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Auf der Suche nach Patagoniens naturschönheiten Reise ans Ende der Welt text und Bilder: Annette Lepple Patagonien, der Stoff, aus dem die echten Abenteuer gemacht sind. endlose weite, einsamkeit und wilde, unberührte Landschaften, die in unserer welt immer seltener werden. «nirgendwo sonst bist du so allein», schrieb Florence Dixie 1881 in ihrem reisebericht. All das und mehr wollten auch Annette und Jörg Lepple finden und machten sich im Januar auf den weg ans südliche ende der welt. B uenos Aires, der brummende, alles verschlingende Moloch, liegt zum Glück hinter uns. Wir sind keine Stadtmenschen, aber ein Besuch der TangoStadt gehört bei einer Patagonienreise trotzdem dazu. Mit dem Fahrrad haben wir die Stadt erkundet, haben abends stundenlang mit offenem Mund vor Bühnen verharrt, auf denen begnadete Musiker und Tänzer herumwirbelten. Dieses ungezwungene 46 GLOBETROTTER-MAGAZI 100 winter 2012 Körperbewusstsein, diese scheinbar mühelose Leichtigkeit – Dinge, von denen wir in unseren Breiten nur träumen können. Völlig übernächtigt, stürzen wir uns nach zwei Tagen ins Abenteuer Richtung Süden. Natur und Schokolade. Für einen sanften Übergang von der Zivilisation in die Wildnis sorgt die argentinische Schweiz: San Carlos de Bariloche ist ein anmutiges, etwas verschlafenes Städtchen am Lago Nahuel Huapi, der wie leuchtend blaue Seide im Tal liegt. Die zwei Hauptstrassen sind von hübschen Geschäften gesäumt, die Schokoladeproduktion boomt, was bei der Liebe der Argentinier zu Süssem nicht erstaunt. Im Winter ist die Region beliebt bei Skisportlern. Die Landschaft ist von malerischer Schönheit, das Wetter wie im Ferienprospekt: blauer Himmel und Sonne. Was wollen wir mehr? In einer Chocolateria treffen wir den rotblonden Hünen Erik aus Essen. Er lebt seit acht Jahren in Bariloche. Zuerst jobbte er in einem Hotel, lernte Paula kennen, sie heirateten, bekamen südamerika drei Kinder, und mittlerweile hat er sich als Guide und Skilehrer einen Namen gemacht. Ob er seine alte Heimat vermisse? «Keine Spur! Hier haben wir eine prima Lebensqualität, die Kinder wachsen in einer sicheren und dazu wunderschönen Umgebung auf. Deutschland, nein, da könnte ich gar nicht mehr leben.» Ein netter Kerl, befinden wir und nehmen sein Angebot, uns in die Hosteria Pampa Linda im Nationalpark Nahuel Huapi mitzunehmen, gerne an. Dort muss er eine französische Gruppe für eine Rundfahrt abholen. Die Hosteria strahlt Postkartenidylle aus – plätschernde Bäche, gewaltige Berge, sattgrüner Regenwald. Die Ruhe ist nach Buenos Aires die pure Wonne. Dafür nehmen wir die faden Mahlzeiten im Restaurant ohne Murren in Kauf. Wir werden ein paar Tage hier verbringen und die Gegend auf Wanderungen erkunden. Im Park gibt es ein Netz von Wegen, um die Natur zu entdecken. Die Flora interessiert mich als leidenschaftliche Botanikerin ganz besonders. Wie wunderbar rein die Luft hier ist, riecht man nicht nur, sondern sieht es an den langen, Spektakuläre Ausblicke. Im Torres del PaineNationalpark. zartgrünen Flechtenbärten, die an den eindrücklichen Coihue-Südbuchen hängen. Wir fühlen uns wie im Zauberwald, spüren, wie unsere Seele von dieser Landschaft, die trotz der eisigen Berg- und Gletscherwelt lieblich ist, berührt wird. Ich denke, jeder Mensch trägt eine Landschaft in sich, mit der er sich identifiziert und die ihm Frieden schenkt. Mir geht es hier so. 47 An einem Tag reiten wir mit einem lokalen Gaucho auf klapprigen, vernachlässigten Pferden zum schwarzen Gletscher. Die Morgensonne und die aufsteigenden Nebelschwaden verleihen dieser Urlandschaft mit ihren knorrigen Bäumen und Wildwasserbächen eine