trag-po yod-na te wang son-dre-a zhugnyan-na-nog). One who cannot controll her heart (snying ma-rde-khan) can be possessed (zhug-ga-nog) by a shin-dre,174 and now you people came here (nye-rang pa-skyod-te yinnog-pa), it is a malicious gossip (mi-kha zer-in-ne yur-ra-nog) all this can be possessed in the heart (te tsang-ma snying-gne nang-nga zhug-nyan-na-nog). Compared to men, women are possessed 100% (te po-me na pu-tshe-sang sao)175 – men are not much possessed because of their high sparkha (pu-tshe nang-nga yong-nga mi-dug, spar-kha thon-po songste). It has been changed - in the heart it is a feeling like fighting and grabbing (yi-zamzhig-gyur-tog zing-mo tang-ces tra-mo tang-ces snying-nang-nga yod-te yin-nog). Due to lacking firmness this is happening to women (snying-rus-po po-mo-gun-la kam-yod pa sang te-ne ka-ne yong-ste yin-nog) – otherwise it is not happening. After that they become mad (yo-lam tang-dug). Those who are drinking, it comes to them (thung-khan ka-cig-ga ma-ne yong-nga-mi-rug). Those who are not drinking, it does not happen to them. 172 Totengeister, Wiedergänger, Hexen und Schwarzmagier - siehe Glossar. 173 Obwohl manche Männer sich auch wie besessen benähmen, wenn sie zuviel getrunken hätten, fügte er hinzu. 174 Geist eines Verstorbenen 175 Hindi: 100. Hier im Sinne "von Hundert" gebraucht. 79 Der Wandel im Status und in der Rolle der Frau in Ladakh aufgrund der Modernisierung wurde in neuerer Zeit explizit von HAY (1999) angesprochen,176 der zufolge sich eine deutliche Verschlechterung des Status der Frau - dies m Zusammenhang mit zunehmender Konkurrenz, dem Streben nach Gewinnmaximierung und allgemeinem Wertewandel - ergeben habe (EBD.:179). Außerdem stellte sie fest, daß inzwischen für Ladakh neue, ursprünglich indische Konzepte von Reinheit und weiblicher Unversehrtheit eingeführt wurden (S. 180) dies auch im Zusammenhang mit anderen Einflüssen aus dem indischen Tiefland (vgl. NORBERG-HODGE 1991). Aufgrund der Einführung der Geldwirtschaft und allgemeiner Erwerbsorientiertheit ist Modernisierung ist für Frauen vor allem mit steigender Arbeitsbelastung, längerer Abwesenheit der anderen Familienmitglieder und zunehmender Vereinsamung verbunden. Im Rahmen unserer Beobachtungen fiel uns z.B. in dem kleinen Weiler Rongjuk im Nubra Tal, welcher gerade durch den Straßenbau erreicht wird, auf, wie viele (gerade jüngere) Männer das Dorf verlassen haben, und wie viele Frauen allein die Verantwortung für Haus und Hof übernehmen müssen. Der örtliche Schulneubau wurde maßgeblich von einer Bäuerin organisiert und ging ansonsten ausschließlich auf die Eigeninitiative der Dorfbewohner zurückgeht - staatliche Anerkennung oder Unterstützung für dieses Projekt gab es nicht. Insgesamt kümmerten sich die Menschen in den Dörfern zu wenig um Angelegenheiten von allgemeinem Belang und arbeiteten lieber im Straßenbau, da das Geld einbringe - so die Hauptorganisatorin der neuen Schule. Dieselbe Frau lebte allein im Haus ihrer Familie (khang chen) und hatte sich bei einer Begegnung im Jahr zuvor deutlich über die lang dauernde Abwesenheit ihres Bruders beklagt. Ihr Vater war zu diesem Zeitpunkt gerade von der indischen Armee zum Transport von Munition und anderen Hilfstätigkeiten an der L.o.C. verpflichtet worden. Auch verschiedene andere Dorfbewohner in Rongjuk bestätigten unsere Vermutung, daß die zu Hause und auf dem Felde geleistete Arbeit zunehmend an Wertschätzung verliere - allein die entlohnte Arbeit zähle. Inzwischen würden die Menschen sogar ihr Vieh verkaufen wollen (wie bei den Yakhaltern in Khardong, direkt an der Straße, wohl bereits geschehen), um sich besser der bezahlten Erwerbstätigkeit widmen zu können. Mein Begleiter Sonam erwähnte, daß seine Freunde und er sich in Delhi immer fragten, was die dortigen (Mittel- und Oberschichts-?) Frauen eigentlich den ganzen Tag über tun - hier in Ladakh seien die Frauen permanent am Arbeiten; dort hätten sie eigentlich nichts anderes zu tun als für ihren Mann und die Kinder das Essen zuzubereiten und schön zu sein. Außerdem erwähnte er, daß es in Ladakh traditionellerweise üblich sei, daß ein frisch gebackener Vater sieben Tage zu hause bleibe, sich jeglicher Tätigkeit enthalte und vor allem während dieser Zeit keine Wasserläufe überschreite. Im großen und ganzen allerdings werde diese Regel in Eh so gut wie gar nicht mehr befolgt. 176 Vgl auch FAHLÉN (2000). 80 In den Aussagen sowohl der Schamaninnen und Schamanen selbst als auch ihres Klientels werden jedoch so gut wie keine ursächlichen Zusammenhänge zwischen der Zunahme der Berufungen und dem (zum Nachteil) veränderten Status der Frau gesehen, allenfalls implizit in der Gestalt, daß aufgrund der "schlechten Zeiten" immer mehr Frauen von friedvollen Gottheiten berufen würden, da bei Männern die Berufungen durch zornvolle Gottheiten zunähmen. Direkte Bezüge zwischen dem der (zum Negativen) veränderten Rolle der Frau und der Zunahme bevorzugt weiblicher Schamanen konnten somit in diesem Forschungsprojekt nicht ermittelt werden. Monetarisierung, Folklorisierug, Geld- und Erwerbsorientierung Für die Monetarisierung und Folklorisierung des Schamanismus in Ladakh lassen sich eine Reihe von Belegen anführen, ähnliche Phänomene sind auch aus den benachbarten Karakorum-Regionen (vgl. SIDKY 1994 zu Schamanismus als Touristenatrakttion bei den Hunza) bekannt. Nicht vergessen werden darf in diesem Falle die Proliferation der Forscher zum Schamanismus in Ladakh, welche selbstverständlich Rückwirkungen auf die Beforschten selbst hat. So waren beim Besuch einer Schamanin in Choglamsar (H-9) insgesamt fünf Klienten der lha mo - ein Inder und vier Ladakhi-Frauen, zwei davon mit Kleinkindern sowie eine US-amerikanische Tibetologin mit Übersetzer vertreten - einschließlich mir und meines Begleiters Sonam Wangchok also fast mehr researcher als Klienten. Dieselbe Schamanin (IL-98) erwähnte im Gespräch, daß sie häufiger sowohl von Westlern als auch von Moslems aufgesucht werde. Inzwischen hat auch eine touristische Vermarktung von Schamaninnen und Schamanen eingesetzt, ein Universitätsstipendiat aus Delhi (I-64) erzählte mir, daß er regelmäßig westliche Besucher zu einer sehr bekannten lha mo in Sabu führt führe.177 Dies würden auch andere guides für Touristen tun, und er habe öfter erlebt, daß sie in Trance Touristenführer wegen unzutreffender Erklärungen in den buddhistischen Klöstern beschimpft und bedroht habe - ihm sei dies allerdings niemals passiert. 3. Ursachentheorien zum Bedarfszuwachs 3.1. Schamaninnen und Schamanen Übereinstimmend finden sich in den Aussagen der zum Bedarfszuwachs befragten Schamanen und Schamaninnen folgende Aussagen: 177 Ayu Lhamo, Sabu Lhamo oder Abi Lhamo genannt, mit "bürgerlichem" Namen Sonam Sangmo Kuldan - wohl die bekannteste Schamanin Ladakhs, welche auch regelmäßig in Zeitschriften- und Fernsehberichten zu Ladakh erwähnt wird. 81 z Mit der Zunahme der schamanischen Berufungen und dem erweiterten Angebot an schamanischer Heilung sei auch eine zunehmende Inanspruchnahme derselben verbunden: Wenn es mehr lha pas und lha mos gebe, gebe es auch mehr Leute, die diese aufsuchten (IL-57, IL-65) - mit der zunehmenden Zahl der Berufungen nehme auch das Klientel zu (Il-80, IL-97; vgl. Kap. B. 2.1.) z Es gebe mehr Krankheiten als früher, sowohl bei Menschen als auch beim Vieh (IL-57) - die Patienten kämen zu allen Tages- und Nachtzeiten (IL-65), sowohl mit organischen als auch mit mentalen Problemen (IL-57, IL-117). z Organische Probleme treten vor allem in Form der Fremdkörpern auf (bei Menschen besonders Nieren-, Gallen- und Blasensteine), welche von den Schamanen durch Aussaugen entfernt werden könnten - in der allopathischen Medizin seien dazu umständliche diagnostische (Röntgenuntersuchungen) und therapeutische Verfahren (Operationen) nötig (IL-65, IL-97, IL-98. z Die Zunahme der Krankheiten ist durch veränderte Kleidungs- und Ernährungsgewohnheiten bedingt (IL-59, IL-76) - früher hätten die Menschen gesünder gelebt (IL-76, IL-78). z Auch die Krankheitsbilder beim Vieh hätten sich verändert: Es gebe heute viel mehr Krankheiten, die es früher nicht gegeben habe. Z. B. fräßen die Weidetiere heute viel mehr Plastik oder Nadeln, welche ein Schamane dann wieder entfernen müsse (IL-57, IL-65). z Ganz allgemein wurden von Schamaninnen und Schamanen die zunehmende Konkurrenz und die gesellschaftlichen Spannungen beklagt, welche zu einem vermehrten Bedarf an schamanischer Heilung führten (z.B. IL-79). Es gebe mehr mentale Probleme innerhalb der Bevölkerung und deswegen mehr Konsultationen von Schamaninnen und Schamanen, weil ein (negativer) Bewußtseinswandel stattgefunden habe. Neid, Gier und Mißgunst und Unzufriedenheit nähmen zu - die Menschen seien nicht zufrieden zu stellen und wollten immer mehr (IL-65, IL-76, IL-79). Das Leben sei heute viel spannungsgeladener als früher. Die mentalen Probleme mancher Patienten seien Ausdruck schamanischer Berufungskrisen (Besessenheit durch lha und /oder dre; IL-65). Außerdem gebe es eine dramatische Zunahme von Schadenszauber (Il-97, IL-100, IL-111). Dabei hieß es, daß die Zunahme von Hexerei, Neid und Mißgunst unter den Menschen auf die Schwäche des eigenen Bewußtseins zurückführen sei (z.B. IL-97, IL-103, IL111), weniger auf Außeneinflüsse (IL-111). z Demographische Gründe für den vermehrten Bedarf an schamanischer Heilung: Mit zunehmender Bevölkerungszahl würden mehr oracles gebraucht (IL-70), zudem gebe es mit der Zunahme der Menschen auch mehr schlechte Gedanken und üble Absichten (IL65). 82 z Es werden zukünftig noch mehr Schamanen zur Heilung der Krankheiten benötigt (IL65), und ihre Zahl werde noch weiter ansteigen (IL-79, IL-111). Wie eine Jungschamanin aus Khardong ausführte (IL-57), kommen immer mehr Leute kommen mit neuen Problemen zu lha mos - sowohl mit mentalen als auch physischen Störungen. Zum Beispiel führten die verschiedenen Formen des Essens, etwa in Restaurants, zu organischen Störungen, die Tatsache, daß die Menschen heute sehr viel mehr Dinge besitzen als früher (die Gier), führen zu mentalen Problemen. Wenn es mehr Schlammen gebe, gebe es auch mehr Leute, die diese in einer wissenschaftlich geprägten Welt178 aufsuchten - es gebe mehr und mehr Probleme. Eine Schamanin in Thiksey (IL-65) faßt die Änderungen bezüglich ihres Klientels wie folgt zusammen: Mit zunehmender Zahl der Berufungen gebe es auch eine zunehmende Zahl von Klienten, der allgemeine Zustand in Ladakh, zunehmende Konkurrenz und unrest führten zu Krankheiten. Aufgrund des "Wandels der Zeiten" kämen Leute mit sehr verschiedenen Beschwerden zu ihr. Oft gehe sie mitten in der Nacht noch zu Konsultationen, weil die Leute ihre Hilfe brauchen - Hilfsgesuche könne sie nicht ablehnen. Früher seien die Leute "im Herzen gut" gewesen, heute dagegen seien sie so sehr von der wissenschaftlichen Welt eingenommen,179 daß sie an vielen Krankheiten litten. Früher habe es überhaupt keine Ärzte gegeben, heute sehr viele, aber ihre Zahl scheine immer noch nicht ausreichend zu sein. Es gebe einen Wandel im Bewußtsein der Bevölkerung, in der geistigen Verfassung (mind).180 Manche Patienten dankten ihr für die Heilung, manche erwähnten überhaupt keine Wirkung. Herabsetzende Kommentare zu ihrer Heilweise lasse sie einfach an sich vorübergehen und kümmert sich nicht darum.181 Auch und gerade bei Tieren gebe es zunehmende Krankheiten, sie widme sich bevorzugt der Heilung von Vieh, weil die Tiere keine andere Möglichkeit der "medizinischen Versorgung" hätten,182 und suche die Gehöfte der Bauern auf, deren Weidetiere (vor allem Rinder und dzo) etwas Falsches (Platiktüten, Nägel) gefressen hätten, um diese Fremdkörper dann zu extrahieren. Tiere hätten die Heilung durch Schamanen besonders nötig, da sie sich im Unterschied zu Menschen nicht anderweitig helfen können. Erfolge habe sie besonders bei der Entfernung von Fremdkörpern, Erfolge der Heilung bestätigten sich bei Blasen- und Nierensteinen. Außerdem, nähmen Gier, Eifersucht, Neid. Mißgunst und Schadenszauber innerhalb der Bevölkerung zu: 178 Scientific world, war der Ausdruck, den der Übersetzer hier verwandte. 179 "So much effected by the scientific world" war hier die Wortwahl des Übersetzers. 180 Hier ergänzte sie, die Proliferation des Schamanismus sei nicht gut, nur in schlechten Zeiten werde die Tommel (damaru / daru) benutzt (vgl. Kap. B. 2.1.). 181 "Gehen zum einen Ohr herein und zum anderen heraus" - diese Ausdrucksweise gibt es anscheinend auch im Ladakhi. 182 In diesem Zusammenhang erwähnte sie auch eine Art prophylaktischer Segnung des Weideviehs vor dem sommerlichen Auftrieb auf die Hochweiden. 83 kasa ta su su ni tshan ne183 la nyid logs teang yong dug pa no no184 le tshan ne. Yes, some [clients] come even in the night after sleeping also, brother. nyid de skyil la yong dug das185 ba je'ang yong dug de n lang ste nga rang They come during my sleep, even at ten at night, and I wake up. nyan khan bo cho'at ya le yang nga lang ste chua zhugs te rtsang ma chos te and I do (whatever) is possible for me after waking up, taking a bath and cleaning (myself). nge-zhu'at-ya le-nyan khan bo su su ni nyi me skyil la ma ne yong nga ma nog. I do whatever can be done, right? Some other [people] just come during daytime. 