Der schlimmste Fehler der Menschen
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Der schlimmste Fehler der Menschen
Magazin für Empathie Der schlimmste Fehler der Menschen ist ihr Mangel an Einfühlungsvermögen. Joseph Eddison 1 EDITORIAL Liebe Leserinnen und Leser, was haben ein Huhn, ein TV-Moderator und ein Seelsorger gemeinsam? Sie alle haben – mehr oder weniger – etwas mit Empathie zu tun. Glaubt Ihr nicht? Dann lasst Euch von uns überzeugen! Wir sind „empa“, ein junges Magazin aus Hannover, und wir möchten Euren Horizont erweitern. Wir lassen Euch an Geschichten teilhaben, die das Leben geschrieben hat, die zum Leben animieren und die uns am Leben zweifeln lassen. Anfangs ging es noch schleppend: Die Herausforderung, das Thema Empathie für unser Abschlussprojekt möglichst bunt, innovativ und vor allem interessant zu gestalten, war groß. Doch dann sprudelten die Ideen nur so über. In wöchentlichen Redaktionssitzungen tauschten wir jede Menge Ideen aus und so wuchs das Magazin mit jedem Treffen. Die Inspiration kam von überall: So fragte sich eine Kommilitonin, ob Tiere überhaupt emphatisch sind – bei ihrem Kater war sie sich da nicht so sicher. Aus diesem Grundgedanken entstand die Geschichte „Wortlose Menschenkenner“ (S. 132). Eine andere Kommilitonin ging der Frage nach, worin das 2 Rezept einer beständigen Liebe steckt – auch das gibt es zu lesen in „Beziehungsweise“ (S. 8). Und habt Ihr nicht auch schon einmal die Emotionen Anderer auch gespürt? Dass es sich dabei nicht etwa um Einbildung, sondern um eine Tatsache handelt, lest ihr im Artikel „Gefühlsansteckung“ (S.116). Wir haben uns immer wieder überlegt, wessen Lebensgeschichten zu Empathie besonders interessant sind: Wie empfindet ein Satiriker (S. 44), ein Fallanalytiker der Kriminalpolizei (S. 96) oder ein Schauspieler (S. 56)? Und wie viel Empathie ist im Sport verträglich, wenn man gewinnen möchte (S. 146)? Wir haben außerdem für Euch in den sozialen Netzwerken gestöbert, in der Zeitgeschichte nach besonders empathischen Ereignissen gekramt und lassen Euch testen, wie Eure Zwischenmenschlichkeit angelegt ist. Das Ergebnis unserer Arbeit seht Ihr auf den folgenden Seiten. Wir wünschen Euch viel Spaß beim Lesen, Eure empa-Redaktion 3 Inhalt Editorial 76 „Ich bin kein Gutmensch!“ 80 3 Beziehungsweise Leben Manches geht einfach zu weit Pädagogen über Schüler 8 Sprachunterricht für Studenten „Ganz im Gegenteil!“ 20 Neugierig auf fremde Kulturen „Wir holen uns die Welt ins Haus“ 26 Umfrage: Und was ist Empathie für Euch? „Knast tut gut!“ 86 Wir arbeiten mit dem Ergebnis, das der Täter produziert 96 „Empathie ist, wie einen Stein ins Wasser zu werfen.“ Berufung 102 30 Psychotest: ...Und wie empathisch seid Ihr? Kann man‘s lernen oder nicht? 38 Von der Notwendigkeit der Satire: Wenn Empathie hinter dem gesellschaftskrtischen Zweck zurücktritt Twitter-Zitate: #empa 52 Medien Seele 56 7 Schauspieler, die Method-Acting (fast) zu weit getrieben haben. 64 „Es gibt Krisen, die kann man kommen sehen“ Ein Interview mit Dr. Annika Schach 4 Vorsicht ansteckend! Bei diesen Gefühlen fiebern wir automatisch mit 116 Geteiltes Leid 122 Wortlose Menschenkenner 132 44 „Der Schauspieler muss voll und ganz an das glauben, was er auf der Bühne denkt und sagt.“ Gesichter 110 66 NEUN FAKTEN ÜBER EMPATHIE 70 „Eigenarbeit kommt vor Fremdarbeit“ 72 Empathische Momente der Geschichte 142 Der Weg des Kriegers Wie man durch Ninja-Kriegskunst empathischer wird 146 Integration made in Braunschweig: Als Team glücklich in der neuen Heimat 156 Impressum Bewegung 164 5 Leben 6 7 Leben Beziehungsweise von pia schulte Es gibt sieben Milliarden Menschen auf der Erde. Die oder den Richtigen zu finden, ist dabei gar nicht so einfach. Wenn die Suche dann erfolgreich war, muss man mit seinem Partner, seinen Stärken und Schwächen auch umgehen können. Jedes Paar geht seinen eigenen Weg. Aber gibt es überhaupt ein Rezept für die perfekte Beziehung? Spielen Alter, Geschlecht oder Herkunft dabei überhaupt eine Rolle? Vier Paare sprechen über ihren Beziehungsweg und darüber, welche großen und kleinen Hürden gemeistert werden müssen. 8 9 Leben VOM BESTEN FREUND ZUM FESTEN FREUND Die Teenager-Zeit: Erwachsenwerden und das erste Mal in seinem Leben verliebt sein. Das ist für jeden etwas ganz Neues. Es scheint, als gehöre die ganze Welt dir. Doch man muss auch lernen, diese Gefühle einzuordnen und damit umzugehen. So ging es auch Nicolas (17) und Conni (16). Die zwei kennen sich aus der Schule. Aus ihrer anfänglichen Freundschaft wurde irgendwann mehr und so war die beste Freundin auf einmal die feste Freundin, der beste Freund wurde zum festen Freund. „Ich bin Conni lange hinterher gelaufen. Sie war noch mit ihrem damaligen Freund zusammen, aber sie hatte auch Gefühle für mich. Sie konnte sich einfach nicht entscheiden. Wollte niemandem wehtun. Aber letztendlich hat sie dann die richtige Wahl getroffen. Das war im Juni 2015“, erzählt Nicolas mit einem Grinsen. Dass es so lange gedauert hat, bis sie zusammengekommen sind, führen die zwei auf viele unnötige Streitereien zurück: „Oft waren das einfach nur blöde Missverständnisse, die durch WhatsApp oder ähnliches entstanden sind. Die Emotionen kommen da einfach nicht richtig rüber. Ich finde man kann auch leichter aufeinander böse sein. Man versteckt sich in einer gewissen Weise hinter seinem Handy“, erzählt Conni. „Da muss ich ihr 10 Conni über Nicolas: „Das Gesamtpaket macht ihn aus. Einfach alles. Er ist witzig, charmant und gutaussehend.“ Recht geben. Wenn ich ihre Stimme höre oder ihr gegenübersitze kann ich viel schlechter auf sie sauer sein. Dann dauert es nur ein paar Minuten und ich nehme sie in den Arm und alles ist halb so schlimm. Das hätte damals vieles erleichtert“, steuert Nicolas bei. Wenn eine Lösung des Problems nicht immer sofort parat ist, dann kommt die Empathie ins Spiel. Man muss dem Partner zuhören und ihm geben, was er braucht. Das ist nicht immer leicht, weiß Nicolas: „Empathie ist eine Gabe, die nicht jeder hat. Ich tu mich da manchmal schwer. Ich bin sehr lösungsorientiert. Ich versuche immer, ein guter Zuhörer zu sein und dann kann ich ihr auch das geben, was sie in dem Moment braucht. Das ist aber nicht immer eine Lösung. Manchmal reicht es, wenn ich sie einfach in den Arm nehme.“ Conni sieht das etwas anders: „Ich bin nicht so lösungsorientiert wie Nicolas. Ich kann manche Sachen auch einfach mal so stehen lassen und gucken, wie sich das Ganze entwickelt. Man kann nicht immer eine Lösung finden. Ich denke aber auch, dass ich eine gute Zuhörerin bin und ich frage dann oft nach, wie er das genau meint. Manchmal kommt er dann ganz alleine auf eine Lösung.“ Besonders als Teenager ist die Balance zwischen den Freunden und der Beziehung sehr schwierig. Auf der einen Seite möchte man viel Zeit mit seinem Schwarm verbringen, auf der anderen Seite hat man auch noch Freunde, die man nicht vernachlässigen möchte. Dann kann leicht etwas auf der Strecke bleiben. Doch muss man sich dann immer sofort zurücknehmen für den Partner? Nicolas: „Ich finde, das ist ein schmaler Grad zwischen Egoismus und Selbstbewusstsein. Es kommt auf das Maß an. Zwar bin ich schon selbstbewusst, aber es kommt auch immer darauf an, ob Conni mit meiner Entscheidung leben kann. Wenn ich weiß, dass sie das in dem Moment nicht glücklich macht, würde ich mir diesen Vorteil nicht daraus ziehen. Dann würde ich mich auch schonmal zurücknehmen.“ „Ich finde aber, dass wir sehr viel zusammen machen und dann ist es ja nicht schlimm, wenn wir uns mal einen Abend nicht sehen und was mit Freunden machen. Wenn man sich ein paar Tage hintereinander nicht sieht, hat man auch wieder Gesprächsstoff, über den man mit dem Partner reden kann. Aber wenn dieser eine Abend natürlich unsere letzte Chance wäre, uns noch einmal zu sehen und danach dann für eine lange Zeit nicht mehr, dann ist das was anderes. Dann würde ich lieber was mit Nicolas machen als mit meinen Freunden“, erklärt Conni. Nicolas über Conni: „Ich liebe ihre Haare. Aber auch ihre ganze Art: Sie ist immer so lieb und ein fach total lustig. Wir necken uns auch ab und zu. Das wäre sonst ganz schön langweilig. Ich glaube die Mischung macht sie ziemlich perfekt. Aber kann man auf Dauer glücklich werden, wenn die Freunde irgendwann zu kurz kommen würden? Da sind sich beide einig: „Das kann nicht gutgehen. Die Beziehung würde uns auf die Dauer nicht mehr glücklich machen. Man tut dann quasi dem Partner etwas Gutes, aber man selbst möchte ja lieber etwas anderes. Wir unternehmen gerne etwas mit unseren Freunden. Versuchen das auch ab und zu miteinander zu verbinden, dass wir zusammen irgendwo mit Freunden hingehen.“ Im Laufe einer Beziehung erkennt man immer mehr, ob der Weg, den man gerade geht, auch der richtige für sich und seinen Partner ist. Manchmal braucht es etwas Zeit diesen Weg zu finden - manchmal geht man ihn von Anfang an richtig, aber es kann auch sein, dass man ihn nie richtig findet und die Beziehung daran scheitert. Conni und Nicolas haben ihren richtigen Weg noch nicht ganz gefunden: „Wir versuchen eigentlich immer die goldene Mitte zu treffen, die für uns beide okay ist. Vielleicht müssen wir einfach noch öfter herausfinden, was der andere genau will. Bisher war unser Weg gut – mit ein paar Verbesserungsmöglichkeiten. Wenn wir daran arbeiten, aber bei allem anderen so weiter machenwie bisher, dann kann es ja nur eine perfekte Zukunft werden“, sagt Nicolas. 11 Leben „WENN MAN SICH VERLIEBT, DANN IST DAS HALT SO“ Pat und Sebastian sind seit zwei Jahren ein Paar. Sie haben sich über ein Schwulen-Dating-Portal kennen- und lieben gelernt. Pat (26) ist Student und hat seinen eigenen Youtube-Kanal, Sebastian (38) betreibt ein Reisebüro und eine Event-Location. 12 13 Leben Wie seid Ihr zusammengekommen? Pat: Es war ein bisschen komplizierter bei uns. Ich war 8 Jahre in einer Beziehung und Sebastian sogar 15 Jahre. Also wirklich lange. Ich bin dann mit meinem Exfreund, seiner Mutter und meiner besten Freundin auf einen Hof gezogen, hier in der Nähe. Sebastian: Dann haben wir uns aber über dieses Schwulen-Online-Portal kennengelernt, weil er mir in meiner Nähe angezeigt wurde und darüber hinaus sind wir zusammengekommen. Glaubt Ihr, dass Ihr eine andere Beziehung habt als Heterosexuelle? Pat: Nein. Ich finde, dass es bei anderen Schwulen oft anders ist, als bei Heterosexuellen. Aber bei uns nicht. Wir kennen zum Beispiel auch ein anderes schwules Paar, das führt eine offene Beziehung. Das gibt es ja auch bei Heterosexuellen, aber das käme für mich nicht in Frage. Wer hat denn bei Euch die Hosen an? Sebastian: Ja, das ist eine gute Frage (beide lachen). Pat: Ich glaube, Sebastian hätte sie gerne an (lacht). Aber ich sage immer zu ihm, wenn er die Tür vom Büro zumacht um 18:30 Uhr, dann ist das Chef-Dasein vorbei. Er ist ja nicht mein Chef. Irgendwann hat er dann auch mal Feierabend. Sebastian: Ich glaube, das ist bei uns wie in einer klassischen Beziehung. Ich habe eigentlich die Hosen an. Pat: Du hast sie schon an, aber nur ein bisschen mehr als ich. Sebastian: Aber die Frau – also ich meine Pat (lacht) – hat ja in einer heterosexuellen Beziehung auch meistens die Hosen an. Der Mann meint nur oft, dass er die Hosen anhat. Aber die Frau lenkt und entscheidet eigentlich. 14 Nehmt Ihr Euch für den anderen zurück? Pat: Ja. Ich finde, dass wir das beide extrem machen. Da passen wir uns immer dem anderen an. Zum Beispiel war es einmal so, dass wir einen Spieleabend geplant hatten bei Freunden. Da wollte Sebastian dann aber nicht mit hin, weil er keine Lust mehr hatte. Ich war dann aber ein bisschen pissig, weil ich mich so darauf gefreut hatte. Dann ist er letztendlich doch mitgegangen und er fand es gut. Pat über Sebastian: „Ich fühle mich bei ihm so geborgen. Er ist wie ein Aufpasser für mich. Ich kann mit ihm reden und er ist immer verständnisvoll. Ich liebe seinen Humor und natürlich sieht er gut aus. Und ich kann von ihm noch sehr viel lernen.“ Gibt es bei Euch eine klassische Rollenverteilung? Pat: Auf jeden Fall. Ich bin bei uns die Frau in der Beziehung. Schon alleine von den Interessen her und auch beim Verhalten. Sebastian: Man merkt das besonders, wenn ich zum Beispiel sage, dass irgendwas besser aussieht als das andere und er entgegnet dann: „Wie? Das andere hat dir nicht gefallen?“. Aber das meinte ich dann ja gar nicht so. Seid Ihr eifersüchtig? Pat: Oh scheiße. Da breche ich jetzt besser ab (lacht). Sebastian: Da fragen wir am besten Pat. Ich bin sicherlich auch eifersüchtig, aber auf einem relativ niedrigen Niveau. Pat: Naja. Das hat sich aber auch geändert. Vor einem Jahr hast du noch geguckt, wen ich auf Instagram like und wenn das mal ein Typ mit freiem Operkörper war, dann hast du mich direkt drauf angesprochen. Und das ist jetzt nicht mehr so. Ich bin dafür jetzt eifersüchtiger. Schränkt das nicht ein, wenn man nur Kompromisse eingeht? Sebastian: Nein. Ich denke eine Beziehung ist immer ein Kompromiss und solange man sich nicht komplett verbiegen muss, ist das auch in Ordnung. Jemand, der in einer Beziehung keine Kompromisse eingeht, kann auf Dauer nicht glücklich sein. Ist Euer Weg der richtige? Sebastian: Ich finde ihn gut so. Was ich aus meiner letzten Beziehung gelernt habe ist, dass man Berufliches und Privates trennen sollte. Mein Ex hat eine zweite Filiale meines Reisebüros geleitet. Und wenn man dann mit seinem Partner nur noch über die Arbeit spricht, dann kommt es viel leichter zum Streit. Wir haben uns teilweise nur noch über berufliche Dinge gestritten, über Sachen die im Büro passiert sind und gar nicht privat. Sebastian über Pat: „Ich mag seine Herzlichkeit sehr und dass man in schwierigen Situationen offen mit ihm darüber reden kann. Ja, und natürlich mag ich sein Aussehen.“ Pat: Das stimmt. Ich mochte meine Beziehung davor aber auch total. Mein Ex-Freund und ich sind heute noch beste Freunde. Er ist mir auch immer noch genauso wichtig. Aber die Beziehung war zum Schluss nur noch Freundschaft. Ich finde aber auch, dass Seb und ich uns viel ähnlicher sind als mein Ex und ich. Wir sind viel alberner zusammen. Das finde ich bei ihm so toll, obwohl er ja schon 38 ist. Und mein Ex war nur ein Jahr älter als ich. Hat der Altersunterschied irgendwann mal eine Rolle gespielt? Pat: Das war am Anfang die größte Hürde für mich. Ich dachte immer schon, dass 38 ganz schön krass ist. Aber dann hab ich auch wieder gedacht, dass das Alter ja eigentlich keine Rolle spielt. Wenn man sich verliebt, dann ist das so. Man muss sich ja gut verstehen. Aber zum Beispiel war es mir vor seinen Eltern unangenehm, dass ich Student bin. Seb steht mitten im Leben: Er hat ein Haus gebaut, leitet zwei Reisebüros und hat einen festen Job. Und ich als Student habe sozusagen noch nichts erreicht. Sebastian: Natürlich habe ich am Anfang auch darüber nachgedacht. Aber das war für mich leichter als für Pat. Ich war ja mit allem schon fertig. Ich stehe mit beiden Beinen im Leben und dann ist es ja egal, was der andere macht. Ob er studiert oder sonst irgendwas macht. 15 Leben „LIEBE IST ÜBERALL GLEICH“ Léna (21) und Tobias (21) lernten sich in Köln in einer WG kennen, in der sie später auch zusammengewohnt haben. Sie sind seit zehn Monaten ein Paar. Léna ist gebürtige Französin und kam 2014 durch das Austauschprogramm ERASMUS nach Deutschland. Sie hat deutsche Wurzeln - ihre Großeltern wohnen in Berlin. Tobias ist für sein Studium an der Sporthochschule nach Köln gezogen. Léna spricht nahezu perfekt Deutsch und das hat sie unter anderem auch Tobias zu verdanken: „Tobi muss mir noch so viel erklären. In Deutschland ist schon einiges anders als in Frankreich. Das fängt bei den Feiertagen an und hört bei wichtigen Dokumenten auf.“ Andere Länder, andere Sitten. Aber ist die Liebe überall gleich? „Ja, Liebe ist überall gleich. Man sagt zwar, dass die Franzsosen so romantisch sind und ich lege da auch sehr viel Wert drauf, aber Tobi kann genauso romantisch sein. Vielleicht macht er das auch nur, weil er weiß, dass ich darauf so achte“, meint Léna. Tobias stimmt zu: „Die Franzosen sind auch sehr gastfreundlich. So wurde Léna aber auch erzogen. Wir Deutschen sind da eher praktisch veranlagt, so sagt das Léna zumindest immer.“ Léna kannte damals noch niemanden in Deutschland außer ihre Großeltern als sie ihr Erasmus-Jahr gestartet hat. Dann kam Tobias und sie hat sich sofort in ihn verliebt. Unternimmt man dann automatisch mehr mit dem Partner und vernachlässigt somit die neugewonnenen Freunde? Tobias: „Ich nehme mich definitiv zurück. Wenn sie zu Hause bleiben will, ich will aber eigentlich feiern gehen, dann bleibe ich auch zu Hause, wenn es Léna damit nicht gut geht. Aber oft sagt sie auch, dass ich gehen soll und sie macht dann was mit ihren Erasmus-Freundinnen. Wir gehen aber auch viel zusammen raus.“ Léna über Tobias: „Er ist einfach immer gut gelaunt und unternehmungslustig. Er kuschelt gerne und ist sehr taktvoll. Ich mag an ihm, dass er so sportlich ist und ich merke einfach immer wieder, dass das sein Element ist. Das finde ich beeindruckend.“ Tobias über Léna: „Ich mag ihre süße Art, ihren Humor und ihre Denkweise. Sie ist sehr tough und ist auch immer gut gelaunt, obwohl sie morgens schlecht aus dem Bett kommt.“ „Meistens hat er aber auch keine Lust auf Feiern, wenn ich keine Lust habe. Oder andersrum. Dann stellt sich die Frage gar nicht“, erzählt Léna. Beide tun aber auch Dinge, die der Partner gerne macht und man selbst in dem Moment nicht so sehr. Tobias macht mit Léna einen Tanzkurs und Léna geht dafür mit zum Fußballgucken. Dadurch gibt es zwischen den beiden ein Gleichgewicht. Doch wann ist eine Grenze erreicht? Tobias: „Wenn eine Seite zu dominant wird. Oder aber auch zu rücksichtsvoll wird. Man muss ja auch mal sagen können, dass man etwas will oder eben nicht.“ Hat man denn eine andere Beziehung, weil man aus zwei verschiedenen Ländern kommt? „Ja, ich glaube schon. Er muss mir noch sehr viel erklären. Das schweißt zusammen. Man kann sich auch mehr austauschen. Dadurch lernt er mein Land kennen und ich seins. Ich nehme Tobi auch oft mit nach Frankreich, wenn ich meine Eltern besuche. Wir machen dann viele kulturelle Sachen, damit er weiß, woher ich komme“, erklärt Léna. Wenn man aus verschiedenen Ländern kommt hat man auch oft andere Vorstellungen von einer Beziehung. Jedoch Tobias und Léna nicht. Sie haben ihren Weg sehr schnell gefunden sagen die zwei: „Unser Weg ist auf jeden Fall der richtige. Es gibt auch mal Kompromisse, die man eingehen muss. Aber das ist in jeder Beziehung so. Das Besondere in unserer Beziehung ist, dass wir uns die ganze Zeit noch nicht einmal gestritten haben. Und das, obwohl wir ja immer zusammen gewohnt haben. Im Moment leben wir in der WG in einem kleinen Zimmer zusammen. Das ist eine große Herausforderung. Aber bis jetzt funktioniert das. Jeder verändert sich, aber wir verändern uns auch zusammen und so groß kann der Spalt zwischen uns gar nicht werden, dass das mal nicht mehr klappen sollte.“ 16 17 Leben DIE JUGENDLIEBE GEHEIRATET Roswitha und Herbert kennen sich seit 50 Jahren und sind 48 Jahre verheiratet. Im Leben der beiden Rentner gab es nie einen anderen Partner. Sie haben zwei Kinder und zwei Enkelkinder. Wie hat es zwischen Euch gefunkt? Herbert: Ach, immer schon (er lacht). Roswitha: Man hat sich mit den Cliquen getroffen und dann hat man sich nett gefunden. Wir kennen uns seit der Schule. Gefunkt hat es dann als Teenager. Herbert waren 19 und ich 16. Dann ging man in „Humperts Häuschen“. Das war so ein Türvorstand mitten im Dorf. Da war man vor Kälte und Regen geschützt und auch vor neugierigen Blicken. Irgendwann ist Herbert dann mit zu meinen Eltern gekommen und er musste sozusagen um Erlaubnis bitten, dass er mit mir zusammen sein durfte. Später sind wir dann auch ab und zu zusammen ausgegangen. Ins Kino zum Beispiel. Da liefen dann Western-Filme. Das war wirklich was Besonderes. Oder man fuhr mit den Freunden in ein Nachbardorf zum Tanzen. Da hing dann auch die silberne Kugel an der Decke und es wurde getanzt. Gab es jemals Eifersucht bei Euch? Roswitha: Früher gab es das. Das ist aber auch normal. Das muss auch alles noch lebendig bleiben, sonst würde es langweilig. Herbert: Man muss ja hin und wieder auch nochmal gucken dürfen. Aber letztendlich stellt man dann immer fest, dass es zu Hause doch richtig ist. Glaubt Ihr an Seelenverwandtschaft? Herbert: Ja, da haben wir schon oft drüber gesprochen. Es ist meiner Meinung nach auch vorbestimmt, welche Menschen zusammen gehören. Könnt Ihr Euch in den Anderen hineinversetzen? Roswitha: Ja, beide. Aber auch schon von Anfang an. Es hat einfach gepasst. Herbert: Es kommt wirklich manchmal vor, dass ich genau das sagen wollte, was Roswitha gesagt hat. Oder dass ich das Gleiche gedacht habe. Das ist manchmal unglaublich. Hattet Ihr schonmal einen richtig großen Streit? Roswitha: Selbstverständlich. Das wäre auch nicht normal, wenn man sich nicht mal streiten würde. Dann haben wir auch schonmal eine halbe Stunde nicht miteinander geredet. Früher, wenn die 18 Männer dann in der Wirtschaft geblieben sind und nicht pünktlich zum Essen nach Hause gekommen sind. Das war mir mit Sicherheit nicht recht. Aber eigentlich bin ich da ziemlich tolerant. Herbert: Ich hatte nie einen Grund, sauer auf dich zu sein (er lacht). Nein, man darf und muss auch verschiedene Meinungen haben. Es darf aber nicht in einem großen Streit ausarten, den man dann drei Tage aussteht. Abends muss alles wieder gut sein. Müsst Ihr Euch zurücknehmen für den Anderen, damit er glücklich ist? Roswitha: Wir machen viele Sachen gemeinsam, weil wir die gleichen Interessen haben. Herbert: Manchmal muss man sich aber auch für einen Teil entscheiden. Es ist wichtig, dass man auch mal was alleine macht. Roswitha: Natürlich. Man muss da ein Gleichgewicht finden. Herbert macht auch mal Sachen für sich. Er geht zum Schwimmen oder in die Sauna und ich gehe dann zu einem Handarbeits-Workshop oder zu meinen Nachbarinnen. Roswitha über Herbert: „Ich habe das Gefühl, dass ich Herbert einfach brauche, wie er ist. Er war immer schon sehr aufmerksam.“ Herbert über Roswitha: „Roswitha ist ein fröhlicher Mensch. Sie verstellt sich nicht. Das schätze ich so an ihr.“ War und ist Euer Weg immer der richtige? Herbert: Auf jeden Fall. Wie gesagt, man muss gucken, ob die Blümchen überall gleich sind, aber zu Hause ist es doch am schönsten. Roswitha: Ich würde es immer wieder so machen. Es hat einfach gepasst bei uns. Wir ergänzen uns und das ist das Schönste. Was wünscht Ihr Euch für die Zukunft? Herbert: Ich wünsche mir, dass wir noch viele schöne Jahre verbringen können. Dass wir noch etwas erleben können, was uns beiden Spaß macht. Roswitha: Es ist so wichtig, dass man noch Pläne hat. Man wird im Alter immer eingeschränkter durch die Gesundheit. Ich habe da wirklich Angst vor, dass es irgendwann nicht mehr geht. Wir freuen uns über die Sachen, die wir noch zusammen machen können und unsere Familie ist uns auch enorm wichtig. Ohne die geht es nicht. 19 Leben Sprachunterricht für ausländische Studenten „Ganz im Gegenteil!“ Stefan Ruch unterrichtet seit 30 Jahren Deutsch für Ausländer am Sprachenkolleg in Freiburg. Er weiß viel über die Probleme der Studenten – und auch darüber, wie man sie löst. BOLOR-ERDENE NARANKHUU Wenn Sie schätzen müssten: Wie viele Ausländer haben Sie bisher unterrichtet? Ich habe mein Examen 1985 gemacht und habe auch schon während meines Studiums Deutsch für Ausländer unterrichtet. Ich hatte selber mit einigen Mitstudenten hier in Freiburg eine Sprachschule gegründet und bin dann auch ins Ausland gegangen, um dort eine Weile zu unterrichten. Wenn ich jetzt zusammenzähle, wie viele Studenten ich in meinem Leben unterrichtet habe, dann komme ich so schätzungsweise auf 3000. Ich kann es nicht so genau sagen. Aber es bewegt sich zwischen 2000 und 3000. Für manche Menschen wäre es schwierig, jeden Tag mit Ausländern zu kommunizieren, die fast kein Deutsch können. Fällt Ihnen Ihr Beruf manchmal schwer? In meinem speziellen Fall ist es ein bisschen anders, weil ich hauptsächlich die C1-Klasse unterrichte. Ich unterrichte eigentlich Menschen, die schon recht gute Sprachkompetenzen haben. Ich bin auch als Fachleiter und Direktor von der Schule tätig. Deswegen habe ich natürlich andere Aufgaben, nicht nur den Unterricht. Und für mich ist das zur Normalität geworden. Also fällt mir das nicht schwer und macht mir auch Spaß, mit Menschen aus anderen Ländern Kontakt zu haben. Es ist manchmal schwierig, wenn es nicht geht. Dann versuchen wir es auf Englisch. Das klappt auch nicht immer. Wenn es auch nicht geht, dann probiere ich es mal auf Spanisch oder auf Französisch. Manchmal gibt es eben auch Leute, deren Sprache ich nicht spreche und die auch meine Sprache nicht sprechen. Dann gibt es keine Lingua Franca mehr (lacht) und dann wird es schwierig. Und dann müssen wir Übersetzer holen. Wir haben genügend Studenten, die dolmetschen können. Gibt es Nationalitäten, die Deutsch wirklich schneller lernen können als andere? Ich sage es umgekehrt. Es gibt Nationalitäten, die große Schwierigkeiten haben. Es ist natürlich, wenn man zum Beispiel Thailändisch spricht, erheblich schwieriger Deutsch zu lernen, als für einen Franzosen oder einen Engländer, weil die Sprachsysteme so unterschiedlich sind. Auch die Grammatik ist unvergleichbar fremd. Und das dauert eben länger. Leuten, die aus verschiedenen Ländern kommen und verschiedene Mentalitäten besitzen, Deutsch beizubringen, ist bestimmt nicht einfach. Wie wichtig ist Empathie bei Ihrem Beruf? Also erst mal ist natürlich Empathie für alle Menschen eine wünschenswerte Eigenschaft. Und es gibt auch Berufsbilder, die das mehr oder weniger verlangen. Es könnte jetzt auch ein Arzt sein, der auch über Empathie verfügen sollte. Und natürlich auch ganz besonders für Deutschlehrer. Wenn man nicht nur in der 20 21 Leben „Empathie ist für alle Menschen eine wünschenswerte Eigenschaft“ Schule mit Ausländern arbeiten oder mit Menschen, die mit mehr Schwierigkeiten als andere konfrontiert sind, dann sollte man wissen, mit welchen Problemen diese Menschen sich beschäftigen und welche Schwierigkeiten sie haben, wo man sie abholen kann. Sich in den Kopf eines anderen Menschen hineinzuversetzen, ist die Bedingung des Berufs. Wie sollte man mit ausländischen Studenten kommunizieren, auf was sollte man achten? Also für viele Ausländer, die jetzt hier an unsere Schule kommen, ins Sprachenkolleg kommen sind wir die Schule und dann auch der Lehrer, der entsprechender Lehrer, ihre erste Anlaufstation. Also das heißt, dass wir sind sehr oft gefragt sind nicht nur als Deutschlehrer, sondern auch als Ratgeber. Als jemand, der ihnen Hilfestellung leistet, weil sie manchmal Schwierigkeiten haben, die sie gar nicht verstehen können, welche durch die Fremdheit der Kultur bedingt sind oder durch die unterschiedlichen Lebensweisen, durch Gesetzesfragen oder Regeln die sie in ihrer Heimat nicht kennen und sie können ja niemanden fragen, wenn sie niemanden kennen. Das heißt unsere Schule legt großen Wert darauf, dass wir auch außerhalb des Unterrichtes ihnen wirklich praktische Hilfeleistungen anbieten. Das heißt an die Behörde einen Brief schreiben oder beim Vermieter anrufen. Und das vermitteln wir ihnen auch und bieten ihnen das auch an. Also wir sagen ihnen dann schon wenn Sie Schwierigkeiten haben, wenn Sie nicht weiterwissen, kommen Sie bitte zu uns. Gab es Momente, wo man ratlos war und nicht wusste, wie man richtig kommunizieren sollte? Ja natürlich. Manche Probleme konnten wir überhaupt nicht lösen. Also problematisch und auch schwierig wird es dann, wenn es zum Beispiel um Aufenthaltsgenehmigungen geht. Da haben wir wenig Einfluss darauf. Also wir können natürlich mit den entsprechenden Dienststellen wie Auslän- 22 derbehörden verhandeln und haben auch unsere Kontakte. Aber wir können es letztendlich nicht wirklich beeinflussen. Und dann stoßen wir auch an eine Grenze, wo wir nicht weiter handeln können. Das wäre jetzt ein Beispiel. Ein anderes Beispiel wäre, dass viele Schüler aus unterschiedlichen Gründen hierher kommen und hier dann auch nicht immer glücklich sind. Manche werden vielleicht auch von ihren Eltern hierher geschickt, obwohl sie es gar nicht wollen und so jemandem kann man eigentlich nicht helfen. Da ist dann schnell die Grenze erreicht und da muss man dann auch als Lehrer zu sich selber sagen, das mache ich jetzt nicht weiter, das betreibe ich jetzt nicht weiter, ich kann mich davon nicht auffressen lassen. Also wir unterrichten ja ziemlich viele Studenten und Schüler. Und wir müssen für uns selber auch eine Grenze des Engagements finden. Sonst kann man den Beruf nicht mehr ausüben. Sich mit anderen Kulturen anfreunden, heißt manchmal auch die fremde Kultur zu akzeptieren. Sollte man auch auf die eigene Mentalität verzichten, um sich anzupassen? Das halte ich für keine gute Idee. Ich bin der Meinung, wenn man ins Ausland geht, dann versteht man seine eigene Herkunft besser. Man beleuchtet sie kritischer, man hinterfragt auch die Regeln, auch die kulturellen Gewohnheiten aus denen man kommt. Also man lernt sich dadurch wirklich besser kennen auch sich als Mensch, durch den kulturellen und historischen und auch gesellschaftlicher Einfluss, der eine Person ausmacht. Aber man soll sich in der Fremde nicht anpassen. Anpassung würde ja bedeuten, dass man die eigene Identität verliert und die behält man. Das ist auch gut so. Und das ist auch eben für das fremde Land eine Bereicherung. Also ich bin sehr dafür, dass die Ausländer, die zu uns kommen so bleiben wie sie sind. Sowohl als Menschen, als auch in ihre kulturellen, gesellschaftlichen Prägung so bleiben, wie sie sind. Die „Das ist für die meisten Deutschen nicht leistbar sofort zu verstehen was der Hintergrund ist“ sollen sich an die Regeln, die hier herrschen, gewöhnen. Das ist eine Bedingung, die das Zusammenleben erst ermöglicht. Aber von Anpassung halte ich gar nichts. Manchmal reicht es nicht, wenn man über Kultur und Mentalität bescheid weiß, denn das Verständigen hängt an erster Stelle von der Sprache ab. Zum Beispiel kann ein Student etwas “Böses“ sagen, obwohl er es eigentlich nicht so meint. Was würden Sie in diesem Fall Deutschen empfehlen? Es gibt natürlich ganz viele Kleinigkeiten an sprachlichen Missverständnissen. Ich mache immer ein kleines Beispiel, wenn sie die deutschen Partikel falsch benutzen, also Wörter wie „denn“, „eigentlich“ oder „doch“. Wenn sie die an die falsche Stelle setzen oder wenn sie sie auf eine für deutsche ungewohnte Weise betonen, dann bekommen manche Sätze eine völlig andere Bedeutung. Also wenn Sie zum Beispiel sagen: „Wie heißen sie eigentlich?“ Vielleicht meinen sie das freundlich, weil sie gelernt haben, dass „eigentlich“ ein Höflichkeitspartikel ist. Aber hätten sie es falsch betont, das würde einen deutschen Hörer erst mal leicht erschrecken, warum die Frage so aggressiv klingt. Das ist für die meisten Deutschen nicht leistbar, sofort zu verstehen, was der Hintergrund ist. Denn dazu bräuchte man ja einigermaßen genügend Erfahrung, den Grund des sprachlichen Missverständnis zu kennen. Deshalb kann ich Ihnen da jetzt nicht viel Hoffnung geben. Also wenn es keine geschulten Menschen sind, die mit Ausländern ständigen Kontakt haben, und die richtigerweise einschätzen können, woher diese sprachlichen Missverständnisse resultieren, da sie im Grunde überhaupt nicht böse gemeint sind, sondern das Gegenteil ausdrücken wollten. Wenn man das nicht kennt und nicht hat und sich nicht damit beschäftigt, dann glaube ich nicht, dass es da viel Verständnis für gibt. Ich glaube, von den meisten Deutschen ist da nicht viel Verständnis zu erwarten. Zumindest unsere Leser können dann dafür Verständnis haben. Wenn das dazu beiträgt, dann wäre das schön. Gab es lustige Momente, aufgrund der Kulturunterschiede und der unterschiedlichen Mentalität? Ja, die gab es (lacht). Es gibt immer sehr unterschiedliche Momente. Das Schöne ist in dieser Klasse eigentlich, dass es so eine kleine Welt ist, die sich zusammenfindet, also Menschen aus der ganzen Welt. Und das macht diesen Beruf spannend. Manche haben z.B sehr unterschiedliche Einschätzungen über ihre Sprachkompetenzen und vermitteln das auch. Wir hatten einmal einen Koreaner. Er kam zu mir und nachdem ich ihm gesagt habe, dass er die C1, also die höchste Stufe leider nicht besuchen kann, meinte er, das kann überhaupt nicht sein, weil er fühlt, dass er C1 ist (lacht). Also solche Nettigkeiten gibt es öfter mal. Gab es dann eine besondere Sitte, die von ausländischen Studenten entdeckt wurde? Das gibt es natürlich. Es fällt mir auf, dass wir zum Beispiel sehr viele asiatische Studenten aus Korea, Japan, zur Zeit auch viele aus Thailand haben. Es fällt mir schon auf, dass für diese Gruppe von Studenten die Sprache besonders schwer fällt. Aber sie ertragen ihre Frustration und Niederlagen mit großer Geduld. Davor habe ich ein großen Respekt. Das ist vielleicht auch bedingt durch ihren buddhistischen Hintergrund. Mir fällt auf, dass es da so eine Leidensfähigkeiten gibt, welche vielleicht (lacht) bei denen ausgeprägter ist als bei einem Mitteleuropäer. 23 Leben „Der Italianer singt den ganzen Tag und lacht. Das ist das nicht und derKoreaner ist zurückhaltend. Und das stimmt allerdings überhaupt nicht.“ „Es ist traurig, dass es so ist. Aber es Ist die Realität.