ambassade de france - Französische Botschaft

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ambassade de france - Französische Botschaft
Frankreich – Info
Herausgeber: Französische Botschaft
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Internet: www.botschaft-frankreich.de
1. April 2008
Rede von Staatspräsident Nicolas Sarkozy
vor dem britischen Parlament
-Auszüge-
London, 26. März 2008
Bilaterale Beziehungen
Es ist eine außerordentliche Ehre für den französischen Staatspräsidenten, vor den
beiden Kammern des britischen Parlaments zu sprechen. (...)
Durch diese Institution hat das Vereinigte Königreich Großbritannien seine Größe
erlangt. Es ist mir eine große Ehre, vor Ihnen zu sprechen, denn das politische Herz
Großbritanniens schlägt unter diesem Dach. (...)
Wenn es ein Volk gibt, zu dem Sie außerordentliche Verbindungen geknüpft haben,
dann ist das natürlich Frankreich. Die Geschicke unserer beiden Länder sind seit
nahezu 1000 Jahren eng miteinander verbunden. (..)
Unsere Nationen haben sich lange Zeit bekämpft, bis zu dem Tag, als Briten und
Franzosen begriffen haben, dass das, was uns verbindet wichtiger ist als das, was
uns voneinander trennt; dass wir Interessen haben, die es zu verteidigen gilt und,
mehr noch, dass wir gemeinsame Werte haben, die es zu verkörpern und in die Welt
zu tragen gilt.
Dieses Bündnis trug einen Namen: „Entente cordiale“. Und seit wir uns nicht mehr
bekämpfen, müsste man eigentlich von „Entente amicale“ sprechen. Nach
Jahrhunderten der Feindseligkeit und des Misstrauens, die uns dazu gebracht haben,
uns die schrecklichsten Auseinandersetzungen zu liefern, ist aus dem Leiden, aus
dem geteilten Unglück tiefe gegenseitige Wertschätzung erwachsen. Lassen Sie uns
versuchen, aus dieser Wertschätzung aufrichtige Freundschaft zu machen. (...)
www.botschaft-frankreich.de
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Wir müssen uns immer wieder an das erinnern, was uns verbindet, und nicht an das,
was uns voneinander trennt.
Im Namen des französischen Volkes will ich Ihnen sagen: Frankreich wird nie
vergessen, dass England an seiner Seite war, als wir am Rande der Vernichtung
standen.
Im Namen des französischen Volkes will ich Ihnen sagen, dass wir Großbritannien
ewig dankbar sind. Frankreich hat nicht vergessen, was junge Briten für die Freiheit
des französischen Volkes getan haben. (...)
Die Kriege des vergangenen Jahrhunderts haben es gezeigt, es ist wie bei Brüdern:
Gemeinsam können das britische und das französische Volk viel mehr erreichen als
jeder für sich alleine. Gemeinsam sind wir stärker als alleine oder gegeneinander.
(...)
Wir müssen aus unseren Unterschieden Ergänzungen machen. Nie zuvor waren sich
Frankreich und Großbritannien so nahe, so eng miteinander verbunden wie heute.
(...)
Sie sind für uns ein Modell, eine Referenz. Und wir müssen uns von allem inspirieren
lassen, was Sie in den letzten 20 bis 30 Jahren geschafft haben, ungeachtet der
politischen Couleur Ihrer Regierungen.
Was wir wohl am meisten an Ihnen bewundern, ist die Fähigkeit, die Ihr Volk schon
immer hatte, sich zu verändern, um dem Lauf der Welt zu folgen oder zuweilen sogar
voraus zu sein, und sich dabei zugleich stets treu zu bleiben. (...)
Unser Ziel ist es, uns von Ihrer Erfahrung inspirieren zu lassen.
Frankreich ist wieder in Bewegung. Und eines kann ich Ihnen sagen: Ich werde die
Reformen zu Ende bringen. (...)
Ich wurde nicht gewählt, um mich dem Schicksal zu beugen. Und unsere Bürger, in
Großbritannien wie in Frankreich, erwarten von uns, dass wir uns nicht dem
Schicksal beugen; das ist Sinn und Zweck der Politik. Ich wurde gewählt, um
Möglichkeiten zu schaffen, um Frankreich mittels eines fortwährenden Prozesses
tiefgreifender Reformen zu verändern.
Großbritannien und Frankreich im Kontext der Globalisierung
Ich sage Ja zur Globalisierung, aber auch zum besseren Schutz der Arbeiter. Ich
sage Ja zum Freihandel, aber auch zur Verteidigung unserer Interessen, und ich
wünsche mir, dass der Begriff „Gegenseitigkeit“ in Europa verstanden wird. Ich sage
Ja zur Marktwirtschaft und Ja zu einer intelligenten Politik zu Gunsten strategischer
Sektoren; Ja zu den Gemeinschaftspolitiken, die die Identität unserer Länder nicht in
Frage stellen. (...)
