Luftbewirtschaftung durch europäischen Emissionshandel

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Luftbewirtschaftung durch europäischen Emissionshandel
Luftbewirtschaftung durch europäischen Emissionshandel
Rechtliche Probleme des Richtlinien-Vorschlages der Europäischen Kommission
für den Handel mit Treibhausgasemissionsberechtigungen in der Gemeinschaft
Berlin, im Februar 2002
Vorwort
Kaum ein anderes umweltpolitisches Thema erregt derzeit mehr die Gemüter, vor allem in der Wirtschaft, als der Emissionshandel. Die Diskussion hat sehr an Intensität
zugenommen, seitdem die Europäische Kommission am 23. Oktober des letzten Jahres dazu einen Richtlinien-Vorschlag vorgelegt hat. Dieser sieht ab dem 01.01.2005
die verbindliche Einführung dieses Instruments vor. Der Bundesverband der Deutschen Industrie begrüßt daher sehr, dass sich die renommierte Sozietät Freshfields
Bruckhaus Deringer dieses außerordentlich brisanten Themas angenommen und die
rechtlichen Probleme des Vorschlags analysiert hat.
Die deutsche Wirtschaft hat am 9. November 2000 mit der Bundesregierung eine
Vereinbarung zur Klimavorsorge geschlossen, in der die Wirtschaft erhebliche Zusagen zur Emissionsminderung von Treibhausgasen macht. Bundesregierung und Wirtschaft gehen gemeinsam davon aus, dass im Rahmen dieser Vereinbarungen eine Reduktion der Emissionen der sechs sogenannten Kyoto-Gase von mehr als 100 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten erreicht wird (1990-2012). Dieses Instrument hat aber
auch jetzt schon einen ganz wesentlichen Anteil am seit 1990 erzielten Rückgang der
nationalen CO2-Emissionen. Bezogen auf den im Rahmen der EU-Lastenverteilung
festgelegten Anteil Deutschlands an der EU-Nettominderung erbringt die deutsche
Wirtschaft rund ein Drittel der Emissionsminderung, die notwendig ist, damit die
Gemeinschaft ihr Kyoto-Ziel erreicht. Angesichts dieses großen Erfolges favorisiert
die deutsche Wirtschaft auch weiterhin den seit 1995 in Deutschland erfolgreich eingeschlagenen Weg und lehnt den am 23. Oktober 2001 vorgelegten RichtlinienVorschlag für einen europaweiten Handel mit Treibhausgas-Emissionsberechtigungen
in dieser Form ab.
Wenn mit Emissions Trading ein neues klimapolitisches Instrument eingeführt werden soll, ist das nur sinnvoll, wenn dadurch alle Mitgliedstaaten ihre KyotoVerpflichtungen effizienter, das heißt insbesondere auch kosteneffizienter erfüllen
können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass in vielen Mitgliedstaaten bereits eine Vielzahl bewährter Maßnahmen zur Klimavorsorge existieren, deren Durchführung nicht
behindert oder gar unmöglich gemacht werden darf. Eine verpflichtende Teilnahme
von Anlagenbetreibern würde aufgrund der bestehenden unterschiedlichen Rahmenbedingungen in den Mitgliedstaaten (zum Beispiel energiepolitische Grundsatzentscheidungen, klimapolitische Zielsetzungen und Verpflichtungen) unweigerlich zu
Wettbewerbsverzerrungen führen. Sollte sich der Emissionshandel in einer notwendigen Pilotphase tatsächlich als effizientes, faires und praktikables Instrument erweisen,
wäre dies für die Unternehmen Motivation, sich mit dem Emissionshandel "anzufreunden". Der BDI befürwortet einen Wettbewerb der Instrumente und fordert damit
die im Kyoto-Protokoll angelegte Flexibilität ein.
Berlin, 1. Februar 2002
Dr. Carsten Kreklau
Mitglied der Hauptgeschäftsführung des
Bundesverbandes der Deutschen Industrie e. V.
II
Der Richtlinien-Vorschlag der Europäischen Kommission vom 23. Oktober 2001 für
den Handel mit Treibhausgasemissionsberechtigungen ist in der deutschen Wirtschaft
auf erhebliche Kritik gestoßen. Eine nähere rechtliche Betrachtung zeigt, daß in der
Tat erhebliche Umsetzungsprobleme und Risiken für die Anlagenbetreiber zu besorgen sind. Dies soll mit der nachfolgenden Stellungnahme aufgezeigt werden. Wir haben uns dabei auf solche Probleme konzentriert, die sich in der gegenwärtigen Diskussion besonders aufdrängen. Es handelt sich um einen Diskussionsbeitrag, ohne
dass damit schon sämtliche Rechtsfragen abschließend bewertet werden sollen.
Angestoßen wurde dieser Diskussionsbeitrag durch den Bundesverband der Deutschen Industrie. Ein intensiver Meinungs- und Informationsaustausch mit den mit
dem Emissionshandelsprojekt befaßten BDI-Vertretern der Abteilung Umweltpolitik,
Dr. Klaus Mittelbach, Dr. Joachim Hein und Dr. Kurt-Christian Scheel hat ganz wesentlich zu den Ergebnissen dieser Stellungnahme beigetragen.
Auf Seiten von Freshfields Bruckhaus Deringer haben aus unserer europaweiten Praxisgruppe Öffentliches Wirtschaftsrecht/Environment, Planning and Regulatory
Group (EPR) die Rechtsanwälte Claudia Röder-Persson, Dr. Bernd Ochtendung und
der Unterzeichner sowie für den Bereich EG-Recht/WTO Dr. Hans-Joachim Prieß
und Dr. Christian Pitschas mitgewirkt. Unterstützt wurden wir von Assessor Jan Dirk
Bonhage und den Rechtsreferendaren Ina Snethlage und Roland Hagemeister. Um
den Richtlinien-Entwurf in einem gesamteuropäischen Kontext beurteilen zu können,
wurde er für Großbritannien durch Jonathan Isted und Elizabeth Hattan (EPR London) und für Frankreich durch Thierry Laloum, Frèdèric Bourgoin und Marie Giraudet (EPR Paris) bewertet.
Berlin, 1. Februar 2002
Dr. Wolf Friedrich Spieth
Freshfields Bruckhaus Deringer
Öffentliches Wirtschaftsrecht
Environment, Planning & Regulatory (EPR)
Group
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Überblick
Redaktionelle Vorbemerkung:
Die Schrift enthält mit einer seitlichen Linie markiert die wichtigsten Aussagen, so daß sich der „eilige
Leser“ auch auf diese Passagen konzentrieren kann. Sie werden am Ende des Informationspapiers zusammenfassend aufgeführt (Teil 7: Summary).
Gesetzeszitate und Zusatzinformationen sind in neutralen Kästen aufgeführt. Die Zitate der Begründung und der Begründungserwägungen beziehen sich auf die deutsche Fassung des RichtlinienVorschlags.
Seite
1.
Einleitung
4
1.1
1.2
1.3
1.4
1.5
Problemstellung
Einführung: Unterschiedliche Modelle des Emissionshandels denkbar
Erste Erfahrungen mit Emissionshandelssystemen
Das Kyoto-Protokoll und dessen Fortentwicklung
Die Initiative der Europäischen Kommission
4
4
5
6
8
2.
Emissionshandel in Europa nach dem Richtlinien-Vorschlag
9
2.1
2.2
2.3
2.4
2.6
2.7
2.8
Übersicht über den Regelungsinhalt des Richtlinien-Vorschlages
Der Anwendungsbereich des Richtlinien-Vorschlages
Individuelle Emissionsgenehmigung
Die Emissionsberechtigungen
2.4.1 Zuteilung und Ansparen der Emissionsberechtigungen
2.4.2 Handel und Verwaltung der Emissionsberechtigungen
Die Aufstellung der nationalen Zuteilungspläne
2.5.1 Die Zuteilungsmethode des Art. 10 RL-V
2.5.2 Einzelne Anforderungen an den Zuteilungsplan nach Anhang III
Die nationale Zuteilungsentscheidung
Überwachung der Emissionen und Berichterstattung
Bezugnahme auf die IVU-Richtlinie (RL 96/61/EG)
9
10
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14
14
15
15
16
16
17
3.
Gemeinschaftsrecht und WTO-Recht
18
3.1
Die Kompetenz der Europäischen Gemeinschaft zum Erlaß einer
Richtlinie über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionsberechtigungen
3.1.1 Kompetenzen gem. Art. 175 EG
3.1.2 Einstimmige Beschlußfassung erforderlich?
3.1.3 Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als
Kompetenzausübungsschranken
18
18
19
2.5
20
Seite 1
3.2
Wettbewerbsverzerrungen aufgrund des Richtlinien-Vorschlags
3.2.1 Wettbewerbsverzerrungen aufgrund von Ungleichbehandlungen
3.2.2 Wettbewerbsverzerrungen durch Anhang III
3.2.3 Wettbewerbsverzerrungen durch Einbeziehung Dritter in den
Richtlinien-Vorschlag
Zusammenspiel von Richtlinien-Vorschlag und bisherigem europäischen
Umweltrecht
3.3.1 Bisherige Rechtsakte gegenüber Industrie-Emissionen und der
Richtlinien-Vorschlag
3.3.2 Die IVU-Richtlinie und der Richtlinien-Vorschlag
Keine Entlastung des Genehmigungsverfahrens
Notwendige Änderungen im Hinblick auf den internationalen
Emissionshandel
Richtlinien-Vorschlag und WTO-Recht
3.6.1 Innergemeinschaftlicher Handel mit Emissionsberechtigungen
3.6.2 Abkommen mit Drittstaaten über die gegenseitige Anerkennung
vom Emissionsberechtigungen
26
26
26
4.
Die Situation in Deutschland
40
4.1
4.2
4.3
Rahmenbedingungen und Gang der Darstellung
40
Ziele des Immissionsschutzrechts und des Richtlinien-Vorschlags
41
Anlagenbezogenes Schutz- und Vorsorgesystem des BImSchG und
anlagenübergreifende Bewirtschaftung durch den RL-V
(Konzept-Konflikt)
41
4.3.1 Die Schutzpflicht als Grenze
42
4.3.2 Die Vorsorgepflicht und der Richtlinien-Vorschlag
42
4.3.3 Energieeffizienz-/-einsparpflicht und der Richtlinien-Vorschlag
46
4.3.4 Schutz vor nachträglichen Anordnungen
47
Ordnungsrechtliche Instrumente des geltenden Rechts und Instrumente
des Richtlinien-Vorschlags
47
Verknappung und Zuteilung der Emissionsberechtigungen – Umsetzungsprobleme für den Gesetzgeber, Risiken für Anlagenbetreiber
50
4.5.1 Die Festlegung der Gesamtmenge der Berechtigungen
50
4.5.2 Die Zuteilung der Berechtigungen: erhebliche
Grundrechtsrelevanz
51
4.5.3 Hohe Anforderungen an den deutschen Gesetzgeber bei der
Zuteilungsregelung
53
Vorhandene nationale Maßnahmen zur Klimavorsorge und der
Richtlinien-Vorschlag
55
4.6.1 Maßnahmenbündel des Bundes zur Reduktion von
Treibhausgasen
55
4.6.2 Zusammenspiel mit Ziel und Konzept des Richtlinien-Vorschlages 57
Versteigerung der Emissionsberechtigungen und Finanzverfassungsrecht 59
3.3
3.4
3.5
3.6
4.4
4.5
4.6
4.7
29
29
30
31
36
37
38
38
38
Seite 2
5.
Die Situation in Großbritannien
61
5.1
61
61
62
63
63
64
65
65
66
68
5.6
Immissionsschutzrechtliche Rahmenbedingungen in Großbritannien
5.1.1 Das PPC Regime
5.1.2 Die PPC Regulations und der Richtlinien-Vorschlag
Das „Climate Change Programme“ in Großbritannien
5.2.1 Einzelne Maßnahmen des „Climate Change Programme“
5.2.2 Die „Climate Change Levy“, CCL
Das Emissionshandelssystem (ETS)
5.3.1 Kernpunkte des britischen ETS
5.3.2 Teilnahmemöglichkeiten
5.3.3 Ausgestaltung des ETS
Die Wechselwirkung zwischen dem britischen ETS und der IVURichtlinie
Unterschiede zwischen ETS und Richtlinien-Vorschlag
5.5.1 Unterschiede im systematischen Ansatz
5.5.2 Unterschiedliche Teilnahmeprinzipien
5.5.3 Divergierende Anwendungsbereiche
5.5.4 „Downstream“ versus „upstream“ bei der Energieerzeugung
5.5.5 Ausdehnung des Emissionshandels auf andere Kyoto-Gase
Beurteilung des britischen ETS durch die Europäische Kommission
6.
Die Situation in Frankreich
71
6.1
Das System der Emissionskontrolle in Frankreich
6.1.1 Überblick über das französische Anlagenzulassungsrecht
6.1.2 Luftreinhalteregelungen
6.1.3 Kontrolle von Luftverunreinigungen
Das Programm der französischen Regierung zur Reduzierung von
Treibhausgasemissionen
6.2.1 Inhalte des Klimaschutzprogramms
6.2.2 Emissionshandelssystem in Frankreich
71
71
72
73
7.
Summary
76
7.1
7.2
7.3
Inhalt des Richtlinien-Vorschlags
Europarechtliche Einordnung und Völkerrecht
Auswirkungen des Richtlinien-Vorschlags auf das deutsche Recht
76
77
79
5.2
5.3
5.4
5.5
6.2
68
68
68
69
69
69
69
69
73
73
74
Hinweis: Diese Stellungnahme stellt keine juristische Beratung für den Einzelfall dar.
Seite 3
1.
Einleitung
1.1
Problemstellung
Die Europäische Kommission hat am 23. Oktober 2001 einen Richtlinien-Vorschlag
über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionsberechtigungen in der
Gemeinschaft (im folgenden RL-V) veröffentlicht. Der RL-V unterscheidet sich
grundlegend von dem von der Bundesregierung zunächst angestrebten und von der
deutschen Wirtschaft unterstützten Konzept eines Emissionshandels mit ergebnisoffener Pilotphase ohne verpflichtende Teilnahme der Unternehmen und mit Berücksichtigung von nationalen Besonderheiten und bereits erbrachten CO2-Einsparerfolgen.
Statt dessen führt der RL-V für die Emission von Treibhausgasen ein bisher nicht gekanntes System einer „Bewirtschaftung der Luft“ ein, das das deutsche Industrieanlagenrecht erheblich ändern und das tiefgreifende Auswirkungen für die deutsche Industrie haben wird.
Betrachtet werden die Folgen, die sich bei Umsetzung des RL-V für die deutsche
Wirtschaft ergeben können. Es handelt sich um einen Diskussionsbeitrag aus rechtlicher Sicht, ohne daß damit schon sämtliche Fragen gutachterlich und abschließend
untersucht und beurteilt werden sollen. Vielmehr konzentriert sich die Untersuchung
auf Probleme, die nach dem gegenwärtigen Stand der Diskussion vordringlich erscheinen.
Der Gang der Darlegung behandelt vier Schwerpunktbereiche:
•
Hintergrund und Inhalt des RL-V (dazu unten 1.2 und 2.);
•
Einordnung des RL-V in das Recht der Europäischen Gemeinschaften sowie Zusammenwirken mit dem WTO-Recht (dazu unten 3.);
•
Umsetzung des RL-V in Deutschland (dazu unten 4.);
•
Umsetzung des RL-V in europäischen Nachbarstaaten am Beispiel von England
Frankreich (dazu unten 5. und 6.);
Bevor die Regelungsinhalte des RL-V aufgezeigt werden, wird zum besseren Verständnis seine Entstehungsgeschichte im Zusammenhang mit dem Instrument des
„Emissionshandels“ (der in den unterschiedlichsten Ausgestaltungen denkbar ist) kurz
skizziert.
1.2
Einführung: Unterschiedliche Modelle des Emissionshandels denkbar
Unter dem Begriff „Emissionshandel“ („Emissions Trading“) wird gewöhnlich ein
auf dem sog. „cap and trade“-Ansatz beruhendes Handelssystem für Emissionsberechtigungen verstanden. „Cap“ bedeutet: Nur eine definierte Menge eines Stoffes
darf emittiert werden. Wie das „cap“ bestimmt wird, ist bei den jeweiligen Handelssystemen unterschiedlich: Häufig bestimmt eine staatliche Stelle die Gesamtmenge
eines Stoffes, die in einer umgrenzten Handelsregion für Berechtigungen in einem
bestimmten Zeitraum höchstens in die Luft abgegeben werden darf. Dementsprechend
Seite 4
wird den Teilnehmern eine Anzahl von Berechtigungen (häufig auch als Zertifikate
oder Lizenzen bezeichnet) zum Ausstoß von bestimmten Gasen zugeteilt (die Zuteilung kann z.B. durch kostenlose Ausgabe („grandfathering“) oder durch ein Auktionsverfahren erfolgen). Die Gesamtmenge der an alle Teilnehmer ausgegebenen Berechtigungen entspricht der insgesamt in der Region zulässigen Emissionshöchstmenge. Denkbar ist jedoch auch, daß sich einzelne Unternehmen gegenüber einer öffentlichen Stelle zur Einhaltung einer bestimmten Emissionsmenge verpflichten (vgl. die
„direct route“ in Großbritannien, dazu unten 5.3.2.1), ohne daß eine auf eine bestimmte Region bezogene Emissionshöchstmenge, also ein räumliches „cap“, festgelegt wird. Diese Unternehmen erhalten ebenfalls eine entsprechende Zahl von Berechtigungen. – Der Emissionshandel gestattet es den einzelnen Teilnehmern, über den
ihnen zugeteilten Anteil hinaus zu emittieren, vorausgesetzt, sie finden einen anderen
Teilnehmer, der sein Emissionsbudget nicht ausgeschöpft hat und bereit ist, seine ungenutzten Emissionsberechtigungen zu veräußern.
Neben dem klassischen „cap and trade“-Ansatz sind auch andere Modelle denkbar.
So werden z.B. nach dem „baseline and credit“-System Emissionsberechtigungen nur
dann ausgeteilt, wenn die Teilnehmer ein zuvor festgesetztes Ziel übererfüllt haben
(vgl. die „agreement route“ in Großbritannien, unten 5.3.2.2). Im übrigen gibt es eine
Vielzahl weiterer denkbarer Modifikationen: Beispielhaft seien freiwillige oder verpflichtende Teilnahme sowie absolute oder relative (d.h. auf eine Produktionseinheit
bezogene) Emissionsreduktionsverpflichtungen genannt. Ein Handel mit Emissionsrechten kann sowohl zwischen einzelnen Staaten als auch zwischen einzelnen Unternehmen stattfinden.
Von einem Emissionshandelssystem erhofft man sich, daß Emissionsreduktionen dort
vorgenommen werden, wo sie am kostengünstigsten sind (ökonomisches Instrument
im Umweltrecht): Die Preise für Emissionsberechtigungen sollen sich im Wechselspiel von Angebot und Nachfrage bilden.
1.3
Erste Erfahrungen mit Emissionshandelssystemen
Die Diskussion um den Einsatz sogenannter ökonomischer Instrumente prägt die umweltrechtliche Debatte seit mindestens zwei Jahrzehnten. Erste Erfahrungen wurden
mit verschiedenen Emissionshandelssystemen in den USA gesammelt: zum einen im
Rahmen eines Programms zur Reduktion von Blei in Benzin, zum anderen im Bereich
der Luftreinhaltung. Sogenannte Kompensationsmodelle im Rahmen der Luftreinhaltepolitik sahen vor, daß der für eine Anlage festgelegte Emissionsgrenzwert überschritten werden durfte, wenn dasselbe Unternehmen intern anderweitig (z.B. durch
eine andere Anlage) oder durch den Austausch mit einem anderen Unternehmen eine
entsprechende Senkung nachweisen konnte.
Am 1. Januar 1995 wurde zur Bekämpfung des sauren Regens ein erster Zertifikatemarkt für Schwefeldioxidemissionen in den USA eingeführt. Daneben gibt es einen
räumlich auf Südkalifornien beschränkten Emissionshandel zur Verbesserung der dortigen Luftqualität (umfaßt sind SO2 und NOx).
Weitere staatliche und privatwirtschaftliche Emissionshandelssysteme folgten. So
führten die Royal Dutch/Shell Group sowie die BP-Amoco Group jeweils zum 1. Ja-
Seite 5
nuar 2000 unternehmensinterne Handelssysteme für CO2- und CH4-Emissionen ein. In
Dänemark existiert seit Anfang 2001 ein für Elektrizitätsproduzenten verpflichtendes
CO2-Emissionshandelssystem, Großbritannien startet ein eigenes umfassendes Emissionshandelssystem im April 2002 (vgl. unten 5.3). Die Niederlande führen 2003 ein
Emissionshandelssystem für NOx ein. Zudem werden Emissionshandelssysteme derzeit unter anderem in Australien, Frankreich, Kanada, Neuseeland und Norwegen diskutiert und geplant. Der im Herbst 2001 von der Europäischen Kommission vorgelegte RL-V schlägt ein Emissionshandelssystem in der Europäischen Union ab 2005 vor.
1.4
Das Kyoto-Protokoll und dessen Fortentwicklung
Auf der UNCED-Konferenz in Rio de Janeiro 1992 wurde die Klimarahmenkonvention (KRK) als erstes grundlegendes völkerrechtliches Dokument der Klimapolitik verabschiedet. Hauptziel dieser Konvention ist es, „die Stabilisierung der Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre auf einem Niveau zu erreichen, auf dem eine gefährliche anthropogene Störung des Klimasystems verhindert wird“ (Art. 2 KRK).
Die Klimarahmenkonvention wurde durch das Kyoto-Protokoll, das im Dezember
1997 auf der dritten Vertragsstaatenkonferenz (engl.: Conference of the Parties, COP
3) im japanischen Kyoto einstimmig verabschiedet wurde, konkretisiert.
Kyoto-Protokoll
Das Kyoto-Protokoll verpflichtet die Industrieländer (das sind die im Annex B des Kyoto-Protokolls
genannten Länder) erstmals rechtsverbindlich, ihre Treibhausgasemissionen im Zeitraum 2008 bis
2012 in der Summe um mindestens 5 % gegenüber dem Niveau von 1990 zu reduzieren (Art. 3). Für
die einzelnen Industrieländer gelten unterschiedliche Reduktionsverpflichtungen: So muß die EG insgesamt sowie jeder ihrer Mitgliedstaaten eine Reduktion um 8 % erreichen, die USA um 7 %, Japan
um 6 %. Rußland hat sich verpflichtet, seine Emissionen auf dem Niveau von 1990 zu stabilisieren,
während andere Staaten ihre Emissionen teilweise sogar noch steigern dürfen. Für weitere Verpflichtungsperioden legt das Kyoto-Protokoll keine Reduktionsziele fest.
Das Kyoto-Protokoll tritt erst in Kraft, wenn es von mindestens 55 Vertragsparteien ratifiziert worden
ist, darunter von in Anlage I der KRK aufgelisteten Industrieländern, auf die insgesamt mindestens 55
% der gesamten Kohlendioxidemissionen der dort genannten Vertragsparteien im Jahr 1990 entfallen
(Art. 25). Die USA haben angekündigt, das Protokoll nicht zu ratifizieren. Die Voraussetzungen für das
Inkrafttreten können jedoch auch ohne Beteiligung der USA erreicht werden.
Die wegen des Kyoto-Protokolls zu erfüllenden Emissionsreduktionen finden grundsätzlich in dem verpflichteten Vertragsstaat statt. Das Kyoto-Protokoll sieht allerdings
sogenannte flexible Mechanismen vor, die den Vertragsstaaten die Möglichkeit geben, einen Teil ihrer Emissionsreduktionsverpflichtungen durch Projekte im Ausland
bzw. durch den Ankauf von Emissionszertifikaten aus anderen Vertragsstaaten zu erfüllen. Die drei flexiblen Mechanismen sind:
•
Projekte zur Emissionsreduktion in Entwicklungsländern (Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung/„clean development mechanism“, Art. 12 KyotoProtokoll);
•
gemeinsam durchgeführte Projekte zwischen Industrieländern („joint implementation“, Art. 6 Kyoto-Protokoll);
Seite 6
•
Emissionshandel („emissions trading“, Art. 17 Kyoto-Protokoll).
Art. 12 sieht einen „Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung“ („clean development mechanism“, CDM) vor. Dadurch können die Industrieländer emissionsmindernde Projekte (z.B. die Errichtung einer Windkraftanlage) in Entwicklungsländern
durchführen und die dabei erzielten Emissionsreduktionen für die Erfüllung eines
Teils ihrer Reduktionsverpflichtungen verwenden. Der flexible Mechanismus „joint
implementation“ eröffnet den Vertragsparteien zudem die Möglichkeit, durch entsprechende gemeinsame Projekte auf dem Territorium eines anderen Industrielandes einen
Teil der eigenen Reduktionsverpflichtungen zu erfüllen. Ferner ermöglicht Art. 17 des
Kyoto-Protokolls einen Handel mit Emissionsrechten (das „emissions trading“), verstanden als Handel zwischen Industrieländern/Annex B-Ländern.
Die Festlegung der weiteren Einzelheiten der im Kyoto-Protokoll vereinbarten flexiblen Mechanismen wurde den Nachfolgekonferenzen der Vertragsparteien überlassen.
Auf dem Klimagipfel in Marrakesch im Herbst 2001 wurden die Rahmenbedingungen
des angestrebten internationalen Emissionshandelssystems in Form von vorbereitenden Beschlüssen dargelegt.
Vertragsstaatenkonferenz in Marrakesch
Im Herbst 2001 fand in Marrakesch (Marokko) die 7. Vertragsstaatenkonferenz der Klimarahmenkonvention (COP 7) statt. Ergebnis waren die „Übereinkommen von Marrakesch“, die das Kyoto-Protokoll
näher ausgestalten und umsetzen. Durch die Übereinkommen ist es möglich, daß das Kyoto-Protokoll
zum Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung im September 2002 in Johannesburg (Südafrika) in Kraft
treten kann – zehn Jahre nach dem Erdgipfel von Rio und der Unterzeichnung der Klimarahmenkonvention.
Die Übereinkommen umfassen vorbereitende Entscheidungen zum System der Erfüllungskontrolle, zur
Nutzung der flexiblen Mechanismen des Kyoto-Protokolls, zur Anrechenbarkeit von Senken sowie zur
Förderung des Klimaschutzes in Entwicklungsländern.
Für den Emissionshandel wurden Modalitäten, Regeln und Richtlinien festgelegt (Punkt I.J.4. des Übereinkommens). Handelsobjekt sind verschiedene Arten sogenannter Emissions-Einheiten (Emissionszertifikate). Diese ergeben sich aus den flexiblen Mechanismen (z.B. aufgrund eines JI-Projekts),
sowie aus der Kohlenstoffeinbindung von Senken (Senken sind Ökosysteme, die Kohlenstoff aus der
Atmosphäre entfernen, z.B. Bäume).
Grundsätzlich ist der Handel zwischen Vertragsparteien des Kyoto-Protokolls vorgesehen. Diese können jedoch (natürlichen und juristischen) Personen die Übertragung bzw. den Erwerb von EmissionsEinheiten nach Art. 17 des Kyoto-Protokolls genehmigen. Eine Ausübung einer derartigen Genehmigung ist den (natürlichen und juristischen) Personen jedoch in dem Zeitraum untersagt, in dem die ermächtigende Vertragspartei nicht die Teilnahmevoraussetzungen für den Emissionshandel erfüllt (z.B.
fehlende Berichterstattung). Das bedeutet, dass grenzüberschreitende Transaktionen mit Emissionszertifikaten ausgeschlossen sind, wenn der Mitgliedstaat des Käufers oder des Verkäufers seine Verpflichtungen nicht einhält.
Jede Vertragspartei muß im übrigen eine bestimmte Menge an Emissionsrechten zurückhalten („Commitment Period Reserve“), um einen ungedeckten Verkauf von Emissionsrechten zu verhindern.
