1 Bau und Funktion der Sprechorgane

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1 Bau und Funktion der Sprechorgane
1 Bau und Funktion der Sprechorgane
1 Einleitung
Jeder Sprecher einer Sprache verfügt über die Grammatik dieser Sprache. Eine
Grammatik ist der mentale Apparat, der es einem Menschen ermöglicht eigene
Gedanken zu äußern und Äußerungen anderer zu verstehen. Beim Sprechen wird
Gedachtes in Laute umgesetzt, beim Verstehen wird Gehörtes in Gedachtes
überführt. Man kann die Funktion der Grammatik mit anderen Worten auch so
umschreiben: Die Grammatik verbindet Laut und Bedeutung.
Für die Beschreibung der Beziehung zwischen Laut und Bedeutung unterscheidet
die Grammatik vier Bereiche, jeder mit seinen eigenen Gesetzmäßigkeiten:
die Semantik (inhaltliche Funktion), die Syntax (Satzbau), die Morphologie
(Formenlehre) und die Lautlehre (lautliche Form).
Die Lautlehre wird unter drei Aspekten behandelt:
• Die artikulatorische Phonetik befasst sich mit der Frage, mit welchen körperlichen Mitteln die Sprechlaute produziert werden (Kapitel 1-5).
• Die akustische Phonetik befasst sich mit den physikalischen Eigenschaften des
Sprachsignals, also mit der konkreten Gestalt dieses Signals (Kapitel 8).
• Die Phonologie befasst sich mit abstrakten Eigenschaften des Sprachlauts.
Diese bieten eine Erklärung dafür, wie die Sprecher einer Sprache sich
verstehen. (Kapitel 6).
In diesem Kapitel werden die Grundbegriffe der artikulatorischen Phonetik
erörtert.
2 Die Sprechwerkzeuge
An der Erzeugung der Sprechlaute sind folgende Organe beteiligt: die Lunge,
die Luftröhre, der Kehlkopf, der Rachen, der Mund und die Nase.
Nach ihrer Funktion beim Sprechen sind diese Organe in drei Gruppen zu
unterteilen, nämlich:
• die Organe für die Atmung (die Lunge und die Luftröhre); Die Atmungsluft ist
die Energiequelle für die Erzeugung der Sprechlaute. Beim Atmen ist dieser
Luftstrom fast unhörbar, beim Sprechen wird der Luftstrom aber hörbar
gemacht;
• das Organ für die Stimmbildung (nämlich der Kehlkopf); und
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Kapitel 1
• die Organe für die Artikulation (Rachen-, Mund- und Nasenhöhle, die
zusammen als ‚das Ansatzrohr‘ bezeichnet werden).
Das Ansatzrohr und der Kehlkopf sind schematisch in Figur 1 dargestellt:
Figur 1: das Ansatzrohr
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die Luftröhre
der Rachen
der Mund
die Nasenhöhle
der Kehlkopf
die Zunge
der Gaumen
Die Bewegung der Organe im Ansatzrohr zur Erzeugung der Sprechlaute heißt
Artikulation; Zunge und Lippen sind die wichtigsten beweglichen Artikulatoren.
2.1 Die Lunge
Beim Sprechen wird der Atemstrom aus der Lunge reguliert, um den geeigneten
Atemdruck zu erzeugen. Der Atemdruck wird benötigt, um im Kehlkopf den
Stimmton zu bilden und im Ansatzrohr Geräusch zu erzeugen. Außerdem wird die
Lautstärke durch den Atemdruck variiert.
Die Lunge funktioniert ähnlich wie ein Blasebalg, denn das Ein- und Ausatmen
erfolgt nicht durch selbständige Tätigkeit der Lunge, sondern durch äußere
Einwirkung. Beim Einatmen heben sich die Rippen, die zusammen den Brustkorb
bilden, und das Zwerchfell (Diaphragma), der untere Abschluss des Brustkorbs,
senkt sich. Das Volumen der Lunge wird dadurch nach zwei Seiten hin erweitert
und es wird Luft eingesogen. Die Ausatmung erfolgt durch Verkleinerung des
Lungenvolumens, nämlich durch Anhebung des Zwerchfells und Senkung der
Rippen. Bei Brustatmung erfolgt die Einatmung vor allem durch Hebung der
Rippen, bei Bauchatmung vor allem durch Senkung des Zwerchfells.
Die Sprechorgane
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2.2 Der Kehlkopf
Der Kehlkopf (die Larynx) oben an der Luftröhre lässt sich mit einem Ventil
vergleichen, das geöffnet oder geschlossen werden kann. Beim Sprechen von
stimmhaften Lauten wird der Luftstrom, der aus der Lunge kommt, im Kehlkopf in
Schwingung versetzt. Dadurch entsteht der Stimmton.
2.2.1 Der Aufbau des Kehlkopfs
Der Kehlkopf ist ein aus Knorpeln aufgebauter Zylinder. Die Basis des Zylinders
ist der Ringknorpel, der in den Figuren 2 und 3 durch a gekennzeichnet ist.