Mystik, die ihre Wirkung nicht verfehlt. Ein fantastisches, abenteuerliches Erlebnis. Die Tatsache, dass die Tiere hier nicht viel zu lachen haben, rückt so eine Weile in den Hintergrund. Zum Glück halten die aus Strohballenschnur geflochtenen Sattelgurte. Nachdenkliche Bekanntschaft. Pedro hat ganz vernarbte Hände. Ich wende meinen Blick ab, will nicht neugierig wirken, obwohl ich es bin. Seit Bariloche sitzt er neben mir im Bus nach Puerto Varas. Wir haben uns einander vorgestellt, aber kurz darauf fällt er in brütendes Schweigen und blickt mit gerunzelter Stirn aus dem Fenster. Er ist um die vierzig, zu jung, um so ernst oder so traurig zu sein. Jörg und ich haben beschlossen, getrennt zu sitzen, damit wir Kontakt zu anderen Reisenden aufnehmen können. Das ist oft eine spannende Angelegenheit, aber nicht, wenn sich eine verschlossene Auster neben einem niedergelassen hat. Ich werde durch einen herabrutschenden Koffer aus meinen Träumereien gerissen. Die Besitzerin reist mit sechs kleinen Kindern und ist offensichtlich gestresst, so fällt ihre Entschuldigung flüchtig aus. Aber, oh Wunder, mein Nachbar ist wegen des Vorfalls wie ausgewechselt. Wir kommen ins Gespräch und essen zusammen handgemachte Schokolade aus Bariloche. Pedro kommt ursprünglich aus Buenos Aires. «Aber ich hasse Argentinien!» Er spuckt diesen Satz aus wie einen unverdaulichen Knochen. Für einen Moment bin ich sprachlos, fasse mich aber und versuche, der Aussage mit einem Lachen die Schärfe zu nehmen. Unwillkürlich nicke ich dem wohlgenährten Ehepaar, das sich irritiert umdreht, freundlich zu. Doch Pedro meint es ernst. Seine ganze Familie wurde von der Militärjunta ausgelöscht. Alle verschwanden spurlos. Bis auf seine jüngste Schwester, die mit der Tante in Paraguay un- 48 GLOBETROTTER-MAGAZI 100 winter 2012 Schafe. Ideal fürs raue, oft windige Wetter in Patagonien (ganz oben). Gaucho. Ein Leben im Pferdesattel (oben). Reitpause. Mit Pferden unterwegs in der Urlandschaft (links unten). Vulkan. Der Osorno (2652 m) gehört zu den schönsten Vulkanen Chiles (unten). tertauchen konnte. Und du? Er sieht mir die unausgesprochene Frage an und senkt den Blick auf seine geschundenen Hände. «Ich hatte Glück», murmelt er. Der Hass ist so schnell verschwunden, wie er aufkam, irgendwo in den Tiefen seiner verwundeten Seele. Wie reagiert man auf solche Ungeheuerlichkeiten? Etwas ratlos drücke ich ihm den Rest meiner Schokolade in die Hand. Wieder dieses scheue Lächeln. Er erzählt, er habe seine Schwester in Bariloche besucht. Sie ist mit einem Lehrer verheiratet. Kinder habe sie nicht, die Ärzte können sich den Grund dafür nicht erklären, aber es gibt nicht für alles eine rationale Erklärung. An der Grenze zu Chile müssen wir alle aussteigen. Die Hälfte der Pappe-Sandwiches, die der Fahrer unterwegs ausgeteilt hat, und zahlreiche Früchte fliegen hier in die Müllcontainer. Nichts Derartiges darf nach Chile eingeführt werden, schliesslich könnte ein mitgebrachter Apfel das ganze Land verseuchen. Gelangweilt beobachten die Zöllner, wie die Reisenden ihre schweren Koffer auf das klebrige Förderband hieven, auf dem sie durchleuchtet werden. Könnte ja sein, dass sich doch noch ein Apfel zwischen den Klamotten verbirgt. Nach geschlagenen zwei Stunden darf der Bus weiterrumpeln. Der Fahrer singt lauthals zu einem Lied im Radio und fährt in Schlangenlinien, um den Schlaglöchern auszuweichen. In Puerto Varas verabschiede ich mich von Pedro und wünsche ihm viel Glück. Im chilenischen Seengebiet. Im Gepäckberg graben wir nach unseren Rucksäcken und machen uns auf die Suche nach einer preiswerten Unterkunft. Puerto Varas liegt am Lago Llanquihue, in der Ferne thront der Vulkan