Immer schneller, höher, weiter

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Immer schneller, höher, weiter
In der Praxis
Elektrische Antriebstechnik
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04/2005
Linearantriebe
Auch wenn hier augenscheinlich die Hydraulik den Ton angibt – in Fahrgeschäften sorgen immer häufiger Linearmotoren für Beschleunigung.
Immer schneller, höher, weiter
Auf Rummelplätzen und in Freizeitparks wird aufgerüstet
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Vergnügen ist ein hartes Geschäft. Wer mit Fahrgeschäften und Freizeitanlagen Geld verdienen will, muss den Nervenkitzel ständig steigern.
von Michael Pyper
Harte Anforderungen an die Antriebstechnik.
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Wenn es darum geht, Freizeitanlagen in Bewegung zu versetzen, wird alles
aufgeboten, was an Antriebstechnik heute
auf dem Markt ist. Neben traditionellen
Ketten, Seilen oder Reibradantrieben sorgen immer haufiger Linearmotoren sowie
hydraulische und pneumatische Antriebe
für Beschleunigung.
„Bei den neuesten und spektakulärsten
Achterbahnen wird mit Hydraulikspeicher
oder Linearmotoren gearbeitet“, weiß Andreas Wild, Geschäftsführer des Ingenieurbüros Stengel in München. Firmengründer
Werner Stengel gilt als Guru der Branche.
Gerade von der Universität mit der Ehren-
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doktor-Würde ausgezeichnet, berät er seit
über 40 Jahren alle großen Hersteller von
Freizeitanlagen. 460 Achterbahnen und
über 600 weitere Anlagen sind in dieser
Zeit entstanden.
Der Trend in der Antriebstechnik gehe
eindeutig, so Wild gegenüber unserer Zeitschrift, zur Lineartechnik und Hydraulik.
Direktantriebe ersetzten klassische MotorGetriebe-Kombinantionen, auch wenn diese „im Augenblick noch ein bisschen teurer
sind, aber die Technik wird zunehmend
billiger.“ Und damit sei auch schon die
Hauptaufgabe für die Antriebshersteller
definiert: „Um den Trend weiterzuführen,
muss die Antriebstechnik generell günstiger werden“, urteilt Wild.
Wohl am spektakulärsten sind die Achterbahnen, mit denen sich nicht zuletzt
US-amerikanische Vergnügungsparks seit
Jahren wahre Materialschlachten liefern.
Die klassischen Achterbahnen nutzen
noch so genannte „Anlaufhügel“, auf den
die Wagen mittels umlaufender Kette
hochgezogen werden. Oben angekommen, klinken sie aus und schießen in die
Tiefe. Heute jedoch muss der Thrill sofort
beginnen. Moderne Bahnen schießen die
Passagiere mit rennwagengleicher Beschleunigung weit über 100 Meter empor.
Ordentlicher Nervenkitzel
Eingeführt hatte diesen „Katapultstart“
Mitte der 70er-Jahre ein Deutscher: Anton
Schwarzkopf, ebenfalls ein legendärer
Achterbahn-Pionier, der zusammen mit
Werner Stengel ein kongeniales Duo bildete. Schon damals hätte er gern Linearantriebe eingesetzt, sie waren allerdings
Elektrische Antriebstechnik
noch unerschwinglich. Stattdessen ließ er
ein tonnenschweres Gewicht von einem
Turm fallen, das den Achterbahnzug per
Seil beschleunigte.
Eine Weiterentwicklung arbeitete mit
einer ebenfalls mehrere Tonnen schweren
Stahlscheibe, die von einem Elektromotor
auf Touren gebracht und so mit potenzieller Energie aufgeladen wurde. Hatte die
Schwungscheibe eine bestimmte Drehzahl
erreicht, verband eine Rutschkupplung
Schwungscheibe und Zugseil. Damit konnte der Achterbahnzug in nur 4 s auf 85
km/h beschleunigt werden. Das reicht
auch heute noch für ordentlichen Nervenkitzel, geht allerdings zu Lasten der
Rutschkupplung, die immensem Verschleiß unterworfen ist.
