Titanuki_Die Eibe als Bonsai ohne Kopfzeile.qxd.qxd

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von Reiner Vollmari
Geschichte der hier vorgestellten
D ieForsythie
ist schon sehr lang. Seit 22
Jahren pflege ich dieses Bäumchen und
habe seither immer wieder Reparaturarbeiten an ihrem Stamm vornehmen
müssen.
Im Clubheft Nr. 92, aus dem Jahre 2001
berichtete ich schon einmal über diese
Forsythie, dessen Geschichte ich nun weiter erzählen möchte.
1986 bekam ich die Forsythie in meinen
Besitz. Es dauerte einige Jahre bis ich die
jetzige Form durch verschiedenen
Die Forsythie im März 1993. Mit diesem Bild war ich bei den Gewinnern
eines Leserwettbewerbs der Zeitschrift
“Bonsai-Praxis workshop”.
Schnitttechniken provoziert hatte. Das
Problem seit jeher war das Totholz, was
vom Wuzelansatz ausging. Diese Wunde
war von Anfang an an dem Bäumchen
und wurde von mir über den ganzen
Stamm erweitert. In den ersten Jahren
bekam man noch kein Jinmittel zu kaufen.
Damals konservierte ich das Holz mit
Zitronensäure, was aber auf Dauer keinen
Schutz bot. So waren bald Reparaturarbeiten an dem Totholz nötig. Am
Stammfuß baute ich eine Prothese aus
Eibenholz ein, die mit Glasfaserspachtel
und einem Holzdübel befestigt wurde. So
war der untere Bereich auch über einen
längeren Zeitraum konserviert. Nur, dass
Holz der Forsythie ist sehr weich und zersetzt sich im Laufe der Jahre immer mehr.
Das passiert auch, wenn das Holz gut
geschützt ist und nicht fault.
So waren immer wieder Holzteile zu
ersetzen und der Stammshari verlor allmählich sein natürliches aussehen.
Im Jahr 2002 löste sich ein großer Teil des
unteren Holzes auf. Durch das jahrelange
auftragen von Jinmittel hatte sich eine
1995 war der Stammansatz verfault
und wurde mit Eibenholz repariert.
Eine Aufnahme von 1998. Bis dahin
waren
noch
einige
weitere
Reparaturarbeiten am Totholz nötig.
richtige Kalkschale auf dem Holz gebildet, ähnlich einer Eierschale. Diese brach
im Frühjahr dieses Jahres und es rieselte
pulvertrockener Holzstaub aus dem
Stamm. Man brauchte nur pusten und der
untere Stammbereich war hohl geworden.
Das ganze wurde dann noch einmal komplett mit Glasfaserspachtel ausgefüllt und
in Form geschliffen. Nun waren diese
Ausbesserungsarbeiten sehr deutlich zu
erkennen.
Der Baum hatte mir mehrere Preise eingebracht und da trennt man sich nur sehr
ungern von ihm. Er bekam eine art
“Gnadenbrot” auf meinem Bonsairegal.
Er war nicht mehr vorzuzeigen, aber er
war mir zu sehr ans Herz gewachsen als
das ich mich so einfach von ihm trennen
konnte.
So stand das Bäumchen weitere drei
Jahre auf dem Regal. In dieser Zeit wurde
das restliche Holz auch immer unansehnlicher. Aber die Forsythie zeigte mir auch
immer, dass sie noch nicht am Ende war.
So schön, wie in diesen drei Jahren hatte
sie vorher nie geblüht. Deshalb wollte ich
sie auch nicht aufgeben und wusste aber
nicht, wie ich sie zu neuem Glanz führen
könnte.
Im Frühjahr 2005 brach dann ein grosses
Stück Holz am Stammfuss weg. Dieser
Bereich gab dem Baum bisher immer
auch seine Standfestigkeit. Nun war der
Baum instabil und in Gefahr, dass er
ganz umbrach.