Osorno wie ein weisser Riese über dem See. Abends finden im Zentrum ein Konzert und ein Schönheitswettbewerb statt. Leicht bekleidete junge Mädchen trotzen dem kalten südamerika Schiffsreise. Die Fjordlandschaft entlang der chilenischen Küste ist grossartig (oben). Freundlicher Empfang. Vor der Post von Puerto Eden im Süden Chiles (unten). Nachtwind und den gierigen Blicken der Besucher. Am nächsten Tag machen wir einen Ausflug zum Lago Todos los Santos, der inmitten von schwarzsandigen, kargen Lavafeldern liegt. Das Wasser schimmert in den verführerischsten Blau- und Grüntönen. Ich ziehe die Schuhe aus, um die Temperatur zu testen, und bin überrascht: Es ist angenehm, nicht zu kalt. Schwupp, schon ziehe ich meine Kleider aus und tauche ins glatte Nass. Als alte Wasserratte bin ich immer für ein erfrischendes Bad zu haben. Es ist ein ganz besonderes Erlebnis, in diesem See zu schwimmen. Das Wasser ist klar, kein Mensch weit und breit und der Blick auf den Vulkan Osorno schlichtweg umwerfend. Ich habe ein Gefühl von Leichtigkeit und könnte ewig weiterschwimmen. Als ich doch noch aus dem Wasser herauskomme, ist mein ganzer Körper von feiner, schwarzer Asche überzogen. Was solls – ich lache über die Miene von Jörg, der Sand nicht mag, erst recht nicht, wenn er stark mit Asche angereichert ist. «Anderswo zahlt man viel Geld für solche BeautyAnwendungen», sage ich fröhlich. Am nächsten Tag geht es mit dem Bus weiter nach Puerto Montt. Von dort wollen wir die Navimag, ein umgebautes Frachtschiff, nach Puerto Natales nehmen. Alle Patagonienreisenden sind sich in diesem Punkt einig: Auf diesem Weg kann man die unberührte Schönheit der Fjorde am besten geniessen und dabei hautnah die Gletscherwelt erleben. Im Hafen Angelmo bei Puerto Montt kommen wir aus dem Staunen nicht heraus. Bunte Strassenstände bieten allerlei feil. Bei einer gebrechlichen, farbenfroh gekleideten Alten kaufen wir Obst für die Reise. Vor der Tür eines kleinen Restaurants steht ein bauchiger Kessel, dahinter eine Frau mit langem Zopf und einem Holzlöffel. Strahlend lässt sie uns einen Blick in den Topf werfen: «Delicioso!» Wir nicken und sie schiebt uns durch die geöffnete holzwurmzerfressene Tür. Wir quetschen uns auf schmale Bänke. Der Laden ist berstend voll mit Einheimischen. Das gefällt uns, die müssen ja wissen, wo es schmeckt. Wir verspeisen unsere Fischplatte in einvernehmlichem Schweigen und beobachten dabei fasziniert die Schaben, die an Tischen und Wänden Klimmzüge machen. Andere Länder, andere Sitten. Aber das Essen ist wirklich sehr schmackhaft. Draussen treffen wir auf die Alte vom Obststand: Sie ist erleichtert, als sie uns sieht und drückt uns ein paar Münzen in die Hand. Wir verstehen nur wenig von ihrem aufgeregten Geplapper, aber ihre Ehrlichkeit rührt uns. Sie hatte uns vorhin zu wenig Wechselgeld gegeben. Navimag ahoi! Diese Schiffsreise von Puerto Montt nach Puerto Natales ist wirklich empfehlenswert. Die Fjordlandschaft mit ihren einsamen Torfmooren und Gletschern zieht beinahe unwirklich an uns vorüber. Wie ein endloses impressionistisches Gemälde, das Einsamkeit und Wildnis wiedergibt. Dies so stark und intensiv, es lässt einen nicht los, rückt alles andere in den Hintergrund. Ab und zu schwimmen Magellanpinguine und Seehunde nebenher. Sie schauen neugierig zum Schiff, als scheinen sie sich zu fragen: Was habt ihr hier verloren, Leute? Täglich gibt es interessante Vorträge zu Klima, Flora und Fauna. Das Essen stimmt, 49 Paine treffen. Wir leihen uns ein Zelt, Isomatten und Kochgeschirr. Sich beim Einkaufen und Packen auf das Wesentliche zu beschränken, will gelernt sein. Zwanzig Kilo für jeden – da gibts nichts zu ändern. Mit