Seite 7
1.5
Die Initiative der Europäischen Kommission
Die Europäische Union hat ihre Reduktionsverpflichtungen aufgrund des KyotoProtokolls in der „Lastenteilungsvereinbarung“ vom 16. Juni 1998 unter den Mitgliedstaaten aufgeteilt. Danach muß Deutschland seine Treibhausgasemissionen um
21 % (gegenüber 1990) senken.
Damit die Europäische Gemeinschaft ihre Kyoto-Verpflichtung erfüllen kann, hat die
Kommission im März 2000 eine Strategie für den Klimaschutz eingeleitet: Durch das
Europäische Programm für Klimaänderungen sollen zum einen konkrete Maßnahmen
zur Emissionsreduktion ausgearbeitet werden, zum anderen wird in einem Grünbuch
vorgeschlagen, die Errichtung eines EU-weiten Emissionshandelssystems zu prüfen.
Dieses System sollte die Teilnahme einzelner Unternehmenssektoren beinhalten und
einen Handel zwischen den betroffenen Unternehmen ermöglichen. Daran hält die
Kommission in dem nunmehr vorgelegten RL-V fest.
EU-Richtlinien
Gemäß Art. 249 Abs. 3 EG-Vertrag ist eine Richtlinie „für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet
wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überläßt jedoch den innerstaatlichen Stellen
die Wahl der Form und Mittel“. Das bedeutet, daß die Mitgliedstaaten die Richtlinie innerhalb einer
bestimmten Frist in nationales Recht umzusetzen haben. Eine Richtlinie ist demnach ein Instrument
indirekter bzw. kooperativer zweistufiger Rechtsetzung.
Die im RL-V vorgesehenen Maßnahmen richten sich unmittelbar an die Mitgliedstaaten, die ihr nationales Recht entsprechend ausgestalten müssen. Im folgenden werden
die Verpflichtungen des RL-V vereinfacht als an die Unternehmer gerichtet beschrieben.
Seite 8
2.
Emissionshandel in Europa nach dem Richtlinien-Vorschlag
2.1
Übersicht über den Regelungsinhalt des Richtlinien-Vorschlags
Ziel des RL-V soll die kostenwirksame Verringerung von Treibhausgasemissionen
sein.
Die Betreiber der in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallenden Anlagen (2.2)
haben bei der zuständigen nationalen Behörde eine Genehmigung für das Emittieren
von Treibhausgasen (2.3) zu beantragen. Neben dieser Genehmigung benötigen die
Anlagenbetreiber Berechtigungen für alle Emissionen der Anlage. Diese Berechtigungen, nicht hingegen die Genehmigungen, können Handelsobjekt sein (2.4.2). Die
Mitgliedstaaten sollen eine bestimmte Anzahl Emissionsberechtigungen nach einem
nationalen Zuteilungsplan (2.5) für die jeweiligen Zuteilungszeiträume (2005-2007,
ab 2008 alle 5 Jahre) ausgeben (2.6).
Die Genehmigungspflicht sowie die Verpflichtung zum Innehaben von Emissionsberechtigungen beziehen sich zunächst nur auf CO2-Emissionen. Eine Ausweitung auf
weitere Treibhausgase durch Abänderung der Richtlinie ist geplant.
Der EU-weite Gesamtausstoß der erfaßten Treibhausgase wird durch die begrenzte
Anzahl auszugebender Emissionsberechtigungen beschränkt. Insoweit führt der RL-V
ein europaweites „cap“ für Kohlendioxid ein. Die Höhe dieses „caps“ wird in dem
RL-V nicht näher bestimmt; sie ergibt sich (vermittelt über die nationalen Zuteilungspläne) in erster Linie aus dem Kyoto-Protokoll. Die Aufteilung des „caps“ in einzelne
(handelbare) Berechtigungen bewirkt eine Bewirtschaftung des Treibhausgasausstoßes und damit eines wesentlichen Bereiches der Nutzung der Luft. Dadurch wird das
Emittieren von Treibhausgasen als solches einer staatlichen Bewirtschaftungsordnung
unterstellt. Dieses System unterscheidet sich erheblich von dem bisher für Emissionen
gekannten Vorsorgesystem in Gestalt von Grenzwerten, die bei dem Betrieb einer Anlage einzuhalten sind.
Die Kommission schlägt eine dreijährige Einführungsphase vom 1. Januar 2005 bis
31. Dezember 2007 vor. Obwohl das Kyoto-Protokoll für diesen Zeitraum noch keine
Verpflichtung zur Reduktion von Treibhausgasemissionen begründet, sollen die Mitgliedstaaten bereits für die Einführungsphase das Genehmigungs-, Zuteilungs- und
Handelssystem des RL-V einführen. Der RL-V bezieht Emissions-Einheiten, die sich
durch projektbezogene Maßnahmen (CDM und JI) ergeben und Gegenstand des nach
dem Kyoto-Protokoll vorgesehenen Emissionshandels sein können, nicht mit ein.
Im RL-V ist keine Möglichkeit vorgesehen, einzelne Anlagen von den vorgeschlagenen Verpflichtungen auszunehmen.
Der RL-V ist gegliedert in eine Begründung, präambelartige Begründungserwägungen, einen Regelungsteil (insgesamt 29 Artikel) sowie fünf Anhänge.
Seite 9
2.2
Der Anwendungsbereich des Richtlinien-Vorschlags
Der Anwendungsbereich des RL-V wird durch die Anhänge I und II bestimmt.
Anhang I legt fest, welche Produktionsvorgänge bestimmter industrieller Emittenten
und welche Treibhausgase (zur Zeit nur CO2) in das System des RL-V von Beginn an
einbezogen werden. Der RL-V geht davon aus, damit bedeutende KohlendioxidQuellen zu erfassen: Nach Angaben der Kommission werden etwa 46 % der geschätzten Kohlendioxid-Emissionen der EU im Jahr 2010 aus 4000-5000 Anlagen abgedeckt (vgl. Nr. 11 der Begründung). Andere CO2-bedeutsame Branchen bzw. Sektoren bleiben dagegen unberücksichtigt.
ANHANG I
Tätigkeiten
Treibhausgase
Energiewirtschaft
Verbrennungsanlagen mit einer berechneten Wärmenettozufuhr über
20 MW (ausgenommen Anlagen für die Verbrennung von gefährlichen
oder Siedlungsabfällen)
Kohlendioxid
Mineralölraffinerien
Kohlendioxid
Kokereien
Kohlendioxid
Eisenmetallerzeugung und -verarbeitung
Röst- und Sinteranlagen für Metallerz (einschl. Sulfiderz)
Kohlendioxid
Anlagen für die Herstellung von Roheisen oder Stahl (Primär- oder
Sekundärschmelzbetrieb), einschließlich Stranggießen, mit einer Kapazität über 2,5 t je Stunde
Kohlendioxid
Mineralverarbeitende Industrie
Anlagen zur Herstellung von Zementklinker in Drehrohröfen mit einer
Produktionskapazität über 500 Tonnen je Tag oder von Kalk in Drehrohröfen mit einer Produktionskapazität über 50 Tonnen je Tag oder in
anderen Öfen mit einer Produktionskapazität über 50 Tonnen je Tag
Anlagen zur Herstellung von Glas einschließlich Glasfasern mit einer
Schmelzkapazität über 20 Tonnen je Tag
Anlagen zur Herstellung von keramischen Erzeugnissen durch Brennen (insbesondere Dachziegel, Ziegelsteine, feuerfeste Steine, Fliesen,
Steinzeug oder Porzellan) mit einer Produktionskapazität von über 75 t
pro Tag und/oder einer Ofenkapazität von über 4 m³ und einer Besatzdichte von über 300 kg/m³
Kohlendioxid
Kohlendioxid
Kohlendioxid
Seite 10
Sonstige Industriezweige
Industrieanlagen zur Herstellung von
(a) Zellstoff aus Holz und anderen Faserstoffen
Kohlendioxid
(b) Erzeugnissen aus Papier und Pappe mit einer Produktionskapazität
über 20 t pro Tag
Kohlendioxid
Die im Anhang genannten Schwellenwerte beziehen sich auf Produktionskapazitäten
oder -leistungen. Führt ein Betreiber mehrere Tätigkeiten unter der gleichen Bezeichnung in einer Anlage oder an einem Standort durch, sollen sich die Kapazitäten dieser
Aktivitäten addieren. Anlagen oder Anlagenteile, die für Zwecke der Forschung,
Entwicklung und Prüfung neuer Produkte und Verfahren genutzt werden, fallen nicht
unter diese Richtlinie.
Anhang II benennt die für den RL-V relevanten Treibhausgase (die sechs KyotoGase: Kohlendioxid [CO2], Methan [CH4], Distickstoffoxid [N2O], Fluorkohlenwasserstoffe [HFC], perfluorierte Kohlenwasserstoffe [PFC] und Schwefelhexafluorid
[SF6]).
Die Kommission kann vorschlagen, Anhang I auf weitere Tätigkeiten und auf die anderen in Anhang II genannten Treibhausgase auszuweiten, und hat in diesem Fall bis
spätestens 31.12.2004 einen entsprechender Änderungsvorschlag zu unterbreiten (Art.
26 RL-V). Dies wird in Betracht kommen, wenn sich die Methoden zur Messung und
Überwachung der anderen Treibhausgase verbessert haben.
2.3
Individuelle Emissionsgenehmigung
Der Betreiber einer Anlage benötigt für die in Anhang I genannten Emissionstätigkeiten eine Genehmigung.
Artikel 4
Genehmigungen für die Emission von Treibhausgasen
Die Mitgliedstaaten stellen sicher, daß Anlagen ab dem 1. Januar 2005 die in Anhang I genannten Tätigkeiten, bei denen die für diese Tätigkeit spezifizierten Treibhausgase emittiert werden, nur durchführen, wenn der Betreiber über eine Genehmigung verfügt, die von einer zuständigen Behörde gemäß den
Artikeln 5 und 6 erteilt wurde.
Die Genehmigung ist nicht auf die Anlage selbst oder deren gesamte Tätigkeit bezogen, sondern auf das Emittieren von Treibhausgasen. Sie ist bei der zuständigen Behörde zu beantragen.
Seite 11
Artikel 5
Anträge auf Erteilung einer Genehmigung
An die zuständige Behörde gerichtete Anträge auf Erteilung von Genehmigungen für die Emission von
Treibhausgasen müssen Angaben zu folgenden Punkten enthalten:
a)
die Anlage und ihre Tätigkeiten;
b)
Rohmaterialien und Hilfsstoffe, deren Verwendung wahrscheinlich mit Emissionen verbunden
ist;
c)
Emissionsquellen in der Anlage; und
d)
im Einklang mit den gemäß Artikel 14 erlassenen Leitlinien stehende Maßnahmen zur Überwachung der Emissionen.
Dem Antrag ist ein nicht-technischer Überblick über die in Abs. 1 genannten Punkte beizufügen.
Eine Emissionsgenehmigung ist zu erteilen, wenn die zuständige Behörde davon überzeugt ist, daß der Betreiber zur Überwachung der Emissionen und zur entsprechenden Berichterstattung in der Lage ist (Art. 6 Abs. 1 S. 1 RL-V). Eine Emissionsgenehmigung kann die Emissionstätigkeit einer oder mehrerer von demselben Betreiber an demselben Standort betriebenen Anlagen umfassen (Art. 6 Abs. 1 S. 2 RL-V).
Genehmigungen für Treibhausgasemissionen enthalten nach Art. 6 Abs. 2 RL-V:
a)
Name und Anschrift des Betreibers;
b)
Beschreibung der Tätigkeiten und Emissionen der Anlage;
c)
Überwachungsauflagen, in denen Überwachungsmethode und häufigkeit festgelegt sind;
d)
Auflagen für die Berichterstattung; und
e)
eine Verpflichtung zur Abgabe von Berechtigungen in Höhe der Gesamtemissionen der Anlage in jedem Kalenderjahr, geprüft nach Art.
15, binnen drei Monaten nach Jahresende.
Bei Änderungen der Anlagenart oder -betriebsweise sowie Anlagenerweiterungen besteht eine Anzeigepflicht des Anlagenbetreibers (sofern eine Erneuerung der Genehmigung möglicherweise erforderlich ist) gegenüber der zuständigen Behörde, die daraufhin die Genehmigung bei Bedarf erneuert (Art. 7 Abs. 1 RL-V). Tritt ein Betreiberwechsel ein, wird die Genehmigung in Bezug auf Name und Anschrift des neuen
Betreibers abgeändert (Art. 7 Abs. 2 RL-V).
2.4
Die Emissionsberechtigungen
Neben der Genehmigung benötigen die Anlagenbetreiber Emissionsberechtigungen,
wobei eine Berechtigung jeweils die Emission von einer Tonne „Kohlendioxidäquivalent“ beinhaltet (vgl. Art. 3 (i) RL-V).
Seite 12
„Tonne Kohlendioxidäquivalent“: eine metrische Tonne Kohlendioxid (CO2) oder eine Menge eines
anderen in Anhang II aufgeführten Treibhausgases mit einem äquivalenten Potential im Hinblick auf
die globale Erwärmung.
Diese Berechtigungen sind sowohl durch Zuteilung als auch durch Handel zu erlangen. Die Betreiber müssen für jede Anlage bis spätestens 31. März jeden Jahres eine
ausreichende Anzahl von Berechtigungen „abgeben“, die der Gesamtemission der Anlage in dem betreffenden Jahr entsprechen (Art. 12 Abs. 3 RL-V). Die vom Betreiber
zurückgereichten Emissionsberechtigungen werden daraufhin gelöscht und stehen
nicht mehr für den Handel zur Verfügung. Im übrigen sollen Emissionsberechtigungen auf Antrag des Inhabers jederzeit gelöscht werden können (Art. 12 Abs. 4 RL-V).
Neue Berechtigungen werden auf der Basis des nationalen Zuteilungsplans jedes Jahr
spätestens zum 28. Februar ausgegeben (Art. 11 Abs. RL-V), dazu sogleich.
Die Emissionsberechtigungen sollen nur in elektronischer Form vorliegen. Erhalt, Besitz und Abgabe
von Berechtigungen setzen voraus, daß die jeweilige natürliche oder juristische Person ein Konto in
den nationalen Verzeichnissen eröffnet (vgl. Nr. 15 der Begründung).
Wird festgestellt, daß die jährlichen Treibhausgas-Emissionen einer Anlage nicht
durch die vom Betreiber gehaltenen Emissionsberechtigungen gedeckt sind, verhängen die zuständigen nationalen Behörden Sanktionen, insbesondere Geldstrafen (Art.
16 RL-V). Daneben besteht die Verpflichtung der Anlagenbetreiber zur Abgabe von
Berechtigungen in Höhe der Emissionsüberschreitung. Diese Berechtigungen müssen
zusammen mit den Emissionsberechtigungen für das Folgejahr abgegeben werden.
2.4.1 Zuteilung und Ansparen der Emissionsberechtigungen
Die Mitgliedstaaten treffen auf Grundlage eines nationalen Zuteilungsplans (dazu unten 2.5) die Entscheidung über die auszugebende Gesamtmenge von
Emissionsberechtigungen für den jeweiligen Zuteilungszeitraum (3 Jahre von 20052007 und ab 2008 jeweils 5 Jahre) sowie über die Zuteilung der Berechtigungen an
die Betreiber der einzelnen Anlagen (dazu unten 2.6). Die zuständige Behörde gibt
nicht alle Emissionsberechtigungen sofort zu Beginn eines jeden Zuteilungszeitraums
aus, sondern jährlich nur einen bestimmten Anteil (Art. 11 Abs. 4 RL-V: spätestens
am 28. Februar jeden Jahres). Die zugeteilten Emissionsberechtigungen bleiben bis
zum Ablauf des Zuteilungszeitraums gültig, Art. 13 Abs. 1 RL-V (also für drei bzw.
für fünf Jahre), sofern sie nicht vorher für die Legitimierung von Emissionen bei der
zuständigen Behörde abgegeben und gelöscht worden sind.
Da grundsätzlich nicht mehr Emissionsberechtigungen zugeteilt werden, als eine Anlage wahrscheinlich im Zuteilungszeitraum benötigt (Anhang III Nr. 4 RL-V), kann
ein Überschuß an Emissionsberechtigungen innerhalb eines Zuteilungszeitraums bei
einem Betreiber nur durch Emissionsreduktionen entstehen. Dies ist z.B. bei Einsatz
verbesserter Technologien oder bei Veränderung des Produktionsumfangs einer Anlage möglich. Denn durch diese Maßnahmen wird der Ausstoß an CO2 verringert, so
daß der Anlagenbetreiber die bereits zugeteilten Emissionsberechtigungen nicht benötigt und somit veräußern oder ansparen kann.
Die nationale Behörde hat jeweils bis drei Monate nach Ablauf eines Zuteilungszeitraums sämtliche angesparten Emissionsberechtigungen zu entwerten (Art. 13 Abs. 2
Seite 13
und 3 RL-V). Anders als bei den jährlich zurückzugebenden Berechtigungen, die zur
Abdeckung von Emissionen dienen, sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, an die Inhaber der „angesparten“ Emissionsberechtigungen für den folgenden Zeitraum entsprechende „Ersatzberechtigungen“ auszugeben (Art. 13 Abs. 3 RL-V). Hierdurch soll
verhindert werden, daß den Betreibern der aus Emissionsreduzierungen erwachsene
Vorteil verloren geht. Für den Beginn des ersten fünfjährigen Zuteilungszeitraums am
1. Januar 2008 ist die Ausgabe von Ersatzberechtigungen allerdings nicht zwingend,
vielmehr können die Mitgliedstaaten den ehemaligen Inhabern von Emissionsberechtigungen entsprechende Ersatzberechtigungen erteilen (Art. 13 Abs. 2 RL-V). Die
Mitgliedstaaten haben es somit in der Hand, unerwünschte Vorwirkungen der Einführungsphase auf den anschließenden 5-Jahreszeitraum zu vermeiden.
2.4.2 Handel und Verwaltung der Emissionsberechtigungen
Die zugeteilten Emissionsberechtigungen sind frei handelbar. Betreiber können ihre
nicht benötigten Berechtigungen in der EU anbieten bzw. Berechtigungen nach Bedarf von anderen Betreibern erwerben (Art. 12 Abs. 1 und 2 RL-V). Zugang zu dem
Handel mit Emissionsberechtigungen haben neben den von Anhang I des RL-V erfaßten Anlagen auch Dritte (z.B. Vermittler, Umweltschutzorganisationen, etc.). Die
Kommission verspricht sich davon, daß der Markt liquider wird (Nr. 13 der Begründung).
Besitz und Übertragung von Emissionsberechtigungen werden durch ein nationales
elektronisches Verzeichnis verwaltet (Art. 19 RL-V). Dieses Kontrollsystem soll das
reibungslosen Funktionieren des Emissionshandels gewährleisten (vgl. Nr. 15 der Begründung).
2.5
Die Aufstellung der nationalen Zuteilungspläne
Die Mitgliedstaaten stellen gem. Art. 9 RL-V nationale Zuteilungspläne auf. Dadurch
werden die zuzuteilende Gesamtmenge an Berechtigungen für den jeweiligen Zuteilungszeitraum sowie die Zuteilungskriterien festgelegt. Die Pläne müssen vor Beginn
des Zuteilungszeitraums veröffentlicht und der Kommission und den übrigen Mitgliedstaaten mitgeteilt werden.
Die Mitgliedstaaten sind bei Aufstellung der Zuteilungspläne nicht frei, sondern müssen „objektive und transparente Kriterien“ verwenden sowie die Vorgaben des Anhangs III und des Art. 10 RL-V beachten (Art. 9 Abs. 1 RL-V). Die Kommission kann
den Zuteilungsplan vollständig oder teilweise zurückweisen, wenn ein Widerspruch
zur Zuteilungsmethode nach Art. 10 RL-V oder zu Anhang III festgestellt wird (Art. 9
Abs. 3 RL-V). Dadurch kann die Kommission Einfluß auf das Zuteilungsverhalten
der einzelnen Mitgliedstaaten nehmen. Ferner hat die Kommission die Möglichkeit,
Anhang III zu ändern (Art. 22 RL-V) und so u.U. weitere bindende Vorgaben für die
Mitgliedstaaten einzuführen. Auf diesem Wege ist es auch möglich, das europaweite
„cap“ noch weiter zu verkleinern und dadurch (weitere) Emissionsverringerungen zu
erzwingen.
Seite 14
2.5.1 Die Zuteilungsmethode des Art. 10 RL-V
Art. 10 Abs. 1 RL-V bestimmt für die dreijährige Einführungsphase eine kostenlose
Zuteilung der Berechtigungen. Die Kommission hat sich damit gegen eine anfängliche Versteigerung entschieden und begründet das mit dem Schutzbedürfnis des gemeinsamen Marktes und den Schwierigkeiten, in der Anfangsphase des Emissionshandels einen Marktpreis für Emissionsberechtigungen bestimmen zu können (Nr. 13
der Begründung). Für den dann folgenden 5-Jahres-Zuteilungszeitraum wird die
Kommission eine (andere) harmonisierte Zuteilungsmethode vorschlagen (Art. 10
Abs. 2 RL-V), wobei weiterhin die kostenlose Zuteilung, eine Ausgabe zu einem
Festpreis, eine Versteigerung der Berechtigungen oder auch Kombinationsmodelle in
Betracht kommen.
2.5.2 Einzelne Anforderungen an den Zuteilungsplan nach Anhang III
Grundsätzlich obliegt es den Mitgliedstaaten, die Gesamtmenge der zuzuteilenden
Emissionsberechtigungen im Rahmen ihrer Kyoto-Verpflichtungen zu bestimmen.
Jedoch sollen die vom RL-V erfaßten Sektoren einen Beitrag zur Emissionsreduktion
und damit zur Erfüllung der Kyoto-Verpflichtung der Gemeinschaft leisten (Nr. 13
der Begründung). Im übrigen müssen für die im Binnenmarkt konkurrierenden Unternehmen gleiche Bedingungen gelten. Aus diesen Gründen bestimmt Anhang III einheitliche Kriterien für die nationalen Zuteilungspläne: Er enthält allgemeine Aussagen
zur Bestimmung der Gesamtmenge, zu den einzelnen Zuteilungskriterien und zu bestimmten Aspekten, die im Plan zu berücksichtigen sind.
ANHANG III
KRITERIEN FÜR DIE NATIONALEN ZUTEILUNGSPLÄNE GEMÄß ARTIKEL 9
1
(1)
Die Gesamtmenge der Berechtigungen, die im jeweiligen Zeitraum zugeteilt werden sollen,
muß mit der im Kyoto-Protokoll und in der Entscheidung xx/xxxx/EG1 enthaltenen Verpflichtung des Mitgliedsstaats zur Begrenzung seiner Emissionen in Einklang stehen, unter Berücksichtigung des Anteils der Gesamtemissionen, dem diese Berechtigungen entsprechen im Vergleich zu Emissionen aus Quellen, die nicht unter diese Richtlinie fallen.
(2)
Die Gesamtmenge der Berechtigungen, die zugeteilt werden sollen, muß vereinbar sein mit
Bewertungen der tatsächlichen und der erwarteten Fortschritte bei der Erfüllung der Verpflichtungen der Gemeinschaft gemäß der Entscheidung 93/389/EWG.
(3)
Die Mengen der Berechtigungen, die zugeteilt werden sollen, müssen mit dem technischen
Potential der Anlagen zur Emissionsverringerung in Einklang stehen.
(4)
Der Plan muß mit den übrigen rechtlichen und politischen Instrumenten der Gemeinschaft in
Einklang stehen. Insbesondere sollen keine Berechtigungen für Emissionen zugeteilt werden,
die im Zuge der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften zu erneuerbaren Energien in der
In der bislang vorliegenden Fassung offengelassen.
Seite 15
Stromerzeugung reduziert oder verhindert2 werden, und ein als Ergebnis dieser neuen rechtlichen Anforderungen unvermeidbarer Emissionsanstieg soll berücksichtigt werden.
(5)
Der Plan darf bestimmte Unternehmen oder Tätigkeiten nicht übermäßig bevorzugen, was zur
Diskriminierung von Unternehmen oder Sektoren führen würde, noch dürfen einer Anlage
mehr Berechtigungen zugeteilt werden, als sie wahrscheinlich benötigt.
(6)
Der Plan muß Angaben dazu enthalten, wie neue Marktteilnehmer sich am Handel mit Treibhausgasemissionsberechtigungen in dem betreffenden Mitgliedstaat beteiligen können.
(7)
Der Plan enthält Angaben dazu, wie frühzeitiges Tätigwerden berücksichtigt wird; und
(8)
Der Plan enthält Vorschriften im Hinblick auf die Bemerkungen der Öffentlichkeit und Angaben zu den Modalitäten, wie diese Bemerkungen angemessen berücksichtigt werden, bevor
eine Entscheidung über die Zuteilung der Berechtigungen getroffen wird.
2.6
Die nationale Zuteilungsentscheidung
Der Mitgliedstaat trifft auf Grundlage seines Zuteilungsplans und unter Beteiligung
der Öffentlichkeit die Entscheidungen über die Gesamtmenge und die Anzahl der auf
den einzelnen Betreiber entfallenden Emissionsberechtigungen (Art. 11 Abs. 1 und 2
RL-V). Die Zuteilungsmethode des Art. 10 RL-V (nach Abs. 1 kostenlose Zuteilung
in der Einführungsphase) ist zu beachten.
Art. 11 Abs. 3 RL-V verpflichtet die Mitgliedsstaaten, die Zuteilungsentscheidungen
in Übereinstimmung mit dem EG-Vertrag (EG) zu treffen und damit vor allem die
Regelungen zum Schutz des freien Wettbewerbs (Art. 87 und 88 EG) zu beachten.
Nach diesen Normen sind staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen,
die bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige begünstigen und hierdurch den
Wettbewerb verfälschen bzw. zu verfälschen drohen, grundsätzlich mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen. Art. 87 Abs. 2 und 3 führt Beihilfen auf, die mit dem Gemeinsamen Markt
vereinbar sind (Abs. 2) oder als vereinbar angesehen werden können (Abs. 3).
Ferner muß neuen Teilnehmern im Rahmen der Zuteilungsentscheidung der Marktzugang gewährleistet werden (Art. 11 Abs. 3 RL-V).
2.7
Überwachung der Emissionen und Berichterstattung
Die Kommission wird auf der Grundlage von Anhang IV Leitlinien für die Überwachung und Berichterstattung bezüglich der relevanten Emissionen erlassen (Art. 14
Abs. 1 RL-V). Der Betreiber muß der zuständigen Behörde zum Ende jedes Kalenderjahres nach diesen Leitlinien über die Anlagenemissionen Bericht erstatten (Art. 14
Abs. 2 und 3 RL-V).
Ein externer Prüfer hat die Berichte der Betreiber nach den in Anhang V des RL-V
aufgeführten Kriterien zu überprüfen (Art. 15 Abs. 1 1. Halbsatz RL-V). Der Prüfer
2
In der deutschen Übersetzung findet sich anstelle des kursiv Gedruckten die Formulierung
„zugeteilt“. Dies ergibt keinen Sinn und stimmt nicht mit der englischen Fassung („reduced or eliminated“) überein. Deshalb wurde der Text hier entsprechend abgeändert.
Seite 16
muß vom Anlagenbetreiber unabhängig sein und seine Tätigkeit professionell und objektiv ausführen (zu den weiteren Anforderungen an den Prüfer vgl. Anhang V RLV); ihm ist Zugang zu allen Standorten und zu allen Informationen, die Gegenstand
der Prüfung sind, zu gewähren (Anhang V RL-V). Als Prüfungsergebnis ist darzulegen, ob der Bericht des Anlagenbetreibers den Anforderungen der Leitlinien entspricht und damit als zufriedenstellend bewertet werden kann oder nicht. Das Ergebnis ist der zuständigen Behörde mitzuteilen (Art. 15 Abs. 1 RL-V).3 Ist ein Bericht
nicht als zufriedenstellend bewertet worden, ist der Anlagenbetreiber in seinen Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt.