Auf der Vorderseite des Ringknorpels steht der Schildknorpel oder Spannknorpel
(b in den Figuren 2 und 3), der bei Männern als ‚Adamsapfel’ sichtbar ist. Der
Schildknorpel ist beweglich und kann nach vorne kippen. Die gestrichelten Linien
in Figur 2 geben die Stellung des nach vorne gekippten Schildknorpels wieder.
Auf der Rückseite des Ringknorpels stehen symmetrisch zueinander die beiden
ebenfalls beweglichen Stellknorpel (c in den Figuren 2 und 3).
Figur 2: Seitenansicht des Kehlkopfs
Figur 3: Obenansicht des Kehlkopfs
Im oberen Teil des Kehlkopfes befindet sich der Kehldeckel. Der Kehldeckel spielt beim
Sprechen keine Rolle, wohl aber beim Schlucken. Die Wege für die Nahrungsaufnahme
(die Speiseröhre) und Atmung (die Luftröhre) kreuzen sich, aber der Kehldeckel verschließt
beim Schlucken den Kehlkopfeingang.
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Kapitel 1
1. DIE STIMMLIPPEN
Im Kehlkopf befinden sich die Stimmlippen oder Stimmbänder, die in Figur 2
durch d gekennzeichnet sind. Es sind zwei lippenartige Muskelfalten. Jede der
beiden Stimmlippen ist vorne mit dem Spannknorpel und hinten mit einem der
Stellknorpel verbunden. Durch die Bewegungen des Schildknorpels und der
Stellknorpel können sie gespannt oder entspannt werden; da die Stimmlippen
Muskeln sind, können sie sich auch selber spannen und entspannen.
Durch die Bewegungen der Stellknorpel können die Stimmlippen eine Öffnung
oder einen Verschluss bilden. Die Öffnung zwischen den beiden Stimmlippen
heißt Glottis oder Stimmritze.
2. DIE STELLUNGEN DER STIMMLIPPEN
In den Figuren 4 bis 6 ist der Kehlkopf im Querschnitt von oben dargestellt.
Die neutrale oder Ruhelage der Stimmlippen
erlaubt freien Durchgang des Luftstroms beim
Atmen. Dies ist auch die Stellung bei der
Artikulation der stimmlosen Konsonanten, z.B.
[ ] und [ ].
Wenn die Glottis etwas verengt wird, entsteht der
Hauchlaut [ ] (hier, daheim)
Figur 4: Atemstellung
Figur 5: Stimmstellung
Bei der Stimmstellung (oder ‚Phonationsstellung‘) berühren die Stimmlippen sich leicht. Der
Luftstrom aus der Lunge versetzt die
Stimmlippen in eine regelmäßige Vibration und
die Luft übernimmt die Vibrationsfrequenz der
Stimmlippen. Die Vibration ist spürbar, wenn
man beim Sprechen von stimmhaften Lauten den
Schildknorpel (den ‚Adamsapfel‘) berührt. Alle
Vokale (z.B. [ ]) und die stimmhaften Konsonanten (z.B. [ ] und [ ]) werden mit ‚Stimmton‘ (oder ‚Stimme‘) gesprochen.
Die Sprechorgane
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Bei der Flüsterstellung ist nur der hintere Teil der
Glottis bei den Stellknorpeln geöffnet. Die
Stimmlippen können nicht schwingen, aber der
Luftstrom verursacht ein leichtes Geräusch, das
als Stimmtonersatz beim Flüstern die Bildung von
Vokalen ermöglicht.
Figur 6: Flüsterstellung
2.2.2 Der Stimmton
1. DIE STIMMBILDUNG
Bei der Stimmbildung (‚Phonation‘) stehen Stellung und Spannung der Stimmlippen sowie der Atemdruck in einem solchen Verhältnis zueinander, dass die
Glottis in schneller Folge abwechselnd geöffnet und wieder geschlossen wird.
Jedes Mal, wenn die Glottis durch den Atemdruck geöffnet wird, wird ein Luftpfropfen in das Ansatzrohr geschleudert. Die so entstehende Vibration der Luft ist
der Stimmton. Je nach Stimmhöhe wiederholt sich das Öffnen oder Schließen der
Glottis zwischen etwa 100 und etwa 1000 mal pro Sekunde, d.h., mit einer
Frequenz, die zwischen etwa 100 Hertz für eine sehr tiefe Stimme und 1000 Hertz
für eine sehr hohe Singstimme liegt.
Ein vergleichbarer Vorgang liegt vor, wenn man den Mund schließt und durch die nicht zu
fest verschlossenen Lippen bläst: brrr.
2. DIE TONHÖHE
Die Tonhöhe wird durch die Spannung der Stimmlippen variiert: je größer die
Spannung, je höher die Stimme. Größere Spannung erfolgt:
• durch Dehnung der Stimmlippen. Die Dehnung wird durch das Verlagern des
Schildknorpels oder der Stellknorpel bewirkt;
• durch Zusammenziehen der Stimmlippen.
