Drogenabhängigkeit und Sucht - Universitätsklinikum des Saarlandes

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Drogenabhängigkeit und Sucht - Universitätsklinikum des Saarlandes
Sucht
Dr. Andreas Vogel
Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie
und Psychotherapie des
Universitätsklinikums des Saarlandes,
Homburg
Definition von Abhängigkeit
Zwang, einen Stoff einzunehmen und sich mit
allen Mitteln zu besorgen
Tendenz, die Dosis zu steigern
Psychische, gelegentlich auch körperliche
Abhängigkeit
Kontrollverlust: Die Unfähigkeit, die Einnahme
eines Stoffes bei freiem Willen zu bejahen oder
abzulehnen
Welche Suchtformen gibt es?
Alkohol
Drogen, Medikamente
Nikotin
Essstörungen
Spielsucht
Kaufsucht
Sexsucht
Arbeitssucht
Klassifikation nach ICD 10
F 10 Störungen durch Alkohol
F 11 Störungen durch Opiate
F 12 Störungen durch Cannabinoide
F 13 Störungen durch Sedativa und Hypnotika
F 14 Störungen durch Kokain
F 15 Störungen durch sonstige Stimulantien einschließlich Koffein
F 16 Störungen durch Halluzinogene
F 17 Störungen durch Tabak
F 18 Störungen durch flüchtige Lösungsmittel
F 19 Störungen durch multiplen Substanzmissbrauch und Konsum
sonstiger psychotroper Substanzen
Klassifikation
Wir unterscheiden:
Akute Intoxikation
Schädlicher Gebrauch
Abhängigkeitssyndrom
Entzugssyndrom
Entzugssyndrom mit Delir
Psychotische Störung
Amnestisches Syndrom
Restzustand und verzögert auftretende psychotische
Störung
Sonstige psychische- und Verhaltensstörung
Gesellschaftliche Faktoren
Das „Homburger Modell“:
Suchtpräventionstage und Bockbierfest
Brauerei und „Geschlossene“
Prävalenz
Der Konsum von Tabak beginnt im Durchschnitt mit 13,5
Jahren, die Prävalenzraten bei 12-19 jährigen sind in
den letzten Jahren leicht rückläufig
Der Konsum von Alkohol beginnt im Durchschnitt mit 14
Jahren, der Alkoholkonsum der 12-17 jährigen war nach
einem Rückgang von 2004 – 2005 und einem folgenden
Anstieg von 2010 bis 2011 wieder rückläufig.
Der Konsum von Cannabis beginnt im Durchschnitt mit
15 – 16 Jahren, wobei das Einstiegsalter sinkt und die
Zahl der Konsumenten steigt.
Prävalenz
Bei 12 – 17 jährigen Jugendlichen lag die
Zahl derer, deren Trinkverhalten als
riskant eingestuft wurde, bei 5 %
Die Zahl der 12 – 17 Jährigen, deren
Trinkverhalten als gefährlich eingestuft
wurde, lag bei 2 % (2008)
Prävalenz
Etwa 5% der Jugendlichen zeigen Zeichen
einer Cannabisabhängigkeit (Thomasius,
2009 ), wobei etwa die Hälfte
ausschließlich Cannabis konsumiert, die
andere Hälfte weitere Suchtmittel, davon
50% Alkohol und 30% Amphetamine und
Kocain.
Trends im Konsumverhalten
Schüler/innen der 9. und 10. Jahrgangsstufe in
Deutschland ( 2008 )
Tabak: 78% mindestens einmal
47%innerhalb der letzten 30 Tage
Alkohol: 6% der Jungen und 5% der Mädchen
waren abstinent, 38% berichteten von
Trunkenheitserlebnissen in den letzten 30
Tagen
Drogen: 33% berichteten von zumindest
einmaligem Gebrauch illegaler Drogen, wobei
Cannabis mit 31% am Häufigsten genannt
wurde.