Da dieser Totholzbereich nun durch anflicken von anderen Holzstücken nicht
mehr zu retten war, fräste ich das restliche Totholz im unteren Stammdrittel
komplett aus. Nur ein kleiner Rest gesunden Holzes blieb stehen und der Stamm
war stellenweise nur noch 5 mm dick.
Damit die Forsythie nun nicht umbrach,
befestigte ich sie an einem Essstäbchen.
So blieb der Baum das ganze Jahr stehen
und ich wusste nicht, was ich nun mit ihm
machen sollte.
Anfang 2006 entfernte ich dann das
ganze Totholz, bis in die Spitze des
Baumes. Mir war nur klar, dass ich nicht
wieder Flickwerk machen wollte und
Holz einer anderen Baumart wollte ich
nun auch nicht wieder verwenden.
Damit das verbliebene Holz aber nicht
faulen konnte, versiegelte ich es komplett
mit Zweikomponentenharz. Das Harz
wurde so lange aufgetragen, bis eine
dicke Schicht das Holz bedeckte. So war
der Baum bestens geschützt und die
anschließende Blüte war besonders
Der untere Stammbereich ist weggebrochen. Dadurch wurde die Forsythie
instabil und stand nicht mehr fest auf
ihren Wurzeln.
Hier sieht man, dass der gesamte
untere Bereich nur aus Spachtelmasse
bestand. Das restliche Holz war butterweich.
Nach dem Fräsen. Der Stamm war
extrem dünn und drohte zu brechen.
schön. Der Baum forderte mich wohl auf,
mir über seine Zukunft mehr Gedanken
zu machen.
Ein Neuanfang
Da fiel mir wieder ein Gespräch ein, dass
ich mit Michael Tigges auf der langen
Autofahrt zur Sakka-Ten 2004 geführt
hatte. Da haben wir darüber gesprochen,
Ein verankertes Essstäbchen gab dem
Baum für den Rest des Jahres genügend halt. Es war eine vorläufige
Notlösung.
wie es wohl aufgenommen würde, wenn
man an einem Baum einen Jin- oder auch
Sharibereich einmal nicht aus Holz
gestalten würde, sondern man nähme
dazu geschliffenes Metall. Das würde
man in den Baum einbauen, sodass alles
natürlich verwachsen erscheinen würde.
Wäre das Kunst? Das Gespräch ging auch
soweit, dass wir feststellten, dass es viele
Menschen ja auch als sehr hilfreich empfinden, wenn kaputte Gelenke durch
Titanimplantate ersetzt würden. So etwas
gibt es ja teilweise sogar für Tiere.
Nun hatte ich einen Baum, der konnte
nicht mehr alleine stehen. Der
Totholzbereich musste ersetzt werden.
Die Forsythie sollte nun ein Tanuki werden.
Also sprach ich mit dem Michael Tigges
und er erinnerte sich auch gleich an unser
damaliges Gespräch. So nahm er den
Baum mit und wollte sich Gedanken
machen, ob ein Stammersatz aus Metall
überhaupt machbar ist. Erste Gedanken
gingen in die Richtung von einem
Bronzeguss. Das wäre aber sehr schwierig geworden, da Michael dann erst eine
Gussform von dem Stamm hätte machen
müssen.
2006, dass komplette Totholz ist bin
die Spitze des Baumes entfernt. Nur
eine sehr dünne Schicht stabiles Holz
blieb übrig.
Mit Zweikomponentenharz wurde das
Holz vor weiterem Verfall geschützt.
Vor dem anschließenden Umtopfen
blühte die Forsythie wieder sehr
schön.
Ein paar Wochen später
rief Michael an, um mir
mitzuteilen, dass er ein
Titanstück als Stammersatz formen wollte.
Nun sah ich für den Rest
des Jahres die Forsythie
nicht mehr.
Michael hatte sich eine
geradezu unglaubliche
Arbeit vorgenommen.