'adi ring nga ci'a zhu na nye rang nga yi zug ge dus ngan pa nad mang po Why should I speak about these days? In bad times, there are many diseases. mi kun nang mang po song pa sang mi kun rtsog po song pa le nad rang mang-po If many people become bad, many diseases also come. songs pa nad pa mang nga rig yong dug ya le ka sa. Going with that, more patients come, right? sngan me sang mang nga yongs te yin nog no no le mi'ang mang nga yongs te yin nog It is more than before, brother, more people come, nad po'ang mang nga yongs te yin nog le more patients come. min gra min gre mi yongs pa de ne yang yi zug ge nad dang mang nga yongs te yin nog le With different kinds of people coming, also more diseases will come. mi ma na lha mo mang po yod nang khom ma mi rug paya le ka sa ju. There are [already] many oracles, [still we] do not have [enough] time, yes Sir!186 sngan me mi kun sems zang po songs pa sang na The ancient people were pure minded, because of that ma na nad dang te zam ma yong nga yin nog ya le. [they] did not have that many diseases. sngan ma grag dar zhig zer ches shig yod dang med de-yin nog pa ya le. 183 vermutlich -ne, nicht eindeutig zu ientifizieren / verschluckt. 184 eigentlich "Junge, junger Mann" 185 Hindi: zehn. 186 Höflichkeitsfloskeln, honorific terms und Füllworte sind hier häufig - gemäß der Ausdrucksweise des Indian English - mit dem inflationär gebrauchten Sir oder Madam übersetzt. 84 In ancient times there was no one to be called a doctor, Sir. nga zha rang nge dus la yi zug ge de zam ma thong ya le [During] our time we have not seen that much. da lo kha gchig songs te yin nog le da dar kyi da ci'ang songs te yin nog. Now it has been for some years that development has taken place, mi kun sems pa ngan pa songs te yin nog ku lu ka sa le. [and] the people's mind has become bad, yes, dear Sir. de ne ma na dkon mchog ge ci zhig skul zhig rtsog shig So it is like a wish of the triple gem, de ne co nang bu mo rang mang che'a ni yong 'dug le ka sa ju that mostly women come, yes.187 nga zha mi nor ci zhig yod nang dzo zhig zer nang We [heal, no matter] whether it is a human being, a dzo or [another] nor zer-ma na kho rang-kham pa chu ling me ling nga cha nang animal. Even if our homes are destroyed by fire or water, phangs de chad ya le sems can bo'a za ban188 med de yin nog pa we leave [everything] and we go, because animals cannot speak, yang mi kun grag dar la cha na nyan de yin nog whereas people can go to doctors, pe ne dangs de yang lha mo zhig ge ka cha nang yang lha pa'i ka cha nang nyan de yin nog le sems can bo'a they can pay money and go to another lhamo. ma ne jan buj kye nga zhe co'ad ya le nyan khan bo [Regarding] animals, we do whatever is possible with best intentions, right? rgyal khan bo ni sa na kha thugs de'ang rgyal 'dug no no Some are cured after touching the earth with their mouth,189 brother. Auf die Frage, welcher Aspekt der modernen Welt die Zunahme der Krankheiten bewirke, antwortete sie, daß weder der Tourismus in Ladakh noch die indische Armee ursächlich für die Zunahme der Krankheiten verantwortlich seien - dies liege an den Menschen selbst, früher hätten sie ein reines Herz gehabt, es habe nicht soviel Verlangen und Wettbewerbsstreben wie 187 Gemeint ist, daß immer mehr Frauen aufgrund "göttlicher Fügung" zu Schamaninnen berufen werden (vgl. Kap. B. 2.1.). 188 zaban: Sprache, Zunge (Urdu-Lehnwort). 189 Ausdruck für lebendbedrohende Krankheit. 85 heute gegeben. Heute seien die Menschen reich und hätten alles, aber es gebe keine Freude und kein Glück - das sei der Grund für die Zunahme der Krankheiten. Mit zunehmender Bevölkerungszahl gebe es zudem mehr schlechte Gedanken, und es würden mehr Schamanen benötigt: zu mu da da kho kho kun ne ci co cen no no Now, what do they have to do with diseases, brother? kho rang mar do ne nga dang nge sems pa ngan pa yin nog pa le Really, our minds are bad in itself. mi kun ne dus dang thun de yongs de yin nog pa le ka sa with the time it has come from the people, yes. de ne sngan me mi kun ni sems pa zang po songs pa So, the ancient people had good hearted minds. de ne de ne cang nor ca lag sag ces khyang rag khyang so zhig ma na ma na med de yin nog pa ya le There was no competition in collecting things or wealth. dag sa mi kun nang da kho sna mi sna tshang yi nog pa ya le da kho nad dang de zug shig zer ces shig de zug shig gang yin nog le Now, let's say, there are also all kinds of diseases among the people, like that. de ne yi mi kun rtsog po songs pa ma na mi kun za ces thung ces So these people became very bad. They have [enough] to eat and drink, phyug po min da phyug po song pa ma na khyang rags cig dang cig ga [they] became rich, very rich, and compete with each other. za long med khan sems pa dug po zhig ma ne yi zug ge 'a ram zhig ma ne med de yin nog pa ya le [They have] no time to eat, like this, there is no comfort except unhappiness in their mind. ma ne skyid po zhig ma ne med de yin nog pa no no there is nothing at all (which is called) happiness, brother. rtsam shig-phyug po cha nang-skyid po ma na med de yin nog le po ya le khyang rags poya le. [The-people] become so rich, but there is no happiness at all, only competition. mchos dkon mchog po ma na nyun zhig ma ne sams ma sams [They] do not think about the dharma and the (triple) gem, only very little. de ne-nad ma ne-ci yong ngen le-ka sa ju 86 So what can be there except diseases? Eine Schamanin in der New Housing Colony von Leh (IL-70) äußerte, es gebe eine wachsende Zahl von Patienten und vermehrte Beschwerden, weil die Menschen das Vertrauen in die Lehren des Buddha verloren haben. Deshalb träten auch neuartige Krankheiten wie z.B. Krebs auf. Ein Schamane in Khardong (IL-76) gab an, daß die Klienten wegen Krankheiten, der Deutung der Zukunft, physischen Beschwerden oder wegen verlorener Dinge zu ihm kämen. Die Zahl der Patienten nähme zu- zum einen, weil es heute mehr gefährliche Gegenstände und neuartige Produkte gebe und sich die Ernährungs- und Kleidungsgewohnheiten geändert hätten, zum anderen aufgrund des ungünstigen Klimas in seinem hochgelegenen Heimatdorf.190 Es kämen auch einige Leute - Männer wie Frauen - mit psychischen Problemen zu ihm. Zum Teil seien das Anzeichen einer Berufungskrise, für deren Behandlung der (in Diskit lebende) yul tsa des Dorfes zuständig sei. Früher hätten die Menschen gesünder gelebt. Das Leben sei heute viel spannungsgeladener als früher, die Unzufriedenheit der Menschen nehme zu - sie wollten immer mehr. Auch ein Schamane in Diskit (IL-78)191 äußerte, daß eine wachsende Zahl von Klienten mit ganz verschiedenen Problemen zu ihm käme. Die Leute hätten aufgrund veränderter Bekleidungs- und Ernährungsweisen heutzutage stärkere Beschwerden als früher. Früher hätten sich die Menschen vom dem ernährt, was sie selbst früher mit ihren eigenen Händen herstellt - heute könnten sie auf dem Markt alle möglichen Nahrungsmittel sehen und wollen diese ausprobieren: What I think about the increase is that it is due to the cloths and foods. Now they eat whatever they see. In ancient times it was not like that: In ancient times we produced with our own hands and depended on that (nga-tang-rang-ngi bad-te nga-tang-ran-ngi te-ka sten-te). People were sincere (trang-po) – this is the way I think (sams-tsul-la). Now the people can see many things in the market, they can see so many things like biscuits and toffees, they just want to taste everything. Seitdem er Schamane sei, kämen auch zunehmend Leute mit mentalen Beschwerden zu ihm: "Since I was a lha, these people are a little bit increasing, there is more and more coming with some mental problem." Nach Aussage einer Schamanin im selben Ort (IL-79) seien die Menschen früher glücklich und zufrieden gewesen, heute herrschten Gier, Neid und zunehmende Spannungen. Früher seien waren die Menschen mit dem zufrieden gewesen, was sie hatten - heute nicht. Sowohl 190 Das erklärt allerdings nicht die Änderung in der Befindlichkeit seiner Patienten - das Klima ist hier als konstanter Faktor einzustufen. 191 Wohlgemerkt nicht der oben erwähnte yul tsa von Khardong, welcher auch in Diskit lebt. 87 die Anzahl der Patienten als auch deren Beschwerden nähmen zu, insbesondere jene Krankheiten, welche die Ärzte nicht heilen könnten. Deshalb kämen sogar aus der kleinen Klinik in Diskit Patienten zu ihr, sie sei eine bessere Heilerin als die westlichen Mediziner. Auch buddhistische Mönche seien unter ihren Patienten, was eigentlich nicht der Fall sein sollte: Now the complaints are increasing because the people got many new diseases, and people come with more complaints. The clients are also increasing. People do not come here, but I always go to their houses. I just came back a few days before - the number of clients, it is also increasing. The reason is: the illnesses in the people are increasing, they also have a lot of diseases. Even the doctors, they cannot cure these diseases, so they come to the lhamos. Sometimes, some people take out the patients from the from the general hospital of Diskit and come to he lha. The increase of the clients is due to the diseases and all these things, and the people are now living in tension. The people in ancient times were happier than in a modern times, because in ancient times, people were not zealous. Even if people had little money, they were satisfied for whatever they had, but in the modern society, people are not satisfied with what they have - they want more and more, and they are developing jealousy. If we see it externally, they are much richer than the ancient people, they have a lot of things to enjoy, to enjoy in this society, but still in their mind, the ancient people were much happier. The clients, they come with various problems. I visited many villages in whole Ladakh even some people come from the Indus Valley. They bring a taxi, and they will take me. Also a lot of people are benefited by me, even in Diskit. One doctor did not believe in lhas, and we had some sort of competition, lha and doctor. He wanted to do an operation, but he could not do it because the needle did not stuck in one place, and it was moving, and he could not do the operation. After that, that person came to me, and my lha has taken it out from the throat, and he is alive now - that person is alive and doing well know. In same cases even many monks were treated by my lha - the chief192 of the monastery of Diskit got some problem in his throat, he was nearly to die. He came to me and my lha cured him - he is now doing very well. Vor allem bei der Therapie von nod pa (Schadenszauber) seien die lhas sehr gut und den Ärzten überlegen. Die Zahl der Schamanen werde sogar noch weiter zunehmen, weil die Heilmethoden der Ärzte, amchis und Mönche wirkungslos blieben - so dieselbe Schamanin (IL79): They are people coming with physical illnesses (zugs-pe zur-mo) and with mental problems (sems-si mar-dre-khan), like with nod-pa, and naturally [caused diseases] (rang-zhinne). When some people go to the hospital, they are not diagnosed (nad-ngo stog-sa-mirug)193 - if there is a wound inside, if it is a good doctor, like the surgeon in Leh194, for him, 192 Gemeint ist hier der Abt. 193 Wörtlich: Nicht erkannte Krankeit. 88 it is not difficult to find out. But in the army hospital, they are just passed out medical students, for them it is easy to recognize, to find out a wound (smag-ka) which is outside - for these kinds they do a very good treatment -, but complaints like in the stomach, in the head, something in the back (skyed-pa) - unless it comes out in the x-ray, is very difficult to recognize [for them]. And for these things, the lha sorts out the disease (pes-te tang-dug) like this is due to this, and this is due to that. Now, here we have two amchis, and both the amchi and lha are working in combination (stun-te las co-ad) - like this man has this disease, and this medicine will suit for him. Some people who have nodpa and complain about not feeling well go to the hospital, but do not show any improvement (kho'a ci-chen-le) after having had a lot of medicine. And after they tell, we had medicine for two or three months, but still there is no improvement. For them, what can be done? Taking medicine for nodpa is of no use. For these things the lhas are very useful (phan-thogs). Eine Schamanin in Choglamsar (IL-97) gab an, sie habe einen beständigen Zustrom von Klienten,195 weil es heute mehr Krankheiten als früher gebe. Viele Leute kämen zu ihr, weil sie Nieren- oder Gallensteine, andere Fremdkörper in den inneren Organen oder Gallenbeschwerden hätten und sich vor einer Operation scheuten: So many people come everyday because now all kind of diseases (nad tsok) are there, in this time. Some people go to the doctor, and when there is stone, they are afraid (jig-ste) to ... [have it operated]. They come to me to have it taken out. And some who have thispa196 etc. come from many directions. Sometimes, when I feel very tired (un-la thugs-pa), I rest for one day. Außerdem kämen die Patienten mit schwerwiegenden Krankheiten, welche von westlichen Ärzten nicht geheilt werden können - neben mkhrispa [thispa] vor allem "Gift" (poison): ta mi gun ma ne su ni ma ne ta kho trig pa chan mang che'a yong dug In these times, mostly people who have fever (thispa) come. ta ma ne yi zug drag dar re kang mang zhig te zam tug tang te zug gyal che yin ma nog le ka sa le Poison and these things are mostly not cured by doctors, yes. ta yang na zug yang mo yod kan rig Only those who have some minor diseases te zug ni gyal te yin nog no no khyen chin te yod kan ni are cured and those who have serious diseases yi ka yong ste kho rang lha chos kyong sung ma jal teng dod kan mang po yong dug le 194 Bezieht sich auf Dr. Norbu "the surgeon" in Leh. 195 Wovon wir uns später selbst überzeugen konnten, H-10, tnb-iv. 196 mkhrispa [thrikspa]: Gallenbeschwerden; "bile, gall, also bilious fever (JÄSCHKE 1998:55). Vor allem im Winter weitverbreitete Krankheit in Ladakh (Sonam Wangchok). 