“ Sie haben den Studenten bestimmt viel geholfen und beigebracht, konnten Sie dabei auch selber etwas dazulernen? Ja, viel. man die direkte Art von Deutschen akzeptieren muss und auch vielleicht verstehen muss, dass es nicht als Unhöflichkeit verstanden werden soll. Das entspricht eben dieser Mentalität. Ob einem das gefällt oder nicht, das ist dahingestellt. Aber es ist so. Und wenn Sie das Beispiel Pünktlichkeit anführen, dann weiß ich gar nicht ob das wirklich noch stimmt (lacht). Also ich kenne auch ziemlich viele unpünkliche Landesleute. Also da muss man bisschen vorsichtig sein, ob die immer die Fleißigsten sind, das weiß ich auch nicht. Also Deutschen Tugenden wie Pünktlichkeit, Fleiß und Gewissenhaftigkeit und so weiter. Auch das sind glaube ich Vorurteile, die auf der anderen Seite die Ausländer ein bisschen in Frage stellen sollten. Zum Beispiel? Ich mache den Beruf ja schon länger. Ich habe gelernt, das war für mich wohl das Wichtigste, dass alle Menschen, die in mein Klassenzimmer kommen erst mal nur Menschen sind. Und das ich alle Vorstellungen über fremde Kulturen und über alle Vorurteile, die ich hatte, direkt über Bord werfen konnte, weil ich festgestellt habe, es sind erst mal nur Menschen und die sind überall gleich und es gibt schon Unterschiede, die natürlich wie kulturell geprägt sind. Aber unsere Vorurteile, die wir uns, die wir mitschleppen. Der Italiener singt den ganzen Tag und lacht. Das tut er nicht (lacht) und der Koreaner ist zurückhaltend. Und das stimmt allerdings überhaupt nicht. Also ganz im Gegenteil mache ich immer mehr die Erfahrung, dass es genau immer der Gegenteil ist, dass z.B gerade asiatische Studenten sich im Unterricht mehr melden als andere. Da sie aufgeschlossen, neugierig sind und genauso gut gibt es bei ihnen verschlossene, schüchterne, zurückhaltende Spanier, Italiener usw. Also das habe ich auf jeden Fall gelernt, dass man mit den verbreiteten Vorurteilen aufräumen muss. Das hat keinen Sinn. erwartet. Und die Gründe dafür können verschieden sein. Also erstens, verspricht sich der deutsche Student oder die Deutsche Studentin von dem Kontakt entweder einen Vorteil durch den Erwerb von eigenen Sprachkenntnissen, also man kann bisschen Spanisch sprechen oder bisschen Englisch sprechen. Aber wenn jemand koreanisch spricht, ist das für einen Deutschen Studenten erst mal völlig uninteressant, weil er die Sprache gar nicht lernen will, kein Interesse daran hat und auch von der Kultur wahrscheinlich nichts versteht. Das ist für ihn auch kein Zielland. Also da spielt der Egoismus glaube ich eine große Rolle. Also das ist bestimmt eine Gruppe von Studenten. Auch von arabischen Studenten wird uns berichtet, dass es ihnen kaum noch gelingt, Kontakt zu deutschen Mitstudenten zu bekommen. Es liegt an dem Zeitgeschehen, dass es große Ressentiments gegen Muslime gibt, gerade auch gegen muslimische Frauen – besonders dann, wenn sie ein Kopftuch tragen oder ähnliches. Dann ist ein Kontakt eigentlich gar nicht mehr möglich. Also das hat mit der Sprache nichts zu tun, sondern es sind politische Gründe einerseits, und andererseits aber auch ganz egoistische Gründe. Welchen Vorteil verspricht man sich als deutscher Student von dem Kontakt oder der Kommunikation mit einem ausländischen Studenten? So sehe ich das. Es ist traurig, dass es so ist. Aber es ist die Realität. Viele ausländischen Studenten haben kein Kontakt mit ihren Kommilitonen. Liegt es an der Sprachbarriere? Das liegt nicht an der Sprachkommunikation, sondern das liegt an anderen Dingen. Leider wurde mir schon von dieser Erfahrung berichtet. Gerade an der Universität wird uns immer wieder von asiatischen Studenten berichtet, dass sie fast keinen Kontakt haben zu ihren Mitstudenten. Das wird mir nie von einem Italiener berichtet, von einem Spanier oder von einem Amerikaner oder sonst was. Aber das ist dann wirklich so, dass es schon eine Ausländergruppe gibt, die ausgegrenzt wird. Auch an der Uni, wo man das eigentlich am wenigsten Auf welche Eigenschaften sollten ausländische Studenten bei der Kommunikation mit Deutschen verzichten? Das kann ich generell so nicht sagen. Das hängt natürlich davon ab in welchen sozialen Umfeld man sich bewegt. Was glaube ich generell für Ausländer hier erstmal schwieriger ist, dass die Deutschen sehr direkt sind. Also sie sind nicht diplomatisch. Zum Beispiel ,wenn sie jemanden kritisieren, ist die Kritik sehr direkt. Es ist nicht in eine diplomatische Form gekleidet. Es wäre schön, wenn Sie, und so weiter. Sie sagen das einfach. Ich glaube das ist auf jeden Fall etwas, das man als Ausländer hier erst einmal verstehen muss, dass 24 Viele denken, dass Ausländer zurückgehen und für ihre Länder nützlich sein sollten. Aber was ist mit denen, die kein Land haben? Oder mit denen, die aus einem Land geflohen sind, in dem Krieg herrscht? Wie denken Sie über das aktuelle Thema Flüchtlinge überhaupt? Ich kann das leider gar nicht verstehen. Erstmal sind es traumatisierte, von Krieg und Armut betroffene Menschen. Die Deutschen sollten sich mal bisschen ihre eigene Vergangenheit erinneren. Denn die Generation, also meine Eltern und Großeltern, waren im Zweiten Weltkrieg selber gezwungen, die Heimat zu verlassen, weil sie politisch in diesem Land nicht mehr leben konnten. Und viele mussten das machen, haben es auch gemacht.Und Deutschland selbst ist auch kein Land der Deutschen. Also historisch gesehen waren wir schon immer ein Einwandererland. Wir leben in der Mitte Europas, in der Umgebung von vielen anderen Ländern. Es kamen im 16.ten Jahrhundert französische Hugenotten und es kam im 19.ten Jahrhundert viele Polen. Und die haben natürlich alle keinen deutschen Hintergrund. Und daran sollten wir uns bitte mal erinnern, dass wir eine Nation sind von vielen anderen Volkern. Und diesen deutschen Kern, den gibt es überhaupt nicht. Das ist ein Märchen. Und im Augenblick ist die Weltlage so, dass es auch Deutschland als Land nicht ganz unschuldig an dieser Situation ist. Aber das ist meine persönliche politische Meinung. Die Weltlage ist nicht gut. Viele Menschen sind gezwungen, machen es auch nicht freiwillig, ihr Heimatland zu verlassen. Ich kann eigentlich keinen Unterschied feststellen zwischen einem Syrer, der aus dem Bombenhagel und der Zerstörung seiner Stadt nach Deutschland flieht ,und einer Roma-Familie aus Rumänien, die in bitterster Armut lebt und perspektivlos in Rumänien leben muss und auch ihr Leben irgendwie retten will. Also ich kann eigentlich jeden Menschen verstehen, der sein Leben retten will. Deshalb bin ich nicht dafür, dass man jetzt Ausländer aussortiert, die dürfen kommen und die anderen nicht. Wir sind alles Menschen. Und Menschen wollen ein menschenwürdiges Leben haben. Die Deutschen können das ganz gut ertragen. Wir sind reich genug. Auf der anderen Seite, das ist jetzt aber gar nicht mein Argument. Aber wird von ja Politischer Seite auch immer wieder ins Feld geführt, dass Deutschland ein Land ist, dass recht kinderslos sei und sozusagen durch Fremdes... Ich finde das Wort schrecklich... durch fremdes Human, Capital, die deutsche Wirtschaft auf die Ausländer angewiesen ist. Das wäre jetzt nicht mein Argument. Aber das klingt ja wie eine Rechtfertigung, dass wir andere trotzdem rein lassen sollten. Aber erstmal denke ich, dass alle Menschen die Hilfe brauchen, diese bekommen sollten. Egal woher sie kommen. Ob sie Syrer sind, ob sie arme Menschen aus RomaFamilien sind, was weiß ich, das spielt keine Rolle für mich. 25 Neugierig auf fremde Kulturen „Wir holen uns die Welt ins Haus“ Wie eine Akademiker-Familie schon seit Jahrzehnten den Menschen hilft, die nach Deutschland kommen. von BOLOR-ERDENE NARANKHUU Es ist unmöglich, von ihnen ein JA zu bekommen, wenn Familie Meier NEIN gesagt hat. „Nein“heißt eben „Nein“ bei den Deutschen. Ulrike Meier und ihr Ehemann Friedmut Meier, sind eine deutsche Akademiker-Familie. Er arbeitete bis zur Pension als Professor, sie ist Psychotherapeutin. Von den Möbeln bis zum Besteck auf dem Tisch - alles bei ihnen ist einfach akkurat. In ihrem Haus herrscht Ordentlichkeit, Treffen starten bei ihnen pünktlich. Selbst die vielen Postkarten aus allen Ecken der Erde sind schön sortiert in einer sauberen grauen Schachtel. Sie sind Zeugnis eines besonderen Engagements: Seit Jahrzehnten kümmern sich die Meiers um ausländische Studenten in Deutschland. Und können viel darüber erzählen, wie es ist, Menschen aus fremden Kulturen an Deutschland zu gewöhnen. Wann hat eigentlich Ihr Kontakt mit Ausländern begonnen? Als Studenten waren wir beide Mitglieder in Ausländergruppen. Später haben wir mit Familien aus anderen Ländern Europas Haustausch gemacht. Was kann man machen, damit sich ausländische Studierende hier in Deutschland wohl fühlen? Viele ausländische Studierende kommen aus Großfamilien mit ganz vielen Kontakten zu anderen Familienmitgliedern. Wenn Sie dann in Deutschland studieren, sitzen sie plötzlich ganz llein in einem kleinen Studentenzimmer. Das ist für viele schwer. Wir können und wollen die Großfamilie nicht ersetzen, aber wir können den Studierenden helfen, sich hier etwas wohler zu fühlen. Deshalb laden wir sie öfter ein zu Gesprächen, zu 26 gemeinsamen Mahlzeiten oder zu kleinen Ausflügen. In der Vorweihnachtszeit backe ich mit allen Studierenden deutsche Weihnachtsplätzchen. Später dekorieren wir die Wohnung weihnachtlich mit echten Kerzen und probieren alle Plätzchen. Manchmal wünschen sich die Studierende, etwas mehr über die deutsche Küche zu erfahren. Ein Deutschlehrer aus dem Senegal sagte uns einmal: „In dem Schulbuch für meine Schüler stehen deutsche Gerichte wie „Bratwurst mit Sauerkraut“. Ich weiß überhaupt nicht, was das ist.“ Da habe ich ihm all die Gerichte gekocht, die in seinem Schulbuch als typisch deutsch genannt wurden. Wie können Sie das Erlernen der deutschen Sprache fördern? Eine Sprache lernt man, indem man spricht. Wir geben den Studierenden keinen Sprachunterricht. Dazu sind besondere Schulen da. Aber wir versuchen, viel mit ihnen auf der Small-Talk-Ebene zu sprechen. Da lernen sie so ganz nebenbei, wie man Menschen begrüßt, sich bedankt oder Fragen stellt. Wir leihen ihnen auch Bücher aus. Je nach ihrem Können bekommen sie Bilderbücher, Kinderbücher, Comics, Frauenzeitschriften oder Romane. Wenn die Studierenden noch nicht viel sprechen können, biete ich ihnen an, dass sie jeden Tag einige wenige Zeilen darüber schreiben, was sie an dem Tag gemacht haben. Nachdem diese Zeilen korrigiert worden sind, werden sie in ein Buch geschrieben und dekoriert mit Fotos, Ansichtskarten, Eintrittskarten, eigenen Zeichnungen oder was ihnen sonst zu diesem Thema einfällt. So entsteht ein kleines Erinnerungsbuch über ihre erste Zeit in Deutschland. Im vorigen Jahr besuch- 27 Leben „Die deutsche Mülltrennung ist eine große Herausforderung für alle. Da haben wir schon oft Schwierigkeiten und ausländische Studierende erst recht.„ te uns eine Frau aus Kasachstan, die vor 20 Jahren bei uns war. Sie brachte ihr Erinnerungsbuch mit und wir konnten uns gemeinsam darüber freuen, was wir vor 20 Jahren erlebt haben. Sie machen jedes Jahr eine Weihnachtsparty. Kommen da auch Studenten? Zu unserer Weihnachtsparty laden wir alle unsere Freunde und Bekannten ein. Dann kommen ungefähr 40 bis 60 Personen. Jeder bringt etwas zu essen mit. Es gibt ein Buffet für süße Sachen wie Gebäck und Kuchen und ein Büffet für salzige Sachen wie Salate und Fleischgerichte. Zu diesem Fest sind die Studierenden sehr willkommen. Meist bringen sie ein Gericht aus ihrem Land mit. Auch Studentinnen, die schon lange nicht mehr bei uns wohnen, kommen dann vorbei. Ich warte jedes Jahr auf eine Chinesin, die Obst so bearbeiten kann, dass kleine Figuren daraus entstehen. Ihr Kunstwerk wird dann der Mittelpunkt des süßen Buffets. Wir hatten auch schon eine ukrainische Hochzeitstorte, Fleisch mit süß-saurer Soße, besondere Salate und vieles mehr. Auf der Party werden Weihnachtslieder in verschiedenen Sprachen gesungen. Haben Sie auch Kontakt zu den Familien der Studenten? Kommen Studierende aus Europa, werden sie häufiger von ihren Eltern besucht. Dann haben wir auch Kontakt zu ihnen. Schon zweimal haben wir eine Hochzeit für eine Studentin organisiert und dabei natürlich mehrere Verwandte kennengelernt. Manchmal kommen die Studierenden, nachdem sie in ihrem Heimatland einen Beruf ergriffen haben, noch einmal zurück und bringen ihre Eltern oder ihre Partner mit. Sie möchten ihren Verwandten zeigen, wo sie früher gelebt haben. Gibt es auch deutsche Regeln, die schwer zu ver- 28 mitteln sind? Die deutsche Mülltrennung ist eine große Herausforderung für alle. Da haben wir schon oft Schwierigkeiten und ausländische Studierende erst recht. In unserem Haus gibt es fünf verschiedene Möglichkeiten, Müll zu entsorgen: Glas, Papier, Plastik, Ökomüll und der Restmüll werden über verschiedene Behälter entsorgt. All diese Behälter müssen unterschieden werden und für das, was hereinkommt gibt es so viele Wörter, die die Studierenden in ihrem Deutschunterricht meist noch nie gehört haben. Auch nach einer gründlichen, sehr praktischen Einführung wird oft noch etwas verwechselt. Das ist aber kein böser Wille. Denn diese strikte Trennung entspricht nicht den Gewohnheiten der Studierenden in ihrem Heimatland. Über die Mülltrennung müssen wir meist mehrmals sprechen. Doch zum Schluss hat es jeder gelernt. Man kennt viele Klischees über Ausländer. Wie zum Beispiel, dass alle Asiaten zurückhaltend sind oder dass alle Moslems aggressiv sind. Wie gehen Sie damit um? Je weniger man Menschen aus einer anderen Kultur kennt, um so eher greift man auf ein Klischee oder Vorurteil zurück. Vorurteile vereinfachen die Welt und geben eine erste Orientierung. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass diese Klischees immer seltener zutreffen, wenn wir viele Menschen aus einem Kulturkreis kennenlernten. Dann entdecken wir, dass sie uns doch sehr ähnlich sind. Wenn eine chinesische Studentin nachts weint, weil sie Probleme mit ihrem Freund hat, hängt das nicht von ihrer Kultur ab. Auch wir Deutschen würden uns so verhalten. Wenn jemand nach einer bestandenen Prüfung laut jubelt, ist das auch nicht mit seiner Kultur zu erklären, sondern ganz einfach menschlich. Sie machen so viel für ausländischen Studieren- de. Haben Sie besonders viel Empathie? Der Begriff Empathie kommt aus den USA und meint so viel wie die deutschen Begriffe: Einfühlungsvermögen, Mitgefühl, Verstehen und die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen. Das sind alles sehr positive Eigenschaften, für mich schon fast zu positiv. Wir sind keine besonderen „Gutmenschen“. Wir suchen den Kontakt zu ausländischen Studierenden, nicht weil wir gut sein wollen, sondern weil wir neugierig sind. Neugierde ist im Vergleich zur Empathie schon fast ein negativer Begriff. Können Sie das erklären? Es ist nicht so einfach, das zu erklären, aber ich möchte es Ihnen zeigen. Kommen Sie mal mit. (Wir verlassen die Küche, gehen in ein anderes Zimmer, in dem Frau Meier vor einem großen Blumenbild aus verschiedenen Blautönen stehen bleibt und sich dann wieder zu mir wendet.) Sie kennen dieses Bild, denn Sie haben es selbst gemalt. Ich habe es gerahmt und ihm einen Ehrenplatz in unserem Haus gegeben. Warum ist dieses Bild entstanden? Weil ich neugierig auf Sie war. Ich wollte wissen, was Sie können, und das kam so: Vor etlichen Jahren haben Sie mir zum Geburtstag eine Karte gebastelt, die ich besonders kreativ fand, „Wow“ dachte ich „dieses Mädchen kann was. Vielleicht kann sie sogar noch mehr.“ Deshalb habe ich Ihnen, als wir einmal verreisten, einen kleinen Kasten mit Kreiden in ganz unterschiedlichen Blautönen gegeben und Sie gebeten, mir ein Bild, möglichst ein Blumenbild, zu malen. Von dem Ergebnis war ich begeistert. Wir glauben, dass in jedem Menschen ganz viele besondere Eigenschaften stecken. Auf die sind wir neugierig und die möchten wir im Kontakt mit den Menschen kennenlernen. Nicht jeder, der unser Haus betritt, ist ein Künstler. Aber jeder hat etwas Besonderes. Eine Studentin kann gut kochen, eine andere hat ein ansteckendes Lachen, eine dritte singt gerne und eine andere kann gut zuhören. Wären Sie mit ausländischen Studenten nie in Kontakt getreten, hätten Sie etwas verpasst? Auf jeden Fall! Unser Kontakt zu den Studierenden hat auch unser Leben erweitert. Wir haben junge Menschen um uns und können mit ihnen lachen. Die gemeinsamen Gespräche und Unternehmungen sind auch für uns schön. Außerdem lernen wir viel über fremde Länder, was wir sonst nie erfahren hätten. Bevor eine Studentin aus Kirgistan, Bangladesch oder der Mongolei zu uns kommt, wissen wir wenig über deren Heimat. Manchmal müssen wir erst im Atlas nachsehen, wo die Länder überhaupt liegen. Wir reisen nicht so weit, aber wir holen uns die Welt ins Haus. Das macht unser Leben reicher. Unsere Bereicherung durch die Studierenden besteht nicht nur darin, dass es bei uns etwas exotischer zugeht als in anderen deutschen Haushalten. Auch wir werden verändert, weil wir angeregt durch die Studierenden mehr über uns und unser Leben nachdenken und dankbarer sind für das, was wir haben. Wir eben nicht in Kriegs- und Krisengebieten und sind auch meist von Naturkatastrophen verschont. Auch finanziell sind wir abgesichert. Uns geht es gut. Da können wir ein ganz kleines bisschen helfen, dass es anderen auch etwas besser geht. 29 Leben „Empathie gibt es noch nicht im App Store“ Und was ist Empathie für Euch? von SELINA GÖCKLER UND KARINA HÖRMANN Waleria Leonow (21), Medizinstudentin an der Medizinischen Hochschule Hannover: „Empathie bedeutet, immer ein persönliches Verständnis für jeden einzelnen Patienten zu entwickeln und dennoch eine professionelle Distanz zu wahren. Eine der schwierigsten Aufgaben im medizinischen Berufsalltag ist es, die Empathie richtig zu dosieren.“ Tabea Olm (21) studiert Jura an der Leibniz-Universität Hannover: „Empathie ist, sich in die Position des Gegenübers zu versetzen, eventuell auch mitfühlen zu können. Das kann als Jurist sehr wichtig sein, um zum Beispiel die optimale Verteidigung zu gewährleisten. Für mich aber ist manchmal auch genau das das Problem an dem Job, denn in manchen Bereichen erlebt man häufig tragische Schicksale, die man nicht jedes Mal so sehr an sich ran lassen sollte.“ Daniel Homeyer (21) studiert seit Oktober Theologie in Heidelberg: „Kennt Ihr das Märchen „Sterntaler“ und die Geschichte der Speisung der 4000? Sind diese Geschichten wahr? Weiß ich nicht, aber ich glaube in ihrem Kern liegt eine Wahrheit die uns allen ins Herz gelegt ist, ob von Gott, von Allah oder irgendeinem anderen Grund. Empathie heißt: Wer gibt, der liebt. Wer Leid direkt sieht, der fühlt mit. Am Ende ist das Geben, etwas aus Mitgefühl zu opfern. Das, was wirklich glücklich macht. Das, was wirklich reich macht. Das, was satt macht.“ 30 Philipp Zeiler (23) und Chiara Paulon (41) führen eine Fernbeziehung zwischen Italien und Deutschland: Chiara: „Meine Vermutung ist, dass die Empathie eine fundamentale Eigenschaft des Menschen ist, um eine Beziehung mit Menschen im Allgemeinen einzugehen. In einer guten (Liebes)beziehung wächst die Empathie von Tag zu Tag, falls sie nicht eine natürlich vererbte Gabe ist. Sie entsteht dank der Aufmerksamkeit, die man dem anderen widmet: Kleine Gesten, das Erkennen von Signalen. Noch mehr als die natürlich gegebene Empathie zählt meiner Ansicht nach in einer guten Beziehung das einander Zuhören und der Wille zu teilen.“ Philipp: „Empathie bedeutet in einer Beziehung, auf den Partner in einfühlsamer Weise einzugehen und ist unabdinglich. Sie lässt mich verstehen, was in meiner Partnerin vorgeht, selbst wenn sie es auf verbaler Ebene nicht zum Ausdruck bringt. Die Empathie steigert die Vertrautheit und das Gefühl der Zusammengehörigkeit, denn es ist für beide Partner etwas Schönes, verstanden zu werden und zu verstehen.“ Waltraud (68) und Klaus (70) Niemann aus der Region Hannover: „Bei Empathie in einer Beziehung geht es darum, Meinungsverschiedenheiten nicht gleich im Streit enden zu lassen. Die Beziehung wird durch das Einfühlen in den Anderen stabiler. Entscheidend ist der Umgang miteinander und die Fähigkeit zuzuhören.“ Petra Rose (50) ist Arzthelferin bei einem Allgemeinmediziner in der Region Hannover: „Ich denke, dass man eine gute Menschenkenntnis benötigt, um Empathie zu empfinden. Gerade ich als Medizinische Fachangestellte benötigt eine große Portion an Aufmerksamkeit. Man muss ein guter Zuhörer sein, muss gut auf die Person zugehen können und mit Rat und Tat zur Seite stehen. Es ist sicherlich auch typbedingt. Man muss auch Geduld haben - gerade auch bei älteren Menschen. Und man sollte keine Berührungsängste haben.“ 31 Leben Eva Höninger (26) ist Friseurmeisterin in Kempen: „Empathie ist für mich die Fähigkeit, sich in andere Menschen und somit auch meine Kunden hineinzuversetzen. Es ist besonders wichtig, in Gesprächen Verständnis zu zeigen und eine vorsichtige Wortwahl zu treffen, wenn der Kunde auch mal eine negative Botschaft erhält. Empathie ist nicht nur das verbale, sondern auch das non-verbale Verständnis. Und: Empathie gibt es noch nicht im App Store.“ Nicole Röver (40) ist Redakteurin bei Hannover 96: „Empathie gehört im Job für mich zu den wichtigsten Skills - besonders in der Kommunikation. Gerade in schwierigen Situationen ist es enorm hilfreich, wenn ich die Dinge auch aus der Persepektive meines Gegenübers sehen und gleichzeitig mit ihm fühlen kann. Das schafft eine gemeinsame Basis.“ Louisa Lampe (24) ist Lehramt-Studentin an der Uni Hamburg: „Empathie bedeutet für mich, dass ich mich in das Denken, Handeln und die Gefühle meines Gegenübers hineinversetzen kann. Meines Erachtens wird das später für mich als Lehrerin eine Schlüsselqualifikation sein, um mich in die Problemlagen der Schüler einzufühlen. Empathie bedeutet für mich aber nicht, die Gefühle des Gegenübers zu teilen. Als Lehrer muss ich immer noch eine gewisse Distanz wahren, damit ich nicht Gefahr laufe, die Probleme aller Schüler mit nach Hause zu nehmen.“ 32 Lisa Franziska Ferrari (24) ist Schauspielerin in Köln: „Empathie bedeutet für mich, sich in die Gefühlslage eines anderen Menschen hineinversetzen zu können und ihn mit Hilfe eigener Erfahrungen auffangen zu können. Empathie vermittelt Verständnis und Verbundenheit.“ Johannes Seidel (33) ist Fanbeauftragter bei Hannover 96: „Empathie bedeutet für mich die Fähigkeit, sich in andere Personen, ihre Gefühlswelt und ihr Handeln hineinversetzen zu können. In meinem Beruf als Fanbeauftragter muss ich oftmals zwischen konträren Meinungen vermitteln und Standpunkte anderer Menschen und Institutionen vertreten. Dafür ist es unabdingbar, die Emotionen und die zugrunde liegenden Denkweisen meines Gegenübers nachvollziehen zu können.“ Lisa Geisler (22) und ihr Freund Claudius Witte (27) sind seit fünf Jahren ein Paar: „In einer Beziehung ist Empathie sehr wichtig – insbesondere auf emotionaler Ebene. Es bedeutet grundlegend, sich vom Partner verstanden und in gewisser Weise nicht alleine gelassen zu fühlen. In einer Beziehung sollte Empathie recht „uneingeschränkt“ gelebt werden.“ 33 34 35 Medien 36 37 Kann man‘s lernen oder nicht? Ohne Empathie läuft im TV-Journalismus nichts – da sind sich die NDR-Moderatoren Hinnerk Baumgarten und Yared Dibaba einig. empa hat die beiden Journalisten separat getroffen. Im Interview klären sie auf, wie sie mit besonders schwierigen Gästen umgehen, warum jeder Mensch mal schauspielern sollte – und warum Schönheit im Fernsehen kein Maßstab mehr ist. von lydia tittes 38 39 Medien Nice to know: Name: Yared Terfa Dibaba Geburtstag: 8. April 1969 in Aira (Äthiopien) Laufbahn: Ausbildung bei einem Kaffee-Importunternehmen, danach Besuch der Bremer Schauspielschule. Anschließendes Musikstudium am Hamburger Konservatorium. Berufserfahrung: 1999 erste große Schauspielrolle im Ohnsorg-Theater, seit 2001 Moderator bei 9Live, dann VOX. Seit 2006 Moderator beim NDR, unter anderem bei „Mein Nachmittag“ Besonderheiten: Yared hat schon vier Bücher geschrieben, drei davon auf plattdeutsch. Ihr beide seid bereits seit langer Zeit Fernsehmoderatoren beim NDR. Jeden Tag bekommt ihr neue, völlig unterschiedliche Gäste, auf die ihr euch vorbereiten sollt. Hand aufs Herz: Entsteht schon vor der Sendung eine gewisse Sympathie oder Antipathie gegenüber eines Gastes? Hinnerk: Ja, selbstverständlich, aber das würde ich natürlich nie zugeben (lacht). Yared: Natürlich. Sobald ich mir die Unterlagen durchlese oder den Gästefilm anschaue, weiß ich, ob mir mein Gegenüber sympathisch ist oder nicht. Eine gewisse Wechselbeziehung ist automatisch vor der Sendung vorhanden. Gibt es auch unangenehme Gesprächspartner? Yared: Die gibt es natürlich auch. Aber oft passiert es, dass gerade unangenehme Personen spannende Geschichten liefern. Wer waren eure spannendsten Gesprächspartner bislang? Hinnerk: Da gibt es wirklich viele, vor allem Politiker. Mit Ole von Beust hatte ich ein sehr mitreißendes Gespräch oder Peter Altmaier, dem Schwergewicht der CDU. Mit ihm habe ich mich über das Kochen unterhalten, also über Dinge, die außerhalb der „normalen“ Profession liegen. Yared: Vor einiger Zeit interviewte ich einen jungen Mann namens Kasper. Er litt unter einem Herzfeh- 40 ler, überstand jedoch seine Krankheit und engagierte sich für Menschen, die unter dem gleichen Fehler litten. Das Gespräch mit ihm hat mich sehr berührt. Leider hat ihn die Krankheit nicht verschont, er verstarb vor einem Jahr. Wen würdest du denn gerne mal aufs rote Sofa einladen, Hinnerk? Hinnerk: Meinen Vater vermutlich. Deinen Vater? Hinnerk: Ja, das wäre wohl ziemlich interessant. Allerdings ist das etwas schwierig, weil er nicht mehr so gut sprechen kann. Wie wichtig ist eurer Meinung nach Empathie in eurem Job? Hinnerk: Ziemlich wichtig. Als Moderator versuche ich mich in die Situation der Gäste hineinzufühlen, in der sie sich gerade befinden. Erst wenn sie sich wohlfühlen bin ich bereit, tiefgründige Fragen zu stellen. Yared: Ich glaube, dass es sehr wichtig ist. „Mein Nachmittag“ ist sehr kleinteilig, positiv und informierend. Jeden Tag begegnen meiner Moderationskollegin und mir neue Menschen, auf die wir uns vorbereiten. Ich habe immer Bock auf Menschen, bin neugierig auf sie, denn jeder hat etwas Spannendes zu erzählen. Wer keine Lust auf Menschen hat, sollte besser kein TV-Moderator werden. Hinnerk, du wirst auch als „Brad Pitt des Nordens“ bezeichnet: Wie wichtig ist Aussehen im TV? Hinnerk: Natürlich überaus wichtig. Vor dem Bildschirm sollte man wahnsinnig gut aussehen... Wirklich, wahnsinnig… (lacht). Nein, Spaß beiseite. Aussehen ist in erster Linie nicht so wichtig, sondern eher die Lust, sich präsentieren zu wollen. Früher war es so, dass die Fernsehansagerinnen alle hübsch, sauber und adrett sein sollten. Und mit diesen drei Attributen kann man im heutigen Fernsehen gar nicht mehr viel anfangen. Ich meine, da gibt es zum Beispiel Einrichtungsexpertinnen, die schlagen auch sämtliche Rekorde, was das Nichteinhalten von Diäten angeht und sind trotzdem erfolgreich. Oder nehmen wir Cindy aus Marzahn: So eine Entertainerin hätte es früher niemals gegeben. Doch heute sollte ein Moderator ein gewisser Typ sein, Charisma haben und vor allem eine große Portion Selbstbewusstsein besitzen. Yared, du hast drei Jahre lang die Bremer Schauspielschule besucht. Danach folgten viele Theaterauftritte, zum Beispiel im Hamburger Ohnsorg-Theater. Kaum irgendwo anders spielt Empathie eine größere Rolle als in der Schauspielerei. Denkst du, es wäre von Vorteil, wenn Fernsehmoderatoren eine Schauspielschule besuchen müssten? Yared: (schmunzelt) Auf jeden Fall. Allerdings ist eine Schauspielschule hilfreich für jeden Beruf: Du lernst deinen Körper kennen, du lernst, wie du dich präsentierst, wie du kommunizierst. Das ist für fast jeden Berufsalltag sehr entscheidend. Du bist Musiker, Schauspieler und Moderator – Wenn du dich für einen Beruf entscheiden müsstest, welcher wäre es? Yared: Den Beruf des Entertainers (lacht). Er vereint eine Disziplin, wo alles drin steckt, was mir Spaß macht. Ich liebe es, auf der Bühne zu stehen und zu singen, Musik zu machen, aus Menschen etwas herauszukitzeln, über sie zu lernen – also, wenn du mich so fragst: Ich könnte mich im Grunde nicht entscheiden (lacht). Zeit für Freunde und Familie bleibt da kaum… Yared: Das ist immer das Dilemma, in dem ich stecke. Doch wenn ich meine sendefreie Zeit habe, verbringe ich diese auch tatsächlich nur mit meiner Familie. Ich bin kein Typ, der noch nebenbei in einem Fußballklub angemeldet ist oder sich in anderen Vereinen engagiert. Zurück zur Schauspielerei: Hinnerk, du wolltest früher Schauspieler werden. Hinnerk: Das stimmt. Danach wollte ich jedoch zum Radio: Ein Freund von mir war Radiomoderator bei FFN, das fand ich sehr spannend. Nach mehreren Praktika habe ich Blut geleckt und habe nach meiner Zeit bei Radio Antenne Niedersachsen zum NDR gewechselt. Ich liebe es, vor anderen Menschen aufzutreten. Ich liebe es auch, wenn ich bei Freunden eine Rede halten darf, zum Beispiel auf Geburtstagen. Natürlich bin ich auch immer aufgeregt, aber wenn ich merke, dass es klappt, weicht das Adrenalin. Und ich genieße es. Nice to know: Name: Hinnerk Baumgarten Geburtstag: 5. Januar 1968 in Hannover Berufserfahrung: Von 1997 bis 2004 Moderator bei Hitradio Antenne Niedersachsen, danach Wechsel zum NDR. Moderiert sowohl beim Radiosender NDR2 als auch beim NDR Fernsehen die Sendung „Das!“ Besonderheiten: Hinnerk moderiert oft bei speziellen Veranstaltungen, zum Beispiel Liveschalten am Hamburger Hafen. 41 Medien Als Moderator will ich schließlich die Kontrolle bewahren, das ist in solchen Moment nicht so leicht. Natürlich gibt es da noch diesen einen berühmten Fall… …auf den ich natürlich noch zu sprechen kommen wollte. Im März 2013 besuchte die Schauspielerin Katja Riemann das Rote Sofa. Eine mediale Lawine wurde ausgelöst: Auf YouTube hat dein Gespräch mit ihr über 1,8 Millionen Klicks. Es hat gezeigt, dass auch mit Anstrengung und Recherche ein Interview mal nicht so gut läuft, wie du es dir vorgestellt hast. Hinnerk: Ich habe mir das Video im Nachhinein auch angeschaut und da wird natürlich klar: Da haben sich zwei nicht richtig verstanden. Die Zeitungen hatten ihre vorgefasste Meinung von mir: Das Feuilleton schrieb: „Baumgarten ist ein Arschloch“, die Sueddeutsche Zeitung meinte, bei mir stehe „Ficken“ auf der Stirn... Das Studio von „Mein Nachmittag“: Hier moderiert Yared Dibaba zusammen mit einer Kollegin montags bis freitags im NDR. Stichwort Aufregung: Bist du manchmal noch aufgeregt, Yared? Du hattest ja schon selber einige Auftritte, in denen du interviewt wurdest: Bei Markus Lanz zum Beispiel. Yared: Ich würde es eher eine Vorfreude nennen. Es prickelt dann immer so vorneweg und das empfinde ich als ganz angenehm. Nicht nur als Gast, sondern auch als Moderator selber. Zum Beispiel bei der Moderation von „Mein Nachmittag“ ist eine gewisse Prise Adrenalin im Blut immer vorhanden, ich brauche das auch. nicht lernen, hat man oder hat man nicht.“ Stimmt Ihr dem zu? Hinnerk: Ich denke, das Mitfühlen mit anderen ist nicht jedem gegeben. Also es stimmt: Hat man oder hat man nicht. Yared: Empathie ist eine Lernsache. Wir müssen es wollen, dann kann jeder Mensch empathisch sein. Meiner Meinung nach ist jeder gesunde Mensch mit einer gewissen „Grundempathie“ ausgestattet. Und wie ist es bei dir, Hinnerk? Hinnerk: Bei einigen Gesprächspartnern ist natürlich eine andere Konzentration gefragt. Oder eher eine höhere Aufmerksamkeitsspanne: Zum Beispiel habe ich Conchita Wurst interviewt, die übrigens ganz anders ist, als ich es mir vorgestellt habe. Das war ein äußerst menschliches, angenehmes Gespräch. Wenn ich Livesendungen aus dem Hamburger Hafen moderiere, dann herrscht auch dort eine andere Aufmerksamkeit als die routinierten Sendungen im Studio. Hinnerk, wie gehst du mit schwierigen Charakteren oder Situationen um? Zum Beispiel, als die Band Deichkind die Sendung „Das!“ besuchte und sich der Frontmann zum Ende der Show das Shirt auszog... Hinnerk: Es ist eben eine Livesendung: Angst ist da Fehl am Platz. Letztendlich kann nur jeder etwas für sich selber machen: Wenn sich jemand daneben benimmt, dann präsentiert er sich einfach selber so. Vor allem für unsere eher konservativ angelegte Sendung sind solche „Spezialfälle“ für den Zuschauer oft schwer zu begreifen. Die denken sich dann nur: Wer sind diese Vögel? Deichkind fande ich persönlich sehr lustig, allerdings natürlich schwieriger zu handeln als andere Gäste. Bei Twitter gibt es viele Zitate unter dem Hashtag Empathie. Zum Beispiel: „Empathie ist nicht Fahrrad fahren. Kann man 42 ...oder, dass du dich angegeilt im Spiegel beobachtet hast, anstatt auf die Schauspielerin zu achten. Hinnerk: Völliger Quatsch. Das haben Menschen geschrieben, die selber in ihrer kleinen, dunklen Kammer sitzen und über andere lästern. So etwas finde ich sehr zweifelhaft. Alle wollten, dass das Thema weiter aufgerollt wird. Dass ich zum Beispiel sage: „Frau Riemann, die spinnt, die Alte.“ Aber ich habe möglichst versucht, charmant zu bleiben. Natürlich war ich während der Sendung sehr überrascht, als sie so eigenwillig reagierte und nicht auf meine Fragen antwortete. Zum Beispiel war es ihr unfassbar peinlich, als wir Kinderfotos von ihr zeigten. Dabei wollten wir in der Redaktion sie als Schauspielerin würdigen, ihr eine Freude machen. Keine Ahnung, ob ich während des Interviews alles richtig gemacht habe, aber ich bin souverän geblieben. Sonst wäre das Ganze für mich nach hinten losgegangen. Ich habe mir immer wieder gesagt: Es nützt nichts, sich jetzt aufzuregen. Was noch dazukam: Normalerweise bekomme ich durch mein Headset viele Regieanweisungen, doch von dort kam keine Meldung mehr. Alle waren mit der Situation überfordert. ziemlich schwierig, solche Fälle zu bewerten. Bei solchen Situationen sagen sich viele: Ich hätte das komplett anders gemacht. Wie beim Fußball, wo der Spieler den Ball neben das Tor schießt und alle aufschreien: Den hätte ich reingemacht! Doch wenn du unten auf dem Feld stehst, dir sechszigtausend Menschen zuschauen und nochmal ein paar Millionen dich im Fernsehen sehen, da spielen noch viele andere Dinge eine Rolle. Gibt es Journalisten, die ihr euch zum Vorbild nehmt? Hinnerk: Eigentlich nicht. Allerdings finde ich ein paar Menschen großartig, wie zum Beispiel den Moderatoren Carlo von Tiedemann. Den Showmaster Thomas Gottschalk fand ich auch immer toll. Ich habe stets sein lässiges Selbstbewusstsein bewundert. Generell würde ich aber sagen: Es gibt kein bestimmtes Vorbild, an dem ich mich orientiere, sondern an bestimmten Charaktereigenschaften. Yared: Ich habe kein Vorbild, aber finde viele Kollegen beeindruckend, wie zum Beispiel Hajo Friedrichs: Ein großartiger Journalist mit einer vorbildlichen Art. Oder Oprah Winfrey, die zugleich sehr unterhaltsame aber auch sehr ernste Gespräche führen kann. Eine letzte Frage an euch beide: Rückblickend auf eure bisherige Laufbahn: Was waren eure persönlichen Highlights? Hinnerk: An ein Highlight kann ich mich sehr gut erinnern: Jehuda Bacon, ein Jude, der als 15-Jähriger ins Konzentrationslager Auschwitz deportiert wurde und den Holocaust überlebt hat. Yared: Zum Beispiel die Traumhochzeit auf RTL, die ich moderieren durfte. Auch „Mein Nachmittag“ ist immer wieder ein Highlight: Seit 2010 habe ich die Chance, eine Stunde live zu moderieren. Dafür bin ich sehr dankbar. Hast du Angst, dass dir so eine Situation nochmal widerfährt? Hinnerk: Im Gegenteil, ich würde es mir sogar wünschen (schmunzelt). Wenn du einmal ins kalte Wasser gesprungen bist, weißt du, wie es ist. Dann ziehe ich das nächste Mal einfach einen Badeanzug an (lacht). Yared: Nein, das nicht. Ich finde es aber auch 43 Medien Herr, vergib ihnen, denn sie wissen genau, was sie tun! Von der Notwendigkeit der Satire: Wenn Empathie hinter den gesellschaftskritischen Zweck zurücktritt 44 45 Medien von Nico Dodoo Wie so manch guter Witz amüsiert sich auch die Satire auf Kosten anderer. Bewusst verspottet sie Personen und Gegenstände des täglichen Lebens und nimmt dabei keine Rücksicht auf verletzte Gefühle. Leicht ließe sich Satirikern nun fehlende Empathie vorwerfen. Und würde nicht mehr dahinterstecken, als dem Publikum einfach nur ein paar Lacher zu entlocken, dann wäre diese Kritik wohl sogar gerechtfertigt. Doch die Macher von Satire wissen nur zu gut, was sie tun. Der Berliner Journalist Kurt Tucholsky schrieb bereits 1919 über die Satire: „Sie kann gar nicht anders arbeiten als nach dem Bibelwort: Es leiden die Gerechten mit den Ungerechten.“ Wenn sie also „beißt, lacht, pfeift und trommelt“, werden emotionale Kollateralschäden in Kauf genommen. Satire sei in ihrem tiefsten Wesen ungerecht, so Tucholsky. Und dennoch gab es für den Journalisten und Satiriker auf die Frage „Was darf die Satire?“ nur eine Antwort: Alles. Doch wie steht es knapp 100 Jahre nach Tucholsky um das Verständnis von Satire und ihren vorhandenen oder auch nicht vorhandenen Grenzen? Das vergangene Jahr 2015 war ein ereignisreiches und ganz bestimmt kein leichtes Jahr für die Berufsgruppe der Satiriker. Zwölf Menschen starben beim Anschlag auf die Redaktion des französischen Satire-Magazins „Charlie Hebdo“. Die Welle der Solidarität mit Schreibern und Zeichnern war 46 groß, als sich eine neue Debatte über die Legitimation von Religionssatire anbahnte. Die Worte „Satire darf alles“ erlebten geradezu eine Renaissance und wo man hinschaut, wird seitdem mit wehenden Fahnen die Meinungs- und Pressefreiheit verteidigt. Aber es gibt auch kritische Stimmen, die der Satire eben keine unbegrenzten Freiheiten zugestehen und sich keine spöttisch und polemisch provokante Auseinandersetzung mit religiösen Personen oder Gegenständen wünschen. Und dazu zählen nicht nur Anhänger der jeweiligen Glaubensgemeinschaften. So zitierte der „Spiegel“ beispielsweise Dean Baquet, Chefredakteur der New York Times, mit folgenden Worten: „So sehr ich es liebe Solidarität zu zeigen: (...) Meine erste Aufgabe ist, den Lesern zu dienen und ein großer Teil unserer Leser sind Menschen, die sich durch Satire über den Propheten Mohammed beleidigt fühlen würden.“ Dieser Leser sei eben kein IS-Anhänger, sondern einfach nur ein streng gläubiger Bürger New Yorks. Entscheidend sei für Baquet schließlich auch die Frage gewesen, ob die New York Times ähnliche Karikaturen über andere Religionen abdrucken würde, was er mit einem klaren Nein beantworten könne. Mit ähnlichen Gedanken hat sich auch Thomas Schmitt bereits des Öfteren auseinander gesetzt. Der 26-Jährige ist Autor für diverse Fernsehsendungen, unter anderem für die NDR-Satire-Sendung Extra 3, und studiert parallel Kommunikationsmanagement an der Hochschule Hannover. „Religion spielt für viele Menschen eine sehr wichtige Rolle in ihrem Leben. Für einige Gläubi- 47 Medien Der Zweck heiligt die Mittel: Ohne Rücksicht auf Empfindlichkeiten übt die Satire gesellschaftliche Kritik. Mit ge stehen religiöse Leitfiguren wie der Prophet Mohammed noch über der eigenen Familie“, erklärt sich Schmitt die hohe Empfindlichkeit beim Thema Religion. Ziel von Satire dürfe seiner Meinung nach nicht sein, den Glauben einfach nur zu verhöhnen. „Meine Erfahrung ist: Wenn der Witz nicht zu plump ist, sondern intelligent formuliert wird, dann können die meisten Muslime, auch in meinem Freundeskreis, durchaus mit Satire umgehen“, so Schmitt. Um Neues auszuprobieren und Publikumsreaktionen zu testen, veröffentlicht der Nachwuchsautor neue Gags regelmäßig auf seiner Facebook-Seite ‚Amüsieren mit Tommi Schmitt‘. Dort erhält er direktes Feedback und holt sich aus den Kommentaren auch neue Inspiration. „Natürlich bekommt man hier auch am schnellsten zu spüren, wenn die Leute etwas nicht mehr lustig finden“, sagt Schmitt. Ein Beispiel, das in den Kommentaren 48 sowohl Zustimmung als auch Ablehnung fand, war ein vom ihm kommentiertes Foto eines Werbeplakats. Darauf war ein dunkelhäutiges Kind in Kleidung einer großen Modehauskette zu sehen. Thomas Schmitt postete das Bild mit den Worten: „Getragen von europäischen Kindern, beworben von afrikanischen Kindern und hergestellt von asiatischen Kindern.