2.8
Bezugnahme auf die IVU-Richtlinie (RL 96/61/EG)
Der RL-V wirkt sich auf das geltende Umweltrecht der Gemeinschaft aus. Konflikte
sind in erster Linie bezüglich der Industrieanlagen-Richtlinie, der Großfeuerungsanlagen-Richtlinie, der NEC-Richtlinie und insbesondere der IVU-Richtlinie denkbar, vgl.
dazu unten unter 3.3.
IVU-Richtlinie
Die „Richtlinie 96/61/EG des Rates vom 24. September 1996 über die integrierte Vermeidung und
Verminderung der Umweltverschmutzung“ – abgekürzt als IVU-Richtlinie (IVU-RL) bezeichnet –
bildet das Kernstück des anlagenbezogenen EG-Umweltrechts. Um das von ihr verfolgte Ziel eines
hohen Schutzniveaus für die Umwelt zu erreichen, bestimmt sie Maßnahmen zur Vermeidung, und,
sofern dies nicht möglich ist, zur Verminderung von Emissionen bestimmter Industrieanlagen in Luft,
Wasser und Boden sowie Maßnahmen zur Abfallvermeidung und -verwertung (vgl. Art. 1 IVU-RL).
Damit eine Verlagerung der Verschmutzung von einem Umweltmedium auf ein anderes verhindert
wird, enthält die IVU-RL einen medienübergreifenden integrativen Ansatz, und zwar sowohl materiell
als auch verfahrensrechtlich. So gehören zu den zu beachtenden allgemeinen Prinzipien neben dem
Schutzprinzip insbesondere das Prinzip der Vorsorge durch den Einsatz der besten verfügbaren Techniken sowie das Prinzip der effizienten Energieverwendung. Ferner schreibt die IVU-RL ein Genehmigungssystem mit Öffentlichkeitsbeteiligung und regelmäßiger Überprüfung der Genehmigungsauflagen
für Anlagen vor.
Die Konfliktlage zwischen dem RL-V und der IVU-RL wurde (jedenfalls grundsätzlich) erkannt und zu lösen versucht. Art. 25 RL-V ändert Art. 9 Abs. 3 IVU-RL ab.
Danach müssen Anlagen, die in den Geltungsbereich des RL-V fallen, von den mengenmäßigen Emissionsbegrenzungen der IVU-RL ausgenommen werden. Allerdings
sollen Emissionsgrenzwerte (wenn erforderlich) zur Vermeidung wesentlicher lokaler
Verschmutzungen in die Anlagengenehmigung aufgenommen werden.
Art. 2 Abs. 2 RL-V möchte die durch die IVU-RL aufgestellten Anforderungen an die
effiziente Nutzung von Energie im Rahmen der erfaßten Aktivitäten unberührt lassen.
Die Bedeutung dieser Klausel ist unklar. Sie scheint darauf zu zielen, dass ein Anlagenbetreiber trotz seiner Teilnahme am Emissionshandel anlagenbezogenen Anforderungen an die effiziente Nutzung von Energie unterworfen werden kann. Das aber
steht im Widerspruch dazu, dass ein Anlagenbetreiber durch den Erwerb von Emissionsberechtigungen gerade vermeiden kann, entsprechende energieeffiziente Maßnahmen einzuführen (vgl. dazu unten 3.3.2.2 und 4.3.3).
3
Unklar ist hier, wer (der Betreiber oder der Prüfer) gegenüber der Behörde berichtspflichtig ist.
Seite 17
3.
Gemeinschaftsrecht und WTO-Recht
3.1
Die Kompetenz der Europäischen Gemeinschaft zum Erlaß einer Richtlinie über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionsberechtigungen4
Art. 175 des EG-Vertrags (EG) ermöglicht grundsätzlich den Erlaß einer Richtlinie
über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionsberechtigungen.
3.1.1 Kompetenzen gem. Art. 175 EG
Nr. 1.1 der Begründung des RL-V nennt als Rechtsgrundlage Art. 175 Abs. 1 EG.
Danach beschließt der Rat über das Tätigwerden der Gemeinschaft, um die in
Art. 174 genannten Ziele zu erreichen. Art. 174 Abs. 1 EG nennt als Ziele der EUUmweltpolitik unter anderem die Erhaltung und den Schutz der Umwelt, die Verbesserung ihrer Qualität, die umsichtige und rationelle Verwendung der natürlichen Ressourcen und die Förderung von Maßnahmen auf internationaler Ebene zur Bewältigung regionaler oder globaler Umweltprobleme.
Der RL-V verfolgt diese Ziele. Denn zu den vom Begriff der Umwelt in Art. 174
Abs. 1 EG erfaßten Umweltmedien zählt auch das Klima.5 Als Erhaltungs- und
Schutzmaßnahmen im Sinne dieser Vorschrift gelten nicht nur Maßnahmen zur Beseitigung bereits eingetretener Umweltbelastungen, sondern auch Maßnahmen zur Verhinderung künftiger Belastungen, d. h. Maßnahmen im Bereich der Klimavorsorge.6
Die Begründungserwägungen Nr. 4 und 5 heben die aus dem Kyoto-Protokoll (nach
seinem Inkrafttreten) folgende Verpflichtung der Gemeinschaft und ihrer Mitgliedstaaten hervor, die von diesem Protokoll erfassten Treibhausgasemissionen auf ein
bestimmtes Niveau zu reduzieren. Vor diesem Hintergrund bestimmt Art. 1 RL-V:
4
5
6
Dazu auch Epiney, Astrid: Fragen des europäischen und deutschen Verfassungsrechts, in: Rengeling,
Hans-Werner (Hrsg.): Klimaschutz durch Emissionshandel. Achte Osnabrücker Gespräche zum
deutschen und europäischen Umweltrecht am 26./27. April 2001, Köln u.a. 2001, S. 207-247/214220, sowie Krämer, Ludwig: Grundlagen aus europäischer Sicht. Rechtsfragen betreffend den Emissionshandel mit Treibhausgasen der Europäischen Gemeinschaft, in: Rengeling, Hans-Werner
(Hrsg.): Klimaschutz durch Emissionshandel. Achte Osnabrücker Gespräche zum deutschen und europäischen Umweltrecht am 26./27. April 2001, Köln u.a. 2001, S. 1-45/10-13.
Callies, in: Callies, Christian/Ruffert, Matthias (Hrsg.): Kommentar des Vertrages über die
Europäische Union und des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft – EUV/EGV –,
Neuwied 1999, Art. 174, Rdnr. 8; Krämer, Ludwigr, in: Groeben, Hans von der/Thiesing, Jochen/Ehlermann, Claus-Dieter (Hrsg.): Kommentar zum EWG-Vertrag, 5. Aufl. Baden-Baden 1997,
Art. 130, Rdnr. 3.
Breier/Vygen, in: Lenz, Carl Otto (Hrsg.): EG-Vertrag, Kommentar zu dem Vertrag zur Gründung
der Europäischen Gemeinschaften, in der durch den Amsterdamer Vertrag geänderten Fassung,
2. Aufl. Basel u.a. 1999, Art. 174, Rdnr. 5; Scherer/Heselhaus, in: Dauses, Manfred (Hrsg.): Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts Bd. 2 (Stand: August 2000), O, Rdnr. 16; Krämer, a.a.O., Art. 130,
Rdnr. 10.
Seite 18
Artikel 1
Gegenstand
Diese Richtlinie schafft ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionsberechtigungen auf Gemeinschaftsebene, mit dem auf kostenwirksame Weise eine Verringerung von Treibhausgasemissionen
bezweckt wird.
Der RL-V verfolgt demnach das Ziel, das Rechtsgut „Klima“ vor den schädlichen
Auswirkungen von Treibhausgasen zu schützen, indem der Ausstoß dieser Gase innerhalb der Gemeinschaft – und die damit einhergehende Belastung der Atmosphäre –
mittels bestimmter Regeln über den Handel mit Emissionsberechtigungen begrenzt
wird. Der RL-V soll damit primär dazu beitragen, künftige Umweltbelastungen zu
vermeiden. Der RL-V läßt sich daher als eine Maßnahme zur Erreichung der in
Art. 174 genannten Ziele einordnen; er ist daher grundsätzlich auf Art. 175 EG zu
stützten.
3.1.2 Einstimmige Beschlußfassung erforderlich?
Art. 175 Abs. 2 EG (einstimmige Beschlußfassung) erscheint als Rechtsgrundlage gegenüber der von der Kommission vorgesehenen Rechtsgrundlage – Art. 175 Abs. 1
EG - vorzugswürdig.
Art. 175 Abs. 2 EG sieht im Gegensatz zum ersten Absatz unter anderem dann eine
einstimmige Beschlußfassung durch den Rat vor, wenn die zu beschließenden Maßnahmen (kumulativ) die Wahl eines Mitgliedstaates zwischen verschiedenen Energiequellen und die allgemeine Struktur seiner Energieversorgung „erheblich berühren“.
Das Erfordernis einer „erheblichen“ Berührung bedeutet, daß die nationale Energieversorgung und die Wahl zwischen verschiedenen Energiequellen in ihrem Kern, d.h.
wesentlich, betroffen sein müssen. Davon ist dann auszugehen, wenn die Möglichkeit,
zwischen verschiedenen Energieträgern – auch aufgrund von Maßnahmen zum Klimaschutz oder zur Klimavorsorge – zu wählen, (faktisch) grundlegend eingeschränkt
wird und damit auch die nationale Energieversorgung tiefgreifend betroffen ist.7
Die von der Richtlinie bezweckte Reduzierung der Treibhausgasemissionen läßt sich
nach Einschätzung betroffener Wirtschaftsbereiche nur erreichen, wenn die Kohle als
Energieträger zugunsten anderer Energieträger wie Erdgas stark zurückgedrängt wird.
Die Richtlinie wird danach den sogenannten „Energiemix“ zu Lasten der Kohle als
Energieträger massiv beeinflussen. Vor diesem Hintergrund ist jedenfalls für diejenigen Mitgliedstaaten, die – wie Deutschland - in erheblichem Maße auf Kohle als Träger ihrer nationalen Energieversorgung zurückgreifen, davon auszugehen, daß der
RL-V ihre Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen Energieträgern zumindest faktisch grundlegend einschränkt und damit auch die allgemeine Struktur ihrer nationalen
Energieversorgung erheblich berührt. Das erscheint ausreichend, um Art. 175 Abs. 2
als Rechtsgrundlage für den RL-V heranzuziehen, denn nach dem dritten Spiegelstrich dieser Vorschrift reicht es, wenn die Wahl eines Mitgliedstaates zwischen ver-
7
Breier/Vygen, a.a.O., Art. 175, Rdnr. 15; Jahns-Böhm, in: Schwarze, Jürgen (Hrsg.): EUKommentar, Baden-Baden 2000, Art. 175, Rdnr. 20; Scherer/Heselhaus, a.a.O., O, Rdnr. 70.
Seite 19
schiedenen Energiequellen und die allgemeine Struktur der Energieversorgung (faktisch) erheblich berührt wird.
Fällt eine Maßnahme in den Anwendungsbereich des Art. 175 Abs. 2 EG, so ist diese
Rechtsgrundlage lex specialis gegenüber Art. 175 Abs. 1 EG. Das ergibt sich bereits
aus dem Umstand, dass Art. 175 Abs. 2 EG ein von dem Verfahren nach Abs. 1 abweichendes Beschlußverfahren vorsieht, insbesondere eine einstimmige Entscheidung
durch den Rat. Die Spezialität des Art. 175 Abs. 2 EG gegenüber Art. 175 Abs. 1 EG
wird zudem durch ein Urteil des EuGH vom 30. Januar 2001 in der Rechtssache C36/98 bestätigt. Der EuGH führte in diesem Urteil zu der inhaltlich gleichlautenden
Vorgängervorschrift des Art. 130s EG-Vertrag aus:
„Es erhellt somit aus dem Wortlaut beider Bestimmungen selbst, dass die
Rechtsgrundlage für Rechtsakte des Rates zur Erreichung der in Art. 130 r
EG-Vertrag genannten Ziele grundsätzlich Art. 130 s EG-Vertrag ist. Art.
130 s Abs. 2 EG-Vertrag hingegen ist nach seiner Formulierung dann anzuwenden, wenn die zu erlassenden Maßnahmen die in diesem Aufsatz aufgeführten Materien ... betreffen.“ (Rn. 46).
Angesichts der vorstehenden Überlegungen ist damit zweifelhaft, ob der von der
Kommission vorgeschlagene Art. 175 Abs. 1 EG die zutreffende Rechtsgrundlage für
den RL-V ist.
3.1.3 Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als Kompetenzausübungsschranken
Es ist zweifelhaft, ob der RL-V den gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit gerecht wird.
Die Kompetenz der Gemeinschaft, eine Richtlinie über ein System für den Handel mit
Treibhausgasemissionsberechtigungen zum Zwecke des Klimaschutzes zu erlassen,
besagt noch nichts über die zulässige Regelungsintensität der im RL-V vorgesehenen
Maßnahmen. Die Weite der Gemeinschaftskompetenz nach Art. 175 Abs. 1 EG hat
zur Folge, daß den Prinzipien der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit bei der Ausübung dieser Kompetenz ein besonderes Gewicht zukommt.8
3.1.3.1 Beachtung des Subsidiaritätsgrundsatzes
Art. 5 Abs. 2 EG verlangt, daß die Gemeinschaft in den nicht in ihre ausschließliche
Kompetenz fallenden Bereichen – etwa in der Umweltpolitik – nur tätig werden darf,
sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen (1) auf der Ebene
der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht (sog. Effizienztest) und daher (2) wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen besser auf Gemeinschaftsebene verwirklicht
werden können (sog. Mehrwerttest).9 In Konkretisierung dieses Maßstabs sieht das
„Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnis-
8
9
Siehe Callies, a.a.O., Art. 175, Rdnr. 12.
Siehe Langguth, in: Lenz, a.a.O., Art. 5, Rdnr. 24/29.
Seite 20
mäßigkeit“10 in Nr. 7 u.a. vor, daß bei Maßnahmen der Gemeinschaft so viel Raum
für nationale Entscheidungen bleiben muß, wie das in Einklang mit dem Ziel der
Maßnahme und den Anforderungen des Vertrags möglich ist. Unter Einhaltung der
gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften sollen bewährte nationale Regelungen sowie
Struktur und Funktionsweise der Rechtssysteme der Mitgliedstaaten geachtet werden.
Des weiteren sollen den Mitgliedstaaten Alternativen angeboten werden, um die Ziele
der Gemeinschaftsmaßnahmen zu erreichen, sofern das für eine ordnungsgemäße
Durchführung dieser Maßnahmen angemessen und erforderlich ist.
Ob der RL-V diesen Anforderungen sowohl nach seiner allgemeinen Konzeption als
auch hinsichtlich einzelner Regelungen gerecht wird, erscheint fraglich.
•
Konzeption des Richtlinien-Vorschlags
Nach Begründungserwägung Nr. 14 soll ein Rahmen für den Handel mit Emissionsberechtigungen innerhalb der Gemeinschaft nicht hinreichend durch individuelles
Handeln der Mitgliedstaaten verwirklicht werden können; der RL-V stimme daher mit
dem Subsidiaritätsgrundsatz überein. Diese Begründung verzerrt aber wohl den
Blickwinkel, denn der Handel mit Emissionsberechtigungen ist nur das Mittel, mit
dessen Hilfe das eigentliche Ziel des RL-V - die kostenwirksame Verringerung von
Treibhausgasemissionen – erreicht werden soll. Die Begründungserwägung Nr. 14
vermengt also das Ziel des RL-V mit dem zur Zielerreichung vorgesehenen Mittel.
Statt dessen muss im Vordergrund der Prüfung die Frage stehen, ob die kostenwirksame Verringerung von Treibhausgasen nach Maßnahmen der EG verlangt.
Danach erscheint es allerdings zweifelhaft, ob die Einhaltung der den einzelnen Mitgliedstaaten durch das Kyoto-Protokoll auferlegten Gesamtmenge an Emissionen eine
solche zentrale Gemeinschaftsmaßnahme überhaupt verlangt, denn diese Zielgröße
dürfte auch durch mitgliedstaatliche Regelungen erreicht werden; die umfangreichen
und erfolgreichen Klimaschutzprogramme bspw. in Deutschland und Großbritannien
zeigen das deutlich.11 In diesem Zusammenhang ist zudem zu bedenken, dass das Kyoto-Protokoll den Handel mit Emissionsberechtigungen nicht zwingend vorschreibt,
sondern nur als eine von mehreren Möglichkeiten ansieht, mit deren Hilfe die künftigen Vertragsparteien – u.a. die EG und die Mitgliedstaaten – ihre Verpflichtungen
kosteneffizient erfüllen können sollen.
Der von der Kommission ins Feld geführte Aspekt der Kostenwirksamkeit wird dagegen keine andere Beurteilung begründen, weil die Art. 175 Abs. 1, 174 Abs. 1 EG eine gemeinschaftsrechtliche Regelung im Rahmen der Umweltpolitik allein aus Gründen der Kostenwirksamkeit nicht rechtfertigen.
Der Einwand, daß zwar einzelne Mitgliedstaaten wie Deutschland und Großbritannien
in der Lage seien, ihre aus dem Kyoto-Protokoll resultierenden Reduktionsverpflichtungen zu erfüllen, andere Mitgliedstaaten dagegen nicht, enthebt die Gemeinschaft –
10
11
Das Protokoll zum EGV ist im Vertrag von Amsterdam enthalten, ABl. 1997 Nr. C 340/105 ff.
Davon gehen auch aus Rehbinder, Eckard/Schmalholz, Michael: Handel mit Emissionsrechten für
Treibhausgase in der Europäischen Union, UPR 2002, 1-10/9.
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sofern dieser Einwand zuträfe – jedenfalls nicht ihrer nach dem Subsidiaritätsgrundsatz bestehenden Pflicht, den Mitgliedstaaten, die ihre Reduktionsverpflichtungen erfüllen könne, Alternativen anzubieten, sofern dies angemessen und erforderlich ist.
Die Angemessenheit einer solchen Alternative dürfte hier daraus folgen, dass sich das
Ziel einer kostenwirksamen Verringerung der Treibhausgasemissionen wohl auch auf
andere Weise als durch einen Emissionshandel verwirklichen lässt. Für die Erforderlichkeit einer solchen Alternative spricht der Umstand, dass die unbedingte und absolute Einführung eines Systems des Handels mit Emissionsberechtigungen mit den auf
mitgliedstaatlicher Ebene bereits bestehenden und wirksamen Klimaschutzprogrammen nur schwerlich vereinbar ist und tiefgehend in die hergebrachten Strukturen des
nationalen Umweltrechts eingreift. Eine derartige Alternative würde eine Klausel bieten, die den Mitgliedstaaten eine „opt-in/opt-out“ Möglichkeit eröffnet.
Eine solche opt-in/opt-out Klausel würde dabei kein Novum im Gemeinschaftsrecht
darstellen. Art. 15 EG verpflichtet die Kommission, „bei der Formulierung ihrer Vorschläge zur Verwirklichung der Ziele“ des Binnenmarktes die Auswirkungen zu berücksichtigen, die sich aus einem unterschiedlichen volkswirtschaftlichen Entwicklungsstand der Mitgliedstaaten ergeben. Besteht danach eine hinreichende Notwendigkeit, diesen Unterschieden Rechnung zu tragen, kann die Kommission den betreffenden Sekundärrechtsakt durch geeignete Bestimmungen entsprechend ausgestalten.
Dabei ermächtigt Art. 15 EG die Kommission ausdrücklich dazu, „Ausnahmeregelungen“ vorzusehen. Diese Ausnahmeregelungen können u.a. darin bestehen, den
Rechtsakt nur auf einen bestimmten Kreis von Mitgliedstaaten anzuwenden12 oder
ihnen eine Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen Lösungen einzuräumen.13 Dementsprechend hat die Kommission bei mehreren Gelegenheiten Ausnahmeregelungen
nach Art. 15 EG in Sekundärrechtsakte aufgenommen.14
Zwar sollen Ausnahmeregelungen nach Art. 15 EG vor allem den volkswirtschaftlich
schwächeren Mitgliedstaaten zugute kommen. Aber für die hier vorgenommene Bewertung des RL-V ist letztlich entscheidend, dass selbst das primäre Gemeinschaftsrecht für besondere Situationen die Aufnahme von Ausnahmeregelungen in das sekundäre Gemeinschaftsrecht vorsieht, die eine „abgestufte Integration“,15 auch und
gerade im Rahmen des Binnenmarktes, ermöglichen. In Verbindung mit der sich aus
dem Subsidiaritätsgrundsatz ergebenden Forderung, den Mitgliedstaaten in den Gemeinschaftsmaßnahmen angemessene und erforderliche Alternativen zur Erreichung
der Ziele der Maßnahmen anzubieten, folgt daraus für die hiesige Konstellation das
Gebot, den Mitgliedstaaten einen Spielraum für alternative nationale Maßnahmen zu
belassen, sofern die Mitgliedstaaten der Kommission nachweisen können, dass die
dadurch zu erreichende Reduktion an Treibhausgasemissionen der durch den RL-V zu
erzielenden Reduktion gleichwertig ist. Solch ein Spielraum könnte wohl am ehesten
12
13
14
15
Siehe Geiger, EUV/EGV (3. Aufl. 2000), Art. 15, Rdnr. 4; Kahl, in: Callies/Ruffert, a.a.O., Art. 15,
Rdnr. 3.
Bardenhewer/Pipkorn, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, Kommentar zum EU-/EG-Vertrag (5. Aufl.
1997), Art. 7c, Rdnr. 8.
Es handelt sich um die Richtlinien 88/361; 90/531 und 90/387; siehe die Nachweise bei Bardenhewer/Pipkorn, a.a.O., Art. 7c, Rdnr. 24ff.
Nach Eberhard Grabitz, Abgestufte Integration. Eine Alternative zum herkömmlichen Integrationskonzept? (1984)
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durch eine opt-in/opt-out Klausel – etwa nach folgendem, beispielhaft skizzierten
Muster – erreicht werden:
Diskussionsvorschlag für eine „opt-in/opt-out“-Klausel
Aufnahme bzw. Herausnahme bestimmter Branchen und/oder Anlagen
1.
In Übereinstimmung mit Art. 1 entscheiden die Mitgliedstaaten über ihre Teilnahme an dem Handelssystem der Gemeinschaft für Treibhausgasemissionen.
Darüber hinaus können die Mitgliedstaaten die Kommission darüber in
Kenntnis setzen, daß bestimmte Branchen und/oder Anlagen in das System
aufzunehmen („opt-out“) bzw. herauszunehmen („opt-in“) sind.
2.
Die Kommission muß die in Abs. 1 genannten Branchen und/oder Anlagen
aus dem Handelssystem der Gemeinschaft für Treibhausgasemissionen herausnehmen, sofern diese Branchen und/oder Anlagen
a)
aufgrund nationaler Klimaschutzprogramme die Emissionen in gleichem Umfang reduzieren,
als wenn sie den Vorschriften dieser Richtlinie unterlägen,
b)
den Überprüfungs-, Berichts- und Verifikationsanforderungen unterworfen sind, die die Mitgliedstaaten aufgestellt haben, um ihre Reduktionsziele zu erfüllen, die in Anhang B des Kyoto-Protokolls bzw. in der Entscheidung xx/xxx/EG niedergelegt sind.
3.
Die Kommission muß die in Abs. 1 genannten Branchen und/oder Anlagen in
das Handelssystem der Gemeinschaft für Treibhausgasemissionen aufnehmen,
sofern diese Branchen und/oder Anlagen
a)
ihre Bereitschaft erklären, sich der Richtlinie zu unterwerfen und quantitative Ziele für die
Emissionsreduzierung zu übernehmen, und
b)
den Überprüfungs-, Berichts- und Verifikationsanforderungen unterworfen sind, die die Mitgliedstaaten aufgestellt haben, um ihre Reduktionsziele zu erfüllen, die in Anhang B des Kyoto-Protokolls bzw. in der Entscheidung xx/xxx/EG niedergelegt sind.
4.
Die Aufnahme von Branchen und/oder Anlagen in bzw. deren Herausnahme
aus dem Handelssystem der Gemeinschaft für Treibhausgasemissionen muß
wenigstens für eine Fünfjahresperiode (Verpflichtungsperiode) gelten. Die
Mitgliedstaaten setzen die Kommission von den entsprechenden Unternehmen
nach Abs. 1 drei Monate vor dem Beginn des betreffenden Fünfjahreszeitraums in Kenntnis.
•
Weiteres Beispiel: Emissionsgenehmigung
Einzelne Regelungselemente des RL-V erscheinen gleichfalls im Hinblick auf den
Subsidiaritätsgrundsatz problematisch. Das gilt so etwa für die in Art. 4 RL-V vorgesehene Emissionsgenehmigung. Denn das mit der Emissionsgenehmigung verfolgte
Ziel kann auch durch mitgliedstaatliche Maßnahmen erreicht werden. Der RL-V sollte
daher von einer verbindlichen Pflicht der Mitgliedstaaten zur Einführung einer Emis-
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sionsgenehmigung absehen und es den Mitgliedstaaten freistellen, auf welche Weise
sie den Unternehmen die in Art. 6 Abs. 2 c bis e RL-V genannten Pflichten auferlegen.
Die im RL-V vorgesehene Genehmigung gestattet abstrakt das Emittieren von Treibhausgasen16 und verpflichtet die Anlagenbetreiber zur regelmäßigen Überwachung
und Prüfung sowie zur jährlichen Abgabe einer ausreichenden Anzahl von Emissionsberechtigungen. Das System des Handels mit Emissionsberechtigungen benötigt
zu seinem Funktionieren aber wohl kein solches Gemeinschaftsinstrument. Denn die
mit dem Instrument „Genehmigung“ verfolgten Ziele können anderweitig durch das
jeweilige nationale Recht erreicht werden, ohne daß das Bewirtschaftungssystem des
RL-V als solches beeinträchtigt würde.
Da der Unternehmer für die konkrete Emissionstätigkeit eine ausreichende Anzahl
von Emissionsberechtigungen benötigt, ist die rechtstechnische Bedeutung einer Emissionsgenehmigung denkbar gering. Dasselbe Ergebnis könnte ein Mitgliedstaat
z.B. durch eine gesetzliche Bestimmung erzielen, wonach Treibhausgase nur emittiert
werden dürfen, wenn der Betreiber eine ausreichende Anzahl an Emissionsberechtigungen besitzt. Das Emittieren wäre somit als solches genehmigungsfrei, unterläge
allerdings der Einschränkung, daß genügend Berechtigungen bestehen. Dieser Ansatz
entspräche eher dem bisherigen deutschen Umweltrecht, nach dem das Emittieren von
Treibhausgasen genehmigungsfrei ist.
Ferner könnten die mit der Emissionsgenehmigung verbundenen Überwachungs- und
Berichtsauflagen von den Mitgliedstaaten z.B. in bereits bestehende Instrumente integriert werden. Die in der Genehmigung vorgesehene Pflicht zur Abgabe einer ausreichenden Zahl von Emissionsberechtigungen könnte ebenfalls gesetzlich geregelt
werden, ohne dass es einer gesonderten Genehmigung bedarf.
Zwar bestünde auch bei Wegfall des gesonderten Genehmigungserfordernisses das
Bewirtschaftungssystem des RL-V fort. Durch ein solches Vorgehen könnte jedoch
berücksichtigt werden, daß für die sog. Altanlagen das Genehmigungsverfahren nach
dem nationalen Immissionsschutzrecht bereits erfolgreich abgeschlossen ist und die
geplante Verknüpfung der Genehmigungsverfahren (vgl. Art. 8 RL-V und Nr. 12 der
Begründung des RL-V) bei diesen Anlagen ohnehin nicht (mehr) erfolgen könnte.
