Krugsammler Bericht 1

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Krugsammler Bericht 1
SEITE 8
MONTAG, 10. SEPTEMBER 2012
STECKENPFERD Menschen, die
Bierkrüge sammeln und lieben, trafen sich am Wochenende in Beilngries – zu einer
großen Tauschbörse.
PARTEIEN Ministerpräsident
wird ohne Gegenstimmen
nominiert.
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VON ROLAND BECK, DAPD
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MITTELBAYERISCHE ZEITUNG
Kenner schnuppern am Zinndeckel
Seehofer
kandidiert
in Neuburg
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BAYERN/OBERPFALZ
B2
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SCHÖNESBERG. Im
geschmückten Festsaal der Gaststätte in der oberbayerischen 200-Seelengemeinde Schönesberg steht die Wahl des CSU-Kandidaten für die Landtagswahl 2013 an. Für
den neu geschaffenen Stimmkreis
Neuburg-Schrobenhausen gibt es nur
einen einzigen Bewerber. „Und der
möge sich doch bitte den Delegierten
einmal vorstellen“, bittet der Wahlleiter. In der ersten Reihe steht ein Mann
mit grauen Haaren auf und tritt ans
Mikrofon: „Mein Name ist Horst Seehofer.“
Fast auf den Tag genau vier Jahrzehnte, nachdem der heutige CSUChef seine politische Karriere begonnen hat, muss er am Freitag nach langer Zeit erstmals wieder an der Basis
auf Stimmenfang gehen. Zumindest
nach außen soll es eine ganz normale
Stimmkreisversammlung sein. Aber
natürlich hat der CSU-Kreisvorsitzende Alfred Lengler die Delegierten
längst über seinen großen Coup unterrichtet: Nach vielen Briefwechseln
und persönlichen Gesprächen war es
ihm schließlich tatsächlich gelungen,
Ministerpräsident Seehofer davon zu
überzeugen, als Direktkandidat im
Landkreis Neuburg-Schrobenhausen
anzutreten.
Von Freunden überredet
„Ein Ministerpräsident ohne Mandat,
das geht doch nicht“, hat Lengler auf
den Parteivorsitzenden eingeredet. Er
werde sonst in der Partei nicht richtig
wahrgenommen und könne womöglich nicht einmal an Koalitionsverhandlungen teilnehmen. Lengler dürfte nicht der Einzige gewesen sein, der
gewarnt hat: „Ich wurde von vielen
Freunden darum gebeten, darum mache ich es“, erklärt der CSU-Parteichef
den plötzlichen Sinneswandel. An der
Basis ist die Freude darüber groß.
Nicht einer kritisiert seine Direktkandidatur. Und erst recht wagt es niemand, gegen den Parteichef anzutreten. „Das soll heute ein Wohlfühlabend für dich werden“, verspricht
Lengler zu Beginn der Veranstaltung.
Und der Parteivorsitzende fühlt
sich wohl. Was als klassische Bewerbungsrede begonnen hat, wird nach
wenigen Minuten zu einem Rechenschaftsbericht vier Jahrzehnte Seehofer. Der Parteichef erzählt von den 70er
Jahren, als „ich für alle Landräte und
Oberbürgermeister der Stadt gearbeitet habe“. Seine Chefs hätten einfach
das vorgelesen, was er aufgeschrieben
habe. „Dann dachte ich mir, das
kannst du selbst auch vorlesen.“ Die
Delegierten in Schönesberg lachen
und applaudieren.
Seehofer über Seehofer
Seehofer spricht 45 Minuten über Seehofer. Er habe mittlerweile jedes Amt
ausgeübt, das die Verfassung vorsehe,
sagt er. Und schränkt schmunzelnd
ein: „Mit Ausnahme eines in Berlin,
aber das ist gut besetzt.“ Die Region bezeichnet er als seine Heimat, die Partei
als sein Leben. Der Politprofi weiß,
was die Basis hören will. Er bedankt
sich, „dass ihr dem Sohn eines Arbeiters diese Möglichkeit gegeben habt,
bis an die Spitze der Partei zu kommen, diese Region zu vertreten und
Ministerpräsident unseres Freistaates
Bayern zu werden.“
Die eigentliche Nominierung Seehofer als Direktkandidat des Stimmkreises Neuburg-Schrobenhausen ist
letztendlich eine reine Formalie. Als
das Ergebnis verkündet wird, schaut
der CSU-Vorsitzende zwar gespannt in
die Menge, aber er scheint zu ahnen,
dass er heute nichts zu befürchten hat.
Alle Stimmen für ihn, es gibt keine ungültige Stimme, keine Enthaltung, keine Gegenstimme.