“ Nicht selten wird Satire zu einem Drahtseilakt. Für Aufregung sorgte im September 2015 beispielsweise eine neue Ausgabe von Charlie Hebdo, auf dessen Rückseite eine Karikatur abgebildet war, die den Körper eines ertrunkenen Kindes am Strand vor der Reklametafel einer Fast-Food-Kette zeigte. Die Reklame darauf warb für ein Kindermenü mit dem Slogan: „So nah am Ziel...“. Für diese Instrumentalisierung des tragischen Schicksals des Flüchtlingsjungen Aylan Kurdi gab es sowohl auf Seite der Leser, als auch aus den Reihen der inter- direkten und unverblümten Aussagen dringt sie in das Bewusstsein ihres Publikums. nationalen Presse viele kritische Stimmen. Chefredakteur Gèrard Biard verteidigte die Karikaturen mit den Worten: „Satire muss einen Schock provozieren.“ Besonders in den sozialen Medien hatte Charlie Hebdo nach der Veröffentlichung große Ablehnung bis hin zu Drohungen erfahren. Biard sagte, Leser müssten mit den Karikaturen nicht einverstanden sein. Er verurteilte aber Hass-Kommentare, die mitunter sogar zum Mord aufriefen. Eine Abwägung zwischen dem gesellschaftskritischen Nutzen und der Menschenwürde Was als zulässige Satire gilt und welche Veröffentlichung zumindest juristisch untersagt gehört, das entscheidet die Rechtsprechung in Deutschland von Fall zu Fall. Die Kunstfreiheit der Satire findet ihre Grenzen unter anderem in den Persönlichkeitsrechten, wo eine Abwägung zwischen dem gesellschaftskritischen Nutzen der Satire und der Menschenwürde der dargestellten Person stattfindet. So wie beispielsweise im Fall um ein Coverbild des Satire-Magazins Titanic, auf welchem das damalige Oberhaupt der katholischen Kirche, Papst Benedikt XVI., als inkontinent dargestellt wurde, womit die Enthüllungsaffäre um den Vatikan verbildlicht werden sollte. Die Überschrift lautete: „Halleluja Vatikan - Die undichte Stelle ist gefunden“. Das Landgericht Hamburg sah darin eine Verletzung der Menschenwürde des Papstes und ließ die Gestaltung des Covers per einstweiliger Verfügung untersagen. Eigentlich ein Sieg für den Vatikan, doch der Papst und seine Anhänger konnten sich nicht so recht über ihren Triumph freuen, da die prozessbegleitende Berichterstattung in den Medien dem Fall nur zu noch größerer Aufmerksamkeit verholfen hatte. Um den Medienrummel zu beenden, zog der Papst seinen Antrag auf Unterlassung letztendlich sogar zurück. 49 Medien Dennoch bleibt festzuhalten: Geht es nach der Rechtsprechung, dann werden der Satire durchaus Grenzen gesetzt. Und doch sind diese Grenzen weiter gefasst, als irgendwo sonst im Journalismus. Ein geradezu notwendiger Umstand, dessen sich Kurt Tucholsky schon zu Zeiten der Weimarer Republik bewusst war. „Übertreibt die Satire? Die Satire muss übertreiben (...) Sie bläst die Wahrheit auf, damit sie deutlicher wird“, schrieb Tucholsky und erklärte den satirischen Witz als „boshaft, aber ehrlich“. Satire sei eben alles andere als feinfühlig, sondern direkt, überspitzt und bricht gerne vorhandene Konventionen, weiß auch Extra 3-Autor Thomas Schmitt aus Erfahrung. Die sehr provokante Art der Satire auf Probleme aufmerksam zu machen, erklärt er gerne mit einem Zitat aus dem Hollywoodfilm „Sieben“: „Wenn die Leute einem zuhören sollen, reicht es nicht, ihnen einfach auf die Schulter zu tippen. Man muss sie mit dem Vorschlaghammer treffen. Erst dann kann man sich ihrer Aufmerksamkeit gewiss sein.“ Der erfahrene Kabarettist und Satiriker Dietmar Wischmeyer bringt auf den Punkt, was für ihn gute Satire ausmacht: „Unerschrockenheit gegenüber ihrem Gegenstand und dessen Verteidigern sowie Respektlosigkeit gegenüber dem, was eine vorgebildete Urteilskraft der Öffentlichkeit für ange- 50 messen hält.“ Seit über einem Vierteljahrhundert produziert der heute 58-Jährige bereits Satire für Print, Hörfunk und Fernsehen in Deutschland. Von satirefreien Räumen oder Grenzen will er nichts wissen: „Das Attentat auf „Charlie Hebdo“ hat vielmehr die Grenzen nicht akzeptabler Intoleranz aufgezeigt. Satire kann sich schließlich nicht davon abhängig machen, ob sie ihrem Gegenstand gefällt.“ „Satire kann auch heute noch Bretter vor den Köpfen entfernen“ Unter Berücksichtigung der Notwendigkeit zur Provokation hat auch der Deutsche Presserat in der Vergangenheit viele Beschwerden gegen Satirewerke zurückgewiesen. „Satire kann auch heute Bretter vor den Köpfen entfernen“, sagt Presserat-Specherin Ella Wassink. „Dabei können durchaus Gefühle verletzt werden. Aber gesellschaftliche Kritik an Sachverhalten muss erlaubt sein.“ Das diese Aussage auch bei Kritik an Religionen zulässig ist, zeigt eine Entscheidung des Deutschen Presserates, in der 198 Beschwerden gegen die Karikatur „Kirche heute“ der Titanic als unbegründet abgewiesen wurden. Die Karikatur zeigte einen katholischen Geistlichen, der vor einem Abbild Jesus Christus kniet, wobei sich Kopf und Hände des Geistlichen auf Schritthöhe befinden und das Gesicht des Jesus dunkelrot angelaufen ist. Den Beschwerden lag ein angeblicher Verstoß gegen Ziffer 10 des Pressekodex zugrunde, wonach die Presse darauf verzichtet, religiöse, weltanschauliche oder sittliche Überzeugungen zu schmähen. Dies wurde jedoch mit folgender Begründung abgewiesen: „Hier wird nicht Jesus oder der christliche Glaube verhöhnt, sondern das Verhalten christlicher Würdenträger kritisiert, die sich ihren Schutzbefohlenen gegenüber falsch verhalten haben. Eine Kirche, die dies deckt oder nicht genügend zur Aufklärung beiträgt, muss auch mit dieser Art von Kritik leben.“ Für Gesetz und Pressekodex ist die Grenze von Satire demnach stark vom Einzelfall abhängig. Eine wirkliche Einschränkung der Meinungsfreiheit findet jedoch schon viel früher statt: durch den Satiriker selbst während des Schaffensprozess. Die sogenannte Selbstzensur erfolgt immer dann, wenn die Angst des Journalisten vor Repressionen überwiegt. Und dazu zählen nicht nur strafrechtliche Konsequenzen oder Rufschädigung, sondern seit einigen Jahren eben auch die nicht mehr ganz so realitätsferne Angst um Leib und Leben. Von den erschreckenden Attentaten in Paris einmal abgesehen, kam es im vergangenen Jahr auch in Deutschland zu Übergriffen auf Journalisten. Die zunehmende Zahl der Gewalttaten gebe einem schon zu denken, resümiert Thomas Schmitt. So würde er als Antwort auf seine satirischen Facebook-Beiträge manchmal auch Hass-Kommentare und Drohungen von Anhängern radikaler Gruppen ernten, habe diese bislang aber nie ernst genommen. „Dann liest du in der Zeitung, wie rechte Schläger einen Kolumnisten des Tagesspiegel überfallen und denkst plötzlich zweimal über deine geposteten Gags nach“, erklärt Schmitt. „Natürlich sagen die Leute, dass man sich von solchen Vorfällen nicht einschüchtern lassen sollte, aber es ist eben nochmal etwas anderes, wenn du selbst die Person bist, die bedroht wird.“ Satiriker kämpfen also nicht nur gegen das eigene Gewissen, sondern in Zeiten konkreter Bedrohungen immer häufiger auch mit der Angst. Mehr als je zuvor ist deshalb Unerschrockenheit die Voraussetzung für den Erfolg satirischer Arbeit. Weder Drohungen noch das Wissen um verletzte Gefühle im Publikum dürfen den Autor von seinem gesellschaftskritischen Streben abhalten. Satire provoziert gezielt und darf dabei die Grenzen des guten Geschmacks überschreiten. Sie darf weh tun und muss keineswegs gefallen. Was Satire aber nicht darf, ist kein Ideal zu haben. Denn genau darin besteht ihr gesellschaftlicher Nutzen. „Der Satiriker ist ein gekränkter Idealist: er will die Welt gut haben, sie ist schlecht, und nun rennt er gegen das Schlechte an.“ - Kurt Tucholsky 51 Medien #empa @C_Holler: „Der Arbeitskreis „Nächstenliebe und #Empathie in der CSU“ trifft sich jeden Freitag im Smart der Kanzlerin. Rückbank, rechte Seite.“ @1895_Fortuna: @GerdaTrapp: „#Empathie ist nicht Fahrrad fahren. Hat man oder hat man nicht. Kann man nicht lernen oder kaufen.“ „#Empathie ist keine Einbahnstraße.“ @schirizzel: „Ob ich #Empathie habe? Nee, bin geimpft.“ @wertverstellung: „Ich mag Gefühls-Vertrudelte, mit #Empathie und Sinneswärme. Die Welt braucht dringend solche Menschen. Auch wenn sie es viel zu selten merkt.“ @SoleneDengler: „Es gibt keine Gebrauchsanweisung für Mitgefühl. #Empathie #Refugeeswelcome“ @einmaliganders: „#Empathie gibt‘s wohl nicht im Appstore.“ @JessicaNickrand: „So viele Dinge, die mich wach halten. Wie können wir den Menschen mehr #Empathie beibringen?“ @Handron.TV: „Für jeden Menschen #Empathie zu haben ist voller Power!“ 52 @Handron.TV: „Ärmere Menschen können die Gefühle der Anderen besser erkennen und verstehen. Psychologen glauben deshalb, dass Geld uns die #Empathie raubt. Sprich: Je wohlhabender wir sind, desto weniger Mitgefühl haben wir.“ @KaDoFaible: „Was läuft denn da nur schief auf unserem Planeten? Wo bleibt die #Empathie?“ @jenshealthde: „Immer, wenn sich jemand neben mir erbricht, muss ich auch kotzen. Ist das dieses #Empathie-Dings, von dem alle reden?“ @MichaelGold: „#Empathie ist kein Club auf Ibiza!“ 53 Gesichter 54 55 56 57 58 59 Gesichter „Der Schauspieler muss voll und ganz an das glauben, was er auf der Bühne denkt und sagt.“ Method-Acting ist eine Schauspieltechnik, durch die der Darsteller so tief in seine Figur eintaucht, dass er sie nicht mehr spielt, sondern wortwörtlich verkörpert. Viele große Schauspieler nutzen diese Technik. Manche treiben es allerdings so weit, dass es lebensgefährlich werden kann. diesen zu entsprechen. So waren sie nicht sie selbst und ihr Spiel wirkte nicht natürlich, sondern künstlich und überhöht. Es war das, was man „theatralisch“ nennt: Gutes Theater im heutigen Sinne ist das eben nicht, sondern authentisch, obwohl es gespielt ist. von Jessica Preuss Der erste große Meister des Method-Actings war Marlon Brando. Brando hatte von Stella Adler gelernt, wie man sich sogar dann in Charaktere hineinversetzen kann, wenn man sie eigentlich nicht ausstehen kann. So verkörperte Brando 1951 in dem Film „Endstation Sehnsucht“ Stanley Kowalski mit einer solchen Natürlichkeit und Authentizität, dass die Zuschauer von dieser Glaubwürdigkeit überwältigt waren. Sie hatten Derartiges vorher noch nie in einem Film gesehen. Damals stellten Schauspieler ihre Rollen oft noch sehr überhöht dar. Umso mehr beeindruckte Brando, der seine Figur eine pure, rohe Männlichkeit ausstrahlen ließ. Der schreiende, murmelnde und schroffe Kowalski hätte authentischer nicht sein können, da sich Brando die dazu passenden, ursprünglichen Bewegungen der Figur bei Affen abgeschaut hatte. DER URSPRUNG Die Methode, die Brando angewandt hat, lässt sich auf das „System“ des russischen Schauspielers und Regisseurs Konstantin Stanislawski im 19. Jahrhundert zurückverfolgen. Stanislawskis Idee war, dass gute Schauspielkunst immer eine Reflexion der Wahrheit sein muss, die nicht vorgespielt werden kann. Seine Vorstellungen von Wirklichkeitstreue erforderten eine deutliche Abkehr von den überhöhten Rolleninterpretationen, die für die damalige Zeit üblich waren. Solche Darstellungsweisen würden heutzutage an Satire grenzen. Stanislawskis „System“ hingegen ermutigte junge Schauspieler zur Identifikation mit der jeweiligen Rolle und leitete sie entsprechend an. Sie sollten sich innerlich und praktisch mit ihrer Figur auseinandersetzen und sie dann, aufgrund ihres eigenen Erlebens und Verstehens, menschlich glaubhaft und authentisch darstellen. Marlon Brandos Performanz revolutionierte die Schauspielwelt. Er setzte sich keine Maske auf, er führte nichts vor. Es wirkte so, als wäre Kowalski Brando und Brando Kowalski. Vor Brando hatten Darsteller ihre Rollen angezogen wie Kostüme, sich fiktive Masken aufgesetzt und sich bemüht, Lee Strasberg gilt als der eigentliche Geburtshelfer des Method-Actings. Strasberg, durch Stanislawskis „System“ inspiriert, lehrte in den vierziger Jahren seine Schauspielschüler die „Methode“. So bezeichnete er seine persönliche Philosophie der Schauspielkunst und seine Übungstechnik, durch 60 welche die Schauspieler ihre Rolle in sich selbst erfahren und entwickeln sollten. Das Ziel war die völlige Identifikation mit der Rolle. Obgleich sowohl das „System“ Stanislawskis als auch Strasbergs „Methode“ die Schauspielschüler ermutigt, ihre persönlichen Erfahrungen in die Rolle einfließen zu lassen, gibt es doch einen großen Unterschied zwischen den beiden Konzepten: Die „Methode“ ermutigt dazu, gezielt neue Erfahrungen zu machen, um diese danach in die Rolle einbringen zu können. Das „System“ hingegen greift lediglich auf bereits vorhandene Erinnerungen und Gefühle zurück, um sie für die Rolle zu nutzen. Die Schauspieler sollen die Situationen ihrer Rollenfigur aus eigener Anschauung kennenlernen. „Der Schauspieler muss voll und ganz an das glauben, was er auf der Bühne denkt und sagt“, so Strasberg. Zu Strasbergs Schülern gehören Hollywoodgrößen wie Paul Newman, Al Pacino, Marylin Monroe und Jack Nicholson. DIE TECHNIK Method-Acting ermutigt Schauspieler dazu, ihre Erfahrungen zu nutzen, um sich mit der darzustellenden Figur persönlich zu identifizieren. Sie sollen lernen, sie emotional und kognitiv zu begreifen. Wenn sie bereits über entsprechende Erfahrungen aus dem eigenen Leben verfügen, nutzen sie diese, um sich in das Erleben der Figur hineinzuversetzen. Manchmal müssen sie jedoch eine Situation erst einmal live hervorrufen, um sie persönlich nachempfinden zu können. Zum Konzept des Method-Actings gehören außerdem Techniken wie Platzhalter, Stereotypen, Arbeit mit Tieren oder auch Gedächtnistraining. Strasberg nutzte Fragen wie „Was würde mich motivieren so zu handeln, wie die Figur es tut?“ In Übungssituationen werden die Darsteller angewiesen, die Umstände im Film gegen Umständen aus ihrem Privatleben auszutauschen, um die Reaktionen natürlicher gestalten zu können. Schauspieler, die mit Method-Acting arbeiten, versuchen häufig, die äußeren Lebensumstände der Figur nachzustellen, um mehr Verständnis für ihr Sein zu bekommen. Das kann sich bis zum Extrem steigern und kann deshalb auch gefährlich, sogar lebensgefährlich werden. Es kommt vor, dass Darsteller sich weigern zu essen, zu schlafen oder in irgendeiner Form ihre gewohnten sozialen Kontakte zu pflegen. Zusätzlich sprechen viele Schauspieler mit Psychologen, um sogar unbewusste Motive ihrer Figuren zu entdecken und in ihre Arbeit einzubeziehen. DIE ERSTEN ADAPTIONEN DER TECHNIK Aus dem Ursprungssystem von Stanislawski adaptierten mit der Zeit weitere US-Schauspiellehrer ihren eigenen Stil. Der von Sanford Meisner gelehrte Ansatz ist sogar von seiner persönlichen Zusammenarbeit mit Stanislawski geprägt. Er kommt dem modernen Ansatz zur Schauspielausbildung sehr nahe. Seinen Schülern erklärte er: „Schauspielen ist die Fähigkeit, wahrhaftig unter vorgegebenen imaginären Umständen zu leben.“ Strasbergs gefühlsbasierte Schule ließ Meisner jedoch hinter sich, da dieser Ansatz seiner Meinung nach die Schauspieler zur Selbstfixierung verführte. Das sah er als Hindernis für die Übermittlung der Geschichte der Figur. Stattdessen lehrte er die Schüler, sich auf ihre Schauspielpartner zu konzentrieren und innerhalb der Rolle so natürlich wie möglich zu handeln, gegebenenfalls auch zu improvisieren. Er entwarf interaktive Übungen, die den Darstellern helfen sollten, sich emotional in die Szene zu versetzen und von dort aus wahrhaftig als der dargestellte Charakter zu reagieren. Robert Lewis dagegen war ein Verfechter des Stimmtrainings, das er stärker in das emotionale Training integriert sehen wollte. Er stellte emotionsbasiertes Sprach- und Körpertraining ins Zentrum und sah darin das eigentliche Method-Acting. Stella Adler unterrichtete Schauspielgrößen wie Marlon Brando, Warren Beatty und Robert De Niro. Auch sie adaptierte das System anders als Strasberg. Adler studierte direkt unter Stanislawski - zu einer Zeit, als Stanislawski selbst bereits einige seiner ursprünglichen Ideen weiterentwickelt hatte. Adlers Version der Methode basiert auf der Idee, dass Darsteller Emotionen nicht aus ihrem eigenen Erleben hervorholen, sondern auf die gegebenen Umstände am Set reagieren sollten. Wie auch bei Strasberg basiert Adlers Technik auf Ausführungsübungen von Aufgaben, Wünschen, Bedürfnissen und Zielen. Sich nur auf eigene Erfahrungen zu verlassen, war ihr entschieden zu wenig, da man sich dabei nur selbst beschränken würde. Adler ermutigte ihre Schüler daher dazu, ihre Vorstellungskraft zu nutzen und das emotionale Gedächtnis vollständig auszureizen. 61 Perfektioniert wurde Method-Acting jedoch erst nach Brando. In den siebziger Jahren intensivierten Schauspieler wie Al Pacino, Robert De Niro und Dustin Hoffmann die Vorbereitung für ihre Rollen bis zum Äußersten. Dazu gehörte etwa Schlafentzug oder auch starke körperliche Transformationen. WO IST DIE GRENZE? Method-Acting hat jedoch auch seine Schattenseiten. Viele prominente Schauspieler und Regisseure bezeugen, dass es schwierig ist mit Darstellern zu arbeiten, die diese Methode anwenden. Einer der Gründe ist die lange Vorbereitungszeit, wenn beispielsweise ein Schauspieler vor seinem Einsatz stark zu- oder abnehmen muss oder aber etwas Neues lernen, wie etwa Klavierspielen oder eine neue Sprache. Andere Kritiker bemängeln, dass die Darsteller nicht einmal in den Drehpausen von ihrer Rolle abweichen und entsprechend angesprochen werden möchten. Die vielfach preisgekrönte Schauspielerin Lillian Gish spitzte ihre Kritik scharf zu: Nach dieser Philosophie, so Gish, könne man den Tod erst spielen, nachdem man ihn selbst erlebt habe. Die bedingungslose Hingabe kann zu weit gehen. Nach dem Tod von Philipp Seymour Hoffman erschien Anfang 2014 ein Artikel im „New Yorker“ mit der Überschrift „Zerstört Method-Acting die Schauspieler?“ Hoffman hatte unablässig in sich selbst nach der Leidenschaft der Charakterrollen gesucht. Seine Mimik und Gestik veränderten sich analog zu seinen Rollen und Beobachter stellten fest, dass sich auch der Mensch Hoffman fortlaufend veränderte. Hatte er zu viel von sich selbst in seinen Rollen aufgehen lassen und sich schlussendlich darin verloren? Der Artikel beschreibt eine beständige Grenzüberschreitung bis zu dem Punkt, an dem Hoffman nicht mehr mit seinen eigenen Emotionen umgehen konnte. Separation“ tauchte er 1993 so tief in seine Figur ein, dass er sich tatsächlich in seine Schauspielkollegin Stockard Channing bzw. in ihre Charakterrolle verliebte. Dies stellte er jedoch erst nach Drehende fest, als er zu Hause saß und Liebeskummer empfand. Smith bereute sehr, so weit gegangen zu sein und hält sich seitdem davon fern. Er nennt es „seinen Kopf umprogrammieren“. Man spiele dabei mit der eigenen Psyche herum. Smith rät zur Vorsicht und warnt, dass Method-Acting ein wirklich gefährliches Gebiet sei, wenn man darin gut sein wolle. Der heutige Star des Method-Acting ist Daniel Day-Lewis. Auch er kam bereits mehrfach an sein Limit. Im Vorfeld zu den Dreharbeiten zum Film „Der letzte Mohikaner“ lebte er 1992 mehrere Monate in der Wildnis und aß nur das Fleisch von Tieren, die er selbst erlegt hatte. Nach dem Dreh hielt er es kaum länger als eine Stunde in einem geschlossenen Raum aus und litt außerdem unter leichten Halluzinationen. Dennoch ist Method-Acting nach wie vor seine favorisierte Methode. Beim Dreh zu „Gangs of New York“ im Jahre 2002 weigerte er sich, warme Kleidung anzuziehen, und erkrankte an einer Lungenentzündung. Während der Dreharbeiten zu seinem bisher letzten Film „Lincoln“ fiel er schließlich auf, weil er nicht nur am Set, sondern auch in den Drehpausen in seiner Rolle angesprochen werden wollte. Seine Schauspielkollegin Sally Field berichtet, er habe sogar in der Sprache der Zeit Nachrichten verschickt und sie habe im gleichen Stil antworten müssen. „Lincoln“ gewann zwei Oscars. Einer davon ging an den „Besten Hauptdarsteller“ Daniel Day-Lewis, bereits seine dritte Auszeichnung in dieser Kategorie. Geschafft hat dies vor ihm kein anderer Schauspieler. Der Schauspieler Will Smith hat Method-Acting nur einmal ausprobiert. In „With Six Degrees of 62 63 Gesichter 7 Schauspieler, die Method Acting (fast) zu weit getrieben haben. von Jessica Preuss Adrien Brody in „The Pianist“ Adrien Brody nahm 15 kg ab, um den Holocaust-Überlebenden Wladyslaw Szpilman in “The Pianist” glaubhaft verkörpern zu können. Außerdem nahm er Klavierunterricht und übte täglich vier Stunden. Damit nicht genug: Brody wollte das Gefühl der Verlorenheit im Warschauer Ghetto nachempfinden. Deshalb kündigte er seine Wohnung, verkaufte sein Auto und schaltete alle Telefone aus. Er packte zwei Taschen, nahm sein Keyboard und zog nach Europa, wo er monatelang unerreichbar war. Für den Film wurde er 2003 mit dem Oscar für den „Besten Schauspieler“ belohnt. Nicholas Cage in „Birdy“ Nicholas Cage wollte den gleichen Schmerz spüren, den sein Vietnamveteran-Charakter fühlen musste. Also ließ er sich einige Zähne ohne Narkose ziehen. Außerdem ließ er sein Gesicht in einen Verband hüllen und lief fünf Wochen lang damit herum. Auf der Straße wurde er angestarrt oder ausgelacht. Als er schließlich den Verband wieder abnahm, war seine Haut voller Pickel und eingewachsener Haare. Val Kilmer in „The Doors“ TOM HANKS IN „CAST AWAY“ Als Tom Hanks sich auf seine Rolle als Chuck Noland vorbereitete, der wie ein Mann mittleren Alters aussehen sollte, mästete er sich und nahm 22 kg zu. Nach dem Abschluss eines Großteils der Dreharbeiten speckte er diese 22 kg wieder ab und ließ sich stattdessen einen langen Bart wachsen, um wie jemand auszusehen, der seit Jahren auf einer einsamen Insel gestrandet war. Doch damit nicht genug: Während der Dreharbeiten auf Fiji lebte Hanks tatsächlich wie ein einsamer Inselbewohner. Er weigerte sich, eine Beinverletzung behandeln zu lassen, und bekam eine bakterielle Infektion. Als sich diese unangenehm bemerkbar machte und er sich doch zu einer Behandlung entschloss, erfuhr er beim Arzt, dass er kurz vor einer Blutvergiftung stünde. Heath Ledger in „The Dark Knight” Der australische Schauspieler spielte seine letzte Rolle so überzeugend, dass er dafür posthum im Jahr 2009 einen Oscar gewann. Er hatte sich vollständig mit Joker, dem bizarren Bösewicht, identifiziert und das Publikum begeistert. Selbst während der Drehpausen wollte er als Joker angesprochen werden und interagierte als solcher. Wer ihn nicht mit Joker ansprach, wurde ignoriert. Vor dem Dreh wollte Ledger das Gefühl der Isolation und Misanthropie selbst erleben, weshalb er sich vier Wochen lang in seiner Wohnung einschloss und für niemanden erreichbar war. 64 Val Kilmer gab mehrere Tausend Dollar aus, um ein achtminütiges Musikvideo produzieren zu lassen, in dem er Songs von Jim Morrison singt und diesen perfekt imitiert. Kilmer lernte 50 Songs auswendig, trug Morrisons Kleidung und verbrachte seine Freizeit dort, wo auch Morrison seine Freizeit verbracht hatte. Kilmer unterhielt sich stundenlang mit Paul Rothchild, dem Produzenten der Band und Berater des Films. Nach den Dreharbeiten sagte Rothchild über Kilmer, dass dieser jetzt Morrison besser kenne, als Morrison sich jemals selbst gekannt habe. ANTONIA CAMPBELL-HUGHES IN „3096 NATASCHA KAMPUSCH“ Die echte Natascha Kampusch wurde acht Jahre lang von dem psychisch kranken Wolfgang Priklopil in einem Kellerverlies gefangen gehalten. Antonia Campbell-Hughes versuchte, so viel zu leiden, wie Kampusch leiden musste. Infolgedessen nahm sie enorm an Gewicht ab. Das ging so weit, dass man sie kaum noch wiedererkennen konnte und Gesundheitsexperten sich einmischten, da sie um ihr Leben fürchteten. Robert de Niro in „Taxi Driver” Robert De Niro hat für die Vorbereitung auf seine Rolle tatsächlich seinen Taxischein gemacht. Der Oscar-Gewinner arbeitete anschließend Zwölf-Stunden-Schichten und brachte in Drehpausen Fahrgäste in New York City zu ihrem Reiseziel. 65 Gesichter „Es gibt Krisen, die kann man kommen sehen“ Ein Interview mit Dr. Annika Schach Krisen können jedes Unternehmen treffen. Manche reden sich dann um Kopf und Kragen, andere behaupten sich und ziehen daraus letztendlich eine positive Bilanz. Dr. Annika Schach, Dozentin für Krisen-PR an der Hochschule Hannover, erklärt, worauf es ankommt. von Jessica Preuss Was halten Sie für die Kernkompetenzen in der Krisenkommunikation? Es gibt verschiedene Phasen, die bei der Krisenkommunikation wichtig sind. Zum einen natürlich in der akuten Krise, zum anderen aber muss man schon in der potentiellen Phase, der latenten Phase, aufmerksam Kommunikation betreiben. Dasselbe gilt für die Nachbereitung. Themen, die relevant werden könnten, sollten aufmerksam beobachtet werden. Eine der Kernkompetenzen ist deshalb eine gute Beobachtungsgabe. Man muss genau wissen, welche Themen sich für ein Unternehmen oder eine Organisation krisenhaft zuspitzen könnten. Eine weitere Kernkompetenz liegt in einer guten Organisation und Vorbereitung. Wenn es nämlich zum Krisenfall kommt, muss man sehr schnell handlungsfähig sein. Dann sind Krisentrainings- und Krisenkommunikationshandbücher und alles, was man vorher planen konnte, von großer Bedeutung. Heutzutage ist das ja durch den Social-Media-Bereich alles sehr schnell geworden. Wenn ein Shitstorm anfällt, muss man blitzschnell reagieren. Daher ist auch die interne Koordination ein wesentlicher Punkt, weil man dadurch auf den Krisenfall besser vorbereitet ist. Die dritte Kernkompetenz schließlich ist die sprachliche Kompetenz. Man muss seine Inhalte rhetorisch und semantisch gut und treffend vermitteln. Auch in der Online-Kommunikation kommt es darauf an, dass man die richtigen Begriffe wählt. Warum ist Empathie so wichtig? Die Themen Empathie und Krisenkommunikation in Verbindung zu bringen ist smart, weil der Begriff „Empathie“ ja eigentlich aus der Psychologie kommt. Es handelt sich um die Fähigkeit, sich 66 in andere Menschen hineinzuversetzen. Bei der Krisenkommunikation sind das eigentlich verschiedene Ebenen, die da relevant sind. Zum einen könnte man ja sagen, dass man seine Zielgruppen möglichst gut verstehen muss. Damit man gerade auch im Krisenfall einfach weiß, wie sie reagieren, was sie wissen wollen. Man muss wissen, wie man da am besten kommunizieren kann. Auf der zweiten Ebene könnte man sich überlegen, ob man mit einem Unternehmen Empathie haben könnte, das in einen Krisenfall gekommen ist. Und im dritten Fall ist es dann wieder auf sprachlicher Ebene, also wie man sich bestmöglich ausdrücken kann, sodass man für die unterschiedlichen Zielgruppen die richtigen Botschaften findet. Wobei da auch das Juristische beachtet werden muss. Wenn man sich als Unternehmen entschuldigt, könnte das schon als Schuldeingeständnis gelten. Wo liegen die Grenzen? Empathie ist zunächst einmal unbegrenzt möglich. Die Frage ist, wie man damit umgeht, welche Schlüsse man daraus zieht und welche Maßnahmen daraus abgeleitet werden. Die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen, ist die Grundlage für alles, was man tut und für die nächsten Schritte, die dann folgen. Wenn ein Unternehmen einen Krisenfall hat, in den Personen betroffen sind, dann gibt es natürlich Mitgefühl mit den Opfern. Wenn dann jedoch vor diesem Hintergrund Maßnahmen ergriffen werden sollen, dann gibt es Grenzen. So kann man etwa sagen, dass man dies zwar verstehen und nachvollziehen kann, aber aus der Unternehmensperspektive heraus muss irgendwo ein Punkt gesetzt werden, da muss dann eine Grenze sein. Kann man das lernen? Als Kommunikationsmensch sollte man sowieso ein gehöriges Maß an Empathie mitbringen. Eine gewisse Sensibilität, bestimmte Techniken, das kann man sich sicherlich aneignen, aber über ein ordentliches Grundmaß an Empathie sollte man schon vorher verfügen. Wenn es einer Person sehr schwer fällt, sich in andere Menschen und deren Kommunikationssituationen hineinzuversetzen, dann wird es in der Kommunikationsbranche schwierig. Dann sollte diese Person vielleicht doch lieber einen anderen Beruf wählen. Gerade in Zeiten der „neuen Medien“ ist es wichtig, schnell zu reagieren. Dabei bleibt Empathie häufig auf der Strecke. Woran könnte das liegen? Das liegt zum einen an der Schnelligkeit. Man sieht das Gegenüber nicht und denkt dann auch nicht mehr lange nach. Durch die Schnelligkeit kann die Perspektive verloren gehen, die Sache aus der Sicht das Anderen zu sehen. Empathie erfordert Zeit, um sich mit seinem Gegenüber auseinanderzusetzen. Ein anderer Grund mag darin liegen, dass man im Social-Media-Bereich relativ „unpersönlich“ kommunizieren kann. Es ist eine andere Dialogsituation als das persönliche Gespräch. Man sitzt vor einem Rechner und kommuniziert außerdem mit Nicknames. Vieles ist dann auch nicht wirklich durchdacht, weil es nie zu einem Dialog gekommen ist. Es wird zwar immer gesagt, dass wir hier ein Dialogmedium hätten, aber häufig sieht man doch nur einen Austausch von Statements. Wenn man nicht wirklich miteinander im Gespräch ist, dann fällt es auch schwerer Empathie zu empfinden. Stattdessen tut man häufig nur seine Meinung kund. Wie kann sich das Unternehmen da verbessern? Unternehmen setzen häufig auf eine Professionalisierung ihrer Social-Media-Aktivitäten. Heutzutage ist ein größeres Verständnis dafür da, dass dies ein eigener Bereich ist. Dafür braucht man dann aber auch Zeit, dafür braucht man Menschen, die sich damit auseinandersetzen. Wenn man sich große Unternehmen anschaut, dann sieht man, dass sie teilweise ihren kompletten Kundenservice über Social-Media-Kanäle abwickeln. Wenn man eine Beschwerde hat, kann es einfacher sein, über Twitter oder Facebook eine Antwort zu bekommen als telefonisch. Dann ist es natürlich gut, wenn man feststellt, dass Unternehmen aktiv kommunizieren. Das Wichtigste daran ist allerdings, dass wirklich individuell geantwortet wird, dass die Nutzer also nicht das Gefühl bekommen, dass immer wieder das Gleiche geschrieben wird, dass man sie mit vorgefertigten Textbausteinen abfertigt. Wenn Unternehmen mit Textbausteinen arbeiten und sich überhaupt nicht dafür interessieren, was jetzt wirklich gefragt wurde, dann kann das, zusätzlich zu dem eigentlichen Anlass der Kritik, einen neuen Shitstorm auslösen. In solch einem Fall kommt diese schlechte Erfahrung noch zu dem ersten Anlass hinzu. Hier spielt Empathie wieder eine wichtige Rolle. Es geht kein Weg daran vorbei, sich mit den einzelnen Belangen der Fragesteller auseinanderzusetzen. Das erfordert auch Manpower und eine Abteilung und ein Budget, damit die Ansprechpartner im Unternehmen überhaupt die Möglichkeit haben, angemessen zu reagieren. Wo sollte man grundsätzlich bei der Krisenkommunikation ansetzen? Es geht zum einen darum, sich auf mögliche Krisen vorzubereiten. Das ist ganz wichtig und das machen auch viele Unternehmen. Sie erstellen ein Krisenhandbuch, wo sie gedanklich mögliche Fälle durchspielen, damit sie vorbereitet sind. Ein solches Handbuch enthält konkrete Checklisten. Wenn der 67 Gesichter Krisenfall nie eintritt, kann das manchmal ein bisschen merkwürdig wirken, geradezu idiotisch. Man denkt sich vielleicht, dass man sowas auch ohne solche Listen hinbekommen würde. Wenn die Krise aber doch kommt, dann geht es wirklich nur um wenige Minuten oder maximal eine halbe Stunde, in der eine Reaktion kommen muss. Dann zeigt sich, wie wichtig eine solche Vorbereitung auf den möglichen Krisenfall ist. Außerdem muss in die Evaluation investiert werden. Das bedeutet, dass man sich bestimmte Themenentwicklungen anschaut, damit man möglichst rechtzeitig eingreifen kann. Es ist keine gute Idee, erst einmal abzuwarten, weil man etwa denkt, dass das Thema mein Unternehmen doch gar nicht betrifft. Ganz plötzlich trifft es dann eben mein Unternehmen doch und dann rächt sich das. Manche Krisen kann man kommen sehen. Es gibt natürlich auch unvorhersehbare Krisen, z.B. bei Fehlverhalten des Managements oder bei einem Flugzeugabsturz. Auf akute Krisen dieser Art kann man sich nicht vorbereiten, aber es ist durchaus möglich, Strukturen zu schaffen, mit denen man sie bewältigen kann. Burger King hat 2014 mit Online Videos reagiert, als der Hygieneskandal aufkam. Warum hat diese Methode besser funktioniert, als einfach nur eine Pressemeldung als Text rauszugeben? Das bewegte Bild wirkt einfach ganz anders als reiner Text. Deswegen wird generell sehr viel Bewegtbild in der Kommunikation gemacht. Auch in der Krisenkommunikation ist das sicherlich gut, weil das gesprochene Wort und das Bild gemeinsam immer noch etwas überzeugender wirken als der Text. Einen Text kann letztlich jeder geschrieben haben, während man im Video die Person sieht und die Persönlichkeit dahinter. Deswegen empfehlen das viele Krisenkommunikationsagenturen. Bei Burger King sind die Macher noch einmal einen Schritt weitergegangen, weil sie eine Kampagne daraus gemacht haben und die Videos im Fernsehen ausgestrahlt wurden. Sonst wird häufig nur ein Video auf der Website veröffentlicht. Die Burger-King-Videos waren einmalig in der PR-Branche und die Macher haben dafür auch einen Award gewonnen, weil sie sehr aktiv geworden sind. Viele Unternehmen sind dagegen sehr zurückhaltend, vor allem im Lebensmittelbereich. Es gibt dort sehr viele Krisenfälle, die man als Verbraucher kaum mitbekommt. Da werden die Unternehmen nicht aktiv und hoffen, dass die 68 Medien nicht darauf anspringen. Häufig klappt das auch und dann wird die Sache einfach unter den Teppich gekehrt. Deshalb kommt es natürlich immer gut an, wenn man aktiv mit solch einer Krise umgeht. Bei Burger King ist es am Ende auch nur ein Franchise-Nehmer gewesen, der viel Mist gebaut hat. Den gibt es mittlerweile nicht mehr. Ein aktives und transparentes Vorgehen wird immer honoriert. „Don’t feed the trolls” heißt es häufig im Bereich Social Media. Ist ignorieren oder löschen der Beiträge eine Lösung? Es ist eine große Hilfe, wenn man die Kommentare kategorisiert. Es gibt ein Schema, womit man die verschiedenen Kommentare einschätzen kann. Es handelt sich um eine Typologie mit acht verschiedenen Typen. Ist es eine kritische Frage? Ist es eine sehr kritische Frage? Ist es jemand, der moderiert? Ist es jemand, der für das Unternehmen in die Bresche springt, sich dabei aber im Ton vergreift, ein sogenannter Fanboy? Das sind Typologien, die man ganz gut nutzen kann, um verschiedene Gefährdungsgrade abzuchecken. Trolls sind ebenfalls eine Kategorie. In ihrem Fall würde man eher die Strategie fahren, dass man diese Leute gar nicht speziell anspricht, sondern sie einfach stehen lässt – eben nach dem Motto „Don’t feed the trolls“. Bei kritischen Fragen dagegen kann man natürlich darauf eingehen und sich im Kommentar darauf beziehen. Man versucht dann, Fürsprecher für sich zu gewinnen. Es gibt verschiedene Strategien, wie man mit unterschiedlichen Kommentaren umgehen kann. In Unternehmen wird das häufig als eine Art Ampelsystem dargestellt. Bei Rot muss man unbedingt mit dem Vorgesetzten sprechen oder weitere Maßnahmen ergreifen, bei Gelb kann man selber antworten und bei Grün ist alles in Ordnung. So versucht man abzustufen. In jedem Fall kann man nicht sagen, dass alle Kommentare gleich sind. Die Abstufung und Kategorisierung hilft in der Kommunikation. Nehmen wir mal an der Shitstorm ist bereits ausgebrochen. Was sollte man jetzt tun? Dafür gibt es ein gutes Beispiel. Es gab mal einen Shitstorm bei der ING-DiBa. Die hatten einen TVSpot veröffentlicht, in dem Dirk Nowitzki in eine Metzgerei gegangen ist und eine Scheibe Wurst bekommen hat mit dem Spruch: „Damit du groß und stark wirst“. Darüber haben sich sehr viele Vegetarier auf der Facebookseite der ING-DiBa aufgeregt und gesagt, dass Wurst nicht das Mittel sei, um groß und stark zu werden. Auf dieser Facebookseite ist dann eine riesige Diskussion über gute Ernährung und Fleischkonsum entbrannt. Die ING-DiBa hat diese Diskussion erst einmal einfach laufen lassen, sie haben also den Diskutanten den Raum dafür auf ihrer Facebookseite geboten. Nach ein paar Tagen veröffentlichten sie dann jedoch ein Statement, wonach sie es bei der ING-DiBa zwar gut fänden, wenn man sich austauscht, dass sie nun aber ihre Facebookseite wieder für ihre eigenen, spezifischen Themen nutzen wollten. Sie haben also auf ihr Hausrecht verwiesen und öffentlich angekündigt, dass sie jetzt, an dieser Stelle, einen Cut machen. Sobald man dies als Unternehmen offen kommuniziert, wird es meistens auch gutgeheißen. Als Betreiber einer Seite hat man durchaus eine Art Hausrecht. Man sollte allerdings nicht einfach unkommentiert Kommentare löschen. Dann schreit die Gemeinde auf und spricht von „Zensur“. Wenn man jedoch offen kommuniziert, was man als Unternehmen tun wird und warum, dann kommt das in der Regel gut an. Die Fans einer Seite finden es meistens blöd, wenn sich viele Trolls auf dieser Seite herumtreiben. Man kann durchaus löschen oder entfernen und man kann auch auf die Netiquette verweisen. Viele Redaktionen arbeiten mit einer Netiquette. Die wird auch akzeptiert. Die Bundesregierung betreibt aktuell auch Krisenkommunikation in der Flüchtlingsdebatte. Was könnte sie besser machen? Grundsätzlich muss man immer unterscheiden zwischen solchen Problemen, die sich durch Kommunikation lösen lassen und solchen, die zunächst einmal nicht mit Kommunikation gelöst werden können. Die Flüchtlingsdebatte ist besonders vielschichtig. Mit reiner Kommunikation kann man natürlich nicht die gesamte Problematik beheben. Eines ist aber ganz gut gelungen: Durch diesen Satz, den Frau Merkel geprägt hat, „Wir schaffen das“, ist eine sehr spitze Kommunikation da. Jeder kennt diesen Satz. Das ist eine sehr klare Aussage und eine ebenso klare Positionierung. Im zweiten Schritt geht es jetzt darum, transparent zu machen, wie dieses Flüchtlingsproblem tatsächlich angegangen werden soll. Besonders schwierig wird es dann, wenn dieses Thema für parteipolitische Positions- kämpfe zwischen CDU, CSU und SPD missbraucht wird. Das kommt natürlich nicht gut an, aber auch das lässt sich durch Kommunikation allein nicht lösen. Dafür ist das Problem einfach zu akut. Eine offene Kommunikation ist jetzt besonders wichtig. Das passiert auch durchaus, man bezieht sich auf die Fakten. Leider werden durch die Medien teilweise Zahlen und Fakten falsch wiedergegeben, das muss man dann auch kritisieren. Da werden beispielsweise Statistiken über Geschlecht oder Herkunft der Flüchtlinge nicht nachrecherchiert, ungeprüft abgedruckt und manchmal sogar von Qualitätsmedien übernommen. Hier muss man darauf bestehen, dass wir jetzt wirklich bei den Fakten bleiben und auch transparent kommunizieren, welche Lösungsvorschläge es tatsächlich gibt. Würden Sie der Bundesregierung empfehlenn solche Videos zu machen? Video ist prinzipiell ein gutes Medium, aber es muss natürlich auch fundiert sein. Im Moment sind viele Dinge einfach noch nicht soweit geklärt, dass sie sich für ein Video eignen. Da sollte man erst einmal seine inhaltlichen Hausaufgaben machen, bevor man solch ein Medium wählt. Was sollte jetzt der nächste Schritt der Bundesregierung sein? Es wird schon jetzt viel kommuniziert. Es gibt die klassischen Formate, wie etwa die Bundespressekonferenz. Mit Steffen Seibert hat die Bundesregierung jemanden, der die nötige journalistische Erfahrung mitbringt und der auch von vielen im medialen Umfeld anerkannt wird. Vom kommunikativen Standpunkt aus kann man dem momentan nicht viel hinzufügen. Das, was derzeit zu sagen ist, wird bereits kommuniziert. Ich empfehle einen vernünftigen Umgang mit dem Thema. Man muss sachlich auf die Fakten schauen, danach kann man die nächsten Schritte angehen. Häufig allerdings wird den Leuten, die das Flüchtlingsproblem kritischer sehen, vermittelt, sie seien alle dumm, oder sie seien alle Nazis. Das hilft meiner Meinung nach auch nicht weiter, weil man diese Leute auch mit ins Boot holen muss. Hier muss versucht werden, mit der Faktenlage einen argumentativen und vernünftigen Umgang zu pflegen. 