89 are cured after coming here to visit the oracles. gyal zer kan mang pong yong dug le ma na mang po 'a zug song ste yod no-no khyen ka sa ju. There are many who say that they are cured - there are so many like that, yes, brother. Die Klienten seien normalerweise mit der Behandlung durch ihren lha sehr zufrieden, falls nötig, kämen sie häufig ein weiteres Mal zur Behandlung. Einige Leute hätten ihr schon gesagt, sie seien durch ihre Behandlung "aus dem Rachen des Todes" (from the mouth of death) zurückgeholt worden. Das "Gift" (tug) im Körper von Klienten gehe auf Neid und Eifersucht anderer Personen zurück, selbst religiöse Praxis könne dagegen nichts ausrichten: ka sa gyur dug no no khyen te ta tshang me zer dug le. Yes, they are [satisfied] -everyone say this, yang ting ne jib lan tsog ga yong te zug zer ra chig and when I ask them to come back again for taking out the poison, ma ne tsang me chag gom te cha dug no no kyen. they all come with respect, brother. nga yi zuggyal la song nga shis te log ste yong zer kan nang Some say, I am cured, and I came back from the mouth of death, mang po yod no no kyen ka sa. and there are many who talk like this, yes brother. Eine andere Schamanin im selben Ort (IL-98) verwies darauf, daß sie inzwischen auch sehr viel auswärtiges Klientel (auch Moslems und Westler) habe. Ihre Klienten kämen mit allen möglichen Problemen zu ihr - z.B., wenn sie Gräten, Knochen oder andere Fremdkörper verschluckt hätten und diese entfernt haben möchten. Die Beschwerden ihres Klientels seien schwerwiegender und zahlreicher geworden, viele Krankheiten seien durch veränderte Ernährungsgewohnheiten, z.B. vom Tiefland importierte Lebensmittel bedingt. - Nach Aussage einer anderen Schamanin (ebenfalls in Choglamsar, IL-100), gebe es eine dramatische Zunahme der Verabreichung von Gift (Schadenszauber) Wenn früher zehn Leute zur Behandlung kamen, hätte man vielleicht einer Person das "Gift" entfernen müssen, wenn heute fünfzig Personen kämen, litten alle an tug: Actually, the lhas always say: live in peace (zhi-wa), do not be bad-minded (sems-ngan), and do not be zealous (nan-tang) on each other. But now, the time is reaching its end (skalpa tha-ma sleb). In ancient time, the lhas did not take out the poison (tug) from the people, if ten people went there, it might be only one person among ten from whom the lha had to take out the poison. But now, if there are fifty persons (mi), then the lha will take out poison (tug) from all of them. And if there is hundred, it is the same thing. And for that rea- 90 son, more lhas are coming (skyod) now. The lhas always say: live in peace (zhi-wa), do not be bad-minded (sems-ngan), and do not be zealous (nan-tang) on each other [repetition], but the people are not like that (mi-kun tee’s yong-nga-ma-nog). Now, they are only doing and rushing (co-ces nang tsang-ces) – I will go first, and I will go first, people say like that. Actually, the lhas do a lot of things for peace and happiness (zhi-de). Nach Aussage eines Schamanen in Hundar (IL-103), welcher seit 16 Jahren lha pa ist, habe in dieser Zeit sowohl die Zahl der Patienten aus auch die Beschwerden, mit denen sie kämen, stark zugenommen. Es fällt ihm schwer, neben seiner Behördentätigkeit überhaupt noch Zeit zu ihrer Versorgung zu finden, aufgrund des Seegens von Bakula Rinpoche habe sein lha, der yul lha von Khardong, bisher jedoch allen Menschen helfen können: So many clients (lha-zhu-khan) come, but I have no time since I have to go to for my duty. Some of them come from a far distance, like from Utmaru197 and the other side (phar-ka) of the rivers. So I try to get some time for them in the morning and evening, because more clients come now than earlier. This might be their faith (tad-pa) or whatever - people mostly come to me, saying, we go to Khardong yultsa instead of other lhapas. And they are cured by the lha and benefited (phan-thogs) due to the blessing (sku-tin) of Bakula Rinpoche. Die lhas heilen nach seiner Auffassung Krankheiten, gegen welche die Ärzte machtlos sind. Sie extrahierten "Gift" und Fremdkörper und behandelten Krankheiten, welche durch die klu198 und Erdgeister hervorgerufen werden. Diese Art von Problemen habe zugenommen, da die Leute zunehmend ichbezogen, neidisch und eifersüchtig geworden seien: There is a lot of qualities in the lhas (lhe-nang-nga mang-po yod-de-yin-nog), things which a doctor cannot do (ka-bo dak-tar-la co-nyan-na med). Then, if we ask, what are these [qualities]: first, it is taking out poison (tug phin-ces), and second, taking out needles (khap phin-ces) and metal objects (nyak-tak199 phin-ces), and the third is subduing timo. Then we have the effects of klu or sa-dag200 for which the doctor cannot do anything, but lhas can (dak-tar bak-tar lha co-nyan-ces-med-kyak). Like that there are many things which can be done only by the lhas. Diese Probleme der Menschen werden durch ihr eigenes Bewußtsein hervorgerufen. Diese Bewußtseinsänderung ist vor allem auf interne Einflüsse zurückzuführen, weniger auf externe Einflüsse: de bo sems pa kho rang mang che'a btsog po 197 Dorf in der sogenannten restricted area, hinter der inner line ganz nah an der Demarkationslinie (LoC) zum pakistanisch kontrolliertem Territorium. 198 199 200 Gesprochen [lu], Wasser- und Unterweltgeister. Eisendraht, "chain of gold or iron, string of iron" (DAS 1998:474). Erdgeister. 91 That is mostly the mind itself that has become polluted. songs de yin nog mang che'a da ngan bsgrang Now, mostly there is only wickedness. mi rang dtsog po cha ces pa'i lha srung ma When people have become bad, more gods and protective deities mang po skyod ces po gcig de ne ma na are coming. Then rang sha rang nge za khan na rang nge nyen sgrung po [people] eat their own flesh and their relatives' flesh. mi shes khan nga rang nga rang thobs shig nga rang nga rang [They] do not know their relatives [any more] and obtain everything for themselves only. yong shig zer khan tsogs songs pa sang [Since] it has become like this, rang dod mang nga song de ne mi'a the people became more selfish and then mngan bsgrang bo mang nga cos de yin nog ka sa increasingly curse each other, yes. In einem späteren Gespräch (IL-111) räumte derselbe Schamane jedoch ein, daß es heute mehr Vergiftungen (Schadenszauber)201 als früher aufgrund von westlichen Kultureinflüssen 201 Im folgenden seien noch einige Erklärungen des yultsa von Khardong (IL-111) zum Schadenszauber wiedergegeben: Es gebe drei Arten von "Gift": (i) eine unwillkürliche, naturgegebene Veranlagung zum Schadenszauber, welche zum Teil karmisch bedingt sei, (ii) bewußer Schadeszauber durch Verabreichung giftiger Kräuter, (iii) bewußer Schadeszauber durch Verabreichung einer Bereitung von Menstruationsblut und Schamhaaren. "Vergiftung" finde somit sowohl willkürlich als auch unwillkürlich statt, das "Gift" könne auch über große Entfernungen hinweg übertragen werden. Aufgrund seiner besonderen Fähigkeiten sei der lha zur Extraktion des Giftes und zur Rückgabe des Giftes an den Verursacher befähigt. Wie eine Vergiftung entdeckt und beseitigt werde, könne er allerdings nicht sagen - das wisse nur sein lha. Diejenigen, welche unwillkürlich, ohne schlechte Absichten das Gift geben, könnten durch Gegenüberstellung mit dem lha davon geheilt werden. Diejenigen, welche absichtlich Gift geben, täten dies aufgrund von Neid und Eifersucht. Dies sei insbesondere bei Frauen der Grund für die Giftmischerei: There are three kinds of poison (tug): one is by nature - some people are born with their poisonous hand, they even do not want to give, naturally it goes to the people, for example when they serve some guest in their house. Actually he or she does not want to give these poison (tug), but it goes automatically to a cup or plate because she/he has already this poisonous hand by birth, it is due to her/his karma, she or he has these poisonous hand, so this is the first thing; and second, 92 gebe. Auf die Frage nach der Existenz von Neid und Eifersucht in der traditionellen LadakhiGesellschaft antwortete er, daß es aufgrund der Tatsache, daß sich die Menschen vom Buddhismus abgewandt hätten, in der heutigen Zeit mehr Neid und Eifersucht gebe. Grund dafür seien die Fremdeinflüsse: Nowadays there is more jealousy. It is due to that the people are forgetting the teachings of the Buddha, they do not take refuge in the triple gem. Taking refuge in the Buddhism is the gateway to Buddhism. If people take refuge in triple gem, even if somebody gives you poison it will not harm you, it will not have any effect. Now people have more and more zealous and they are forgetting the teachings of Buddha. This is all from the outside actually, the changing of people's mind, because they have all this jealousy. There is no time to practice the Buddha’s teaching. Now it is better than five, six years back because five, six year before people totally forgot their religion. They just started to follow these foreigners, like what they are doing, their way of life and how they live, and going to discos, giving up their traditional dress, and starting to wear modern cloths. This all is taught by the foreigners. Auch ein Schamane in Khardong (IL-117) ist der Auffassung, viele Probleme würden von außerhalb nach Ladakh gebracht: Von den Westlern, den Indern, und manchmal auch von Pakistan, würden Krankheiten, welche zuvor in Ladakh nicht bekannt gewesen seien waren, dorthin gebracht, z.B. AIDS. Deshalb hätten die lhas heute mehr zu tun als früher, sie müßten z.B. Blut und Wasser aus dem Körper der Patienten saugen. Bedingt durch westlichen Einfluß, nähmen sich die Ladakhis inzwischen auch größere sexuelle Freiheiten heraus, was den oracles "mehr Arbeit bereite": There are lots of problems cause by the foreign and even people form India sometimes form Pakistan, so many illnesses are increasing, like which were not in Ladakh before, I think it is due to the arrival of the people from other countries, They also brings the diswith some people they find out some kind of poisonous herbs and make it into powder and they put it into the cups of people, whom they do not like. They want to give some poison, so they feel something, and that is the second thing. And the third thing is, they use the blood which comes out from their private parts, even the hairs, these things; just they mix up and give it. The only thing is the wish, they will have a very bad wish, that I am giving these thing to these people and it will spoil their life. And it will harm them, they make these wishes, so these people get problems. Another thing is that they can make a wish from here to the people living on the other side of the river, they can send their bad wishes through the air, wishing these people should be harmed by my wish. There are instances, for example, the mother wants to give the poison to someone else and she puts it in a cup and just keeps the cup there, and sometimes her own son or daughter - by ignorance - just drinks it and dies. The lhas, they take out these things form the people, even if the person who gives this poison to the people is around. The lhas bring him or her there and let him make a promise to never give it again. And by the blessing and prayer even their poisonous hand will not give it after that. 93 eases like AIDS and all those things which were not in Ladakh. That way even the lhas have to do lot of other works like sucking out blood and pass information. Insgesamt herrscht bei den Schamaninnen und Schamanen jedoch die Meinung vor, daß die Zunahme der Krankheiten und der übelwollenden Absichten der Menschen weniger auf äußere Einflüsse als auf den bewußtseinsmäßigen Niedergang der Menschen zurückzuführen seien. Eine direkte Verbindung zwischen Fremdheitslage (hervorgerufen durch die Zugehörigkeit zu Indien, Kashmir und westliche Einflüsse) wird in der Mehrzahl der narratives nicht hergestellt. 