Eckwerte mit Transrapid vergleichbar
Die Stunde des Linearantriebs schlug Anfang der 90er Jahre, wie im Fachmagazin
‚Coasters and more’ nachzulesen ist. Doch
erst einmal gab’s Schwierigkeiten mit den
Stromversorgern. Der Antrieb zog während des Starts kurzzeitig Leistung im Megawattbereich aus dem Netz – was bis zum
Netzzusammenbruch führen konnte. Gewaltig und teuer präsentierte sich auch die
dazu gehörige elektrische Ausrüstung mit
Umrichtern, die wirtschaftlich kaum noch
darstellbar waren.
Die Eckwerte heute eingesetzter Linearantriebe sind durchaus mit denen der
Magnetschwebebahn Transrapid vergleichbar, wobei es allerdings weniger auf
In der Praxis
04/2005
nigt – innerhalb von nur 2,5 Sekunden auf
über 170 km/h. Gut für das Stromnetz: Die
Elektropumpen, die den Druck aufbauen,
benötigen relativ wenig Strom. Gut für den
Betreiber: Der Verschleiß soll sich in engen
Grenzen halten.
„Die installierte Antriebsleistung nimmt
kontinuierlich zu.“
Uwe Weihe, Simtec
Spitzengeschwindigkeit als viel mehr auf
Beschleunigung ankommt. Beim ‚Superman - The Escape’, der im kalifornischen
Six Flags Magic Mountain Park steht, beschleunigt der Linearantrieb das Fahrzeug mit maximal 1,5 g auf 160 km/h, bevor es über 100 m senkrecht aufwärts
schießt.
Eine weiterer Ansatz: Pneumatik. 1999
stellte das US-amerikanische Unternehmen S&S Power Inc. den ‚Thrust Air’ vor.
Der Trick: Gase werden unter hohen Druck
gesetzt und strömen bei Freigabe durch einen Druckzylinder, durch den statt einer
Kolbenstange ein Seil läuft. Über Mitnehmer am Seil wird das Fahrzeug beschleu-
Hohe Leistungsdichte der Hydraulik
Wo Pneumatik funktioniert, ist Hydraulik
nicht weit. Und so entwickelte das Schweizer Unternehmen Intamin AG eine Katapultwinde auf Basis hydraulisch betriebener Motoren. Der ‚Rocket Coaster Xcelerator’ erreicht nach nur 50 m in 2,3 s satte
131 km/h. Kern ist eine Hydraulikwinde,
die zwei Stahlseile aufwickelt, an deren
Ende ein Schlitten befestigt ist, in den der
Zug eingehängt wird. Ist die Höchstgeschwindigkeit erreicht und der Zug ausgeklinkt, sorgt Wirbelstrom für das Abbremsen des Schlittens.
Hydrospeicher liefern den nötigen
Druck von etwa 300 bar. Pumpen füllen
sie mit Öl, das gegen Stickstoff drückt.
Stickstoff deshalb, weil es gut komprimierbar ist und den Druck gut aufnehmen kann. Bei Freigabe schießen 22 500
Liter Öl pro Minute durch zehn radial an
der Winde sitzende Innenzahnradmotoren, die zehn Megawatt Leistung über
seitlich angebrachte Zahnräder auf die
Winde übertragen – eine Leistungsdichte,
die einen Elektroantrieb von vornherein
ausschließt.