69 Gesichter NEUN FAKTEN GENERATIONSWECHSEL Sara Konrath kam nach der Auswertung von 72 Studien, die zwischen 1979 und 2009 die Empathiefähigkeit von über 14.000 Studierenden getestet hatten, zu einem erstaunlichen Ergebnis: Heutzutage sind sie etwa 40 Prozent weniger einfühlsam als ihre Kommilitonen aus den Siebzigern. Die Sichtweise ihrer Mitmenschen können sie schlechter verstehen und haben weniger Mitgefühl mit Notleidenden. BESCHLEUNIGER David Rakel von der Universität von Winsconsin hat herausgefunden, dass empathische Ärzte ein Genesungsbeschleuniger sein können: Für seine Studie schickte er Erkältungs-Patienten zu Ärzten, denen er zuvor Anweisungen für die Behandlung gegeben hatte. Die einen waren besonders nett und kümmerten sich intensiv um ihre Sorgenkinder, die anderen speisten sie mit einer Standard-Behandlung ab. Dabei kam heraus: 84 von 350 Teilnehmern stuften ihren Arzt als besonders empathisch ein und wurden am schnellsten gesund – im Schnitt sogar einen Tag früher. ÜBER EMPATHIE NATURTALENT Ein Synästhetiker ist ein Mensch, der einen Sinnesreiz gleich mehrfach wahrnimmt und somit in der Lage ist, Geräusche nicht nur zu hören, sondern dazu auch Formen und Farben zu sehen. 2007 fanden Wissenschaftler heraus, dass diese Menschen auch besonders empathisch sind: Dafür berührten die Professoren entweder die linke oder die rechte Wange der Probanden, während diese Bilder eines Gesichtes sahen, das ebenfalls berührt wurde. Solange das Bild und der tatsächliche Kontakt übereinstimmten, hatten die Teilnehmer keine Probleme mit der Antwort. Sobald sie jedoch abwich, bekamen sie Schwierigkeiten und machten Fehler. Die Wissenschaftler schlossen daraus, dass sich die beobachtete Berührung offenbar genauso real anfühlte wie die tatsächliche. SPÜRNASE BETONUNG Nicht nur für die Pointe einer Geschichte, sondern auch zum Ausdruck von Empathie ist Betonung beim Erzählen besonders wichtig. In einer Studie von der Universität Southern California wurden Probanden gebeten, den sinnfreien Satz „Da da da da da“ möglichst mit verschiedenen Emotionen zu hinterlegen. Die Forscher bemerkten dabei, dass eine bestimmte Region des Sprachzentrums aktiviert wurde: das Broca-Areal. Im finalen Empathietest stellten sie dann fest: Die stärksten emotionalen Gehirnaktivitäten zeigten sich bei denjenigen, die auch im Alltag ihre Aussprache besonders betonen. 70 Empathische Menschen haben nicht nur die Fähigkeit zum Mitgefühl, sondern auch ein sehr gutes Näschen. Das fanden Forscher der Universität Houston in einem abenteuerlichen Experiment mit 44 Studenten heraus: Sie sollten dafür zweimal an jeweils drei unterschiedlichen T-Shirts riechen und das Shirt erkennen, das ihrem Mitbewohner gehört. Zehn der Probanden haben im Ergebnis richtig gelegen, 13 schafften es sogar beide Male. Danach durchliefen die Studenten einen Empathietest – und am besten schnitten jene 13 Teilnemer ab, die zuvor zweimal erfolgreich waren. SCHMERZRESISTENZ EINSTELLUNGSSACHE Eine aktuelle Studie von der Universität Bologna hat eine interessante Feststellung gemacht: Gehirne von Rassisten ticken offenbar anders. In ihrer Studie wurden freiwilligen Teilnehmern Filmausschnitte gezeigt, auf denen Hände zu sehen waren. Diese wurden entweder mit einer Nadel verletzt oder mit einem Wattestäbchen zärtlich gestreichelt. Währenddessen maßen die Wissenschaftler die Gehirnaktivitäten der Probanden: Bei den neutralen Versuchsteilnehmern wurde ein Hirnareal aktiv, das für Emotionen und Schmerzempfinden zuständig ist. Bei den rassistsich eingestellten Probanden aus blieben diese Reaktionen aus. Offenbar dominieren Vorurteile also auch das Gehirn - und verdrängen die Empathie. Das Gehirn ist von Natur aus empathisch: Weltweit gibt es etwa 100 Menschen, die eine angeborene Unempfindlichkeit für Schmerzen haben. Nicolas Danziger, ein französischer Neurophysiologe, hat herausgefunden: Selbst die Gehirne dieser Personen sind empathiefähig. In einem Experiment sahen 13 Betroffene Videos, in denen sich Menschen verletzten oder offensichtlich Schmerz empfanden. Obwohl die Probanden zuvor nie Schmerz gefühlt haben, löste der Anblick bei ihnen eine Reaktion im Gehirn aus - und zwar in den Regionen, die für das Schmerzempfinden zuständig snd. BÜCHERWURM Laut Raymond Mar steigert das Lesen von Romanen die Empathie. Für diese Erkenntnis führte er eine Studie durch, in der 94 Personen in einer Liste mit vielen Autorennamen sagen sollten, welche sie davon kennen. Danach testete er die Empathiefähigkeit der Probanden. Und tatsächlich: Kenner der Roman-Schriftsteller wiesen eine höhere Empathiefähigkeit auf als diejenigen, die sich mehr für Sachbücher interessierten. GENFORSCHUNG Empathie hilft gegen Stress: US-Forscher haben herausgefunden, dass empathische Menschen aufgrund einer bestimmten Genvariante besser mit Stress umgehen können. Das Gen ist dafür verantwortlich, Gefühle anderer besser zu verarbeiten und störende Eindrücke eher auszublenden. 71 Gesichter „Eigenarbeit kommt vor Fremdarbeit“ Was denkt jemand über Einfühlungsvermögen, der sich tagtäglich mit dem (Arbeits-)Leben anderer Menschen aueinanderetzt über da Thema Empathie? Und wie gelingt es, sich selbt nicht zu verlieren? empa führte ein Interview mit Coach Nina Stromann. In Hannover bietet die Rechtsanwältin und gelernte systemische Beraterin und Therapeutin ein Coaching für Unternehmer und Führungskräfte an. von Torben Ritzinger Was bedeutet für Sie Empathie? Für mich bedeutet Empathie, sich in andere Menschen einfühlen. Einerseits kann das kognitiv sein – also rein gedanklich. Andererseits ist es aus meiner Sicht mit großer Empathiefähigkeit möglich, diese auch im Umgang mit dem anderen zu zeigen. Wird Empathie nicht zu oft mit Mitleid verwechselt? Schwierige Frage. Aber ich verstehe unter Mitleid überspitzt gesagt: „Du arme Sau! Ich bin froh nicht in deiner Position zu sein.“ Demgegenüber ist dann Empathie eher, sich konkret mit jemandem und seiner Position auseinanderzusetzen. Für ihn da zu sein und das Gefühl auszuhalten. Wo kommt Empathie in Ihrem Beruf besonders zum Tragen? Als Coach arbeite ich mit Menschen auf Ihrer persönlichen emotionalen Ebene und versuche, mich bestmöglich darauf einzulassen. Es geht, darum emotional zu empfinden. Und wenn jemand das nicht kann, dann helfe ich, indem ich auch Empathie verbal vermittle. 72 Was denken Sie, ab welchem Alter ist der Mensch empathisch? Das kann ich zwar nicht genau beurteilen, da ich nicht mit Kindern arbeite. Aber aus dem Bauchgefühl heraus würde ich sagen, dass gerade Kinder sehr empathisch sind und sensibel auf ihre Mitmenschen, etwa die Familie, reagieren. Dazu gibt es sicher wissenschaftliche Studien, die sich mit der Frage konkret beschäftigen. Kann man größeres Empathievermögen erlernen? Ich denke schon, dass Empathie ein Stück weit verankert ist in uns. Wie sie sich äußert, ist von Mensch zu Mensch aber wohl tatsächlich unterschiedlich. Deshalb glaube ich, dass sich Empathie durch Lebenserfahrungen entwickelt. Wann haben Sie das letzte Mal Empathie vermisst? Ein konkretes Beispiel fällt mir jetzt spontan nicht ein. Ich bin jedoch der Meinung, dass Menschen überwiegend tun, was sie tun können. Es ist einfach insgesamt eine starke Leistung, empathisch zu sein und zu fühlen was der Andere fühlt. Das kann sicher nicht jeder. Doch wenn man weniger im Umgang mit sich und seinen eigenen Problemen zu tun hat, dann hat man auch mehr Kapazität für die Gefühle Anderer. Man schaut also zunächst auf sich? Genau. Ich schaue erst auf mich und gucke, ob es mir gut geht. Denn das ist die Grundvoraussetzung für Empathie. Dass man selbst gut versorgt ist. Mir fällt dazu ein: Kooperation ist erst dann möglich, wenn sich zwei unabhängige Menschen begegnen. Der stammt aus einem Lehrbuch namens dialogsche Führung der Autoren Kurt Martin Dietz und Thomas Kracht. Denn bei Stress bin ich logischerweise weniger einlassbar auf fremde Gefühle. Kann man zu empathisch sein? Es wird dann gefährlich, wenn man Empathie damit verwechselt, nur noch für den Anderen da zu sein. Dann verliere ich mich selbst. Man braucht also auch sich selbst gegenüber Empathie? Ja, das denke ich schon. Die eigene Arbeit kommt vor der fremden Arbeit. Das betrifft auch Empathie, weil ich erst dann in der Lage bin, empathisch zu sein. 73 Berufung 74 75 Berufung Manches geht einfach zu weit Pädagogen über Schüler Jeder Mensch durchläuft im Laufe seines Lebens wichtige Stationen. Wir werden geprägt durch die Dinge, die wir erleben und durch die Menschen, denen wir begegnen. Bewusste und unbewusste Entscheidungen, die wir treffen, beeinflussen uns, formen unseren Charakter und machen uns einzigartig. Eines haben die meisten von uns jedoch gemeinsam: die ersten Stationen auf dem Weg des Erwachsenwerdens sind dieselben. Angefangen beim Kindergarten über den ersten Schultag bis hin zum Tag des Abschlussballs. von Mareén Hamann Die Schullaufbahn ist wichtig für unser Sozialverhalten. „Die Schule dient, neben den Eltern, als prägende Erziehungsinstanz“, so Kinder- und Jugendpsychologin Kerstin Kramer*. „Im Kindergarten fangen wir an, erste soziale Kontakte aufzubauen, in dem wir mit anderen Kindern spielen. Dabei lernen wir erste Grenzen des zwischenmenschlichen Agierens kennen. Wenn ich einem anderen Kind ein Spielzeug wegnehme, werde ich von der Erzieherin ermahnt, dies nicht noch einmal zu tun. In der Schule geht der Erziehungsprozess weiter. Ein einfaches Beispiel ist, ich muss lernen, die Hand zu heben, wenn ich etwas sagen möchte. Sprich ich lerne, andere ausreden zu lassen. Dabei lernen Kinder unterbewusst, sich gegenseitig zu respektieren.“ Die Schule wird schon lang nicht mehr nur als „Hort des Wissens“ angesehen. Vielmehr geht 76 es darum, den Umgang mit anderen Menschen zu fördern und wichtige Fähigkeiten im Umgang miteinander zu erwerben. „Wir beobachten oft, dass Kinder, die keinen Kindergarten besucht haben, Schwierigkeiten haben, in der Schule Anschluss zu finden und oft im Begriff sind, ausgegrenzt zu werden“, so Kramer. Ihnen fehlt die Fähigkeit, sich mit Gleichaltrigen zu identifizieren. Dies würde sich jedoch meist im Laufe des ersten Schuljahres schnell ändern, so Kramer weiter. Besorgniserregend ist jedoch, dass sich Phänomene wie Mobbing und Ausgrenzung bereits bei den ganz Kleinen beobachten lässt. Bereits im Grundschulalter bilden sich bestimmt Cliquen. Kramer sagt, dass oft Kinder aus sozialschwächeren Familien Gefahr laufen ausgegrenzt zu werden, sei es weil sie beispielweise nicht das neuste Spielzeug haben oder weniger zu Weihnachten bekommen, als andere Schüler aus der Klasse. Hier sieht die Psychologin eine wichtige Aufgabe seitens der Pädagogen. Es sei nicht abzustreiten, dass sich das Konsumverhalten in den letzten Jahren rapide verändert hat. Habe man sich früher noch über Malbücher und neue Buntstifte zum Nikolaus gefreut, so werden Kinder heutzutage mit Geschenken nahezu überhäuft. „Natürlich möchten Eltern ihren Kindern eine Freude machen und als Lehrer kann man sich in diesem Punkt nicht einmischen. Es ist jedoch Aufgabe der Pädagogen, den Kindern ein gewisses Maß an Wertschätzung beizubringen. Ich begrüße daher die Tradition vieler Grundschulen in der Weihnachtszeit Päckchen mit kleinen Geschenken und Süßigkeiten zusammenzustellen, um diese dann beispielweise Kinderheimen zu spenden.“ Dies ist zudem wichtiger Bestandteil bei der Ausbildung sozialer Kompetenzen. Etwas Gutes tun und anderen eine Freude machen mit dem Wissen, keine Gegenleistung zu erhalten, ist ein befriedigendes Gefühl. Es lehrt uns zu teilen und soll zeigen, dass materielle Dinge keine Selbstverständlichkeit sind. „Kinder lernen dabei auch empathisch zu sein und whl für andere Menschen zu zeigen. Dies ist auch später als junger Heranwachsender und im Erwachsenenalter von enormer Bedetung.“ Empathie als wichtiger Faktor des Zusammenlebens Soziale Bindungen und Beziehungen begleiten uns unser ganzes Leben lang, egal ob es sich dabei um Freundschaften, Liebesbeziehungen oder dem Verhältnis unter Arbeitskollegen handelt. Empathie hilft uns, sich in bestimmten Situationen richtig zu verhalten, anderen Menschen beizustehen und zu helfen und Respekt und Wertschätzung entgegenzubringen. Empathie spielt auch in der Schule eine wichtige Rolle. Nicht nur was die Beziehungen zwischen den Schülern angeht, sondern auch in Bezug auf das Schüler-Lehrer Verhältnis, wie Michael Schulze*, Lehrer an einem Gymnasium, bestätigt. „Für den täglichen Umgang hier in der Schule ist Empathie unerlässlich. Ohne Respekt funktioniert es eben nicht. Es geht dabei nicht nur um Respekt den Lehrern gegenüber, sondern auch darum, dass unsere Schüler einander respektieren.“ Leider, so der 46-Jährige, werde dies immer mehr zu einem Problem. „Wir merken, dass der Umgangston der Schüler untereinander rauer ist, als noch vor ein paar Jahren. Das fängt bereits bei den Schülern der fünften und sechsten Klasse an. Es werden Worte in den Mund genommen, an die haben wir früher nicht einmal gedacht. Leider bekommen einige diese Umgangston bereits von zu Hause mit. So etwas ist natürlich auch Thema im Lehrerzimmer. Wir können jedoch nicht mehr tun, als die Schüler zu ermahnen.“ 77 Berufung „In Bezug auf den Respekt, der uns Lehrern entgegengebracht wird, kann ich nur sagen, dass der Umgang teilweise lockerer geworden ist. Beispielsweise, was das Essen und Trinken während des Unterrichts angeht. Mich stört es nicht, wenn meine Schüler trinken. Auch beim Essen drücke ich noch ein Auge zu, solang es nicht allzu störend ist. Einige Kollegen sind da sehr streng. Da darf nur im Sommer getrunken werden. Was allerdings gar nicht geht sind Kaffeebecher auf den Tischen!“ Gerade jüngere Pädagogen sind im Umgang mit ihren Schülern lockerer, als die älteren Kollegen. Das Smartphone auf dem Tisch ist jedoch nach wie vor ein rotes Tuch. Schulze betont, man dürfe nicht vergessen, dass man in der Schule sei. Auch, wenn das Handy ein alltäglicher Begleiter geworden ist. Im Unterricht habe es nach wie vor nichts zu suchen. „Ich und viele andere Kollegen halten auch nichts von dem Phänomen, dass Lehrer sich mit ihren Schülern via WhatsApp austauschen. Eine gewisse Grenze muss bestehen bleiben“, sagt Schulze. Es sei zwar ganz natürlich, dass man im Laufe der Jahre ein gewisses vertrautes Verhältnis aufbaut. Viele Lehrer begleiten ihre Schützlinge vom ersten Tag an der weiterführenden Schule bis hin zum Abitur. Dennoch müssen Grenzen eingehalten werden. Schon allein, um Missverständnissen und Gerüchten vorzubeugen. „Stellen Sie sich vor, ich hätte die Handynummern meiner Schülerinnen! Was meinen Sie, wie schnell es dumme Gerüchte geben würde.“ Es ginge jedoch nicht nur um die Prävention von Anschuldigungen, sondern auch um das altbekannte Thema der Objektivität. Als Lehrer müsse 78 man alle Schüler gleich behandeln. Ein allzu enges Verhältnis könnte dazu führen, an objektivem Urteilsvermögen zu verlieren. Ein schwieriges Thema, so sind sich Schulze und seine Kollegin Kerstin Kramer einig, sei es, wenn auffällt, dass es einem Schüler schlecht geht. „Wenn ein Schüler gemobbt und ausgegrenzt wird, bekommen wir das natürlich mit. In diesem Fall können wir leider oftmals nicht viel tun. Wir sprechen natürlich mit der Klasse und versuchen zu vermitteln. Ermahnen, wenn ein Schüler beleidigt wird. Freundschaften können jedoch nicht erzwungen werden.“ Leider sei es auch schon vorgekommen, dass ein Schüler offensichtlich Opfer häuslicher Gewalt wurde. In diesem Falle müsse man sich vorsichtig herantasten. Die Schüler verschließen sich oft im persönlichen Gespräch mit den Lehrern aus Angst vor mehr Gewalt im Elternhaus. „ Wenn ein Schüler Opfer häuslicher Gewalt wird, müssen wir handeln. Für diese Fälle haben wir jedoch speziell ausgebildete Pädagogen, an die sich die Schüler wenden können beziehungsweise an die auch wir uns wenden, wenn ein solcher Fall auftritt.“ Als Lehrer wolle man in erster Instanz Wissen vermitteln und die Schüler auf das anstehende Berufsleben vorbereiten. Ein gewisser Beschützerinstinkt lässt sich jedoch nicht unterdrücken. Ein offenes Ohr haben, auch nach dem Unterricht, ist wichtig, um ein gutes Miteinander zu fördern. Empathie beginnt beim Zuhören und Hinsehen. Wo ist die Grenze? „Ganz klar bei einem freundschaftlichen Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern! Nach dem Beenden der Schullaufbahn gerne aber nicht vorher!“ *Namen von der Redaktion geändert 79 Berufung „Ich bin kein Gutmensch!“ Anschläge, Pöbeleien, Übergriffe. Dresden ist seit über einem Jahr nun ein besonders heißes Pflaster. Jeden Montag zieht es „besorgte Bürger“ auf die Straße, Pegida ist nach wie vor aktuell. Wie kann man zwischen diesen Nachrichten noch den Mut und die Motivation aufbringen, sich für Flüchtlinge einzusetzen? Ihnen ein angenehmes Wohnen ermöglichen und immer ein offenes Ohr für ihre Probleme haben? Daniel Molitor kann das. Von ANastasia marie kobisch Das „Wohnheim Lindenhof“ hat so gar nichts von einer typischen Flüchtlingsunterkunft mit Feldbetten und Überbelegung. Die Wände im ehemaligen Hotel sind rot gestrichen, geschmackvoll ausgewählte Deko-Artikel lassen den Eingangsbereich sehr wohnlich wirken, an einer Pinnwand hängen Merkblätter, Informationen und Angebote auf mehreren Sprachen. Ein Hostel für Flüchtlinge. „Im Krieg ist alles unwichtig.“ Es ist morgens, halb neun. Ein freundlich lächelnder junger Mann, Daniel, kommt hinter dem Empfangstresen hervor. Er ist der Heimleiter hier im Lindenhof in Dresden-Stetzsch. Kaffee und Tee stehen bereit, an einem Tisch im Eingangsbereich sitzt Yvette Leschke, die bei Euro-Schulen in Dresden arbeitet und den Deutschkurs für Flüchtlinge plant. Daniel setzt sich zu ihr, sie reden über Organisatorisches, Erfahrungen werden ausgetauscht und er erklärt das Tagesprogramm. Heute verbringt eine Gruppe von Abiturienten ihren Projekt- 80 tag im Lindenhof, es wird gekocht und ein „etwas anderer“ Deutschkurs gegeben. Ein junger Mann mit kurzen schwarzen Haaren und Drei-Tage-Bart läuft vorbei und grüßt freundlich auf Deutsch. Jwan. Er kommt „Viva Colonia“-singend zum Tisch und erklärt sich sofort bereit, beim Kochen zu helfen und mit den Schülern einkaufen zu gehen. Der junge Syrer ist froh, wenn er etwas zu tun hat. Bei einer Raucherpause im Innenhof erzählt Yvette Leschke von ihrer Arbeit. Seit acht Jahren arbeitet sie nun schon im Bildungswesen, doch so viel Dankbarkeit wie jetzt hat sie noch nie erlebt. „Ich arbeite lieber mit Flüchtlingen als mit Deutschen: Sie sind extrem herzlich und offen, fragen, wie es einem geht, bemühen sich und man kommuniziert, egal wie“. Sie möchte nie mehr woanders arbeiten. Jwan steht daneben und lächelt. Er mag Deutschland und lernt die Sprache sehr schnell. Dass die meisten Flüchtlinge nur für Geld hierher gekommen sind, glaube er nicht. Er selbst nehme das Geld vom Sozialamt nicht an. „Ich habe in Syrien BWL studiert und für einen Ölkonzern gearbeitet. Ich hatte ein gutes Leben, aber im Krieg ist alles unwichtig.“ Den Deutschen gehe es zwar besser, aber reich seien die meisten auch nicht. Er wolle ihnen nichts wegnehmen, so der 24-Jährige. Daniel ruft, die Abiturienten sind da. Während sich Leschke auf den Weg macht, kommt Leben in den Lindenhof. Der erste Teil des Deutschkurses ist zu Ende. Männer aus Syrien, dem Irak und anderen Krisengebieten hasten durch das Haus, unterhalten sich, dazwischen die Schüler des Hans-Erlwein-Gymnasiums. Vom Vater nach Europa geschickt eigenen Tür. Erst floh er nach Ägypten, doch Syrer waren auch da bald nicht mehr sicher. Also ging er nach fünf Monaten zurück und studierte und arbeitete weiter. Dann wurde er 21 und sollte zur Armee. „Ich hasse Blut und Gewalt, ich konnte das nicht.“ Der Entschluss stand schnell fest: „Mein Vater wollte, dass ich gehe, weil ich in Syrien sterben würde.“ Der einzige Ausweg: Europa! Er wollte nicht wieder weg von seiner Familie, seinen Freunden, seinem Leben. Nun ist er seit vier Monaten hier in Deutschland und unendlich dankbar: „Wenn ich könnte, würde ich jedem einzelnen Deutschen Danke sagen. Es ist nicht selbstverständlich, so viele Menschen aufzunehmen.“ Auch deshalb will er jetzt Deutsch lernen. „Es ist wichtig. Wir leben jetzt hier, da muss man die Sprache können.“ Und weiter: „Die Leute kommen nicht für Geld aus Syrien nach Deutschland. Sie kommen für Sicherheit.“ Beide wollen wieder zurück. Sie vermissen ihre Familien, ihre Freunde, ihr altes Leben. Sie haben mehr erlebt, als ein Mensch in einem ganzen langen Leben verarbeiten kann. Und doch stehen sie hier und reden so reflektiert, dass es unglaublich erscheint, dass die beiden jungen Männer erst Anfang 20 sind. Da unterhalten sich der 22-jährigen Mustafa aus Syrien und sein Freund Basem. Sie stellen sich den Schülern auf Deutsch vor, lachend. Basem möchte immer wieder ins Englische umsteigen, er hat Angst, sich zu blamieren, doch Mustafa schimpft mit ihm: „Ich habe zwei Geschwister. Das kannst du auf Deutsch.“ Sie lachen. Basem studierte in Syrien Tiermedizin und arbeitete auf einer Pferdefarm. Doch plötzlich war dr Krieg auch vor der Jwan kommt mit einer Gruppe der Abiturienten vom Einkaufen zurück, die nun in der Küche das Essen vorbereiten möchten. Die anderen Gymnasiasten sitzen im ehemaligen Speiseraum beim Deutschkurs. Sie sollen in drei Gruppen zehn wichtige Sätze auf Deutsch lernen. Max und Caro lernen mit einigen Flüchtlingen die Artikel. Das Brot. Ich möchte bitte ein Brot. Bestimmter und unbestimmter Artikel. Max erklärt, welche Artikel Daniel zeigt ihnen zuerst das Haus. Im Lindenhof wohnen 69 Männer und eine Frau. Die Bewohner sind 18 bis 52 Jahre alt, die meisten noch sehr jung, haben in ihren Herkunftsländern studiert oder hatten es vor. In dem ehemaligen Hotel findet man keinerlei religiöse oder nationale Symbole. „Alles, was mit Religionen oder Nationalitäten zu tun hat, lassen wir weg“, erklärt Daniel. Er wolle nicht, dass es Streitereien gibt, besonders nicht über unterschiedliche Religionen. „Die Flüchtlinge bekommen am Anfang von mir die Impfung, dass das ein Haus voller Freunde ist. Fast alle hier haben den selben Status, sie warten alle auf ihren Asylbescheid und wir wollen bis dahin die Tage friedlich miteinander verbringen. Klappt!“ Manchmal hängen die Bewohner im Gemeischaftsraum die Deutschlandfahne auf, alles andere geschieht nur in den privaten Bereichen. Und daran halten sich alle. Auch Regeln gibt es im Haus. Für die Küche gibt es einen Putzdienst und im Haus – auf Wunsch der Flüchtlinge – ein Alkohol- und Rauchverbot. Geraucht wird im Innenhof, den Daniel auch noch gestalten möchte. 81 Berufung wann benutzt werden. Sie unterhalten sich auf Englisch, Deutsch und mit Gesten. Dazwischen verlegenes Lachen. Irgendwann rücken die Artikel in den Hintergrund, die jungen Männer erzählen Erlebnisse aus dem Alltag in Deutschland. Ein Teilnehmer berichtet, dass sich Dresdner häufig sträuben, Englisch zu sprechen: „Immer, wenn ich jemanden nach dem Weg auf Englisch frage, antworten sie auf Deutsch.“ Das helfe natürlich mit der Zeit im Alltag, aber am Anfang hat er schon mal mehrere Stunden gebraucht, um den Bahnhof Dresden-Neustadt zu finden. Wohlfühlatmosphäre im Flüchtlingsheim Dazwischen wuselt Daniel herum. Er redet mit den Schülern über das Essen, geht mit Jwan zum Briefkasten und erklärt ihm dabei, wie das Postwesen in Deutschland funktioniert. Eigentlich müsste Daniel nur kaufmännischer Arbeit nachgehen, die Flüchtlinge ein- und ausbuchen, sich um die Hausordnung kümmern und nebenbei „ein bisschen Sozialarbeit“ machen. Doch das kann er nicht. „Damit werde ich nicht glücklich, weil sich so niemand um die Menschen kümmert.“ Das passe nicht zu ihm. „Es ist wichtig, eine Wohlfühlatmosphäre zu schaffen, um das Erlebte zu verarbeiten. Viele sind wirklich traumatisiert. Verschwinden wird es nicht, aber man kann das ein bisschen in Schach halten. Ich versuche, die Leute zu beschäftigen, damit sie nicht immer wieder in die schlimmen Gedanken verfallen. Das gelingt mir nicht immer.“ Aber meistens. Die Bewohner des Hauses mögen ihn. Sie lachen, machen Scherze mit ihm und respektieren ihn dennoch. Daniel will, dass sich die Leute ein bisschen wie zu Hause fühlen können. Sie haben hier die Möglichkeit, sich zurückzuziehen, zu entspannen, zu zocken – „Ich möchte mit den Menschen in eine schöne Richtung gehen.“ Es ist ein Full-Time-Job. Momentan zieht Daniel um und renoviert sein neues Haus, weshalb er weniger da ist. Davor gab es aber viele Tage, an denen er auch 16 Stunden im Haus war und dann 82 hier schlief. „Es ist viel Zeit, die für die Arbeit drauf geht, aber es lohnt sich. Die Menschen fühlen sich wohl, lernen Deutsch, integrieren sich. Natürlich gibt es auch mal Spannungen, die löst man gemeinsam aber ganz schnell.“ setzen uns gerne mal zusammen hin und reden miteinander. Im Sommer haben wir fast jedes Wochenende Lagerfeuer gemacht. Dieses gemeinsame Beisammensein, das miteinander Sprechen, sich unterhalten über Gott und die Welt – das ist das, was am schönsten ist.“ Arabischunterricht beim Mittagessen Morddrohungen statt Dialog Mittlerweile riecht es im gesamten Haus nach Mittagessen. Einige Schüler kickern mit den Flüchtlingen, viele stehen daneben und feuern die Spieler an. Gemeinsam mit anderen Flüchtlingen deckt die Koch-Gruppe die riesige Tafel. Alle Plätze sind belegt, doch einer der Männer steht auf, bringt etwas zu essen und besteht darauf, dass sich eine junge Frau hinsetzt. Das Essen stammt aus unterschiedlichen Ländern, die Männer preisen leckeres Hühnchen und eine Art Soße mit Gemüsen an, dazu gibt es Brot. „Das musst du probieren, das schmeckt sehr lecker!“ Und er hat Recht. Ein etwas älterer Mann, Salah, zählt auf Deutsch auf, was in der Soße ist, nur beim Wort „Zucchini“ muss er überlegen. Er ist aus Aleppo. Ebenfalls auf Deutsch erzählt er, dass er in Syrien zwei Berufe ausübte: er war Mechaniker und Kameramann. Er hatte mit seiner Frau und seinen vier Kindern ein Haus, doch alles wurde zerstört. Nun ist er hier in Dresden, seine Familie in Osnabrück. Er holt sein Handy heraus und zeigt ein Foto vom Busbahnhof Hannover und lacht: „Vor zwei Wochen habe ich meine Familie besucht und bin auch durch Hannover gefahren.“ So sehe er viele Ecken Deutschlands. Es ist eine angenehme Atmosphäre. Alle unterhalten sich, es wird viel gelacht. Besonders amüsant finden es einige der Männer, den Deutschen Wörter auf Arabisch beizubringen. Für die Schüler ist heute Feierabend, in der Flüchtlingsunterkunft wird es leerer, einige der jüngeren Männer kickern gemeinsam. Ein Mix aus arabischen Charts und den Backstreet Boys dröhnt aus den Boxen. „Das schönste an der Arbeit ist die Arbeit nach der Arbeit“, erzählt Daniel. „Wir Doch es ist nicht alles positiv. Besonders in Dresden gibt es viele Auseinandersetzungen zwischen Asylgegnern und -befürwortern. Pegida-Demonstrationen, Übergriffe auf Flüchtlinge, Pöbeleien auf offener Straße. Auch in der Nachbarschaft des Lindenhofs gibt es viele Proteste von sogenannten „besorgten Bürgern“. „Ich versuche, als Brücke dazustehen. Ich will mich da weder auf die Seite der Flüchtlinge noch auf die der Asylgegner stellen, ich stehe so dazwischen“, erklärt Daniel. „Ich bin kein Gutmensch, ich bin Realist. Real ist, dass Krieg ist und die Menschen Hilfe brauchen.“ Bei ihm bekomme jeder Hilfe, egal, woher er kommt und was er vorher gemacht hat. „Ich gebe den Menschen meine Energie, die sie brauchen. Ich will nicht, dass sie an Personen geht, die sie missbrauchen.“ Das gelte nicht nur für Flücht- linge, sondern auch für Asylkritiker. „Wenn ich merke, das macht Sinn, mit denen kann man sich beschäftigen, dann will ich den Menschen nicht bekehren, aber ich versuche, ihm meine Welt zu zeigen. Einfach das zu zeigen, was Realität ist und nicht das, was die Medien schreiben oder das, was der Nachbar behauptet, weil er irgendwo mal was gelesen hat. Das ist ein hartes Stück Arbeit.“ Oft rede er dabei gegen eine Wand. Daniel gehe deshalb gerne in Bürgersprechstunden, da man da die „normale“ Schicht treffe, der man auch mal den Wind aus den Segeln nehmen könne, wenn man sie einlade. „Meine Tür steht immer offen und wer möchte, kann jederzeit vorbeikommen und sich alles angucken.“ Doch in der Nachbarschaft wird das nicht so gut angenommen. Seit dem Einzug der Flüchtlinge im Juli gibt es jeden Donnerstag Demonstrationen gegen das Heim. Im Vorfeld wurden bereits 1.500 Unterschriften gegen die geplante Flüchtlingsunterkunft gesammelt. Sprengsätze, Stinkbomben, Steine und Chinaböller wurden schon ins Heim geworfen, die Scheiben eines Nachts mit einer Holzplatte eingeschlagen. „Ich habe keine Angst. Ich habe Respekt vor der Situation. Das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass ich sterbe, aber dann wird ein anderer die Sache weitermachen. Es würde denen nichts bringen, mich tot zu sehen.“ Bisher erhielt Daniel schon drei Morddrohungen. Morddrohungen, weil er Flüchtlingen hilft. „Wenn nachts etwas passieren würde, würde ich rausgehen und mich vor das Haus stellen. Und ich bin mir sicher, dass mindestens 60 Leute aus dem Haus mitkommen würden. Und dann sieht das Bild ganz anders aus. Keiner von den Flüchtlingen ist aggressiv oder möchte Gewalt, hier sind alle so friedlich. Die einzige Gewalt ist die, die von draußen kommt.“ Friede, Freude, Eierkuchen? Im Lindenhof klappt das friedliche Zusammenle- 83 Berufung ben. Nicht zuletzt auch dank des unermüdlichen Einsatzes von Daniel und den ehrenamtlichen Helfern, wie zum Beispiel Caroline und Michael Hoffmann. Michael gehört zu der Initiative „Gemeinsam in Dresden-West“, die sich um das Wohnheim Lindenhof kümmert, seine Frau hilft nebenbei mit. Sie ist die wahrscheinlich beliebteste junge Frau hier – die Jungs machen mit ihr Unsinn, unterhalten sich und kickern, aber sie wird auch als Autoritätsperson anerkannt. „Die Syrer, Iraker und Iraner sind sehr offen und besonders die Syrer schon sehr westlich geprägt“, erklärt Daniel. Probleme gebe es eher mit Kasachen, Usbeken oder Nordafrikanern, weil da die Kultur doch größtenteils sehr anders sei. Doch nicht nur kulturelle Hürden sind zu meistern. Die meisten sprechen zwar Englisch und lernen Deutsch, aber dennoch muss gelegentlich auf Zeichensprache umgestiegen werden. Religiöse Unterschiede beginnen bereits beim Essen, weshalb hier meist vegetarisch gekocht wird. Heute hat Daniel den Joghurt vergessen, den die Syrer auf jedes Essen machen – warum, weiß keiner so richtig. Doch trotz dieser Unterschiede funktioniert das Zusammenleben im Lindenhof. „Wenn sie Mist machen und das Haus wieder verlassen müssen, tragen sie es meist mit Fassung, weil sie dafür selbst verantwortlich sind. Bei mir startet immer alles locker, die Leute sollen sich ihre Grenzen selbst setzen.“ Was dann wird, sei von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Zwischen Nähe und Distanz Mittlerweile ist es später Nachmittag. Daniels Handy klingelt fast ununterbrochen, es wird wieder gekickert, manche Flüchtlinge machen ihre Deutsch-Hausaufgaben, unterhalten sich oder telefonieren mit ihren Familien oder Freunden, die teilweise selbst noch auf der Flucht oder irgendwo in Deutschland untergekommen sind, oder mit den Zurückgebliebenen, die neuste Informationen 84 aus der Heimat übermitteln. Geht es ihnen gut? Wie groß ist der kleine Bruder geworden? Steht die Heimatstadt noch? Wann sie sich wiedersehen ist ungewiss. Es sind Schicksale, die bewegen. Das spürt auch der Heimleiter jeden Tag aufs Neue. „Man muss Distanz bewahren. Man kann natürlich auch die Schicksale an sich heranlassen, wenn es aber zu nah ist, ist man selber mit betroffen und das bringt keinem was. Weder dem Flüchtling, weil man dann keine vernünftigen Ratschläge mehr geben kann, noch einem selbst, weil es einen fertig macht.“ Viele Geschichten verfolgen den gebürtigen Krefelder dennoch. „Gerade Geschichten aus den Kriegsregionen vermischen sich immer wieder mit den täglichen Nachrichten, mit Bildern, die sich einprägen. Und ab und zu träume ich dann davon.“ sachten die Regeln, dann gehen sie wieder. Aber bei denen, die das nicht machen und bei denen ich merke, dass sie meine Hilfe brauchen, setze ich wirklich Berge in Bewegung, um ihnen zu helfen.