einem Minibus fahren wir in den Park und setzen mit einem Boot über den Gletschersee Lago Grey. Riesige Eisschollen treiben im graublauen Wasser. In der Ferne taucht der Grey-Gletscher auf. Es ist bewölkt und kühl. Wir sind froh über unsere Thermokleidung. Das Klima Patagoniens ist wechselhaft und fordert Flexibilität. In den nächsten Tagen machen wir so richtig Bekanntschaft mit dem berüchtigten patagonischen Wind, ebenso die Unterhaltung am Abend – Filme, Tanz, Spiele. Die Unterbringung in offenen Kojen, von denen aus man seinen Mitreisenden bequem die Hand schütteln kann, steigert den Gemeinschaftssinn. Einziger Landgang ist in Puerto Eden: Hier leben die letzten einheimischen Indianer. Vom Garten Eden ist dieser trostlose Ort weit entfernt. Ist dieser Name Ausdruck von Ironie? Von den baufälligen Hütten blättert die Farbe, die Fenster sind mit Lumpen verhängt, der Müll liegt verstreut im hohen Gras. Eilig werden wackelige Tische aufgestellt, eine Handvoll Gebasteltes wird feilgeboten. Beschämt laufen wir durch das Dorf. Wir sind sicher, dass es nicht die Bestimmung dieser Menschen ist, ihr Dasein derart trostlos und deprimiert zu fristen. Selbst die Hunde scheinen depressiv zu sein. Zu Fuss von Camp zu Camp. Puerto Natales, eine farblose Kleinstadt mit Outdoorläden, in der wir die letzten Vorbereitungen für unsere grosse Tour durch den Nationalpark Torres del 50 GLOBETROTTER-MAGAZI 100 winter 2012 Bergpanorama. Blick auf den Lago Nahuel Huapi bei Bariloche (oben). Heruntergekommen. Stopp auf der Schiffsreise im kleinen Hafenstädtchen Puerto Eden (links). Trekking. Zu Fuss die Bergwelt erkunden (unten). Camping. Nach anstrengendem Wandern am Abend müde ins Zelt (rechte Seite; links unten). Felszacken. Die Torres wirken wie Zähne eines Riesen (rechte Seite; rechts unten). der oft mit bis zu 180 Stundenkilometern übers Land fegt und keine Gnade kennt. Die Trekkingtour ist anstrengend, aber die spektakuläre Natur entschädigt uns für alle Torturen. Die gut markierten Routen, auf denen uns oftmals ehemalige Navimag-Mitreisende über den Weg laufen, führen abwechselnd bergauf, bergab, durch Lichtungen mit pastellfarbenen Fingerhut-Blumen, durch Nothofagus-Wälder, an türkisfarbenen Seen vorbei. südamerika Das ständige Auf und Ab bringt uns ins Schwitzen. Bei einer Pause wagen wir einen Sprung in den Lago Grey. Am Horizont treiben die Eisschollen, wir fühlen uns mutig und erfrischt, wie die ersten Eroberer, die aber wahrscheinlich nie so verrückt gewesen und ins eisige Nass gesprungen sind. Am Abend im Camp finden wir dann das eiskalte Wasser zum Duschen nicht mehr so toll. Die Dauerduscher haben die Warmwasservorräte geschröpft und sitzen nun vergnügt in der Hütte, während wir mit Gletscherwasser und klappernden Zähnen duschen und die verschwitzten Haare waschen. Unsere Köpfe fühlen sich an wie Eiswürfel. Die Campingplätze sind idyllisch gelegen, aber sehr überlaufen. Frau Dixie hat damals – als sie 1881 ihren Reisebericht geschrieben hat – vermutlich andere Verhältnisse vorgefunden. So richtig einsam fühlen wir uns nie. An einem Abend beschliessen wir, am Lago Nordenskjöld unser Nachtlager aufzuschlagen. Heute haben wir einen ruhigen Platz in bester Aussichtslage. Warm eingepackt und in behaglichem Schweigen essen wir unser Fertigrisotto und geniessen das Panorama und die Einsamkeit. In der Nacht bläst uns ein Sturm mitsamt dem Zelt fast weg. Das will etwas heissen bei zwei Erwachsenen mit Gepäck! Erst in den frühen Morgenstunden fallen wir in einen narkoseähnlichen Schlaf. Am nächsten Tag scheint die Sonne und taucht die Berge in sanftes Licht. Wir machen uns eilig auf den Weg, da heute die grösste Etappe ansteht: Wir