Halb Dandy, halb Nosferatu

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Halb Dandy, halb Nosferatu
Halb Dandy, halb Nosferatu
Minimalistischer als Nick Cave: Zum Tod von Rowland S. Howard
Von Robert Mießner
An manchen Tagen möchte man auf dem Bürgersteig willkürlich Passanten anhalten und den Inhalt
ihrer Einkaufstüten auf kulturelle Relevanz hin überprüfen: »Das alles da kann weg, ist reif für die
Tonne.« Man müßte ihnen dann, eh sie noch protestieren können, einen blauen Schein in die Hand
drücken und die Überrumpelten in den nächsten Plattenladen schicken. Wo sie mit etwas Glück auf
eine Band mit dem erst mal Frohsinn verheißenden Namen The Birthday Party stoßen würden.
Zumeist stehen sie unter »C« wie Nick Cave. Den kennen auch unsere Passanten. Sie oder er
würden dann, wenn der Laden richtig gut ist, ein Livealbum finden. »It’s Still Living« heißt es. Auf dem
Rückcover trägt Cave ein T-Shirt, das verkündet »I Hate Every Cop In This Town. A Good Cop Is A
Dead Cop!« Und links hinter ihm steht ein schmaler, dunkelhaariger Dreiundzwanzigjähriger: Rowland
S. Howard, halb Dandy, halb Nosferatu, schaut durchdringend aus dem Foto, und es ist klar: Das wird
nichts mit dem Frohsinn.
The Birthday Party aus Melbourne, später London, dann Westberlin, werden gerne als Post-Punk
verbucht. Ein grauschwarzes Genre, in das die zumeist in grelle Höllenfarben verpackten Platten der
Band, die ihren Namen von Dostojewski borgte, passen und wieder nicht. Gut, The Birthday Party
schonten weder sich noch ihr Publikum, soffen, nahmen Drogen, als wäre darauf ein Aktivistenorden
ausgesetzt, und sangen von der Liebe zu einer Puppe. Daß sie aber eigentlich eine ultramoderne
Bluesband waren, das ist auch Howards Leistung gewesen. Sein nur scheinbar chaotisches
Gitarrenspiel, ein rasiermesserscharfer Sound aus Hunderten Rückkopplungen und Stromstößen,
hätte nicht schlecht zu Captain Beefheart’s Magic Band gepaßt. Und Howard war ein Songschreiber.
Birthday-Party-Tracks wie »Guilt Parade«, »Waving My Arms«, »The Red Clock«, »Death By
Drowning«, »The Dim Locator« oder »Several Sins« sind seine. Wer Fatih Akins »Gegen die Wand«
gesehen hat, hat auch »Ho-Ho« von »Prayers On Fire« gehört. Auf demselben Album ist »Dull Day«,
ein einfaches Lied von jugendlicher Bedrängnis, einem dunklen Tag und dem Leben nach
Sonnenuntergang. Es sind dann aber Caves Gesang und Howards Musik, die dafür sorgen, daß man
sich noch Jahrzehnte nach dem Kauf der Platte daran erinnern kann, wann und wo man das tat und
wie man sie das erste Mal hörte. Melancholie ist darin und ein verhaltener Zorn.
Weniger verhalten, gelegentlich auch markerschütternd ist »Honeymoon In Red«, ein Album, das
Lydia Lunch 1982 mit Mitgliedern von Birthday Party einspielte und erst 1987 veröffentlichte. Rowland
S. Howard ist omnipräsent, Cave und Mick Harvey treten nur unter Pseudonymen auf. Ohne Howard
wüßten heutige Hipster nicht, wer Lee Hazlewood war: Die CD-Version enthält als Bonus eine
Coverversion von »Some Velvet Morning«, auf der Lunch und Howard in die Rollen von Nancy Sinatra
und Lee Hazlewood schlüpfen. Die Single kam 1982 heraus.
Ein Jahr später zerbrach The Birthday Party. Howard spielte auf Nick Cave & The Bad Seeds »Kicking
Against The Pricks« und auf Crime & The City Solutions »Room Of Lights« (1986), arbeitete mit Nikki
Sudden und wurde bei These Immortal Souls gar selber Frontmann. Es ist nicht uninteressant, einmal
seinen Gesang mit dem von Nick Cave zu vergleichen. Cave deklamiert, sehr expressiv und intensiv.
Howards Stimme war etwas anders, minimalistischer, monotoner aber nicht minder effektiv. 1991
dann, nach dem zweiten Golfkrieg, nahmen Lydia Lunch und Rowland S. Howard »Shotgun
Wedding« auf. Sie selbst nennt es eines ihrer besten Alben.
Ansonsten wurde es in den Neunzigern still um Rowland S. Howard. Er lebte kein Luxusleben und
ging ruinös mit seiner Gesundheit um. Als er 2000 sein erstes richtiges Soloalbum »Teenage Snuff
Film« herausbrachte, waren selbst langjährige Fans überrascht. Umso mehr, als sie darauf einen Titel
wie »White Wedding« fanden. Und ja, es ist der Billy-Idol-Hit, und er stand Howard gar nicht schlecht.
Ihm ist dann in den letzten Jahren fast so etwas wie ein kleines Comeback gelungen. Die Jugend
entdeckte ihn, und Howard fand das gut. Im vorigen Jahr erschien »Pop Crimes«, sein zweites
Soloalbum, für das er durch die Bank gute und begeisterte Kritiken bekam. Er hat daran gearbeitet mit
dem Wissen, daß seine Zeit knapp wurde. Howard wartete auf eine Lebertransplantation. Diagnose
Krebs. Kurz vor Silvester ist Rowland S. Howard in Melbourne im Alter von 50 Jahren gestorben. Das
Begräbnis ist am Donnerstag. Passanten im Nordosten Berlins können beruhigt sein. Ich werde den
Tag zu Hause verbringen.
(junge Welt, 06. Januar 2010)