Hatte die Globalisierung einst so viele Antworten geliefert, so viele Hoffnungen
eröffnet, so hat sie in der jüngeren Zeit aber auch Fragen aufgeworfen, Leiden
hervorgerufen, die grundlegend neue Antworten erfordern.
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Wir müssen diese neuen Dimensionen gemeinsam erfassen.
Vor dem Hintergrund der in dieser Form noch nie da gewesenen Probleme, die wir
lösen werden müssen, haben Frankreich und Großbritannien eine bedeutende Rolle
zu spielen.
Wenn wir unsere Kräfte bündeln, können wir zu einer neuen, freieren, gerechteren
und verantwortlicheren Globalisierung beitragen.
Um unseren Verantwortlichkeiten gerecht zu werden, brauchen unsere beiden
Länder einander.
Im Namen des französischen Volkes will ich dem britischen Volk hiermit vorschlagen,
zusammen ein Kapitel unserer gemeinsamen Geschichte zu schreiben, und zwar das
einer neuen französisch-britischen Brüderlichkeit, einer Brüderlichkeit für das
21. Jahrhundert.
Wir wünschen uns mehr Verständigung, mehr Zusammenarbeit zwischen unseren
Ländern.
Gründe hierfür gibt es reichlich: Wir sind beide ständige Mitglieder des UNSicherheitsrats, wir sind beide Nuklearmächte; wir haben beide internationalen
Einfluss, sind beide Mitglieder der Europäischen Union, unsere feste Verwurzelung
mit der Demokratie und der Freiheit.
Unsere beiden Länder sind vergleichbar in Einfluss und Bedeutung. Wir haben
entsprechende Bevölkerungszahlen, ein fast identisches BIP und dieselben
Prioritäten im Bereich der Verteidigung. Wir haben 15.000 französische Soldaten in
die internationalen Krisengebiete entsandt, bei Ihnen sind es ebenfalls 15.000
Soldaten. Unsere beiden Länder müssen ihre Ideen in der ganzen Welt verbreiten.
Wenn sie wollen, können unsere beiden Länder sich ergänzen. (...)
Wenn Großbritannien und Frankreich gemeinsam mehr Gerechtigkeit wollen, dann
wird die Welt gerechter sein.
Wenn Großbritannien und Frankreich gemeinsam für den Frieden kämpfen, dann
wird es mehr Frieden geben auf der Welt.
Wenn Großbritannien und Frankreich ihre Kräfte bündeln, um der einbrechenden
Wirtschaftskrise zu begegnen und gemeinsam die notwendigen Reformen
vorzuschlagen, dann wird es mehr Sicherheit und Wohlstand auf der Welt geben.
Wenn Großbritannien und Frankreich sich gemeinsam Gedanken machen über die
Zukunft des Finanzkapitalismus, der reformiert werden muss, damit Unternehmer
und nicht Spekulanten begünstigt werden, damit die Weltwirtschaft nicht länger auf
einem Berg von Schulden sitzt, wenn Großbritannien und Frankreich mit einer
Stimme sprechen, wer könnte sich dann weigern, uns zuzuhören?
Wenn Großbritannien und Frankreich bei der Bekämpfung der Klimaerwärmung mit
einer Stimme sprechen, dann würde diese Stimme selbst bei denjenigen, die an der
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Ernsthaftigkeit dieser Gefahr zweifeln, Gehör finden. Ich denke dabei vor allem an
die Vereinigten Staaten, denn um eine ökologische Katastrophe abzuwenden,
brauchen wir die Vereinigten Staaten. Und wer könnte die USA besser überzeugen,
wer könnte sie im Namen unserer geteilten Werte, für die wir gemeinsam so viele
Opfer gebracht haben, besser auf ihre internationalen Pflichten aufmerksam machen
als die aufrichtigsten Freunde Amerikas?
Wenn Großbritannien und Frankreich, die sich beide entschlossen für die
Kernenergie entschieden haben, gemeinsam die zur Bekämpfung des Klimawandels
einzigartigen Vorteile dieser Energieform propagieren, dann wird diese Position
Verbreitung finden und an Gewicht gewinnen.
Wenn Großbritannien und Frankreich gemeinsam vermitteln, dass sie eine Welt des
21. Jahrhunderts mit Institutionen des 20. Jahrhunderts, in der die wichtigsten
aufsteigenden Staaten mit ihren zweieinhalb Milliarden Einwohnern außen vor
gelassen werden, ablehnen, dann wird die gemeinsame Stimme Großbritanniens und
Frankreichs in der ganzen Welt Gehör finden.