wollen es bis zum hochgelegenen Campingplatz Chileno am Fuss der Torres del Paine schaffen. In fast meditativer Stimmung setzen wir einen Fuss vor den anderen. Meine Schultern tun weh und werden mit einem Schal gepolstert. Das Gewicht des Rucksacks fordert seinen Tribut. Willkommene Ablenkung ist die Pflanzenwelt – vor allem der chilenische Feuerbusch mit seinen leuchtend korallenroten Blüten verzaubert mich. Das Holz dieses Grossstrauchs ist rosa und wird gerne von Kunsthandwerkern zum Schnitzen verwendet. Die Südbuchen sind vom rauen Klima gezeichnet und muten mit ihrem bizarren Wuchs wie Bonsais an. Wir beobachten kreisende Kondore, die Futter suchen, Gänse und Enten. Kleinere Vögel sind hingegen im dichten Buschwerk schwierig auszumachen. In der Laguna Inge springen wir unter den ungläubigen Blicken einer Gänsefamilie ins Wasser. Es ist nicht tief, am Boden ist dichter Bewuchs. Beim Abtrocknen entfernen wir rasch und angeekelt die Egel, die schon genüsslich unser Blut saugen. Die 51 Infos zu Patagonien – Feuerland PATAG O NIE N Geografie: Als Patagonien wird der unterste Teil Südamerikas bezeichnet. Der Río Colorado in Argentinien und der Río Bío Bío in Chile bilden die nördliche Grenze. Südlich der Magellanstrasse liegt Feuerland mit seinen zahlreichen Inseln. Grösse: Patagonien ist rund fünfmal grösser als Deutschland. Bewohner: Die Region ist sowohl auf der chilenischen wie auf der argentinischen Seite – abgesehen von wenigen Ballungszentren – sehr dünn besiedelt. Die meisten Einwohner haben europäische Vorfahren. Indigene Bevölkerung gibt es Gänseeltern schütteln missbilligend in diesem Teil Südameridie weissen Köpfe. Unglaublich, was kas praktisch keine. sich die Touristen alles erlauben! Wirtschaft: Im chilenischen Teil Patagoniens Beeindruckende Felstürme. Der ist der Tourismus die wichletzte Anstieg, natürlich auch wieder tigste Einnahmequelle. Im gewürzt mit stetem Auf und Ab, erargentinischen Teil sind weist sich wegen eines immer stärker nebst dem Tourismus die werdenden Windes mit Orkanböen Schafzucht und die Erdölals echte Herausforderung. Wir stemförderung von grösserer men uns wild entschlossen gegen dieBedeutung. se Naturgewalt und werden Zeugen Einige Höhepunkte: Naeiner komischen Szene: Im einen tionalpark Torres del Paine Moment sitzt am Wegrand ein Wan(Chile), Nationalpark Los derer, im nächsten ist er wie vom ErdGlaciares mit Perito Moreboden verschwunden. Seine Partneno, Fitz Roy und Cerro Torrin schaut sich verwundert um. Der re (Argentinien), Nationalpark Tierra del Fuego und Sturm hat ihn mit seinem Rucksack Beaglekanal (Chile und Argentinien), Halbinsel Valdés hintenübergeblasen. Wir helfen, den (Argentinien) Unglücklichen zu bergen. Zum Glück Beste Reisezeit: In den Sommermonaten von Novemist ihm nichts passiert. Kein Patagober bis Februar. Der für Patagonien typische starke nienreisender sollte je den Wind unWind bläst jedoch auch in diesen Monaten. Im chileterschätzen. Er ist brutal und unberenischen Teil fällt bedeutend mehr Regen als im argentichenbar. Diese Erfahrung lehrt uns, nischen Teil. an ausgesetzten Wegabschnitten stets Verkehrsmittel: Zwischen den grösseren Orten oder nah am Berg zu gehen und die Nähe Nationalpärken gibt es Busverbindungen. Wer unterzum Abgrund zu meiden. wegs lieber Stopps einlegt, mietet ein Auto oder engagiert einen Taxifahrer. Für weite Distanzen nutzt man am besten BOLIVIEN eines der zahlreichen Flugangebote. Für die Strecke von Puerto BRASILIEN PA R AG UAY Montt nach Puerto Natales (v.v.) ist die Navimag mit ihren Fährschiffen ein lohnenswertes Transportmittel. C H IL E Bücher: «Argentinien», Lonely A RG E N T I N I E N Planet Travel Guide (Deutsch), Pazifik ISBN: 978-3-8297-2212-4, U R U G UAY «Chile und die Osterinsel», Reise Santiago Buenos Aires Know-How Verlag, ISBN: 978-38317-2113-9, «In Patagonien – Rio Bio Bio Reise in ein fernes Land», Bruce Rio Colorado Nahuel Chatwin, ISBN 978-3-499Osorno Huapi N.P. Atlantik 12836-3, «Patagonien – Von HoSan Carlos Puerto Varas rizont zu Horizont», Carmen Rohrde Bariloche Puerto Montt bach, ISBN 978-3-492-40387-0 Navimag Schiffsreise Karten: Argentinien, 1:1,2 Mio. (World Map), Reise Know-How Verlag, ISBN 978-3-8317-7154-7, Chile, 1:1,6 Mio. (World Map), Los Glaciares N.P. (Perito Moreno Gletscher) Puerto Eden Reise Know-How Verlag, ISBN: Torres del Paine N.P. Puerto Natales 978-3-8317-7116-5 Ushuaia 52 Tierra del Fuego N.P. Am späten Nachmittag kommen wir erschöpft am Campingplatz an und bauen unser Zelt auf. Morgen soll das Wetter unbeständig werden. Eigentlich sind wir total kaputt, machen uns aber dennoch gleich auf den Weiterweg, schliesslich ist der Aussichtspunkt Los Torres ein absolutes Muss. Anfangs geht es auf einem kleinen Pfad durch verträumten Laubwald. Sobald wir den Wald verlassen, verliert sich der Weg in einem Geröllfeld. Der Aufstieg wird beschwerlich, der höchste Punkt lässt sich nur schwach erahnen. Oft müssen wir stehen bleiben und uns neu orientieren. Wir setzen jeden Schritt mit Bedacht, sonst ist es unter Umständen für eine Weile der letzte. Wir haben keine Lust, herauszufinden, wie es um die Qualität der Bergrettung in Patagonien steht. Nach einer schier endlosen Quälerei schleppen wir uns über den letzten Felsen und sind einen Moment sprachlos, bevor wir uns umarmen. Die Zacken der Torres ragen wie die vernachlässigten Zähne eines Riesen in den blauen Himmel. Das «Zahnfleisch» ist von Schnee bedeckt und verschwindet in groben Falten in einem trübgrünen Gletschersee. Der Wind tost und heult. Wir fühlen uns klein und schutzlos im Angesicht dieser Gewalten. Kein Ort, um länger zu verweilen. Vorsichtig machen wir uns an den Abstieg. Die Torres sollen in der Morgensonne überwältigend schön sein, aber in diesem Augenblick mag ich nicht an einen neuerlichen Aufstieg denken. Ich will nur noch warm duschen und schlafen. Trotz Erschöpfung schlafe ich schlecht, habe aber nicht die Energie, mitten in der Nacht die Tour nochmals zu machen, um den Vollmond über den Torres zu sehen. Jörg hingegen macht sich um kurz nach 3 Uhr mit der Stirnlampe auf den Weg. Der Vollmond wird von Nebelschwaden umschmeichelt, leichter Nieselregen setzt ein. Der Aufstieg ist nachts wesentlich leichter als am Tag, weil das Licht der Lampe die Reflektoren an den Felsen sichtbar macht. Der Weg ist wohl für eine Wanderung im Dunkeln ausgelegt worden. Nach knapp zwei Stunden ist Jörg am Ziel und kann sich noch kurz am Naturschauspiel erfreuen, ehe sich der Nebel wie eine Decke über die Berge und den Mond legt. Ich bin froh, als er ein paar Stunden später heil beim Frühstück erscheint. südamerika Von Tieren und Gletschern. Hunderte Kilo- meter fahren wir per Anhalter durch die Pampa. Dies mag bei dem geringen Verkehrsaufkommen als eine riskante Sache scheinen, klappt aber gut. Nur einmal ist der Fahrer totmüde und schiesst mit zeitweise geschlossenen Augen wie ein Kamikaze über den Asphalt. Ist das die Sorte Abenteuer, die uns vorschwebte? Flache, wüstenähnliche Landschaft mit typischem Bewuchs: kugelige Grasbüschel, stachlige, krüpplige Büsche, die sich verzweifelt flach an den Boden pressen, um dem ständigen Wind keinen Widerstand zu bieten. «Survival of the fittest», eine eindrückliche Demonstration von biologischen Grundsätzen. Der Wind treibt den Staub in meterhohen Wellen vor sich her. Hier und da sind Nanduund Guanako-Herden