“ Die Bewohner des Lindenhofs danken es ihm. Die jungen Männer strahlen eine enorme Herzlichkeit aus. Und obwohl – oder gerade weil – sie schreckliche Sachen erlebten, die niemand erleben sollte, sind sie so lebensfroh und dankbar, dass diese Freude einfach ansteckend ist. Damit die Flüchtlinge auch mal von ihren Sorgen abgelenkt werden, gibt es verschiedene Aktionen. Von der Initiative „Gemeinsam in Dresden-West“ kommen regelmäßig Freiwillige, die Daniel unterstützen, jeden Freitag gehen sie gemeinsam in die Bücherei, es wird viel unternommen. Seit neustem gibt es sogar ein Heimkino. Und jeden Donnerstag und Samstag sind die Türen für das Begegnungscafé geöffnet. Da sei ein Dialog zwischen den Anwohnern und Flüchtlingen möglich, doch die Nachbarn kommen nur sehr selten vorbei. „Hier gibt es einen starken Wunsch nach Aktivitäten mit den Anwohnern, aber von außen eher nicht.“ Auch in seinem Umfeld wurde der Jobwechsel mit gemischten Gefühlen angenommen. Daniels Familie lebt in Krefeld, es gab noch keine Diskussionen zum Thema, aber die Freundesliste bei Facebook hat er durch seine Arbeit im Lindenhof stark gekürzt. Wir sollten dankbarer sein! Beirren lässt er sich durch Anfeindungen jedoch nicht. „Ich sortiere mir die Leute hier im Lindenhof aus. Wenn ich merke, sie wollen nicht oder mis- Das „Wohnheim Lindenhof“ ist seit seiner Eröffnung im Juli 2015 den Anwohnern ein Dorn im Auge. 85 Berufung 86 87 Berufung „Knast tut gut!“ Die Gesetzeslage ist eindeutig: Kein Mensch darf in Deutschland in seiner Religionsausübung eingeschränkt werden. Das gilt auch für Menschen, die in Haft sind. Doch das ist nicht immer machbar. Einblicke in den Arbeitsalltag der Justizseelsorger Kathrin-Susann Winters und Winfried Wingert. Von ANastasia marie kobisch „Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.“ So beginnt Artikel 4 des Grundgesetzes. Dies gilt auch für Inhaftierte. „Dem Gefangenen darf religiöse Betreuung durch einen Seelsorger seiner Religionsgemeinschaft nicht versagt werden“, besagt das Strafvollzugsgesetz, Artikel 53, Absatz 1. Ein Tag in der Justizvollzugsanstalt Hannover beginnt für die beiden Justizseelsorger KathrinSusann Winters und Winfried Wingert mit der üblichen Büroarbeit: Anträge der Gefangenen durchsehen, die ein Gespräch beantragen, Koordination mit deren jeweiligen Arbeitszeiten, E-Mails checken und die neusten Informationen durchlesen. Anträge für Sicherheitsverfügungen sind an der Tagesordnung, also kurzfristige Maßnahmen für Männer, die durch Gewalt gegenüber anderen Gefangenen oder den Wärtern aufgefallen sind. In diesen Fällen werden sie in einen „besonders gesicherten Raum“ gebracht, eine videoüberwachte Einzelzelle. „Es ist erschreckend, wie sehr das in letzter Zeit zugenommen hat“, so der katholische Pastor Wingert. „Es vergeht eigentlich kein Tag, ohne dass so etwas vorkommt.“ Grund dafür seien vor allem Verwahrlosungen, die die Seelsorger besonders 88 jetzt da, wo ich immer sein wollte.“ Ihr katholischer Kollege arbeitete früher in der Gemeinde, gab in den Schulen Religionsunterricht und betreute regelmäßig Jugendgruppen. Danach ging es für ihn in den Reha-Bereich, er war für die älteren Frauen der liebe Schwiegersohn, erzählt er schmunzelnd. Dann wurde er von seiner Vorgängerin gefragt, ob er Lust auf einen Tapetenwechsel hätte. Die hatte er. bei Drogenabhängigen sehen. Winters glaubt, dass Knast da ganz gut tun könnte: „Die Männer werden medizinisch betreut, können warm duschen und bekommen warme Mahlzeiten und psychologische Hilfe.“ Besonders die sei enorm wichtig, da viele Inhaftierte traumatisiert und psychisch auffällig seien, was eine Auswirkung der unterschiedlichen Drogen sein könnte. Durch eine scharfe Kontrolle am Eingang gelangt man ins Innere der Justizvollzugsanstalt, in der Platz für 500 Männer ist. Wertsachen, Telefon, Taschen – alles wird abgegeben. Trostlose Gänge mit abgeblätterter Farbe und schwere Eisentüren begleiten den Weg zur kleinen Kirche im Hauptgebäude des Gefängnisses. Ab und zu sieht man Wachen, die kleine Gruppen mit Häftlingen begleiten. Dann steht man in einem großen Raum. Im letzten Jahr wurde die Kirche, die weder katholisch noch evangelisch orientiert ist, von den Häftlingen von Schimmel befreit und weiß gestrichen. An den Wänden hängen Plastikkerzen, echte würden geklaut werden. Wo sonst der Altar ist, hängt eine weiße Leinwand. Davor steht ein Tisch mit einer Bibel, daneben die Osterkerze. Die Seelsorger setzen sich in die kleine Küche, zu der eine Tür neben dem „Altar“ führt. Der „liebe Schwiegersohn“ von nebenan Seit 30 Jahren ist Winters nun schon „im Vollzug“. Nach ihrem Staatsexamen in Theologie und einer Zusatzausbildung zur Gefängnisseelsorge arbeitete sie zehn Jahre als evangelische Pastorin und nebenbei im Gefängnis in Emden, bevor sie 2001 in den Bereich der Abschiebehaft wechselte. Das war für sie besonders frustrierend, sie hat oft von den Schicksalen der Menschen geträumt. In der JVA Hannover geht es ihr besser. Mit einer Tasse Tee und einer Zigarette in der Hand lächelt sie. „Ich bin Wie geht man mit ´Kinderfickern` um? Das Gesetz regelt eindeutig die Religionsfreiheit. Dennoch geht das in der JVA nicht so einfach: „Wir können Leute nur in Gruppen aufnehmen, wenn wir vorher nachgefragt haben, ob sie teilnehmen dürfen“, erklärt Wingert. Wenn nicht, müssen schwerwiegende Gründe vorliegen, wie zum Beispiel schwere Gewalttaten oder Drogenhandel hinter Gittern, was durch die Kreativität mancher Insassen schier unmöglich zu unterbinden sei. Wünschen Männer ein Gespräch, müssen sie erst einen Antrag stellen. Wenn dieser genehmigt wird, sprechen sie mit den Seelsorgern über ihre Probleme oder auch mal nur über Gott und die Welt. „Viele brauchen einfach jemanden zum Reden. Wichtig ist dann das Zuhören und ernst nehmen und nichts einfach abzutun“, erklärt Winters. Die beiden Seelsorger machen ihren Job gerne. Auswirkungen habe der Beruf aber auch auf ihren Alltag. „Ich bin genügsamer geworden. Dankbar für das, was ich habe.“ Täglich sehe Winters Männer, die oft furchtbare Lebenswege hinter sich haben, die zum Teil niemanden haben oder niemanden mehr haben, da sie Kontakte zur Familie oder zu Freunden beispielsweise durch die Drogenabhängigkeit verloren haben. „Viele haben schon als Kind in Pflegefamilien oder Heimen gelebt. Und wenn man dann sieht, mit wie wenig man solche Menschen schon glücklich machen kann, dann ist das einfach schön.“ Ihr fällt häufig auf, dass die Männer im Gefängnis sozialer werden, Werte verschieben sich, man hilft einander. „Die meisten sind nicht diese ‚knallharten Typen‘, die man aus Aktenzeichen XY kennt. Das sind Menschen, mit denen man hier zu tun hat. Und auch Menschen, die durch unterschiedliche Verhältnisse echt benachteiligt waren“, glaubt Wingert. In der Regel seien die Täter früher Opfer gewesen, was einen Zusammenhang mit der Haftstrafe hätte: „Bestimmte Handlungsstrategien werden erlernt und später in ähnlichen Situationen übernommen, weil man nie wirklich gelernt hat, mit Konfliktsituationen umzugehen.“ Ihm mache besonders der Gottesdienst Spaß: „Da ist eine Power, die man teilweise kaum bewältigen kann.“ Es gehe lautstark zu und – anders als in der Gemeinde – wird hier diskutiert. Wingert möchte dann nicht dazwischen gehen, der 62-Jährige provoziert gerne, stellt rethorische Fragen. „Ab und zu kommen Leute nach dem Gottesdienst zu mir und sagen: Pastor, das war toll!“ Die Arbeit erinnere ihn an seine Zeit als Religionslehrer: „Ich arbeite gerne mit Fotos, die zu einem bestimmten Thema passen, rede mit den Männern darüber und hangle mich von Stichwort zu Stichwort.“ Die Meinungen gingen oft in verschiedene Richtungen. Der Pastor provoziere das mit Absicht, ihn interessieren die unterschiedlichen Ansichten. „Ich habe mal über den Umgang mit den ‚Kinderfickern‘ geredet. Allein, dass ich dieses Wort im Gottesdienst in den Mund genommen habe, war schon fast skandalös“, erzählt er lachend. Winters stimmt mit ein: „Das war tagelang Gesprächsthema!“ Sie ist von den Gottesdiensten nicht so begeistert wie ihr Winters bei einem Gespräch mit Miroslav R. Kollege. „Ich habe keine Angst, aber ich habe vor diesen Gottesdiensten Respekt. Respekt vor der Gefahr, dass etwas passieren kann.“ Früher hatte sie die nicht, doch dann kam es zu einem Vorfall. 89 Berufung Zwei Gefangene haben angekündigt, sich während des Gottesdienstes schlagen zu wollen. Winters erzählte das dem Sicherheitspersonal. Im Gottesdienst passierte nichts, dennoch war sie froh, statt des einen Beamten, der sonst auf der Empore sitzt, mehr Unterstützung zu haben. „In der Strafhaft sind viele Männer, die ich kenne, sodass ich mir sicher bin, dass mir nichts passiert.“ Bisher. „Wenn mir irgendwann mal jemand was tun will, dann hör ich auf“, so Winters. Bei einem Gottesdienst sei es besonders wichtig, authentisch zu sein, da die Männer sehr feinfühlig wären. Hilfe sei für sie nicht selbstverständlich. „Wenn man im Gottesdienst etwas predigt und im Alltag anders ist, dann ist man sofort unten durch.“ Essen wie im Krankenhaus Es ist 12:30 Uhr. Zeit für das Mittagessen. Heute auf dem Plan: Thunfischsteaks mit Schoko-Chili-Soße und gebratenen Kartoffelwürfeln. Für die Häftlinge gibt es Matjesfilet. Von der Kirche zum Speisesaal geht man durch Eisentüren, die nur mit einem großen Schlüssel, der an dem riesigen Schlüsselbund der Seelsorger hängt, geöffnet werden können. Es geht durch einen trostlosen Gang, auf dessen Boden sich ein HSV-Fan verewigt hat, entlang des Platzes für den Freigang, auf dem ein großes Schachbrett steht und über einen Weg an einem 90 kleinen Sportplatz und den Häusern zwei und drei vorbei. Ein altes, fast verblasstes Schild weist den Weg zum „Restaurant“. Ein Häftling teilt das Essen auf einem Plastiktablett mit Deckel, wie man es aus dem Krankenhaus kennt, aus. Auch das Essen schmeckt so, wie man es aus dem Krankenhaus gewohnt ist. Aber es macht satt. Nicht nur Reden hilft Wieder zurück in der Küche der Kirche ist es Zeit für den Küster. Torsten S. kommt mit einem Strauß frischer roter Rosen, Keksen, einer Packung Backmischung und einem Lächeln herein. „Wir sind froh, dass wir ihn haben. Herr S. ist selbstständig und hilft uns sehr“, lobt Wingert. Mit seinem gutmütigen Lächeln und den weißen Haaren sieht er tatsächlich aus wie der ehemalige Religionslehrer aus der Schule. S. ist verantwortlich dafür, dass in der Kirche alles ordentlich ist. Doch der Küster macht nicht nur das. Er räumt auf, bereitet viel für die Gruppen vor und kümmert sich darum, dass es den Leuten gut geht. Mit seinen braunen Haaren, dem hellblauen Pullover und der freundlich-zuvorkommenden Art wirkt er nicht so, wie man sich einen ‚typischen Gefangenen‘ vorstellt. „Wir haben hier mit Menschen zu tun“, erklärt Wingert. Ihn interessiere die Straftat nicht. Er schaue normalerweise nicht in die Akte, das ergebe sich meist von selbst aus den Gesprä- chen. „Wenn man unterscheidet, wer welche Straftat begangen hat, dann könnten wir unsere Arbeit hier nicht machen.“ S. singt im Chor der JVA Hannover. Dieser wurde vor einigen Jahren von einem ehemaligen Küster gegründet, der sich Noten-Lesen und Dirigieren im Gefängnis selbst beigebracht hat und hier wegen Mordes eine lange Haftstrafe verbüßte. Der Chor wäre damals qualitativ hochwertiger gewesen als heute, erzählt Wingert, weshalb ein Konzert „für draußen“ organisiert wurde. Der Gefangene wollte aber nicht in seinen „Schlabberklamotten“ auftreten und fragte den Seelsorger nach einem Anzug. Er lieh ihm einen aus. „Die Leute dachten die ganze Zeit, er wäre auch einer ‚von draußen‘ und waren total überrascht, dass er dann doch ein Häftling war“, lacht Wingert. „Ich bin so ein bisschen wie ein Fahrlehrer“, erklärt der Pastor. „Man will nicht immer hinter dem Fahrschüler sitzen, sondern irgendwann auch aussteigen können. Ich bemühe mich so gut es geht, ihm nicht ins Lenkrad zu greifen und ihn selber fahren zu lassen.“ Dann rede er mit ihm darüber, wie verschiedene Situationen gelöst werden können. „Ich versuche, nicht so sehr zu intervenieren, sondern erkläre den Gefangenen, wie etwas funktioniert.“ Man müsse die Menschen auf das Leben nach dem Knast vorbereiten, fügt Winters hinzu. Das bedeute auch, dass man ihnen zeigt, wie man Anträge ausfüllt oder ihnen begreiflich macht, dass sie sich an feste Zeiten und Fristen halten müssen. „Wichtig ist, das Gegenüber Ernst zu nehmen. Das fällt aber manchmal schwer.“ Manche Gefangenen bauen sich eine eigene Realität auf und suchen die Schuld bei anderen: „Da kann man auch mal auf Konfrontation gehen und dem Mann sagen, dass man ihm die Story nicht glaubt“, sagt Wingert. Doch einzelne Personen könne man nicht mehr erreichen, zu sehr seien sie in einem Realitätsverlust versunken. Die insgesamt drei Seelsorger, die in der JVA Hannover arbeiten, sind für die Häftlinge da – und das nicht nur zum Reden. Die Gefangenen aus der Untersuchungshaft dürfen nicht arbeiten, haben oftmals keine Freunde oder Familien mehr, die sie unterstützen. Da hilft die Seelsorge auch mal mit materieller Unterstützung: Tabak, Lesehilfen, Telefonate, Rotwurst, Kerzen - die Wünsche gehen in die unterschiedlichsten Richtungen. Probleme gibt es dennoch manchmal. „Manche gehen einem tierisch auf den Geist“, erzählt der Bad Nenndorfer. Dies müsse er dann aber auch sagen. Der Knast verändert Menschen Mittlerweile ist Torsten S. mit den Arbeiten in der Kirche fertig, hat den „Wunschzettel“ der Seelsorger abgearbeitet, setzt sich mit in die Küche und raucht mit Kathrin-Susann Winters. Mit einem Stück 91 Berufung Papier dreht er sich einen Filter, legt ihn auf ein Blättchen mit Tabak und rollt sich eine Zigarette. Vor seiner Inhaftierung war der 48-Jährige drogenabhängig. Er führte kein normales Leben mehr, saß in einem Teufelskreis fest und konnte die Drogen auf Dauer nicht mehr bezahlen. Daraufhin beging er Einbrüche und sitzt nun wegen „Beschaffungskriminalität“ seit Mai 2014 in der JVA. „Wenn man in einem Kreislauf ist, kommt man schwer raus. Da ist das Gefängnis schon gut.“ Sein Arbeitsalltag fängt hier nach dem Mittag an, nebenbei ist er der Friseur für die anderen Gefangenen. Andere fangen ihre Arbeit in den verschiedenen Betrieben in der JVA halb 8 Uhr morgens an. „Es ist sehr stupide, aber man hat Arbeit“, erklärt S. 14:30 Uhr ist Feierabend. Dann haben die Gefangenen eine Stunde Freigang und anschließend Freizeit. „Jeder sucht sich etwas, um klar zu kommen. Das muss man hier auch.“ Jeden Tag das Gleiche. Für Menschen außerhalb des Gefängnisses kaum vorstellbar: „Es ist eine Kopfsache. Am Anfang ist die Umstellung schwierig, weil man aus seinem Leben gerissen wird, aber irgendwann gewöhnt man sich daran.“ Man gehe arbeiten, um Geld zu bekommen und etwas zu tun zu haben, das bringe etwas Abwechslung. S. hat erst eine Ausbildung zum Garten- und Landschaftsbauer gemacht. „Wo ich schon mal hier bin, will ich so viel mitnehmen, wie möglich“, meint S. lächelnd. Er singt im Chor, was ihm sehr viel Spaß mache. „Es hört sich nicht immer schön an, wenn wir singen, aber man fühlt sich danach besser, der Kopf wird frei. Das ist ein schönes Gefühl.“ Darüber ist er auch an die Arbeit als Küster gekommen. Manchmal sei der Beruf stressig, aber es bringe ihm gute Gespräche. Seit dem 5. Mai 2014 ist er im Gefängnis, er hofft, nach zwei Dritteln der Zeit auf Bewährung entlassen zu werden. Das wäre im Juni 2016. Er sei dann drei Jahre auf Bewährung und müsse sich regelmäßig bei seinem Bewährungshelfer melden. Das sei gut so. „Dann kann ich hoffentlich einen geraden Weg gehen.“ In sein altes Leben möchte er nicht zurück, Drogen sollen Geschichte sein. „Man muss seine Ansprüche herunterfahren für das Leben nach dem Knast. Man fängt wieder von vorne an.“ Winters nickt. S. hat sich verändert. Die Seelsorger schätzen ihn. Das merkt man besonders an dem Vertrauen, das sie sich entgegenbringen und den Gesprächen, die sie miteinander führen. Es geht um die Anschläge in Paris im November 2015, die Arbeit mit den Gruppen der Kirchenvertreter, aktuelle Nachrichten. Wingert muss los. 16 Uhr beginnt die nächste Gruppensitzung. S. bereitet sie vor. Heute sollen Gebetsketten gebastelt werden, er sortiert die Perlen und verteilt sie gleichmäßig in Papierschachteln. Bevor es für Winters weitergeht, holt sie Pakete aus einer Abstellkammer an der Seite der Kirche. Es sind die Adventskalender, die in der Väter-Gruppe gebastelt wurden. Diese ist Winters Steckenpferd. Dabei treffen sich jeweils sechs Männer mit ihren Kindern, meist Söhnen, die oft jünger als 12 Jahre alt sind. Sie sind meist schon selbst stark auffällig oder gehen in eine Kindertherapie. „Es ist nicht nur der Vater, der hier sitzt. Eine Inhaftierung beeinflusst auch das Leben der Angehörigen. Dann machen sich die Männer Sorgen.“ Häufig werden in der Schule Geschichten erzählt. Der Vater ist auf Montage. Beim Militär. Arbeitet im Ausland. Oft werden die Kinder verprügelt oder gemobbt, wenn die Wahrheit ans Licht kommt. Nenndorf ist bunt‘, den er gerade geschrieben hat. Veröffentlicht wird er vermutlich nicht, er wäre zu politisch. Es sei schwierig, gut recherchierte Artikel zu schreiben, erklärt er. Die einzigen Möglichkeiten, an Informationen zu kommen, sind die Nachrichten oder Tageszeitungen. Der Mediengestalter schätzt an der Arbeit besonders, dass er freie Arbeitszeiten hat. „Abends schreibe ich meine Ideen auf und morgens um 6 stürze ich mich gleich drauf und fange an, zu schreiben.“ Später schreibt er dann die nötigen Nachrichten oder beschäftigt sich mit dem Layout. Gerade hatte er ein Disput mit der Sozialarbeiterin, seiner Vorgesetzten, über das nächste Cover. Die Weihnachtsausgabe. Das „Fest der Liebe“ sei hier ein sehr schmerzhaftes Thema. „Man vermisst seine Familie zu Weihnachten besonders. Es ist so was wie ein Tabuthema.“ Deshalb wolle er darüber nur wenig berichten, die Weihnachtsgeschichte aufschreiben und die erste Seite der Drehscheibe ohne Weihnachten gestalten. „Ich habe eigentlich viele Freiheiten, doch hier war meine Chefin dagegen.“ Der Kompromiss: Ein Tannenbaum aus Schlagworten, die den Vollzug betreffen, kommt auf die letzte Seite, das Cover ziert das Foto einer Winterlandschaft. Das kleine Büro befindet sich genau neben seiner Zelle, es ist dekoriert mit Fotos seiner Familie und Bildern und Basteleien seines jüngsten Sohnes, der acht Jahre alt ist und ihn heute, gemeinsam „Drehscheibe“ - Unterhaltung für die Häftlinge? Nicht nur mit den Seelsorgern. Oft erzählen ihm Mitinsassen Geschichten aus deren Leben, die er eigentlich gar nicht hören will, aber er lässt sie reden. „Manche brauchen das einfach. Das ist nicht mein Job, aber ich mache es gerne, wenn die Leute mit einem besseren Gefühl wieder gehen.“ Er versuche, dass es allen gut geht, möchte die Seelsorge entlasten. Wenn er dazu beigetragen hat, dass es einen Ruhepol gibt, wenn andere Häftlinge ihre Sorgen eine Zeit lang vergessen und sich ein paar Stunden wohlfühlen können, dann sei er zufrieden. 92 Torsten M. ist Chefredakteur der ‚Drehscheibe‘, der „Knastzeitung“, die hier einmal im Quartal erscheint. Themen sind neue Informationen aus der JVA, Gesetzesänderungen aus allen Bereichen, um Mithäftlinge auf ihre Leben ‚draußen‘ vorzubereiten, ein bisschen Politik. M. macht das hauptberuflich, eine Gruppe der Insassen schreibt nebenbei. Er sitzt mit einer Zigarette vor einem alten Computer, der seine besten Jahre schon hinter sich hat und überarbeitet einen Artikel über ‚Bad Weihnachten ist ein „Tabuthema“ für den Chefredakteur. mit der Frau von M. und seinem Bruder, besucht. Während der Besuchszeit malen er und der Kleine füreinander Bilder. „Er ist dann beschäftigt, man hat parallel aber auch die Möglichkeit, miteinander Zeit zu verbringen.“ Im Monat haben die Häftlinge drei Stunden Besuchszeit, manche dürfen auch einmal im Monat Langzeitbesuche bekommen. Man hat einen separaten Raum für sich, ohne Wachen. Theoretisch. Doch seit vier Jahren wird dieser 20 Quadratmeter große Raum nun schon gebaut. Warum es so lange dauert, ist ein Rätsel. „Ich vergleiche das immer mit dem Berliner Flughafen oder der Hamburger Elbphilharmonie“, scherzt der Chefredakteur. Sein persönliches Highlight sei deshalb die Väter-Gruppe. Die Kinder haben dabei drei Stunden Zeit, mit den Vätern zu spielen, jeder kann sich dabei auch in eine Ecke zurückziehen. „Man verbringt Zeit miteinander und beim Spielen spricht man auch mal über Sachen, die sonst eher in den Schatten geraten.“ Er lächelt Winters an. Es ist eine gute Sache. „Wem würden Sie glauben?“ Ein Stockwerk tiefer wohnt Miroslav R. Er hat einen Antrag auf ein Gespräch mit Winters gestellt. In den Gängen trifft man Häftlinge, die zusammen das Abendessen kochen, miteinander Tischtennis spielen oder sich in den einzelnen Zellen unterhalten. Winters grüßt sie persönlich beim Namen, gibt ihnen die Hand. Dies bedeute den Gefangenen sehr viel, erklärt sie, denn oft ist diese kleine Geste ein Zeichen von Freundlichkeit, die manche der Insassen längst vergessen oder teilweise sogar nie erlebt haben. Gemeinsam mit einem Wachmann holt sie R. ab und sie ziehen sich in ein Büro der Seelsorge zurück. Gleich am Anfang erzählt er, was er sich wünscht. Eine CD mit serbischer Musik. Am besten von Kristina Ivanovic. Das sei entspannend. Sie würde den Serben mit seiner Heimat, seiner Familie verbinden. Der 31-Jährige wurde mit 14 Jahren wegen schwerer Körperverletzung zu 6,5 Jahren Haft verurteilt. Wegen guter Führung durfte er nach zwei Dritteln der Zeit auf Bewährung wieder raus. Seinen Bewährungshelfer fragte er, ob er zurück nach Serbien dürfe, dieser willigte ein, sagte aber, er solle ihn anrufen, wenn er wieder nach Deutschland komme. Zehn Jahre später war es so- 93 weit. Doch genau an dem Tag war der Bewährungshelfer schon außer Haus. Keine zwei Stunden später wurde er von der Polizei kontrolliert. Es stellte sich heraus, dass er gegen die Bewährungsauflagen verstoßen habe und nun den Rest seiner Zeit absitzen müsse. Er hat wenig Kontakt zu seiner Familie, Telefonate nach Serbien sind sehr teuer und das Geld für lange Gespräche reiche nicht aus. Eine Minute kostet 1,40 Euro – viel Geld bei einem Taschengeld von 30 Euro pro Monat, wenn man keine Möglichkeit hat, Arbeiten zu gehen. Seine beiden Kinder, 14 und 16 Jahre alt, wissen nicht, dass er im Gefängnis sitzt. Winters redet mit ihm. Sie fragt ihn nicht aus. Geht mit ruhiger Stimme auf seine Erzählungen ein. „Ich bin normalerweise immer ruhig, aber die Wärter haben gesagt, ich sei zu aggressiv. Aber wenn ich weiß, dass ich im Recht bin, dann ist mir egal, wer vor mir steht.“ R. will zurück in Haus drei, die Aufnahme. „Da ist was los, da lernt man Leute kennen, sieht, wer so kommt.“ Hier werde er von manchen Mithäftlingen unfair behandelt, auch wenn er anderen helfe. Letzte Woche hat er Freispruch bekommen, für eine Schlägerei, die er nicht angefangen habe. „Im Affekt kann alles passieren, deshalb sitze ich auch lieber alleine in meiner Zelle. Ich habe Angst, die Beherrschung zu verlieren.“ Ein Beamter hat im Internet herausgefunden, dass er Kampfsport gemacht hat und es einem Häftling erzählt. Das habe die Runde gemacht, weshalb er jetzt in Ruhe gelassen werde. Er finde das nicht so schlimm. „Ich will nicht noch mal einsitzen.“ Er wolle zurück zu seiner Familie. Zurück nach Serbien. 6,5 Jahre Haft im Alter von 14 Jahren. Es war eine Schlägerei. Drei der Opfer lagen danach im Koma, die anderen hatten gebrochene Knochen. Der älteste war 19. Er habe seine Kampfkunst missbraucht. „Das hätte nicht passieren dürfen“, sagt er heute leise. „Ich bereue es auch, ich hätte das nicht tun sollen. Aber sie hätten mich einfach in Ruhe lassen sollen.“ Er lief durch einen Park, vorbei an einer Gruppe Jugendlicher. Einer griff ihn leicht an, sie wechselten ein paar drohende Worte und R. 94 ging weiter. Doch der andere stellte ihm ein Bein, er fiel und sah Blut. Seine Grenze war erreicht. Er gab dem anderen eine Ohrfeige, dessen Freunde kamen dazu. „Ich habe nur gedacht: ‚Oh Gott, wenn einer davon kämpfen kann, bin ich erledigt.‘“ Sie konnten es nicht. „Wahrscheinlich waren sie betrunken.“ Vor Gericht gaben sie ihm die Schuld. „Ich war allein, sie zu sechst. Wem würden Sie glauben?“ Winters schlägt ihm eine Antiaggressionstherapie vor. R. habe sich bereits bei der Sozialarbeiterin erkundigt, doch die erzählte ihm, dass es sie nur im Block C gibt. Im Block C sitzen Sexualstraftäter und Männer, die Kindesmissbrauch begangen haben. Da gehe er nicht hin. Er habe selbst Kinder, er könne nicht in einer Gruppe sitzen und „diesen“ Menschen zuhören. „Die Leute sollen ihren Weg gehen und ich meinen Weg. Die sitzen ihre Zeit ab und ich meine. Aber mit ihnen an einem Tisch über ihre Probleme reden, das kann ich nicht.“ Er gehe zur Sozialarbeiterin der JVA und der Justizseelsorge, das helfe ihm. Und Musik. Von der Trostlosigkeit in die Freiheit Winters bringt ihn zurück in die Zelle und begleitet M. in den Besucherraum. Der weißgestrichene Raum wirkt kalt, es gibt wenige Fenster, am Rand steht ein Snackautomat, viele Tische reihen sich aneinander, an denen Häftlinge mit ihren Familien oder Freunden sitzen. Hinter einem Empfangstresen wacht ein Beamter. Durch einige Gänge und Eisentüren geht Winters in ihr Büro, wo noch ein paar Telefonate und E-Mails auf sie warten. Halb acht macht sie sich auf den Weg zurück zur Kirche, trifft dasWingert. Gemeinsam holen sie ihre Taschen, laufen durch die kalten und verlassenen Gänge, vorbei am Sicherheitspersonal und den Pförtnern. Draußen ist es schon lange dunkel, Licht kommt von wenigen Straßenlaternen, die vor der JVA Hannover stehen. Das Gitter schließt sich hinter ihnen und sie machen sich auf den Weg zur Straßenbahn. Nach Hause. In die Freiheit. Das aufrichtigste Mitgefühl empfindet, wer den Schmerz aus eigener Erfahrung kennt. John Gay Berufung Wir arbeiten mit dem Ergebnis, das der Täter produziert Olaf Hieber (54) ist der Leiter der Operativen Fallanalyse des Landeskriminalamts Niedersachsen in Hannover. „Profiler“ möchte er lieber nicht genannt werden, denn der Schlüssel zur Aufklärung eines Verbrechens ist nicht allein der Täter. von Katharina brecht Herr Hieber, braucht man eine spezielle Ausbildung, um Fallanalytiker zu werden? Ja. Ich muss vorwegnehmen, dass in Niedersachsen nur sechs Beamtinnen und Beamte diesen Job machen, bundesweit gibt es keine 90. Das ist ein sehr kleiner Kreis von Personen. Unsere Ausbildung erfolgt in mindestens sechs Modulen. Um dafür zugelassen zu werden, muss man wissen, wie bestimmte Ermittlungsverfahren funktionieren. Das heißt, man muss als kriminalpolizeilicher Sachbearbeiter Sexualdelikte oder Tötungsdelikte bearbeitet haben, spurentechnisch versiert sein oder im Kriminal-Dauerdienst gearbeitet haben. Nur dann kann man sich auf entsprechende Stellen bewerben. Das ist schon eine große Einschränkung hinsichtlich des Interessentenkreises. Hat man es zu uns geschafft, setzt die Ausbildung „learning by doing“ ein. Der Kollege geht sofort in die Analyse und lernt aus dem, was andere machen, seinen eigenen Weg und seine eigenen Methoden. Am Ende steht dann die Zertifizierung zum operativen Fallanalytiker. Dieser Ausbildungsprozess kann durchaus drei bis vier Jahre umfassen. Was sind die Hauptaufgaben der Operativen Fallanalyse? Der methodische Kern unserer Arbeit ist die Analyse des Tatorts und die Tathergangsanalyse. Einen Tatort muss man sich als riesige Datenbank vorstellen, die diverse Informationen bereithält. Diese interpretieren und bewerten wir anhand bestimmter Raster. Jede Art von Spuren - am Opfer, am Tatort, Blutspuren und der Obduktionsbericht erzählen uns eine Geschichte über den Ablauf der 96 Olaf Hieber, Leiter der Operativen Fallanalyse im Landeskriminalamt Niedersachsen Tat. Dadurch sind wir in der Lage, das Vor-Tatverhalten, das Tatverhalten und das Nach-Tatverhalten aus den Spuren heraus zu analysieren und zu beschreiben. Dass wir die Tat wie kleine Puzzlestücke zusammenfügen und rekonstruieren, ist unsere Aufgabe. Bei welchen Fällen werden Sie von der Mordkommission angefordert? In den meisten Fällen sind Morde Beziehungstaten. Sie ergeben sich aus dem Kontext häuslicher Gewalt oder durch Streitigkeiten, die eskalieren. Dann ist der Weg zum Täter nicht weit und die Kollegen ermitteln ihn relativ schnell. Nicht umsonst haben wir bei Tötungsdelikten eine Aufklärungsrate von etwa 99 Prozent. Doch es gibt auch Fälle, wo das anders ist. Da haben wir zum Beispiel die Joggerin, die ihre Runden dreht und dann auf ihren Mörder trifft. Es gibt keine Beziehung zwischen den beiden, außer dass sie im selben Ort oder der selben Region zu Hause sind. Das sind die Fälle, die wir mit unserem Wissen unterstützen können. 97 Berufung „WIE NAH IST DER TÄTER AM OPFER DRAN?“ Wenn der Täter also nicht „auf der Hand liegt“, kommen Sie ins Spiel? Richtig. Wenn der Beziehungskontext von Täter und Opfer nicht von vornherein offensichtlich ist, fragen wir uns: „Wie nah ist der Täter am Opfer dran?“. Wir denken dann an die sozialen Räume, in denen wir uns bewegen: Die Freunde, die Discos, die Hobbys, die Einkaufsgepflogenheiten. Der Täter hat genau so seine sozialen Räume. Vielleicht ist die Schnittmenge zwischen dem Opfer und dem Täter der Kiosk, der Supermarkt oder die gleiche Straße, die gleiche Bushaltestelle oder die gleiche Strecke, die sie mit dem Fahrrad fahren. Diese Schnittmengen zu finden und zu beschreiben ist eine unserer Aufgaben. Gewährt die Fallanalyse einen anderen Blick auf die Tat? Genau darum geht es: Um den Perspektivwechsel, den anderen Blick. Die Kollegen rufen oft bei uns an, weil sie das Gefühl haben, dass sie sich in ihren Ermittlungen in einem Tunnel befinden, der andere Informationen nicht mehr zulässt. Das ist ein ganz logischer Effekt. Man neigt dazu, neue Informationen immer im Licht der bisherigen Hypothesen zu interpretieren. Dass man sie auch anders bewerten kann, dafür ist der Blick gar nicht mehr frei. Wir sind diesem Tunnel aber nicht verpflichtet. Wir betrachten die Fälle aus allen Perspektiven, wodurch sich viel mehr Ansätze er- geben. Wenn durch unser Aufbrechen ein neuer Ermittlungsweg angeschoben wird, dann ist das schon ein Erfolg, selbst wenn der Weg nicht zum Täter führt. Somit werden wir gern als „externe Klugscheißer vom LKA“ hinzugeholt. „VON MIR AUS LASSEN WIR UNS IN DEN SACK STECKEN“ Wie viel Profiler steckt wirklich in einem Fallanalytiker? (lacht) Der Begriff „Profiling“, also die Erstellung eines Täterprofils, wird total überbewertet. Aber selbstverständlich wird die OFA - der Polizei-Begriff für die operative Fallanalyse - medial in einen Topf mit Profiling geworfen. Nun haben wir den Medien wie Don Quijote, der gegen die Windmühlen kämpft, erklärt, dass wir keine Profiler sind. Doch je mehr wir das gemacht haben, desto mehr gerieten sie zu der Annahme, dass wir doch welche sind. Wenn die Polizei der Presse etwas ausreden will, muss ja etwas Wahres dran sein. Ich muss auch ehrlich sagen, dass ich das verstehe. Der Begriff polizeilicher Fallanalytiker ist medial spröde und wird sich nie in irgendeiner „Bild“-Zeitung finden. Das sind halt die Profiler. Von mir aus lassen wir uns in den Sack stecken. Wen es noch interessiert, dem erklären wir, wie es eigentlich funktioniert. Aber tatsächlich sind die Aussagen, die wir über den Täter treffen, sehr grob. Es ist ja nicht so, dass wir mit einem anerkannten psycho-analytischem Operative Fallanalyse ist harte methodische Arbeit. Tatorte werden genaustens beschrieben und analysiert. Auf Basis dieser Analysen kann der Mordkommission erklärt werden, wie die Tat vor sich ging. 98 Testverfahren einen Probanden untersuchen, der vor uns sitzt und den wir abfragen können, um uns dann ein Bild über seine psychische Befindlichkeit zu machen. Wie schaffen Sie es dennoch, Aussagen über den Täter zu treffen? Wir arbeiten mit dem Ergebnis, das der Täter produziert: Mit der Tat. Und die Tat dauert in der Regel drei bis 30 Minuten. Somit haben wir ein Verhaltensspektrum von drei bis 30 Minuten, das wir betrachten und analysieren können. Dass das Ergebnis dieser Analyse nur sehr grob und mosaikhaft ist, ist zwangsläufig so. Dennoch gibt es bei manchen Taten markante Verhaltensweisen, die uns erlauben, den Täter ein wenig zu beschreiben. „ICH KENNE AUS DER SCHRIFTLAGE ALLE SEXUALMÖRDER DER LETZTEN 20 JAHRE“ Was hilft Ihnen dabei, den Tätertyp einzuschätzen? Ich arbeite seit 2001 als Fallanalytiker und schaue mir jeden Tag so genannte Lagebilder an. Darauf sind alle Sexual- und Tötungsdelikte verzeichnet, die sich in Niedersachsen ereignet haben. Deshalb kenne ich aus der Schriftlage alle Sexualmörder der letzten 20 Jahre, erkenne ihre Handschriften und weiß, was sie getan haben. Wenn ich dann andere Fälle lese, tauchen hin und wieder Verhaltensaspekte auf, die ich bei dem einen oder anderen Täter auch schon gefunden habe. Das hilft zumindest, den Tätertypen in etwa einzuschätzen. Darum geht es der Mordkommission jedoch nicht primär. Es geht ihr darum, dass wir die Ermittlungen unterstützen, indem wir aufarbeiten und erklären, wie der Fall eigentlich abgelaufen ist. So setzen wir das Fundament für die Ermittlungen: Das Fallverständnis. Aus welchen Merkmalen der Tat ziehen Sie Rückschlüsse auf den Täter? „Wenn er zuerst das Opfer ersticht und hinterher zerhackt, muss er bei seiner Mutter leben“ - solche Dinge funktionieren nicht, es sind immer Einzelfallanalysen. Es gibt keine Wenn-Dann-Konstellationen. Jeder Fall ist grundverschieden. Beim Sexualmord geht es zunächst um den erzwungenen Sexualakt, der sich nach den Fantasien und Bedürfnissen des Täters richtet. Das Töten des Opfers ist dann ein Verdeckungsmord, um den Zeugen oder die Zeugin, die ihn identifizieren kann, auszulöschen und die Tat für sich zu sichern. Das ist oft die Kausalkette in solchen Delikten, die gewisse Rahmenbedingungen hat. Alles, was der Täter darüber hinaus anstellt - Abdecken des Opfers, Umlagerung des Opfers, postmortale Aktivitäten - sagt etwas über die Lage des Täters aus. Hier zeigt er etwas von sich, hier lässt er mental ein wenig die Hosen runter und wird dadurch beschreibbarer. Das heißt nicht, dass ich daraus ableiten kann, dass er bei Mama wohnt, doch ich kann psychologische Störungsbilder erkennen. Darf man Mitgefühl mit einem Täter haben? Nein. Beim besten Willen nicht. Mein Mitgefühl gilt immer den Opfern. Es gibt immer einen Vorlauf, der zur Tat führt. In dieser Zeit hat jeder Täter die Chance zu sagen: „Ich will jetzt aufhören, ich mach es nicht“. Diese Chance bleibt aber ungenutzt, er begeht die Tat. Insofern kann ich kein Mitgefühl für den Täter aufbringen. Und er verdient es auch nicht. Generell gefragt: Welche Rolle spielt das Opfer in Ihrer Arbeit? Das Opfer spielt eine wesentliche Rolle. Es gibt nur wenige Fälle, bei denen es überhaupt keine Beziehung zwischen Opfer und Täter gibt. Ein Beispiel: Der Täter kommt aus Hamburg, fährt nach Hannover, hat dort überhaupt keinen Kontakt. Er kennt sich nicht aus, ist das erste Mal dort oder nur über die Autobahn durchgefahren. Er fährt mit der Absicht in die Stadt, eine Frau zu vergewaltigen und gegebenenfalls zu töten. Hält sich irgendwo nachts im Großraum Hannover auf und der absolute Zufall will es, dass ein potentielles Opfer ihm über den Weg läuft. Er setzt seine Tat um. Dann fährt er wieder zurück nach Hamburg. Diese Fallkonstellationen gibt es, aber sie sind extrem selten. Nur im Promillebereich zu finden. In der Mehrheit aller Fälle gibt es einen Berührungspunkt zwischen Opfer und Täter. Und wenn sich beide nur den gleichen sozialen Nahraum teilen, wenn sie im gleichen Dorf wohnen oder der Täter früher mal dort gewohnt hat. So kennt er sich zumindest in dem Ort aus und fühlt sich dort subjektiv sicher, sodass er sein eigenes Risiko einschätzen kann. Das Risiko ist etwas, was der Täter sehr intensiv empfindet und dem er sich aussetzt. Wenn man in einen Ort fährt, in dem man noch nie in seinem Leben war - wie kann man da ernsthaft abwägen, an bestimmten Stellen sicherer zu sein als an anderen? Das ist schwierig. In dem Maße, wo wir uns auf das Opfer konzentrieren und sein Umfeld kennenlernen, finden wir vielleicht auch 99 Berufung habe die Details des Falls immer noch präsent, bin aber nicht mehr emotional involviert. Doch der nächste Fall wird leider nicht erfreulicher. Jeder muss für sich entscheiden, wie viel er sich davon zumuten kann. Ich persönlich habe entschieden, mich ein bisschen zurückzunehmen. Ich bearbeite seit 1994 Gewaltdelikte. In diesen 20 Jahren ist meine emotionale Firewall löchriger geworden. Ich wurde sensibler. Darum widme ich mich nun Fällen mit geringerem Gewaltpotential: Branddelikte oder Raubdelikte. Wir haben Gott sei Dank Leute im Team, die robuster sind und besser damit umgehen können, also können wir die Rollen tauschen. Für mich ist ein Rückzug im Augenblick die beste Wahl. Das ist aktuell mein Weg, mit diesen Dingen klarzukommen. Verbrechen in Niedersachsen, die mithilfe der Operativen Fallanalyse aufgeklärt wurden Olaf Hieber (54) setzt sich Tag für Tag damit auseinander, was Menschen anderen Menschen antun. Ist es überhaupt möglich, diese Abgründe zu verarbeiten? eine Hinleitung zum Täter. Wir bitten die Mordkommissionen deshalb immer, uns umfassend über das Opfer aufzuklären und die Informationen möglichst maximal zu verdichten: Vereine, Freunde, Netzwerke, Facebook. Wo hat sich die Person aufgehalten und wo finden sich Schnittmengen, die der Täter für sich nutzen kann? Wie zeigen sich solche Schnittmengen? Ein Beispiel: Das Opfer hat eine mehrjährige Erfahrung als Straßenprostituierte. Diese Lebenserfahrung prägt die Verhaltensweisen der Frau, selbst wenn es schon lange her ist. Der Täter kann diese Verhaltensweisen ganz sensibel auffangen, denn auch Täter sind manchmal sehr empathisch. Sie haben eine immense Wahrnehmung dafür, potentielle Opfer zu erkennen. Eine Lebenserfahrung als Straßenprostituierte kann in der Sprache, im Ausdruck, in der Bewegung, im Habitus für Täter von Interesse sein. Nehmen wir an, er tritt deswegen an das Opfer heran, um so ein spezielles Geschäft anzubahnen. Das Opfer wird aggressiv, weil das Thema für sie längst abgeschlossen ist. Daraus wird eine Situation, die außer Kontrolle gerät und in einem weiteren Schritt zur Tat führen kann. Hier stellen wir uns einen Täter vor, der Erfahrung mit Straßenprostituierten hat. Schon haben wir einen ersten Ansatz, der sich vom Opfer aus in Richtung eines Täterumfeldes ergeben kann. Es gibt viele dieser Anknüpfungspunkte. Insofern ist das Wissen um das Opfer für unsere Arbeit wichtig. Allerdings sind das Fakten, es ist nicht der empa- 100 thische Bezug. Der wird deutlich, wenn wir den gerichtsmedizinischen Befund betrachten. Hier wird das Leid des Opfers für uns deutlich. „AN EINEM BESTIMMTEN PUNKT GELANGT MAN ZU DER FRAGE, OB ES NOCH SINNVOLL IST, DIESEN JOB ZU MACHEN“ Wie schaffen Sie es, sich davon emotional abzuschotten? Ich selber schaffe es leider nicht im wünschenswerten Maße. Das muss ich ganz offen sagen. Es ist für mich mit einem großen Kraftakt verbunden, die Fälle aufzubiegen. Ich kompensiere das durch Sport, durch Musik, durch Hobbys. Wenn der Fall mich zu sehr belastet, suche ich Hilfe in der Supervision und wenn es gar nicht mehr geht, muss ich über therapeutische Hilfe nachdenken. An einem bestimmten Punkt gelangt man zu der Frage, ob es noch sinnvoll ist, diesen Job zu machen. Können Sie Fälle überhaupt vergessen? Ja, ich kann sie vergessen. Wenn ich an einem aktuellen Fall arbeite, verfolgt mich dieser mitunter bis in die Träume. Da kann ich mich nicht gegen wehren. Das intensive Analysieren wirkt nach. Das Unterbewusstsein verarbeitet im Schlaf das Erlebte und packt es in Schubladen: Was darf ich vergessen und was muss ich behalten. Und dieser Sortierprozess sorgt mitunter für heftige Albträume. Das endet aber, wenn der Fall abgeschlossen ist. Da wird ein Gedächtnisschalter umgelegt. Ich Seit 16 Jahren gibt es nun die Operative Fallanalyse im Landeskriminalamt Niedersachsen. Mithilfe spezieller analytischer Methoden helfen Olaf Hieber und sein Team, Täter zu finden. Diese und weitere Fälle wurden mithilfe der Operativen Fallanalyse gelöst: 2007: Siebenfacher Mord im ChinaRestaurant In der Nacht zum 5. Februar 2007 werden sieben Menschen im China-Restaurant „Lin Yue“ in Sittensen erschossen. Ein Raubüberfall, der zum Massaker wird. Im Laufe des Jahres werden fünf Tatverdächtige festgenommen. Zwei von ihnen erhalten eine lebenslange Haftstrafe. Die drei anderen werden zu Freiheitsstrafen bis zu 14 Jahren verurteilt. Auch heute sind noch etliche Details der Tat ungeklärt. 