Das Gute ist verletzlich. Ein Osterbild - lu

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Das Gute ist verletzlich. Ein Osterbild - lu
Thema.
| Samstag, 4. April 2015 | Seite 2
Warum hat der Engel die Augen verbunden? Klebt Blut an seinem Flügel? Wer ist der schwarz Gekleidete?
Das Gute ist verletzlich. Ein Osterbild
Von Gottfried Locher
Wer sich bei einem Finnlandbesuch die
Mühe macht, von Helsinki aus ins Hin­
terland zu fahren, kommt nach Tam­
pere, ins «Manchester des Nordens»,
eine Industriestadt. Hier steht eine
hochgeschossene, relativ junge Kathe­
drale, Sitz des lutherischen Bischofs,
erbaut zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
Im Innern offenbart sich die geheimnis­
volle Welt des Malers Hugo Simberg
(1873–1917). Keine Wand, auf die
nicht seine rätselhaften Bilder gemalt
sind, eines davon «Der verwundete
Engel» (1903). Vor ein paar Jahren ist
es zum beliebtesten Gemälde des Lan­
des erkoren worden. Simberg hat
bewusst auf eine Deutung verzichtet.
Wir wagen eine Annäherung und
beginnen, weil Ostern ist, ganz woan­
ders: am leeren Grab in Jerusalem.
Bote mit Botschaft
«Nach dem Sabbat aber, beim
Anbruch des ersten Wochentages,
kamen Maria aus Magdala und die
andere Maria, um nach dem Grab zu
sehen. Und siehe da: Es gab ein starkes
Erdbeben, denn ein Engel des Herrn
stieg vom Himmel herab, kam und
wälzte den Stein weg und setzte sich darauf. Seine Erscheinung war wie ein Blitz
und sein Gewand weiss wie Schnee. Die
Wächter zitterten vor Angst und erstarrten. Der Engel aber sagte zu den Frauen:
Fürchtet euch nicht!» (Mt 28,1–5)
Der schneeweisse Engel: Er begeg­
net uns schon hier, zu biblischen Zei­
ten, lange bevor er dann in Simbergs
Bild wieder auftaucht. Er ist ein «angelos», griechisch für Bote, ein Botschaf­
ter des Himmel. Seine Botschaft:
«Fürchtet euch nicht!»
Wir sehen den Engel
nicht. Wir kennen noch
die Botschaft, aber nicht
mehr den Botschafter.
Ich kenne keine kürzere, exaktere,
treffsicherere Formel für das, was
Ostern bedeutet. «Fürchtet euch nicht!»
Das sagt der Engel ausgerechnet am
Grab, ausgerechnet am hoffnungsloses­
ten aller Orte. Und ausgerechnet Maria
von Magdala, einer der treusten Beglei­
terinnen Jesu, gelten diese Worte.
«Denn ich weiss, ihr sucht Jesus, den
Gekreuzigten. Er ist nicht hier, denn er
ist auferweckt worden, wie er gesagt
hat.» Maria Magdalena steht stellver­
tretend für all jene, deren Welt mit dem
Tod ihres Hoffnungsträgers am Kreuz
zusammengebrochen ist. «Er ist nicht
hier.» Wie reagiert sie, wie reagiert
irgendjemand auf solch grosse, gross­
spurige Worte?
Kopfschütteln wäre angebracht,
Widerspruch oder pures Gelächter
auch nicht fehl am Platz. Es gab
damals – und es gibt heute – jede
Menge angeblicher Gottesboten, die
einem das Blaue vom Himmel herunter
versprechen. Warum sollte gerade die­
ser hier nicht lügen? Wir wissen es
nicht. Nur, dass offensichtlich weder
Maria Magdalena noch sonst jemand
einen Grund hatte, ihn auszulachen.
Niemand zweifelte an der Glaubwür­
digkeit dieses Engels, sie war im Gegen­
teil erschreckend klar: «Die Wächter zitterten vor Angst und erstarrten.» So
sehr, dass sie gesagt bekommen muss­
ten: Fürchtet euch nicht! Hier ist einer
dem Tod entronnen, und ihr werdet es
auch. Denn der Tod hat nicht das letzte
Wort. Sagte der Engel, damals am
Ostermorgen.