3.2. Klienten und potentielle Klienten Auf die Schwierigkeiten bei der Befragung dieser Bevölkerungsgruppe wurde bereits in Kap. B. 2.2. (s.o.) hingewiesen. Es gab jedoch einige Gesprächspartner, welche abseits des rituellen Kontextes einer Schamanenheilung bereits waren, sich zu diesem Thema zu äußern. So verweist z.B. ein Bauer und Elektriker aus Phyang (I-33) auf die Frage nach vermehrten Konsultationen und erhöhtem Bedarf an schamanischer Heilung auf persönliche, positive Erfahrungen mit schamanischer Heilung: For example, according to my own experience, my youngest child has been very sick and has been taken to a hospital for seven days. Day by day it was given several medicines and injections, but it became worse and was about to die, its eyes became white. The last chance was to take it to the lhamo. I have taken my own child to the lhamo, and the lhamo has taken out the poison through a pipe, as soon as the poison came out, the child screamed and recovered (thu-gu'i 'zer-rag, te-ne, te-ne-ka rgyal). Auf die Frage nach vermehrten Konsultationen und vergrößertem Bedarf an schamanischer Heilung antwortet er, daß er von der Heilkraft der Dorforakel durch Aussaugen überzeugt sei:202 202 Diese in Delhi getroffene Aussage steht im Widerspruch zum Verhalten deselben Mannes in seinem Heimatdorf: Dort wollte er bei erneuten Gesprächen im Jahre 1999 überhaupt nicht auf das Thema Schamanen eingehen. So erwähnte ich während des Gesprächs mit ihm im Mai 1999 (I-69) erwähnte ich mehrmals die Möglichkeit, die Phyang Gonpa oder eine der lha mos im Ort aufzusuchen, aber im Gegensatz zu unserem ersten Gespräch im Dezember 1998 gab Dorje im Mai 1999 keine konkreten Auskünfte zur Schamanenproliferation in Ladakh und beschrieb lediglich ein Ritual zur Verteibung von shindre: Früher habe es einen sehr mächtigen (powerful) lhapa in Phyang gegeben, heute gebe es zwei oder drei lamos, von denen er allerdings nicht sehr viel hält. Stattdessen gebe es im Dorf einen alten Mann, der sich mit der Vertreibung von shindre (Totengeister, Wiedergänger) auskenne: im völlig betrunkenen Zustande ergreife die Seele eines lhopon (königlichen Ministers) Besitz von ihm, der dann den anderen shin-dre vertreibe. zu shin-dre vgl. DAY (1989:317 ff.), SCHENK (1994:233): "shinde ... Geist eines Verstorbenen, 94 There are two kinds of lhas: in gonpas, and khyim-lhas203 .... I do believe in oracles. As an example: if you eat mutton, a bone can get stuck in your throat. According to doctors, they will do the operation - if you go the lhamos and lhapas, they will remove it. Derartig positive Bewertungen schamanischer Heilweisen finden sich allerdings nur in einer Minderheit der erhobenen narratives (I-27, I-31, I-33, I-75, I-81, I-120). Eine Bäuerin in Khardong (I-75) führt die Zunahme des Klientels der oracles führt sie auf die veränderten Lebensbedingungen, den Wandel der Ernährungsgewohnheiten und die Zunahme von Krankheiten zurück. Nach Aussage eines Agronomen in Thiksey (I-120) seien die Schamanen gut zur Behandlung der verschiedensten Krankheiten, besonders von Vergiftungen (poison), welche durch den übelwollenden Wunsch des Verursachers hervorgerufen würden. Diese Form der schwarzen Magie habe in der letzten Zeit aufgrund der steigenden Eifersucht und des Neids der Menschen zugenommen, ergänzte er. Im Krankheitsfalle sei es immer am besten, wenn der lha selbst die Behandlung durchführen könne, falls das nicht der Fall ist, würde der lha sagen, ob lieber ein Doktor oder ein amchi aufgesucht werden solle. In früheren Zeiten sei die Gesundheitsfürsorge allein durch den amchi, den ongpo und den lha pa (für mentale Probleme) gewährleistet worden, alle drei Heilungsinstanzen mußten zur Heilung von Krankheiten zusammenwirken, so ein Bauer und ehemaliger Schullehrer in Khardong (I-116). Das Wirken der lhas in der heutigen, problembelasteten sei Gesellschaft positiv zu beurteilen, es könne zum Wohle der Menschen sein, dennoch sollte die Aktivität der lhas eingeschränkt werden. Ein Ladenbesitzer in Diskit (I-108) erwähnte, daß es in seinem Heimatdorf nach wie vor Arzt noch amchi gebe. Im Krankheitsfalle spräche er erst Gebete an Buddha, dann würde er nach Möglichkeit einen allopathischen Arzt konsultieren. Er sprach nur mit deutlicher Scheu über Schamaninnen und Schamanen, erwähnte allerdings vorangegangen Aufenthalt in Delhi wegen einer Halsoperation, nachdem sein Halsleiden von einer lha mo nicht erfolgreich behandelt werden. Derartige Scheu, Abwehr und Skepsis gegenüber schamanischen Heilverfahren herrschten in der Mehrzahl der zu diesem Thema erhobenen Aussagen vor.204 Zwei tour operators (I-102, I-118) äußerten Zweifel an der Authentizität der schamanischen Trance, nach Meinung eines Stipendiaten in Delhi (I-114) besteht gar kein tatsächlich vermehrter Heilungsbedarf: Zur wachsenden Zahl der lha mos und lha pas meinte er, daß diese möglicherweise erneut versuchten, die Menschen auszubeuten, so wie sie es schon in der Vergangenheit getan hatten. Früher hätten die Menschen Angst vor ihnen und mußten das tun, was sie ihnen aufgetragen hatten. Das Orakelwesen sollte insgesamt zum Erliegen gebracht werden, denn es sei nicht von Nutzen (no benefit). Dezidierte Skepsis gegenüber der Wirksamkeit von Schamanenbeder sich selbst sichtbar macht, um sich den Hinterbliebenen zu zeigen; kann sich an eine lebende Person hängen und sie besessen machen". 203 Vgl. Kap. A. 2.1.2. 204 I-1, I-17, I-25, I-28, I-42, I-54, I-72, I-85, I-86, I-96, I-99, I-115. 95 handlung äußerte - aufgrund eigener negativer Erfahrung - auch ein Schullehrer in Khardong (I-115): Er halte nichts von Schamanen, wegen starken Sodbrennens konsultierte er einmal eine lha mo, die ihm das Baden in den heißen Quellen von Panamik als Gegenmittel empfahl, dennoch ließen seine Beschwerden nicht nach. Im Krankheitsfalle nehme er lieber einen amchi oder allopathischen Doktor in Anspruch. Ein Kunstlehrer am Institut for Higher Buddhist Studies führt den zunehmenden Bedarf an schamanischer Heilung, darauf zurück, daß die meisten Klienten nur unvollständige Kenntnisse über den Buddhismus haben. Manchmal würden Vorhersagen der lha mos aus Gefälligkeitsgründen bzw. monetären Erwägungen getroffen: The increase of clients also happens like this: mostly the people, those who do not know much about Buddhism, come, for example lots of soldiers come these days, and lots of Muslim people come to oracles, especially from the Kargil side. Also, the soldiers ask for their promotions and personal career sometimes. Then the lhamos say it will be good, you will get promotion like that, and sometimes it comes true and that person believes in the lhamos very much, and he use to give many things to the lhamo - like that it happens. I never believe in lha and lhamos. When I am sick and my wife or other people from the family, if they wanted to invite a lha, I say, please, no [lachend]. When I was sick I asked not to go to the lha and lhamos. But still, my father went to lhamos and did some prayers what the lhamo advised him because they had some doubt, but I was cured by doctor only. Ein Beamter des Hill Councils (I-119) schließlich widerspracht der Behauptung, daß bei der quantitativen Zunahme der schamanischen Heilungen der Bedarf eine Rolle spiele ausschlaggebend sei vielmehr, daß die Menschen einfach das vorhandene Angebot an oracles nutzen, statt wie früher zum Mönch, Lama oder ongpo zu gehen - nicht der steigende Bedarf an schamanischer Heilung, sondern das große Angebot an Schamanen sei für ihre verstärkte Konsultation verantwortlich. Insgesamt lassen sich die Erklärungen der "Laien" zur Zunahme des Bedarfs an schamanischer Heilung wie folgt zusammenfassen: - Die Mehrheit der Befragten bestreitet eine tatsächliche Zunahme des Bedarfs an schamanischer Heilung In wieweit dies auch die Handlungsweise der jeweiligen Personen entspricht, sei dahingestellt - die Praxen der Schamanen sind regelmäßig voll - Ausbeutungsstrategien der Schamanen (I-114), monetäre Gesichtspunkte werden (I-85, I96) für ihr Wirken verantwortlich gemacht, mangelnde Kenn’s der buddhistischen Glaubensinhalte - Veränderte Lebensbedingungen und Ernährungsgewohnheiten sowie zunehmende Krankheiten (I-75), Wirken der lhas aufgrund zunehmender Probleme in der Gesellschaft (I116), Zunahme von Schadenszauber (I-120) - Es gibt lediglich ein zunehmendes Angebot an schamanischer Heilung, keinen zunehmenden Bedarf (I-119). 96 Skepsis gegenüber der Authentizität der schamanischen Berufungen, ihres Nutzen für die Menschen und andere fühlende Wesen sowie bezüglich der Qualität der schamanischen Heilungen wird sowohl innerhalb der "Zunft" der Schamaninnen und Schamanen selbst (IL-55, IL-76, IL-79, IL-117) als auch von anderen Bevölkerungsgruppen geäußert. Gemäß Ayu Lhamo (IL-55) ist Vorsicht bei der Auswahl von Schülern und Schülerinnen geboten: Es seien nicht nur lhas, sondern auch dre205"unterwegs", welche in die Leute einfahren, deswegen müsse man sehr vorsichtig sein. Nach Aussage eines Schamanen in Khardong (IL76) gebe es zwar viele lhas in diesem Dorf, allerdings seien davon durchaus nicht alle qualifiziert - manche seien nicht hilfreich für die Menschen: There are about ten or eleven lhamos and lhapas in Khardong, but the main one is the yultsa - yultsa means the protective lha of the village - who is possessing another man who is not right here in Khardong now. He is also well known here – the others are not so qualified, maybe because they do not follow the path and the teachings of the teachers – this means they are not so useful to the people ... at the beginning, in ancient times, there were some lhas and lhapas who did not attend or need any teacher. Surely, they have to do a lot of things – they have to get their advises from the teachers, they have to go monasteries, they have to go to pilgrimage, they have to do a lot of prostrations, counting mantras, like that – until they do not follow these teachings, they will not be successful ones. Auch eine Schamanin in Diskit (IL-106) hat Zweifel an der Qualifikation vieler Jungschamaninnen und -schamanen: It is the same in the Nubra Valley also, the lhas and lhamos are increasing very much. But there are only few lhas and lhamos who have completed their initiation (go-thon-khan206) and who did their worship (rim-dro). They can really benefit the people and the sentient beings. [The others] are very easy to recognize because some say they do not have the khab-lung and griblung207 initiation. When they do not have this initiation, they cannot benefit the people because they cannot take out the poison (dug) and needles (khab). Ebenso weist ein Schamane in Hundar (IL-80) darauf hin, daß es eine definitive Zunahme von Schamaninnen und Schamanen gebe - allerdings verschiedener Qualität und Kompetenz: Nowadays a lot more people are possessed then than in ancient time. We cannot find out exactly who is higher and who is lower - it is like the common people in a village - there 205 206 207 Demons, so der Übersetzer, Sonam Angchuk Khardongpa. Go thon khan: jemand, der seine Ausbildung erfolgreich abgeschlossen hat (Ngawang Namgyal); vgl. HAMID (1998:50) „go thonches to be sucessful, achieve“. Siehe Glossar. 97 are some people are in higher position, the leader of the village and some are lower in position. In a similar way, the lhas are the same - like there are some lhas like yul-tsa, khimlha like that, they have a different position, and some are just attendant of the lhas, and they all posses the people, like that. There are some in a higher positions then me and some are in a lower position - there is different kinds of lhas. Auch ein Doktorand in Delhi (I-99) glaubte nicht an Schamanen, er zweifelte an ihren Fähigkeiten, sah das Ganze eher als nonsense an und bezweifelte die behauptete Amnesie der Schamanen. Je mehr er mit oracles in Kontakt komme, desto mehr zweifle er an ihren Fähigkeiten: Z.B. habe ihm Ayu Lhamo in Trance von vielen Briefen erzählt, die sie von Westlern erhalten habe - Informationen, die auch ihr lus gyar schon zuvor an ihn weitergegeben habe. Und auch eine Schamanin in Leh habe bei einer Diagnosestellung an einem Touristen vor wenigen Tagen genau die Informationen verwandt, welche ihr derselbe Reisende drei Tage zuvor zugetragen habe. Ebenso hegte ein tour operator (I-86) hegte Zweifel an der Authentizität der schamanischen Heilungen. E war der Meinung, daß vieles davon nur gespielt sei, insbesondere, da er früher ein Nachbar einer bekannten Schamanin in Leh gewesen sei und sie keinesfalls als außergewöhnliche Frau erlebt habe. Er war allerdings wie ich auch der Meinung, daß die dieselben Leute, welche die Heilkraft der lha mos ablehnen, auch diejenigen sind, welche sich im Notfall ohne zu zögern an diese wenden, und kann Beispiele für psychosomatisch wirksame Heilungen anführen: In einer ihm bekannten Familie sei eine ältere Frau, die an Nierensteinen litt, nach der Behandlung durch eine lha mo beschwerdefrei geworden. Eine Röntgenuntersuchung habe allerdings ergeben, daß die Steine noch nicht verschwunden waren, dennoch habe die Tochter den Arzt gebeten, diesen Befund zu verschweigen, da sich ihre Mutter beschwerdefrei fühlte. Ein anderer tour operator (I-118) äußerte ebenfalls Zweifel an der Authentizität der oracles und denkt, daß ihre Trance manchmal nur vorgetäuscht sei. Das sei auch bei anderen oracles der Fall, und nicht alle neu Berufenen seien tatsächlich authentische Orakel. Auch seine eigene Frau habe zeitweilig Anzeichen einer eigenen Berufung gezeigt, aber Ayu Lhamo habe diese Besessenheitsanfälle unterbunden. Bei Ayu Lhamos jüngerem Sohn, der inzwischen auch in Trance gehe, könne man ganz deutlich sehen, daß diese nicht vorgetäuscht sei. - Abdul Ghani Sheikh (I-72) erwähnte schließlich die auch aus anderen Quellen bekannte Geschichte von Ayu Lhamo, die mit einer Gruppe von Dorfbewohnern aus Sabu nach Nepal fuhr und dort in Trance eine Vorhersage darüber machen sollte, welcher Grenzübergang am besten zum Schmuggeln geeignet sei - ihre Vorhersage war falsch, und die ganze Gruppe wurde prompt mit Schmuggelgut gefaßt. 