3.1.3.2 Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes
Art. 5 Abs. 3 EG verlangt des weiteren, daß die Maßnahmen der Gemeinschaft nicht
über das für die Erreichung der Ziele des EG-Vertrags erforderliche Maß hinausgehen
dürfen. Obwohl nicht ausdrücklich erwähnt, ist damit der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gemeint. In der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes ist anerkannt,
daß der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz die drei Kriterien der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit umfaßt:
16
Vgl. Art. 4 RL-V: „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Anlagen ab dem 1. Januar 2005 die in
Anhang I genannten Tätigkeiten, bei denen die für diese Tätigkeit spezifizierten Treibhausgase emittiert werden, nur durchführen, wenn der Betreiber über eine Genehmigung verfügt, die von einer zuständigen Behörde gemäß den Artikeln 5 und 6 erteilt wurde.“
Seite 24
„Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gehört nach ständiger Rechtsprechung
des Gerichtshofes zu den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts.
Nach diesem Grundsatz sind Maßnahmen … nur rechtmäßig, wenn sie zu Erreichung der zulässigerweise mit der fraglichen Regelung verfolgten Ziele geeignet und erforderlich sind. Dabei ist, wenn mehrere geeignete Maßnahmen
zur Auswahl stehen, die am wenigsten belastende zu wählen; ferner müssen die
auferlegten Belastungen in angemessenem Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen.“17
Bei denjenigen Regelungen des RL-V, die über die Bestimmung der Gesamtmenge an
Emissionen hinausgehen (d.h. Emissionsgenehmigung, Emissionsberechtigung, Zuteilung und Handel), erscheint es generell zweifelhaft, ob sie wirklich geeignet sind,
Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Die mangelnde Eignung des RL-V, zur Reduzierung der Treibhaugasemissionen beizutragen, zeigt sich so etwa an Anhang III Nr.
4 des RL-V. Denn danach dürfen keine Berechtigungen für Emissionen zugeteilt werden, die im Zuge anderer gemeinschaftlicher Rechtsvorschriften zu reduzieren oder zu
verhindern sind. Anhang III Nr. 4 des RL-V führt somit zu einer Verknappung der
Emissionsberechtigungen und konterkariert daher die vom RL-V intendierte Lenkungswirkung des Handels mit Emissionsberechtigungen. Dabei ist auch zu bedenken, daß die ökonomisch sinnvollen (Stichwort Minderungskosten) Reduktionspotentiale insbesondere der energieintensiven Industriezweige bereits weitgehend ausgeschöpft sind.
Wenn man im Hinblick auf die Einschätzungsprärogative des Gemeinschaftsgesetzgebers dennoch von einer Eignung der im RL-V vorgesehenen Regelungsinstrumente
ausgehen will, so ist jedenfalls ihre Erforderlichkeit zu bezweifeln. Denn um das eigentliche Ziel des RL-V - kostenwirksame Reduzierung der Treibhausgasemissionen
– zu erreichen, dürfte es genügen, die Gesamtmenge an Treibhausgasen festzulegen,
die jeder Mitgliedstaat emittieren darf. 18 Zudem ist daran zu erinnern, dass es bereits
eine Reihe von Gemeinschaftsmaßnahmen im Bereich Klimaschutz und –vorsorge
gibt, die gleichfalls auf eine Reduzierung der Treibhaugasemissionen abzielen.
Des weiteren ist zweifelhaft, ob die im RL-V vorgesehenen Maßnahmen in einem angemessenen Verhältnis zum angestrebten Ziel stehen, weil lediglich einzelne Industriesektoren erfaßt werden. Dadurch werden diese Industriesektoren gegenüber anderen Bereichen benachteiligt, da sie allein für die Erfüllung der durch das KyotoProtokoll festgelegten Reduktionsziele herangezogen werden, obwohl auch andere
Bereiche in beträchtlichem Umfang Treibhausgase emittieren.19 Schließlich ist unklar,
inwieweit in der Vergangenheit ergriffene Reduktionsmaßnahmen für die Zuteilung
von Emissionsberechtigungen berücksichtigungsfähig sind (vgl. 3.2.2). Das belastet
17
18
19
Rs. 265/87, Slg. 1989, 2237, Rdnr. 21.
Vgl. ebenso Frenz, Walter: Klimaschutz und Instrumentenwahl. Zum Stand nach der Konferenz von
Den Haag und vor der Konferenz in Bonn, NuR 2001, 301-311/310 m.w.N. in Fn. 138, mit Blick auf
Selbstverpflichtungen und hinzutretende Ökosteuern.
Kritisch zur Bestimmung der in den Anwendungsbereich des RL-V einbezogenen Sektoren auch
Rehbinder/Schmalholz, UPR 2002, 1-10/2.
Seite 25
die betreffenden Anlagenbetreiber in einer unangemessenen Weise,20 zumal wenn sie
energieintensiven Branchen angehören, deren Reduktionspotentiale schon weitgehend
erschöpft sind.
Die Einführung des Handels mit Emissionsberechtigungen ist mit hohen Folgekosten
verbunden. Im Hinblick darauf und auf die bereits ergriffenen Maßnahmen zur Verringerung der Treibhausgasemissionen sprechen neben dem Subsidiaritätsgrundsatz
auch die Gesichtspunkte der Erforderlichkeit und Angemessenheit dafür, eine optin/opt-out-Klausel in den RL-V aufzunehmen (siehe oben 3.1.3.1).
3.2
Wettbewerbsverzerrungen aufgrund des Richtlinien-Vorschlags
3.2.1 Wettbewerbsverzerrungen aufgrund von Ungleichbehandlungen
Der RL-V erfaßt lediglich bestimmte Industriezweige und berücksichtigt nicht, daß
andere Sektoren gleichfalls in erheblichem Maße Treibhausgase emittieren. Diese einseitige Konzentration auf einzelne Industriebranchen ist im Hinblick auf den im Gemeinschaftsrecht anerkannten allgemeinen Gleichheitsgrundsatz zumindest problematisch.21
Nach diesem Rechtsgrundsatz dürfen vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich behandelt werden, es sei denn, eine Differenzierung ist objektiv gerechtfertigt.22
Soweit der RL-V solche Sektoren, die in vergleichbarem Umfang Treibhausgase emittieren wie diejenigen Industriezweige, die vom RL-V erfaßt sind, außen vor läßt,
behandelt er vergleichbare Sachverhalte unterschiedlich. Eine objektive Rechtfertigung dafür gibt es offenbar aber nicht. In Nr. 11 der Begründung des RL-V werden
jedenfalls lediglich Gründe für die Nichtberücksichtigung bestimmter Chemie- und
Abfallverbrennungsanlagen genannt; andere Sektoren werden dagegen nicht erwähnt.
Eine solche Ungleichbehandlung der verschiedenen Sektoren läßt Wettbewerbsverzerrungen zwischen diesen Sektoren möglich werden, die den Binnenmarkt verfälschen können.
3.2.2 Wettbewerbsverzerrungen durch Anhang III
Die Gesichtspunkte für die Zuteilung nach Anhang III müssen eindeutiger und strenger gefaßt werden, weil ansonsten Wettbewerbsverzerrungen zwischen den in Anhang
III genannten Industrien der einzelnen Mitgliedstaaten zu befürchten sind. Das widerspräche dem Ziel eines unverfälschten Binnenmarktes.
Anhang III führt neben den Aussagen zur Bestimmung der Gesamtmenge (Nr. 1 und
2) einzelne Zuteilungskriterien (Nr. 3-5) und bestimmte Berücksichtigungsgebote auf
(Nr. 6-8). Die Zuteilungskriterien werden in der jetzigen Fassung zu erheblichen Umsetzungsproblemen führen. dies gilt insbesondere auch für die mögliche Verringerung
des „caps“, um eine Treibhausgasreduktion zu erreichen. Wie dies im einzelnen (z.B.
im Rahmen eines nationalen Gesetzes, vgl. unten 4.5) erfolgen soll, ist unklar. Im üb20
21
22
In diesem Sinne auch Rehbinder/Schmalholz, a.a.O., 3.
So auch die Einschätzung von Rehbinder/Schmalholz, a.a.O., 8.
Rs. 281/82, EuGH, Slg. 1986, S. 1969, Rdnr. 30.
Seite 26
rigen ist die Zuteilung (und deren Reduzierung in weiteren Zuteilungszeiträumen)
aufgrund der erheblichen Grundrechtsrelevanz der Zuteilungsentscheidung (Eigentumsgarantie, Berufsfreiheit) ein besonders sensibler Bereich. Hierauf wird im Rahmen der Beachtung der deutschen Grundrechte näher einzugehen sein (dazu unter
4.5.2). Beispielhaft sind dafür folgende Punkte zu nennen:
23
•
Die zugeteilten Emissionsberechtigungen sollen mit dem technischen Potential der
Anlagen zur Emissionsverringerung vereinbar sein. Das bedeutet, daß alte Anlagen, die ihre Emissionen nicht mehr verringern können, möglicherweise mehr Berechtigungen zugeteilt bekommen als modernere Anlagen. Dies erscheint nur dann
angemessen, wenn Unternehmer, die rechtzeitig in moderne emissionsarme Techniken investiert haben, dafür einen Ausgleich erhalten. Ansonsten käme es zu einer „Bestrafung“ der innovationsfreudigen Unternehmen und zu einer „Belohnung“ derjenigen, die erst später oder noch gar nicht klimaschützende Maßnahmen eingeführt haben. Daher ist es erforderlich, an dieser Stelle klar zu regeln,
wie „early action“ (frühzeitige Maßnahmen von Unternehmen für den Klimaschutz) berücksichtigt werden soll.
•
Ein weiteres Kriterium ist die durch andere gemeinschaftsrechtliche Elemente bereits veranlaßte Emissionsreduzierung (insbesondere bei der Verwendung erneuerbarer Energien in der Stromerzeugung). Nur der als Ergebnis der neuen rechtlichen Anforderungen unvermeidbare Emissionsanstieg soll berücksichtigt werden.
Sofern ein Betreiber durch andere gemeinschaftsrechtliche Verpflichtungen zur
Emissionsreduktion verpflichtet ist (insbesondere aufgrund von Normen zu erneuerbaren Energien), werden ihm für die zu reduzierenden Emissionsmengen von
vornherein keine Emissionsberechtigungen zugeteilt.23 Dadurch wird die Nichterfüllung der erforderlichen betrieblichen Umstellung durch diesen RL-V zusätzlich
sanktioniert. Darüber hinaus bestehen Bedenken gegen die Verhältnismäßigkeit
dieses Kriteriums (vgl. dazu oben 3.1.3.2).
•
Allgemein darf es zu keinen übermäßigen Bevorzugungen einzelner Anlagen
kommen. Dies schließt jedoch geringere Ungleichbehandlungen nicht aus. Hier
wird den Mitgliedstaaten offenbar ein bedenklicher Spielraum für die Bewertung
einer bloß „geringen“ Ungleichbehandlung eröffnet. Ob allein der Verweis auf die
beihilferechtlichen Vorschriften reicht, um Wettbewerbsverzerrungen zu verhindern, ist unklar.
•
Ferner dürfen dem Betreiber einer Anlage nicht mehr Berechtigungen zugeteilt
werden, als er wahrscheinlich benötigt. Auch hier stellt sich die Frage, wie frühzeitiges Tätigwerden von Unternehmen, die bereits Vorleistungen für die Emissionsreduzierung erbracht haben („early action“), berücksichtigt werden kann.
Die deutsche Übersetzung des RL-V ist hier unergiebig (vgl. oben 2.). Der englische Text lautet:
„...no allowances should be allocated to cover emissions which would be reduced or eliminated as a
concequence of Community legislation on renewable energy in electricity production,...“
Seite 27
Weiter muß der Zuteilungsplan Angaben zu bestimmten Gesichtspunkten enthalten.
Es handelt sich dabei um ein Berücksichtigungsgebot, ohne daß – wie zuvor – zwingende Zuteilungskriterien aufgestellt werden.
•
So muß der Plan Aussagen zur Berücksichtigung von frühzeitigem Tätigwerden
enthalten. Das Verhältnis zu dem Zuteilungskriterium „nicht mehr Berechtigungen als benötigt“ ist unklar. Da es sich um ein Berücksichtigungsgebot und nicht
um ein klar umrissenes Zuteilungskriterium handelt, bleibt zweifelhaft, ob bereits
erbrachte Vorleistungen ausreichend honoriert werden.
•
Der Plan muß die Möglichkeit einer Beteiligung neuer Marktteilnehmer berücksichtigen. Das ist erforderlich, damit diese überhaupt Zugang zum System erhalten
können (z.B. mittels Zurückhalten einer bestimmten Anzahl von Berechtigungen).
Nr. 13 der Begründung des RL-V stellt aber auch auf die Niederlassungsfreiheit
gem. Art. 43 EGV ab. Es muß folglich auch gewährleistet sein, daß es einem Unternehmen auch innerhalb eines Zuteilungszeitraums möglich ist, in einem anderen Mitgliedstaat eine Anlage in Betrieb zu nehmen und dazu die entsprechend
notwendigen Emissionsberechtigungen zu erhalten.
Beispiel:
Das folgende Beispiel soll die Ungereimtheiten, die bei der Anwendung des Anhangs III auftreten können, veranschaulichen.
Drei Zementwerke in unterschiedlichen Mitgliedstaaten möchten Emissionsberechtigungen erhalten:
Das Zementwerk A möchte einen neuen Ofen in Betrieb nehmen und benötigt dafür Emissionsberechtigungen. Werk B hat eine veraltete Technik und benötigt daher verhältnismäßig mehr Emissionsberechtigungen als andere Anlagen. Werk C hat bereits umfassend in emissionsreduzierende Maßnahmen
investiert und benötigt daher nur wenige Emissionsberechtigungen. Es möchte sich aber seine Vorleistungen anrechnen lassen.
A kann für den neuen Ofen von seiner Zuteilungsstelle die erforderlichen Emissionsberechtigungen
bekommen und damit besser dastehen als vergleichbare andere Betriebe. Nach Nr. 5 des Anhangs III
sind zwar übermäßige Bevorzugungen ausgeschlossen. Ab wann es sich um eine „übermäßige Bevorzugung“ handelt, ist jedoch offen.
B wird weiterhin die benötigten Emissionsberechtigungen erhalten (Anhang III Nr. 3), es sei denn, er
muß z.B. wegen gemeinschaftsrechtlicher Normen über erneuerbare Energien seine Emissionen reduzieren und erhält deshalb für die zu reduzierenden Emissionen bereits keine Emissionsberechtigungen
mehr (Anhang III Nr. 4). B wird damit mittelbar gezwungen, die Emissionen entsprechend anderer
gemeinschaftsrechtlicher Bestimmungen zu verringern. Ansonsten wird er (auch) nach dem RL-V
sanktioniert.
C wird dagegen weniger Emissionsberechtigungen als B bekommen, da er nur noch wenige benötigt
(Anhang III Nr. 5). Zwar soll der Plan Angaben dazu enthalten, wie frühzeitiges Tätigwerden berücksichtigt wird (Anhang III Nr. 7). Dies ist aber als bloßes Berücksichtigungsgebot formuliert; ob dadurch das zwingend formulierte Zuteilungskriterium („nicht mehr Berechtigungen als benötigt“) ausgehebelt wird, ist zweifelhaft. Jedenfalls wird sich C nicht darauf verlassen können, seine Vorleistungen honoriert zu bekommen.
Für den Anhang III besteht daher erheblicher Ergänzungs- und Konkretisierungsbedarf, um die ansonsten absehbaren Probleme zu vermeiden.
Seite 28
3.2.3 Wettbewerbsverzerrungen durch Einbeziehung Dritter in den Richtlinien-Vorschlag
Der RL-V läßt auch die Teilnahme Dritter am Handelssystem zu. Diese Personen sollen nach Nr. 13 der Begründung auch das Recht zum Löschen der Emissionsberechtigungen (Art. 12 Abs. 4 RL-V) haben. Dies wird zum einen mit vergleichbaren Vorschlägen für die Umsetzung des Kyoto-Protokolls, zum anderen mit der „Beteiligung
der Bürgergesellschaft“ begründet. Eine derart weite Interpretation von Art. 12 Abs. 4
RL-V führt im Ergebnis dazu, daß Dritte die Anzahl von Emissionsberechtigungen
verknappen und so den Markt beeinflussen können. Genauere Vorschriften sind hier
notwendig, um Auswirkungen auf den Preis der Berechtigungen durch deren künstliche Verknappung zu vermeiden.
3.3
Zusammenspiel von Richtlinien-Vorschlag und bisherigem europäischen
Umweltrecht
Der RL-V bewirkt mit seinem anlagenübergreifend bewirtschaftenden Konzept einen
grundlegenden Systemwechsel im Europäischen Umweltrecht. Er tritt neben die IVURL, die ein zentrales Genehmigungsregime für Industrieanlagen enthält.
Der RL-V läßt im Unklaren, wie der Emissionshandel mit dem Prinzip der Energieeffizienz (Art. 3 lit. d IVU-RL) zu vereinbaren sein soll. Es besteht die Gefahr, daß Auflagen zur Energieeffizienz zahlreichen Betreibern den Anreiz zum Handel und
Gebrauch von Emissionsrechten nehmen. Damit droht ein Emissionshandelssystem
wegen Illiquidität des Marktes zum Scheitern verurteilt zu sein. Dies sollte durch eine
Änderung von Art. 3 lit. d IVU-RL behoben werden, so daß Anlagen im Hinblick auf
solche Emissionen als energieeffizient gelten, für die sie Emissionsberechtigungen
besitzen.
Für einen Teil der Anlagen (insb. Kohlekraftwerke) entsteht außerdem ein Konflikt
mit den ordnungsrechtlichen Emissionsgrenzwerten im Hinblick auf sog. Kuppelemissionen (u.a. nach IVU-, NEC-, Großfeuerungsanlagen- und Luftqualitäts-RL).
Für sie erscheint die Teilnahme am Emissionshandel und der Erwerb von CO2Berechtigungen aufgrund des „ordnungsrechtlichen Korsetts“ wenig sinnvoll. Zudem
entstehen zusätzliche Kosten, weil bewährte Maßnahmen zur Reduzierung der Emissionen bestimmter Schadstoffe typischerweise mit einem CO2-Mehrausstoß verbunden sind.
Die Industrieanlagen, die der RL-V in Anhang III erfaßt, waren mehrfach Gegenstand
europäischer Reglementierung. Bei der Einführung der Instrumente des RL-V (Genehmigung, Berechtigung, Zuteilung und Handel) ist die EU gezwungen, Konflikte
mit den bestehenden Regelungen zu vermeiden. Das gilt sowohl für die für die Zeit ab
2005 geplante Regelung von CO2-Emissionen als auch für eine mögliche Erweiterung
von Anhang I des RL-V auf die übrigen in Anhang II genannten Treibhausgase.
Nachfolgend werden die bisherigen Rechtsakte der EU näher dargestellt (3.3.1). Anschließend geht es insbesondere um die Vereinbarkeit mit der IVU-RL (3.3.2).
Seite 29
3.3.1 Bisherige Rechtsakte gegenüber Industrie-Emissionen und der Richtlinien-Vorschlag
3.3.1.1 Die Industrieanlagen-Richtlinie
Die Industrieanlagen-RL24 von 1984 verpflichtet Betreiber, eine Genehmigung einzuholen (Art. 3), die besten verfügbaren Techniken zur Vermeidung von Luftverschmutzungen zu verwenden (soweit hierdurch keine unverhältnismäßig hohen Kosten entstehen), signifikante Luftverunreinigungen durch bestimmte Schadstoffe (SO2,
NOx, CO etc.)25 zu verhindern und bestimmte Emissionsgrenzwerte und Luftqualitätswerte einzuhalten (Art. 4). Die Industrieanlagen-RL wird zum 31.10.2007 vollständig durch die IVU-RL ersetzt.26 Bis dahin gilt sie für „bestehende Industrieanlagen“ im Sinne der IVU-RL allerdings fort.27
In der jetzt vorgeschlagenen Fassung kollidiert der RL-V nicht mit der Industrieanlagen-RL. Denn Emissionsgenehmigung und Handel sollen sich zunächst nur auf CO2Emissionen beziehen. CO2 ist aber kein Schadstoff im Sinne der Industrieanlagen-RL.
Der RL-V sieht allerdings weitere Treibhausgase vor (Anhang II), deren Emission
und Handel künftig geregelt werden soll. Dabei handelt es sich teilweise um Schadstoffe im Sinne der Industrieanlagen-RL. Das bedeutet: Sollte die EU Anhang I des
RL-V – wie geplant – auf weitere handelbare Treibhausgase erweitern, würde eine
Anpassung der Industrieanlagen-RL erforderlich. Diese Überschneidung tritt aber nur
ein, wenn Anhang I des RL-V noch vor Außerkrafttreten der Industrieanlagen-RL am
31.10. 2007 erweitert würde.
3.3.1.2 Die Großfeuerungsanlagen-Richtlinie
Durch die Großfeuerungsanlagen-RL28 von 1988 und weitere Tochterrichtlinien zur
Industrieanlagen-RL wurden Emissionsgrenzwerte eingeführt. Nach Art. 4 Abs. 1 der
Großfeuerungsanlagen-RL muß die Betriebsgenehmigung für Feuerungsanlagen, deren Feuerungswärmeleistung 50 MW und mehr beträgt, Bestimmungen über die Einhaltung von Grenzwerten zur Emission von SO2, NOx und Staub enthalten. Diese
Grenzwerte wurden bei der Novellierung der Großfeuerungsanlagen-RL im Oktober 2001 wesentlich verschärft.29 Ein Konflikt zwischen der GroßfeuerungsanlagenRL und dem RL-V besteht nicht, da für Großfeuerungsanlagen keine CO2-Grenzwerte
aufgestellt wird (zum Problem der Kuppelemissionen sogleich unter 3.3.2.3).
24
25
26
27
28
29
RL 84/360/EWG.
Gemäß Art. 20 Abs. 3 S. 1 IVU-RL tritt die Industrieanlagen-RL elf Jahre nach Inkrafttreten der
IVU-RL (am 31.10.1996) außer Kraft.
Gemäß Art. 20 Abs. 3 S. 1 IVU-RL tritt die Industrieanlagen-RL elf Jahre nach Inkrafttreten der
IVU-RL (am 31.10.1996) außer Kraft.
Bestehende Anlagen sind solche, die zum 31.10.1996 bereits in Betrieb genommen waren oder die
bis zum 31.10.1999 zugelassen wurden oder für die bis zum 31.10.1999 zumindest ein vollständiger
Genehmigungsantrag vorlag, sofern sie spätestens bis zum 31.10.2000 in Betrieb genommen wurden
(Art. 2 Nr. 4, Art. 20 Abs. 1 IVU-RL).
RL 88/609/EWG.
RL 2001/80/EG v. 23. Oktober 2001.
Seite 30
3.3.1.3 Die NEC-Richtlinie
Die Richtlinie über nationale Emissionshöchstmengen für bestimmte Luftschadstoffe
(NEC-RL) verpflichtet die Mitgliedstaaten, Schwefeldioxid, Stickstoffoxide, flüchtige
organische Verbindungen und Ammoniak unter einem landesspezifisch bestimmten
Gesamtausstoß spätestens ab November 2002 zu halten.30 Die Mitgliedstaaten können
diese Ziele dadurch umsetzen, daß sie entsprechende anlagenbezogene Grenzwerte für
säuernde, eutrophierende und photochemisch wirksame Luftschadstoffe einführen. Da
die NEC-RL keinen Grenzwert für CO2 ermöglicht, besteht kein Konflikt mit den Anforderungen des RL-V in seiner jetzigen Form (zum Problem der Kuppelemissionen
sogleich unter 3.3.2.3).
3.3.1.4 Die IVU-Richtlinie
Mit der IVU-RL31 von 1996 wurde für sämtliche Anlagen, die am industriellen Emissionshandel teilnehmen sollen, ein (gegenüber den beschriebenen früheren Anforderungen an den Anlagenbetrieb) umfassenderes und inhaltlich verschärftes Genehmigungsregime eingeführt. Es ist gekennzeichnet durch zusätzliche Emissionsgrenzwerte sowie bei der Genehmigung von Anlagen zu beachtende allgemeine Prinzipien (zur
Vereinbarkeit mit dem RL-V sogleich unter 3.3.2).
3.3.1.5 Der Richtlinien-Vorschlag
Nach dem RL-V soll ab dem Jahr 2005 für die Emissionen von Treibhausgasen ein
zusätzliches Genehmigungs-, Berechtigungs-, Zuteilungs- und Handelssystem eingeführt werden. Dem liegt ein neuartiges anlagenübergreifendes und flexibilisierendes
Konzept zugrunde, das bereits nach seinem methodischen Ansatz von den bisherigen
EU-Grenzwertregimen zur Luftreinhaltung abweicht. Im Unterschied zum geltenden
europäischen Umweltrecht, nach welchem der Betrieb oder die Errichtung einer bestimmten Anlage die Genehmigungspflicht auslöst, ist Anknüpfungspunkt der Genehmigung nach dem RL-V die Nutzung des Mediums Luft durch das Emittieren von
Treibhausgasen.
3.3.2
Die IVU-Richtlinie und der Richtlinien-Vorschlag
Das Verhältnis von sonstigen Genehmigungsauflagen, insbesondere zur Energieeffizienz, und RL-V ist nicht eindeutig. Es besteht die Gefahr, daß Auflagen zur Energieeffizienz zahlreichen Betreibern den Anreiz zum Handel und Gebrauch von Emissionsrechten nehmen. Damit droht ein Emissionshandelssystem wegen Illiquidität des
Marktes zum Scheitern verurteilt zu sein. Dies sollte durch eine Änderung von Art. 3
lit. d IVU-RL behoben werden, wonach Anlagen im Hinblick auf solche Emissionen
als energieeffizient gelten, für die sie Emissionsberechtigungen besitzen.
30
31
RL 2001/81/EG v. 23. Oktober 2001.
RL 96/61/EG.
Seite 31
Für einen Teil der Anlagen (insb. Kohlekraftwerke) entsteht außerdem ein Konflikt
mit den ordnungsrechtlichen Emissionsgrenzwerten (u.a. nach IVU-, NEC-, Großfeuerungsanlagen- und Luftqualitäts-RL). Für sie erscheint die Teilnahme am Emissionshandel und der Erwerb von CO2-Berechtigungen aufgrund des „ordnungsrechtlichen
Korsetts“ wenig sinnvoll. Zudem entstehen zusätzliche Kosten, weil bewährte Maßnahmen zur Reduzierung der Emissionen bestimmter Schadstoffe typischerweise mit
einem CO2-Mehrausstoß verbunden sind
Der RL-V muß maßgeblich mit der IVU-RL abgestimmt werden. Denn zum einen
decken sich die Anwendungsbereiche des RL-V und der IVU-RL im wesentlichen im
Hinblick auf die erfaßten Industrieanlagen und zumindest teilweise im Hinblick auf
die reglementierten Stoffe. Zum anderen vereinheitlicht und bündelt die IVU-RL von
1996 die vorher ergangenen anlagenbezogenen Regelungen zur Vermeidung von
Luftverunreinigungen (z.B. Industrieanlagen-RL).
Aus Sicht der Unternehmen steht die Frage im Vordergrund, welche Anforderungen
sie zu erfüllen haben. Die IVU-RL enthält in Art. 3 „allgemeine Prinzipien der
Grundpflichten der Betreiber“, die von den nationalen Behörden bei der Festlegung
von Genehmigungsauflagen zu berücksichtigen sind (dazu unten 3.3.2.1).
Artikel 3 der IVU-RL
Allgemeine Prinzipien der Grundpflichten der Betreiber
Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Vorkehrungen, damit die zuständigen Behörden
sich vergewissern, dass die Anlage so betrieben wird, dass
a) alle geeigneten Vorsorgemaßnahmen gegen Umweltverschmutzungen, insbesondere durch
den Einsatz der besten verfügbaren Techniken, getroffen werden;
b) keine erheblichen Umweltverschmutzungen verursacht werden;
d) Energie effizient verwendet wird;
Für die Einhaltung der Vorschriften dieses Artikels reicht es aus, wenn die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die zuständigen Behörden bei der Festlegung der Genehmigungsauflagen die
in diesem Artikel aufgeführten allgemeinen Prinzipien berücksichtigen.