Frankreich, Großbritannien und Europa
Was wir gemeinsam machen, ist nur sinnvoll, wenn wir es im europäischen Rahmen
machen, denn Europa ist unser gemeinsames Schicksal. (...)
Die Europäische Union - das sage ich aus tiefer Überzeugung heraus - ist unser
gemeinsames Werk. Sie ist ein Werk des Friedens, der Demokratie und des
Wohlstands. (...)
Vor 35 Jahren hat sich Großbritannien für Europa entschieden.
Ich will Ihnen sagen, dass Europa Großbritannien braucht, und meine britischen
Freunde wissen, dass ich schon seit sehr langer Zeit so denke: Ohne Großbritannien
können wir kein prosperierendes, demokratisches und effizientes Europa aufbauen.
Ich denke, dass Großbritannien und Frankreich Europa brauchen, wie auch immer
die Überzeugungen, die ich respektiere, sein mögen. Wäre Europa stärker ohne die
britische Dynamik? Wäre Großbritanniens Einfluss weltweit größer, wenn es wieder
zur „splendid isolation“ zurückkehren würde? Könnten wir die Herausforderungen, die
sich unseren Ländern heute stellen, im nationalen Rahmen besser bewältigen?
Ich will noch weiter gehen: Niemand verlangt von Großbritannien, auf das sehr
brüderliche und intensive Verhältnis zu verzichten, das Großbritannien seit drei
Jahrhunderten mit Amerika verbindet; niemand verlangt von Großbritannien, das
einzigartige Verhältnis zum Commonwealth aufzugeben.
Das wäre, als würde man von Ihnen verlangen, sich selbst aufzugeben. Vor allem
aber würde Europa auf diese Weise die wertvollen Qualitäten verlieren, die
Großbritannien einbringen kann: seine Weltoffenheit, seine besondere Ausstrahlung
und seine Kultur der Vielfalt – Qualitäten, die Europa braucht. Wir brauchen die
Briten in Europa, echte Briten, wahre Briten. (...)
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Unsere beiden Länder wollen ein Europa, das die nationalen Identitäten respektiert.
(...) Wir wollen ein Europa, das sich nicht dem Bürokratiewahnsinn hingibt, das nicht
versucht, überall dieselben Normen durchzusetzen. Wir wollen ein handlungsfähiges
Europa.
Meine lieben Freunde: Wenn wir Europa verändern wollen, und wir Franzosen wollen
dies, dann brauchen wir Sie im Inneren Europas, nicht außerhalb, denn wer glaubt
ernsthaft, man könne von Außen auf die Entwicklung Europas Einfluss nehmen,
muss Europa doch aus dem Inneren heraus geändert werden? (...)
Wir müssen uns auf konkrete Projekte konzentrieren: Bekämpfung des
Klimawandels, Energie, Immigration, Entwicklung, Sicherheit, Verteidigung. Bei
diesen Themen, die im Mittelpunkt der französischen EU-Präsidentschaft ab Juli
2008 stehen, müssen Großbritannien und Frankreich an einem Strang ziehen. (...)
Großbritannien will ein Europa, das in der Lage ist, die Migrationssfrage in den Griff
zu bekommen. (...) Wir haben eine beispielhafte bilaterale Zusammenarbeit
entwickelt. Ich halte es für sehr wichtig, einen europäischen Immigrationspakt zu
beschließen. Wie wollen Sie ihre Einwanderungsprobleme lösen, wenn Frankreich
seine nicht löst? Und wie kann Frankreich seine Einwanderungsprobleme lösen,
wenn Großbritannien und Frankreich nicht von demselben politischen Willen geleitet
sind? Was bringt uns der Schengen-Raum, wenn wir nicht auch über eine
gemeinsame Einwanderungspolitik nachdenken?
Ich weiß, dass Großbritannien eine Reform der Agrarpolitik wünscht. Frankreich ist
bereit dazu. (...)
Frankreich und Großbritannien stellen sich gemeinsam den Herausforderungen des
Friedens in der Welt. Wir sind zusammen in den Balkanstaaten engagiert, und auch
in Afghanistan. Frankreich und Großbritannien allein gewährleisten zusammen zwei
Drittel der Verteidigungsanstrengungen unserer 25 europäischen Partner und das
Doppelte ihrer Forschungsanstrengungen. Lassen wir die theoretischen Streitereien
über das Atlantische Bündnis und das Europa der Verteidigung beiseite! Unser
Interesse und das unserer Verbündeten ist es, beide Strukturen zu verstärken und so
in Europa die im heutigen internationalen Kontext für unsere Sicherheit erforderlichen
militärischen Kapazitäten zu entwickeln.