Die Unterschiede in der Stimmhöhe zwischen Männern und Frauen beruhen auf
der unterschiedlichen Länge der Stimmlippen: Die Stimmlippen sind bei Frauen
1,7 bis 2 cm lang, bei Männern 2 bis 2,4 cm. Der Stimmwechsel (die Mutation) bei
Knaben wird durch das rasche Wachsen des Kehlkopfes und der Stimmlippen in
der Pubertät verursacht. Der Stimmton liegt nach der Mutation etwa eine Oktave
niedriger als vorher. Bei Mädchen verläuft dieser Prozess langsamer und ist die
Zunahme des Umfangs auch viel geringer.
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Kapitel 1
2.3 Das Ansatzrohr
Rachen-, Mund- und Nasenhöhle bilden das Ansatzrohr, den Resonanzraum für
den Stimmton. Oberhalb des Rachens liegen Mund- und Nasenhöhle, die durch
den Gaumen (das Palatum) voneinander getrennt sind. Der hintere Teil des
Gaumens heißt ‚Gaumensegel‘, ‚weicher Gaumen‘ oder ‚Velum‘.
Das Gaumensegel ist beweglich: Beim Atmen hängt es herunter; es kann sich aber
auch heben und so die Nasenhöhle abschließen, wodurch der Stimmton nur in
Rachen- und Mundhöhle resoniert. Beim Sprechen der meisten Sprechlaute, der
‚oralen Sprechlaute‘, ist die Nasenhöhle durch das Gaumensegel abgeschlossen
(Figuren 9 und 11); bei der Bildung von Nasallauten bleibt das Gaumensegel
gesenkt, wodurch die Nasenhöhle als Resonanzraum funktioniert (Figur 8) oder
mitfunktioniert (Figur 10). Nasallaute sind die Nasalkonsonanten [ ], [ ] und [ ]
(im Wort Meinung) und die Nasalvokale, die in französischen und friesischen
Wörtern vorkommen (z.B. Chanson; Fryslân).
Figur 7: [ ] (oral)
Figur 8: [ ] (nasal)
Figur 9: [ ] (oral)
Figur 10: [ ] (nasaliert)
Die Entfernung zwischen den Stimmbändern und den Lippen beträgt im Durchschnitt 17 cm. Veränderungen des Ansatzrohrs haben wesentliche Veränderungen
in der Lautqualität zur Folge: Wenn man die Lippen vorstülpt und rundet, wird das
Ansatzrohr verlängert und kommt ein u-ähnlicher Laut zustande; wenn man die
Lippen spreizt und die Mundwinkel zurückzieht, wird das Ansatzrohr verkürzt und
entsteht ein i-ähnlicher Laut; wenn man den Mund möglichst weit aufmacht, hört
man einen a-Laut. Die Gestalt des Ansatzrohrs wird jedoch nicht nur durch die
Lippenstellung und Mundöffnung, sondern vor allem durch die Zungenstellung bedingt. Die Zunge ist an der Bildung aller Vokale und vieler Konsonanten beteiligt.
In Figur 11 auf Seite 7 werden noch einmal die verschiedenen Organe des Ansatzrohrs schematisch dargestellt.
Die Sprechorgane
Figur 11: Einteilung des Ansatzrohrs
Organbezeichnung
1 die Luftröhre (die Trachea)
2 der Rachen (der Pharynx)
3 die Mundhöhle (Cavum oris)
4 die Nasenhöhle (Cavum nasi)
5 der Kehlkopf (der Larynx) mit Stimmlippen und Glottis
5a der Schildknorpel (die Cartilago thyroidea)
6 die Zunge (die Lingua)
6a die Zungenspitze (der Apex)
6b das Zungenblatt (der vordere Zungenrücken, die Korona)
6c der Zungenrücken (das Dorsum)
7a der harte Gaumen (das Palatum)
7b der weiche Gaumen (das Gaumensegel, das Velum)
8 die Lippen (Labia)
9 die Zähne (Dentes)
10 der Zahndamm (Alveolen)
11 das Halszäpfchen (die Uvula)
12 der Kehldeckel (die Epiglottis)
13 die Speiseröhre (der Ösophagus)
14 der Gaumenknochen (das Os palatinum)
15 der Kieferknochen
Unterkiefer (die Mandibula) und Oberkiefer (die Maxilla)
Adjektiv
oral
nasal
laryngal, glottal
lingual
apikal
koronal
dorsal
palatal
velar
labial
dental
alveolar
uvular
palatal
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Kapitel 1
Übungsfragen
1. Aus welchen Hohlräumen setzt sich das Ansatzrohr zusammen?
2. Was ist Artikulation?
3. Was ist Stimmton und welche Laute werden stimmhaft gesprochen?
4. Aus welchen Teilen ist der Kehlkopf aufgebaut? Welche Funktion(en) haben
die einzelnen Teile?
5. Wie funktionieren Brust- und Bauchatmung?
6. Wie werden Nasalkonsonanten gebildet?

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