Bei den Genehmigungsauflagen kommen solche zur Energieeffizienz sowie die Festsetzung von Emissionsgrenzwerten in Betracht (dazu unten 3.3.2.2 und 3.3.2.3).
3.3.2.1 Die „allgemeinen Prinzipien zu den Grundpflichten der Betreiber“ nach
der IVU-Richtlinie und der Richtlinien-Vorschlag
Der RL-V ist im wesentlichen mit den „allgemeinen Prinzipien zu den Grundpflichten
der Betreiber“ (Art. 3 IVU-RL) vereinbar. Dies gilt insbesondere für das Verhältnis
der Emissionsberechtigung zum Prinzip der Vorsorge (Art. 3 lit. a IVU-RL), aber
auch für das zu den anderen allgemeinen Prinzipien.
Ein Konflikt zwischen Emissionsberechtigung einerseits und Vorsorgeprinzip (Art. 3
lit. a IVU-RL) andererseits droht, wenn das Vorsorgeprinzip den Betreiber verpflich-
Seite 32
ten sollte, stets die besten verfügbaren Techniken („best available techniques“, BAT)
zur Vermeidung von Emissionen anzuwenden, wenn also das Europarecht an dieser
Stelle dem deutschen Immissionsschutzrecht entspräche, das dem Betreiber in § 5
Abs. 1 Nr. 2 BImSchG eine selbständige, dynamische und behördlich durchsetzbare
Vorsorgepflicht auferlegt (so im deutschen Recht, dazu unten 4.3.2).32
Der Meinungsstand hierzu ist streitig 33, die wohl überwiegende Auffassung sieht
schon wegen des Wortlauts des Art. 3 Abs. 2 IVU-RL das IVU-Vorsorgeprinzip nicht
als unmittelbar geltende Betreiberpflicht: Denn nach dem Wortlaut ist das Vorsorgeprinzip bei der Festlegung von Genehmigungsauflagen lediglich „zu berücksichtigen“. Bei Zugrundelegung dieser Ansicht würde kein Konflikt zwischen dem Konzept
des RL-V und den Grundpflichten der IVU-RL bestehen. Folgt man hingegen der anderen Auffassung, so würden die nachfolgend unter 4.3.2 zum deutschen Recht dargelegten Bedenken entsprechend gelten.
3.3.2.2 Konflikt Energieeffizienz und Richtlinien-Vorschlag
Der RL-V trifft eine ausdrückliche Regelung über das Verhältnis zwischen den Rechten und Pflichten aus dem RL-V und dem Prinzip der Energieeffizienz (Art. 3 lit. d
IVU-RL):
Artikel 2
Geltungsbereich
(2)
Diese Richtlinie gilt unbeschadet der im Rahmen der Richtlinie 96/61/EG geltenden Anforderungen für Energieeffizienz.
Nach Art. 2 Abs. 2 RL-V bleibt das Gebot eines energieeffizienten Anlagenbetriebs
durch die Regelungen des RL-V also unberührt. Nr. 9 der Begründung erläutert das
Verhältnis wie folgt:
„Die IVU-RL verlangt auch die Regelung der effizienten Energienutzung im
Genehmigungsverfahren, während der vorliegende Vorschlag (d.h. der RL-V)
32
33
Das wird unzutreffenderweise gleichgesetzt von: Zöttl; Die EG-Richtlinie über die Umweltverschmutzung; NuR 1997, 157 (162); Koch, Hans-Joachim; Die IPPC-Richtlinie: Umsturz im deutschen Anlagengenehmigungssystem?; Jahrbuch des Umwelt- undTechnikrechts 1997, Bd. 40, S. 31
(34); Krings, Michael/Schweitzer, Thomas; Die Entwicklung des Europäischen Umweltrechts, Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts 1996 (Bd. 39), S. 559 (563); Kracht, Harald/Wasielewski,
Andreas; in: Rengeling (Hrsg.); Handbuch des europäischen und deutschen Umweltrechts; Bd. I,
1998, § 35 Rn. 27.
Breuer, Rüdiger; Anlagengenehmigung und Grundpflichten, in: Czajka, Dieter/Hansmann, Klaus/
Rebentisch, Manfred (Hrsg.): Immissionsschutzrecht in der Bewährung. 25 Jahre Bundesimmissionsschutzgesetz. Festschrift für Gerhard Feldhaus zum 70. Geburtstag, Heidelberg, 1999, S. 49-82,
S. 72; Dolde, Klaus-Peter; Die EG-Richtlinie über die integrierte Vermeidung und Verhinderung der
Umweltverschmutzung (IVU-Richtlinie) – Auswirkungen auf das deutsche Umweltrecht; NVwZ 97,
313 (314); Rengeling, Hans-Werner/Gellermann, Martin; Gestaltung des europäischen Umweltrechts und seine Implementation im deutschen Rechtsraum; Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts 1996 (Bd. 39), S. 1 (16f.); Rengeling, Hans-Werner; Bedeutung und Anwendbarkeit des Vorsorgeprinzips im europäischen Umweltrecht; DVBl. 2000, 1473 (1480); in diesem Sinne auch Rehbinder/Schmalholz, Handel mit Emissionsrechten für Treibhausgase in der Europäischen Union,
UPR 2002, 1 (6).
Seite 33
derartige Auflagen nicht vorsieht. Dieser Vorschlag überlässt es zwar im wesentlichen den Mitgliedstaaten, zu bestimmen, wie hart die Anstrengungen zur
Verringerung des Kohlendioxids, die bei den unter die Richtlinie fallenden Tätigkeiten zu erreichen ist, sein müssen, sofern bestimmte Kriterien erfüllt werden; doch stellen die Auflagen der IVU-Richtlinie für die Energieeffizienz (Elektrizität, Dampf, Heißwasser, Kühlung usw.) eine gemeinsame Basis für die
Anstrengungen bei den von der Richtlinie abgedeckten Tätigkeiten dar.“
Sollte dies so zu verstehen sein, dass bei den Anforderungen an die Energieeffizienz
des Betriebs keine Abstriche gemacht werden, engt das den Spielraum für das flexibilisierende Konzept des RL-V erheblich ein: Ein Unternehmer, der durch Auflagen zu
energieeffizienten und damit zugleich treibhausgas-emissionsarmem Handeln verpflichtet ist, ist nicht frei, zu entscheiden, ob er durch Investitionen in neuere Technologien Emissionen reduziert oder seine Emissionstätigkeit unverändert fortsetzt und
durch den Ankauf von Emissionsberechtigungen für die nötige Deckung sorgt. Werden sämtliche Unternehmen in gleicher Weise durch Auflagen verpflichtet, energieeffizient zu handeln und dadurch zugleich Treibhausgasemissionen zu reduzieren, läuft
die Handelsmöglichkeit faktisch leer, weil sich keine Käufer für überschießende Emissionsberechtigungen finden (können).34 Das könnte zu einer Illiquidität des Marktes für Emissionshandel insgesamt führen.
Die Kommission darf dieses Verhältnis nicht im Unklaren lassen, so daß Art. 3 d der
IVU-Richtlinie im Hinblick auf den Emissionshandel abzuändern ist.35 Eine Lösungsmöglichkeit besteht in der Einführung einer gestuften Energie-Effizienzpflicht
nach dem Vorbild des britischen Emissionshandelssystems, wonach es Grundanforderungen für alle und genehmigungsspezifische Anforderungen für solche Anlagen gibt,
die nicht am Emissionshandel teilnehmen (vgl. dazu unter 5.1).36 Noch einfacher –
und damit vorzugswürdig - erscheint demgegenüber die Einführung einer generellen
Bestimmung in Art. 3 lit. d IVU-RL, wonach Anlagen im Hinblick auf solche Emissionen als energieeffizient gelten, für die sie Emissionsberechtigungen besitzen.37
3.3.2.3 IVU-Emissionsgrenzwerte und Emissionsberechtigungen nach dem Richtlinien-Vorschlag
Das Nebeneinander von IVU-RL und RL-V erzeugt die Gefahr überschneidender
Regelungen: Emissionsberechtigungen für Treibhausgase können von einer Anlage
nicht genutzt werden, wenn und soweit die betreffende Anlagengenehmigung durch
34
35
36
37
Rehbinder/Schmalholz, Handel mit Emissionsrechten für Treibhausgase in der Europäischen Union,
UPR 2002, 1-10/8.
Krämer, Ludwig, Grundlagen aus europäischer Sicht, in: Rengeling, Hans-Werner (Hrsg.),
Klimaschutz durch Emissionshandel, 2001, 1-45/32.
In diesem Sinne versteht wohl auch die EG-Kommission das Energieeffizienzgebot der IVU-RL,
Grünbuch zum Handel mit Treibhausgasen in der Europäischen Union, KOM (2000) 87, v. 8.3.2000,
S. 8 und 23 f.
Smith, Adrian and Sorrell, Steve, Interaction between environmental policy instrument: carbon
emissions trading and Integrated Pollution Prevention and Control, International Journal
Environment and Pollution, Vol. 15, No. 1, 2001, p. 22 (35).
Seite 34
IVU-Grenzwerte beschränkt ist. 38 Die EU-Kommission hat diesen Konflikt zwar gesehen und durch eine generelle Einschränkung der IVU-RL zu entschärfen versucht.
Danach sollen grundsätzlich keine IVU-Grenzwerte für solche Anlagen und im Hinblick auf solche Treibhausgasemissionen in die Anlagengenehmigung aufgenommen
werden dürfen, die in den Handel mit Emissionsrechten einbezogen sind (Art. 25 RLV):
Artikel 25
Änderung der Richtlinie 96/61/EG
In Artikel 9 Abs. 3 der Richtlinie 96/61/EG wird folgender UnterAbs. angefügt:
„Sind Treibhausgasemissionen einer Anlage in Anhang I der Richtlinie xx/xxxx/EG des Europäischen
Parlaments und des Rates [vom ... über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionsberechtigungen in der Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie 96/61/EG des Rates]* in Zusammenhang
mit einer Tätigkeit der Anlage aufgeführt, so enthält die Genehmigung nur dann Emissionsgrenzwerte
für direkte Emissionen dieses Gases, wenn dies erforderlich ist, um sicherzustellen, daß keine erhebliche lokale Umweltverschmutzung bewirkt wird. Falls erforderlich, wird die Genehmigung durch die
zuständigen Behörden geändert, indem der Emissionsgrenzwert gestrichen wird.
Damit sind aber nicht alle Fragen gelöst. Zum einen birgt die wenig bestimmte Ausnahmeklausel („erhebliche lokale Umweltverschmutzung“) das Risiko, daß die Mitgliedstaaten die generelle Trennung von IVU-RL und RL-V durch eine Überdehnung
der Ausnahmeklausel wieder verwässern. Der RL-V samt Begründung läßt offen,
wann eine erhebliche lokale Umweltverschmutzung aufgrund von Treibhausgasemissionen anzunehmen sein soll, der die Mitgliedstaaten durch Grenzwerte für Treibhausgase ausnahmsweise begegnen dürfen. Zu denken ist hier etwa an Emissionen
von Methan, das unter bestimmten Wetterbedingungen dazu beitragen kann, daß sich
bodennahes Ozon bildet. Fraglich ist, wo bodennahes Ozon verhindert werden darf:
Darf hiernach auch ein Grenzwert für Anlagen bestimmt werden, deren Methanemissionen sich nicht am Standort, sondern in der Ferne, dort aber lokal auswirken, was
aufgrund der Langlebigkeit und des dadurch möglichen Ferntransports von Methanemissionen die Regel ist? Die Unbestimmtheit birgt das weitere Risiko, daß die Ausnahmeklausel in den Mitgliedstaaten uneinheitlich ausgelegt und so für Wettbewerbsverzerrungen sorgen könnte.
Zum anderen dürfte es zumindest für einen Teil der Anlagen zu einem Konflikt zwischen Emissionshandel und Ordnungsrecht (IVU-, NEC-, Großfeuerungsanlagen- und
Luftqualitäts-RL) kommen. Der Konflikt ergibt sich aus dem Phänomen der sog.
„Kuppelemissionen“: Zahlreiche Anlagen (insb. Kohlekraftwerke), die CO2 ausstoßen, emittieren regelmäßig zugleich Stoffe wie z.B. SO2, NOx, Staub oder flüchtige
organische Verbindungen. Für diese Stoffe bestimmen die Mitgliedstaaten Grenzwerte auf der Grundlage der IVU-Richtlinie, der Großfeuerungsanlagen-Richtlinie oder
auch der NEC-Richtlinie. Dadurch wird zugleich der Ausstoß von CO2 maßgeblich
38
Methan (CH4), Distickstoffoxid (N2O), Fluorkohlenwasserstoffe (HFC), perfluorierte Kohlenwasserstoffe (PFC) und Schwefelhexafluorid (SF6) gehören zu Stoffgruppen welche als Luftschadstoffe
nach Anhang 3 der IVU-RL gelten. Wird Anhang 1 des RL-V – wie geplant – auf diese Gase ausgedehnt, entstünde ein Konflikt.
Seite 35
bestimmt.39 Das Phänomen der Kuppelemissionen wirkt sich auf die betroffenen Anlagen in zweierlei Weise nachteilig aus: Sie können CO2-Berechtigungen nur insoweit
ausnutzen, wie dies die Grenzwerte für die hiermit gekoppelten Emissionen erlauben.
Durch dieses „ordnungsrechtliche Korsett“ wird es für die betroffenen Anlagen unattraktiv, am Emissionshandel teilzunehmen und entsprechende Berechtigungen zu erwerben. Zum zweiten führen bewährte Maßnahmen zur Einhaltung der Grenzwerte
für die betroffenen Anlagen zu zusätzlichen Kosten. Denn oft führt die Abscheidung
von Schadstoffen, etwa durch Filter, zu einem Energiemehrverbrauch und damit
zwangsläufig zu einem erhöhten CO2-Ausstoß der Anlage. In vielen Fällen führt die
Abscheidung des Schadstoffes sogar unmittelbar zu einer Steigerung des CO2Ausstoßes. Das ist z.B. der Fall bei der Verbrennung von flüchtigen organischen Verbindungen mit dem Ziel, den Emissionsgrenzwert einzuhalten („Nachverbrennung“).
Mit der Umsetzung des RL-V entsteht für die betreffenden Anlagenbetreiber nunmehr
die Pflicht, für den Mehrausstoß an CO2 infolge von Schadstoffvermeidungstechniken
entsprechende Emissionsberechtigungen zu kaufen. Das muß bei der Beurteilung der
wirtschaftlichen Zumutbarkeit der Einhaltung von Grenzwerten Berücksichtigung
finden. Hierzu ist nötigenfalls die IVU-RL anzupassen.40
Im Blick auf künftige Rechtsakte der EU, insbesondere das bereits angedachte Emissionshandelssystem im Rahmen der NEC-RL, gilt folgendes: Die Tatsache, dass bei
der Verbrennung von fossilen Energieträgern sowohl CO2 als auch SO2, NOX und andere (Kuppel-)Emissionen entstehen, begründet die Gefahr von Regelungskonflikten
und zwingt dazu, solche „Mehrstoff“-Emissionshandelssysteme aufeinander abzustimmen.
3.4
Keine Entlastung des Genehmigungsverfahrens
Erwartungen, das Genehmigungsverfahren für Anlagen werde durch die Einführung
eines Emissionshandels und die damit verbundene Überantwortung der Klimavorsorge auf den freien Markt spürbar entlastet, werden sich nicht erfüllen.41 Vielmehr wird
die Umsetzung des RL-V zu einer „Doppelung“ der Genehmigungs- und Überwachungssysteme führen, die durch die in Art. 8 RL-V vorgesehene, bloß verfahrenstechnische Verbindung mit der IVU-RL nicht beseitigt wird.
Die nach der IVU-RL (und dem jeweiligen nationalen Recht) erforderliche, zeitlich
aufwendige Immissionsprognose im Rahmen des Anlagengenehmigungsverfahrens
muß weiterhin auch bei Umsetzung des RL-V für alle luftverunreinigenden Stoffe
39
40
41
Rehbinder/Schmalholz, Handel mit Emissionsrechten für Treibhausgase in der Europäischen Union,
UPR 2002, 1-10/8.
In diese Richtung auch Krämer, Grundlagen aus europäischer Sicht, in: Rengeling, Hans-Werner
(Hrsg.), Klimaschutz durch Emissionshandel, 2001, 1-45/32.
Ähnlich für Deutschland bereits die Einschätzung der Unabhängigen Sachverständigenkommission
zum Umweltgesetzbuch beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit:
„Insbesondere ist eine Verlagerung des Vollzugsaufwandes zu erwarten, wenn an Stelle projektbezogener Kontrollen administrativer Aufwand bei Ausgabe und Kontrolle der Übertragung der Zertifikate anfällt“ (so die Entwurfsbegründung zu den §§ 202-205 UGB-KomE, abgedruckt in: Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.): Umweltgesetzbuch (UGBKomE), Berlin 1998, Seite 808).
Seite 36
durchgeführt werden. Zusätzlich erzeugen Einführung und Kontrolle der Instrumente
des RL-V ihrerseits einen enormen Verwaltungsaufwand: Die teilnehmenden Staaten
haben Gesamtemissionsmengen festzulegen, die tatsächlichen Emissionsmengen zu
ermitteln und die Emissionsberechtigungen auszugeben. Vor allem müssen sie überwachen, ob die Emissionsmengen der einzelnen Unternehmen mit der Zahl ihrer Berechtigungen übereinstimmen. Hierzu ist ein zusätzliches besonderes Prüfungsverfahren durch einen externen Prüfer einzuführen (Art. 15 RL-V). Die Funktionsfähigkeit
eines solchen Systems bedarf einer ausgefeilten (und somit für die Behörden aufwendigen) Infrastruktur, wobei die entstehenden Kosten wohl vom Anlagenbetreiber zu
tragen sind.
Vorzugswürdiger ist statt dessen die Eigenüberwachung durch den Betreiber, wie sie
auch in der IVU-RL konzipiert ist.
3.5
Notwendige Änderungen im Hinblick auf den internationalen Emissionshandel
Der RL-V bezieht nicht in ausreichendem Maße die Bestimmungen des KyotoProtokolls und dessen Fortentwicklung durch die Vertragsstaatenkonferenz in Marrakesch mit ein. Auch schon deshalb ist eine Überarbeitung des RL-V erforderlich.
Das Kyoto-Protokoll versteht den Emissionshandel als flexible Maßnahme, die auch
den Handel mit Emissionsrechten aus den projektbezogenen Maßnahmen CDM und JI
zuläßt. Die Begründung der Kommission für die Nichteinbeziehung dieser Maßnahmen in den RL-V greift nicht:
„Die Kommission hält die Einbeziehung derartiger Emissionsgutschriften
letztendlich für wünschenswert, sofern die noch offenen Fragen hinsichtlich
ihrer ökologischen Wirksamkeit zufriedenstellend gelöst werden. Die Kommission gedenkt zu einem späteren Zeitpunkt einen derartigen Vorschlag in
Form einer eigenen Richtlinie über die Anwendung projektbezogener Mechanismen in der EU vorzulegen. Der Inhalt dieser Richtlinie läßt sich jedoch
zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht festlegen, zumal die Regeln und Modalitäten dieser internationalen Mechanismen noch nicht definiert wurden.“ (Nr. 22
der Begründung)
Denn die Vertragsstaatenkonferenz in Marrakesch (COP 7) hat die näheren Bestimmungen des Emissionshandels und der Einbeziehung der projektbezogenen Maßnahmen (in vorbereitenden Beschlüssen) konkretisiert. Die projektbezogenen Maßnahmen sollten daher bereits in den RL-V einbezogen werden, um die Möglichkeiten eines Handels mit Emissionsrechten von vornherein dem vom Kyoto-Protokoll vorgesehenen Spielraum anzupassen. So käme zum Beispiel eine Änderung des RL-V dahingehend in Betracht, dass in Art. 6 Abs. 1 e) die Möglichkeit aufgenommen wird,
Emissionseinheiten i.S.d. Kyoto-Protokolls abzugeben.
Zudem besteht auch Anpassungsbedarf an die internationalen Vorgaben bei der Ausgestaltung des Emissionshandels: Der RL-V gibt vor, so konzipiert zu sein, daß das
vorgeschlagene Handelssystem mit dem internationalen Emissionshandel kompatibel
ist (Nr. 20 der Begründung des RL-V). Allerdings wurde in Marrakesch erörtert, daß
Seite 37
die Vertragsstaaten zwar natürliche und juristische Personen mit dem Handel mit Emissionsberechtigungen betrauen können (vgl. oben 1.4). Jedoch ist diesen Personen
die Ausübung einer entsprechenden Genehmigung in dem Zeitraum untersagt, in dem
die ermächtigende Vertragspartei nicht die Teilnahmevoraussetzungen für den Emissionshandel erfüllt. Entsprechende Änderungen des RL-V sind damit für eine Kompatibilität der Systeme erforderlich.
3.6
Richtlinien-Vorschlag und WTO-Recht
Die EG ist verpflichtet, die von ihr eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen
einzuhalten; dazu zählen auch die Verpflichtungen, die sich für die EG als WTOMitglied aus den WTO-Übereinkommen ergeben.
Nach Art. 12 RL-V sollen Emissionsberechtigungen zwischen Personen innerhalb der
Gemeinschaft ohne Beschränkungen übertragen werden können. Dementsprechend
sieht Art. 12 Abs. 2 RL-V die gegenseitige Anerkennung der von den zuständigen
Behörden eines Mitgliedstaates ausgegebenen Emissionsberechtigungen durch alle
anderen Mitgliedstaaten zum Zwecke der Erfüllung der Emissionsreduktionsverpflichtungen eines Anlagenbetreibers vor.
Die Gemeinschaft soll außerdem nach Art. 24 Abs. 1 RL-V Abkommen mit Drittstaaten über die gegenseitige Anerkennung von Emissionsberechtigungen abschließen
dürfen. Art. 24 Abs. 2 RL-V sieht den Erlaß sekundärrechtlicher Vorschriften zur innergemeinschaftlichen Umsetzung der internationalen Abkommen vor. Die gegenseitige Anerkennung von Emissionsberechtigungen ist nur sinnvoll, wenn damit gehandelt werden kann. In der EG ausgegebene Emissionsberechtigungen könnten demnach
– den Abschluß entsprechender (bi- oder multilateraler) Abkommen vorausgesetzt –
in den betreffenden Drittstaaten verkauft werden (und berechtigten dort zum Ausstoß
der in den Emissionsberechtigungen bestimmten Mengen an Treibhausgasen) und in
den betreffenden Drittstaaten ausgegebene Emissionsberechtigungen könnten in der
EG verkauft werden (und berechtigten dort zum Ausstoß der in den Emissionsberechtigungen bestimmten Mengen an Treibhausgasen).
3.6.1 Innergemeinschaftlicher Handel mit Emissionsberechtigungen
Der in Art. 12 RL-V vorgesehene innergemeinschaftliche Handel mit Emissionsberechtigungen ist nicht an den Vorgaben des WTO-Rechts zu messen.
Der Europäische Gerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß das
Gemeinschaftsrecht in den innergemeinschaftlichen Rechtsbeziehungen dem (alten)
GATT-Recht vorgeht.42 Diese Rechtsprechung dürfte sinngemäß auf das (neue)
WTO-Recht (einschließlich des neuen GATT 1994 und des GATS) zu übertragen
sein.
42
Rs. 10/61, Slg. 1962, 1, 23; Rs. 266/81, Slg. 1983, 731, Rdnr. 12; jeweils zum GATT 1947.
Seite 38
3.6.2 Abkommen mit Drittstaaten über die gegenseitige Anerkennung von Emissionsberechtigungen
Abkommen der EG mit Drittstaaten über die gegenseitige Anerkennung von Emissionsberechtigungen müssen mit den Regeln des GATT 1994 und des GATS vereinbar
sein.
Art. 24 des RL-V stellt keine materiellen Maßstäbe auf, die die EG beim Abschluß
von Abkommen mit Drittstaaten zu beachten hätte. Die EG ist jedoch verpflichtet, die
von ihr eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen einzuhalten; dazu zählen
auch die Verpflichtungen, die sich für die EG als WTO-Mitglied aus den WTOÜbereinkommen ergeben.
In erster Linie ist insoweit an das GATT 1994 und das GATS zu denken; der sachliche Anwendungsbereich beider Übereinkommen kann gleichzeitig berührt sein.43 Zunächst ist von der Anwendbarkeit des GATT 1994 auszugehen: Mit dem Erwerb einer
Emissionsberechtigung wird dem Käufer das Recht übertragen, eine bestimmte Menge an Treibhausgasen auszustoßen.44 Emissionshandel meint also den Handel mit einer Ware (sei es die Emissionsberechtigung oder die darin verbriefte Menge an Treibhausgasen), der dem GATT 1994 unterfällt. Das GATS ist jedenfalls dann anwendbar,
wenn sich in den Handel mit Emissionsberechtigungen Dritte einschalten dürfen, z.B.
als „Trader“.45 Die von diesen Dritten erbrachten Dienstleistungen sind vom sachlichen Anwendungsbereich des GATS erfaßt, sofern sie grenzüberschreitenden Charakter haben.
Abkommen der EG mit Drittstaaten über die gegenseitige Anerkennung von Emissionsberechtigungen müssen demnach – soweit sie den Handel mit Emissionsberechtigungen betreffen – mit den Regeln des GATT 1994 und des GATS vereinbar sein (zu
nennen sind insoweit vor allem das Gebot der Meistbegünstigung, das Verbot der
Diskriminierung und das Verbot mengenmäßiger Ein- und Ausfuhrbeschränkungen).
Ob das der Fall ist, kann allerdings erst dann geprüft werden, wenn die EG solche
Abkommen nach Art. 24 Abs. 1 RL-V schließt bzw. gemäß Art. 24 Abs. 2 RL-V in
das sekundäre Gemeinschaftsrecht umsetzt.
43
44
45
Der WTO-Appellate Body hat zur gleichzeitigen Anwendung des GATT 1994 und des GATS
festgestellt: „There is yet a third category of measures that could be found to fall within the scope of
both the GATT 1994 and the GATS. These are measures that involve a service relating to a
particular good or a service supplied in conjunction with a particular good. In all such cases in this
third category, the measure in question could be scrutinized under both the GATT 1994 and the
GATS.” WT/DS27/AB/R, para. 221 (EC - Regime for the Importation, Sale and Distribution of
Bananas).
Vgl. Art. 3 Buchst. a RL-V.
Art. 12 Abs. 1 RL-V scheint von einer solchen Möglichkeit innerhalb der Gemeinschaft auszugehen,
da dort davon die Rede ist, dass „Berechtigungen zwischen Personen innerhalb der Gemeinschaft
übertragbar sind“. Art. 3 Buchst. h RL-V definiert eine „Person“ als „jede natürliche oder juristische
Person“. Es spricht einiges dafür, die Übertragung von Emissionsberechtigungen zwischen der EG
und Drittstaaten gleichfalls nicht auf bestimmte Personen zu beschränken, wenn man den Handel mit
diesen Berechtigungen fördern will.
Seite 39
Seite 40
4.
Die Situation in Deutschland
4.1
Rahmenbedingungen und Gang der Darstellung
Das deutsche Recht steuert das Emissionsverhalten des einzelnen Unternehmens in
erster Linie durch gesetzliche Schutz- und Vorsorgeverpflichtungen (vor allem im
BImSchG). Daneben bestehen finanzielle Anreize zur Energieeinsparung und damit
zur Minderung der Treibhausgas-Emissionen. Die deutsche Wirtschaft trägt ferner
durch freiwillige Vereinbarungen zur Klimavorsorge erheblich dazu bei, die nationalen und internationalen Ziele der Treibhausgasreduktion zu erreichen (Maßnahmenbündel zur Klimavorsorge).