2010: Sexualmorde an der 13-jährigen Nina und dem 15-jährigen Tobias in Bodenfelde Mitte November 2010 werden im niedersächsischen Bodenfelde die 13-jährige Nina und der 15-jährige Tobias ermordet. Der Doppelmörder Jan O. gesteht die Tat vor Gericht und wird zu lebenslanger Haft, Unterbringung in der Psychiatrie und Sicherheitsverwahrung verurteilt. Dieser Fall wird auch in der NDR-Dokumentation „Denken wie ein Mörder“ (2011) thematisiert. Hier kann man unter anderem Olaf Hieber und seinem Team bei der Analyse und Rekonstruktion der Tat zusehen. 2012: „Maschsee-Mord“ an Andrea B. Ende Oktober 2012 finden Spaziergänger Leichenteile der 44-jährigen Andrea B. im Maschsee. Eine Zeugin führt die Polizei auf die Spur des mutmaßlichen Täters, im August 2013 wird Alexander K. der Prozess gemacht. Das Urteil: 12 Jahre Haft und Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Der „Maschsee-Mörder“ sei nur vermindert schuldfähig. 2014: Schwerer sexueller Kindesmissbrauch eines fünfjährigen Jungen durch einen Kinderarzt Ein ehemaliger Kinderarzt der Medizinischen Hochschule Hannover entführt im August 2014 einen fünfjährigen Jungen in Garbsen und missbraucht ihn. Zwei Monate später fasst die Polizei den Augsburger. Im November 2015 legt Harry S. ein umfassendes Geständnis ab. Insgesamt soll er 21 Jungen missbraucht haben. 101 Berufung von Dennis Schmitt Dr. Sohm, was ist Ihr genauer Beruf und die Aufgaben dabei? Ich bin ärztlicher Leiter eines ambulanten Palliativteams, der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) Landshut. Meine Fachrichtung ist die Hämatoonkologie. Ich bin also Facharzt für Blut- und Krebserkrankungen. Dadurch arbeite ich mit Krebspatienten im oft fortgeschrittenem Stadium und gebe anteilig feste Sprechstunden in einer Praxis. So ca. einen Tag in der Woche oder alle zwei Wochen. Außerdem bin ich Psychoonkologe. Das ist eine Ausbildung, die ich aus eigenem Antrieb gemacht habe. Ich finde das rundet das Gesamtbild ab. Zur Hämatoonkologie und Palliativmedizin gehört Psychoonkologie einfach dazu. Psychoonkologische Mitbetreuung und Gespräche biete ich auf Privatbasis an. Sie sind aber natürlich auch wichtiger Bestandteil meiner ambulanten Tätigkeit in der SAPV. Bei den Hausbesuchen sage ich den Patienten gern, wir seien die fahrende Palliativstation. 2007 hat der Gesetzgeber festgelegt, dass jeder Krankenversicherte einen Anspruch auf diesen ambulanten Dienst haben soll. Das Problem war anfangs nur, dass es bundesweit fast keinen gab, der diesen Dienst angeboten hat. Mittlerweile existieren fast keine weißen Flecken mehr in Deutschland. Überall decken neu gegründete Teams festgelegte Landkreise ab. Eine tolle Entwicklung, wie ich finde. Was ist das Besondere an der spezialisierten ambulanten Palliativverorgung (SAPV)? Die SAPV ist noch relativ neu. Sie ist weiterhin im Aufbau und hat noch keine traditionelle Linie. Die Arbeit setzt sich zum Ziel, dass man Menschen begleiten möchte, die eine fortgeschrittene und in näherer Zeit zum Tode führende Erkrankung haben. Ich sag mal so, das sind immer noch 80% Tumorpatienten. Andere Patienten leiden unter Organinsuffizienzen wie z.B. Herz-, Lungen- und Nierenschwäche. Das Ziel ist es, dem Wunsch vieler Patienten nachkommen zu können, dass sie zuhause bleiben und sterben können. Wir wollen eben die Lebensqualität sichern und halten. Das findet auf medizinischer, aber auch auf psychosozialer Ebene statt. Wir haben letztes Jahr knapp über 600 Patienten behandelt, davon sind etwa 300 verstorben, die meisten davon im eigenen Zuhause. Das kann ein Qualitätsmerkmal sein, woran man sich misst. Ganz generell: wie definieren Sie Empathie? Empathie ist für mich, einen Patienten wirklich zu verstehen, ein ZwischenDen- Zeilen-Lesen. Damit meine ich, dass man nicht nur aufnimmt, was der Patient wortwörtlich sagt und was er gerade vor Augen hat, sondern, dass man sich bemüht, die Tragweite der Erkrankung und deren Entwicklung zu verstehen. Und, dass man versucht, sich anzunähern an die Situation in der sich ein betroffener Mensch befindet. Ich verstehe darunter nicht Mitleid, dass ich da mit ihm tiefe Traurigkeit empfinde und mitheule. Man kann mal mitheulen, aber das wäre falsche Solidarisierung. Sondern, dass ich versuche zu verstehen, was das mit dem Patienten macht und wie es ihm damit geht. Das ist für mich Empathie. Empathie mit Patienten - eine wichtige Aufgabe in der Palliativmedizin. „Empathie ist, wie einen Stein ins Wasser zu werfen.“ Wie geht man mit Menschen um, die nur noch wenig Lebenszeit übrig haben? Welche Worte wählt man? Wie tritt man auf? Im Interview spricht empa mit Dr. Michael Sohm, einem Psychoonkologen aus Landshut in Niederbayern, über das Thema „Empathie mit Krebspatienten“. 102 Klingt nach einem hohen Stellenwert für Sie. Inwiefern wurde Empathie in Ihrer Ausbildung gefördert? Also wenn ich ehrlich sein darf, im Medizinstudium habe ich den Begriff nie gehört. Ich habe ohne das Wissen, dass Empathie ein Schwerpunkt in meiner Arbeit sein wird, abgeschlossen. Also es war offiziell nur so ein Randbegriff, der mal angesprochen wurde, aber kein Teil einer Schulungsmaßnahme oder Ähnlichem. Empathie kam erst im späteren Verlauf meines Berufslebens auf. 103 Berufung Und, dass man ebenso auch an sich arbeitet und Möglichkeiten findet, dass man genau dahin kommt. Denn man kann nicht erwarten, dass der Patient von sich aus alles offenlegt. Mein übergeordnetes Ziel ist, das wahre Wesen eines Menschen zu verstehen und dazu bedarf es eines empathischen Vorgehens. Bei der Psychoonkologieausbildung oder in der Onkologie und Palliativmedizin - da spielt sie dann ja zwangsläufig eine Rolle. Aber Fakt ist tatsächlich: ich kam aus dem Studium raus, vielleicht den Begriff kennend, aber nicht wirklich wissend, was ich damit anfangen soll. Sie sagten gerade, dass speziell bei der Ausbildung zum Psychoonkologen Empathie wichtig wurde. Warum erst da? Da war Empathie auf jeden Fall ein Begriff. Das war auch der Zeitpunkt, wo es einem dann bewusst wurde. Wo man sagt, man redet auch in dem Bereich von Empathie. Es wurde mehr als ein Wort, das man gehört haben musste. Man wusste es nun mit Inhalt zu füllen. Und wo ich mich dann fragte: was heißt das für mein konkretes Handeln, wie kombiniere ich das und bin ich denn überhaupt empathisch oder kann man das lernen? Eine natürliche Fähigkeit vielleicht und doch komplettes Neuland. Sie sagen ambulante Palliativversorung und Psychoonkologie seien noch recht neu. Denken Sie, den Menschen ist überhaupt bewusst, was Sie und Ihre Kollegen täglich leisten? Die Resonanz ist positiv. Wir haben mal eine Hausarztbefragung gemacht. Und dabei ist herausgekommen, dass erst einmal die Bekanntheit unserer Dienstleistung viel größer ist als noch vor 5 Jahren. Auch die Zusammenarbeit zwischen Hausärzten und solchen Diensten verlaufen sowohl regelmäßiger als auch reibungsloser. Also im professionellen Umfeld hat sich da schon eine Menge getan. Was hat das für Folgen, wenn die Leute das nicht wissen? Was bedeutet das für Ihre tägliche Arbeit, wie begegnen Sie Ihren Patienten bei Hausbesuchen? 104 Wie nehmen die Patienten es auf, wie Sie mit ihnen umgehen? Für mich ist es eine positive Rückmeldung, wenn die Leute sagen: „Wissen Sie, das war seit Langem mal wieder ein richtig gutes Gespräch.“ Obwohl man das als Behandelnder vielleicht als gar nicht so gut empfunden hat - man hat eigentlich sehr schlimme Sachen besprochen, vielleicht einen ungünstigen Befund oder dass es keine sinnvolle Möglichkeit einer weiteren Chemotherapie mehr gibt. Wo gibt es da den Anhaltspunkt zu sagen, das sei ein gutes Gespräch gewesen? In der Bevölkerung ist das Ganze, dank Internet und Mundpropaganda, auch sehr wohlwollend aufgenommen worden. Also ich habe nie negative Stimmen gehört oder gelesen. Allerdings gibt es noch das Missverständnis, dass der Begriff „palliativ“ in den Köpfen vieler noch sehr negativ besetzt ist und mit Tod und Sterben verbunden wird. Dem ist zwar nicht zwingend so, aber der Grund dürfte in mangelnder Information und Aufklärung liegen. Neulich wollte uns ein Patient aus diesem Grund wegschicken. Er hatte Angst und war dem Thema emotional nicht gewachsen. Da fragte ich ihn auf der Türschwelle: „Bevor wir gehen, wieso denken Sie denn, dass Sie uns nicht brauchen? Wissen Sie überhaupt was Palliativdienste tun oder haben sie schlechte Erfahrungen gemacht?“ Am Ende waren wir zwei Stunden bei ihm und haben ein gutes Gespräch geführt. Ein Stück weit konnten wir ihm die Angst nehmen und ihm schon mal etwas helfen. Das war ein spürbarer Erfolg für mich und meine Kollegen. Wenn ich einem Patienten erstmals begegne, ist es wie der Anblick eines Eisbergs im Wasser. Zuerst sehe ich nur dessen Spitze, aber ich weiß, dass ich auch unter die Wasseroberfläche tauchen muss, um ihn wirklich zu verstehen. Ich darf mich dabei nur nicht bloß auf das gesagte Wort verlassen, sondern muss den Blick auch für das Verborgene öffnen. Das, finde ich, ist eine schöne Metapher. Das Entscheidende ist, dass man dem Patienten bei den Gesprächen auch Raum bietet, damit er einem diesen Einblick gewähren kann. Empathie ist für eine gelingende Arzt-Patienten-Beziehung entscheidend. Wir hatten einmal das Beispiel, dass ein Patient zu einem anderen Kollegen meinte: „Ich möchte von Dr. XY nicht mehr betreut werden.“ Dann fragt man nach dem WARUM und bekommt als Antwort: „Der hat mich nicht richtig verstanden. Der hat zwar gemerkt, dass ich Probleme oder Angst habe vor der Therapie, aber die Tragweite hat er eigentlich gar nicht erfasst. Er hat auch gar nicht die Bereitschaft gezeigt, diese zu verstehen - was heißt das für meine Familie, für meinen Beruf, für meine Zukunft. Der hat sich nur zurückgezogen hinter einen Röntgenbefund und nicht gefragt, was das jetzt mit mir gerade anstellt.“ Das ist so ein Beispiel für ein misslungenes Gespräch und wo Empathie nicht wirklich Raum gefunden hat. Man reflektiert das dann und fragt sich wie das Gespräch für einen selbst war. Ist es uns gelungen an den Patienten heranzukommen? Wie war es wohl für ihn? Es gibt erfüllende Momente, in denen man merkt, dass das Gegenüber einem sehr viel von sich, erzählt und das verbuche ich als persönlichen Erfolg. Vor allem, weil man sich das am Anfang wohl nie erdacht hat. Klingt nach einer sehr engen Bindung zu Ihren Patienten. Ja absolut! Da fragen mich die Kollegen dann auch manchmal: „Sag mal, woher weißt du denn, dass der Grießbrei mag, oder früher Jäger war, oder gern Modellautos gesammelt hat?“ Man schaut sich ja auch in der Wohnung um. Da stehen Bilder oder Figuren etc. Und über simple Beobachtung kommt man dann ganz schnell ins Gespräch und nähert sich an. Und besonders über die Hobbys wird dann die Tragweite der Erkrankung deutlich: Patienten, die beispielsweise gern in den Bergen waren, sind nun natürlich umso härter getroffen, weil sie ans Bett gefesselt sind. Angler können nie wieder Fische fangen. Reisebegeisterte nie wieder reisen. Nur über das Persönliche kommt man an die Patienten heran, kann zwischen den Zeilen lesen. Und erst auf diesem Wege kann ich auch mein Verständnis von Empathie wirklich anwenden. Im Gespräch oder durch bewusste Wahrnehmung - Empathie funktioniert genau so. 105 Berufung Wie gut muss das alles organisiert sein, wenn Sie bereits so viele Informationen im Kopf haben? Wir haben ein großes Einzugsgebiet mit etwa 300.000 Einwohnern, das sind zweieinhalb Landkreise. Es kann schon mal vorkommen, dass wir zwischen zwei Patienten 1,5 Stunden mit dem Auto unterwegs sind. Niederbayrisches Land und etwas Stadtgebiet. Das ganze wird Anfang der Woche dann aber geplant, damit wir bestenfalls nicht so weit fahren müssen. In der Regel ist immer noch eine ausgebildete Pflegekraft dabei und dann setzt man sich in die Küche oder ins Wohnzimmer bei den Patienten und schaut einfach mal was tagesaktuell ist. Also alles erst mal Routinebesuche. persönliche Schutzbarriere einrichten, einen imaginären Korridor, der einen von den täglich erlebten Erfahrungen abschirmt. Man sollte nicht zu viel an sich heranlassen. Gibt es da Ausnahmen? Natürlich gibt es die. Ich habe zwischenzeitlich gelernt, Einzelschicksale, insbesondere junger Patienten, gut für mich gedanklich zu sortieren und in der Arbeit zu lassen. Was mich aber auch nach Feierabend oft nicht loslässt, sind wuterfüllte oder vorwurfsvolle Gespräche mit oder zwischen Angehörigen. Wenn die Personen überfordert sind und sich dies in stark emotionaler Weise entlädt. Reaktionen, die unangenehm und oft schwer zu ertragen sind und alles eigentlich nur verschlimmern… Solche Fälle nehme ich mit nach Hause und frage mich selbst: „Was lief falsch? Lief überhaupt etwas falsch? Wo hat die Empathie versagt?“ Da muss man sich wirklich tief in die Psyche dieser Leute hineinversetzen und ergründen, was sie wohl umtreibt. Und das zerrt schon sehr an den Nerven. Vielleicht auch, weil man mitunter Zweifel an der eigenen Kompetenz verspürt. Wo liegt dann Ihre Motivation für den Job? Wissen Sie, wenn mir mal ein ähnliches Schicksal bevorstehen sollte, wäre ich auch froh, wenn es jemanden gibt, der den Job aus Überzeugung tut. Zum anderen bestätigt es mich, wenn Angehörige sagen: „Das war jetzt zwar ein schlimmes Kapitel für uns, aber Sie und Ihre Kollegen haben uns sehr geholfen und viel abgenommen.“ Dann gibt es aber auch Situationen, da werden wir notfällig angefordert, weil etwas nicht stimmt. Zum Beispiel ruft ein Angehöriger an, weil seine Frau starke Schmerzen, Atemnot, Übelkeit oder ähnliches hat. Das sind Krisensituationen. Angefordert werden wir von Krankenhäusern oder Hausarztpraxen, die solche Patienten versorgen und uns dann um Mitbetreuung bitten. Wenn sie beispielsweise selbst an ihre leistbaren Grenzen stoßen. Und wenn wir da sind, geht es, wie gesagt, erst einmal darum, wie es dem Patienten an diesem Tag so geht. So auch, ob er die Medikamente gut verträgt, es Nebenwirkungen gibt oder auch, wie die Angehörigen mit der Pflege zurechtkommen. Überforderung der Angehörigen und insuffiziente häusliche Versorgung sind keine Seltenheit. Dann muss über eine intensivere Pflege unsererseits oder mittels weiterer Familienmitglieder oder sogar über eine Unterbringung im Krankenhaus, einer Palliativstation oder im Hospiz nachgedacht werden. Klingt als müssten Sie sich auch um die Angehörigen der Patienten kümmern. Stellen Sie sich vor Sie werfen einen Stein ins Wasser. Das ist wieder so eine Methapher. Dabei bilden sich Wellen, die sich immer weiter ausbreiten. Werfen Sie einen zweiten Stein, gibt es wieder Wellen und diese treffen sich mit den ersten. Die Kreise, die die verschiedenen betroffenen Bereiche eines Patienten ziehen, überschneiden sich auch oft mit denen der Angehörigen. Und da nehmen wir auch eine Art Vermittlerrolle ein. Denn einige Patienten sagen auch: „Herr Doktor, ich leide eigentlich weniger unter der Krankheit, sondern viel mehr unter der Tatsache, dass es meiner Frau damit so schlecht geht. Ich falle ihr so sehr zur Last.“ Und so überlegen wir dann auch, wie wir diese Frau entlasten können, damit auch der kranke Mann ein besseres Gefühl hat. Und als Letztes muss ich sagen, dass mich diese Schicksale doch immer sehr erden. Also, dass ich mir denke: Hey, mir geht es im Grunde sehr gut. Ich bin gesund, habe ein schönes Zuhause und gute Freunde. Diese Dinge tragen dazu bei, dass ich mich mit dem Job arrangieren kann und ihn gern mache, auch wenn es Tage gibt, die sehr anstrengend sind. Ich helfe gern und das macht mich zufrieden. Wollten Sie schon immer in die Palliativmedizin? Ich bin da mit der Zeit einfach reingewachsen. Ich finde es sehr beeindruckend, wenn Menschen schon am Anfang ihres Medizinstudiums wissen, in welchem Bereich sie später arbeiten wollen. Für mich hat sich erst mit der Zeit herausgestellt, was ich für ein „Medizinmensch“ bin. Manche haben vielleicht den rauen Ton und die handwerkliche Tätigkeit im OP lieber. Ich bin halt immer schon eher der Redner gewesen, der sich um das seelische Wohl der Menschen kümmert. Und irgendwann wird man vielleicht durch jemand anders mal darauf gebracht „Hey, Onkologie und Palliativdienst, das wäre doch bestimmt was für dich“. Und so läuft das dann. Blicken wir in eine ganz andere Richtung. Für wie empathisch halten Sie die Gesellschaft? Ich würde sagen, dass Empathie eher etwas Professionelles ist, was mit dem Beruflichen zusammenhängt und im privaten Umfeld nicht so präsent ist. Soll heißen: wirklich empathisch finde ich die Gesellschaft nicht. Deswegen bedeutet Empathie hier auch, nicht nur den Blick auf den Patienten richten, sondern auch nach links und rechts schauen, wer denn noch so betroffen sein könnte. Und da ist das Verhalten dann wieder ähnlich: fragen wie es denn so geht, was Kummer macht und überlegen, wie man das zusammen lösen kann. Die Fülle an Emotionen kann sicherlich auch mal belasten. Wie viel von Ihrem Beruf nehmen Sie mit nach Hause? 106 In der Ausbildung zum Psychoonkologen hatten wir regelmäßige Übungen: jeder stellte einen Fall aus der Praxis vor, der ihn besonders berührt, aufgewühlt oder sonst irgendwie beschäftigt hat. Dies wurde dann in der Gruppe diskutiert. Und im Zuge dieser Fallbeispiele habe ich gelernt, Grenzen zu ziehen. Und zwar in dem Sinne, dass man lernt, sich nicht für die Erkrankung oder deren Verlauf verantwortlich zu fühlen. Man ist aber sehr wohl verantwortlich für den Umgang mit dem Patienten. Nichts desto trotz sollte man sich eine 107 Berufung Warum? Woran machen Sie das fest? Öfter kommt es vor, dass Patienten auf meine Frage „Wie geht es Ihnen heute?“ etwas ausholen möchten, um sich das Ganze leichter zu machen. Dann kann es vorkommen, dass ihre Angehörigen, die meist mit dabei sitzen, einschreiten, um das sofort zu unterbinden. „Nein, das ist so negativ. Darüber wollen wir jetzt gar nicht sprechen. Wir müssen jetzt positiv denken und stark sein.“ Das setzt die Patienten unter Druck. Es werden Erwartungen formuliert, die nicht eingehalten werden können. Wie haben Sie sich im Laufe Ihrer Karriere verändert? Allerdings mache ich den Leuten keinen Vorwurf. Sie haben es in der Regel nicht gelernt, bei solch persönlichen Situationen entsprechend konstruktiv zu reagieren. Es ist eine Art Schutzmechanismus, der die Laien entschuldigt. Außerdem kenne ich die Verhältnisse in der Familie ja nicht wirklich. Ich arbeite ja nur in einem kleinen Zeitausschnitt, der dazu noch eine Extremsituation darstellt. Und doch sind das die Gründe, die mein Urteil untermauern. Sie halten auch Vorträge zum Umgang mit Patienten. Was ist Ihnen dabei wichtig? Gerade gestern hatte ich einen solchen Vortrag. Da bin ich mit dem Bild von dem Eisberg eingestiegen. Damit wollte ich darauf hinaus, dass man den Blick zu allen Seiten hin offen halten soll. Man sich nicht engstirnig hinter Befunden und Diagnosen versteckt. Denn, wie ich bereits sagte, es gibt so viele Möglichkeiten, an den Patienten heranzutreten und mit ihm in Dialog zu treten, der einem Vieles offenbaren kann. Und nur, wenn ich auch schaue, was unter der Oberfläche ist, kann ich Erfolg haben. Alles, was oben schwimmt, verraten mir die Akten, aber für das Andere bin ich verantwortlich, um ein ganzheitliches Bild zu zeichnen und dem Patienten so besser helfen zu können. Auf der anderen Seite ist es uns nie möglich, die komplette Tragweite zu erfassen. Wir sprechen mit den Patienten und engsten Angehörigen und hier kann man schon viel erfahren und hinter die Kulissen blicken. Aber voll und ganz kann man die Situation nie greifen. Und das ist auch okay. Aber bei dem, was wir tun, müssen wir stets aufmerksam sein und unseren Blick öffnen. Je eher man das verinnerlicht, umso früher und besser kann man helfen. Das ist das Wichtigste und das müssen alle zukünftigen Ärzte und Pfleger wissen. Sie unterweisen Mediziner und medizinisches Personal von morgen. Wie ist Ihr Auftreten bei diesen Vorträgen? Auf dem Papier bin ich zwar „ärztlicher Leiter“, aber gefühlt bin ich es nicht. Es ist mir nicht wichtig. Ich sehe mich eher als Teil eines Teams, das nur gemeinsam etwas schaffen kann, weil jedes Mitglied spezielle Stärken hat und somit die Gruppe bereichert. Also sehe ich eine eher flache Hierarchie. Trotzdem bin ich mir meiner Verantwortung bewusst, denn das Wohl der Patienten ist mir in jedem Fall wichtig. Ich denke, dass ich mit allem auf eine positive Weise routinierter geworden bin. Damit will ich sagen, dass ich mir Vorgehensweisen zurechtgelegt habe, die ich erst einmal bei bestimmten Patientengruppen einsetzen kann. Zum Beispiel, wenn jemand direkt aggressiv ist, versuche ich zunächst einmal zu ergründen, woher das rührt und ggf. aufzuklären. Meine Art des Umgangs mit Patienten ist über die Jahre gereift und ich schleife stetig daran. Aber jedes Vorgehen kann scheitern, daraus muss man dann eben lernen und etwas Anderes versuchen. Und so feilt man immer wieder an sich und probiert Dinge aus. Diese gebe ich auch bei Vorträgen gern weiter, wenn es die Leute interessiert. Ebenso habe ich erfahren, was die Arbeit mit einem machen kann. Um in einem weiteren Bild zu sprechen, habe ich einen Topf voller Energie. Dieser ist jeden Tag wieder gefüllt und ich kann daraus schöpfen. Nun gibt es Tage, an denen ist dieser Topf schnell verbraucht, manchmal schon nach wenigen Hausbesuchen. Dann geht einfach nichts mehr. Das sind dann auch Tage, an denen ich mich mit dem Abschalten schwerer tue. Aber es gibt auch Tage, an denen ich auch nach Feierabend noch eine Menge Energie übrig habe. Ich suche mir meine Kontakte bewusster aus. Quasi Qualität vor Quantität in Beziehungen und Freundschaften. Der Beruf kann durchaus emotional auslaugen. Das kommt vor. Dann ist man für banale Probleme im privaten Umfeld weniger empfänglich. Passend dazu die Frage: sind Sie im Privaten ähnlich empathisch wie im Berufsleben? Schwierig. Ich denke, dass es im Gespräch mit einem Freund, der Sorgen hat, immer komisch wirkt, wenn man neutral nach dessen Gemütslage fragt. Also sich anhört wie ein Therapeut. Da hat schon so mancher komisch geschaut und war fast peinlich berührt. Als Arzt habe ich eine fachliche Legitimation, da muss ich fragen, weil es hilft und das schafft Vertrauen. Im Freundeskreis gelten andere Regeln. Und wie ich schon sagte, ist Empathie für mich eher etwas für den professionellen Bereich. Nicht weil sie im privaten Rahmen keine Anwendung findet, sondern, weil die meisten Leute nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen. Vielen Dank für Ihre Zeit, Dr. Sohm. Bei Vorträgen ist das etwas anders. Da bin ich mir meiner Kompetenzen durchaus bewusst und lege Wert auf Praxisnähe, möchte aus meinem Erfahrungsschatz berichten. Auch in Gremien bin ich nicht scheu zu zeigen, dass ich weiß, wovon ich rede. Natürlich lasse ich mich korrigieren, wenn ich falsch liege, aber durch die jahrelangen Erfahrungen auf meinem Spezialgebiet habe ich schon ein gewisses Selbstbewusstsein entwickelt. Sollte man meiner Meinung nach aber auch haben, wenn man Verantwortung für bestimmte Bereiche übernimmt. 108 109 Berufung 5.) Der Klassiker: Eine alte Dame – schwer bepackt mit Einkaufstüten – kommt in die Bahn und sucht einen Platz. Allerdings ist die Bahn so voll, dass sie Dich durch die Menge gar nicht sieht. Was machst Du? ... Und wie empathisch bist Du? 1.) Du stehst an der Kasse. Vor Dir bezahlt gerade ein alter Mann. Doch die Kassiererin ist genervt: Ihm fehlen noch zwei Euro… a) Ich würde ihm ja helfen, aber zwei Euro sind dann doch etwas viel... (5 Punkte) b) Er braucht mich gar nicht so beschämt anschauen – ich helfe ihm da nicht. (0 Punkte) c) Der Arme! Sofort zücke ich meinen Geldbeutel und reiche ihm das fehlende Geld – schon wieder eine gute Tat vollbracht! (10 Punkte) 2.) Deine Universität macht auf ein Projekt aufmerksam, bei dem die Studierenden einigen Flüchtlingen helfen können – eine gute Gelegenheit, Menschen zu helfen, oder? a) Auf jeden Fall! Ich trage mich sofort in die Listen ein, stachle auch meine Freunde an. Ich möchte den Menschen helfen! (10 Punkte) b) Falls es nicht allzu viel Zeit beansprucht, bin ich natürlich dabei. (5 Punkte) c) Eine einzelne Person kann da eh nichts bewirken - ich bin raus. (0 Punkte) 3.) Klausurstress! Nach sechs Folgen „How I Met Your Mother“ schaffst Du es endlich, dein Buch aufzuschlagen und zu lernen. Da ruft Deine beste Freundin an, die sich kürzlich von ihrem Freund getrennt hat. Und jetzt? a) Nerv nicht! Habe gerade meine eigenen Sorgen… Ich muss lernen, das ist mindestens genau so schlimm. (0 Punkte) b) Natürlich! Für sie lasse ich alles stehen und liegen! (10 Punkte) c) Sie macht im Moment eine schwere Zeit durch – ich muss da rangehen, versuche aber, mich kurz zu halten. (5 Punkte) Y A GW N O R N O R W Y A TW H RIG 110 Y A GW Y A TW H RIG Y A GW WR ON a) … schnauze ich sie an, wieso das so lange gedauert hat!? Ich habe Hunger! (0 Punkte) b) ... frage ich Sie höflich, mit dem Koch zu sprechen. Denn die Bedienung ist nicht dafür verantwortlich, sondern die Küche. (5 Punkte) c) … bedanke ich mich für das Essen und schweige. Die Arme ist so schon nervös, da muss ich mich nicht auch noch beschweren. (10 Punkte) a) Ich lasse sie weinen, gehe danach auf sie ein. Das wird schon wieder… (5 Punkte) b) Ich fahre sofort zu ihr – natürlich mit reichlich Schokolade und Sekt im Gepäck. (10 Punkte) c) Ach bitte! Andere Mütter haben auch schöne Söhne. (0 Punkte) Y A GW W 6.) Du bist mit deinen Freunden im Restaurant und bestellst. Mehr als zwei Stunden müsst ihr warten, bis das Essen kommt. Nachdem die Kellnerin euch das Essen serviert… 4.) Jetzt kommt es noch schlimmer: Deine beste Freundin konnte ihren Heulkrampf nicht unterdrücken und weint ununterbrochen am Telefon. W N O R a) Ich stehe sofort auf und wedle mit meinen Armen, rufe nach ihr, damit sie sich setzen kann. (10 Punkte) b) Die Alte sieht mich sowieso nicht, ich kann also getrost sitzen bleiben. (0 Punkte) c) Ich beobachte sie mit mitleidigem Blick, aber es würde nichts nützen, jetzt aufzustehen. Unverständlich, warum keiner neben ihr einen Platz anbietet! (5 Punkte) RI GH Y A TW 7.) Folgendes Szenario: Die Eltern Deines besten Freundes haben sich getrennt. Er ist total verzweifelt und steht vor deiner Haustür. Allerdings ist es gerade mal eine Woche her, dass sich auch Deine Eltern trennten. Wie reagierst du? Y A TW a) Ich lasse ihn sofort rein und tröste ihn – um mich geht es jetzt einfach nicht! (10 Punkte) b) Sorry, aber ich habe genug eigene Probleme! (0 Punkte) c) Natürlich helfe ich ihm, verweise jedoch auch auf meine Probleme – so können wir uns beide trösten und helfen. (5 Punkte) H RIG Y A TW H RIG W N O R Y A GW 8.) Du liegst im Bett und kannst nicht schlafen. Der Grund dafür… a) … kann nur sein, dass ich zu viel Kaffee getrunken habe. (0 Punkte) b) … sind oft Sorgen, Selbstzweifel, der Terror und der Krieg in der Welt… Manchmal wird mir einfach alles zu viel. (10 Punkte) c) … ist wahrscheinlich etwas Stress, aber oft passiert mir das eigentlich nicht. (5 Punkte) 9.) Dein Schatz findet sich zu dick. Den Spruch hörst Du allerdings nicht das erste Mal. Es ist auch völlig unberechtigt, denn sie/er ist total sportlich! Deine Reaktion? a) Ich sage ihm/ihr, wie falsch diese Aussage ist! „Du bist schön, so wie du bist!“ ist meine etwas unausgefallene, aber ehrliche Antwort. (5 Punkte) b) Ja, dann nimm halt ab und lass mich in Ruhe! Ganz ehrlich, wer sich zu dick findet, soll einfach abnehmen. (0 Punkte) c) Natürlich stimmt es nicht. Ich beschwichtige meinen Schatz und überlege, wie ich sein/ihr Selbstbewusstsein steigern kann. Was für ein verdrehtes Selbstbild… (10 Punkte) 10.) Du bist auf einer Party und lernst ein nettes Mädchen kennen. Bei einem längeren Gespräch erfährst Du, das vor Kurzem ihr Vater gestorben ist. a) Ich zeige mein tiefes Mitgefühl, teile ihr das mit. Ich möchte mehr darüber erfahren, denn obwohl ich sie noch nicht richtig kenne, bin ich wirklich sehr betroffen. (10 Punkte) b) Ich richte mein Beileid aus, habe allerdings Angst, näher darauf einzugehen. Lieber muntere ich sie ein wenig auf. (5 Punkte) c) Ach herrje… Themenwechsel! Das ist mir jetzt ziemlich unangenehm. (0 Punkte) Zähle nun die Punkte Deiner Antworten zusammen und blättere um für Dein persönliches Ergebnis! 111 Berufung Auswertung Der Mitfühlende (100 bis 71 Punkte) Der Normalo (70 bis 26 Punkte) Der Gefühlsphobiker (25 bis 0 Punkte) Wenn andere weghören, hörst Du genau hin. Du hast nicht nur für Freunde und Bekannte, sondern sogar für Fremde ein offenes Ohr. Deine Freunde suchen Dich stets auf, um Deinen Rat zu erfragen. Du bist sehr empathisch, was Dich allerdings auch dazu veranlasst, Deine eigenen Probleme in den Hintergrund zu stellen. Darauf solltest Du aufpassen, denn sonst sind schnell die Probleme anderer Personen wichtiger als Deine eigenen. Schließlich sollst Du kein „Gefühls-Mülleimer“ sein. Du machst Dir Sorgen um Deine Mitmenschen, weißt aber, wann genug ist: Schließlich hast Du auch ein Leben, das Du bewältigen musst. Du bist zufrieden mit deinem Freundeskreis und weißt, wenn Du Probleme hast, sind sie da – und umgekehrt. Allerdings übernehmen Gefühle nicht die Überhand in Deinem Leben – dafür bist Du dann doch zu rational. Empathie? Ist das eine Geschlechtskrankheit? Mit diesem Wort kannst Du nichts anfangen. Sorgen oder Probleme belasten Dich, so wie Deine eigenen auch. Deswegen verdrängst Du lieber Emotionen, um Dich um wichtigere Dinge zu kümmern. Die Folge: Wahrscheinlich wirst Du nicht gerade den größten Freundeskreis haben. Aber das ist Dir auch egal. Du hast ein für Dich ausgefülltes Leben und keinen Platz für Herzschmerz oder zu viele Gedanken. 112 Jeder kann für die Leiden eines Freundes Mitgefühl aufbringen. Es bedarf aber eines wirklich edlen Charakters, sich über die Erfolge eines Freundes zu freuen. Oscar Wilde 113 Seele 114 115 Seele Vorsicht, ansteckend! Bei diesen Gefühlen fiebern wir automatisch mit. Wenn ein Lachen Freude weckt, eine traurige Filmszene Tränen hervorruft oder der Schmerz eines anderen wehtut, dann spricht man von „Gefühlsansteckung“. Und davon kann (fast) jeder betroffen sein. von Johanna C. Klein Der erste, der von „Gefühlsansteckung“ sprach, war der Soziologe Max Scheler. Damit beschrieb er Anfang des 20. Jahrhunderts erstmalig die zwischenmenschliche Übertragung von Gefühlen. Erst siebzig Jahre später sollte sich diese Beschreibung in der Wissenschaft verfestigen: Mit der Übersetzung des Buchtitels „Emotional Contagion“ erschienen im Jahr 1994 von Elaine Hatfield, amerikanische Psychologin und Professorin an der University of Hawaii. Wie das genau funktioniert ist bis heute noch weitestgehend unklar. Welche Gefühle sind besonders ansteckend? Was passiert im Gehirn während des Vorgangs? Und welche Faktoren begünstigen eine „Ansteckung“? In den letzten zwanzig Jahren wurde viel darüber geforscht, Einigkeit unter den Wissenschaftlern ist jedoch selten. Ein Einblick in die Studien-Landschaft. „AUA, DAS TUT WEH“ Heute gilt die „Gefühlsansteckung“ als affektive Form der Empathie und beschreibt die emotionale Übernahme von „fremden“ Gefühlen. Dabei werden Gefühlszustände, wie z.B. ein Lachen des Gegenübers, unbewusst imitiert und als eigene Stimmung, in diesem Fall Freude, übernommen. 