98 3.3. Hypothesen zur Bewertung (a) Zunahme von Schadenszauber Dezidierte Äußerungen zur Zunahme des Schadenszaubers208 finden sich vor allem in den narratives der Schamaninnen und Schamanen selbst. In einer Art "gesamtgesellschaftlicher Universaldiagnose"209 wird diese Zunahme auf steigenden Neid, Gier, Mißgunst und Eifersucht innerhalb der Bevölkerung zurückgeführt, aufgrund der die Menschen versuchten, sich gegenseitig mit schwarzmagischen Mitteln zu schaden. Unter den befragten, potentiellen Klienten wie auch unter den Mönchen wird das Thema Schadenszauber und schwarze Magie nur von wenigen Personen angesprochen (I-102, I-104, I-120) - über die Gründe kann hier nur spekuliert werden - sicherlich spielten die Scheu, sich zu diesem heiklen Thema zu äußern, und mangelnde persönliche Vertrautheit mit uns Forschenden eine Rolle. Die "Universaldiagnose" der Schamaninnen und Schamanen, daß Konkurrenz, Spannungen, Neid und Mißgunst innerhalb der Bevölkerung zunehmen, läßt den berichtigen Schluß zu, daß die modernen Lebensumstände und die Änderungen der letzten Zeit in Ladakh als tiefgreifende Beeinträchtigung empfunden werden. Als Hypothese soll hier formuliert werden, daß sich das Wertesystem - als Folge des Akkulturatonsprozesses, vgl. Kap ... in Richtung Monetarisierung und Konkurrenzdenken verschoben hat und immer größere Teile der Bevölkerung versuchen, die daraus resultierenden Spannungen durch Inanspruchnahme schamanischer Heilung zu lösen. Allerdings geben weder die in den narratives erhobenen Äußerungen der Schamanen selbst noch ihres potentiellen Klientels oder der buddhistischen Mönche darüber Auskunft, ob ein Zusammenhang zwischen Fremdeinflüssen und steigendem Bedarf an schamanischer Heilung besteht - nur in zwei narratives von Schamanen im Nubra208 Die Ausdrücke für Hexerei und Schwarze Magie im Ladakhi sind sehr vielfältig, z.B. ngan, grip (gesprochen [drip]), und nod pa. Weiterhin gehören zu diesem semantischen Umfeld die Begriffe 'bag-mo, Hexe (SCHENK 1994:223) und gongmo (DAY, 1989:331, 335; KUHN 1988). Vom Schadenszauber werden Krankheiten unterschieden, welche auf natürliche Krankheitsursachen zurückzuführen sind (nad zhi; vgl. IL-103, IL-111), und deren Heilung eher in den Zuständigkeitsbereichs eines amchis (vgl. I-104) oder vielleicht sogar westlichen Allopathen fällt. 209 Gemäß ihrer therapeutischen Funktion können die Schamaninnen und Schamanen als "Sensoren" für die individuelle seelische Befindlichkeit der Menschen angesehen werden. Ein Problem, welches von vielen oracles auch selbst angesprochen wird, ergibt sich aus der behaupteten Amnesie während der schamanischen Trance (siehe RÖSING 1999a). Infolgedessen sollten sich die Schamaninnen und Schamanen eigentlich nicht mehr an die Geschehnisse während der Heilsitzungen erinnern können. Tatsächlich waren fast alle befragten Schamanen (Ausnahme: IL-78) in dieser Hinsicht jedoch sehr auskunftsbereit - zum Teil mit dem Verweis darauf, daß sie sich nach der Trance die Geschehnisse während der Heilsitzung von ihren Klienten erzählen ließen. 99 Tal (IL-111, IL-117) wird ein solcher Zusammenhang hergestellt. Sonst ist die fast einhellige Aussage der Schamaninnen und Schamanen, daß endogene Ursachen für den negativen Bewußtseinswandel der Menschen vorliegen: "in their minds themselves the people really have become bad" (IL-97). (b)Fremdheitslast Abgesehen von der Zunahme von Schadenszauber wird der zunehmende Bedarf an schamanischer Heilung von den Schamaninnen und Schamanen selbst - und vereinzelt von potentiellen Klientel - mit den veränderten Lebensumständen in Ladakh, veränderten Ernährungsund Kleidungsgewohnheiten in Verbindung gebracht. Diese Neuerungen werden in der überwiegenden Mehrzahl der Äußerungen der im Projekt Subjektive Fremdheitserfahrung in Ladakh befragten Bevölkerungssegmente keinesfalls als Fremdheitslast oder Beeinträchtigung angesehen, sondern in einer durchaus ambivalenten Sicht der Fremdheitseinflüsse zum Teil durchaus auch begrüßt. Das Ausmaß der gesundheitlichen Beeinträchtigung, welche diese Fremdheitseinflüsse mittelbar oder unmittelbar, sowohl bei Menschen als auch bei Tieren, zeitigten, kommt erst durch die diagnostische Expertise der Schamaninnen und Schamanen zum Vorschein. Somit soll hier die Hypothese aufgestellt werden, daß die aufgrund der Einflüsse aus dem indischen Tiefland und dem Westen veränderten Kleidungs- und Ernährungsgewohnheiten in viel größerem Ausmaße zu körperlichen Beeinträchtigungen führen, als den Menschen selbst in Ladakh bislang bewußt ist. (c) Volksreligion und schamanischer Buddhismus Während Schamaninnen und Schamanen sehr bereitwillig sowohl über die Umstände ihrer Berufung als auch über die Beschwerden und Anliegen ihrer Klienten Auskunft gaben, stellte sich die Befragung dieser selbst als methodisches Problem dar - im Kontext der rituellen Heilung (vor oder nach einer Schamanensitzung) waren diese überhaupt nicht bereit, sich bezüglich ihrer Motivation zur Konsultation eines oracles, der Art ihrer Beschwerden und den erwarteten Heilungserfolg zu äußern. Ähnliche, wenn auch nicht ganz so gravierende Probleme, stellten sich bei der Befragung der potentiellen Klienten: Hier herrschte insgesamt große Scheu und Abwehr, sich entweder überhaupt mit diesem Thema zu befassen (z.B. I-1), oder eine generell ablehnende Haltung gegenüber den Praktiken der Schamaninnen und Schamanen vor (z.B. I-17, I-85, I-96, I-99, I102). Dies steht in Diskrepanz zu der durch Beobachtung nachzuweisenden hohen Konsultationsfrequenz der Schamanen. Deshalb soll hier die Hypothese formuliert werden, daß hier ein eklatanter Gegensatz zwischen verbaler Äußerung und tatsächlichem Handlungsvollzug besteht: dieselben Leute, welche im Krankheitsfalle oder mit einem bestimmten Anliegen bereitwillig Schamanen aufsuchen, sind dieselben, welche dies im Gespräch nicht zugeben 100 und den Heilungserfolg der Schamanen oder die Authentizität ihrer Berufungen anzweifeln (vgl. ähnliche Erfahrungen von SCHENK 1994). Dies mag damit zusammenhängen, daß orales offiziell nicht hoch angesehen sind und im Rang deutlich unter Mönchen, amchis und onpos stehen - der Schamanismus ist der buddhistischen Religion untergeordnet, wie sich unter anderem auch aus der Notwendigkeit der neu berufenen Schamanenkandidaten ergibt, sich von einem Rinpoche legitimieren zu lassen.210 Diese, durch das Primat des Buddhismus tibetischer Prägung bestimmte offizielle Einschätzung des Schamanismus in Ladakh steht im Gegensatz zur nachweisbaren vermehrten Inanspruchnahme der Schamaninnen und Schamanen als Instanz der Gesundheitsfürsorge. Betrachtet man den Schamanismus in Kontext der traditionellen Heilsysteme von Ladakh (siehe KUHN 1988), so stellt sich heraus, daß Schamaninnen und Schamanen als Folge ihrer Proliferation einen sehr viel prominenteren Platz in der Gesundheitsfürsorge erlangt haben, als dies traditionellerweise der Fall war.211 So erwähnte ein Mönch aus Lamayuru (I-22), daß Schamaninnen und Schamanen früher vor allem bei der Heilung von Vieh in Anspruch genommen worden seien, jedoch kaum zur Heilung von Menschen. Inzwischen seien die Schamanen in zunehmende Konkurrenz zu Lamas, amchis, onpos und allopathischen Ärzten getreten, so ein tour operator (I-42; vgl. KUHN 1988). C. DISKUSSION DER ERGEBNISSE Ziel des Projektes war es, zu untersuchen, in wieweit es sich bei der quantitativen Ausweitung des Schamanismus-Phänomens tatsächlich um eine Reaktion auf die gesellschaftlichen Wandlungsprozesse in Ladakh und eine mögliche Fremdheitslösung handelt, d.h., ob sich Hinweise auf Korrelationen zwischen der Proliferation der Schamanen in Ladakh auf der einen Seite und der dreifachen Fremdheitslage (Einflüsse aus dem indischen Tiefland, dem moslemisch dominierten Kashmir und des Westens - vornehmlich in Gestalt des Tourismus) auf der anderen Seite finden lassen. Als Hypothese war formuliert worden, daß sowohl die Zunahme der schamanischen Berufungen als auch die vermehrte Konsultation schamanischer Heiler zur Reduktion der durch die Außeneinflüsse hervorgerufenen Spannungen (Im Sinne einer Fremdheitslösung) dient. Deshalb bietet es sich, die entsprechenden Ergebnisse212 im theoretischen Kontext der Akkulturationsbegrifflichkeit zu diskutieren (Kap. C. 1.). Weiterhin gilt es zu überprüfen, ob es sich bei der quantitativen Zunahme schamanischer Heiler und Prak210 Diese zeremonielle Prüfung der Schamanenkandidaten nimmt fast auschließlich der Stakna Rinpoche vor. Augenfällig wurde dieser Zusammenhang auch in der Äußerung einer Schamanin (IL106), der zufolge es eigentlich nicht der Fall sein sollte, daß buddhistische Mönche sie zu Konsultationszwecken aufsuchen. 211 Auch in einer Reihe von narratives bestätigt, vgl. z.B. I-22, I-102, I-116. 212 Ursachentheorien der befragten Bevölkerungssegmente in Ladakh sowohl zur Zunahme der Berufungen als auch zur Zunahme des Bedarfs an schamanischer Heilungen. 101 tiken (Proliferation des Schamanismus) in Ladakh um eine religiös begründete Revitalisierungsbewegung handelt. Dies geschieht in Kap. C. 2. 1. Die Ursachentheorien im Kontext der Akulturationsbegrifflichkeit Unter Akkulturation ist ein durch externe Einflüsse hervorgerufener Kulturwandel aufgrund von Kulturkontakt zu verstehen.213 Es handelt sich um eine von mehreren Formen des Kulturwandels, welche dann zustande kommt, wenn Individuen oder Gruppen mit verschiedener Kultur in direkten, andauernden Kontakt zueinander kommen und Kulturzüge der einen Gruppen durch Kulturzüge der anderen Gruppe ersetzt werden. Akkulturation bedeutet keineswegs, daß die Gesamtheit der Individuen einer mit denen einer anderen Kultur in massiven und dauerhaften Kontakt kommen muß, häufig ist „only a selected segment of one society in contact with another“ (FRIEDL, 1976:376). In rezenteren Studien zum Kulturwandel (z.B. WOLF 1990) die Rolle der betroffenen Ethnien als aktiv Beteiligte hervorgehoben und ihr Bestreben um die Redefinition bzw. Eigendefinition ethnischer Identität stärker betont. In der gegenwärtigen Situation wird Akkulturation vornehmlich durch den Kontakt mit der westlichen Kultur ausgeübt (FRIEDL 1976:394, 395; HARRIS 1989:437; KOTTAK 1994:362) und manifestiert sich in der Form der Modernisierung, definiert als "... the process by which individuals change from a traditional way of life to a more complex, technologically advanced and rapidly changing way of life". (WOOD 1975:50). Als entscheidende Komponenten der Modernisierung werden (a) ökonomisches Wachstum durch Industrialisierung, (b) Urbanisierung und (c) Verwestlichung angesehen (FRIEDL, 1976:395, 422). Auswirkungen der Modernisierung betreffen unter anderem die traditionellen Familienstrukturen (FRIEDL 1976:396, 397): Jüngere Einwohner in der Altersgruppe von 15-35 Jahren wandern zunehmend ab, infolgedessen ist die zurückbleibende ländliche Bevölkerung überaltert. Die Bedeutung der Mobilität nimmt zu, statt der erweiterten Großfamilie herrscht die ZweiGenerationen-Kernfamilie vor, verbunden mit wachsender Unabhängigkeit junger Leute und erhöhtem Status der Frauen.214 Es entwickelt sich die Tendenz zur freien Partnerwahl statt der arranged mariage und zur Einehe, die Zahl der Heiraten mit mehreren Ehepartnern (Polygynie / Polyandrie) sinkt.215 Haushalte werden zunehmend neu gegründet (neolokale Residenz), 213 Vgl. BARNARD und SPENCER (1996); BOCK (1996); FRIEDL (1976); HOWARD (1993); KOTTAK (1994); WHITTEN und HUNTER (1993). 213 Vgl. KOTTAK (1994:362): "Acculturation differs from diffusion, or cultural borrowing, which can occur without firsthand contact." 214 Gerade dies wird von HAY (1999:174-194) mit Bezug auf Ladakh und anderen Anhängerinnen der gender and development theory vehement bestritten. 215 In Ladakh sehr anschaulich am - allerdings auch administrativ geförderten - Rückgang der Polyandrie nachzuvollziehen, vgl. CHANDRA (1987), CROOK (1987); FAHLÉN (2000); PARMAR (1975); SANDER (1984). 102 und die Ehe wird zu einer persönlichen Beziehung zwischen zwei Individuen statt eines wirtschaftlichen Arrangement zwischen zwei Familien. Weiterhin führt die Modernisierung zu grundlegenden psychologischen und kulturellen Wandlungsprozessen, unter anderem von einer lokalen zu einer überregionalen und letztendlich nationalen Orientierung (MASANAT 1987). Die Begegnungen zwischen den Menschen gewinnen einen zunehmend unpersönlicheren Charakter - ein Umstand, der z.T. durch die Ansiedlung in ethnic neighborhoods sowie das Verbands- und Vereinswesen aufzufangen versucht wird (FRIEDL 1976:398). Ländliche Zuwanderer lassen sich vornehmlich in der Nachbarschaft früherer Zuwanderer aus derselben Ethnie oder Herkunftsregion nieder ("Integration durch Kolonienbildung") und versuchen Traditionen aus der Herkunftsregion in ihrem Stadtviertel als einer Art "städtischem Dorf" nach wie vor aufrechtzuerhalten.216 Als ein Beispiel dafür stellt kann der Ladakh Buddh Vihar im Norden Delhis angesehen werden.217 Verwestlichung als Bestandteil der Modernisierung bezeichnet die Übernahme und Übertragung von Kulturmustern und Institutionen der westlichen (euro-amerikanischen) Gesellschaft), Veränderungen in den Werten, Einstellungen und Überzeugungen der Menschen. Neuartige Güter sind verfügbar, und sozialer Status wird nicht mehr aufgrund einer beständigen Position (aufgrund von Abstammung, Klassen-, Schicht- oder Kastenzugehörigkeit) zugeschrieben, sondern muß erworben werden bzw. kann auch wieder verloren gehen.218 Bei der Durchsetzung dieses Wertewandels kommt den Massenmedien eine elementare Bedeutung zu. Insgesamt soll die Modernisierung mit ihren drei Komponenten Industrialisierung, Urbanisierung und Verwestlichung folgende "Charakteristika des modernen Menschen" (MASANAT 1987) hervorbringen: - Offenheit für neue Erfahrungen (SMITH & INKELES 1966, 1969) Kommunikation nach außen (ROGERS 1969) Interesse an neuen Nachrichten, auch im nationalen und internationalen Maßstab (SMITH & INKELES 1966, 1969) zunehmende Unabhängigkeit von traditionellen Autoritäten (EBD.) Meinungsfreudigkeit (MASANAT 1987) Engagement in öffentlichen und lokalpolitischen Fragen (SMITH & INKELES 1966, 1969) 216 "Maintenance of folk traditions in an urban village" (FRIEDL 1976:400). 217 Beim Ladakh Buddh Vihar im Norden Delhis handelt es sich um einen Tempelbezirk mit angeschlossenen Unterkünften für ladakhische Pilger, dessen Einrichtung auf eine Schenkung des ehemaligen indischen Ministerpräsidenten Jawarlahal Nehru an den ladakischen Head Lama Kushok Bakula zurückgeht. Die unmittelbare Umgebundg dieses Tempelbezirks ist inzwischen einer zunehmenden Kommerzialisierung durch tibetische und indische Händler ausgesetzt. 