Das System wurde kontinuierlich weiter
entwickelt und fand seine vorläufige Spit-
Technik im Detail
Deutschland hat Vorbildcharakter
Mit welchen immer wieder auftretenden
Schwächen denn ein TÜV-Prüfer im Zusammenhang mit Vergnügungsparks grundsätzlich konfrontiert wird, wollte die Redaktion
von antriebspraxis wissen. Peter Leutensdorfer vom TÜV Süd antwortet: „Die wiederkehrenden Prüfungen decken natürlich Mängel
auf, die nachgebessert werden müssen. Dabei
handelt es sich aber in der Regel um Schäden,
die wegen der rechtzeitigen Erkennung noch
keine Gefahr darstellen. Das ist eine positive
Folge der in Deutschland vorgeschriebenen
Prüfung durch unabhängige Prüforganisationen in ausreichend kurzen Zeitintervallen. Bei
komplexen Fahrgeschäften beträgt das Intervall beispielsweise nur ein Jahr. Insgesamt
gesehen sind die Fahrgeschäfte hier in einem
sehr guten Zustand. Das liegt an dem festen System von Prüfungen und Prüfintervallen und an
den weit entwickelten Normen und Richtlinien,
bei denen Deutschland einen absoluten Vorbildcharakter hat. Bei einigen Vergnügungsparks
ist es sogar Praxis, dass die Betreiber ihre Anlagen zum Teil in kürzeren Intervallen als vorgeschrieben prüfen lassen und dass unsere Experten zu einer jährlich wiederkehrenden Prüfung
von Parkanlagen angefordert werden, obwohl
die Verordnungen mehrjährige Abstände erlauben würden.
Bei der Abnahme einer neuen Anlage prüft
der TÜV Süd zunächst die Konstruktionszeichnungen und die statischen Berechnungen bis ins Detail. Bild: TÜV Süd
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Linearantriebe
ze mit dem in diesem Jahr in Betrieb genommenen Kingda Ka im Six Flags Great
Adventure Park, New Jersey. Dort werden
Abschussgeschwindigkeiten von über 200
km/h erreicht, um den 139 m hohen Maximalpunkt zu erklimmen.
Hydraulik ist auch bei den immer beliebter werdenden Simulatoren im Spiel,
allerdings in Form von Zylindern. Extreme Realitätsnähe garantiert die Simtec
Simulation Technology GmbH. Das
Unternehmen mit Sitz am Forschungsflughafen Braunschweig ist groß gewor-
den mit Simulatoren für die Fahr- und
Flugzeugindustrie. Die dort gewonnenen
Kenntnisse fließen ins Entertainment-Geschäft ein.
In der Bewegungssimulation komme es
vor allem auf möglichst naturgetreue positions-, kraft-, druck- und beschleunigungsgeregelte Bewegungen an. „Bei Anwendungen im Entertainment setzen wir überwiegend hydraulische Antriebstechnik ein,
da sie gleich mehrere Vorteile bietet“, erläutert Uwe Weihe, bei Simtec zuständig
für Marketing und Verkauf. Weihe führt an
Interview
TÜV Süd kontrolliert und berät
Der TÜV Süd gilt als Kompetenzzentrum für
Fahrgeschäfte und Vergnügungsparks. Welche Dienstleistungen bieten Sie?
Das reicht von der frühzeitigen Begleitung und
Abstimmung bei der Entwicklung von Fahrgeschäften über die Abnahme von neu entwickelten Geräten nach nationalen und internationalen Standards wie DIN, EN und ASTM sowie unserem Qualitätszertifikat ‚TÜV SÜD – Sicherheit
geprüft’ bis zur Durchführung der vorgeschriebenen wiederkehrenden Prüfungen.
Wie geht ein Sachverständiger bei der Neuabnahme grundsätzlich vor?
Wir prüfen zunächst die Konstruktionszeichnungen und die statischen Berechnungen bis
ins Detail. Danach finden Überprüfungen der
Fertigung und – wenn nötig – Bauteilversuche
statt. Zuletzt wird die Anlage inklusive aller sicherheitsrelevanten Teile und Funktionen getestet – also der tragenden Bauteile sowie der
elektrischen, hydraulischen und pneumatischen Einrichtungen. Wenn erforderlich, führen wir Ultraschall- oder Röntgenprüfungen
an wichtigen Bauteilen durch. Hinzu kommen
Fehlersimulationen an den Steuerungs- und
Überwachungseinrichtungen.