Die Umsetzung des RL-V bedeutet für das deutsche Immissionsschutzrecht einen
grundlegenden Systemwechsel: von einem freiheitsgestaltenden Recht zu einer Bewirtschaftungsordnung. Ein solcher Wechsel erfordert einschneidende Änderungen
des geltenden Rechts.46
Die Zuteilungskriterien und die angestrebte verknappende Bewirtschaftung berühren
die Grundrechte der Anlagenbetreiber und werden angesichts der damit verbundenen
hohen Anforderungen zu großen Umsetzungsproblemen für den deutschen Gesetzgeber führen. Dementsprechend ist absehbar, dass Anlagenbetreiber erheblichen Risiken
bei der Zuteilung ausgesetzt sein werden, bis die Kriterien dafür gerichtlich geklärt
sind.
Die Einführung eines Emissionshandels erfordert für die Verwaltung und die einzelnen Unternehmen des weiteren einen erheblichen (Kosten-) Aufwand. Zudem schafft
der aufgezeigte Systemwechsel Tatsachen, die im Falle des Scheiterns des Emissionshandels rechtliche Folgeprobleme erzeugten. Daher sind die rechtlichen (Anpassungs-) Schwierigkeiten, die sich bei der Umsetzung des RL-V ergeben, von vornherein zu bedenken und vom deutschen Gesetzgeber bei der Einführung des Bewirtschaftungssystems soweit wie möglich auszugleichen.
Bei dem RL-V sind mehrere Ebenen zu unterscheiden:
46
•
das abstrakte Ziel des RL-V;
•
das anlagenübergreifende bewirtschaftende Konzept des RL-V;
Der Entwurf der Unabhängigen Sachverständigenkommission zum Umweltgesetzbuch beim
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit hatte sich gegen die „Einführung
von Emissionszertifikaten“ ausgesprochen, weil „abgesehen von Bedenken aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht eine Hinwendung zu einer ökonomischen Strategie zum Abbau von Umweltbelastungen
unter Abkehr vom vorhabenbezogenen Anforderungsstand grundlegende Änderungen in Recht und
Praxis (bedeutete), die nicht durch nennenswerte Vorteile gerechtfertigt erscheinen“ (so die Entwurfsbegründung zu den §§ 202-205 UGB-KomE, abgedruckt in: Bundesministerium für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.): Umweltgesetzbuch (UGB-KomE), Berlin 1998, Seite
808).
Seite 41
•
die Instrumente des RL-V (Emissionsgenehmigung und –berechtigung, Zuteilung
und Handel) zur Umsetzung des Konzepts.
Nachfolgend werden die zentralen Regelungen des deutschen Immissionsschutzrechts
mit ihren Bezügen zur Klimavorsorge sowie notwendige Änderungen bei der Umsetzung des RL-V dargestellt und erläutert (4.2, 4.3 und 4.4). Die Darstellung orientiert
sich an den genannten Ebenen: Ziel, Konzept und Instrumente des RL-V.
Sodann werden die Anforderungen an die Umsetzung des verknappenden Bewirtschaftungssystems für den deutschen Gesetzgeber dargelegt (4.5). Besondere Beachtung finden dabei die Umsetzungsprobleme für den Gesetzgeber und die Riskiken für
die Anlagenbetreiber sowie die grundrechtliche Dimension des RL-V (4.5.2). Zudem
werden die wesentlichen rechtlichen Unstimmigkeiten zwischen RL-V und anderen
(außerhalb des Immissionsschutzrechts bestehenden) nationalen Maßnahmen zur
Klimavorsorge aufgezeigt (4.6). Abschließend werden die finanzverfassungsrechtlichen Grenzen eines Versteigerungsmodells erörtert (4.7).
4.2
Ziele des Immissionsschutzrechts und des Richtlinien-Vorschlags
Die Ziele des RL-V und des deutschen Immissionsschutzrechts sind miteinander vereinbar.
§ 1 Abs. 1 BImSchG nennt als einen der Zwecke des Gesetzes, die Atmosphäre vor
schädlichen Umwelteinwirkungen zu schützen und dem Entstehen derartiger Einwirkungen vorzubeugen. Abs. 2 ergänzt dies um das Ziel der integrierten Vermeidung
und Verminderung schädlicher Umwelteinwirkungen durch Emissionen in der Luft,
um ein hohes Schutzniveau insgesamt zu erreichen. Innerhalb der genannten Ziele
erlangen auch die Auswirkungen einer Anlage auf das Klima Bedeutung.47
Mit diesen allgemeinen Zielen geraten die Anliegen des RL-V, die Treibhausgasemissionen zu verringern und zugleich die Kosten der Emissionsminderung zu senken
(vgl. Art. 1 RL-V), nicht in Konflikt.
4.3
Anlagenbezogenes Schutz- und Vorsorgesystem des BImSchG und anlagenübergreifende Bewirtschaftung durch den RL-V (Konzept-Konflikt)
Gänzlich verschieden sind jedoch die Konzepte, mit denen das gemeinsame Ziel der
Emissionsminderung erreicht werden soll. Das BImSchG enthält abstrakt formulierte
Vorgaben für jede einzelne Anlage und legt ihren Betreibern gesetzesunmittelbar geltende Pflichten auf (anlagenbezogen vorsorgendes Konzept). Der RL-V hingegen
formuliert konkrete Minderungsziele für die Gesamtheit bestimmter Großindustrieund Energieanlagen und eröffnet den einzelnen Betreibern weitreichende Spielräume
hinsichtlich des Emissionsverhaltens ihrer Anlagen (anlagenübergreifend bewirtschaftendes Konzept). Will man diese grundlegend verschiedenen Konzepte miteinander
47
So ausdrücklich beispielsweise in § 1a Nr. 1 der Verordnung über das Genehmigungsverfahren
(9. BImSchV).
Seite 42
kombinieren, müssen wesentliche Pflichten des geltenden Rechts aufgegeben oder
modifiziert werden.48
4.3.1 Die Schutzpflicht als Grenze
Der RL-V erkennt in Art. 25 den Vorrang der Schutzpflicht an. Eine Aufweichung der
Schutzpflicht wird durch diese Regelung (bei sachgerechter Anwendung) vermieden.
Die Schutzpflicht des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG soll konkrete Gefahren, erhebliche
Nachteile und erhebliche Belästigungen durch Immissionen oder sonstige Umwelteinwirkungen verhindern. Sie setzt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts „die Zuordnung von Immissionen zu bestimmten Emittenten“ voraus.49 Eine
solche Zuordnung konkreter Gefahren oder Umweltschäden zu den Emissionen einzelner Anlagen ist bei den sechs Kyoto-Gasen, wie beim Ferntransport von Luftschadstoffen generell, nur ganz ausnahmsweise möglich. So können im Einzelfall zurechenbare wesentliche lokale Verschmutzungen auftreten, etwa wenn sich durch Methan-Emissionen einzelner Anlagen bodennahes Ozon bildet und dadurch konkrete
Gefahren, erhebliche Nachteile oder Belästigungen entstehen. In einem derartigen
Fall soll nach Art. 25 RL-V in die (Anlagen-) Genehmigung ein Emissionsgrenzwert
nach Maßgabe der IVU-RL aufgenommen werden. Emissionen, die diesen Grenzwert
überschreiten, können nicht durch den Erwerb von Emissionsberechtigungen legalisiert werden. Der RL-V erkennt damit den Vorrang der Schutzpflicht an.50
4.3.2 Die Vorsorgepflicht und der Richtlinien-Vorschlag
Die dynamische Vorsorgepflicht des deutschen Immissionsschutzrechts ist mit dem
Bewirtschaftungskonzept des RL-V dagegen nicht zu vereinbaren. Das Konzept des
RL-V erfordert vielmehr, die Betreiberpflicht zur Vorsorge 5 Abs. 1 aus Nr. 2
BImSchG dahingehend zu ändern, daß das Emissionsvermeidungsgebot entsprechend
dem Stand der Technik nicht zur Anwendung gelangt, soweit der Handel reicht, d.h.
für alle Sektoren und Treibhausgase, die in den Handel einbezogen sind. Andernfalls
läuft die dem Bewirtschaftungskonzept eigene Möglichkeit leer, zwischen einer
Investition in emissionsmindernde Techniken und dem Erwerb weiterer Emissionsberechtigungen zu wählen.
4.3.2.1 Vorsorgepflicht und Stand der Technik nach bisherigem Recht
Nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG sind genehmigungsbedürftige Anlagen „so zu errichten und zu betreiben, daß Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen und sons-
48
49
50
Vgl. zu den Grundpflichten im Zusammenhang mit dem Klimaschutz auch Rebentisch, Manfred,
Klimaschutz im Immissionsschutzrecht, in: Koch (Hrsg.), Aktuelle Probleme des Immissionsschutzrechts, 41-49/43 ff.
BVerwG, Urt. v. 17.2.1984 – 7 C 8.82 – BVerwGE 69, 37-46/44 (Fernheizwerk Heidelberg).
Weitergehend bezeichnet Rehbinder die Schutzpflicht als „prinzipiell unüberwindbare Barriere für
die Einführung ökonomischer Instrumente“ (Rehbinder, Eckard: Übertragbare Umweltgenehmigungen (Lizenzen) aus juristischer Sicht, ZAU Sonderheft 9/1998, 70-81/71); einen Spielraum des Gesetzgebers sieht hingegen Bothe, Michael: Rechtliche Voraussetzungen für den Einsatz von handelbaren Emissionszertifikaten am Beispiel von SO2, NVwZ 1995, 937-943/938 f.
Seite 43
tige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen getroffen wird, insbesondere durch die dem Stand der Technik entsprechenden Maßnahmen“.
Vorsorge zielt im Sinne eines vorbeugenden Umweltschutzes gerade auch auf den
Bereich unterhalb konkreter Gefahren und Schädlichkeitsgrenzen.51 Sie rechtfertigt
daher Maßnahmen mit dem Ziel, umweltbeeinträchtigende Luftverunreinigungen zu
vermeiden oder zu vermindern. Anders als die immissionsbezogene Schutzpflicht stehen bei der Vorsorge Emissionsbegrenzungen im Vordergrund.
Der Stand der Technik bestimmt das Maß gebotener Vorsorge. § 3 Abs. 6 Satz 1
BImSchG definiert ihn als den „Entwicklungsstand fortschrittlicher Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen, der die praktische Eignung einer Maßnahme zur Begrenzung von Emissionen in Luft, Wasser und Boden, … oder sonst zur Vermeidung
oder Verminderung von Auswirkungen auf die Umwelt zur Erreichung eines allgemein hohen Schutzniveaus für die Umwelt insgesamt gesichert erscheinen läßt.“52 Der
Entwicklungsstand ist in der Regel durch Emissions(grenz)werte in Verordnungen
und Verwaltungsvorschriften standardisiert.53 Diese geben an, welche Luftverunreinigungen durch Anlagen nach dem Stand der Technik vermeidbar sind.54 Allerdings
existieren für die sechs Kyoto-Gase bislang keine Grenzwerte. Fehlen derartige standardisierte Vorgaben, bedeutet das nicht, daß keine Vorsorge zu treffen ist. Vielmehr
ist der Entwicklungsstand dann im Einzelfall mit Hilfe der Kriterien des Anhangs zu §
3 Abs. 6 BImSchG zu ermitteln.
Anhang (zu § 3 Abs. 6 BImSchG)
Kriterien zur Bestimmung des Standes der Technik
Bei der Bestimmung des Standes der Technik sind unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit
zwischen Aufwand und Nutzen möglicher Maßnahmen sowie des Grundsatzes der Vorsorge und der
Vorbeugung, jeweils bezogen auf Anlagen einer bestimmten Art, insbesondere folgende (klimavorsorgerelevante) Kriterien zu berücksichtigen:
51
52
53
54
4.
vergleichbare Verfahren, Vorrichtungen und Betriebsmethoden, die mit Erfolg im Betrieb erprobt wurden,
5.
Fortschritte in der Technologie und in den wissenschaftlichen Erkenntnissen,
6.
Art, Auswirkungen und Menge der jeweiligen Emissionen,
7.
Zeitpunkte der Inbetriebnahme der neuen oder der bestehenden Anlagen,
8.
für die Einführung einer besseren verfügbaren Technik erforderliche Zeit,
9.
… Energieeffizienz,
10.
Notwendigkeit, die Gesamtwirkung der Emissionen und die Gefahren für den Menschen
und die Umwelt so weit wie möglich zu vermeiden oder zu verringern.
BVerwG, B. v. 10.1.1995 – 7 B 112/94 – NVwZ 1995, 994-996/995 (TA Luft).
Zu den durch das Artikelgesetz herbeigeführten Änderungen ausführlich Feldhaus, Gerhard: Beste
verfügbare Techniken und Stand der Technik, NVwZ 2001, 1-9 (auf der Grundlage des Regierungsentwurfs zum Artikelgesetz).
Das Bundesverwaltungsgericht spricht deshalb von einem „langfristigen, auf einheitliche und
gleichmäßige Durchführung angelegten Konzept“ (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.2.1984 – 7 C 8.82 –
BVerwGE 69, 37-46/45 (Fernheizwerk Heidelberg)).
Vgl. BVerwG, B. v. 10.1.1995 – 7 B 112/94 – NVwZ 1995, 994-996/994 (TA Luft).
Seite 44
Der Stand der Technik erweist sich nach diesen Kriterien als entwicklungsoffener,
dynamischer Maßstab, der Inhalt und Umfang der Vorsorgepflicht des einzelnen Unternehmens automatisch der technischen Entwicklung anpaßt. Er hat mit den Worten
des Bundesverfassungsgerichts den „rechtlichen Maßstab für das Erlaubte oder Gebotene an die Front der technischen Entwicklung verlagert“.55
In der Praxis erfolgreich erprobte Verfahren und Methoden, die die Energieeffizienz
verbessern, zeitigen somit unmittelbare Wirkungen für den jeweils neuen Stand der
Technik und verschärfen auf diesem Weg den Inhalt der Vorsorgepflicht. Freiwillige
„Mehrleistungen“ ohne Einfluß auf den Inhalt der Vorsorgepflicht sind in der Regel
nicht möglich.56
4.3.2.2 Unvereinbarkeit mit dem Konzept des Richtlinien-Vorschlags
Es ist mit dem Bewirtschaftungskonzept des RL-V unvereinbar, den Anlagenbetreibern mittels dynamischer Vorsorgepflicht den Einsatz der dem jeweiligen Stand der
Technik entsprechenden Technologien vorzuschreiben. Bei Umsetzung des Konzepts
des RL-V kann die Vorsorgepflicht des § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG daher nicht – zumindest nicht unverändert – aufrechterhalten werden.57
Das Bewirtschaftungskonzept des RL-V stellt – anders als die Vorsorgepflicht – keine
Anforderungen an den einzelnen Unternehmer, sondern regelt die Gesamtmenge der
Emissionen und überläßt das Emissionsverhalten der einzelnen Anlage der unternehmerischen Entscheidung. Es gibt damit die unmittelbare staatliche Einflußnahme auf
den Betrieb jeder einzelnen Anlage preis und verzichtet auf gleiche materielle Anforderungen an jeden Unternehmer. Der RL-V überläßt vielmehr dem Unternehmer die
Entscheidung über das Ausmaß der Emissionsverminderung und den Umfang der Investitionen für neuere Technologien zur Vermeidung von Treibhausgasemissionen.58
Der Unternehmer soll wählen können: Er kann durch Investitionen in neuere Technologien Emissionen reduzieren; er kann aber auch seine Emissionstätigkeit unverändert
fortsetzen und durch den Ankauf von Emissionsberechtigungen für die nötige Deckung sorgen, ohne sein Emissionsverhalten dem durch andere Unternehmen erprob-
55
56
57
58
BVerfG, B. v. 8.8.1978 – 2 BvL 8/77 – BVerfGE 49, 89-147/135 (Kalkar).
Höhere Anforderungen als der Stand der Technik stellt allein der „Stand von Wissenschaft und
Technik“ (vgl. § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 des Atomgesetzes). Nach ihm muß unabhängig von der gegenwärtigen technischen Machbarkeit diejenige Vorsorge gegen Schäden getroffen werden, die nach
den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen für erforderlich gehalten wird (BVerfG, B. v.
8.8.1978 – 2 BvL 8/77 – BVerfGE 49, 89-147/136 [Kalkar]). Werden diese neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse jedoch mit Erfolg erprobt, prägen sie bereits den neuen Stand der Technik.
Ebenso bereits Becker-Neetz, Gerald: Rechtliche Probleme der Umweltzertifikatmodelle in der
Luftreinhaltepolitik, Frankfurt a.M. u.a. 1988, Seite 72 + 74 f., Huckestein, Burkhard: Umweltlizenzen – Anwendungsbedingungen einer ökonomisch effizienten Umweltpolitik durch Mengensteuerung, ZfU 1993, 1-29/11, Rehbinder, Eckard: Übertragbare Umweltgenehmigungen (Lizenzen) aus
juristischer Sicht, ZAU Sonderheft 9/1998, 70-81/74, sowie Stüer, Bernhard/Spreen, Holger: Emissionszertifikate – Ein Plädoyer zur Einführung marktwirtschaftlicher Instrumente in die Umweltpolitik, UPR 1999, 161-167/164 f.
Vgl. hierzu und zum Folgenden: Koch/Wieneke, Klimaschutz durch Emissionshandel, DBVl 2001,
1085-1095/1992; aufgreifend Rehbinder/Schmalholz, Handel mit Emissionsrechten für Treibhausgase in der Europäischen Union, URP 2002, 1-10/6 ff.
Seite 45
ten technischen Entwicklungsstand, d. h. dem neuen Stand der Technik, anzupassen.
Um ihm den gewollten Handlungsspielraum zu eröffnen, muß gewährleistet sein, daß
er die Alternative höherer Emissionswerte wählen kann, wenn es ihm ökonomisch
sinnvoll erscheint, sich mit einer größeren Zahl von Emissionsberechtigungen auszustatten, anstatt in neue Technologien zu investieren.
Würde man den Mechanismus der Vorsorgepflicht, die Anforderungen dem jeweils
aktuellen Stand der Technik gesetzesunmittelbar anzugleichen, aufrechterhalten, käme dies einem „Selbstzerstörungsmechanismus“ für handelbare Emissionsberechtigungen gleich.59 Folgendes Szenario würde sich ständig wiederholen: Mindert ein
Unternehmen durch technische Innovationen Emissionen, so eröffnet ihm das Konzept des RL-V die Möglichkeit, nicht ausgeschöpfte Emissionsberechtigungen zu verkaufen. Zugleich wird jedoch die überkommene Technik unzureichend, unterliegen
die Anlagen aller übrigen Unternehmen also den strengeren Anforderungen eines
neuen Standes der Technik. Der Innovateur könnte deshalb kaum einen Käufer für
seine überzähligen Emissionsberechtigungen finden, weil diese auch auf Seiten des
Käufers nur schwerlich ausgeschöpft werden dürften.
Der RL-V erkennt diesen Konflikt, sieht jedoch lediglich vor, daß die (Anlagen-) Genehmigung keinen Emissionsgrenzwert für solche Treibhausgase enthalten soll, die in
den Handel einbezogen sind.60 Eine entsprechende Regelung reicht im deutschen Immissionsschutzrecht nicht aus, weil sie an Inhalt und Umfang der gesetzlichen Vorsorgepflicht nichts ändert und diese – anders als das gemeinschaftsrechtliche Vorsorgeprinzip der IVU-RL (vgl. dazu oben 3.3.2.1) – den Unternehmer gesetzesunmittelbar verpflichtet, entsprechend dem Stand der Technik Vorsorge zu treffen.
Eine dem flexibilisierenden Konzept Rechnung tragende Änderung des § 5 Abs. 1 Nr.
2 BImSchG muß vielmehr sicherstellen, daß das Emissionsvermeidungsgebot entsprechend dem Stand der Technik nicht zur Anwendung gelangt, soweit der Handel
reicht, d.h. für alle Sektoren und Treibhausgase, die in den Handel einbezogen sind.
Eine solche Lösung wäre dem deutschen Immissionsschutzrecht zwar in seiner
Reichweite fremd, nicht jedoch in seinem Ansatz: Bereits die Regelung des § 7 Abs. 3
Satz 1 und 2 BImSchG, die für Altanlagen Emissionskompensationen in anderen Anlagen des Betreibers oder Dritter ermöglicht, sieht vor, daß von den Emissionsbegrenzungen zur Vorsorge abgewichen werden darf. Dieser Lösungsansatz kann unproblematisch ausgeweitet werden. Dem Anliegen der Vorsorge würde dann bei der Festlegung der Gesamtemissionsmenge Rechnung zu tragen sein.61
59
60
61
Vgl. Bothe, Michael: Rechtliche Voraussetzungen für den Einsatz von handelbaren Emissionszertifikaten am Beispiel von SO2, NVwZ 1995, 937-943/939. Auch Rebentisch, Manfred, Diskussionsbeitrag auf den Achten Osnabrücker Gesprächen zum deutschen und europäischen Umweltrecht, zitiert
nach Stapelfeldt, Diskussionsbericht III, in: Rengeling, Hans-Werner (Hrsg.): Klimaschutz durch
Emissionshandel, 2001, 123.
Vgl. Art. 25 Satz 1 RL-V, durch den Art. 9 Abs. 3 IVU-RL um einen entsprechenden UnterAbs.
ergänzt werden soll.
Vgl. Becker-Neetz, Gerald: Rechtliche Probleme der Umweltzertifikatmodelle in der
Luftreinhaltepolitik, Frankfurt a.M. u.a. 1988, S. 73.
Seite 46
4.3.3 Energieeffizienz-/-einsparpflicht und der Richtlinien-Vorschlag
Das Bewirtschaftungskonzept des RL-V und das Energieeffizienzgebot im deutschen
Immissionsschutzrecht lassen sich ebenfalls nicht ohne weiteres miteinander in Einklang bringen. Es ist daher erforderlich, die Anwendung der Energieeffizienzpflicht
und des Sparsamkeitsgebots einzuschränken. Um dem Bewirtschaftungkonzept Rechnung zu tragen, empfiehlt sich eine Änderung, wonach § 5 Abs. 1 Nr. 4 BImSchG
nicht anzuwenden ist, soweit der Handel reicht, d.h. für Anlagen solcher Sektoren und
mit Ausstoß solcher Treibhausgase, die in den Handel einbezogen sind.
Nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 BImSchG hat der Betreiber einer genehmigungsbedürftigen
Anlage62 diese so zu errichten und zu betreiben, daß Energie sparsam und effizient
verwendet wird. Das Artikelgesetz63, durch das der deutsche Gesetzgeber die IVU-RL
in deutsches Recht umgesetzt hat, hat das bislang als Unterfall der Vorsorgepflicht
behandelte Gebot effizienten Energieeinsatzes verselbständigt und in zweierlei Hinsicht ausgeweitet: Nunmehr ist die effiziente Verwendung von Energie unabhängig
von Emissionsfrachten der eigenen Anlage schon allein deshalb geboten, weil dadurch Umweltressourcen geschont werden können (Energieeinsparpflicht), aber auch
deshalb, weil etwa bei den Energielieferanten Emissionen gemindert werden können
(Emissionsminderung bei Dritten).64
Letzteres läuft dem Bewirtschaftungskonzept des RL-V zuwider. In Konkretisierung
der Energieeffizienzpflicht kann ein Unternehmen zu kostenträchtigen Maßnahmen
angehalten werden, die zwar bei Dritten zu Emissionsminderungen führen, nicht jedoch bei der eigenen Anlage. Das Unternehmen müßte dann aus Gründen der Klimavorsorge investieren, ohne zugleich von einem Überschuß an Emissionsberechtigungen profitieren zu können. Mittelbar gefördert würde vielmehr ein Überschuß an Emissionsberechtigungen bei den ebenfalls am Handel beteiligten Energieversorgern.
Lasten und Vorteile fielen bei einem solchen Nebeneinander von Energieeffizienzpflicht und flexibilisierendem Konzept auseinander. Verzerrungen des Wettbewerbs
wären nicht auszuschließen.
Da auch Energieeffizienz- und -einsparpflicht anlagenbezogen-verbindlich sind, treten
sie im übrigen in gleicher Weise wie die Vorsorgepflicht (oben 4.3.2.2) zu dem anlagenübergreifend-bewirtschaftenden Konzept in Konflikt.
Daran ändert auch nicht, daß nach Art. 2 Abs. 2 RL-V die Vorschriften der IVU-RL
über die Energieeffizienz unberührt bleiben sollen. Denn zum einen handelt es sich
62
63
64
Für Anlagen, die sich am 3. August 2001 in Betrieb befanden oder mit deren Errichtung zu diesem
Zeitpunkt begonnen wurde, sind Energieeffizienz- und -einsparpflicht des § 5 Abs. 1 Nr. 4 BImSchG
erst zum 30. Oktober 2007 zu erfüllen (§ 67 Abs. 5 Satz 1 BImSchG).
BGBl. 2001 I S. 1950-2021.
Vgl. Koch, Hans-Joachim/Wieneke, Annette: Das europäische und deutsche Anlagengenehmigungsrecht als Ordnungsrahmen eines Emissionshandels, in: Rengeling, Hans-Werner (Hrsg.): Klimaschutz durch Emissionshandel. Achte Osnabrücker Gespräche zum deutschen und europäischen
Umweltrecht am 26./27. April 2001, Köln u.a. 2001, S. 99-122/109 = Koch, Hans-Joachim/Wieneke,
Annette: Klimaschutz durch Emissionshandel. Das europäische und deutsche Anlagengenehmigungsrecht als Ordnungsrahmen, DVBl 2001, 1085-1095/1089.
Seite 47
bei der deutschen Energieeffizienzpflicht um eine den Anlagenbetreiber gesetzlich
unmittelbar treffende Grundpflicht, zum anderen ist die Aussage des Art. 2 Abs. 2 unklar (s.o. 3.3.2.2).
4.3.4 Schutz vor nachträglichen Anordnungen
Einem Unternehmen, das unter den Anwendungsbereich des RL-V fällt, darf nicht
durch nachträgliche Anordnungen gem. § 17 Abs. 1 BimSchG aufgegeben werden,
die Anforderungen an eine Vorsoge vor Umweltbeeinträchtigungen entsprechend dem
jeweils aktuellen Stand der Technik sowie an eine effiziente und sparsame Energieverwendung zu erfüllen.
Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BImSchG können nachträglich Anordnungen getroffen werden, um den Anlagenbetreiber zur Erfüllung der (dynamischen) Betreiberpflichten
anzuhalten, etwa durch (weitere) Begrenzung der zugelassenen Emissionen. Zwar
wurde bisher (dies könnte sich durch die Neufassung des BImSchGs ändern)65 von
diesem Instrument in der Praxis nicht oft Gebrauch gemacht. Das Gesetz sieht aber
diese Möglichkeit vor, so dass der Gesetzgeber aufgerufen ist, auch insoweit eine
Kollision zwischen dem Konzept des RL-V und dem deutschen Immissionsschutzrecht zu vermeiden. Der Unternehmer, der zusätzliche Emissionsberechtigungen erwirbt, muß gegen diese Art der Dynamisierung der Betreiberpflichten geschützt werden, soll seine Investition nicht entwertet werden.
Dem wird z.T. durch die hier vorgeschlagene Befreiung von der Vorsorgepflicht (oben 4.3.2.2) und von der Energieeffizienz- und -einsparpflicht (oben 4.3.3) genügt.
Ergänzend empfiehlt sich zudem eine Regelung, nach der nachträgliche Anordnungen
gegenüber den betroffenen Unternehmen wegen der in den Handel einbezogenen Emissionen ausgeschlossen sind (etwa nach dem Vorbild der Verschonungsklauseln
des § 17 Abs. 3a Satz 1 und 4, Abs. 5 BImSchG und des § 48 Nr. 4 BImSchG in Verbindung mit Nr. 4.2.10 TA Luft).