218 "Change from ascribed to achieved status", siehe FRIEDL (1976:410); für Ladakh vgl. dazu KOSHAL (1987:149-168). 103 - Aufgabe von Passivität und Fatalismus (EBD.), allgemeiner Optimismus (MASANAT 1987) Glaube an die Effektivität von Wissen und Medizin (SMITH & INKELES 1966, 1969) Streben nach guter Erziehung und beruflichem Aufstieg für sich und die eigenen Kinder219 vorausschauende, terminorientierte Planung (SMITH & INKELES 1966, 1969)220 Orientierung in Richtung Wandel und Fortschrittsgläubigkeit (ROGERS 1969) Orientierung an innovativen Führungsschichten (EBD.) zunehmende Orientierung am Nationalstaat (PELTO & POGGIE 1972:112) sowie allgemein eine stärkere nationale und internationale Orientierung (MASANAT 1987). SCHIFFAUER (1991) benennt in einer Migrationsstudie (1991) als Auswirkungen der Modernisierung: - Veränderte Stadt - Land - Beziehungen die Umbewertung der Arbeit221 Änderungen der generationsspezifischen Rollen Individualisierung des eigenen Lebenslaufs und Orientierung an einer eigenen, individuellen Biographie Bisherige Vorstellungen von Wert und Würde lassen sich nicht mehr aufrecht erhalten Änderung des Zeitverständnisses und die Einführung neuer Zeitkategorien222 steigender materiellen Erwartungsdruck im persönlichen Umfeld. Zudem kommt derselbe Autor (EBD.) anhand seiner Studie zu türkischen Migranten zu dem Schluß, daß eine tatsächliche Auseinandersetzung mit der eigenen Religion (in diesem Fall der Islam) erst durch die Konfrontation mit dem Fremden stattfindet223 - dies läßt sich auch 219 EBD., 220 Dieser Aspekt wurde im Rahmen unserer erhobenen narratives von Elijah Gergan (I-121) sehr für Ladakh vgl. KOSHAL (1987). eindrücklich betont. 221 Für Ladakh siehe HAY (1999), FAHLÉN (2000) sowie auch meine eigenen Erhebungen (vgl. Kap. B. 2.4.) 222 Für Ladakh in einem Informationsgespräch mit Reverend Elijah Gergan (I-121) bestätigt. 223 Der Hintergrund dieser Schlußfolgerungen SCHIFFAUERs besteht in seiner Untersuchung der Hinwendung zum Islam als spannungsreduzierende Bewältigungsstrategie türkischer Migranten in der Bundesrepublik, welche im deutschen politischen Kontext gerne mit islamischen Fundamentalismus assoziiert wird. Wichtig daran ist jedoch weniger, daß sich in Deutschland lebende Türken und Türkinnen als praktizierende Moslems bekennen, sondern, welchen Wandel der Stellenwert der Religion im Vergleich zur ländlichen Türkei erfahren hat: Im dörflichen Kontext ist die Teilnahme am moslemischen Ritual (z. B. Freitagsgebet, Fasten während des ramadhans) mit der Zugehörigkeit zum Gemeinwesen verbunden; in der Stadt wird diese kommunale Praxis jedoch "systematischer". Während der Islam auf dem Land in die Lebenspraxis eingebunden ist; wird 104 anhand unserer narratives belegen: Zahlreiche Ladakhis224 äußerten, daß sie erst durch das Interesse westlicher Touristen an buddhistischer Religion und Sakralkunst zu einer Wertschätzung und Bewußtwerdung der eigenen Religion gelangt seien.225 Obwohl sich die drei oben genannten Komponenten der Moderniserung (ökonomisches Wachstum durch Industrialisierung, Urbanisierung und Verwestlichung) in Ladakh nur in sehr eingeschränktem Umfange manifestieren, findet auch dort eine massive Modernisierung statt, verbunden mit Homogenisierungsbestrebungen sowohl im weltweiten Wirtschaftsgefüge (Einbindung in globale Wirtschaftsbeziehungen in Gestalt des Tourismus)226 als auch innerhalb des indischen Staatswesens227, denen das buddhistische Ladakh als "Teil-Identität in Gestalt einer Minderheit" (vgl. KÖßLER & SCHIEL 1995; NAMGYAL 1997) gegenübersteht. Diese Einflüsse der Modernisierung haben wir im Rahmen des Projektes als Fremdheitslage umschreiben - neben Einflüssen Indiens und des Westens kommen in Ladakh dabei noch die Einflüsse des vornehmlich moslemisch geprägten Kashmirs hinzu. Wie sich im Rahmen des Projektes feststellen ließ (Kap. B: Ergebnisse), enthalten sowohl die Ursachentheorien zur schamanischen Berufung als auch zum zunehmenden Bedarf an schadie Religion in der Stadt und ganz besonders in der Emigration, in der Konfrontationssituation mit fremden christlichen Religionsinhalten oder westlichen Wertemustern, als Forderung der Lebenspraxis gegenübergestellt. Viele Migranten betonen in den von SCHIFFAUER geführten Interviews die Möglichkeit, in Deutschland überhaupt etwas über den Inhalt des Islam erfahren zu haben - dies auch, weil zumindest in der Vergangenheit die übermäßige Betonung islamischer Glaubensinhalte in der offiziell laïzistischen Türkei nicht gern gesehen wurde und der politische Islam sich legal überhaupt nicht artikulieren durfte. SCHIFFAUER fand Belege dafür, daß diese Hinwendung zur Religion in der Migrations-Situation in ganz anderer Weise stattfindet als im traditionellen Kontext: Die Religionsausübung ist individualistischer, man kann sich in Deutschland unterschiedlichen Predigern der eigenen Wahl oder Sufi-Bruderschaften zuwenden - einige von SCHIFFAUERs Interviewpartnern hatten eine regelrechte Karriere durch verschiedene islamische Kongregationen hinter sich, die je nach aktuellen Erfordernissen und Einschätzungen gewechselt wurden. Weiterhin wurde die individuelle Hinwendung zum Islam auch von Frauen in einer Form von Individualität und Selbstbehauptung gegenüber männlichen Familienmitgliedern praktiziert, welche im traditionellen Kontext undenkbar wäre; vgl. SCHIFFAUER (1991:148-150, 211 ff.). 224 I-28, I-67, I-75, I-80, I-81, I-85, I-90, I-91, I-109, I-120. 225 Einbezogen werden müssen in diesem Zusammenhang auch Aspekte einer allgemeinen Kommunalisierung von Religion in Indien (vgl. RANDERIA 1995:75-109) und die zunehmenden, politisch ausgetragen Kontroversen zwischen moslemischen und buddhistischen Ladakhis in den letzten Jahrzehnten (z.B. während des Sozialboykotts von 1989), vgl. BEEK (1996a, 1996b, 1998a, 1998b); BEEK und BERTELSEN (1995, 1997), Bertelsen (1997a, 1997b, 1997c). Vgl. EPPLER (1983); EMMER (1996a:71-74); MICHAUD (1989, 1991, 1996); PITSCH (1985). 226 227 Politische Integrationsbestrebungen werden vom indischen Staat seit seiner Gründung, besonders aber seit den Grenzkonflikten mit Pakistan (1948) und China (1962) forciert. 105 manischer Heilung deutliche Hinweise darauf, daß diese Fremdheitslage als Beeinträchtigung (Fremdheitslast) empfunden wird. Insbesondere der durch die Modernisierungsbestrebungen bewirkte Wertewandel (Abkehr vom buddhistischen Glauben, Konkurrenzdenken, Neid, Gier, Eifersucht und allgemeine Geld- und Geschäftsorientierung) wird (1) als negativ bewertet und (2) als Ursache sowohl der Berufungen als auch des vermehrten Bedarfs an schamanischer Heilung benannt. Die diesbezüglichen Aussagen enthalten deutliche Hinweise auf Streßsymptome, welche naturgemäß die Schamanen als "Sensoren für die Befindlichkeiten der Bevölkerung" am eindrücklichsten erfassen und darstellen können (vgl. Kap. B. 2.1, 3.1.). Als Auswirkungen der Modernisierung werden sowohl eine zunehmende Zahl organischer Krankheiten (auch beim Vieh!) und mentaler Beschwerden (abnehmende seelische Widerstandskraft: lungsta / sparkha) benannt, in der überwiegenden Zahl der narratives der Schamanen ist sogar davon die Rede, daß das Ende des gegenwärtigen Weltzeitalters (kalpas) nahe sei.228 Mit der Ausbildung individualisierter Lebensläufe nimmt einereits die Orientierung an Gewinnmaximierung, das Streben nach persönlichem Zugewinn229 und individuellen Karrieren zu, andererseits - so ist aufgrund unserer Erhebungen zumindest zu vermuten - auch die Unsi228 Die diesbezüglichen Vorstellungen vom Ende des kalpas (gegenwärtigen Weltzeitalters) müssen natürlich vor dem Hintergrund entsprechender kosmologischer Vorstellungen des Hinduismus und Buddhismus interpretiert werden, vgl. COLEMAN (1994:329): "kalpa (skrt.) ... bskal pa [tib.] ... The aeon (skrt. kalpa) is a concept of fundamental importance for the traditional Indian and Buddhist understanding of cyclical time. According to Abidharma literature, a great aeon (mahakalpa) is divided into eighty lesser or intervening aeons (antarakalpa). In the course of the great aeon, the external universe and its sentient life-forms unfold and disappear. During the first twenty of the lesser aeons, the universe is in the process of creation and expansion (vivartakalpa); during the next twenty it remains created, during the third twenty, it is in the process of destruction or contraction (samvartakalpa); and during the series of the cycle, it remains in a state of destruction." 229 Belegbar z.B. aus den Äußerungen eines Agronomen in der Animal Husbandry Station in Diskit (I-105), welcher auf die Aufsplitterung des Grundbesitzes und die Verkleinerung der Viehbestände aufgrund gegenüber früher veränderter Erbschaftsregelungen hinwies: Früher habe der Glaube an den Wert der Einheit geherrscht, heute gebe es zunehmendes desire: There are changes if we compare it with early time. In earlier times, people were good, and they lived in unity. Since they had a lot of land, they could keep five or six cows in a family. But now the lands are divided among the brothers and sisters, and there is no way to keep five or six cows, and that is why they can keep one cow from Rajasthan which gives the same amount of milk as five [local] cows. [Frage] How come that people today behave differently than before, so that there is not that much unity among the population any more? It is due to the desire of the people, because the desire is increasing and they want to have everything that they get from their family. For example, if one girl from a family is married to another family, she wants to have many things from her own family. That is why the family has to divide the lands for this purpose. 106 cherheit über den persönliche Lebensweg und die Schwierigkeit, Entscheidungen angesichts einer zunehmenden Vielfalt von Alternativen zu treffen. Dies dürfte ein Faktor bei der Zunahme der Konsultation von Schamaninnen und Schamanen, in diesem Falle zu Divinationszwecken, sein. Auch die Einbindung Ladakhs in die aktuellen geopolitischen Zusammenhänge, die Lage in einem zwischen den Großmächten Indien und China sowie Pakistan kann als Streßfaktor infolge der nationalstaatlichen Eingliederung Ladakhs in den indischen Staatsverband interpretiert werden und wird von einigen Schamaninnen und Schamanen im hoch militarisierten Nubra-Tal (IL-106, IL-111, IL-112) für die zunehmende Berufung sowohl männlicher als auch weiblicher Jungschamanen verantwortlich gemacht. Das Projekt erbrachte weiterhin deutliche Hinweise darauf, daß modernisierungsbedingte Streßsymptome die Ursache der bevorzugten Berufung von Schamaninen darstellen. Aus den erhobenen narratives ergaben sich deutliche Hinweise auf stärkere mentale Beeinträchtigungen von Frauen als von Männern infolge der Veränderungen der letzten Jahrzehnte in Ladakh (vgl. Kap. B. 2.4.). Der gegenüber früher herabgesetzte Status der Frauen sowie ihre gestiegene Arbeitsbelastung und Verantwortung können als Ursache der vermehrtem Berufungen weiblicher oracles vermutet werden, auch wenn die diesbezüglichen Aussagen selbst allerdings nur in eingeschränktem Maßstab auf derartige Zusammenhänge hindeuten. Schließlich lassen sich Skepsis gegenüber der Berufung und der Qualität der diagnostischtherapeuthischen Praxis auch unter Schamaninnen und Schamanen selbst nachweisen (vgl. Kap. B.4.), wobei dahingestellt bleiben muß, ob es sich hierbei um eine rezente, durch Außeneinflüsse bedingte Erscheinung handelt. Insgesamt erbrachte das Forschungsprojekt deutliche Hinweise darauf, daß Akkulturation und Modernisierung (maßgeblich manifestiert in Form von drei verschiedenen Außeneinflüssen) in Ladakh auch zu schwerwiegenden Beeinträchtigungen der Bevölkerung führen, welche als Ursache sowohl für die Zunahme schamanischer Berufungen als auch für den gestiegenen Bedarf an schamanischer Heilung verantwortlich gemacht werden können. Im Rahmen des Projektes konnte jedoch nicht geklärt werden, welche der drei verschiedenen Formen der Fremdheitslage ursächlich dafür verantwortlich zu machen ist - die narratives erlauben hier keine stichhaltigen Schlußfolgerungen zu ursächlichen Wirkungszusammenhängen - und mit welchem Erfolg die Karriere als Schamanin oder Schamane und die Konsultation der oracles als Mittel der Spannungsreduktion genutzt werden kann (siehe unten: Desiderata). In wieweit die Proliferation des Schamanismus (sowohl die schamanische Berufung und Übernahme des Schamanenamtes als auch die Inanspruchnahme von Schamanen als Heilerinnen und Heiler) tatsächlich eine Form der Spannungsreduktion, eine coping- (Bewältigungs)-Strategie) im Sinne einer Fremdheitslösung darstellt, konnte somit im Verlauf des Projektes nicht zweifelsfrei geklärt werden. 