Einleitung

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Einleitung
Einleitung
Im Alter von 36 Jahren erlebte Adam Smith im Jahre 1759 die Veröffentlichung
seines ersten Buches, dem er den Titel „The Theory of Moral Sentiments“ gab.
Smiths Erstlingswerk stieß auf reges Interesse, wurde von den Fachkollegen gelobt und verkaufte sich außerordentlich gut. Die erste Auflage war
rasch vergriffen und mußte mehrmals neu gedruckt werden. Bis 1790, dem
Todesjahr Adam Smiths, erschienen noch fünf weitere Auflagen sowie Übersetzungen ins Französische und Deutsche. 1 Ähnliches gilt auch für Smiths
„An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations“. Während
diesem im Jahr 1776 erstmals veröffentlichten Werk allerdings auch heute
noch viel Aufmerksamkeit zuteil wird und es als Grundlagentext der Wirtschaftswissenschaften gilt, geriet Adam Smiths Moralphilosophie und mit ihr
die TMS bald in Vergessenheit. Edmund Burkes Prophezeiung, die er Smith
nach der Lektüre dieses Werkes in einem Brief mitteilte, bewahrheitete sich
nicht:
A theory like yours founded on the Nature of man, which is always the same, will
last, when those that are founded on his opinions, which are always changing, will
æ
and must be forgotten. 2,1
1
2
Im folgenden wird Adam Smiths „The Theory of Moral Sentiments“ in Kapitelüberschriften mit
„Theory of Moral Sentiments“ zitiert und im Text mit der Sigle TMS abgekürzt. Der sechsten
Auflage, der Ausgabe letzter Hand, aus dem Jahre 1790 folgen alle neueren Wiederabdrucke.
Dies gilt sowohl für die von mir verwendete englischsprachige Ausgabe aus dem Jahre 1982
als auch für die Ausgabe der TMS in deutscher Sprache. Die von mir verwendete deutsche
Übersetzung stammt von Walther Eckstein (1 1926, unveränderter Nachdruck 1994) und
wird mit der Sigle TEG (= Theorie der ethischen Gefühle) zitiert. Ein Verzeichnis der von mir
in dieser Arbeit verwendeten Siglen findet sich im Anhang. Zur Entstehungsgeschichte der
TMS sowie zu den Unterschieden in den Auflagen eins bis sechs vgl.: W. Eckstein (1994),
S. XXXIV–LIII; I.S. Ross (1998), S. 239–266. Die detailliertesten Informationen zu Adam
Smiths Leben und Werk finden sich in: D. Stewart (1 1794, repr. 1980) und I.S. Ross (1998).
Die wichtigsten biographischen Daten zu Adam Smith sind der im Anhang dieser Arbeit
befindlichen Zeittafel zu entnehmen.
Dieses Zitat stammt aus einem Brief Burkes an Smith, der mit 10.09.1759 datiert und in
der Correspondence of Adam Smith (1987, pp. 46–47) wiederabgedruckt ist. Die Übersetzungen fremdsprachlicher Zitate ins Deutsche finden sich im Anhang, sofern sie wie dieses durch
Einrücken hervorgehoben und mit arabischen hochgestellten Ziffern, gefolgt von einem Asterix fortlaufend numeriert sind. Findet sich in einer Fußnote ein fremdsprachliches Zitat, so
folgt die Übersetzung desselben diesem in runden Klammern. Besteht ein fremdsprachliches
Zitat nur aus einem Nebensatz oder Satzteilen, so erfolgt die (sinngemäße) Übersetzung ins
Deutsche entweder im Text oder in einer entsprechenden Fußnote.
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Einleitung
Gegenwärtig wird die TMS kaum zur Kenntnis genommen, weder in philosophiehistorischer noch in systematischer Hinsicht.
Vor allem das mangelnde philosophiehistorische Interesse an der Moralphilosophie Adam Smiths überrascht, zumal die TMS den Schlußpunkt der
Epoche der schottisch-englischen Moralphilosophie des 18. Jahrhunderts darstellt.
Charakteristisch für diese Epoche war, daß ihre einzelnen Repräsentanten
auf den Ergebnissen der jeweiligen Vorgänger unmittelbar aufbauten und an
sie bewußt anknüpften. So wie David Hume die Einsichten Hobbes’ und
Francis Hutchesons in sein moralphilosophisches System aufnahm, Hutcheson wiederum auf den Ergebnissen Shaftesburys aufbaute, so knüpfte auch
Adam Smith in seiner TMS unmittelbar an die Einsichten seines Lehrers
Hutcheson und seines Freundes Hume an.
Ein Ziel der vorliegenden Arbeit besteht darin, aufzuzeigen, wie sehr
und inwieweit Smith die Überlegungen seiner Vorgänger übernimmt, und
an welchen Stellen er sie einer Erweiterung unterzieht. Dabei wird sich im
ersten Kapitel dieser Arbeit herausstellen, daß Smith sich bei seiner Antwort
auf die Frage nach der Natur des Menschen stark an den diesbezüglichen
Antworten Humes und Hutchesons orientiert. Wie diese beiden Philosophen
nimmt auch Smith hinsichtlich der Frage nach der Natur des Menschen eine
Position ein, die in der Mitte zwischen den so gegensätzlichen Positionen
Hobbes’ und Shaftesburys anzusiedeln ist.
Im Kapitel II und im Kapitel IV der vorliegenden Arbeit wird dargelegt
werden, daß Smith die moralphilosophischen Überlegungen Humes und
Hutchesons an wesentlichen Punkten weiterentwickelt, sodaß zu Recht behauptet werden kann, daß Smiths die Entwicklung der Gefühlsethik zum
Abschluß bringt 3 . Nicht bloß in chronologischer Hinsicht stellt die TMS den
Schlußpunkt dieser moralphilosophischen Epoche dar 4 , sondern in ihr findet
sich das von Shaftesbury begonnene und von Hutcheson und Hume vorangetriebene Projekt der Gefühlsethik in seiner konsequentesten Form verwirklicht.
3
4
G. Gawlick (1980), S. 216. Zur selben Einschätzung gelangt auch G. Streminger. Vgl. dazu: G.
Streminger (1984), S. 7. Worin allerdings die Smithsche Weiterentwicklung der Ausführungen
Hutchesons und Humes zur Gefühlsethik genau besteht, auf diese Frage finden sich in den
zitierten Schriften Gawlicks und Stremingers keine Antworten.
Den Umstand, daß die TMS am Ende einer philosophischen Epoche steht, führt W. Eckstein übrigens als Grund für das mangelnde systematische Interesse an Smiths Moralphilosophie an, während er die noch immer starke Beachtung Smiths „An Inquiry into the Nature and
Causes of the Wealth of Nations“ damit zu erklären versucht, daß dieses Werk eines der ersten
nationalökonomischen Schriften war und gleichsam ein neues Wissensgebiet eröffnete. Vgl.
dazu: W. Eckstein (1 1929, 1994), S. XXIII.