Wer Titan kennt, weiß
das es das härteste Metall
überhaupt ist. Mit normalen Mitteln lässt es sich
so gut wie gar nicht formen.
Um die passenden Biegungen des Stammes zu
machen, musste Michael
das Titan zunächst auf ca.
1200°C erhitzen. Nur
dann konnte er es mit
dem Schmiedehammer
um wenige Millimeter
verbiegen. Das anschliessende Schleifen des Titan
dauerte dann sehr lange
und verbrauchte eine rie- Der neugeformte Titanstamm in einer ersten
sige Menge an Schleif- Passprobe. Die Metallfärbung war noch nicht komplett
scheiben. Michael hat und wurde später noch einmal verbessert.
das Titanstück sehr exakt eingepasst. Das
alles ist reine Handarbeit und zeigt deutlich Michaels meisterliches Talent beim
Umgang mit solchen Materialien.
Niemand anderes hätte diese Arbeit für
mich machen können oder hätte die
Ausdauer dazu aufgebracht.
Zum Ende des Jahres 2007 kam Michael
dann mit dem Baum zu Besuch. Sie können sicher sein, dass mir die Kinnlade
herunterfiel, als ich das erste Zwischenergebnis sah.
Uns war gleich klar, dass der neue Stamm
farblich nicht neutral bleiben sollte. Mit
Hilfe eines Schweißbrenners kann man
jedes Metall färben. Je nach Hitze
erreicht man so einen Farbton von Gelb
über Rot zu Blau und zum Schluss ein
Grau. Michael hatte in einem ersten
Versuch das Titan Blau eingefärbt.
Wir überlegten sehr lange, ob wir das so
lassen sollten. Die Wirkung ist sehr
extrem, aber gerade die konträre
Farbgebung des Stammes gibt dieser
Gestaltung
ihre
unnachahmliche
Wirkung.
Auf meinem Wunsch hin versuchte
Michael aber auch noch den Stamm Rot
zu färben. Die rote Farbe ist sehr schwierig zu erzielen. Die exakte Dosierung der
Hitze
kann
man
mit
einem
Schweißbrenner kaum erreichen. So gab
sich Michael noch einmal eine große
Mühe, den Stamm in einem sehr intensiven Blau einzufärben. Das ist ihm sehr
gut gelungen.
Im Frühjahr 2008 brachte er dann den
Baum zu mir. Durch die vielen Störungen
des letzten Jahres blühte der Baum nur
mäßig, war aber trotzdem sehr gesund.
Nun sollte die Forsythie noch eine Schale
bekommen, die das bisher erreichte wür-
Nach dem Umtopfen. Die Blüte ist durch die vielen
Störungen der letzten Zeit etwas verhalten.
dig unterstreichen sollte.
Es kam nur eine Schale in Frage. Diese
Schale hatte ich schon seit einigen Jahren
in meinem Besitz. Horst Heinzlreiter hat
sie getöpfert. Diese Schale ist in einem
orangefarbenen Ton glasiert, mit vielen
Schattierungen bis ins Schwarze. Um diesen Farbton zu erhalten sind auch mehrere Arbeitsgänge nötig, welche aber Horst
Heinzlreiters Geheimnis bleiben sollen.
Weil diese Schalenfarbe die Blüte der
Forsythie wunderbar unterstreicht und
natürlich, weil sie ebenso schwierig herzustellen ist, war sie wie für diese
Forsythie gemacht.
Kunst?
Nun bleibt die Frage offen, darf man so
etwas machen und was hat das noch mit
Bonsai zu tun?
Sie sollten wissen, diese Forsythie ist nun
Tiefer Frost und hoher Schnee im Winter. Man könnte meinen der Titanstamm lebt. Ständig zeigt er andere Farben.
nicht mehr meine Forsythie. Zumindest
gehört sie nicht mehr mir alleine. So wie
sie jetzt ist, ist sie ebenso Michael Tigges
Arbeit.