Wie unterscheiden sich davon die wiederkehrenden Prüfungen?
Die Anlage muss in allen Aspekten mit der ursprünglich geprüften technischen Dokumentation und den darin festgelegten Funktionen,
Geschwindigkeiten und Beschleunigungen
übereinstimmen. Das wird neben dem allgemeinen Zustand geprüft. Abweichungen oder
Modifikationen bedürfen einer neuen, grundsätzlichen Überprüfung und Zustimmung.
Die Globalisierung führt zu immer mehr zeitlichem und finanziellem Druck. Wir beobachten
zunehmend, dass neue Anlagenkonzepte im
ersten Anlauf nicht dem Stand der Technik,
der Normung und dem zu fordernden Sicherheitsniveau entsprechen. Dann ist ein etwas
weiterer Weg in der gegenseitigen Abstimmung mit unseren Experten aus der Mechanik
oder der Elektro- und Steuerungstechnik zurückzulegen, um eine attraktive und funktionsfähige, aber vor allem auch sichere Anlage zu bekommen. Unsere Fachleute haben
sich in der Branche eine hohe Anerkennung
erarbeitet, die weit über die Anwendung von
Normen und Regelwerken hinausgeht.
Beeinflussen Sie dadurch auch Neu- und
Weiterentwicklungen?
Viele Hersteller beziehen unsere Experten bereits in der Planungs- und Entwicklungsphase
ein. Wir prüfen die Konstruktionszeichnungen
und statischen Berechungen, beraten den
Hersteller bei mechanischen, elektrischen und
schweißtechnischen Fragestellungen und führen auch ergonomische Untersuchungen und
Risikoanalysen durch. So gestalten wir im
Rahmen der Erstabnahme beispielsweise
auch die Betriebsvorschriften mit.
Installierte Leistung geht noch oben
Der Trend gehe allgemein klar zu hochwertigen Antriebskomponenten. Die installierte Antriebleistung habe kontinuierlich zugenommen. „Für Lösungen in Freizeitparks werden zunehmend die technischen Möglichkeiten bis an die vom Gesetzgeber gestellten Rahmenbedingungen
ausgeschöpft“, konstatiert Weihe. Meist
handele es sich um Einzellösungen, für die
eine sehr hohe Verfügbarkeit gefordert
werde. Gar nicht so einfach in klassischen
Freizeitparks, wo meist das Umfeld für solche Hightech-Anlagen fehle. Darauf müssten die Hersteller mit neuen, wartungsarmen und instandsetzungsgerechten Lösungen reagieren.
Egal ob Fluidtechnik, Direktantriebe
oder auch weiterentwickelte klassische Lösungen, generell gilt: „Die übertragbaren
Leistungen sind gestiegen, die Bauräume
wurden verringert, der Anteil an Elektronik und Software im Antriebsmanagement hat zugenommen.“ Und so sieht Uwe
Weihe auch keine unmittelbare Verdrängung der Technologien: „Es gibt Anwendungen, bei denen die neuen Konzepte eine Lösung überhaupt erst ermöglicht haben.“
Webguide
www.coastersandmore.de
Coastersandmore
www.intaminworldwide.com
Intamin
www.s-spower.com
S&S Power
www.RCStengel.com
Ing.-Büro Stengel
www.simtec.de
Simtec Simulation Technology
www.tuev-sued.de
TÜV Süd-Gruppe
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ap0176
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Welche Schwächen stellen sie speziell bei
Antriebs- und Steuerungstechnik fest?
Peter Leutenstorfer, Abteilung ‚Fliegende Bauten’, TÜV Industrie Service GmbH im TÜV Süd.
Argumenten Attribute wie hohe Kraftreserven, feinfühlige Bewegungen, keine störenden Geräusche und Restwelligkeiten in
der Bewegung an. Entscheidend aber sei
neben den technischen Merkmalen das
Preis-/Leistungsverhältnis über die gesamte Betriebszeit.
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