116 Die deutsche Neurowissenschaftlerin Tania Singer vom Max-Planck-Institut erforscht seit 2003 die Gefühlsansteckung zwischen Menschen. Und glaubt, mit ihrer Schmerzstudie die Grundlage für Empathie entdeckt zu haben. Im Jahr 2003 117 Seele untersuchte das Forscherteam um Singer die Schmerzansteckung von Liebespaaren mittels Stromschlägen. Die Reaktion im Gehirn wurde mit der sogenannten funktionalen Magnetresonanztomografie (fMRT) gemessen. ebenfalls aktiv. Und zwar nicht nur der Bereich, der Schmerz als Schmerz identifiziert, sondern auch das Endgefühl von Schmerz, das Gefühl „Aua, das tut weh“. Dies sei, so Singer, die Grundlage für Empathie. Forscher an der Universität Göttingen fanden außerdem heraus, dass Die funktionale Magentresonanztomografie ist ein bildgebendie Schmerzempathie auf Dauer des Verfahren zur Messung von Gehirnaktivität. Durch Veränabnehmen kann. Sie zeigten Proderungen des Sauerstoffverbrauchs sind gedankliche Prozesse banden Fotos von Schmerz und und die zuständigen Gehirnareale erkennbar. untersuchten die Reaktionen beim wiederholten Betrachten. Das Ergebnis: Erhielt die Frau einen Stromschlag, Ihr Fazit: Obwohl die Schmerzeinschätzung gleich waren die Hirnbereiche für Verarbeitung und Emp- blieb, nahm die Reaktion auf den Schmerz ab. Das findung von Schmerz aktiviert – ein Netzwerk aus Gefühl von „Aua, das tut weh“ war nicht mehr so sensorischem Kortex und Insula. Erhielt der Partstark ausgeprägt wie bei der ersten Betrachtung ner den Stromschlag, waren Teile des Netzwerkes der Fotos. SCHMERZMATRIX NACH SINGER Der vordere Teil der Insula, auch Inselkortex/ -rinde genannt, steuert willkürliche Bewegungen und verarbeitet Informationen. Der limbische Kortex ist Teil des limbischen Systems und für Emotionen, Antrieb und Gedächtnisbildung zuständig. Neuronen im limbischen System reagieren auf eigenen Schmerz, Beobachtung von Schmerz und potentiell vorhersehbaren Schmerz. Der Hirnstamm, ältester Teil des Gehirns, übernimmt lebenswichtige Bereiche wie Atmung und Herzschlag und dient als Umschaltkern zwischen Groß- und Kleinhirn sowie als Brücke zwischen vorderen und hinteren Bereichen. Das Kleinhirn ist das wichtigste Integrationszentrum für Erlernen, Koordination und Feinabstimmung von Bewegung. 118 Neben Schmerzempfinden sind auch Angstreaktionen im Gehirn messbar. Forscher an der Harvard-Universität in Charlestown fanden heraus, dass bei Angstempfinden neben Emotionszentren auch Hirnareale für Motorik aktiv sind. WER ANGST ERKENNT, STELLT SICH UNBEWUSST AUF FLUCHT EIN Bei der Studie sahen sich Probanden Bilder mit verschiedenen Körperhaltungen an. Dabei war im Gehirn erkennbar: Bilder, die Angst zeigten, aktivierten auch den motorischen Kortex. Der Grund dafür sei, bei Gefahr schneller reagieren zu können. Dies könnte erklären, warum sich Angst in einer Menschenmasse so schnell ausbreitet, so die Wissenschaftler. Ihre Studie veröffentlichten sie in der Fachzeitschrift PNAS. Hilfsbedürftigkeit signalisieren. Dadurch stiege die Chance auf Hilfe und Unterstützung. Wieso uns Filme zu Tränen rühren, untersuchten Forscher der Universität Tilburg und zeigten ihren Probanden den bewegenden Film „Hachiko“. Eine Geschichte über die Freundschaft zwischen Mensch und Hund. Ihre Ergebnisse: Rund die Hälfte der Teilnehmer weinte während der Vorstellung. Die schlechte Stimmung hielt an, bis sie sich nach 90 Minuten besserer Stimmung fühlten. Die Forscher glauben, dass Mitgefühl eine therapeutische Wirkung hat. DIE ENTDECKUNG DER SPIEGELNEURONEN Anfang der 90er Jahre entdeckten Forscher der Universität Parma eher zufällig die Nervenzellen, mit denen viele Forscher Empathie erklären. In ihrer Studie untersuchten die Forscher Giacomo Rizzolatti und Pier Francesco Ferrari, welche Handlungen im Gehirn geplant und umgesetzt werden. Ihr Versuchsaufbau: Ein Affe greift nach einer Nuss, während die Forscher seine Gehirnströme messen. Als einer der Forscher nach der Nuss griff und der Affe die Handlung zufällig beobachtete, stellten die Forscher fest, dass dieselben Hirnströme wie zuvor messbar waren. Entdeckt waren die Spiegelneuronen – Nervenzellen im Gehirn die das Spiegeln von Verhalten ermöglichen. Ob die Zellen auch im menschlichen Gehirn existieren, ist bisher nicht erwiesen. Auch Angstschweiß ist ansteckend: Wissenschaftler der Stony-Brook-Universität in New York untersuchten die Reaktionen auf Schweißproben von Fallschirmspringern. Die im Angstschweiß befindlichen Pheromone übertrugen Angst- und Stressgefühle auf die schnüffelnden Testpersonen. Wieso wir überhaupt fühlen was wir fühlen, darüber sind sich die Forscher größtenteils uneinig. Besonders für die Frage „Welchen Zweck haben Tränen?“ gibt es aus wissenschaftlicher Sicht verschiedene Antworten. Der israelische Forscher Noam Sobel stellt in der Fachzeitschrift Science seine Studienergebnisse über Tränen vor. FRAUENTRÄNEN BESÄNFTIGEN MÄNNER Sobel glaubt, Tränen dienen der Kommunikation. In seiner Studie fand er heraus, dass der Geruch von Frauentränen das Testosteronlevel und die sexuelle Erregung der Männer senkt. Und schloss daraus: Chemische Botenstoffe werden durch Tränen transportiert, um Kommunikation zu ermöglichen. Der Evolutionsbiologe Oren Hassen stellt in der Fachzeitschrift Evolutionary Psychology eine ähnliche These auf: Der Zweck des Weinens bestehe seiner Ansicht nach darin, andere an sich zu binden und aggressivem Verhalten vorzubeugen. Denn Weinen würde Verletzlichkeit und So leicht ist es jedoch nicht, sich in andere hineinzufühlen und sich von ihren Gefühlen anstecken zu lassen. Viele Studien haben gezeigt, dass Ähnlichkeit und Identifikation vorhanden sein müssen, um unser Mitgefühl zu wecken. 119 Seele JE ÄHNLICHER, DESTO ANSTECKENDER These, dass Gähnen in der Urzeit zur Abstimmung von Gruppenaktivitäten diente und beispielweise eine Aufforderung zur gemeinsamen Jagd darstellte. Die Erklärung: Bei Mitgliedern der gleichen Gruppe sei die Wahrscheinlichkeit höher, dass sie sich für das Mitfühlen revanchieren. So sei es wahrscheinlicher, dass ein Europäer mit einem anderen Europäer mitfühlt als mit einem Asiaten. Und Verwandten mehr Mitgefühl entgegengebracht werde als Fremden. Und wie steht es um körperliche Gefühle? Der Neuropsychiater Neil Harrison und sein Team sind der Frage nachgegangen, ob auch physische Gefühle wie Frieren ansteckend sein können. Eine mögliche Begründung dafür sei Stress, der das Einfühlungsvermögen hemmt, glauben die Forscher von der McGill University in Montreal, die eine Studie zum Thema „Empathie unter Fremden“ durchgeführt haben. Ein Proband wurde dabei von Freunden und Fremden beobachtet, wie er eine Hand in Eiswasser taucht. Das Fazit: Die Fremdengruppe brachte dem Probanden weniger Mitgefühl entgegen als die Freundesgruppe. Ihre Forschung veröffentlichten sie in der Fachzeitschrift Current Biology. Die folgenden zwei evolutionsbiologischen Thesen unterstützen diese Erklärung. KANN AUCH DER KÖRPER MITFÜHLEN? Die Forscher der Medizinischen Hochschule Brighton und Sussex zeigten den Probanden Videoszenen von heißem Tee und Eiswürfeln und haben ihre Reaktionen in Form von Temperaturunterschieden gemessen. Das Ergebnis: Nach der Eiswürfel-Szene zeigten die Probanden einen leichten Temperaturabfall. Die Forscher vermuten deshalb, dass auch physische Gefühle wie Frieren ansteckend sind. Die Studie erschien in der Fachzeitschrift Plos One. „LACHEN IST WIE SOZIALER KLEBSTOFF“ Die Forscher von der University of Porthmouth haben herausgefunden, dass Lachen die Gruppenzugehörigkeit stärkt – und das nicht nur beim Menschen. In ihrer Verhaltensstudie mit Schimpansen haben die Wissenschaftler um Marina Davila-Ross herausgefunden, dass ein Neuling deutlich häufiger mitlacht, als bereits etablierte Gruppenmitglieder. Sie gehen davon aus, dass bereits die gemeinsamen Vorfahren von Mensch und Schimpanse Lachen als Kommunikation genutzt haben. Ihre Ergebnisse haben sie in der Fachzeitschrift Emotion veröffentlicht. In einem Gespräch werde durchschnittlich sechs Mal in zehn Minuten gelacht – das fand die Verhaltensfor- 120 Die sogenannte Affektansteckung zwischen Mutter und Kind ist die Basis scherin Julia Vettin heraus. Der häufigste Lacher sei allerdings nicht das laute „Ha“, sondern das leisere „He-he-he“, das zur Bestätigung ausgedrückt werde. Doch woran erkennt man echtes Lachen? Der Psychologe Guillaume-Benjamin Duchenne erkannte im 19. Jahrhundert: Nicht nur die Mundwinkel sind nach oben gezogen, in den Augenwinkeln sind auch kleine Fältchen zu sehen. Damit beschrieb er das nach ihm benannte Duchenne-Lächeln. Und weil es so schön ist, wird jeden ersten Sonntag im Mai dem Lachen ein ganzer Tag gewidmet! der Gefühlsansteckung. Durch Imitation werden Gefühle und Ausdrücke erlernt. MITGÄHNER SIND EMPATHISCHER ALS NICHT MITGÄHNER Forscher der Universität New York in Albany fanden heraus, dass sich mitgähnende Personen besser in andere hineinversetzen können. Für den Versuch zeigten sie Probanden Videoszenen mit gähnenden Menschen und verglichen die Ergebnisse mit weiteren Tests zu Empathie und Einfühlungsvermögen. Dabei stellten sie fest: Mitgähner konnten sich besser in die Stimmungslage anderer hineinversetzen. Daher vermuten sie, dass Gähnen ein Weg ist, sich unbewusst mit anderen zu verbünden. Das stützt auch die evolutionsbiologische Schmerz, Angst oder Freude - im Grunde kann jedes Gefühl eine ansteckende Wirkung haben. Auch körperliche Reaktionen wie Gähnen oder Frieren lassen sich von Mensch zu Mensch übertragen. Bedingungen wie Mitgefühl, Identifikation und Ähnlichkeit müssen jedoch vorhanden sein, um „Gefühlsansteckung“ zu ermöglichen, darin sind sich die Forscher einig. Wie genau diese Ansteckung von Gefühlen jedoch funktioniert und was während des Vorgangs im Gehirn passiert, ist bisher nicht eindeutig erforscht. Die Schmerzmatrix von Singer legt jedoch nahe, dass im Gehirn eine gewisse Spiegelung stattfindet, indem nicht nur die Hirnareale für Gefühlsbeobachtung aktiv sind, sondern auch jene für tatsächliches Empfinden. Ob Spiegelneuronen daran beteiligt sind, ist unklar. 121 Seele 122 123 Seele Eine Kleinstadt im Ausnahmezustand: Haltern am See war nach der Flugkatastrophe am 24. März 2015 wie gelähmt. Geteiltes Leid Germanwings-Flug 4U9525 stürzt am 24. März 2015 in den Alpen ab. Alle 150 Insassen sterben. Das westfälische Haltern am See erreicht die Nachricht, dass auch sechszehn Schüler und zwei Lehrerinnen von einem Schüleraustausch nicht wiederkehren werden. Unfassbarer Schmerz, der für die Familien kaum zu verkraften ist. In ihrer Trauer sind sie jedoch nicht allein. von Johannes Giewald „WARUM?“: Die unfassbare Katastrophe zu begreifen ist nahezu unmöglich. (Symbolfoto) Hunderte Meter weit entfernt hallt das laute Rufen und Schreien zahlreicher Kinder vom Schulhof. Ein paar Mädchen spielen Fangen zwischen Hecken und Bäumen. „1, 2, 3, los“ rufen sie. Mehrere Jungen laufen im Kreis um eine Tischtennisplatte, schlagen einen Tennisball mit der Hand hin und her. Um die Ecke an der Bushaltestelle steht eine Gruppe Teenager. Sie rauchen. Zwei Lehrer halten Aufsicht und beobachten das wilde Treiben, während sie sich miteinander unterhalten. Große Pause am Joseph-König-Gymnasium in Haltern am See. Der Schulhof gibt an diesem Tag im November kein außergewöhnliches Bild ab. Ein buntes Treiben, wie es jeder aus eigener Schulzeit kennt. Wie es jeden Morgen tausendfach in Deutschland von Schülern und Lehrern erlebt wird. Und doch unterscheidet ein bestimmtes Merkmal diesen Schulhof von anderen Schulhöfen. Von weitem ist es nur eine Tafel aus Metall, die sich durch ihren rostbraunen Farbton von dem grauen Beton im Hintergrund absetzt. Knapp anderthalb Meter hoch und zwei Meter breit. Rechts daneben steht eine ebenso hohe Säule aus dem gleichen Material. Eine weiße Kerze leuchtet an ihrer Spitze hinter Glasscheiben. Davor wurde ein Kiesbett angelegt, Blumen und Kerzen stehen darin. Es sind keine bedeutenden Worte, die in diese Tafel aus rostig braunem Stahl eingelassen sind. Keine tiefsinnigen Zitate. Es stehen achtzehn Namen auf dieser Tafel. Zwei männliche, sechzehn weibliche. Und doch erzählen diese Namen die Geschichte davon, was diese Schule und all seine Schüler und Lehrer am 24. März 2015 und in den Wochen darauf erlebt haben. Und woran sie durch die Tafel auf dem Schulhof jeden Tag erinnert werden. 24. März 2015 „Wir erinnern an“, steht über den achtzehn Namen. „Die durch die Flugzeugkatastrophe am 24.03.2015 aus dem Leben gerissen wurden“, steht 124 125 Seele Auf dem Schulhof wurden 18 Bäume gepflanzt, die an die Verstorbenen erinnern sollen. darunter. Auf diesem Schulhof war an diesem Datum auf einmal alles anders. Auf einmal hallten nicht mehr fröhliche Kinderrufe über das Gelände. Niemand rannte mehr oder spielte miteinander. Auf einmal standen dort, wo sonst Schüler fröhlich nach Schulschluss die Treppenstufen herunter springen, Menschen, die sich in den Armen hielten. Weinende Menschen, Kinder wie Erwachsene. Binnen weniger Stunden baute sich vor dem Haupteingang des Joseph-König-Gymnasiums in Haltern am See ein Meer aus Kerzen auf. Blumen sammelten sich auf den Treppenstufen vor der Eingangstür. Daneben lagen viele Zettel. Einige mit Worten, andere nur mit Namen darauf. Die Nachricht verbreitete sich rasch in der Kleinstadt am Rande des Ruhrgebiets. Von dem Absturz des Germanwings-Fliegers in den französischen Alpen hatten viele schon im Radio gehört oder im Internet gelesen. Doch als bekannt wurde, dass eine Gruppe von sechszehn Schülern und zwei Lehrerinnen des Gymnasiums von einem Austauschprogramm aus Spanien nicht mehr zurückkehren würde, nahm die Botschaft für Haltern eine andere Dimension an und traf die Menschen dort ins Mark. Zuwendung durch Seelsorger Unter die vielen Menschen vor dem Gymnasium in Haltern mischten sich am Tag des Absturzes und in den Tagen darauf einige, die mit lilafarbenen Westen aus der Menge rausstachen. „Notfallseelsorger“ war in Großbuchstaben auf ihrem Rücken zu lesen. Sie standen an diesem und den folgenden Tagen den Menschen in Haltern am See bei. „Von unserer Seite ist das ein Begleiten zu einer Zeit, in der die Menschen sich nicht mehr selber halten können, den Boden unter den Füßen verloren haben, entscheidungsunfähig sind, wahrnehmungseingeschränkt sind“, erzählt Pfarrer Ralf Radix. Er ist der Beauftragte für Notfallseelsorge der evangelischen Kirche von Westfalen und half an dem Tag in Haltern, den Bürgermeister Bodo Klimpel später als „den schwärzesten Tag der Stadtgeschichte“ 126 Ewiges Licht: Tag und Nacht brennt neben der Gedenkwand eine Kerze. bezeichnen wird. Als der Schulleiter Ulrich Wessel den Unterricht nach der sechsten Stunde für alle beendete und die Nachricht vom Absturz sich verbreitete, gingen viele Schüler nicht nach Hause. Andere kamen später wieder zurück und legten Kerzen und Blumen nieder. Und so dauerte es nicht lange, bis der Haupteingang zum Gymnasium zum zentralen Ort der Trauer wurde. Schüler und Menschen aus der Stadt begaben sich zur Schule, um das Unfassbare zu verarbeiten. Als die Notfallseelsorger nach Haltern kamen, standen bereits zahlreiche Menschen vor dem Gymnasium. Die Angehörigen der Verunglückten waren längst da. Von der Öffentlichkeit abgeschottet wurden sie in der Schule betreut. Die Seelsorger leisteten Beistand beim Verarbeiten der Situation. Dasein wichtiger als Worte Die Nachricht vom Tod des eigenen Kindes zu erfahren, sei für die Eltern kaum zu verkraften. Worte hätten in dieser Phase keine große Wirkung, erklärt Ralf Radix. Einfach nur da zu sein, sei wichtiger als Worte und Gespräche. „Notfallseelsorge arbeitet nicht mit Gesprächsmethoden. Um die akuten Belastungsreaktionen zu reduzieren sind andere Dinge wirksamer als ein Gespräch“, sagt der Seelsorger. Trauernde würden die Anwesenheit eines neutralen Menschen, der nicht betroffen ist, als stabilisierend erfahren. Ein kurzer Spaziergang, frische Luft schnappen in Begleitung eines stützenden Menschen. „Dann ist es wichtig, dass die Leute einfach auch erzählen, was passiert ist. Wir fragen an bestimmten Stellen einfach mal nach, so dass sie die Ereignisse wieder in eine Chronologie bekommen“, sagt Radix. Die Trauernden selbst zu Wort kommen lassen sei wirksamer, als auf sie einzureden. Wenn sich die Emotionen aufstauen, können sie gemeinsam mit den Notfallseelsorgern den Druck, der sich sammelt, kontrolliert lösen. Wie ein Ventil. „Wichtig ist für die Betroffenen aber grundsätzlich Klarheit und Wahrheit, statt das Unaussprechliche zu verschweigen, zu verharmlosen“, sagt Radix. 127 Seele Ein Ort des Erinnerns: Blumen und Kerzen stehen vor der Gedenktafel mit den 18 Namen der Opfer. Erst wenn die Menschen angefangen haben, das Geschehene wahrnehmen zu können und mental in der Realität angekommen sind, dann hört die Notfallseelsorge auf und es beginnt der Trauerprozess. „Dann kommt eben der nächste Schritt der Trauerbewältigung: Lernen mit dem Verlust, den sie erlitten haben, über einen längeren Zeitraum zu leben“, erklärt Ralf Radix. Das zu schaffen, sei von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Das Wahrnehmen könne unmittelbar nach der Tatsache schon erfolgen, aber manchmal auch erst nach Jahren - oder nie. „Das Geschehen ist nach wie vor äußerst brutal und grausam. Es hat für die Eltern von seiner Fürchterlichkeit nichts verloren“, sagte Schulleiter Ulrich Wessel der „Halterner Zeitung“ im Oktober. Der Tod eines eigenen Kindes begleite Eltern ein Leben lang, erklärt der Ralf Radix. Die Seelsorger raten Angehörigen, an Trauergruppen teilzunehmen und mit anderen über die eigenen Empfindungen zu reden. In Haltern haben sich die Eltern der verstorbenen Kinder in ihrer Trauer zusammengeschlossen und treffen sich regelmäßig. Ein Ort der Begegnung: Der Eingang zur Schule wurde nach dem Absturz zum Ort der gemeinsamen Verarbeitung des Schrecklichen. Innenstadt herrschte eine Totenstille nach dem Absturz“, erzählt Tobias. Viele Menschen gingen immer wieder zum Eingang des Gymnasiums, hielten inne und gedachten der Opfer. Die Wochen darauf, jeden Tag. „Egal zu welcher Uhrzeit man da vorbeigefahren ist, da standen immer welche“, erinnert sich Sebastian. An jedem der folgenden Tage fanden Trauergottesdienste statt. „Die Liebe bleibt“ stand auf einem Schild, das in diesen Tagen an einer Laterne vor der Kirche lehnte. Schüler und Lehrer des Joseph-König-Gymnasiums hielten einen gemeinsamen Gottesdienst in der Schule ab. Für Kinder und Jugendliche sei der Tod eines Bruders oder einer Schwester, eines Freundes oder eines Mitschülers schwieriger einzuordnen, als für einen Erwachsenen, erklärt Radix. „Es ist etwas Unbekanntes.“ Für kleinere Kinder sei es dadurch schwieriger die Bedeutung zu verstehen, dass jemand nicht mehr da ist. Jugendliche erleben den Tod eines Menschen gefühlsmäßig heftiger, weil bei ihnen das Verhältnis von Verlust vorhanden ist. „Da denken Menschen an uns“ Eine Kleinstadt wie gelähmt Sind die Angehörigen nach wie vor täglich mit dem Schmerz des Verlustes konfrontiert, so ist in das öffentliche Leben in Haltern wieder Normalität eingekehrt. „In der Öffentlichkeit ist der Absturz kaum noch ein Thema“, erzählt eine Einwohnerin, „was aber nicht heißt, dass keiner mehr darüber reden will.“ Vielmehr sei es die Rückkehr zu der Normalität, nach der sich die Menschen in den Wochen nach dem Unglück so sehr gesehnt haben. Normalität, die jedoch aufgrund der Schrecklichkeit der Ereignisse nicht einkehren konnte und an die sich, wie einige meinen, kaum einer getraut habe, zu denken. In Schockstarre sei die Stadt gewesen, so erzählen die Menschen aus Haltern von den Geschehnissen nach dem Flugzeugabsturz. Jeder sei wie gelähmt gewesen. Das öffentliche Leben stand still. Sportveranstaltungen, Jahreshauptversammlungen, Vereinstreffen, alle Termine wurden abgesagt. „In der 128 Viele Menschen drückten in den sozialen Netzwerken ihr Mitgefühl aus. Sie änderten ihr Profilbild, um symbolisch ihre Anteilnahme auszudrücken. Darunter einige, die längst von dort fortgezogen sind. Da wo sonst das eigene Konterfei zu sehen war, war nun eine Kerze mit dem Halterner Stadtwappen zu sehen. „Haltern trauert“ stand auf den Titeln vieler Facebook-Profile. Nicht jeder aus Haltern kannte eines der Opfer. Dennoch machten die Verstorbenen Haltern wie Bindeglieder zu einer gemeinsam trauernden Stadt. In einer durch Vereine und Gemeinschaften vernetzten Kleinstadt, in denen die Kinder und ihre Familien ein Teil sind und waren, sei wirklich jeder betroffen. So erklären es die Menschen aus Haltern. „Das tut den Angehörigen schon gut, zu spüren, da denken Menschen an uns“, sagt Seelsorger Radix. Jeden Tag stand nach dem Absturz mindestens eine Traueranzeige in der Zeitung, in der ein Verein oder eine Organisation um den Tod eines Mitglieds trauert. 129 Seele Zwei der verstorbenen Mädchen wären eigentlich wie im Jahr zuvor im Sommer in ein Ferienlager gefahren. Ihre Plätze wurden frei gelassen, obwohl die Warteliste an Nachrückern voll war. Die Eltern eines der Opfer betreiben ein Gasthaus in einem Vorort von Haltern. Als Gerüchte entstanden, dass er wegen der emotionalen Belastung seine Gastronomie aufgeben wolle, räumte er in der Lokalzeitung damit auf. Am nächsten Tag sei die gesamte Dorfgemeinschaft in seinem Lokal eingekehrt, erzählt ein Halterner. Die schwere Rückkehr zur Normalität Zeichen der Trauer findet man auf dem Weg zum Gymnasium. Es ist schwierig, irgendwann den Schritt zu wagen, das normale Leben wieder Einkehr finden zu lassen. Besonders kontrovers wurde in der Stadt diskutiert, dass Anfang Juni, zweieinhalb Monate nach der Katastrophe, das örtliche Schützenfest stattfinden sollte hat, obwohl einige Tage zuvor die Leichen der Verstorbenen nach Haltern zurückkehrten. An dem Festwochenende wurden jeden Tag Kinder beerdigt. Das Fest wurde dennoch gefeiert, jedoch nicht von allen. Einige sagten, ihnen sei nicht zum Feiern zu Mute gewesen. Andere fanden, es hätte aus Rücksicht auf die Angehörigen gar nicht stattfinden dürfen. Die meisten Schützen aber feierten ihr Schützenfest. „Bei all dem, was Haltern durchgemacht hat, musste das Leben in der Stadt irgendwann wieder seinen normalen Gang gehen“, meint ein Schütze. Die Organisatoren sprachen im Vorfeld mit den Angehörigen und einigten sich mit ihnen, dass das Schützenfest stattfinden sollte, jedoch sollten einige Programmpunkte in der Stadt ausfallen oder verändert durchgeführt werden. Und so begann mit dem Schützenfest wieder so etwas wie Normalität in das Kleinstadtleben zurückzukehren. „Das kollektive Anteilnehmen ist in einem zeitlich begrenzten Rahmen wirklich gut“, findet Seelsorger Radix. Im öffentlichen Leben der Stadt die Katastrophe und die Trauer dauerhaft in den Mittelpunkt zu stellen, sei jedoch falsch. Erinnerung als Teil des Schulalltags Um Normalität im Schulalltag hat sich auch das Joseph-König-Gymnasium bemüht. Vieles hat sich verändert. Die große Tafel, die achtzehn Bäume. Im Innern der Schule hängen Fotos der Verstorbenen. Ein Gedenkraum wurde eingerichtet. Jeden Tag werden Lehrer und Schüler an die Katastrophe erinnert. Die Erinnerung soll bleiben und zum Alltag dazugehören, erklärt die Schule. Ende Oktober kam Bundeskanzlerin Angela Merkel zur Schule in Haltern. Ein Ausdruck der Anteilnahme sollte ihr Besuch sein. Sie sprach mit Eltern, Schülern und Lehrern über das schreckliche Ereignis. Über das Verarbeiten des tragischen Verlustes sagt sie: „Das Leben gestalten kann man nur hier vor Ort gemeinsam, in dem jeder jeden auch wahrnimmt, auf seine Gefühle eingeht und Verständnis hat“. Haltern hat den Weg zum normalen Leben zurückgefunden, ohne damit aufzuhören, sich an die Flugzeugkatastrophe und die Opfer zu erinnern. Das Leben der Familien der Opfer wird der erlittene Verlust noch eine lange Zeit prägen, womöglich für immer. „Die Wunde bleibt“, sagt Ralf Radix, „über Jahrzehnte wird es immer wieder Situationen geben, die einen wieder an den Verlust erinnern. Jahrestage oder Weihnachten. Und dann tut es wieder weh.“ 130 131 Seele Hunde bellen, Katzen miauen, Hühner gackern – und wir? Hinter die Fassade eines Menschen zu blicken, bringt so manchen an seine Grenzen. Tiere aber vermögen es, menschliche Maskeraden zu durchschauen. Mit dieser tierischen Fähigkeit arbeitet Ingrid Stephan. Die Diplom-Sozialpädagogin ist Leiterin des Instituts für soziales Lernen mit Tieren in Lindwedel. 132 Wortlose Menschenkenner von Leonie Gebhard 133 Seele Das Institut Tiere Mitarbeiter Unterstützt wird die Diplom-Pädagogin dabei von zwei Fachleuten, einem technischen Mitarbeiter, zwei Bürokräften, zwei Mitarbeitern für Tierpflege- und Training und einem Gärtner. Angebote Ein Teil des Angebotes ist die mobile Arbeit. Zusammen mit verschiedenen Tierarten besucht Stephan dann Einrichtungen in Hannover und Region und im Heidekreis. Zum Angebot gehören auch sogenannte Kurzzeittherapiewochen für Menschen mit schweren Kommunikationsstörungen. Da werden die Klienten und ihre Familien intensiv betreut. Seit etwa einem Jahr bietet das Institut zusammen mit der Militärseelsorge Familienurlaubswochen für Soldaten mit posttraumatischer Belastungsstörung an. Vor Ort gibt es außerdem eine ergo-therapeutische Praxis. Weiterbildung 134 Im Institut für soziales Lernen mit Tieren arbeitet Leiterin Ingrid Stephan mit insgesamt 65 Tieren. Dazu gehören Pferde, Katzen, Sittiche, Ziegen, Schwäne, Hunde, Kühe, Esel, Hühner, Gänse, Schafe und Minischweine. Pro Jahr betreut Stephan rund 100 Studentinnen und Studenten in vier Kursen, zusammen mit 30 Dozenten aus Praxis und Wissenschaft. Die Studierenden verbringen 15 bis 16 Wochen in der Wedemark. Das Institut bringt außerdem die Zeitschrift „tiergestützte“ für Wissenschaftler und Praktiker aus der tiergestützten Szene heraus. Frau Stephan, wie lange gibt es Ihre Einrichtung bereits? Das Institut habe ich vor etwa 20 Jahren gegründet. Davor habe ich für eine Einrichtung mit meinen eigenen Tieren gearbeitet, dann für einen Verein. In dem Beruf bin ich jetzt seit 24 Jahren tätig, davor war ich Jugendheimleiterin. Da hatte ich aber schon eine Gruppe, mit der ich einmal die Woche ins Tierheim gefahren bin, um Katzen zu zähmen, damit sie eine bessere Vermittlungschance bekommen. Da war das Thema Tiere schon da. Ich hatte auch schon meinen ersten Hund, einfach, weil ich hier in die Wedemark gezogen bin und sich das hier dann angeboten hat. Hat der Hund Sie auch im Beruf schon unterstützen können? Der war in der Arbeit für mich immer wichtig, zum Beispiel mit straffälligen Jugendlichen. Ich komme mit ihnen leichter in Kontakt, wenn ich einen Hund an meiner Seite habe. Sie haben dadurch die Möglichkeit, mich besser einzuschätzen. Sie können dann sehen: „Wenn die so nett mit ihrem Hund ist, dann ist die wahrscheinlich auch ganz okay zu mir.“ Das kann man sonst nicht so erleben: „Wie wird derjenige sein, mit dem ich da jetzt gleich zusammenarbeite, wie ist der Sozialarbeiter, der mich betreut?“ Mit den Tieren kriegen sie das von mir schon mal mit. Wenn Sie eine der Einrichtungen besuchen, wie sieht dann so ein Tag aus? Wir sind drei Stunden vor Ort. Je nachdem, wo wir hinfahren, kommen ausgewählte Tierarten und Tiercharaktere mit. Das sind eigentlich immer Meerschweinchen, Kaninchen und Hühner als Kleintiere, die in einem transportablen Gehege untergebracht werden. Es ist in der Regel immer ein Hund mit dabei und bei den anderen Tieren kommt es darauf an, wo wir hinfahren. Das könnten zum Beispiel ein oder zwei Esel sein oder zwei Schafe, sodass man dann auch eine gewisse Auswahl hat. Zum Konzept gehört diese Arten- 135 Seele vielfalt, weil einfach jede Tierart andere Zugangsmöglichkeiten hat, und es gehört ebenso zum Konzept, dass der Klient das Tier frei wählt, damit eine große Affinität zwischen Klient und Tier herrscht. Sie sprachen von verschiedenen Zugangsmöglichkewiten. Was zeichnet Ihre Tiere da besonders aus? Das ist bei diesen vielen verschiedenen Tierarten natürlich ganz unterschiedlich. Es sind einfach Tiere, die durch meine Mitarbeiter und mich hier auf dem Hof einen sehr achtsamen Umgang erfahren und mit denen man einfach umsichtig umgeht, die den Menschen freundlich kennengelernt haben und somit sehr menschenbezogen sind. Tiere aus dem Tierheim kommen nicht in Frage? Doch, natürlich, wir machen auch ganz viel Biographie-Arbeit. Es gibt im Tierheim wunderbare Tiere, absolute Schätze. Es ist mir völlig klar, dass sich natürlich nicht alle Tiere aus dem Tierheim eignen, dass manche Tiere so belastet sind, dass sie das überfordern würde, was wir da von ihnen erwarten. Aber es gibt auch ganz viele Tiere, die noch so viel Schönes anbieten. Wenn man sieht, dass es eine ähnliche Biographie gibt, der Klient hat vielleicht auch Heimerfahrung gehabt und eine Vergangenheit, die durch Gewalt geprägt war, und das Tier genauso. Dann kommt der Klient in eine positive Versorgerrolle für das Tier und fängt meistens auch an, wieder für sich selbst besser zu sorgen. Das hat schöne Rückkopplungseffekte. Zum anderen kann der Klient auch sehen, dass ein Tier, dem es eigentlich schlecht ging, sich so erholt hat, dass es ein fröhliches Wesen geworden ist. Ihm kann das auch gelingen, es kann einfach wieder einen anderen Lebensabschnitt geben, auch nach einer sehr schwierigen Zeit. 136 Gibt es Tierarten, die besonders geeignet sind? Wenn das Tier den Menschen freundlich kennengelernt hat, wenn es sehr zahm ist und in der Sozialisierungsphase sehr viel kennenlernen durfte, sind erst mal alle Haus- und Nutztierarten großartig für diese Arbeit. Wichtig ist immer, dass der Mensch in der Lage ist, zu sehen, was die angeborenen Talente des Tieres sind, was für Kernkompetenzen es mitbringt und ob man überhaupt einen Arbeitsbereich hat, wo das Tier diese auch zeigen kann. Das ist wichtig. Sonst hat man am Ende die Situation, dass der Border Collie brav am Rollstuhl im Altersheim sitzen soll, obwohl er doch eigentlich gerne eine ganz andere Aufgabe hätte. Würden Sie sagen, dass Tiere Empathie empfinden? Ich bemerke ein hohes Maß an Empathie. Wer ein Tier hat, wird das mit Sicherheit schon erlebt haben. Wenn man sehr niedergeschlagen ist, wenn etwas Trauriges passiert ist, kommt das Tier einfach, setzt sich dazu, bleibt bei einem. Das Tier fragt nicht, das Tier bewertet nicht nach menschlichen Maßstäben. Ich habe ja selbst zwei sehr verschiedene Hunde, beide aus dem Tierschutz. Hannibal ist jetzt elf, die Hündin Linda ist neun und erst seit zwei Jahren bei mir, der ältere Hund seit sechs Jahren. Der hat einen unglaublich fröhlichen Charakter. Er sieht, wenn jemand niedergeschlagen ist. Dann ist er derjenige, der sich nicht nur still dazusetzt, sondern der versucht, das zu ändern. Er ist albern, er schmeißt sich hin, er zeigt ganz viel Aufmunterndes für den Klienten, das ist einfach ansteckend. Hannibal ist eher so der Hund für große Gruppen, er findet es toll, wenn viele Leute da sind. Die Hündin ist etwas ruhiger und arbeitet im Eins-zu-eins-Kontakt super. Für mich ist es schön, zwei verschiedene Charaktere zu haben. 137 Seele Woher kommt diese Verbundenheit zwischen Mensch und Tier? Die Verbindung, mit der Sie arbeiten, geht aber über artgerechte Haltung hinaus, oder? Wie wirkt sich denn der Umgang mit Tieren auf das menschliche Verhalten aus? 138 Wir haben alle eine uns innewohnende Hinwendung zur Natur und allem Lebenden, das besagt die sogenannte Biophilie-Hypothese. Von daher sind wir angelegt auf den Kontakt mit Tieren. Wir haben eine jahrtausendealte Geschichte mit unseren Haus- und Nutztierarten. Deshalb gibt es auch keinen Grund, mit Wildtierarten zu arbeiten. Der Delfin zum Beispiel ist zwar erst mal exklusiv neu für Kinder, aber nachteilig daran ist, dass man zu einer Delfin-Therapie weit fliegen muss. Das ist dann ein einmaliger Input, den man hier nicht fortsetzen kann. Mit Haus- und Nutztieren kann man auch nach einer intensiven Therapie jederzeit weiterarbeiten und diese Tiere kann man hier auch artgerecht halten. Es gibt sogenannte Social Tools, die überhaupt begründen, dass Menschen und Tiere miteinander kommunizieren können, dass sie ähnliche oder identische Gefühle haben. Tiere können uns perfekt lesen. Genauso ist aber der Mensch gefordert, das Ausdrucksverhalten von seinen Tieren kennenzulernen und zu wissen, wie die Sprache der Tiere ist. Wir besprechen zum Beispiel mit unseren Klienten, wie man höflich aufeinander zugeht. Und was sie da lernen, an sozialer Kompetenz, an Respekt, das wird dann auch auf andere Lebensbereiche übertragen. Das ist das Wertvolle für die Lehrer in der Schule oder andere Pädagogen in den Einrichtungen. Mittlerweile gibt es sehr viele Studien, die zeigen, dass und wie Tiere wirken. Zum Beispiel gibt es eine Studie, in der man zwei Gruppen von Jugendlichen miteinander verglichen hat. Die einen sind mit einem Tier aufgewachsen, die anderen nicht. Die, die mit dem Tier aufgewachsen sind, haben von klein auf gelernt, auf mimische, kleine Zeichen zu achten. Sie sind einfach gut in analoger Kommunikation, die kriegen schon bei Kleinigkeiten mit, auch im Umgang mit Kindern oder Gleichaltrigen, ob sich da Stress anbahnt, ob sie sich vielleicht ein bisschen zurücknehmen sollten. Andere Jugendliche bemerken das erheblich später. Genauso gibt es eine Studie, die jetzt bewiesen hat, dass das Glückshormon Oxytocin beim Streicheln eines Tieres ausgeschüttet wird. Man hat es beim Hund erforscht, aber ich denke, das ist absolut übertragbar auf Meerschweinchen oder Katzen. Sind Tiere dann nicht fast die besseren Therapeuten? In der Fachsprache bezeichnen wir Tiere als pädagogische oder therapeutische Begleiter. Die Tiere ersetzen nicht den Therapeuten oder Pädagogen, aber sie unterstützen mich bei meiner Arbeit in bestimmten Situationen. Wie ich schon sagte, sie urteilen nicht nach menschlichen Maßstäben, sie gehen vorurteilsfrei auf jeden Menschen zu, egal, was er für ein Handicap hat. Sie sprechen unsere tiefen Schichten an. Sie erspüren bestimmte Schwingungen, eine bestimmte Atmosphäre. Wie genau kann ein Tier Ihnen die Arbeit erleichtern? Tiere sind ganz oft der Türöffner. Sie schlagen Brücken für mich, um mit Klienten emotional gefärbte Themen anzusprechen. Man hat ja schon oft gehört, dass Hunde bei Befragungen bei der Polizei dabei sind, wenn Klienten zum Thema Missbrauch oder Gewalt befragt werden. Sie erzählen es dann einfach dem Hund in dem Moment. Das fällt viel leichter, als es zum Beispiel dem Bezugsbeamten zu erzählen. 139 Seele Empfehlen Sie Ihren Klienten ein eigenes Haustier? Wenn die ganze Familie das auch wirklich möchte. Das geht nicht aus einer Kopfentscheidung heraus, nur weil man gehört hat, dass das zum Beispiel für autistische Kinder gut ist, ein Tier zu haben, obwohl man selbst keine Tiere mag. Man kann sie nicht instrumentalisieren. Sie gehören zur Familie. Sie sind Partner. Man muss sie inständig mögen und das wollen. Sonst ist es besser, einen mobilen Tierbesuchsdienst zu nehmen und den Kontakt so zu suchen. Aber es muss für die ganze Familie nicht nur in Ordnung sein, dass so ein Tier einzieht. Man muss es wollen, es mögen und sich drauf freuen! Das betrifft die Menschen, die mit Tieren arbeiten, ganz genauso. Wenn ich keine Affinität zu den Tieren habe, wenn ich selbst nicht das Blitzen in den Augen habe und mich die Tiere nicht begeistern, wird das Tier es auch merken. Da ist ja dann wieder das große Plus der Tiere, dass sie den Menschen durchschauen: Wer ist authentisch und wer nicht? Also darf man von den Tieren nichts erwarten, was man nicht selbst mitbringt? Man darf von den Tieren sicherlich etwas erwarten, aber man muss eben auch authentisch sein. Wenn ich zu einem Hund sage: „Ach was bist du denn für ein Süßer!“ und in Wirklichkeit denke „Du blödes Vieh, komm mir nicht zu nahe!“, dann wird der Hund das zweite hören und lesen. Mir erzählen die Tiere ganz viel über die Menschen, die gerade bei uns zu Gast sind. Wenn ein Praktikant zum Beispiel den Esel nicht vorwärts kriegt, schaue ich, warum es immer so schief geht. Warum der Kontakt nicht freundlicher ist. Da nützt es mir nichts, wenn die Praktikantin höflich erzählt, dass sie das doch versucht hat. Da kommt man anfangs sicherlich an seine Grenzen, besonders wenn man so eine höfliche Form des Umgangs auf Basis von Floskeln gewohnt ist und nicht sehr authentisch ist. 140 Sind Tiere dem Menschen empathisch dann nicht überlegen? Ja, wenn man das so nennen möchte. Man kann sich nicht auf der Ebene von Höflichkeiten mit ihnen unterhalten. Sie sind da einfach eine ganze Ecke authentischer und ehrlicher. Das ist ja genau das, was wir in der pädagogischen Arbeit nutzen und was wir dann auch besprechen können. Warum ist der Esel nicht vorwärts gegangen? Weil man vielleicht vorwärts gesagt, aber nicht gemeint hat. Weil man keinen ersten Schritt macht. Wenn man es mit seiner Körpersprache nicht deutlich macht, dann wartet so ein Esel zum Beispiel darauf, dass ein deutliches Kommando kommt. Die Tiere werden darauf reagieren, was die Körpersprache aussagt, und nicht auf das gesprochene Wort. 141 Seele Empathische Momente der Geschichte 9. November 1989 Nach dem Mauerfall in Berlin begrüßen Deutsche Deutsche in der neuen Freiheit. ca. 334 St. Martin von Tours teilt im Winter seinen Mantel mit einem nackten Bettler. Angeblich. 1. Januar 1863 Die Regierung unter Präsident Abraham Lincoln schafft die Sklaverei in den USA ab. Im Gesetz steht, dass „alle Personen, die in einem Staat oder dem bestimmten Teil eines Staates, (...) als Sklaven gehalten werden, fortan und für immer frei sein sollen.