Michael Tigges hat als Kunstschmied in
früheren Zeiten auch Ausstellungen mit
eigenen Bronzeplastiken in einer Galerie
durchgeführt. Er ist also ein Künstler.
Bei dieser Forsythie sind unsere Visionen
zusammen gekommen. Bei mir wäre das
nur eine Vision geblieben. Michael ist der
Mensch, der dieser Vision ein Gesicht
geben konnte.
Ist aus dieser Forsythie nun Kunst geworden? Die Gestaltung der Forsythie, solange ich sie gestaltete, war keine Kunst.
Bestenfalls war das kontemporäre
Bonsaigestaltung. Was Michael Tigges
nun daraus geformt hat, dass ist Kunst.
Das sage ich auch deshalb, weil Sie das
nur sehen können, wenn Sie den Baum
real betrachten. Ihr Auge kann das gesehene zunächst nicht einordnen. Zu fremd
erscheint dieses Gebilde. Sie sind
gezwungen sich damit auseinander zu
setzen. Lassen Sie sich darauf ein, sehen
Sie einen Bonsai der Reife zeigt.
Eigentlich passt alles gut zusammen, aber
dieses Blau. Dieser blaue Titan verwirrt
den Betrachter wirklich. Bisher habe ich
die Forsythie nach der Neugestaltung
zweimal ausgestellt. Sie war jedes Mal
ein großes Gesprächsthema. Die Leute
rätselten, woraus dieser Stamm gemacht
ist. Das war auch für uns sehr spannend,
wenn Leute fragten, wie man bloß Glas
so geformt bekommt, dass man es in
einen Baum einpassen kann.
Es war bisher also immer ein Rätsel, was
dieser Stamm ist und woraus er gefertigt
wurde.
Dann konnte man feststellen ,dass dieser
Baum die Leute sehr polarisiert. Ein Teil
ist sehr begeistert und lässt sich von dem
geheimnisvollen Aussehen verzaubern,
während andere die Forsythie ablehnen
und überhaupt Schwierigkeiten haben
einer solchen Gestaltung Verständnis entgegen zu bringen.
Dazu möchte ich die Bewertung bei den
NRW-Bonsai-Tagen als Beispiel nennen.
Herbstfarben. Auch das passt hervorragend zur Farbe der Schale.
Diese Forsythie habe ich bis vor der
Neugestaltung zweimal bei den NRWBonsai-Tagen ausgestellt. Beide Male
bekam ich einen Preis der Jury. Nun wollte ich gerade dort das Bäumchen in seiner
neuen Gestalt erstmalig präsentieren. Die
Enttäuschung war groß, wir wurden mit
30 Punkten Abzug, zur letzten Bewertung, geradezu abgestraft.
Bitte verstehen Sie dies nicht als Kritik
an unseren Bewertern, sie haben ihren
Job nach bestem Wissen und Gewissen
gemacht. Es zeigt nur, wie sehr der Baum
nun polarisiert.
Im Forum des internationalen “Internet
Bonsai Club” zeigte ich den Baum dann
auch noch. Dort waren die Reaktionen
sehr positiv. Auf einer anderen
Ausstellung hatte Walter Pall eine
Baumbesprechung
gemacht.
Dort
besprach er auch diese Forsythie. Im
“Internet Bonsai Club” schrieb er dazu:
“In my public tree critique I said that this
reverse tanuki will go into bonsai history.
I said that it is not only extremely interesting but also a good looking bonsai by
now. With the stand that Reiner made I
could see it on the Gingko Award if it passes the judges. If I were the judge, I would
take it..”
Ob nun Kunst oder nicht, Bonsai oder
nicht, muss jeder für sich selber entscheiden. Eine weitere Gestaltung wie diese
werden wir nicht mehr machen. Diese
Forsythie soll einzigartig bleiben. Mag
auch jeder anders darüber denken, hat
sich trotzdem die Arbeit an dieser
Forsythie gelohnt. Sie bringt die
Menschen ins Gespräch und das ist ein
Ziel, welches wir erreichen wollten.