Aktuelle Zahlen
13% der 12-17 jährigen tranken mindestens 1
Mal in der Woche Alkohol
16,7% der Minderjährigen gaben an, zumindest
1 Mal im letzten Monat bis zum Rausch
getrunken zu haben
Die Zahl der Krankenhauseinweisungen wegen
Alkoholvergiftung ging bei 10-15 jährigen um
5,5% zurück, bei Jugendlichen stieg sie um
2,9% an
Die Zahl der jungen „Komasäufer“ stieg weiter
Aktuelle Zahlen
Die Zahl der Cannabiskonsumenten ging
leicht zurück
Die Anzahl der „Komakiffer“ stieg an
Harte Drogen, wie Heroin sind auf dem
Rückmarsch, eine große Gefahr besteht
aber durch synthetische Designerdrogen
und vermeintlich harmlose
Kräutermischungen
Ätiologie
Der Gebrauch von Drogen lässt sich auf einen
Zeitraum von mindestens 10000 Jahren vor
Christus zurückverfolgen
Eingesetzt bei magischen, kulturellen und
religiösen Handlungen
Meskalin bei mittelamerikanischen
Indianerstämmen
Cannabis in Indien
Kokain bei Andenindianern
Ätiologie
In unseren Bereichen waren Alkohol, Met
die Suchtstoffe
Veränderung in den 60iger Jahren:
ausgelöst durch die Hippiebewegung in
den USA schwappte der Missbrauch von
Cannabis, LSD, weiterer synthetischer
Drogen und Heroin nach Europa
Zur Zeit sind Alkohol, Cannabis und
Designerdrogen führend
Ätiologie
Es gibt beim Alkoholismus eine genetische
Prädisposition ( Varianz 40-50%)
Nicht jeder, der die Veranlagung hat, entwickelt
das Krankheitsbild ( Gen-Umwelt Interaktion )
Ein Gen des für das Endorphin zuständigen
Stoffwechselwegs ist häufiger verändert als bei
Gesunden
Es wurden 2 Varianten des Gen CRHR 1
entdeckt, die einen Einfluss darauf haben, ob es
bei mäßigem Alkoholkonsum bleibt, oder nicht.
Ätiologie
Die These, dass Abhängigkeitserkrankungen bei
Frauen weniger durch genetische Faktoren
bedingt sind, als bei Männern, ist nicht richtig.
Zwillingsstudien deuten darauf hin, dass
genetische Faktoren bei Cannabis- und
Kokainabhängigkeit bei Frauen eine stärkere
Bedeutung zukommt, als bei Männern
Auch bei Opiatabhängigkeit spielen genetische
Faktoren bei Frauen eine Rolle.
Ätiologie
Voraussetzung für die Sucht ist die „süchtige
Fehlhaltung“
Ihr dynamisches Prinzip äußert sich in dem
Bestreben, aus der unerträglich erscheinenden
Realität in eine erwünschte Scheinwelt zu
flüchten
Diese Fehlhaltung ist soweit verbreitet, dass sie
zu den Reaktionsformen des Menschen
überhaupt gerechnet werden muss
Ätiologie
Die Entstehung einer Sucht wird aus dem
Zusammenwirken vier Hauptfaktoren
erklärt:
Genetik
Persönlichkeit
Soziales Milieu (Modelllernen)
Art des Suchtstoffs oder der Droge
Verlauf
Probier- bzw Experimentierkonsum
Gelegenheitskonsum
Schädlicher Missbrauch
Gewohnheitskonsum
Abhängigkeitskonsum
Toleranzbildung (steigt zunächst, nimmt dann
später ab)
Wir unterscheiden psychische und körperliche
Abhängigkeit
Psychische Abhängigkeit ist Grundlage aller
Sucht (substanzgebunden und nicht
substanzgebunden)
Komorbidität
ADHS
Störung des Sozialverhaltens
Persönlichkeitsstörungen
Depressionen
Angststörungen
Folgen
Am Ende erreicht der Süchtige das
Gegenteil von dem, was er sich erhoffte
Alkoholismus
Rolle des Alkohols in unserer Gesellschaft
Definition nach Jelinek: Unter Alkoholismus versteht man
jeglichen Gebrauch von alkoholischen Getränken, der
einem Individuum oder der Gesellschaft oder beiden
Schaden zufügt
Formen des Alkoholismus:
Chronische Trunksucht
Spiegeltrinker
Dipsomanie / Quartalssäufer
Wirkung von Alkohol
Alkohol ist nicht nur ein Genussmittel,
sondern ein Psychopharmakon mit
Tranquilizereffekt
Setzt Spannung und Angst herab
Bekämpft Niedergeschlagenheit und
Missempfinden
Hebt kurzzeitig das Selbstwertgefühl
Hilft, Einschlafschwierigkeiten zu
überwinden
Alkoholmissbrauch
Alkoholmissbrauch wird gefördert durch:
Gesellschaftlichen Trinkzwang
Koma Saufen
Flat-Rate-Partys
Alko Pops ( nach Preissteigerung weniger
geworden! )
Verharmlosung („Mixery“ ist kein Alkohol)
Alkoholmissbrauch
Je jünger der Alkoholkonsument ist, je
größer ist die Gefahr, eine Suchtkrankheit
zu entwickeln
Der Übergang in die Sucht ist fließend,
heimliches Trinken und Leugnen der
Problematik sind gefährliche Anzeichen
Es finden sich viele körperliche,
psychische und soziale Folgeschäden
Folgeschäden
Magenbeschwerden, Leberschädigung,
Impotenz, Nervenschädigungen, alkoholische
Psychosen, toxische Hirnschädigung,
Alkoholembryopathie
Stimmungslabilität, Interessenverlust, Lügen,
später Wesensänderung
Vernachlässigung und Verlust von Beziehungen,
Verlust der Leistungsfähigkeit,
Verlust von Schul- und Arbeitsplatz,
Invalidität
Diagnostik
Ausführliche Anamnese, auch
suchtspezifisch
Psychopathologischer Befund
Körperliche Untersuchung
Laboruntersuchungen ( Toxikologie,
Blutspiegel, Leberwerte, Pankreaswerte )
Therapie
Entgiftung und Entzug
Medikation
Psychotherapie
Soziotherapie
Selbsthilfeorganisationen
Alkoholische Psychosen
Der einfache Rausch
Der komplizierte Rausch
Der pathologische Rausch
Praedelir, Delir
Alkoholische Halluzinose
Eifersuchtswahn
Korsakow - Syndrom
Cannabis
Wird aus verschiedenen Hanfsorten
gewonnen. Die getrockneten und
zerkleinerten harzhaltigen Blüten und
kleinen Blätter werden Marihuana genannt
und zu den Produkten Haschisch und
Haschischöl weiterverarbeitet.