4.4
Ordnungsrechtliche Instrumente des geltenden Rechts und Instrumente
des Richtlinien-Vorschlags
Die nach dem RL-V zwingend in nationales Recht einzuführenden Institute der Genehmigung für das Emittieren von Treibhausgas und der Berechtigung für die tatsächliche Emissionstätigkeit sowie die Zuteilung dieser Berechtigungen führen ein dem
deutschen Immissionsschutzrecht fremdes Bewirtschaftungssystem ein. Werden sie
mit dem geltenden Schutz- und Vorsorgesystem verbunden, ist das sinnvoll nur möglich, wenn dem deutschen Gesetzgeber ausreichend Gestaltungsspielraum bei der
Umsetzung des RL-V belassen bleibt.
Das deutsche Immissionsschutzrecht verlangt eine Genehmigung für die Errichtung
und den Betrieb bestimmter emittierender Anlagen (vgl. §§ 4, 6 BImSchG sowie die
Verordnungen über genehmigungsbedürftige Anlagen [4. BImSchV] und über das
65
Nach der Ergänzung des § 52 Abs. 1 BImSchG haben die zuständigen Behörden Genehmigungen im
Sinne des § 4 regelmäßig zu überprüfen und soweit erforderlich durch nachträgliche Anordnungen
nach § 17 auf den neuesten Stand zu bringen.
Seite 48
Genehmigungsverfahren [9. BImSchV]). Zur Konkretisierung der Betreiberpflichten
des § 5 Abs. 1 BImSchG (dazu oben 4.3) wird die Anlagengenehmigung mit Nebenbestimmungen (§ 36 Abs. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes [VwVfG]) versehen.
Die staatlichen Behörden begründen mit einer solchen Anlagengenehmigung kein
Recht des Unternehmers zu emittieren, sondern fordern von ihm allenfalls eine Begrenzung der Emissionstätigkeit. Das Recht zu emittieren wird nicht vom Staat gewährt, sondern ist eine Folge der Grundrechtsbetätigung des Unternehmers.66 In seiner ordnungsrechtlichen Konzeption geht das BImSchG von der grundsätzlich vorgegebenen Freiheit des einzelnen Unternehmers zur Errichtung und zum Betrieb seiner
Anlage aus und beschränkt diese durch Sicherheitsvorkehrungen (freiheitsgestaltendes Begrenzungskonzept).67 Der Unternehmer hat freien Zugriff auf das Medium
Luft. Der Staat sorgt durch die Anlagengenehmigung lediglich für eine Vorabkontrolle (sog. präventive Kontrolle mit Genehmigungsvorbehalt) zur Koordination
der Freiheitsbetätigungen der einzelnen.
Der RL-V unterstellt dagegen das Emittieren von Treibhausgasen als solches einer
staatlichen Bewirtschaftungsordnung68 (vgl. dazu oben 2.1). Soll diese Bewirtschaftungsordnung in das geltende Begrenzungssystem des deutschen Immissionsschutzrechts sinnvoll eingefügt werden, darf der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers
nicht mehr als erforderlich eingeschränkt werden. Lassen sich einzelne Elemente der
Bewirtschaftungsordnung anders als durch die Instrumente des RL-V (etwa die Emissionsgenehmigung, dazu sogleich) besser in das bestehende Recht einfügen, ohne aus
europäischer Sicht inhaltliche Abstriche machen zu müssen, sollte auf zwingende
Vorgaben für die Mitgliedstaaten verzichtet werden. Nur so ist eine stimmige Eingliederung möglich.
66
67
68
Vgl. BVerfG, Beschl. V. 26.5.1998 – 1 BvR 180/88 – NJW 1998, 3264-3266/3265 (Waldsterben):
„Die Nutzung von Kraftwerken, Industrieanlagen, Hausfeuerungsanlagen und Kraftfahrzeugen …
gehört dem Bereich der grundrechtlich gewährleisteten Freiheiten der Bürger an. Die „staatliche Zulassung“ dieser Nutzungen lässt nur die den grundrechtlichen Freiheiten bis zur Feststellung der
Rechtmäßigkeit gesetzte vorläufige Sperre entfallen, erweitert jedoch als solche nicht den Rechtskreis privater Nutzer. Soweit eine staatliche Präventivkontrolle nicht vorgesehen ist, steht der
Rechtsausübung grundsätzlich nichts im Wege, es sei denn, dass betroffene Dritte mit Erfolg Abwehrrechte geltend machen können. Das gilt auch hinsichtlich der Inanspruchnahme von Luft, die
mit der hier in Rede stehenden Techniknutzung regelmäßig verbunden ist. Das Medium „Luft“ unterliegt keiner öffentlichrechtlichen Benutzungsordnung, die dem Grundrechtsträger prinzipiell kein
Zugriffsrecht gewährt, sondern die Nutzung von einer im Ermessen stehenden staatlichen Zuteilung
abhängig macht.“
Ausführlich zu dieser in polizeirechtlicher Tradition stehender Struktur des BImSchG Ossenbühl,
Fritz: Umweltschutz und Gemeinwohl in der Rechtsordnung, in: Verwaltungsrundschau (vr) 1983,
S. 301-308/305 f.
Nr. 9 der Begründung des RL-V greift zu kurz, wenn er die einzuführende Emissionsgenehmigung
lediglich als „anderen Genehmigungstyp“ neben der vorhandenen Anlagengenehmigung nach dem
IVU-Regime bezeichnet. Die Möglichkeit, die Erd-Atmosphäre mit Treibhausgasen anzureichern,
wird damit wie ein „knappes natürliches Gut“ behandelt, entsprechende Nutzungsbefugnisse werden
in einem Mischsystem aus staatlicher Zuweisung und privatem Handel zugeteilt.
Seite 49
•
Die Emissionsgenehmigung („permit“)
Wie bereits dargelegt (vgl. oben 3.1.3.1), ist zweifelhaft, ob etwa die Emissionsgenehmigung mit dem gemeinschaftsrechtlichen Subsidiaritätsgrundsatz vereinbar ist.
Insbesondere das Beispiel Deutschlands zeigt, daß die Mitgliedstaaten das mit der
Genehmigung verfolgte Ziel auch anderweitig erreichen können. Der RL-V sollte daher dahingehend abgeändert werden, daß er von einer verbindlichen Pflicht der Mitgliedstaaten zur Einführung einer Emissionsgenehmigung absieht. Vielmehr sollte
den Mitgliedstaaten freigestellt werden, auf welche Weise sie den Unternehmern die
in Art. 6 Abs. 2 c bis e RL-V genannten Pflichten auferlegen.
Die Emissionsgenehmigung spricht das Recht aus, Treibhausgase emittieren zu dürfen
(wofür allerdings eine ausreichende Anzahl an Emissionsberechtigungen erforderlich
ist). Daneben legt sie dem Unternehmer einen Katalog von Pflichten auf, von der
Pflicht zur Überwachung seiner Emissionstätigkeit (Art. 6 Abs. 2 Buchstabe c RL-V)
über die Berichterstattungspflicht (Art. 6 Abs. 2 Buchstabe d RL-V) bis zur Pflicht,
drei Monate nach Ablauf jedes Jahres eine ausreichende Zahl von Emissionsberechtigungen abzugeben (Art. 6 Abs. 2 Buchstabe e RL-V).
Die mit dem „permit“ bezweckten Ziele können auch anderweitig durch das jeweilige
nationale Recht erreicht werden. So könnte im deutschen Recht z.B. eine neue gesetzliche Bestimmung geschaffen werden, daß Treibhausgase nur emittiert werden dürfen,
wenn der Betreiber eine ausreichende Anzahl an Emissionsberechtigungen besitzt.
Soweit die Überwachungs- und Berichtsauflagen betroffen sind, ist dem im deutschen
Recht bereits jetzt durch die Pflicht zur Abgabe einer Emissionserklärung (§ 27 Abs.
1 S. 1 BImSchG) Genüge getan. Danach ist der Betreiber einer genehmigungsbedürftigen Anlage verpflichtet, der zuständigen Behörde Angaben zu machen über Art,
Menge, räumliche und zeitliche Verteilung der Luftverunreinigungen, die von der Anlage in einem bestimmten Zeitraum ausgegangen sind, sowie über die Austrittsbedingungen. Diese Angaben sind in regelmäßigen Abständen zu ergänzen. Einzelheiten
dazu regelt die Emissionserklärungsverordnung (11. BImSchV).69 Deutschland könnte somit das bereits im Rahmen der Emissionserklärung bestehende Monitoring um
die in Art. 6 Abs. 2 c und d RL-V genannten Pflichten ergänzen (durch Erweiterung
des § 27 BImSchG und der konkretisierenden Emissionserklärungsverordnung,
11. BImSchV).
Die ebenfalls in der Genehmigung vorgesehene Pflicht zur Abgabe einer ausreichenden Zahl an Emissionsberechtigungen muß im deutschen Recht in jedem Fall wegen
der damit verbundenen Belastung für die Betroffenen gesetzlich verankert werden.
Zur Verwirklichung dieser Pflicht bedarf es damit ebenfalls keiner Emissionsgenehmigung.
69
Zu den nach § 4 Abs. 1 i.V.m. Anhang 1 der 11. BImSchV anzugebenden Luftverunreinigungen
gehören auch CO2-Emissionen, weil diese die natürliche Zusammensetzung der Luft (quantitativ)
verändern und damit zu den Luftverunreinigungen im Sinne des § 3 Abs. 4, § 27 Abs. 1 Satz 1
BImSchG, § 2 Nr. 1 der 11. BImSchV zählen (vgl. Feldhaus, Gerhard: Bundesimmissionsschutzrecht. Kommentar, Stand: Mai 2001 [99. EL.], § 27 Anm. 3).
Seite 50
4.5
Verknappung und Zuteilung der Emissionsberechtigungen – Umsetzungsprobleme für den Gesetzgeber, Risiken für Anlagenbetreiber
Das Ziel, den Gesamtausstoß von Treibhausgas zu verringern, soll nach dem RL-V
dadurch erreicht werden, dass eine begrenzte Zahl von Emissionsberechtigungen ausgegeben wird. Die Entscheidungen darüber, wie viele Berechtigungen in den Dreibzw. Fünfjahresphasen insgesamt und in welcher Anzahl sie an welche Betreiber zugeteilt werden sollen, überlässt der RL-V den einzelnen Mitgliedstaaten.70 Damit obliegt es dem jeweiligen Gesetzgeber, Regelungen für eine solche verknappende Zuteilung und Bewirtschaftung zu treffen. Diesen Regelungen wird in der Praxis eine entscheidende Bedeutung zukommen. Angesichts des damit verbundenen Eingriffs in
den verfassungsrechtlich geschützten Freiheitsbereich der Anlagenbetreiber wird die
gebotene gesetzliche Regelung von der Festlegung der Gesamtmenge der Berechtigungen über die abstrakten Kriterien für die Zuteilung bis hin zu den Voraussetzungen für die konkrete Zuteilungsentscheidung den deutschen Gesetzgeber vor eine außerordentlich schwierige Aufgabe stellen. Dementsprechend ist absehbar, dass Anlagenbetreiber hier erheblichen Risiken bei der Zuteilung ausgesetzt sein werden, bis
die Kriterien dafür gerichtlich abgeklärt sind. Gegenwärtig sind die geforderten Maßstäbe, die es den betroffenen Anlagenbetreibern ermöglichen, die Rechtslage so zu
erkennen, daß sie ihr Verhalten danach einrichten können, nicht erkennbar.
4.5.1 Die Festlegung der Gesamtmenge der Berechtigungen
Bei der Entscheidung darüber, wie viele Berechtigungen ein Mitgliedstaat in einer
Phase insgesamt auszugeben beabsichtigt, sollen die sich aus dem Kyoto-Protokoll
und der Lastenteilungsvereinbarung ergebenden Reduzierungs-Verpflichtungen umgesetzt werden (vgl. Anhang III Nr. 1). Da der RL-V weder eine staatlich gelenkte
Verknappung der Berechtigungen während der Drei- bzw. Fünfjahresphasen noch eine ausdrückliche Abwertung des Wertes der Berechtigungen vorsieht, ist davon auszugehen, dass die Gesamtmenge der Berechtigungen von Phase zu Phase verringert
werden soll, um die Reduzierungsziele zu erreichen. Die Festlegung der Gesamtmenge führt also im Ergebnis von Phase zu Phase zu einer Verknappung der verfügbaren
Berechtigungen. Für die Anlagenbetreiber entfaltet diese allgemeine Entscheidung
freilich – ebenso wie die genannten zwischenstaatlichen Verpflichtungen selbst – auf
dieser Ebene erst nur mittelbare Wirkungen.
Die Festlegung der Gesamtmenge der in einer Phase zuzuteilenden Berechtigungen
betrifft die einzelnen Anlagenbetreiber allerdings dann bereits in rechtlich relevanter
Weise, wenn sie zu einer sachlich nicht begründeten Ungleichbehandlung zwischen
den vom RL-V erfassten und den nicht geregelten emittierenden Sektoren führen sollte, wenn also den Angehörigen der geregelten Sektoren im Verhältnis zu den nicht
geregelten ohne sachlichen Grund ein größerer Beitrag zur Emissionsreduzierung abverlangt würde. Eine derartige Bestimmung der Gesamtmenge der Berechtigungen
verstieße gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.
70
Vgl. Art. 9, Art. 11 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 S. 1 RL-V.
Seite 51
Darüber, nach welchen sachlichen Kriterien die Verteilung der Lasten auf die einzelnen Sektoren zu bestimmen ist, schweigt der RL-V. Ebenso wie das Kyoto-Protokoll
und die Lastenteilungsvereinbarung überlässt er die Verteilung der Reduzierungslasten auf die einzelnen Sektoren und die Begründung eventueller unterschiedlicher Belastungen der Sektoren den Mitgliedstaaten. Anhang III Nr. 1 bestätigt lediglich die
sich aus dem Gleichheitssatz ergebenden Anforderungen, ohne sie inhaltlich auszufüllen, indem er verlangt, dass bei der Festlegung der Gesamtmenge der Berechtigungen
„de[r] Anteil][ der Gesamtemissionen, dem die][ Berechtigungen entsprechen [,] im
Vergleich zu Emissionen aus Quellen, die nicht unter diese Richtlinie fallen“ zu
berücksichtigen ist.
4.5.2 Die Zuteilung der Berechtigungen: erhebliche Grundrechtsrelevanz71
Von der Festlegung der Gesamtmenge zu unterscheiden ist die ebenfalls in Art. 9
Abs. 1, Art. 11 RL-V i.V.m. Anhang III vorgesehene Entscheidung über die Zuteilung
von Emissionsberechtigungen an die einzelnen Anlagenbetreiber, d.h. die (vorläufige)
Verteilung der Emissionsrechte und damit verbunden auch der Reduzierungslasten
innerhalb der geregelten Sektoren. Durch sie greifen die nationalen Entscheidungsträger unmittelbar in den verfassungsrechtlich geschützten Freiheitsbereich der Anlagenbetreiber ein, insbesondere die Eigentumsfreiheit nach Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG und
die Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG.
Die grundrechtlichen Freiheitsrechte gewährleisten, daß der durch sie geschützte Lebensbereich („Schutzbereich“) durch den Gesetzgeber nur dann eingeschränkt („Eingriff“) werden darf, wenn das Gesetz rechtsstaatlichen Anforderungen genügt, insbesondere verhältnismäßig ist („Rechtfertigung“).
•
Eigentumsfreiheit
Die Eigentumsfreiheit des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG schützt alles, was das einfache
Recht jeweils als Eigentum definiert, d.h. den zu einem bestimmten Zeitpunkt vorhandenen Bestand samt der nach einfachem Recht zulässigen, d. h. nicht verbotenen
Nutzungen. Inhalt und Schranken des Eigentums werden zwar erst durch vorhandene
gesetzliche Regelungen bestimmt (vgl. Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG). Verändern Neubestimmungen jedoch den vorhandenen Bestand, so bedürfen sie als Eingriff in das Bestehende der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung.
Die treibhausgasemittierende Nutzung von Industrieanlagen ist durch Art. 14 Abs. 1
S. 1 GG verfassungsrechtlich geschützt: Nach geltendem Recht gehört zu dem Eigentum an einer Industrieanlage auch die Befugnis, die Anlage zu nutzen und dabei Tätigkeiten auszuführen, die zu Emissionen von Treibhausgasen führen. Für den Betreiber einer Anlage, dem diese selbst nicht gehört, folgt diese Befugnis aus dem Recht
am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, das im gleichen Umfang wie das
Eigentum am Schutz des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG teilnimmt. Inhalt und Schranken und
damit der Umfang der Nutzungsbefugnis sind nach geltendem Recht insbesondere
71
Vgl. dazu ausführlich Becker-Neetz, Gerald: Rechtliche Probleme der Umweltzertifikatmodelle in
der Luftreinhaltepolitik, Frankfurt a.M. u.a. 1988, S. 95-203.
Seite 52
durch das Erfordernis zur Genehmigung von Anlagenerrichtung und -betrieb nach §§
4, 6 BImSchG (präventives Kontrollverfahren), durch die Betreiberpflichten des § 5
Abs. 1 BImSchG sowie die Pflichten aus dem Maßnahmenbündel des Bundes (etwa
aus dem KWKG und dem EEG) bestimmt.
Bei Umsetzung der Regelungen des RL-V in deutsches Recht wird in die bestehenden
Eigentumsrechte samt Nutzungsbefugnissen eingegriffen. Inhalt und Schranken des
Eigentums werden insbesondere durch folgende Regelungen neu bestimmt:
•
Erfordernis einer Genehmigung zum Emittieren von Treibhausgasen;
•
Pflicht zum Innehalten einer ausreichenden Zahl von Berechtigungen, um die tatsächlichen Emissionen abzudecken sowie
•
faktische Pflicht zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen durch die verknappte Ausgabe von Berechtigungen.
Bei der Umsetzung dieser Bestimmungen und Ausfüllung des gemeinschaftsrechtlich
nicht vorbestimmten Gestaltungsspielraums ist insbesondere das Verhältnismäßigkeitsprinzip72 zu berücksichtigen. Dessen Element der Angemessenheit verlangt vom
Gesetzgeber, bei der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums besonderen Härten durch die Neuregelung Rechnung zu tragen. Besondere Härten entstehen
vor allem dann, wenn die Zahl der zugeteilten Berechtigungen vom Anlagenbetreiber
weitere Emissionsverringerungen oder den Zukauf einer nicht unerheblichen Zahl von
Berechtigungen verlangt, um sein Unternehmen wie nach geltendem Recht weiterzuführen, gleichzeitig dem Betreiber aber etwa aufgrund bereits in der Vergangenheit
erbrachter Reduzierungen eine weitere Reduzierung kaum möglich ist. Dies wird in
Deutschland bei der Aufstellung der Zuteilungspläne bzw. bei der Zuteilungsentscheidung zu berücksichtigen sein.
•
Berufsfreiheit
Für neue Marktteilnehmer begründet die Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG vergleichbaren verfassungsrechtlichen Schutz. Die genannten Neubestimmungen bei
Umsetzung des RL-V bilden Berufsausübungsregelungen, d. h. Normen, die Bedingungen und Modalitäten der Ausübung des Berufs (das „Wie“ der beruflichen Tätigkeit) regeln. Verfassungsrechtlich zulässig sind derartige Regelungen bei Vorliegen
vernünftiger Gründe des Gemeinwohls sowie bei Einhaltung der durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gesteckten Grenzen. Diese verlangen vom Gesetzgeber insbesondere, Vorkehrungen zu treffen, um neuen Marktinteressenten den Marktzugang
faktisch wie rechtlich nicht unzumutbar zu erschweren, d. h. sicherzustellen, daß
Marktneulinge ausreichend Berechtigungen für einen Betrieb ohne unzumutbare finanzielle Aufwendungen erlangen können. Auch dies wird bei der Aufstellung bzw.
bei der Zuteilungsentscheidung in Deutschland beachtet werden müssen.
72
Danach muß eine Regelung geeignet sein, das von ihr verfolgte Ziel zu erreichen. Weiter darf es kein
anderes ebenso wirksames, aber das betroffene Grundrecht weniger einschränkendes Mittel geben.
Ferner muß die Belastung in einem angemessenen Verhältnis zu dem eingeschränkten Grundrecht
stehen. Vgl. zu allem Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 5. Auflage, Art. 20, Rn. 83 ff.
Seite 53
Bei der Überprüfung des deutschen Vollzugsakts des RL-V im Hinblick auf einen
möglichen Grundrechtsverstoß ist zu beachten, daß der EuGH die Prüfungskompetenz
für Gemeinschaftsrecht besitzt, somit eine nationale Regelung, soweit sie durch gemeinschaftsrechtliche Vorgaben bedingt ist, grundsätzlich nicht mehr durch das Bundesverfassungsgericht am Maßstab der deutschen Grundrechte überprüft wird (Grundsätze des sogenannten Solange II-Beschlusses und des Maastricht-Urteils des Bundesverfassungsgerichts).73 Soweit die in Rede stehende Regelung aber nicht gemeinschaftsrechtlich bedingt ist, besteht weiterhin eine Prüfungskompetenz am Maßstab
der deutschen Grundrechte.
Der deutsche Gesetzgeber muß folglich bei der Umsetzung des RL-V die Grundrechtsrelevanz der Regelungen bedenken und verbleibende Gestaltungsspielräume
verfassungsgemäß ausfüllen.74 Dies gilt insbesondere für die Aufstellung der Zuteilungspläne und die Zuteilungsentscheidung, da die Mitgliedstaaten dort weitere Kriterien aufstellen können, die nicht europarechtlich vorbestimmt sind.
4.5.3 Hohe Anforderungen an den deutschen Gesetzgeber bei der Zuteilungsregelung
In Rede steht nicht eine Zuteilungsentscheidung im Leistungsbereich mit geringeren
verfassungsrechtlichen Anforderungen, sondern eine Bewirtschaftungsregelung mit
kontingentierenden Elementen im Bereich der Freiheitsrechte. Dies erfordert eine Regelung der Voraussetzungen der Zuteilungsentscheidung in einem förmlichen Gesetz
(Gesetzesvorbehalt)75. Will der Gesetzgeber Verwaltungsbehörden ermächtigen, die
zugrundezulegenden Zuteilungskriterien, etwa durch Erstellung eines Zuteilungsplans
i.S.d. Art. 9 RL-V, auszuarbeiten, so hat er gleichwohl die wesentlichen Entscheidungen für die Freiheitsbetätigung des einzelnen, namentlich jene über die Voraussetzungen, Umstände und Folgen des mit der Zuteilung verbundenen Eingriffs, selbst zu
treffen (sog. Wesentlichkeitstheorie)76. Das Gesetz darf sich dabei nicht darauf beschränken, allgemein gehaltene Grundsätze aufzustellen:77
73
74
75
76
77
Vgl. BVerfG, v. 22.10. 1986 – 2 BvR 197/83 – BVerfGE 73, 339 2. Leitsatz (Solange II-Beschluß):
„Solange die Europäischen Gemeinschaften, insbesondere die Rechtsprechung des Gerichtshofs der
Gemeinschaften einen wirksamen Schutz der Grundrechte gegenüber der Hoheitsgewalt der Gemeinschaften generell gewährleisten, der dem vom Grundgesetz als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz im wesentlichen gleichzuachten ist, zumal den Wesensgehalt der Grundrechte generell
verbürgt, wird das Bundesverfassungsgericht seine Gerichtsbarkeit über die Anwendbarkeit von abgeleitetem Gemeinschaftsrecht, das als Rechtsgrundlage für ein Verhalten deutscher Gerichte oder
Behörden im Hoheitsbereich der Bundesrepublik Deutschland in Anspruch genommen wird, nicht
mehr ausüben und dieses Recht mithin nicht mehr am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes
überprüfen; entsprechende Vorlagen nach Art. 100 Abs. 1 GG sind somit unzulässig.“ Das BVerfG
hat das Kooperationsverhältnis mit dem EuGH im sogenannten Maastricht-Urteil bestätigt, Urteil v.
12.10.1993 – 2 BvR 2134, 2159/92 – BVerfGE 89, 155, 156 7. Leitsatz.
So auch BVerfG, v. 12.05.1989 - 2 BvA 3/89 - NJW 1990, 974.
So auch Kloepfer, Michael: Umweltschutz zwischen Ordnungsrecht und Anreizpolitik. Konzeption,
Ausgestaltung, Vollzug. Zweiter Teil, ZAU 9 (1996), 200-209/203 f.
Vgl. BVerfG, B. v. 8.8.1978 – 2 BvL 8/77 – BVerfGE 49, 89-147/126 f. (Kalkar).
Vgl. BVerfG, B.v. 12.6.1979 – 1 BvL 19/76 – BVerfGE 52, 1-42/41 (Kleingartenrecht).
Seite 54
(1)
Die rechtsstaatlichen Erfordernisse hinreichender Bestimmtheit des Gesetzes,
Normklarheit und Justitiabilität78 erfordern vielmehr, dass die Regelung in ihren Voraussetzungen und ihrem Inhalt so formuliert ist, dass die von ihr Betroffenen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach einrichten können79.
(2)
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Regelungen im
Bereich der Vorsorge hat zudem der Gesetzgeber der Zuteilungsentscheidung
für die Dreijahresphase und – aufgrund der sukzessiven Verknappung noch
einmal erschwert – für die folgenden Fünfjahresphasen ein „langfristige[s], auf
eine einheitliche und gleichmäßige Durchführung angelegte[s] Konzept“ zugrundezulegen, weil erst ein derartiges Konzept „die angestrebte Minderung der
Gesamtemissionen [garantiert] und … die zu diesem Zweck an die einzelnen
[A]nlagen gestellten Anforderungen auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit“ rechtfertigt80.
Unterschieden werden können für diese Anforderungen die Festlegung abstrakter Kriterien für die Zuteilung in der jeweiligen Phase in einem Zuteilungsplan im Sinne des
Art. 9 Abs.1 RL-V und die konkrete Zuteilungsentscheidung.
•
Abstrakte Kriterien für die Zuteilung
Die Aufgabe, abstrakte Kriterien für die Zuteilung zu formulieren oder auch nur in
einer ermächtigenden Norm der Verwaltung hinreichend klare und bestimmte Kriterien für die Erstellung eines Zuteilungsplans in ihren wesentlichen Grundzügen an die
Hand zu geben, wird den deutschen Gesetzgeber nach dem Vorgenannten vor eine
außerordentlich schwierige Aufgabe stellen.
Der RL-V bietet ihm insoweit keine Hilfestellung. Die in Anhang III aufgeführten
Zuteilungskriterien (Nr. 3-5) und Berücksichtigungsgebote (Nr. 6-8) sind nicht hinreichend konkret, untereinander nicht abgestimmt (dazu oben 3.2.2) und lassen eine Gewichtungsvorgabe vermissen. Sie genügen damit im Falle ihrer unveränderten Übernahme als gesetzliche Regelung über die Zuteilungskriterien nicht den Geboten der
Bestimmtheit, Normklarheit und Justitiabilität. Darüber hinaus sind sie nicht geeignet,
das Konzept des RL-V umzusetzen: Werden einer Anlage nicht mehr Berechtigungen
zugeteilt, als sie wahrscheinlich benötigt (Anhang III Nr. 5 Hs. 2), so ist nicht recht
ersichtlich, wie ein Überhang an Berechtigungen entstehen können soll, der den gewollten Handel überhaupt erst ermöglicht. Zumal dann nicht, wenn die Zuteilungsentscheidung auf das technische Potential der Anlagen zur Emissionsverringerung (Anhang III Nr. 3) abgestimmt wird, d.h. Möglichkeiten zur Emissionsverringerung bereits durch Zuteilung geringerer Mengen an Berechtigungen vorwegnimmt. Insgesamt
78
79
80
Vgl. BVerfG, B. v. 8.8.1978 – 2 BvL 8/77 – BVerfGE 49, 89-147/133 ff. (Kalkar).
Vgl. BVerfG, B.v. 12.1.1967 – 1 BvR 169/63 - BVerfGE 21, 73-87/79 f. (Grundstückverkehrsgesetz); BVerfG, B.v. 12.6.1979 – 1 BvL 19/76 – BVerfGE 52, 1-42/41 (Kleingartenrecht); BVerfG,
B.v. 3.11.1982 – 1 BvR 210/79 - BVerfGE 62, 169-189/183 (Sperre von DDR-Guthaben); BVerfG,
B.v. 18.5.1988 – 2 BvR 579/84 - BVerfGE 78, 205-214/212 (Baden-Württembergisches Denkmalschutzgesetz); st. Rspr.