Engel, verflogen
Seither ist viel Wasser den Rhein
hinuntergeflossen. Und irgendwie kann
ich mich des Eindrucks nicht erwehren,
dass jener Engel aus unserem Blickfeld
verschwunden ist. Hat er sich verflüch­
tigt? Hat er sich verflogen? Sicher, seine
Worte klingen noch nach. Die Botschaft
ist noch hörbar. Treu und tapfer wird sie
weitergegeben, von Eltern an ihre Kin­
der, von Pfarrerinnen an ihre Kirchge­
meinden und gelegentlich sogar von
Theologieprofessoren an ihre Studie­
renden. Das ist nicht nichts. Und doch
ändert das nichts daran: Wir sehen den
«Fürchtet euch nicht» Der schneeweisse Engel des Malers Hugo Simberg begegnet uns schon zu biblischen Zeiten.
Engel nicht. Wir kennen zwar noch die
Botschaft, aber nicht mehr den Bot­
schafter, nicht jenen Engel, der zu den
Frauen am Grab sprach. Was ist eine
Botschaft ohne Botschafter?
Engel, verwundet
Zurück ins Bild: Der Engel hat die
Augen verbunden. Warum? Sind sie
verletzt? Wurde er geblendet? Und der
linke Flügel ist lädiert, Blutspuren viel­
leicht, in die Federn wurde ein Loch
gerissen – ein Kampf? Mit wem sollte
ein Engel je kämpfen müssen? Sanft,
geradezu delikat sieht er aus, zudem ist
er barfuss, nicht wirklich gemacht für
das steinige irdische Leben. Und doch
kennt er es: In der rechten Hand hält er
Blumen, frisch gepflückte. Also war er
doch da, ganz auf der Erde, ganz unten.
Dieser Engel ist anders, schnee­
weiss zwar wie der Engel des Matthäus
am leeren Grab, ansonsten aber ganz
anders, nicht stark noch angsteinflös­
send noch mitteilungsbedürftig. Und
doch auch nicht einfach eine Handvoll
Elend, durchaus grazil, verletzt zwar,
aber mit ungebrochener Ausstrahlung.
Dieser Engel ist sehr verletzlich und
gerade deshalb sehr schön. Etwas Hei­
les, Heiliges vielleicht, spricht aus ihm,
all seinen Verletzungen zum Trotz.
Freundlich, zärtlich, geheimnisvoll ist
dieser Schweigende.
Matthäus und Simberg, zwei ver­
schiedene Engel? Der biblische
Osterengel in Ehren, er hat seinen ein­
zigartigen Platz in der Heilsgeschichte.
Aber ich wüsste nicht, dass er seither je
wieder vor einem leeren Grab gestan­
den und die Auferstehung verkündigt
hätte. Seither ist er niemandem mehr
über den Weg geflogen, der kraftstrot­
zende, Grabstein wegräumende, Angst
einflössende Himmelsstürmer. Anders
der Simberg­Engel, den kenne ich sehr
wohl. Er ist auch schon vor mir gestan­
den, freilich nicht in Schneeweiss, son­
dern verwahrlost. Die Kleider schäbig,
das Gesicht zerfurcht und statt schwei­
gend mit schriller Stimme.
Aber gebeugt war er – sie, die alte
Frau, die an der Pfarrhaustüre klin­
gelte, verwundet von einem schweren,
zu schweren Leben. Nicht alles hat sie
mir erzählt. Aber ihre Augen konnten
nicht verbergen, dass sie Schreckliches
gesehen hatten. Sie tränten, wohl auch
die inneren. Ihre Flügel waren gebro­
chen, vor lauter Gebresten konnte sie
sich nicht mehr gut bewegen.
Vielleicht ist der Engel
auf Erden geblieben,
bei den Menschen.
Wer weiss.
Und doch: Die Frau hatte Ausstrah­
lung. Sie konnte wunderbar malen und
dichten. Sie hatte eine Kraft, die mich
faszinierte. Sie berührte mich mit ihren
Lebensweisheiten. Sie kannte die Welt
besser als der junge Mann, der ich
damals war. Sie hat mich gelehrt, wel­
che Kraft in vermeintlich Schwachen
steckt. Wir wurden Freunde. Ich habe
sie, Jahre später, in Riehen beerdigt.