107 2. Die Ursachentheorien im Kontext von Revitalisierungskonzepten Wie vergleichbare Beispiele aus anderen Weltregionen zeigen, mobilisieren in Fällen von Modernisierungsdruck230 Angehörige einer Minderheit ihre spezifischen Traditionen (als little tradition im Sinne von REDFIELD 1976; vgl. HOBSBAWM 1991, 1993) gegen die "Zumutungen einer durch koloniale oder postkoloniale Staaten inszenierten Modernisierung" (KÖßLER & SCHIEL 1995:19) und die damit verbundenen Vereinheitlichungsbestrebungen (vgl. STELLRECHT 1994). Modernisierung führt deshalb nicht notwendig zu Vereinheitlichung und "Entethnisierung", sondern ganz im Gegenteil nicht selten zu einer forcierten Ethnisierung entsprechender Minderheitengruppen.231 Die "Tradition" als Gegenpol zur Modernisierung ist vor allem auf der Ebene der traditionellen Verfaßtheit Ladakhs mit den für sie konstitutiven Kernstrukturen im Wirtschaftsleben, der Sozialstruktur, der Familienorganisation und Religion präsent (vgl. RIZVI 1996), wobei die Religion im buddhistischen Ladakh sowohl als buddhistische Hochreligion als auch als schamanische Volksreligion232 vertreten ist. Ein Vergleich mit Bewegungen zur Revitalisierung in anderen Weltgegenden, namentlich in Sibirien (Kap. A. 4.3.) zeigte, daß dort die Revitalisierung findet in Form von institutionalisierten Bewegungen mit politischer Zielvorgabe statt und in Sacha, Tyva und Burjatien (den Republiken mit größerem politischen Handlungsspielrauum) häufig von Behörden oder wissenschaftlichen Institutionen betrieben oder tatkräftig unterstützt wird. Dabei werden schamanische Traditionen werden - z.T. bewußt - verändert, mit anderen spirituellen Praktiken kombiniert oder ggf. neu erfunden (rekonstruiert), falls der Überlieferungsstrang entsprechender Traditionen völlig abgerissen sein sollte. Die Wiederbelebung des Schamanismus ist dort mit dem Erstarken ethnischer Identität verbunden und wird als Ressource der Ethnizitätskonstruktion selbst in den Fällen genutzt, in denen eine schamanische Performanz überhaupt nicht mehr nachzuweisen ist. Im Gegensatz dazu handelt es sich bei der Proliferation des Schamanismus, wie wir sie in Ladakh vorfinden, um die Ausweitung ungebrochen erhaltener Traditionen, welche in viel stärkerem Maße als früher praktiziert werden, aber dazu keinesfalls revitalisiert werden müssen. Die Proliferation des Schamanismus in Ladakh ist somit keine Revitalisierung, sondern stellt die Intensivierung einer ungebrochenen Tradition dar, und ist im Unterschied zu Sibirien weder mit einer politischen Bewegung verknüpft, noch findet sich eine Ausweitung dieses Phänomens auf andere Ethnien. 230 Im vorliegenden Projekt für die Forschungsregion Ladakh als Fremdheitslast benannt. 231 EDER und GIESEN et. al. (1996); vgl. GELLNER (1991); SIGRIST (1995). 108 3. Offene Fragestellungen und Anregungen für künftige Forschung (Desiderata) Das Phänomen der Proferation des Schamanismus in Ladakh wurde im Rahmen der vorliegenden Pilotstudie erstmals anhand von narrativen Interviews sowohl mit Schamaninnen und Schamanen selbst als auch mit ihrem Potentiellen Klientel und Vertretern des buddhistischen Klerus aufgearbeitet und mit Bestrebungen zur Revitalisierung des Schamanismus in anderen Regionen seines Verbreitungsgebietes (Sibirien) verglichen. Dabei blieb eine Reihe von Fragen offen, welche im Rahmen des Forschungsprojektes noch nicht geklärt werden konnten und hier als Anregungen für künftige Forschungen aufgelistet werden sollen: z Die Zusammenhänge zwischen Fremdheitslage, Fremdheitslast, schamanischer Berufung und steigendem Bedarf an schamanischer Heilung sind bislang noch nicht hinreichend belegt und müssen tiefergehend eruiert werden. Insbesondere konnte der Zusammenhang zwischen spezifischen Fremdheitseinflüssen und steigendem Bedarf an schamanischer Heilung nicht in ausreichender Weise nachgewiesen werden. Dazu ist es notwendig, nicht allein die Aussagen der oracles oder ihres Klientels selbst zugrunde zu legen, sondern empirisch nachweisbare Zusammenhänge zwischen der Zunahme der Schamanninnen und Schamanen und den Veränderungen in Ladakh zu erschließen. Diesbezüglich ist über die Erklärung, welche Schamaninnen und Schamanen selbst bezüglich ihrer Berufung sehen, die Frage nach stressful live events aufzuwerfen und zu klären, welche im zeitlichen Umfeld der Berufung auftraten. z Die tatsächlichen Klienten/Patienten schamanischer Heilungen sind bezüglich des Anlasses zu befragen, der sie zur Teilnahme an den Heilsitzungen geführt hat. Diese Befragungen sind nicht unmittelbar vor oder nach den Schamanensitzungen durchzuführen,233 sondern in alltäglichen Zusammenhängen abseits der Therapiesitzungen. Zu eruieren ist dabei, in wieweit neben anderen Gründen Momente von Fremdheitslast die Ursache für die Konsultation einer lha mo oder eines lha pa darstellen. Dabei ist davon auszugehen, daß sich dies zum Teil nur auf Umwegen erschließen läßt (z.B., wenn jemand im Tourismusgeschäft zu Geld gekommen ist und er dem Neid seiner Nachbarn ausgesetzt ist, oder wenn in einer Familie die ma zhing-Felder gegen den Willen der Eltern verkauft wurden und daraus interfamiliäre Spannungen resultieren, welche zu Belastungssymptomen und dem Wunsch nach schamanischer Heilung führen können). z Es sind mehr als bisher die Gründe für verstärkte Berufungen speziell bei Frauen zu ermitteln. Hierzu sollten individuelle Lebensgeschichten ermittelt werden, aus denen her- 232 Mit einer Reihe von gegenseitigen Überschneiden im Sinne von contested symbols (GELLNER 1997). 233 Nach unseren bisherigen Erfahrungen ist dies wenig ergebnisträchtig; die Befragung des Klientels der Schamanen stellte sich bislang als größtes Forschungshindernis heraus (vgl. Kap. B. 2.2.). 109 vorgeht, wie es zur Berufung, zur schamanischen Krise kam, und in wieweit Momente von Fremdheitslast dafür verantwortlich waren. z Das (vermeintlich neue)234 Phänomen der Schamanen und Schamaninnen mit moslemischen Hintergrund bedarf weitergehender Untersuchungen. z Als hilfreich könnte sich auch eine Befragung der Klienten schamanischer Heilung zur Äthiologie der Krankheitsbilder - sowohl der psychischen als auch der somatischen Beeinträchtigungen erweisen. Ansatzweise wurde dies bereits von KUHN (1988) durchgeführt. z Insgesamt ist eingehender als bisher zu klären, in wieweit es sich bei der Ausweitung schamanischer Praktiken in Ladakh – im Sinne nativistischer Praktiken - um das betonte Festhalten an bestimmten Elementen der eigenen Kultur infolge ihrer Bedrohung durch eine überlegene Fremdkultur (Fremdheitslast) sowie den Versuch handelt ein, erschüttertes Gruppen-Selbstgefühl wiederherzustellen (Fremdheitsbewältigung). Literaturverzeichnis Anaiaban, Z. (1999), The republic of Tuva. A model of ethnic monitoring. Anthropology and Archaeology of Eurasia 37 / 3:13-96. Arbmann, E. (1963-1970), Ecstasy or Religious Trance. Uppsala, 3 Bd. Aschoff, J. C.; Rösing, I. (1997) (eds.), Tibetan Medicine. ‘East meets West - West meets East‘. Ulm. Asshauer, E. (1993), Heilkunst vom Dach der Welt. Tibets sanfte Medizin. Freiburg. Balzer M. M. (1987), Behind shamanism: changing voices of Siberian Khanty cosmology and politics. 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New York, S. 1182-1186. 234 Angesichts der weiten Verbreitung des Schamanismus in den nördlich und westlich an Ladakh angrenzenden Regionen mit überwiegend moslemischer Bevölkerung (Dardistan, Hunza in Pakistan, die mittelasiatischen GUS-Republiken; vgl. z.B: BASILOV 1996) ist berechtigterweise daran zu zweifeln, daß es sich tatsächlich um ein neues Phänomen handelt, und eher die These zu vertreten, daß der Schamanismus im gesamten Zentralasien als eine Form sowohl vorbuddhistischer als auch vorislamischee Volksreligion verbreitet ist - insbesondere bei Bevölkerungsgruppen, welche devianten Formen des Islam (Schi'iten in Hunza, Dardistan, Baltistan und Purig) angehört. 110 Balzer, M. M. (1997), Shamanism and Nationalism: debates from the Sakha Republic / Yakutia. Vortrag bei der 4. Konferenz der International Society for Shamanic Research (ISSR), Chantilly / Frankreich, 1.-5. Sept. Balzer, M. M. (1999a), Introduction. Anthropology and Archaeology of Eurasia 37 /3:4-12. Balzer, M. M. 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Amchis sind, ähnlich wie ihre westlichen "Berufskollegen", auf die Behandlung somatischer Krankheiten spezialisiert, wenngleich Äthiologie und Therapie der Krankheiten völlig verschieden sind (vgl. ASSHAUER 1993; KUHN 1988, CLIFFORD 1993). Das Wort amchi stammt aus dem Mongolischen (NORBU, ERDENETSETSEG; jeweils pers. Mitt.) und wird in Turkestan sogar zur Bezeichnung von Schamanen verwandt (emči; s. BASILOV 1978, 1996 sowie BASILOV, VUILLEME-NONT: pers. Mitt. 1997). Bag-mo: Hexe (vgl. SCHENK 1994:223; DAY 1989:331, 335) Bag-po: Hexer, Schwarzmagier (SCHENK 1994:223; DAY 1989:331, 335 Bodhicitta (skrt.), byang chub kyi sems (tib.): "An altrustic aspiration to attain full enlightenment for the benefit of all beings" (COLEMAN 1994:285); vgl. SAALFRANK (1997:164): "'Erleuchtungsgeist'. Das bedeutet auf relativer Ebene die grundlegende Motivation für die Mahâyâna-Praxis, nämlich die auf Erleuchtung ausgerichtete Geisteshaltung gepaart mit Liebe und Mitgefühl für alle Wesen und der Drang, den Wunsch ihnen helfen zu wollen in die Tat umzusetzen. Auf absoluter Ebene ist es die Einsicht in die wahre Natur des Wirklichen, die Erkenntnis der Untrennbarkeit von Leerheit und Mitgefühl." Cham: rituelle, in Klöstern aufgeführte Maskentänze, „monastic dance drama“ (Day 1989:596). Chörten (mchod rten): s. stupa. Chos skyong: "Schutzgottheiten, Beschützer der Religion [des dharma]" (SCHENK 1994:224). Chos: s. dharma. Dakini (skrt.), "Göttin, 'Fee', 'Zauberin'" (STEIN 1993:81, 200, 216, 320, 343, 385); "mkha' 'gro ma [tib.] ... A yogini who has attained either mundane or supermundane accomplishments (siddhi), the latter referring to the realizations of the fully enlightened mind. She can be a human being who has achieved such attainments or a manifestation of the enlightened mind of the meditational deity. Dakini also refers to someone born in the 'pure realm' of the Dakinis. The Tibetan equivalent 'khandro' literally means 'space voyager', the term space here being used metaphorically to imply emptiness (the ultimate nature of reality) and 'voyager' meaning someone immersed in its existence" (COLEMAN 1994:296); vgl. auch SAALFRANK (1997:165): "Dâkinî: wörtlich 'die am Himmel wandelt'. Bestimmte weibliche Meditatios- und Schutzgottheiten in friedlicher oder zornvoller Erscheinungsform, aber auch Himmelsbotinnen und weibliche Boddhisattvas, die zum Wohle der Wesen wirken und die Praktizierenden auf dem Weg zur Weisheit unterstützen können". 235 Abkürzungen: skrt. = Sanskrit, tib. = Tibetisch. Von der Aussprache stark abweichende Schreibweisen des Tibetischen und Ladakhi sind in Klammern hinzugefügt, bei Sanskrit- und Hindi-Ausdrücken sowie Begriffen aus anderen indo-arischen Sprachen mußte auf die Wiedergabe der diakritischen Zeichen leider verzichtet werden. 120 Damaru / Daru (umgangssprachlich) "... Handtrommel in Form eines Stundenglases aus zwei Schädelkalotten, Holzschalen oder Elfenbein; tantrisches Instrument, wird von den Schamanen zusammen mit der Glocke während der Séance benutzt" (SCHENK 1994:224). De ('dre): "(Bösartige, feindliche) Geisterarten, Nicht-lha" (SCHENK 1994:224). DAY (1989:597) gibt als Übersetzung für 'dre einfach "demon". Dharma (skrt.), tib. chos: "A very broad term with a wide range of usage, derived from Sanskrit dhri (to hold) and rendered in Tibetan as chos (pronounced 'cho'), which literally means 'change' or 'transformation', and refers both to the process of spiritual transformation and the transformed result. Ten classical definitions are of dharma are given by Vasubandhu in his Vyakhyayukti, namely: knowable phenomena, path, nirvana, object of mind, merit, life, scripture, material object, regulation and doctrinal traditions. In terms of the doctrinal tradition of Buddhism in particular, dharma includes: the realization (adhigama) of the buddhas, both of the state of cessation and the paths leading to it, and the transmission of authoritative texts (agama) and their oral commentarial lineages which expound the path to buddhahood" (COLEMAN 1994:298). Diblung (grib lung): Initiation zum Aussagen von "Gift" (grib, ngan, zas ngan, tug). Dip (grib): „spot, filth, defilement, contamination“ (JÄSCHKE 1998:77), „contamination (usually spiritual)“ (HAMID 1998:42). Dole (stod lhe): "Schulterumhang, großer lotusblütenförmiger Kragen, wird von Lamas bei tantrischen Ritualen und von Schamanen während der Séance getragen" (SCHENK 1994: 225). Don (gdon): „Störung; SCHENK 1994:225), Dorje (rdo rje): „Vajra oder Donnerkeil, ursprünglich aus Diamant oder anderem Edelstein, gilt als gebündelter Blitzstrahl und steht für das Unzerstörbare, das Transparente, ist Symbol des Absolutem und Zepter der geistigen Macht und spirituellen Zeugungskraft, wird im tantrischen Buddhismus zusammen mit der Glocke (tibu) benutzt, so auch von Schamanen, die den Dorje während der Séance zusammen mit der Glocke in der linken Hand halten" (Schenk 1994:226; vgl. Coleman 1994:301, 409). Dril bu: "Glocke, Ausdruck der Weisheit und Sinnbild des Mutterschoßes, Symbol der Erscheinungswelt und der Vergänglichkeit und Vielfalt, wird zusammen mit der Doppeltrommel im Tantrismus und im Schamanenritual verwendet und mit einem Dorje, der das Männliche repräsentiert, in der linken Hand gehalten" (SCHENK 1994:235); vgl. KALWEIT (1987). Gergan (dge rgan):“Lehrer; Name für Schamanenlehrer" (SCHENK 1994:226). Goba ('go-pa): Ortsvorsteher (vgl. SCHENK 1994:226); "village headman, chief" (HAMID 1998:52); go ('go, mgo) heißt Kopf, auch "beginning, origin, source" (EBD.). Gong mo ('gong mo; weiblich), Gong po ('gon po; männlich): Hexe / Hexer, "lebendiger Dämon" (DAY 1989:600). Gong mo zhug byes: „witchcraft possession“ (DAY 1989:331, 335; vgl. KUHN 1988). Gonpa (dgon pa): „aranya (skrt.). An islolated place or monastic site situated remote from urban settlements, generally rendered in translation as 'monastery'." COLEMAN (1994:317); vgl. DAY (1989:597): "monastery, solitary place". 