Angeblich haben Großbritannien und Frankreich gegenläufige Konzepte von Europa,
und es heißt auch, die Konfrontation zwischen unseren beiden Ländern sei eine
strukturelle Gegebenheit des europäischen Aufbauwerks. Ich sehe das anders, ich
glaube fest daran, dass wir uns auch hier verbünden können. Ich glaube an die
Notwendigkeit der NATO. Ich glaube an die historische Freundschaft zu den
Vereinigten Staaten, und von dieser Überzeugung bringt mich niemand ab. Und
zugleich glaube ich, dass Europa, wenn es dieses Namens würdig sein will, in der
Lage sein muss, seine Sicherheit zu gewährleisten, und nicht nur seinen Wohlstand.
Gewiss, für uns Franzosen ist die deutsch-französische Freundschaft die Basis der
europäischen Aussöhnung. Ich bin überzeugt, dass der deutsch-französische Motor
im Europa von heute unerlässlich ist. Aber das genügt nicht. Um die 27
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zusammenzuhalten, brauchen wir vor allem auch diese neue französisch-britische
Verständigung.
Unsere beiden Länder spielen eine wichtige Rolle in den nach dem Zweiten
Weltkrieg
gegründeten
Institutionen:
Vereinte
Nationen,
Internationaler
Währungsfonds, Weltbank. Wie Gordon Brown glaube auch ich, dass diese
Institutionen Reformen bedürfen. (...) Ich werde mich dafür einsetzen, dass die G8
Schritt für Schritt zur G13 oder zur G14 erweitert wird, damit das neue internationale
Kräfteverhältnis besser widergespiegelt wird. (...)
Großbritannien, Frankreich und die internationalen Herausforderungen
Gemeinsam sind unsere Länder entschlossen, sich Seite an Seite mit allen unseren
Verbündeten weiterhin in Afghanistan zu engagieren; denn in Afghanistan - dies
auszusprechen fürchte ich mich nicht - entscheidet sich sehr viel. Frankreich hat
seinen NATO-Partnern eine Strategie vorgeschlagen, um dem afghanischen Volk
und dessen rechtmäßiger Regierung den Aufbau von Frieden zu ermöglichen. Wenn
diese Vorschläge akzeptiert werden, wird Frankreich im Rahmen des BukarestGipfels vorschlagen, seine militärische Präsenz zu verstärken. Wir können in Kabul
keine Rückkehr der Taliban und der Al-Kaida hinnehmen. Wir dürfen nicht scheitern,
selbst wenn der Sieg schwer zu erreichen ist.
Gemeinsam müssen unsere beiden Länder einen wichtigen Beitrag zum Frieden
zwischen Israelis und Palästinensern leisten. Wir können nicht dulden, dass
Demokratie und Frieden in Libanon verhöhnt werden. Libanon muss ein freies Land
sein, und jeder muss das verstehen, vor allem Syrien.
Gemeinsam sind unsere beiden Länder entschlossen, die militärischen
Nuklearambitionen Irans zu stoppen. Wir lehnen die verheerende Alternative iranische Bombe oder Bombardierung Irans - ab.
Gemeinsam sind unsere beiden Länder entschlossen, alles zu tun, damit die DarfurKrise ein Ende nimmt. Was dort vor sich geht, können wir nicht hinnehmen.
Gemeinsam bleiben wir die entschiedensten Fürsprecher Afrikas und seiner
Entwicklung. Gemeinsam müssen wir für die Achtung der Menschenrechte, der
kulturellen und religiösen Identitäten kämpfen. Diese Botschaft müssen Frankreich
und Großbritannien der chinesischen Regierung im Hinblick auf Tibet übermitteln und
unterstreichen, dass eine Lösung im Rahmen der chinesischen Souveränität nur über
einen Dialog zwischen dem Dalai Lama und der Regierung Peking möglich ist.
Bei all diesen Fragen müssen wir gemeinsam handeln! (...)
Die Herausforderungen haben sich geändert, aber was sich nicht geändert hat, ist
die Notwendigkeit, dass unsere beiden „alten“ Nationen, unsere beiden großen
Nationen Seite an Seite stehen, um dieselbe Botschaft der Zivilisation zu vermitteln.
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Als französischer Staatspräsident, dessen Jugendträume häufig von der Größe
Englands erfüllt waren, sei mir erlaubt, den brüderlichen Gruß des französischen
Volkes an das britische Volk zu richten. (...)