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VON THOMAS DIETZ, MZ
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Mittags juckt es den Vereinsvorsitzenden in den Fingern: „Jeder Krug 1 Euro“, ruft Harald Busse in
den Tagungsraum. Alles zuckt zusammen, der Scherz hat gesessen. Irritiert
wenden die Krugsammler ihre Blicke
von den bunten Kostbarkeiten auf den
Tischen: „Der Busse wieder!“ Nein, für
einen Euro gibt’s hier nix. Das teuerste
Stück – ein seltener Reservistenkrug
aus China um 1900 („Kanonendonner
ist unser Gruß!“) mit Flasche und Pfeife – ist auf 6000 Euro angesetzt.
Sonniger Samstagvormittag im
schönen Beilngries im Altmühltal.
Oben im 3. Stock des Romantikhotels
„Der Millipp“ beginnt die erste
Tauschbörse des Vereins „Die Krugsammler e. V.“ Man hat sich erst im
November vorigen Jahres in Dinkelsbühl neu gegründet – eine Abspaltung
vom Krugverein „Alte Germanen“.
Sammler und Händler hätten sich, wie
man hört, voneinander getrennt und
„die echten Krugsammler“ wären nunmehr unter sich.
R. Ron Heiligenstein, eine US-Kapazität der Bierkrugsammler und Verfasser des Standardwerkes „Regimental
Beer Steins – Reservistenkruge 18901914“ kam eigens aus Tucson, Arizona,
um hier seine ohnehin schon spektakuläre Sammlung mit erlesenen Stücken zu vervollständigen. Die meisten
seiner Schätze pflegt er aber in der USAbteilung von E-Bay zu finden. Im
Amerikanischen heißt Krug „stein“,
Engländer sagen „mug“.
BEILNGRIES.
Alt? Neu? Sammler Wolfgang Gult
Biergenießer Richard Herpich
Krüge, die noch nie jemand sah
Viele Gäste haben den Hinweis in der
Zeitung gelesen und bringen, dick in
Papier eingewickelt, ihre Bierkrüge
vorbei, damit sie einer der hiesigen Experten begutachten kann: Günter Motzet und seine Frau packen einen schönen Krug aus, der einen jungen Mann
mit Studentenmütze, roter Fahne und
der Aufschrift „Gleiches Recht für Alle!“ zeigt, außerdem „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“. Das gute Stück
aus dem Umkreis SPD/Arbeiterbewegung ist rund 100 Jahre alt und dürfte
etwa 150 Euro wert sein.
Alle hier ausgestellten Bierkrüge
sind eine wahre Augenweide, da gibt
es Steinzeug- oder Figurenkrüge, Berufs- und Zunftkrüge, Mettlach-, Studenten- und Fayencekrüge, Brauereikrüge und die Reservistenkrüge, die
offenbar eine besondere Stellung innerhalb der Krugkultur einnehmen:
„Das ist ja das Tolle an diesem Sammelgebiet“, erklärt Harald Busse, „es
tauchen immer wieder Krüge auf, die
noch nie jemand gesehen hat.“ Krüge,
die jahrzehntelang wohlgehütet auf
ihrer Filzunterlage in der Vitrine standen und von Erben, die nichts damit
anfangen können, auf dem Flohmarkt
oder bei E-Bay angeboten werden.
So ein Reservistenkrug war im
19./20. Jahrhundert ja praktisch eine
Insgesamt 250 historische Krüge wurden vorgestellt.
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➤ „Die Krugsammler e. V.“
wurde im November 2011 in
Dinkelsbühl gegründet.
➤ Der Verein kümmert sich
um das Sammeln und Erforschen von Trinkgefäßen aller
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DIE KRUGSAMMLER
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Art aus Vergangenheit und
Gegenwart.
➤ Besonderer Wert wird auf
die Einbettung in den historischen Kontext gelegt.
➤ www.diekrugsammler.de:
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Ehrbarkeits-Urkunde für den Mann.
Die Frage „Haben Sie gedient!?“ (aus
dem „Hauptmann von Köpenick“
wohlbekannt) war in der kaiserlichen
Gesellschaft von elementarer Bedeutung. Wer gedient hatte, signalisierte,
dass er nicht vorbestraft, körperlich
unversehrt war und den Dienst durchgestanden hatte, also zu etwas taugte.
„Allerdings sind auch viele Replikate von Bierkrügen im Umlauf“, sagt
Harald Busse, die meiste Neuware
stammt aus dem Westerwald und kostet so um die 20 Euro. Dabei ist es gar
nicht schwer, einen neuen Krug zu erkennen: Wenn z. B. das Bodenbild eine
erotische Szene zeigt. In alter Zeit war
dergleichen undenkbar. Oder wenn
ein Soldat mit Blumenstrauß darge-
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Figurenkrug, oben mit Maikäfer
Fotos: altrofoto.de
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Hier finden sich auch gute
Tipps für Anfänger, Erkennen
von Fälschungen etc.