121 Gyak: "obstacles, trouble" (DAY 1989:331, 335). Gyalpo / Gyalmo (rgyal po / rgyal mo): eigentlich König, Königin, nach SCHENK (1994:226) "Bezeichnung für eine Geisterart, mit Brokat reich und schön gekleidet, sehen aus wie Mönche; Geist eines Verstorbenen; die lha der Schamanen haben oft die Zusatzbezeichnung gyapo". Himalaja Buddhist Cultural Association (H.B.C.A.): panbuddhistische Organisation unter Vorsitz des Zanskaris Lama Chospel Zotpa mit dem Ziel der Allianz und Solidarisierung der buddhistischen, tibetisch affiliierten Himalaya-Völker in den nord-indischen Regionen Ladakh, Zanskar (Jammu und Kashmir), Lahul und Spiti, Kinnaur (Himachal Pradesh), Uttarkhand, Garhwal (Uttar Pradesh), Darjeeling (West-Bengalen) sowie in den Bundesstaaten Sikkim und Arunachal Pradesh (NordostIndien) und in Bhutan. I.A.S. = Indian Administrative Service. I.F.S. = Indian Foreign Service. Kalpa: vgl. COLEMAN (1994:329): "Kalpa (skrt.) ... bskal pa [tib.] ... The aeon (skrt. kalpa) is a concept of fundamental importance for the traditional Indian and Buddhist understanding of cyclical time. According to Abidharma literature, a great aeon (mahakalpa) is divided into eighty lesser or intervening aeons (antarakalpa). In the course of the great aeon, the external universe and its sentient life-forms unfold and disappear. During the first twenty of the lesser aeons, the universe is in the process of creation and expansion (vivartakalpa); during the next twenty it remains created, during the third twenty, it is in the process of destruction or contraction (samvartakalpa); and during the series of the cycle, it remains in a state of destruction." Khab lung: Initiation zum Aussaugen von Nadeln und anderen (spitzen) Fremdkörpern, vgl. SCHENK (1994:227). Khatak (kha btags): “Glücksschleife, weißere Zeremonialschal, den man bei (wichtigen) Begegnungen überreicht“ (SCHENK 1994:227). Khyim lha:"house(-hold) god" (Day 1989:598); "Djimbe-lha (khyimbe lha) - Laiengottheit ... djim-lha (khyim lha) - Kurzform für Laienorakel, die im Gegensatz zum Klosterorakel in einem Privathaus auftreten; selten (hochsprachliche) Bezeichnung für lha mo und lha pa" (SCHENK 1994:225). Ladakh Autonomous Hill Development Council (L.A.H.D.C.), kurz Hill Council: Autonome Verwaltungsbehörde für Ladakh innerhalb des Bundesstaates Jammu und Kashmir. Lama: "bla ma (tib.) guru ... (skrt.). A spiritual teacher or mentor. The Sanskrit word 'guru' literally means 'heavy' or 'weighty', and by extension 'venerable teacher'. The Tibetan equivalent 'bla-ma' (pronounced 'la-ma') means 'unsurpassed' or 'supreme', indicating that the guru is unsurpassed in terms of being the perfect object towards which meritorious activity can be directed. However, it is important to note that specific qualifications are necessary on the part of the teacher in order tob considered a guru. These qualifications differ according to the level of spiritual practice at which the guru is adopted as teacher. Ultimately, the guru is one's own buddha-nature." (COLEMAN 1994:319, 332); vgl. SCHENK (1994:227): "... der Höchste, Beste; Lehrer der Religion, des Dharma, allgemeine Bezeichnung für Mönch". Lha mo / lha pa: Die Begriffe lha pa und lha mo lassen sich als "Gottmensch" übersetzen ("mo für die weibliche Form, pa für die männliche Form"; SCHENK 1994:228); häufig werden sie im Ladakhi 122 auch einfach lha (= Gottheit) genannt. Das Äquivalent dafür in den indo-arischen Sprachen ist deva (männlich) oder devi (weiblich; vgl. COLEMAN 1994:298, 317). Lha phog: "phok heißt Belohnung, Lohn für eine Arbeit; Belohnung durch lha, Geschenk der lha; Kurzform für die Gesamtausbildung eines Schamanen, aber auch für jede einzelne Einweihungssitzung." (SCHENK 1994:229) Lha tho: "Schrein einer Lokalgottheit; Meist aus vielen aufeinandergehäuften Steinen, in denen Wacholderzweige stecken" (SCHENK 1994:229) Lha: "god" (DAY 1989:598); "Gottheit, gute Geister; es gibt hoch- und niedrigstehende lha und lokale lha, von denen die Schamanen am häufigsten besessen werden; [umgangssprachliche] Kurz-form für den Schamanen während der Gottbesessenheit bzw. in Trance" (SCHENK 1994:228). Lung: „mündliche Übermittlung, Belehrung, Unterweisung; die Lehre des ersten Buddha; Erlaubnis, Wiederholung, Aussage; bei der Schamanenausbildung Bezeichnung für die einzelnen Ausbildungsschritte“ (Schenk 1994:229); „permission, introduction“ (DAY 1989:598). Luyar (lus gyar): "geliehener Körper (lus heißt Körper, Gefäß); Mensch, der seinen Körper zur Verfügung stellt, damit sich dort eine Entität vorübergehend niederlassen kann; Bezeichnung für einen Schamanen, wenn er nicht in Trance ist, im Gegensatz zum Begriff lha, der seine Gottbesessenheit zum Ausdruck bringt" (SCHENK 1994:229). Mahabodhi Society: von singhalesischen Buddhisten gegründete, nicht-regierungsgebundene Organisation (NRO / NGO) zur Förderung des Buddhismus in Ladakh; bietet u.a. Meditationskurse an. Mala: "Gebetskette mit der heiligen Zahl von 108 Perlen oder Bruchstücken davon wie z.B. 54 oder 27 Perlen. An diesen Perlen wird während der Rezitation die Anzahl der Mantras abgezählt." (SAALFRANK 1997:166). Mandir: "Hindu or Jain temple" (THOMAS et al. 1997:1144) - oft auch auf kleine Schreine, z.B. am Ufer als heilig erachteter Flüsse, bezogen. Mane: Abkürzung für das "Wurzelmantra" Om Mane Padme Hung, für mantras allgemein oder Gebetsmauern (mani walls); vgl. SCHENK (1994:230): "mani (ma ne) - Gebetsmauer; flache Steine mit Mantras darauf (geschrieben oder eingemeißelt), auch Steinhaufen." Mantra: "... sacred word or syllable used by Buddhists and Hindus to aid concentration; metrical psalms of praise found in the Vedas" (THOMAS et al. 1997:1144); "(skrt.) [tib.] snags ... Mantra is composed of two syllables, mana and tara, respectively suggesting 'mind' and 'protection'. Hence 'mantra' literally means 'protection of the mind'. The essential indication here is the protection of the mind from the overwhelming influence of ordinary perceptions and conceptions ..." (COLEMAN 1994:343. Mi kha: "malicious talk or gossip" (DAY 1989); "Menschen-Mund ; Klatsch, üble Nachrede, die dem Menschen schadet" (SCHENK 1994:230). Miphogches (mi-phog-byes): "mit den Augen jemanden schlagen, verletzen, böser Blick" (SCHENK 1994:230; vgl. DAY 1989:308-321; KUHN 1988:10, 24, 177); „also supernatural harm, or harm caused inarbitrarely by the ‘evil eye‘"; ( DAY 1989:308-321; vgl. KUHN 1988:10, 24, 177). 123 Nodpa (gnod-pa): "supernatural damage"; (DAY 1989:599); "generell Schaden; Störung, Krankheit durch Geisterwesen bedingt; auch Unfall, Ereignisse, die unerwünscht sind" (SCHENK 1994:231), Om Mani Padme Hung (tib. Aussprache [om mani peme hung]), das sogenannte "Wurzelmantra"; vgl. COLEMAN (1993:355): "Om ... A Sanskrit letter which symbolizes the vajra body of all the Buddhas and which is also the seed syllable of the Buddha Vairocana, representing the perfect state of our aggregate of form. Om is a combination of three sounds, A, U, and M, which respectively represents buddha-body, speech and mind. Their combination into a single composite Om signifies that buddha-body, speech and mind are essentially indivisible. The syllable is used as the prefix of many mantras, e.g., Om Mani Padme Hung." Onpo (dbon po): "astrologer" (DAY 1989:599); "Astrologe in Westtibet, entspricht dem zipa (rtsis pa) in Tibet" (SCHENK 1994:231). Oracle: synonym mit lha pa (männlich) oder lha mo (weiblich), Ausdruck, welcher von englischsprechenden Ladakhis als Begriff für Schamane oder Schamanin verwandt wird und damit den Divinations-Aspekt des Schamanismus gegenüber dem Heilungsaspekt hervorhebt. Puri: "Röhrchen zum Heraussaugen der krankmachenden Substanz, aus Metall, Bambus oder Knochen gefertigt" (SCHENK 1994: 232). Ringa (rigs lnga): “fünfteilige Krone, meistens mit den fünf Dhyani-Buddhas oder wenigstens mit Silben verziert, wird von Mönchen bei tantrischen Zeremonien getragen und von Schamanen während der Trance als Zeichen der Gottbesessenheit" (SCHENK 1994:232); vgl. HAMID (1998: 259): "ringa head-piece worn by Lhabas or monks during special ceremonies.". Rinpoche: "(tib.) ... rin po che. The term literally means 'high in esteem or value', and in ordinary language indicates a precious gemstone. By extension, in Tibetan Buddhism, the term came to refer to an incarnate master who is 'high in value' or 'most precious'. Accordingly, the title 'Rinpoche' is widely used by Tibetans to refer to an incarnate lama." (COLEMAN 1994:371); vgl. SCHENK (1994:232): "'Kostbarer Juwel', reinkarnierter Lama, Abt. Höflichkeitsform für einen Lama oder Tulku"; “‚precious (jewel)‘, reincarnate lama“ (Day 1989:599). Samsara (skrt.), 'khor ba (tib.): "A state of existence, conditioned by one's karmic tendencies and imprints from past actions, i.e. recurring habitual patterns, which is characterized by a cycle of life and death and by suffering. Buddhist literature explains the process of how an individual rotating such a cycle in terms of what are known as the 'twelve links of dependent origination', the first link in the chain being ignorance." (COLEMAN 1994:296, 373); vgl. SAALFRANK (1997:167): "... das Rad des Lebens, das ist der Kreislauf der Wiedergeburten, durch Nichtwissen entstanden und von Leiden geprägt." SECMOL = Students' and Educational Movement of Ladakh, NGO zur Förderung kulturangepaßter Bildung und ökologisch verträglicher Technologien, publizierte das inzwischen eingestellte Magazin Ladags Melong (Spiegel von Ladakh / Ladakh im Spiegel). Shinde (shi 'dre / gshin 'dre): "Geist eines Verstorbenen, der sich selbst sichtbar macht, um sich den Hinterbliebenen zu zeigen, kann sich an eine lebende Person hängen und sie besessen machen" (SCHENK 1994:223; vgl. DAY 1989:317 ff., 600). Skyon oder shkyen: "misfortune caused by spirits [DAY 1989); "Schaden, Fehler, Defektharm, nicht richtiges Funktionieren“ (SCHENK 1994:225). 124 Sonde (gson 'dre): "'lebendiger' Dämon, Geist einer lebendigen Person, der ausgesant werden kann, einer anderen zu schaden; manchmal sind es auch Frauen, die im Tal oder Dorf leben" (SCHENK 1994:234; vgl. DAY 1989:600). Stupa: "(skrt.) ... mchod rten [tib.] ... Originally a symbol of Dharmakaya, constructed in a domeshape to hold the remains of the Shakyamuni Buddha, the stupa has become the most well-known sacred monument in the Buddhist world." (COLEMAN 1994:387, 388); vgl. SAALFRANK (1997:168): "Ein umwandelbares, meist mit Reliquien und symbolischen Gegenständen gefülltes, räumliches Gebilde, dessen äußere Form eine vielschichtige Symbolik der vollkommenen Erleuchtung bedeutet." Thanka (thang ka): Rollbild mit religiösen Darstellungen; "Rectangular Tibetan painting on cloth" (THOMAS et al. 1997:1147). Trimo / Tripo (gre mo / gre po): “‘hexenartige’ Wesenheit, lebendiger Dämon (weiblich und männlich)“ (SCHENK 1994:235). Triple Gem, die Drei Juwelen, tib. dkon mchogs bsum (Aussprache: [konchok sum]): Buddha, dharma (die Lehre) und sangha (die Gemeinschaft der buddhistischen Gläubigen). In wörtlicher Rede im Ladakhi auch als Bekräftigungsformel im Sinne von "bei Gott" gebraucht. Tsering Chengga (tshe ring ched lnga): "five long lived sisters" (NEBESKY-WOJKOWITZ 1975:117181) Tshogs pa: wohltätige Vereinigung / Selbsthilfegruppe auf lokaler (= Dorf) und regionaler Ebene in Ladakh; nicht-regierungsgebundene Organisation (NRO / NGO), z.B. die ladakhische Women's Alliance / ama‘i tshogs-pa. Tug (dug): “Gift, krankmachender Stoff“ (SCHENK 1994:236). Tulku (sprul ku): “Wiederverkörperung, Fähigkeit sich wieder zu verkörpern; Nachfolger eines bekannten Lehrers (SCHENK 1994:236); “emanation body, rinpoche“ (DAY 1989:601). Yi dam (in Ladakh gesprochen [idam]): persönliche Schutzgottheit, "tutelary deity" (DAY 1989: 597), "Meditations- und Schutzgottheiten, die die 'Wurzel der Verwirklichung' sind. Sie gelten als Buddhaaspekte in Sambhogakâya-Formen, also als subtile Manifestationen des Dharmakâya, die nur von verwirklichten Bodhisatvas direkt erfahren werden können. Im Vajrayâna werden sie jedoch als Mediationsobjekte intensiv visualisiert und verkörpern die erleuchtete Natur der Praktizierenden" (SAALFRANK 1997:171). Danksagung Für die großzügige dreijährige Förderung dieses Projektes mit insgesamt insgesamt fünf wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unter Leitung von Prof. Dr. Ina Rösing (Abteilung Anthropologie, Universitätsklinikum Ulm) durch die Stiftung Volkswagenwerk möchte ich mich an dieser Stelle ganz herzlich bedanken. Ebenso gilt mein aufrichtiger Dank meinen Kolleginnen und Kollegen Heinz Räther, Frank Seeliger, Karin André für die stets vertrauensvolle und ergiebige 125 Zusammenarbeit, sowie der bereitwilligen Mithilfe so vieler Ladakhi-Gesprächspartner und Projektmitarbeiter, namentlich Sonam Wangchok Khardongpa, Ngawang Namgyal „Sundar“ Wanlapa, dem leider viel zu früh verstorbenen Lobzang Rinchen „Tsultrim“ Kubetpa, Gelong Thinley Gyurmed Staknapa, Tashi Thondup und Familie aus Thiksey, Tsewang Wangjor in Leh, dem leider ebenfalls mittlerweile verstorbenen Tashi Tiapa aus Tingmosgang und seiner Frau Karin Müller, Lama Tsering Dorje aus Lingshed sowie Dr. Tsering Morup Yokmagonpa und Prof. Dr. Dawa Norbu von der Jawarlahal Nehru University (JNU) in New Delhi und Frau Dr. Janet Rizvi, Gurgaon, Indien, und nicht zuletzt meiner Ehefrau Ulrike Kressing-Mohl sowie meinen Kindern Tobias, Miriam und Lara, welche mich während Zeiten langer Abwesenheit während der Feldforschungsaufenthalte nur allzu oft entbehren mußten.