unterwegs. Was sie in dieser Öde fressen, ist uns ein Rätsel. Sie schei- Weite. Patagonien ist wild und leer (links oben). Gletscher. Der Perito Moreno schiebt sich in den See hinein (oben). Eisabbruch. Mit etwas Glück sieht man den Gletscher kalben (links unten). Ushuaia. Staubige und lärmige südlichste Stadt der Welt (rechts unten). nen sich aber pudelwohl zu fühlen und wälzen sich verzückt im Staub. Ein lustiger Anblick. An der argentinischen Grenze spielen die Zollbeamten Tischtennis und wirken sichtlich belästigt durch unsere Ankunft. Die Formalitäten sind schnell erledigt, weil sie es nicht abwarten können, zu ihrem Spiel zurückzukehren. Auch recht. Eis und Gletscher haben wir zwar auch in der Schweiz, aber eben nicht einen Lago Argentino. Wir wollen den kalbenden Perito-Moreno-Gletscher sehen und verbringen ein paar spannende Tage im 600 000 Hektar grossen Nationalpark Los Glaciares, der 1981 zum UNESCO-Welterbe deklariert wurde. Das Klima ist kühl und gemässigt mit regelmässigem Niederschlag. Die Regenwälder sind üppig, dunkelgrün und lebendig. Die Südbuchen bilden einen undurchdringlichen Teppich. Es ist die Heimat des Huemuls, auch Andenhirsch genannt. Er ist klein und hat sich gut an das unwegsame alpine Gelände angepasst. Wir haben grosses Glück und sehen gleich am ersten Tag ein weibliches Tier an einem Geröllhang. Scheinbar sorglos frisst es von den kargen Hälmchen. Wir sind hellauf begeistert über diese Begegnung. Magellangänse und Sturzbachenten sind weitere Highlights. Letztere sind grandiose, furchtlose Taucher, für die auch Wildwasser kein Schrecken birgt. Dafür fliegen sie nicht gerne und beschränken derlei Aktivitäten auf kurze Strecken. Kondore kreisen häufig am bedeckten, regenschwangeren Himmel, elegant und ohne Anstrengung – so scheint es wenigstens für uns am Boden. Füchse, Pumas und vom Aussterben bedrohte kleine Wildkatzen gibt es im Park, aber sie sind sehr scheu und nur mit viel Glück zu beobachten. Die Fahrt mit dem Boot an die Abbruchkante des Gletschers ist eindrücklich. «Unbelievable!» haucht die rundliche Engländewinter 2012 100 GLOBETROTTER-MAGAZIN 53 erklärte die Regierung 63 000 Hektar am südlichsten Andenzipfel zum Schutzgebiet. Die magellanschen Torfmoore sind ein charakteristisches Merkmal von Feuerland. Sie bieten erstaunlich vielen Arten Lebensraum. Einen patagonischen Rotfuchs sehen wir gleich bei der Ankunft beim Postamt «Fin del Mundo», das sich im Park befindet. Dort lassen wir uns den Pass stempeln – «Ende der Welt» hat nicht jeder in seinem Pass stehen. Entspannt und zutraulich sitzt der zottelige Fuchs rin neben mir, als ein gewaltiger Eisbrocken ins Wasser stürzt und das Boot zum Schaukeln bringt. Alle versuchen hektisch, diesen Moment mit der Kamera festzuhalten. Der Gletscher zeigt sich entgegenkommend und wiederholt die Show ein zweites Mal. Das Foto im Kasten und ein breites Grinsen auf dem Gesicht, lassen wir dieses ungestüme, dramatische Fleckchen Erde hinter uns. Am echten Ende der Welt. Ushuaia, die südlichste Stadt der Welt, trägt den Übernamen «Ende der Welt». Wie stellt man sich das Ende der Welt vor? Natürlich haben wir uns monatelang vor der Reise Gedanken darüber gemacht. Wir dachten dabei an ein verschlafenes, gottvergessenes Kaff, in dem sich Fuchs und Huemul Gute Nacht sagen und die Zeit stehen geblieben ist. Wir dachten an Blockhütten, Pioniergeist und Mulis am Strassenrand, Stille und Unverdorbenheit. Von wegen! Ushuaia ist laut, staubig und unnahbar. Hier zeigt jeder, was er hat und vor allem über wie viele PS er verfügt. Es dröhnen die Motoren und quietschen die Bremsen. Gnadenlos. Diese Stadt schläft nie. Beim ersten Hostel in angeblich idyllischer Lage ergreifen wir sofort die Flucht. Die Suche erweist sich als schwierig, aber abends gibt es ein Ende-derWelt-Bier, mit dem wir unsere Enttäuschung ertränken. Der Feuerland-Nationalpark wiederum ist von melancholischer, wilder Schönheit. 