Hauptwirkstoff sind die Cannabinoide,
insbesondere Tetrahydrocannabinoid
(THC)
Wirkung
Cannabis beeinflusst das Zentralnervensystem
Schmerzlindernd (Analgetikum)
Relaxierend
Sedierend
Antiemetisch
In höheren Dosierungen wird von
halluzinatorischen Eigenschaften berichtet
Die Wirkung dauert in der Regel 3-4 Stunden,
bei oralem Konsum werden aber auch längere
Zeiträume berichtet
Warum darf man Tiere töten und essen,
aber nicht Pflanzen pflücken und rauchen?
Cannabis
Macht Cannabis abhängig?
Entstehen durch Cannabismissbrauch
Psychosen?
Einstiegsdroge?
Kombination mit Amphetamin
Veränderungen der Leistungsfähigkeit,
insbesondere bei jugendlichen Konsumenten
(WLD, VG im HAWIK IV ), Ergebnisse von
Langzeitstudien (Thomasius)
Hinweise auf Cannabismissbrauch
Die Zeichen sind sehr heterogen
Konzentrationsschwäche und Unruhezustände
Stimmungsschwankungen
Interessenverlust
Schulschwierigkeiten / Leistungsknick
Freunde aus der „Szene“
Sozialer Rückzug, Apathie
Verwahrlosung, Vernachlässigung der
Körperhygiene
Weitere Drogen
Amphetamine ( Speed, Pep )
Ecstasy
Chrystal Meth
Halluzinogene (z.B. LSD )
Opiate ( Heroin )
Kokain
Medikamente ( Tranquilizer, Barbiturate,
Analgetika )
Pilze, Engelstrompeten
Räucher- und Kräutermischungen
Spice
Maya Räuchermischung
Jamaica Gold Extreme
Monkees go Bananas
Lava red
Führen oft zu erheblichen
Rauschzuständen mit illusionären
Verkennungen und Halluzinationen
Nikotin
Entstehung und Verlauf
Motivation – Stressabbau
Nebenwirkungen ( Bronchitis,
Magenbeschwerden, Hypertonie,
Herzinfarkt, Lungenkarzinom )
Prävention
Entwöhnung
Spielsucht
Verschiebung der klassischen Spielsucht bei
Erwachsenen ( Automaten, Spielkasino ) bei
Jugendlichen auf Videospiele ( besonders
interaktive Spiele haben ein hohes
Suchtpotential, z.B.WoW)
Leichte Zugänglichkeit
Anonymität
Scheinerfolge
Gefahr des Abdriftens in eine Scheinwelt
Umgang mit Suchtbetroffenen
Offenes Ansprechen
Schweigen hilft keinem und ist kein
Freundschaftsdienst
Moralisieren und Katastrophieren
vermeiden
Hilfsangebote aufzeigen
Vorstellung bei Arzt des Vertrauens
und/oder Suchtberatungsstellen
Prävention
Kinder brauchen seelische Sicherheit
Kinder brauchen Aufmerksamkeit und
Bestätigung
Kinder brauchen Freiraum und Beständigkeit
Kinder brauchen realistische Vorbilder
Kinder brauchen Bewegung und richtige
Ernährung
Kinder brauchen Freunde und eine
verständnisvolle Umwelt
Kinder brauchen Träume und Lebensziele
Prognose
Frühe Intervention verspricht bessere
Therapieerfolge
Behandlung komorbider Erkrankungen ist
wichtig ( ADHS, Störung des
Sozialverhaltens, Depressionen,
Angststörung,BPS )
Schutzfaktoren sind gute Intelligenz und
vorhandene familiäre und soziale
Bindungen
Ich danke für Ihr Interesse