Viktorianische Porträts

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Viktorianische Porträts
George
Broten, auftjenommen
Güfillan und Samuel
Auseinandersetzung
einer
184S von David ftetnrv-x Hill und Tlobert Adomson. Dir bridrn Pnrträtirrten Karen 1843 bei
um die Wahlbehörde der Geistlichen aus der Free Church of Scotland ausgetreten.
AUS DER FRÜHZEIT DER PHOTOGRAPHIE
Viktorianische Porträts
Auf keinem Gebiet haben die ersten Photographen Bessere« geleistet als auf dem des Porträts,- und zwar nicht trotz den technischen
Schwierigkeiten vor mehr als einem Jahrhundert, sondern zum Teil
als Folge von ihnen. Tricks waren unmöglich, Retuschieren in der
Frühzeit der Photographie unbekannt und von den Besten auch
später nie praktiziert. Zwischen Photographen und Porträtierten gib
es durch die Umständlichkeit des Verfahrens einen geistigen Kontakt,
ein Band der Zuneigung und desVerstehens. Die Kamera «sucht nach dem
Schauspieler hinter der Maske und legt Triviales und Künstliches als
das bloß, was sie sind». Maler und Photograph haben die Aufgabe des
«Auswählens, Unterstreichens und Interpretierens>; gemein.
Noch hatte, sich nicht jener «Fetischismus rund um die Phototechnik entwickelt», den Henri Cartier-Breason in unserer Zeit so
bedauert. Helmut Cernsheim, der Entdecker der künstlerischen und
geistigen Bedeutung der viktorianischen Photographie
er besitzt
eine Sammlung von mehr als 30 000 Originalphotographien aus jener
Zeit , führt als Hauptgrund, warum die besten viktorianischen Porträts besser sind als viele spätere, die Tatsache an, daß jene Pioniere
oft Maler gewesen oder zumindest künstlerisch geschult waren. Daguerre war Maler. Henry Collen, der erste, der das von Fox Talbot
erfundene Papiernegativ benutzte, von dem man (zum Unterschied
vom direkten Positiv des Daguerreotyps) eine unbeschränkte Anzahl
von Kopien n
m a c h e konnte, war Maler und Lehrer von Königin Viktoria. Hill (einer der wichtigsten- Photographen des 19. Jahrhunderts)
war Landschaftsmaler, wurde aber durch seine Photographien berühmt. Der erste Präsident der 1853 gegründeten Photographic Society
war Präsident der Royal Academy. Roger Fenton, der erste «Kriegsphotngraph» (seine Aufnahmen aus dem KrimkrirR sagen mehr als
die Beschreibungen dieses Krieges), stellte in der «R. A.» aus, Etienne
Carjat, einer drr frühe&trn Daguerreotypisten, war Karikaturist. «Er
fängt mit glänzendem Erfolg den Charakter und Ausdruck seiner
berühmten Modelle ein.>; (Zu ihnen gehörten Baudelaire, Rossini und
Cambetta.) Der St. Galler Johann Baptist Isenring
war
Maler und Graveur gewesen.
Unter den viktorianischen Photographen nimmt Julia Margaret
Cameron (1815 1879) eine besondere Stellung ein. Sie war die Bedeutendste von allen. Dabei war sie Amateur im besten Sinne des Wortes,
hochkultiviert, unkonventionell, exzentrisch, die Mutter von sechs
eigenen und mehreren adoptierten Kindern, die mit achtundvierzig
Jahren ihren Lebenszweck fand: ihre herühmten Zeitgenossen zu photngraphieren. Sie arbeitete zu ihrer eigenen Befriedigung, niemals für
Geld. (Ihr Mann war wohlhabend.) Mr>;. Cameron war die Pionierin
der Nahaufnahme und der Kopfstudie ohne Beiwerk.
Gernsheim ist überzeugt, daß der gute Porträtist finanziell unabhängig oder so berühmt sein muß, daß ihn niemand zu beeinflussen
wagt. Die meisten Menschen sind eitel und wollen keine Porträts,
wie sie sind, sondern wie sie erscheinen möchten. Das gilt auch für
die Mehrzahl der Männer und Frauen, die sich malen lassen, weshalb
zeitgenössischen Porträtphntographien
so viele Bilder neben den besten
verblassen. Gernsheim berichtet in seinem großen Werk «The
(1796
üoppelporträt von Toulouse-Lautrec um 189t, mit einer Dopprlbelichtung auf die gleiche Platte aufgenommen; die Aufnahme wird Paul Seicau,
zugeschrieben.
einem Freund von Toulouse-Lautrec,
Neue Zürcher Zeitung vom 07.01.1961
Charles Baudelaire, um 186t aufgenommen von Etienne Carjat, einem
der ersten Daguerreotypisten
History of Photography», wie Königin Viktoria (die sehr bald nicht
nur photographierte, sondern auch leidenschaftlich Photos sammelte)
den beliebten Miniaturmaler Alfred Chalon fragte, ob die Photographie nicht seinen Beruf ruinieren werde. Er antwortete in seinem
eigenartigen Französisch-Englisch: «Ah, non, Madame, photographie
can't flattere.»
Wenn wir die Porträts berühmter Viktorianer betrachten, so teilen
sie uns mit, was für eine Art Menschen sie waren. Sie sind «die stärksten und ausdruckvollsten Dokumente» von ihnen, überzeugende Offenharungen lebendiger Personen, und sie gewähren uns außer der Befriedigung unserer Neugierde auch ein rein ästhetisches Vergnügen.
Der Kunsthistoriker und Maler Roger Fry zögerte nicht, von ihnen
zu behaupten, daß sie wahrscheinlich die meisten Bilder der zeitgenössischen Maler überdauern werden.
In der Weltausstellung 1851 erweckte die erste Schau von Photographien großes Aufsehen; aber nicht minder erstaunt waren die
Besucher der ein Jahrhundert .später aus Anlaß des «Festival of
Britain» vom «Arts Council» im Victoria and Albert Museum veranstalteten Ausstellung von «Meisterwerken der viktorianischen Photographie» aus der Gernsheim-Sammlung. Leider ist der Wunsch von
Helmut Gernsheim und seiner Frau und Mitarbeiterin Alison noch
nicht in Erfüllung gegangen, ein Museum der Photographie erstehen
zu lassen, in dem die besten viktorianischen Aufnahmen den Grundstock bilden würden. Der Widerhall, den eine kleine Auswahl aus der
Gernsheim-Sammlung auf der Photo-Ausstellung in Luzern und in
einem halben Dutzend europäischer Großstädte gefunden hat, läßt
hoffen, daß es zu diesem einzigartigen Museum eines Tages doch kommen wird. (Die hier reproduzierten Photographien stammen aus der
Sammlung Gernsheim, London.)
Wilhelm Viola
Die Schauspielerin Sarah Bernhardt, die sich auch ata Bildhauerin oe~
tätigt hat, mit ihrem Selbstporträt aufgenommen 1876 von Melandri.
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