1960 54 GLOBETROTTER-MAGAZI 100 winter 2012 Wilde Schönheit. Im Nationalpark Tierra del Fuego finden sich auch Spuren der Ureinwohner. Das Ende Amerikas. Leuchtturm am Beagle-Kanal. Abendstimmung. Kurze Nächte im Südsommer. Autorin. Annette Lepple mit Ehepartner Jörg. (Von oben nach unten) im Gras und beobachtet uns gelassen. Gibt es hier Tollwut? Soviel Freundlichkeit macht uns misstrauisch, aber auch andere tierische Parkbewohner kennen keine Scheu. Die Caracaras, eine Falkenart, hüpfen um uns herum und erhoffen sich eine Belohnung. Abends gehen wir auf Biberbeobachtung. Zwei junge, häufig kichernde Typen sind unsere Guides. Wir schauen uns an. Ihre coole Art ist okay, solange sie später, wenn es darauf ankommt, den Mund halten. So kommt es dann auch, als wir auf Zehenspitzen durch das urzeitlich wirkende Gelände schleichen, welches die Biber profimässig unter Wasser gesetzt haben. Vorsicht ist angebracht, will man ein unfreiwilliges Bad vermeiden. Abgestorbene Bäume ragen wie Wurzeln in den rosafarbenen Abendhimmel. Die Biber tauchen und schwimmen geschickt und leise zwischen ihren gefällten Stämmen umher. Wir vergessen vor Spannung fast das Atmen. Bis auf das gelegentliche harte Klatschen, wenn einer von ihnen uns erspäht und warnend seine Kelle, den haarlosen Schwanz, auf die spiegelglatte Wasseroberfläche heruntersausen lässt, ist es hier totenstill. Der Biber ist nicht heimisch, sondern wurde vor Jahrzehnten aus wirtschaftlichen Gründen eingeführt. Mittlerweile sind sie verwildert, haben sich erfolgreich angepasst und die Landschaft markant geprägt. Wir fühlen uns privilegiert, einen Einblick in das Leben dieser schlauen Tiere zu bekommen. Die ersten Menschen liessen sich in diesem rauen Land vor etwa 10 000 Jahren nieder. An den Stränden im Park stossen wir beim Wandern nicht selten auf Middens. Diese Muschelhaufen weisen auf die Ernährungsgewohnheiten der Ureinwohner Yámana hin, die damals vom maritimen Reichtum profitierten. Sie führten ein gesundes Leben im Einklang mit der Natur. Dies änderte sich, als Ende des 19. Jahrhunderts die ersten europäischen Siedler eintrafen. Schiessübungen und Epidemien sorgten für den schnellen Untergang der Feuerlandindianer. Eine Wucht ist die Bootsfahrt auf dem Beagle-Kanal: Kormorane, Seehunde und -löwen so weit das Auge reicht. Ein wenig können wir nachempfinden, wie sich Charles Darwin fühlte, als er 1833, anlässlich seiner Weltumsegelung an Bord der HMS Beagle, in Feuerland anlegte. Das Ushuaia von heute blieb ihm erspart. Zum Glück ist diese Stadt nur ein kleines Puzzleteil vom gigantischen Naturerlebnis Patagonien. Wie so oft hat sich auch der Tourismus in Patagonien als vorteilhaft für die Natur erwiesen: Man schützt und pflegt, was die Reisenden suchen und schätzen. Wir haben gefunden, was wir gesucht haben: Wildnis, Freiheit, Naturschönheit, vielseitige Flora und Fauna und – vor allem auch – Freundlichkeit und interessante Begegnungen. [email protected] © Globetrotter Club, Bern südamerika Weitere exklusive Reisereportagen lesen? Für 30 Franken pro Kalenderjahr liegt das Globetrotter-Magazin alle 3 Monate im Briefkasten. Mit spannenden Reise geschichten, Interviews, Essays, News, Tipps, Infos und einer Vielzahl von Privatannoncen (z.B. Reisepartnersuche, Auslandjobs etc.). Dazu gibts gratis die Globetrotter-Card mit attraktiven Rabatten aus der Welt des Reisens. 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