“ 1992-1993 Nach Brandanschlägen auf Wohnhäuser von Migranten gehen zehntausende Menschen mit Kerzen auf die Straße und setzen ein Zeichen gegen den rechtsextremen Hass. 1990 - 1994 In Südafrika wird die Apartheid abgeschafft. Die schwarze Bevölkerung erhält Bürgerrechte. 1933 - 1945 Empathie als Missbrauch für Nazi-Propaganda Joseph Goebbels: „Weil wir die Sprache des Volkes sprachen, haben wir das Volk erobert.“ 6. September 1997 2,5 Mrd. Menschen nehmen weltweit an den Fernsehbildschirmen Anteil an der Trauerfeier von Prinzessin Diana, die am 31. August in einem Pariser Tunnel starb. 1939 - 1945 Während des Holocausts in Europa gibt es wenige Menschen, die Juden vor der Verfolgung verstecken. So wie Miep Gies, die 1942-44 der Familie der Anne Frank und anderen Menschen half, unterzutauchen. 2014 - 2015 Willkommenskultur: Hunderte Menschen begrüßen an Bahnhöfen und Grenzübergängen Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen. 26. Juni 1963 „Ich bin ein Berliner“: US-Präsident John F. Kennedy bekundet bei einer Rede in West-Berlin seine Solidarität mit den Menschen der geteilten Stadt. 7. Dezember 1970 Willy Brand geht vor dem Warschauer Ghetto-Ehrenmal in die Knie und drückt damit repräsentativ für alle Deutschen das Mitgefühl für das Leid, das Nazi-Deutschland Polen angetan hat. 142 7. Januar und 13. November 2015 „Je suis Charlie“ und „Nous sommes unis“: Nach Terroranschlägen in Paris drücken Menschen weltweit ihr Mitgefühl aus. 143 Bewegung 144 145 bewegung 146 147 bewegung Der Weg des Kriegers Wie man durch Ninja-Kriegskunst emphatischer wird von DENNIS SCHMITT Es ist Nacht. Ein Straßenzug im Japan des 8. Jahrhunderts. Der Ninja konzentriert sich auf seinen Auftrag. Er soll das Oberhaupt einer mächtigen Familie töten, um seinem Lehnsherrn politische Vorteile zu sichern. Er schleicht durch das Haus, klettert in den Dachstuhl und sucht sich einen Platz direkt über seinem Opfer. Der Ninja platziert einen langen Faden knapp über dem geöffneten Mund des Schlafenden und lässt wenige Tropfen Gift daran hinabrinnen. Mit einem letzten Husten stirbt der Mann in seinem Bett. Auftrag erfüllt. So wie er ins Haus gelangt ist, stielt sich der Attentäter wieder hinaus ins Dunkel. Er setzt weitab vom Haus über eine Mauer und ist verschwunden. Was bleibt, ist eine Leiche und das Rätsel um ihren Tod. Eine Szene wie aus einem Kinofilm oder einem Roman. Das Bild des Westens vom Ninja ist sehr einseitig: „Der mysteriöse Schattenkämpfer aus dem fernen Osten und sein tödliches Geschäft - kalt, skrupellos und effektiv.“ Dabei haben Romantisierung und Wahrheit nur wenig mit einander zu tun. Es wird oft ausgeblendet, dass diese Menschen mehr waren als Hollywood ihnen zugesteht. Die jahrelange Ausbildung bezog sich nicht nur auf das Schleichen und Kämpfen. Die Ninja, auch Shinobi genannt, waren in vielen Disziplinen versiert: Flucht, Tarnung, Heilkunde, Geographie, strategische Planung; aber vor allem waren sie hochgradig empathisch geschult. Es mag paradox klingen, einem der gefährlichsten Elitekämpfer der Zeitgeschichte hochgradige emphatische Kompetenzen zusprechen zu wollen. Und doch ist es so. Kampfkunst und Respekt gehören seit jeher zusammen, wie Tag und Nacht. Denn da wo es Schatten gibt, muss auch immer ein Licht leuchten. 148 Ein Lehrer für Körper und Geist Donnerstagnachmittag in Hannover. Die Luft ist frisch, der Herbst überrascht diesen November mit herrlicher Milde und bestem Wetter. Ein Mittvierziger geht an diesem Tag wie so viele andere auch mit seinem Hund spazieren und genießt die letzten Sonnenstrahlen des Jahres. Sein Name ist Hayong Yun. Der Mann mit asiatischen Wurzeln trägt die Haare kurz geschoren, die dicke Fjällräven-Jacke am Revers etwas geöffnet und die Jeans locker. Er wirkt entspannt und die Nachmittagssonne beleuchtet sein Gesicht, verleiht ihm ein Strahlen. Keiner der Passanten weiß, dass der so unscheinbar wirkende Herr mit der Labradorhündin ein Meister der Ninja-Kampfkünste ist. Er trägt den 10. Dan, also 10 Schwarze Gürtel, im Bujinkan Budo Taijutsu und besitzt jahrzehntelange Kampferfahrungen. Yun studierte schon viele Kampfkünste. Bereits mit zwölf Jahren begann er damit. Taekwondo, Judo, und Jujutsu sind nur einige Beispiele und auch hier errang er bereits diverse Titel und Auszeichnungen. Heute ist der Diplom-Ingenieur Gründer und Leiter des Bujinkan Eiryu Dojo in Hannover. Er unterrichtet Vollzeit eifrige Schüler im Budo Taijutsu, der „zeitlosen Kampfkunst der Ninja“. Viel mehr aber als seine sportlichen Erfolge schätzt der 45-Jährige die Selbsterkenntnis, die er über die Jahre sammeln durfte. „Ich erlebe, dass ich viel friedvoller mit meiner Umwelt umgehen kann. Das ist für mich der Wert der Kampfkunst: du lernst einerseits etwas auf der körperlichen Ebene zu akzeptieren, sei es ein Schlag oder ein Tritt. Du musst erst einmal lernen, nicht einfach nur dagegenzuhalten und sehen, wie man angemessen reagieren kann. Andererseits kann ich das auf mein Inneres übertragen und studieren, was z.B. ein aufkommendes Gefühl von Ärger mit mir macht. Welchem Bedürfnis ist das geschuldet, warum ärgere ich mich? Und das lässt mich insgesamt besser mit meinen Emotionen und denen anderer umgehen.“ 149 bewegung Die drei Schulungsschritte „Für mich ist Empathie in drei Schritte aufgeteilt, die alle nacheinander gegangen werden müssen, um ans Ziel zu kommen“, betont Yun. Der erste Schritt, ein empathisches Gespür in der Kampfkunst zu entwickeln, ist also der Bezug zu sich selbst. Diese spezielle Form der Empathie wird auch Selbstempathie genannt. Hier vermittelt das Training dem Schüler, dass es Situationen gibt, die man erst einmal geschehen lassen muss. Oft ist die erste Reaktion Ernüchterung und ein Teil Machtlosigkeit. Im späteren Verlauf wird die Botschaft aber immer klarer: Beobachten, ohne zu werten. Ergründen, warum ein Gefühl ausgelöst wird. Lernen, wie man damit umgehen kann ohne es zu unterdrücken. Kampfkunst als innere und äußere Schulung. Im Hinblick auf Empathieentwicklung ist dieser Weg nicht sofort erkennbar, für manche sogar widersprüchlich. Kritikern seines Lebensweges begegnet Hayong Yun mit Gelassenheit. „Ich treffe manchmal auf Leute, die einen spirituellen und pazifistischen Lebensstil pflegen und immer nur mit Gleichgesinnten zu tun haben wollen - denen kann ich nur sagen: das Leben ist nicht so! Wir haben täglich mit Gewalt zu tun. Sei es verbale, physische oder psychische Gewalt. Es gibt ständig Konfrontationen. Statt ihnen aus dem Weg zu gehen, bietet Kampfkunst die Möglichkeit, auf eine spezifisch kanalisierte Form der Gewalt konstruktiv zu reagieren.“ Die letzte Ebene ist die der Synchronisation. Sprich: wie kann ich meine Gefühle und die des anderen zusammenführen und eine Win-Win-Situation schaffen? Es geht darum, die entgegengebrachten Emotionen konstruktiv zu nutzen. Und das nicht auf einer manipulativen, sondern einer wertschätzenden Ebene. Der chinesische Philosoph Sunzi schrieb bereits vor 2500 Jahren in seinem Buch „Die Kunst des Krieges“ folgende Lehre: „Wenn du dich und den Feind kennst, brauchst du den Ausgang von hundert Schlachten nicht zu fürchten. Wenn du dich selbst kennst, doch nicht den Feind, wirst du für jeden Sieg, den du erringst, eine Niederlage erleiden. Wenn du weder den Feind noch dich selbst kennst, wirst du in jeder Schlacht unterliegen.“ In dieser Kriegsmetapher steckt ein empathisches Prinzip. Weiß man sich und sein Gegenüber richtig einzuschätzen, kann ein Sieg in Form von erfolgreicher Kommunikation gefeiert werden. Für Yun lautet das Stichwort in verschiedenen Konfliktsituationen: Fremdempathie. „Diese baut sich von der vorherigen Lektion der Selbstempathie auf. Hierbei ist wichtig, darauf zu achten, was für eine Botschaft das Gegenüber sendet. Was möchte es mir sagen? Und welche Signale sendet es? Passen diese Signale zur Botschaft und deute ich diese richtig? Auch hier soll wieder möglichst wertfrei beobachtet werden. In der Kampfkunst bildet ein haptisches Feedback einen weiteren Lernfaktor. Passe ich nicht auf und achte nicht auf die kleinen Zeichen des Gegners, werde ich getroffen“. „Bei jeder Interaktion mit anderen muss ich beobachten - eine Art entspannte Achtsamkeit verwirklichen. Denn Gestik und Mimik verraten mir schnell, ob die verbale Botschaft ernst gemeint ist oder nicht.“, meint Yun. Für ihn fängt Zuhören auf der non-verbalen Ebene an und erst in zweiter Instanz geht es um das Gesagte an sich. „Und das trainiert die Kampfkunst sehr, sehr gut: du lernst das Unterscheiden von Täuschung und Realität. Denn dazu gehört ein vorurteilsfreier Geist.“ Bei dieser Aussage wirkt der Meister sehr überzeugt. Er spricht die Lehre locker aus, ist sich über deren Kern jedoch genau bewusst. „Ein hoher Baum bricht, eine Weide gibt nach“ heißt ein japanisches Sprichwort. 150 151 bewegung „Don´t push the river, …“ „Eine tiefere Ebene jenseits von Empathie“ „… it flows by itself!“, sagte einst George Tabori. Und auch dieser Satz trifft auf die Geistesschulung im Budo Taijutsu zu. Gemeint ist die Entwicklung nicht zwanghaft beschleunigen zu können, da sie ihr eigenes Tempo besitzt. Vertrauensperson in Entwicklungsfragen ist in der Kampfkunst, anders als in der alltäglichen Entwicklung, der Trainer. Er hat durch seine jahrelangen Erfahrungen mit eben seinem eigenen Trainer ein Auge für die Stärken und Schwächen der Schüler. Sein Wort hat das größte Gewicht und holt den Lehrling oft zurück auf den Boden der Tatsachen. Und genau dieser Aspekt macht die Kampfkunst zu solch einer guten Lehrinstitution: ein unabhängiger Blick über die Schulter ermöglicht ein direktes und klares Feedback. Das Lob oder die Maßregelung zu verinnerlichen und daran zu wachsen, stellt somit den wahren Schatz des Trainings dar. Wo die asiatische Lebensweise also von Bescheidenheit und kontinuierlicher Entwicklung geprägt ist, setzt der Westen andere Maßstäbe. Für Hayong Yun ist diese andersartige Geisteshaltung an eine Kriegsmetapher geknüpft: „Mit der Einführung der Feuerwaffe in Europa wurden die Schwertkünste dort abgelöst. Das hat den Grund, dass es nun ein probateres Mittel in der Kriegsführung gab. Der Westen ist da sehr pragmatisch. Der asiatische Geist hingegen war gar nicht in diesem Maße interessiert. Man erkannte vielmehr ein bestimmtes Prinzip. Und zwar die Wechselwirkung des Handelns auf äußerer und innerer Ebene. Und das hatte einen höheren Stellenwert als bloße Effektivität und konnte somit bis heute perfektioniert werden.“ Im Japanischen ist diese Erkenntnis bereits so alt wie die Sprache an sich. Graduiert der Schüler seinen ersten schwarzen Gurt, ein Zeichen für Fortgeschrittene, erhält er den Titel „Shodan“. Das Wort setzt sich aus den Worten „Sho“ für „Anfang“ und „Dan“ für „Stufe“ zusammen. Was für Außenstehende nach einem formvollendeten Meister aussieht und jahrelange harte Arbeit voraussetzt, ist in Wirklichkeit lediglich der Status des „Anfängerstufe“. Besonders zur Geltung kommt diese Lehre, wenn man schaut wohin die Graduierungstreppe führt. Der letzte Auszeichnungsstufe im Budo Taijutsu ist der 15. Dan. In der Spanne vom 11. bis zum 15. Schwarzgurt bewegt sich der Trainierende auf der Ebene „Dan Jin“. Im Japanischen wird „Jin“ übersetzt als „Mensch“. 152 So sehr die asiatische Kampfkunst den Spagat zwischen körperlicher und geistiger Schulung auch vollführt, hat auch sie, genau wie die Empathie, ihre Grenzen. Denn weder das eine, noch das andere Feld garantieren, dass wir uns emotional nicht doch manchmal hinreißen lassen und alles Gelernte für einen Augenblick vergessen. Yun sieht die Grenzen beider Bereiche auf der Bedürfnisebene. „Gefühle und Körper sind nur Teilaspekte unseres Daseins. Und auch Empathie bildet lediglich ein Medium, mit dem ich Gefühle wahrnehmen und richtig einordnen kann. Eine Stufe tiefer liegt die seelische Ebene. Auf ihr spiegeln sich die verschieden starken Ausprägungen unserer Bedürfnisse wider und diese gehen weit über die Empathie hinaus. So ist es auch in körperlicher Hinsicht: greift mich jemand an, wird gleichzeitig der Überlebensinstinkt aktiv. Es ist nie vorauszusehen, was geschehen wird. Danach kann man das Ganze wieder versuchen zu ergründen, aber erst einmal sind andere Faktoren wichtig. Und das ist insofern legitim, als das ich für jede Situation eben andere Bewältigungsstrategien anwenden muss, um daraus erfolgreich hervorzugehen. 153 Hayong Yun, Leiter des Bujinkan Eiryu Dojo in Hannover Den Panzer auflösen An diesem Punkt wird klar: weder Empathie noch Kampfkunst für sich bilden die Universalmittel eines erfolgreichen Lebensweges. Die Kombination verschiedener charakterstärkender Erfahrungen, wie z.B. das Budo Taijutsu und die somit gesteigerte empathische Kompetenz, machen das Leben leichter und bieten Halt in angespannten Situationen jeglicher Art. „Im Laufe unseres Lebens stoßen wir auf viele Blockaden, werden verletzt und verwundet. Wir fangen also an uns zu schützen und bauen eine Art inneren Panzer auf. Und ein Aspekt der Kampfkunst ist es, diesen Panzer wieder aufzulösen, um zu unserer Ursprünglichkeit zurückzufinden. Von daher glaube ich, dass die Kampfkunst uns auf ganz natürliche Weise lehren kann, uns zu entwickeln.“ Der große Kernaspekt, den der Westen vom Osten lernen kann und bis heute Bestand hat, ist, dass der Mensch sein ganzes Leben dazulernt und nie damit fertig ist. Wie sieht nun das anfangs gezeichnete Bild der Ninja des 8. Jahrhunderts aus? So wie auch heute mehrere Steinchen zusammenkommen müssen, um ein großes Mosaik zu ergeben, war es auch früher im feudalen Japan. Die Ninja waren nur so gut, wie ihr Wissensstand und ihre Fähigkeiten. Bei aller Kaltblütigkeit, die sie in ihrem Handwerk an den Tag legten, so waren es doch nur Menschen mit antrainierten Fähigkeiten. Ausgebildet für den Kampf, geschult in sozialer Kompetenz. Eine erfolgsversprechende Wechselbeziehung, die sie so einzigartig in der Zeitgeschichte macht - und die bis heute Bestand hat. In der Satzung des Dojos von Hayong Yun ist eine Textzeile hervorgehoben, die den Schülern ein Leitstern auf ihrem Weg sein soll: „Im Wissen zum Frieden liegt das Geheimnis des Taijutsu. Das zu lernen ist der Weg zu Fudoshin.“ Der Begriff „Fudoshin“ wird als „unbewegtes Herz“ übersetzt. Dabei ist er jedoch nicht gleichbedeutend mit fehlender Anteilnahme. Vielmehr geht es um Lebensbejahung und bildet in seiner Vollendung den Ausdruck einer vorurteilsfreien Liebe für das Leben. Dieses Wort hat die Jahrhunderte überdauert. Und auch seine Bedeutung ist heute noch genauso wichtig wie damals. Für einen friedlicheren Umgang mit sich selbst und seiner Umwelt. Dafür steht Bujinkan Budo Taijutsu. 154 Alle denken nur darüber nach, wie man die Menschheit ändern könnte, doch niemand denkt daran, sich selbst zu ändern. Leo Nikolajewitsch Graf Tolstoi bewegung Integration in Braunschweig: 156 Als Team in die neue Heimat 157 bewegung Leben gerufen wurde. Es bezieht Fördermittel von der Bundesligastiftung und dem Bundesamt für Migration, Flüchtlinge und Integration. Klubs aus der Bundesliga oder dem Unterhaus kooperieren hierbei mit lokalen Bildungsträgern, Bürgerinitiativen und Amateurvereinen. Nach dem FSV Mainz und Hertha BSC ist Eintracht Braunschweig zum Projektstart der dritte Profiverein, der sich in einem Willkommensbündnis für Flüchtlinge einsetzt. Ziel ist die erleichterte Integration der jungen Flüchtlinge in Deutschland mit Hilfe vom Fußball. Miriam Herzberg, Leiterin Medien und Kommunikation von Eintracht Braunschweig, erläutert: „Das Projekt „Willkommen im Fußball“ ist für zwei Jahre mit einer bestimmten Summe ausgeschrieben. Wir haben den Antrag auf Fördergelder gestellt, übernehmen dafür aber die komplette Organisation und finanzieren etwa die Trainingsutensilien für die Jugendlichen oder den Trainer.“ Es gibt sie auch im Profifußball: Vereine, die sich um Menschen kümmern und somit ihre gesellschaftliche Verantwortung annehmen. Eintracht Braunschweig zum Beispiel. Der Zweitliga-Club hat jüngst ein Projekt auf den Weg gebracht und engagiert sich stark für minderjährige, unbegleitete Flüchtlinge in der Region Braunschweig. von Torben Ritzinger Der Startschuss für das Willkommensbündnis für Flüchtlinge fällt an einem nasskalten Oktobertag in der Braunschweiger Weststadt. Genauer gesagt auf dem Sportplatz des VfB Rot-Weiß 04. Aus der Umkleidekabine ertönen lachende Stimmen von Jugendlichen. Doch hier beginnt keine Trainingseinheit der Jugendabteilung vom VfB Rot-Weiß. Denn die jungen Fußballer erscheinen nach und nach in gelb-blauem Outfit mit Löwenemblem auf der Brust – Eintracht Braunschweig. Kaum sind ein paar von ihnen auf dem Platz, wird der Ballsack entleert. Zwar steht der ein oder andere noch etwas unsicher mit den Händen in den Taschen auf dem Rasen, doch kicken will hier jeder. Bunt durcheinander auf dem Platz verteilt wird sich warmgespielt. Und bunt ist das Stichwort. Die Jugendlichen kommen nämlich von überall her, nur nicht aus Deutschland. Doch egal ob von der Elfenbeinküste, aus Syrien oder Bangladesch: Hier sind sie alle gleich.„Jungs die Fußball spielen wollen“, wie es der Trainer Murat Korkmaz treffend formuliert. Einer von ihnen ist Mohamad Saboori. Er kam vor einigen Wochen aus Afghanistan nach Braunschweig und fühlt sich bereits pudelwohl. In einer Mischung aus Deutsch und Englisch mit bemerkenswert vielen Vokabeln aus der neuen deutschen Sprache sagt er: „Ich möchte in Braunschweig bleiben.“ Er habe zwar noch nie in seiner alten Heimat gekickt, doch sagt er: „I enjoy it to play“. Das Willkommensbündnis für Flüchtlinge in Braunschweig ist Teil des Konzepts „Willkommen im Fußball“, welches von der Kinder- und Jugendstiftung ins 158 Training ist zweimal in der Woche. Derzeit tummeln sich meist zwischen zwanzig und dreißig fußballbegeisterte Teenager auf dem Feld. Der erfahrene Coach Murat Korkmaz leitet die Übungseinheiten. Und die sind besonders: Neben dem klassischen Aufwärmen oder dem Torschuss gibt es auch Übungen zum Sprachverständnis. Der Trainer erklärt: „Ich probiere, auch sprachliche Bausteine einzubauen. Felder nach Farben oder Zahlen, wo sie hinlaufen müssen. Elemente, wo sie die deutsche Sprache einfach anwenden müssen.“ Dass sich die fußballerischen Fähigkeiten der 13 bis 17-Jährigen stark unterscheiden, spielt keine Rolle. „Einige haben aber bereits in der Heimat öfters gekickt“, weiß Korkmaz. Nach gut einer Stunde gibt es das obligatorische Trainingsspiel. Als der Ball nach zwei schönen Pässen im Angriffsdrittel bei einem schmächtigen Jungen aus Eritrea landet, fackelt er nach einer Körpertäuschung nicht lange und drischt den Ball aufs Tor. Der machtlose Torhüter kann nur noch den Ball aus den Maschen holen. Laut jubelnd stürmen seine Teamkollegen auf den Torschützen zu – der 1:1-Ausgleich. Fast wie einstudiert. Zwei Monate später. Inzwischen hat das Training bei Dutzenden der jungen Flüchtlinge einen festen Platz im Alltag. Und der ist abseits vom Fußball anspruchsvoll. Murat Korkmaz sagt: „Schule, Sprachförderung, die Vermittlung der europäischen Werte: Wie verhalte ich mich im Alltag, was bedeutet welches Handeln von uns Deutschen und wie kann ich das einschätzen.“ Die Stadt Braunschweig als Bündnispartner engagiert sich. Sie öffnet den jungen Fußballern viele Türen, um sich in der Löwenstadt wohlzufühlen – genauso wie natürlich allen der knapp 250 minderjährigen Flüchtlinge die in der Stadt und dem Umland derzeit leben. Marc Arnold, Teammanager der Profis, ist zuversichtlich: „Wir leben jeden Tag vor, dass es möglich ist, Menschen mit unterschiedlicher Herkunft zusammenzubringen und sie zu einer Einheit zu formen. Mit unserem Engagement für Flüchtlinge hoffen wir, ein Stück weit als Vorbilder aufzutreten.“ Initiative Eintracht-Stiftung Das Fußballtraining mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen die in Braunschweig aufgenommen wurden, ist als Projekt initiiert von der Eintracht Braunschweig-Stiftung. Die zugehörigen Gremien nahmen am 22. September 2015 ihre Arbeit auf. Schwerpunkt ist die Unterstützung und Förderung von Kindern und Jugendlichen im Braunschweiger Land. „Wir verankern mit der Stiftung unser jahrelanges gesellschaftlich-soziales Engagement“, sagt Miriam Herzberg. Die Leiterin der Vereinsabteilung Medien und Kommunikation übernimmt gemeinsam mit BTSV-Vizepräsident Rainer Cech und Geschäftsführer Soeren Oliver Voigt die Vorstandsarbeit. Die gesellschaftliche Verankerung der Stiftung zeigt sich im Kuratorium: Hier sind neben Eintracht-Präsident Sebastian Ebel auch Rüdiger Becker (Direktor und Vorstandsvorsitzender Evangelische Stiftung NeuErkerode), Rifat Fersahoglu-Weber (Vorstandsvorsitzender Arbeiterwohlfahrt Bezirksverband Braunschweig e.V.), Dr. Andrea Hanke (Dezernentin für Soziales, Schule, Gesundheit und Jugend der Stadt Braunschweig) und Dr. Regina Olshausen (Vorsitzende Deutscher Kinderschutzbund, Ortsverband Braunschweig e.V.) tätig. Um den widrigen deutschen Witterungsbedingungen in den Wintermonaten aus dem Weg zu gehen, rollt der Ball für die Weltbürger zweimal wöchentlich in einer angemieteten Soccerhalle. Aufgrund der vielen Akteure teilt Trainer Murat Korkmaz die jungen Fußballer meist in Mini-Teams – heute in fünf fünfköpfige – ein. Schon rollt der Ball auf dem Kunstrasen, der für alle ebenso neu ist wie ein geregelter Alltag mit Verpflichtungen. „Ich glaube, dass ist ein ganz wichtiger Punkt, dass an bestimmten Tagen zu bestimmten Zeiten etwas stattfindet. Die meisten kennen das nicht. Das war anfangs ein ziemliches Gewusel, weil viele später gekommen sind.“ 159 bewegung Weltbürger im Team Der Ball läuft gut durch die Reihen. Egoistische Alleingänge, die gerade für technisch starke Spieler in der Halle durchaus Charme besitzen, sind kaum zu sehen. Michael aus der Elfenbeinküste – erst zwei Wochen in Braunschweig – ist sich trotz des Miteinanders der verschiedensten Kulturen sicher: „They are my friends“. Während des Spiels sehe man Fortschritte, meint der Coach. Anfangs hätten einige der Jugendlichen einfach unangekündigt das Spielfeld verlassen, um beispielsweise etwas zu trinken. Jetzt werfen sich alle mit Feuereifer in die Zweikämpfe und wissen, dass ein Spiel eine vorgegebene Länge hat. Als plötzlich ein Ball von einer anderen Fußballtruppe auf dem Deckennetz des Spielfeldes landet, ruft Korkmaz zwar: „Jackie Chan, it is your time!“ Doch der asiatische Junge hätte wohl auch ohne den Zuruf weitergespielt. „Das mussten sie lernen. Am Anfang musste ich da sehr viel nachsteuern“, so Korkmaz. Der türkischstämmige Jugendtrainer wurde ganz bewusst für das Training der minderjährigen Flüchtlinge ausgewählt. Schließlich beherrscht er neben Deutsch und Türkisch auch die Hauptkommunikationsplattform Englisch fließend. „Inzwischen haben wir in diesem Pulk von Menschen einige, die schon sehr gut Deutsch können. Die etwa in die Stadt gehen könnten um sich etwas zu kaufen oder um sich frei zu bewegen. Und die übersetzen dann auf Arabisch oder Französisch. Und wenn der eine eben etwas besser kann, dann bringt er sich ein, um dem anderen zu Helfen.“ Die Hoffnung beim langjährigen Trainer ist groß, dass der Fußball den Start in ein neues Leben in der Region Braunschweig erleichtert: „Deswegen ist das Training immens wichtig. Damit der ein oder andere den Schritt in einen Verein mit regulärem Trainingsbetrieb schafft. Dann heißt es, sie dort vernünftig zu integrieren, damit sie auch ihre Anknüpfungspunkte im Alltag haben.“ Dass es funktionieren kann, zeigt sich schon in Ansätzen beim Hallentraining. Als vier deutsche Jungs in ähnlichem Alter für ein Schulprojekt einen kleinen Film über das Flüchtlingsteam drehen wollen, ermöglicht es Korkmaz ihnen, sich in den Turniermodus einzugliedern. Und zwar nicht als eigenständige Mannschaft, sondern jeder in einem anderen Mini-Team. 160 Und die Verknüpfung mit Eintracht Braunschweig? Die anfangs gespendete Vereinsausrüstung und die finanzielle Realisierung über die Stiftung ist nicht alles. Auch mit den Profis gibt es Berührungspunkte. „Wir laden sie im April gegen Duisburg ins Stadion ein. Sodass sie sich hier auch mal ein Heimspiel von uns angucken können“, verrät Miriam Herzberg bereits erste Planungen. Auch der umgekehrte Besuch fand schon statt: Der bosnische Ersatztorwart Jasmin Fejzic, der selber einen Flüchtlingshintergrund hat und vor dem Bosnienkrieg floh, war Augenzeuge einer Trainingseinheit. Weitere Besuche anderer Spieler sind angedacht. Im Optimalfall entdecken die Teenager so neue Vorbilder - unabhängig davon, ob sie es tatsächlich in den bezahlten Fußball schaffen. Miriam Herzberg sagt: „Einige von den Jugendlichen trainieren bereits regelmäßig bei Rot-Weiß mit. In Mannschaften, die im gewohnten Trainingsbetrieb sind.“ Erste Integration über den Sport hat also schon funktioniert. Etwas träumerischer sieht es Eintracht-Fan Holger Thönessen: „Wenn es die Eintracht langfristig schlau anstellt, hat sie eventuell gar etwas von der Aktion - wobei es dabei natürlich nicht in erster Linie darum geht, den syrischen Flüchtlingsjungen zum Torjäger von übermorgen zu machen. Allerdings wäre das auch eine schöne Geschichte…!“ Tatsächlich aber ist der Gedanke des Willkommensbündnisses aus Vereinssicht komplett uneigennützig. Das bekräftigt Miriam Herzberg: „Wir machen das definitiv nicht, um unseren Nachwuchs zu rekrutieren. Es geht darum, die Jungs in der Stadt zu integrieren und in den Amateurvereinen.“ Aufgrund der Regularien sei die Aufnahme bei der Eintracht auch schwierig, so die Öffentlichkeitsarbeiterin. Trotzdem bietet der Verein seine Hilfe zur Integration auch neben dem Organisatorischen an: „Wenn jemand etwa gerne Trainer werden will, begleitet er unsere Coaches dann vielleicht mal mit. Oder er macht eine Ausbildung im Fanshop.“ Doch hauptsächlich gehe es darum, den Jugendlichen ein Stück weit den Alltag zu erleichtern und ihnen die Möglichkeit zu geben, sich sportlich auszutoben. Momentan klappt das bestens. Auch bezüglich des syrischen Torjägers würde wohl zarte Hoffnung beim BTSV-Fan keimen. Denn Tore fallen beim Turnier in der Soccerhalle reichlich. Sie sind dankbar für die Abwechslung und die sportliche Betätigung. Konflikte gibt es keine. Egal, ob der Syrer mit dem Kurden spielt oder der Junge von der Elfenbeinküste mit dem Afghanen. Auf dem Platz sind alle gleich – fußballbegeisterte Teenager. „Mir ist unheimlich positiv aufgefallen, dass eine sehr große Dankbarkeit und Demut bei den Jungs vorhanden ist“, hat Korkmaz schon bei den ersten Trainingseinheiten im Frühherbst erkannt. Erfolgsfaktor Nachhaltigkeit? Nicht nur das Training, auch Schule oder Sprachförderung sind positiv stimmende Signale. Doch befindet sich das Vorzeigeprojekt tatsächlich auf dem optimalen Weg für die Zukunft? In diesem Punkt ist derzeit noch einiges offen. Marc Arnold formuliert die Perspektive des Ganzen derzeit so: „Das Projekt ist auf 24 Monate angelegt. Wenn es uns weiterhin gelingt, Spaß zu vermitteln und die Jugendlichen in die Vereine zu integrieren, dann sind wir meiner Meinung nach auf dem richtigen Weg.“ Miriam Herzberg spricht eine vereinsorganisierte Informationsveranstaltung an: „Gemeinsam mit dem NFV (Niedersächsicher Fußballverband) erläutern wir Vertretern von kleineren Vereinen, wie es für Amateurvereine möglich ist, Flüchtlinge zu integrieren. Was das Thema Spielerpass oder Versicherung angeht beispielsweise.“ Doch das Geschäft Profifußball bleibtHauptaufgabenfeld des Vereins Eintracht Braunschweig. Kann dann wirklich Empathie für Flüchtlinge dauerhaft vorgelebt werden? „In unserem Vereinsleitbild steht auch das Thema Völkerverständigung mit drin. Es ist für uns wichtig, Toleranz, Vielfalt und Respekt zu fördern und zu leben“, erwähnt Miriam Herzberg die sozial ausgerichtete Vereinsphilosophie. Gemeinsam mit den Kooperationspartnern in der Eintracht-Braunschweig-Stiftung hätte der Verein laut der Medien und Kommunikationschefin das Projekt ein halbes Jahr vorbereitet. „Wir haben seit Anfang des Jahres Sachen für die Flüchtlinge organisiert, wie Geld und Schuhe an die Landesaufnahmebehörde gespendet, sodass da ganz klar ist, dass Empathie ein Grund ist, in dem Bereich tätig zu werden“, sagt Miriam Herzberg. Zwar unterstützt die Stiftung Kinder und Jugendliche in der Region Braunschweig generell, nicht nur Flüchtlinge. Trotzdem hat das Willkommensbündnis eine herausragende Position für den Verein und die Stadt. Die Braunschweiger Sozialdezernentin Dr. Andrea Hanke sagt: „Das Engagement der Eintracht Braunschweig Stiftung ist ein Signal an die jungen Menschen. Sportliche Aktivitäten helfen, dass sie in unserer Stadt ankommen und sich integriert fühlen 161 bewegung – das gilt insbesondere, wenn sie unsere Sprache noch nicht gut beherrschen.“ Und auch Eintracht-Fan Holger Thönessen meint: „Der Verein in der Stadt hat sicher eine besondere Verantwortung, der er sich bewusst ist. Wenn sie Gutes tun und darüber reden, gehört das zu ihrer Vorbildfunktion, die sie ja annehmen, dazu.“ Gleichwohl dürfe man solche Aktionen auch kritisch hinterfragen, fügt er an. Die große Strahlkraft des Willkommensbündnis untermauert die Aussage von Ralf Schultze, Sachgebietsleiter Sozialdienst in der Landesaufnahmebehörde Braunschweig. Er hat täglich mit geflüchteten Menschen und ihren Problemen zu tun. „Fußballspielen ist für unsere Flüchtlinge die beliebteste Freizeitbeschäftigung, um für kurze Zeit das Erlebte im Heimatland und die Flucht zu vergessen“, behauptet er. Fußball, Alltag und ein neues Zuhause „In den ersten zwei, drei Trainingseinheiten im Herbst hatte ich schon das Gefühl, dass der ein oder andere mental noch nicht so weit war, um auf dem Platz zu stehen“, so Kokmaz. Denn gezwungen wird keiner, beim wöchentlichen Fußballtraining dabei zu sein. Dennoch nimmt die Teilnehmerzahl tendenziell weiter zu. Gerade auch für diejenigen, die erst in den letzten Wochen in Braunschweig angekommen sind, helfe das Training, zur schnelleren Eingewöhnung in der Stadt. „Sie lachen viel mehr als wenn man sie in ihren Heimen lässt. Das ist auch das Feedback, das ich von den Therapeuten erhalte“, fügt Korkmaz an. Die drei Wochenstunden Fußball seien zum festen Anker geworden, der ihnen helfe, über schlimme Erlebnisse hinwegzukommen. Die Jugendlichen sollen nach derzeitigen Planungen der Stadt Braunschweig und dem zugehörigen Fachbereich Kinder, Jugend und Familie alle dauerhaft in der Region bleiben. Martina Müller aus dem Dezernat: „Zumindest bis zum 18. Lebensjahr und darüber hinaus bis zum Ende einer Erziehungshilfe.“ Werde das Asylverfahren positiv entschieden, dann auch dauerhaft. Jugendliche ohne Asylstatus in Ausbildung, die sich gut integrieren, werden zunächst geduldet. Der Start in ein neues Leben erfolgt für die Teenager aus etwa 20 Nationen in mehreren im Stadtgebiet verteilten Unterkünften der betreuenden Einrichtungen Remenhof-Stiftung, Kinder und Jugendhilfe St. Nikolaus, dem Verbund 162 Sozialtherapeutische Einrichtungen (VSE) und der Arbeiterwohlfahrt (AWO). Auch bei den Trainingseinheiten sind Betreuer anwesend. Diese übernehmen auch die Vormundschaft für viele der jungen Menschen. Beim Hallentraining Ende des Jahres sind beispielsweise eine Frau und ein Mann der Kinder und Jugendstiftung St.Nikolaus als Zuschauer dort. Bei Fragen oder Problemen haben die Jugendlichen also einen Ansprechpartner abseits vom Trainer vor Ort. Murat Korkmaz ist für einige der Weltbürger durch die Art seines Coachings in freundlichem Ton und seine Offenheit für Dinge abseits vom Spielfeld bereits eine Vertrauensperson: „Der ein oder andere hat mich schon privat angeschrieben und gefragt, bei welchem Verein er anfangen könnte. Da passiert schon einiges. Schreitet die Integration mit diesem Tempo fort, ist der Trainer optimistisch: „Ich denke spätestens nächste Saison werden wir die meisten im regulären Spielbetrieb und Mannschaftsumfeld wieder finden, da bin ich sehr, sehr sicher.“ Die nötige Empathie bringt er seinen Schützlingen entgegen und glaubt an den Verein: Ich finde es bemerkenswert, dass ein Verein, der im Tagesgeschäfts Profifußball schon sehr viel zu tun hat, die Aufgabe noch dazu genommen hat, den sozialen Part zu unterstützen.“ Deshalb glaubt er auch an den schnellen Erfolg: „In ein zwei Jahren werden wir ganz klar sehen, dass die Jungs eben nicht auf der Straße rumlungern und irgendeinen Blödsinn machen, sondern viel besser und leichter zu integrieren sind über den Fußball.“ Vor dem letzten Mannschaftswechsel des Turnieres zieht Murat Korkmaz ein Fazit: „Mit Empathie, Sensibilität und einer gesunden Basis hat die Arbeit viel zu tun. Natürlich ist es anstrengender mit den Jungs zu trainieren weil ich mich intensiver als bei einem deutschen Jugendteam mit den einzelnen Persönlichkeiten beschäftigen muss. Ein Dreizehnjähriger der gerade aus der Elfenbeinküste hergekommen ist, tickt natürlich komplett anders als ein Siebzehnjähriger aus dem Balkangebiet. Aber im Grunde sind es nur Jungs, die dankbar sind, sich auf dem Platz zu präsentieren.“ Und auch als die 90 Minuten am heutigen Abend in der Halle beendet sind, bleibt es beim harmonischen Miteinander. In der Kabine wird getobt und gegrölt, ganz wie bei einem monatelang zusammenspielenden Jugendteam. Ein Selfie hier, ein Selfie dort – und zum Schluss ein Mannschaftsfoto. In Kleingruppen verlassen die neuen Braunschweiger Weltbürger nach und nach die Soccerhalle. In der kalten, dunklen und unbekannten Abendluft braucht keiner alleine zu sein. Kommentar Auf den ersten Blick passen Fußball und Empathie wohl so gut zusammen wie eine Fanfreundschaft zwischen Borussia Dortmund und dem FC Schalke. Denn im knallharten Profizirkus geht es um eines: größtmöglichen Kommerz. Die Bundesliga scheint immun gegenüber empathischen Hilfsmaßnahmen zu sein. Zuletzt glich die Kampagne der „Bild“-Zeitung mit Trikotwerbung unter dem Namen „Ein Herz für Flüchtlinge“ nur einem: PR. Doch auf den zweiten Blick tut sich einiges. Eintracht Braunschweig steht als Profiklub stellvertretend für zahlreiche kleinere Vereine, die Flüchtlinge in ihre Vereinsstrukturen aufnehmen und in ihren Jugend- und Seniorenmannschaften integrieren. Der ambitionierte Zweitligist zeigt, dass der Verein eine kräftige soziale Ader und dementsprechende öffentlichkeitswirksame Verantwortung in der Region hat, an der sich weitere Amateurklubs orientieren können, was letzlich das entscheidende Ziel ist. Das Willkommensbündnis für Flüchtlinge ist auf einem guten Weg, unseren neuen Mitbürgern die Integration in einem unbekannten und in der Alltagskultur völlig unterschiedlichen Land zu erleichtern. Denn im global populären Fußball entscheidet die Teamfähigkeit über Sieg oder Niederlage. Sprache oder Herkunft spielen kaum eine Rolle. Bei jeder Trainingseinheit – ob draußen oder in der Halle – spürt man eine unglaubliche Freude. Das Strahlen in den Gesichtern ist unverkennbar. „Es ist eine riesen Demut und ganz große Dankbarkeit von den Jungs.“ Diese Aussage vom Coach Murat Korkmaz lässt hoffen, dass diese positive Stimmung auch im (Schul)alltag Früchte trägt. Und da ist dank der Kooperation von dem BTSV mit der Stadt und seinen sozialen Einrichtungen vieles möglich. Denn die Weltbürger sollen und wollen in der Löwenstadt heimisch werden. Dass der Fußball dafür genau richtig ist, zeigt sich bereits nach wenigen Monaten: Die ersten Teenager integrieren sich in deutschen Jugendmannschaften. Und finden so neue Freunde – haben somit eine neue Heimat, in der sie sich wohl fühlen. 163 Impressum UND DAS SIND WIR. Natürliche Fähigkeiten sind wie natürliche Pflanzen: sie benötigen Kompetenten Schnitt durch Studie. Arnold Jacob Auerbach Dennis Schmitt, Nico Dodoo, Arne Böwig, Torben Ritzinger, Mareén Hamann, Bolor-Erdene Narankhuu, Leonie Gebhard, Johanna C. Klein, Pia Schulte, Katharina Brecht, Anastasia Marie Kobisch, Jessics Preuss, Karina Hörmann, Selina Göckler, Johannes Giewald (v.l.o.), Lydia Tittes (fehlt). HERAUSGEBER Hochschule Hannover Faktultät III Expo Plaza 12, 30539 Hannover STUDIENGANG Bachelor of Arts Journalistik SEMINAR Abschlussprojekt Print/Online LEITUNG Prof. Gabriele Kunkel, Prof. Stefan Heijnk 1. Auflage 2016 © BJO 5 Bachelor Journalistik 2016 Verbleibt bei den Autorinnen und Autoren. Alle Rechte vorbehalten. 164 Klar sieht, wer von Ferne sieht und nebelhaft, wer Anteil nimmt. Laotse 166