➤ Ein weiterer Sammlerverein: www.suhw.de
➤ www.bierkrug.de ist die
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stellt wird: Die ganze Kaserne hätte
sich damals halb tot gelacht, wäre ein
„stolzer Soldat“ mit einem Blumenstrauß umhergelaufen.
„Reserve hat Ruh!“
Krugsammler Wolfgang Gult aus dem
nordbadischen Kraichtal pflegt am
Zinndeckel zu schnuppern, um das Alter zu prüfen: „Alte riechen gar nicht,
neue riechen nach Legierung“, sagt er.
Besonders Blei schnuppert man heraus. Wolfgang Gult wurde 2011 die
US-Würde „Master of Steinologist“ der
SCI (Stein Collectors International)
verliehen, der Vereinigung, der auch
Bierkrugpapst Ron Heiligenstein angehört. Gult kann sich noch gut an den
ersten Reservistenkrug seines Lebens
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Website des Bierkrugmuseums in Bad Schussenried.
➤ www.steincollectors.org –
hier findet man alles über die
SCI (Stein Collectors International).
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erinnern: Es war 1972 in Ost-Berlin. Er
stand in einer Kneipe. Die Wirtin hat
ihn für 50 DM abgegeben, weil sie eine
neue Perücke brauchte – die bekam
man damals nur für Westgeld.
Nach drei Stunden ist der Vereinsvorsitzende Busse zufrieden: „Es war
mehr los, als ich’s mir für das erste Mal
erträumt habe.“ Schöne Krüge mit
Aufschriften wie „Reserve hat Ruh!“,
„Meine Dienstzeit ist nun aus/ sei gegrüßt, liebes Vaterhaus“, „Ich hab gedient zu Pferd und Fuß/ ich hab gegeben manchen Kuß“ oder „An des Kessels heißer Wand/ schwitzen wir fürs
Vaterland“ fanden neue Besitzer. Im
nächsten Jahr trifft man sich „irgendwo zwischen Dresden und Meißen.
Wir wollen ja auf die Leute zugehen.“
Welt-Suizid-Tag: Zahl der Selbsttötungen sinkt
MEDIZIN Fachpersonal wird immer besser geschult, dennoch konnten 2011 in Bayern 1756 Menschen nicht erreicht werden
Immer weniger
Menschen in Bayern nehmen sich
selbst das Leben. Seit dem Jahr 2000 sei
die Zahl der Suizide im Freistaat um
rund zehn Prozent zurückgegangen,
teilte das Landesamt für Statistik am
Freitag zum Welt-Suizid-Präventionstag an diesem Montag mit. Manfred
Wolfersdorf, ärztlicher Direktor des
Bezirkskrankenhauses Bayreuth, führt
das unter anderem darauf zurück, dass
Selbsttötung kein Tabuthema mehr
sei. Es gebe besser geschultes Fachpersonal, das suizidgefährdeten MenBAYREUTH/MÜNCHEN.
schen helfe. In der Aus- und Fortbildung bei psychotherapeutischen Berufen spiele Selbsttötung inzwischen eine wichtige Rolle. Im vergangenen
Jahr setzten 1756 Menschen in Bayern
ihrem Leben selbst ein Ende.
Wolfersdorf warnte bei dem Thema
vor einfachen Schlussfolgerungen. In
den vergangenen Monaten hätten sich
zwar die Berichte über erweiterte Suizide gehäuft – also den Selbstmord
von Menschen, die ihre Kinder oder
den Partner mit in den Tod nehmen.
„Wir wissen aber nicht, ob es tatsäch-
lich eine Zunahme gibt“, sagte der Experte.
Der weitaus größte Teil der Menschen, die sich das Leben nehmen, ist
männlich. „Suizid ist ein Männerthema“, sagte Wolfersdorf. Die Statistiker
haben festgestellt: In den Jahren 2010
und 2011 waren je 74 Prozent der Suizidopfer Männer. Laut Wolfersdorf besteht hier ein Zusammenhang mit der
wirtschaftlichen Lage. Soziale und materielle Nöte spielten bei Männern eine große Rolle. Mit der Betreuung der
Hinterbliebenen befasst sich der bun-
desweit tätige Selbsthilfeverein Agus.
Geschäftsführerin Elisabeth Brockmann warnte, dass Menschen, die einen engen Angehörigen durch Selbsttötung verloren haben, ein höheres Risiko haben, sich auch das Leben zu
nehmen. Es sei deshalb wichtig, sich
um die Hinterbliebenen zu kümmern.
„Die Trauernden haben oft das Gefühl,
versagt zu haben.“ Mit Schweigen helfe man dem Angehörigen allerdings
nicht: „Alles, was ehrlich gemeint ist,
tut gut. Es tut auch gut, über den zu
sprechen, der gestorben ist.“
(dpa)