Der Simberg­Engel: Er ist nicht mächtig
nach menschlichem Ermessen, doch
aus ihm spricht eine Kraft – die ist nicht
von dieser Welt. Er ist verwundet,
gebrochen und gebeugt, aber es steckt
The Wounded Angel by Hugo Simberg 1903. © Ahlström Collection
eine geheimnisvolle Güte in ihm. Mat­
thäus und Simberg, zwei verschiedene
Engel? Wer weiss das schon. Vielleicht
ists immer derselbe, jener damals am
leeren Grab und jener heutige, der Ver­
wundete. Vielleicht ist der Engel auf
Erden geblieben nach seinem epocha­
len Botschafterdienst, bei den Men­
schen, hat begonnen, mit ihnen zu
leben, hat begonnen, mit ihnen zu lei­
den. Und der Maler hat ihn dabei fest­
gehalten? Wer weiss.
Ostern, die Doppelbotschaft
Eines aber ist offensichtlich: Auch
der verwundete Engel sagt etwas über
Ostern. Denn nur ein religiöser Eiferer
könnte die Augen verschliessen vor der
simplen Tatsache, dass die Osterhoff­
nung bisher eben nur genau das geblie­
ben ist: eine Hoffnung. Ausser Jesus ist
niemand auferstanden. Sicher, der Tod
hat nicht das letzte Wort, das ist die
fröhliche Hoffnung. Aber er hat sehr
wohl das vorletzte, und das ist die trau­
rige Wirklichkeit. Davon spricht das
Bild. Die Osterhoffnung ist nicht naiv.
Hier auf Erden bleibt alles vom Tod
bedroht, restlos alles, sogar dieser
Engel. Der Engel ist eher noch stärker
gefährdet als die Menschen, sagt das
Bild. Denn wer nicht gelernt hat, sich
zu wehren, wer nicht selber drein­
schlägt, der wird erst recht geschlagen.
Wer nicht ist wie die Welt, wer nicht ist
von der Welt, der wird leiden. Das Gute
ist verletzlich. Dieser gemalte Engel hat
keine Botschaft, die er lauthals verkün­
digen müsste, er ist – schweigend – sel­
ber die Botschaft. Er ist sanft, gewaltlos
und unschuldig. So ist jedes wahre
Wort von der Auferstehung immer auch
ein Wort von der Welt, wie sie wirklich
ist. Der Tod hat nicht das letzte Wort.
Aber wer von Ostern spricht, sollte den
Karfreitag nie vergessen.
Ostern, das Geheimnis
Und noch einmal ins Bild: Die bei­
den Männer – oder sind es noch
Buben? – ganz in Schwarz, Anzug mit
Hut der eine, ausdrucksloses Gesicht,
ein Gerichtsvollzieher? Der Tod in Per­
son, schwarz­weiss kontrastierend mit
dem unschuldigen Leben? – Und
schliesslich ... ein Mensch, einer der
mich anschaut, traurig, zornig, ver­
zweifelt? Macht er mir einen Vorwurf?
Kann ich etwas für des Engels Wunden?
Ein Mensch ... ich selber?
Das Bild bleibt geheimnisvoll,
gerade deshalb sagt es etwas über die
Auferstehung. Ostern ist und bleibt ein
Geheimnis. Jede angeblich allgemein­
gültige Erklärung, jede angeblich allge­
meingültige Beschreibung wird daran
scheitern, dass wir alle dieses Bild
anders betrachten. Es würde mich
überraschen, wenn Sie sich, liebe Lese­
rin, lieber Leser, nicht längst ihre eige­
nen Gedanken machen würden. Das
Bild wird Sie anders berühren als mich.
Auf der Spurensuche können wir einan­
der vielleicht helfen. Aber welcher Sie
dann folgen, das ist Ihre Sache. Das gilt,
gut reformiert, auch für den Glauben.
Lassen Sie sich einfach mit auf den Weg
geben, was dieser verwundete Engel
uns sagt: dass das Gute verletzlich ist.
Erst von dort aus erschliesst sich der
Weg zu Ostern. Und Ostern, das ist,
worauf wir zugehen, ein Leben lang.
Gottfried Locher ist Präsident des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes.

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