Vgl. BVerwG, Urt. v. 17.2.1984 – 7 C 8.82 – BVerwGE 69, 37-46/45 (Fernheizwerk Heidelberg).
Seite 55
betrachtet, tendieren die Kriterien des Anhang III dazu, vom gleichheitsrechtlich gebotenen Leitbild gleicher materieller Anforderungen abzurücken und an deren Stelle
Kriterien zu setzen, die die Möglichkeiten zu weiteren Emissionsverringerungen in
den Vordergrund stellen, damit aber etwa technisch schlechter ausgerüstete Anlagen,
deren Potential zur Emissionsverringerung noch nicht ausgeschöpft ist, zu privilegieren.
Die Schwierigkeiten, abstrakte Kriterien für die Zuteilung zu finden, die einerseits
Handelsmöglichkeiten eröffnen sollen, andererseits zu einer gerechten (vorläufigen)
Verteilung der Reduzierungslasten führen, wurden bislang offenbar nicht ausreichend
zur Kenntnis genommen. Der Gesetzgeber steht dabei vor einem Dilemma. Der RL-V
gibt das Ziel, die Emissionsreduzierung, vor und bestimmt, dass das Mittel des Emissionshandels eingesetzt werden soll. Damit trennt er sich notwendig von den bisherigen Maßstäben für das Emissionsverhalten der einzelnen Anlagenbetreiber im Bereich der Vorsoge, ohne neue Maßstäbe zu liefern, verlangt aber zugleich, dass die
Handelsobjekte zugeteilt werden, und setzt damit das Bestehen sinnvoll anwendbarer
Maßstäbe voraus. Derartige Maßstäbe, die den betroffenen Anlagenbetreibern ermöglichen, die Rechtslage zu erkennen und ihr Verhalten danach einzurichten, sind bislang nicht erkennbar. Angesichts der Probleme des Gesetzgebers, hier zu zutreffenden
Regelungen zu kommen, ist absehbar, daß Anlagenbetreiber hier erheblichen Risiken
bei der Zuteilung ausgesetzt sein werden, bis die Kriterien gerichtlich abgeklärt sind.
•
Die Zuteilungsentscheidung
Abgesehen von der Aufgabenzuweisung in Art. 11 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 S. 1 RL-V,
wonach jeder Mitgliedstaat über die Zuteilung der Berechtigungen an die Betreiber
der einzelnen Anlagen entscheidet, enthält der RL-V für die Zuteilungsentscheidung
ebenfalls keine Vorgaben. Es obliegt damit auch hier dem nationalen Gesetzgeber zu
bestimmen, unter welchen Voraussetzungen Berechtigungen zugeteilt werden. Sinnvollerweise wird er die Kriterien der Zuteilungspläne in Bezug nehmen und zur Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit Härteklauseln vorsehen. Angesichts
der Bedeutung für die Freiheitsentfaltung der Anlagenbetreiber ist für ein Ermessen
kein Raum, vielmehr wird zwingend eine gebundene Entscheidung vorzusehen sein.
4.6
Vorhandene nationale Maßnahmen zur Klimavorsorge und der Richtlinien-Vorschlag
Es ist zweifelhaft, ob die bereits vorhandenen vielfältigen nationalen Maßnahmen zur
Klimavorsorge ohne weitere Änderungen neben dem geplanten Emissionshandel aufrecht erhalten werden können.
4.6.1 Maßnahmenbündel des Bundes zur Reduktion von Treibhausgasen
Zahlreiche Maßnahmen des Bundes ergänzen das ordnungsrechtliche Instrumentarium, um die Emissionen der sechs Kyoto-Treibhausgase entsprechend den internatio-
Seite 56
nalen Vereinbarungen zu mindern81. Das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz (KWKG)82
legt den Stromnetzbetreibern83 die Pflicht auf, KWK-Anlagen an ihr Netz anzuschließen, in KWK-Anlagen erzeugten Strom abzunehmen sowie in gesetzlich vorgegebener Höhe zu vergüten. Dadurch wird die energiesparende, mithin CO2-Ausstoß vermindernde Technik der Kraft-Wärme-Kopplung begünstigt. Das ErneuerbareEnergien-Gesetz (EEG) unterstützt auf dieselbe Weise die Erzeugung von Strom aus
erneuerbaren Energieträgern, die ohne CO2-Emissionen auskommen. Weiter meint
der Gesetzgeber, durch das Gesetz zur Fortführung der ökologischen Steuerreform
den Stromverbrauch über eine erhöhte Stromsteuer lenken zu können.84
Darüber hinaus sagten neunzehn Industrie- und Wirtschaftsverbände in der „Vereinbarung zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der deutschen
Wirtschaft zur Klimavorsorge“ vom 9. November 2000 zu, bis zum Jahr 2012 die
spezifischen Emissionen der sechs Kyoto-Gase im Vergleich zum Jahr 1990 um insgesamt 35 % zu senken (anlagenübergreifende Minderungszusage). Ferner sollen im
Zeitraum bis 2005 zusätzliche Anstrengungen unternommen werden, um eine spezifische CO2-Minderung von 28 % im Vergleich zu 1990 zu erreichen. Im Gegenzug sagte die Bundesregierung unter anderem zu, vorbehaltlich der erfolgreichen Umsetzung
und gemeinsamen Weiterentwicklung der Vereinbarung keine Initiative zu ergreifen,
um die klimapolitischen Ziele auf ordnungsrechtlichem Weg zu erreichen.85 Weiter
versprach die Bundesregierung, sich dafür einzusetzen, daß der deutschen Wirtschaft
aus den Kyoto-Verpflichtungen, den damit verbundenen Instrumenten (u.a. dem Emissionshandel) sowie dem EU-Burden-Sharing im internationalen Vergleich keine
Wettbewerbsnachteile entstehen. Über den Einsatz der flexiblen Instrumente wird die
Bundesregierung unter Beteiligung der Wirtschaft entscheiden.
Diese Klimavereinbarung wurde durch eine weitere Vereinbarung „zur Minderung
der CO2-Emissionen und zur Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung“ vom 25. Juni
2001 ergänzt.
81
82
83
84
85
Die Bundesregierung möchte die Emission von Kohlendioxid bis 2005 gegenüber 1990 um 25 %
(etwa 250 Mio. t), die Emissionen der sechs Treibhausgase des Kyoto-Protokolls im Zeitraum 2008
bis 2012 im Rahmen der EU-Lastenverteilung um 21 % mindern (vgl. BT-Drs. 14/4729, Seite 5
[Eckpunkte des nationalen Klimaschutzprogramms, II. + V.]).
Das bisherige KWKG wurde durch ein neues KWKG ersetzt. Die drei genannten Pflichten bleiben
danach als solche bestehen (vgl. § 4 KWKG i.d.F. des Gesetzentwurfs vom 04.10.2001, BT-Drs.
14/7024).
(Strom-) Netzbetreiber sind Energie-/Elektrizitätsversorgungsunternehmen, die die allgemeine
Versorgung von Letztverbrauchern sicherstellen, indem sie Netze für die allgemeine Versorgung
betreiben (vgl. § 2 Abs. 1 S. 1 KWKG und § 2 Abs. 1 S. 1 EEG).
Für einige der vom RL-V erfaßten energieintensiven Branchen existieren Sonderregelungen über
Steuervergünstigungen, so daß das Lenkungsziel der ökologischen Steuerreform in diesen Bereichen
keine große Bedeutung erlangt. Bei Fortbestehen dieser Steuervergünstigungen ist zugleich die Gefahr einer Doppelbelastung durch erhöhte Steuer und Erwerb von Emissionsberechtigungen abgeschwächt (zu dieser Meyer, Eric Christian/Ströbele, Wolfgang: Ökonomische und institutionelle Beurteilung des Zertifikatehandels für CO2 in der EU, in: Rengeling, Hans-Werner (Hrsg.): Klimaschutz durch Emissionshandel. Achte Osnabrücker Gespräche zum deutschen und europäischen
Umweltrecht am 26./27. April 2001, Köln u.a. 2001, S. 57-93/76).
Die Umsetzung von EU-Recht bleibt (wie ausdrücklich klargestellt) davon unberührt.
Seite 57
Maßnahmenbündel des Bundes
Im Rahmen ihres nationalen Klimaschutzprogramms86 hat die Bundesregierung die nachfolgend
stichwortartig aufgezählten Maßnahmen beschlossen, „um die für die Realisierung des 25%-Ziels (gemeint ist das Ziel, bis 2005 eine Minderung von 25% (etwa 250 Mio t CO2) zu erreichen) noch bestehende Lücke (50 bis 70 Mio t CO2 zu schließen“.
1.
Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung;
2.
Verabschiedung einer Energiesparverordnung;
3.
Förderprogramm zur CO2-Minderung im Gebäudebestand;
4. Vereinbarung zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der deutschen
Wirtschaft zur Klimavorsorge;
5.
Maßnahmebündel für den Verkehrsbereich;
6.
Selbstverpflichtung der Bundesregierung;
7.
Maßnahmen zur Minderung anderer Treibhausgase.
Für die bis 2000 erfolgte und bis 2005 angestrebte CO2-Minderung sah die Regierung daneben einen
wichtigen Beitrag in folgenden seit Herbst 1998 bereits ergriffenen Maßnahmen:
1.
Ökologische Steuerreform;
2.
Erneuerbare-Energien-Gesetz;
3.
Markteinführungsprogramm für erneuerbare Energien;
4.
100 000-Dächer-Programm;
5.
Förderung schwefelarmer bzw. schwefelfreier Kraftstoffe.
4.6.2 Zusammenspiel mit Ziel und Konzept des Richtlinien-Vorschlags
Der RL-V verfolgt ebenso wie die vorab geschilderten vorhandenen nationalen Maßnahmen das übergeordnete Ziel, die Gesamtmenge der Treibhausgasemissionen zu
mindern. Ob der RL-V und die Selbstverpflichtungserklärung der deutschen Wirtschaft ohne weiteres nebeneinander fortbestehen können, erscheint zweifelhaft. Dabei
muß jedenfalls berücksichtigt werden, daß die Selbstverpflichtungserklärungen der
deutschen Wirtschaft mit den Sonderregelungen der Ökosteuer in einer Art Gegenleistung verknüpft und damit zugleich für die beihilferechtliche Rechtfertigung dieser
Steuerbegünstigungen bedeutsam sind.
Sollen bei Umsetzung der Regelungen des RL-V die vorhandenen anlagenbezogenen
nationalen Maßnahmen, namentlich das KWKG und das EEG, unverändert aufrecht
erhalten bleiben, kämen für die unter das Handelsregime fallenden Unternehmen, die
gleichzeitig ein Stromnetz betreiben, gegenläufige Regelungskonzepte zur Anwendung: Marktöffnung und Flexibilisierung einerseits, einseitige Ausrichtung auf Emissionsreduzierung bei jedem einzelnen Unternehmen andererseits. Der Gesetzgeber hat
die Aufgabe, die beiden Konzepte aufeinander abzustimmen, etwa dadurch, daß er
Ausnahmen von der Pflichtentrias nach KWKG und EEG vorsieht. Im übrigen hat der
Gesetzgeber den Auswirkungen, die KWKG und EEG gegenüber den nicht direkt,
86
Nationales Klimaschutzprogramm, BT-Drs. 14/4729, Seite 5 f. (IV.+VI.).
Seite 58
aber mittelbar betroffenen und unter den RL-V fallenden Unternehmen haben können,
Rechnung zu tragen.
In diesem Zusammenhang ist zu beachten, daß das Bundesverfassungsgericht87 bereits
entschieden hat, daß Widersprüche in der Rechtsordnung, die etwa auch dann anzunehmen sind, wenn für ein Unternehmen im gleichen sachlichen Bereich ein offenes,
auf Kooperation angelegtes und ein hoheitlich lenkendes Regelungsregime gelten,
nicht hingenommen werden können. Danach sind aus rechtsstaatlichen Gründen Regelungen „jeweils so aufeinander abzustimmen, daß den Normadressaten nicht gegenläufige Regelungen erreichen, die die Rechtsordnung widersprüchlich machen“
(rechtsstaatliches Erfordernis der „Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung“).
Die unveränderte Fortgeltung der bisherigen Regelungen des KWKG und des EEG
beeinträchtigt zwar nicht in gleicher Weise wie die Vorsorgepflicht des deutschen
Immissionsschutzrechts die Teilnahme der vom RL-V umfaßten Unternehmen am
Emissionshandel. Denn trotz der Verpflichtungen des KWKG und des EEG kann ein
Unternehmen am Emissionshandel teilnehmen, ohne daß der oben beschriebene
„Selbstzerstörungsmechanismus“ für handelbare Emissionsberechtigungen eintritt.
Ein Unternehmen, das den Pflichten des KWKG und EEG unterfällt, hat jedoch weniger Spielraum bei der Gestaltung seiner eigenen Emissionstätigkeit und damit für einen Handel mit Emissionsberechtigungen. Dies kann zu einer Aushöhlung der Handelsmöglichkeiten führen.88
Gegen ein unverändertes Nebeneinander der unterschiedlichen Konzepte der vorhandenen anlagenbezogenen nationalen Maßnahmen einerseits, des RL-V andererseits
bestehen ferner unter dem Gesichtspunkt des deutschen Verhältnismäßigkeitsgebots89 rechtliche Bedenken.
Das Verhältnismäßigkeitsgebot erfordert vom Gesetzgeber, nur solche Mittel einzusetzen, die geeignet sind, das selbstgesetzte Ziel zu erreichen (Geeignetheit), und unter mehreren gleich geeigneten Mitteln das mildeste für die Betroffenen auszuwählen
87
88
89
BVerfG, Urt. v. 7.5.1998 – 2 BvR 1991, 2004/95 – BVerfGE 98, 106-134/118 f., 125, 130
(Kommunale Verpackungssteuer), und BVerfG, Urt. v. 7.5.1998 – 2 BvR 1876/91, 1083, 2188,
2200/92, 2624/94 – BVerfGE 98, 83-105/97 (Landesrechtliche Abfallabgabengesetze); aufgegriffen
und auf Kompetenzkonflikte außerhalb des Abgabenrechts erweitert durch BVerfG, Urt. v.
27.10.1998 – 1 BvR 2306, 2314/96, 1108, 1109, 1110/97 – BVerfGE 98, 265-329/301 (Bayerisches
Schwangerenhilfeergänzungsgesetz); auch das BVerwG folgt ausdrücklich dem aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Maßstab der Widerspruchsfreiheit, BVerwG, Urt. v. 22.12.1999 – 11 C 9.99
– BVerwGE 110, 248-253/249 f. (erhöhte Besteuerung von Gewaltspielautomaten durch kommunale
Satzung), die dagegen erhobene Verfassungsbeschwerde hat das BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen; dazu erneut BVerfG, B.v. 3.5.2001 – 1 BvR 624/00 – DVBl 2001, 1135-1137/1136.
Im übrigen können die Regelungen des KWKG und EEG mittelbar Unternehmen beeinflussen (also
ohne direkt ein Unternehmen als Adressat zu verpflichten). So kann z.B. die Investition in KWKAnlagen oder erneuerbare Energien wirtschaftlich sinnvoller sein, als die Erhaltung der herkömmlichen Verbrennungsanlagen. Auch dadurch kann mittelbar die „freie“ Möglichkeit des Handels eingeschränkt werden.
Vgl. dazu und zu weiteren verfassungsrechtlichen Grenzen: Becker-Neetz, Gerald: Rechtliche
Probleme der Umweltzertifikatmodelle in der Luftreinhaltepolitik, Frankfurt a.M. u.a. 1988, Seite
142 ff. + 182 ff. + 192 ff.; Rehbinder, Eckard: Übertragbare Umweltgenehmigungen (Lizenzen) aus
juristischer Sicht, ZAU Sonderheft 9/1998, 70-81/80.
Seite 59
(Erforderlichkeit). Danach steht die Eignung90 eines Systems in Frage, das eine Minderung von Emissionen dadurch erreichen will, daß einige Unternehmen in emissionsmindernde Techniken investieren, andere hingegen von derartigen Investitionen
absehen und statt dessen Emissionsberechtigungen erwerben, wenn zahlreiche Maßnahmen des nationalen Rechts auf Minderung von Emissionen bei jedem einzelnen
Unternehmen angelegt sind, indem sie ihn dazu verpflichten91 oder sein Verhalten
durch entsprechende finanzielle Anreize lenken. Ökonomisch lohnende Freiräume für
den Ankauf von Emissionsberechtigungen sind in einem solchen System kaum zu erkennen. Der deutsche Gesetzgeber wird diesen Aspekt bei einer Umsetzung des RL-V
zu beachten haben.
4.7
Versteigerung der Emissionsberechtigungen und Finanzverfassungsrecht
Die Pläne der Bundesregierung, einen Teil der Emissionsberechtigungen versteigern
zu lassen, sind verfassungsrechtlich bedenklich.
Nach Pressemitteilungen92 strebt die Bundesregierung an, einen Teil der Emissionsberechtigungen versteigern zu lassen. Ungeachtet der bislang allein von den UMTSLizenzen bekannten Art der Einnahmeerzielung unterliegen die Versteigerungserlöse
wie alle anderen öffentlich-rechtlichen Geldleistungspflichten (Abgaben) verfassungsrechtlichen Grenzen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner grundlegenden Entscheidung zum Wasserentnahmeentgelt aus der Begrenzungs- und Schutzfunktion der
bundesstaatlichen Finanzverfassung (Art. 104a ff. des Grundgesetzes, GG) Grenzen
für Abgaben formuliert, die der Gesetzgeber dem einzelnen in Wahrnehmung seiner
sachlichen Gesetzgebungskompetenzen (Art. 73 ff. GG), hier der des Rechts der Wirtschaft (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG) und der Luftreinhaltung (Nr. 24), auferlegt (nichtsteuerliche Abgaben).93
Danach ist
90
91
92
93
•
erstens eine besondere sachliche Rechtfertigung erforderlich, die über den Zweck
der Einnahmeerzielung hinausgeht,
•
zweitens der Belastungsgleichheit der Abgabepflichtigen Rechnung zu tragen und
Rengeling, Hans-Werner: Handel mit Treibhausgasemissionen, DVBl 2000, 1725-1734/1728 f. +
1733, begründet seine Annahme, der Emissionshandel verstoße gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit damit, eine partielle Umsetzung der Kyoto-Ziele durch einen europaweiten oder gar nationalen Alleingang sei angesichts der weltweiten Verflechtung der Treibhausgasemissionen ungeeignet.
Beispielsweise erfordern die Anschluß-, Abnahme- und Vergütungspflicht des KWKG vom
einzelnen Unternehmer Investitionen, die den durch Kraft-Wärme-Kopplung möglichen verminderten Energieeinsatz (mit der Folge verminderter CO2-Emissionen) ermöglichen oder finanzieren sollen. Ein Freiraum, statt dessen weiter wie bisher zu emittieren und entsprechend Emissionsberechtigungen zu erwerben, läßt das KWKG dem einzelnen Unternehmen nicht.
Vgl. FAZ Nr. 252 vom 30. Oktober 2001, Wirtschaft S. 18 („Die Bundesregierung will an
Emissionsrechten mitverdienen. Kombination mit einem Auktionsverfahren geplant. Anhaltender
Widerstand gegen die Gentechnik“).
BVerfG, B. v. 7.11.1995 – 2 BvR 413/88 und 1300/93 – BVerfGE 93, 319-352/342 ff.
Seite 60
•
drittens der Verfassungsgrundsatz der Vollständigkeit des Haushaltsplans einzuhalten.
Ob ein Entgelt für die Zuteilung von Emissionsberechtigungen bereits die erste der
genannten verfassungsrechtlichen Grenzen einhält, ist zweifelhaft.
Hält die Bundesregierung an ihren Plänen fest, so hat sie darzulegen, worin der sachliche Grund besteht, die Ermächtigung privater Unternehmer zum Emittieren von
Treibhausgas (ausgedrückt in der Emissionsberechtigung) überhaupt mit einer öffentlich-rechtlichen Geldleistungspflicht zu verknüpfen. Darüber hinaus muß auch die
Höhe der zu leistenden Zahlung, hier also der Ersteigerungssumme, sachlich gerechtfertigt sein. Ist mit der Versteigerung allein bezweckt, Einnahmen zu erzielen, so wäre
eine Versteigerung aus verfassungsrechtlichen Gründen unzulässig.
Im übrigen sind die (noch offenen) Vorgaben der EU-Kommission (Art. 10 Abs. 2
RL-V) zu beachten.
Seite 61
5.
Die Situation in Großbritannien
Die Umsetzung des RL-V erfordert wegen der unterschiedlichen Gestaltung des britischen Immissionsschutzrechts nicht in derselben Weise wie in Deutschland gesetzliche Änderungen des bestehenden Rechts.
Großbritannien hat auf nationaler Ebene durch das „Climate Change Programme“
bereits Anstrengungen für die Reduktion von Treibhausgasemissionen unternommen.
Es hat einen nationalen Emissionshandel eingeführt, der sich in wesentlichen Punkten
von dem RL-V unterscheidet. Das erfordert eine Anpassung beider Systeme. Wie dies
geschehen soll, ist derzeit offen.
Großbritannien muß nach der EU-Lastenteilungsvereinbarung seine Treibhausgasmissionen im Zeitraum vom 2008 bis 2012 um 12,5 % gegenüber 1990 senken. Darüber
hinaus hat sich die britische Regierung eine Reduktion der CO2-Emissionen um 20 %
gegenüber 1990 bis zum Jahr 2010 vorgenommen.
Treibhausgasemissionen in Großbritannien
Nach Angaben der britischen Regierung94 wurden 1999 in Großbritannien 14,5 % weniger Treibhausgase ausgestoßen als im Vergleichsjahr 1990. Dies ist größtenteils auf die Umstrukturierung der britischen Energieerzeugung von Kohle zu Gas zurückzuführen. Man erwartet, daß ohne weitere Interventionen der Ausstoß von Treibhausgasen um das Jahr 2010 wieder zunimmt, wofür das wirtschaftliche
Wachstum, die Zunahme des Verkehrs und die geplante Schließung von Atomkraftwerken verantwortlich gemacht werden.
Die Regierung hat zur Erreichung der genannten Ziele im November 2000 ein „Climate Change Programme“ gestartet. Wesentlicher Bestandteil dieses Programms ist
ein nationaler Emissionshandel („emissions trading scheme“, im folgenden ETS). Die
britische Regierung hofft, die Emission von Treibhausgasen außerdem durch Umsetzung der IVU-RL (insbesondere durch die Vorgaben bestimmter Energieeffizienzstandards und den Einsatz der besten verfügbaren Techniken) weiter senken zu können.
5.1
Immissionsschutzrechtliche Rahmenbedingungen in Großbritannien
5.1.1 Das PPC Regime
Maßgebliches Regelungswerk für die Kontrolle von Emissionen in der Luft sind die
Pollution Prevention and Control Regulations 2000 (PPC Regulations)95. Sie wurden
durch den Pollution Prevention and Control Act 1999 eingeführt und setzen die IVURL um.
94
95
UK Third National Communication under UNFCCC (30.10.2001).
Statutory Instrument 2000 No. 1973.
Seite 62
Das frühere Regime
Bevor die PPC Regulations in Kraft traten, unterlagen viele der jetzt erfaßten Industriezweige dem
Environmental Protection Act 1990. Dieser führte ein als Integrated Pollution Control (IPC) bezeichnetes System ein, mit dem Emissionen in den Medien Luft, Boden und Wasser kontrolliert wurden. Die
Emissionen weniger umweltbelastender Industrien regelte das parallele System des Local Air Pollution
Control (LAPC) (nur auf das Medium Luft bezogen). Aufgrund einer siebenjährigen Übergangsphase
bis zur Anwendung der PPC Regulations auf alle existierenden Anlagen gelten für viele Industriezweige die Regelungen des IPC und LAPC weiter.96
Die neuen Regelungen (PPC Regulations) haben mit Einführung des IPPC (Integrated Polution Prevention and Control) und des LAPPC (Local Air Pollution Prevention and Control) den Ansatz der früheren Regelungen (IPC/LAPC) aufgegriffen und
weiterentwickelt.97 Wie das alte so normiert auch das neue Regelungswerk ein Genehmigungsregime für industrielle Anlagen. Erhebliche Unterschiede bestehen jedoch
insoweit, als das jetzige System (PPC Regulations) auf mehr Industriezweige als das
frühere System anwendbar ist. Ferner haben die PPC Regulations neue Energieeffizienzkriterien eingeführt sowie die Definition der „Umweltverschmutzung“ um die
Faktoren Wärme, Lärm und Erschütterungen erweitert.
5.1.2 Die PPC Regulations und der Richtlinien-Vorschlag
Die Genehmigungspflicht für die Emission von Treibhausgasen (Art. 4 RL-V) ist
auch für das britische Immissionsschutzrecht neu. So unterliegen nach den PPC Regulations CO2-Emissionen bisher nicht bestimmten Grenzwerten, sondern werden über
das Erfordernis der Energieeffizienz eingeschränkt.
Gleichwohl sind die vom RL-V eingeführten Instrumente – Genehmigungspflicht,
Emissionsberechtigung, Zuteilung und Handel – nicht in gleicher Weise systemfremd
wie in Deutschland. Im übrigen besteht nicht in derselben Weise ein Änderungsbedarf
des geltenden Rechts wie in Deutschland. Zweifelhaft ist dagegen das Zusammenspiel
von RL-V und den britischen Anforderungen an die Energieeffizienzpflicht.
96
97
•
Das englische Recht hat ein eigenes Emissionshandelssystem (ETS), so daß die
grundsätzliche Systematik eines „Emissionshandels” nicht neu ist (dazu unten
5.3).
•
Das deutsche Recht hat in Umsetzung der IVU-RL die Grundprinzipien des Art. 3
IVU-RL in das Grundpflichtenmodell des § 5 BImSchG integriert, an das jeder
Anlagenbetreiber zwingend gebunden ist. Dagegen soll der regulator (zuständige
Behörde) gemäß regulation 11 Abs. 1 bei der Festlegung der Genehmigungsauflagen die in Abs. 2 der Vorschrift benannten allgemeinen Grundsätze, das Schutzprinzip und das Vorsorgeprinzip (zu dem auch die Anwendung der besten verfügbaren Techniken gehört), berücksichtigen („the regulator shall take account of the
general principles“). Großbritannien hat damit die Vorgabe des Art. 3 Abs. 2
IVU-RL nahezu wörtlich übernommen (vgl. dazu oben 3.3.2). Ein entsprechendes
Schedule 3, Part I, Pollution Prevention and Control Regulations.
Vgl. UK Department for Environment, Food & Rural Affairs (DEFRA), “Integrated Pollution
Prevention and Control: a Practical Guide”, Introduction.
Seite 63
Berücksichtigungsgebot besteht für bestimmte Anlagen auch bezüglich der anderen in Art. 3 Abs. 1 IVU-RL genannten Grundprinzipien.
Zwar wird die IPPC-Genehmigung regelmäßig Auflagen im Hinblick auf die
„besten verfügbaren Techniken“ („best available techniques“, BAT) enthalten.
Dies unterscheidet sich aber von den strengen, den Anlagenbetreiber gesetzlich
unmittelbar bindenden Vorsorgepflicht (vor allem Stand der Technik). Sofern die
IPPC-Genehmigung keine ausdrückliche Auflage im Hinblick auf bestimmte betriebliche Vorgänge enthält, beinhaltet jede Genehmigung allerdings die Verpflichtung des Anlagenbetreibers, die besten verfügbaren Techniken zu verwenden (regulation 12 Abs. 10, 11). Aber auch diese Pflicht kann nicht ohne weiteres
mit der gesetzlich unmittelbar geltenden Betreiberpflicht des deutschen Immissionsschutzrechts gleichgestellt werden, da sie nur eingeschränkt (d.h. nur, wenn
keine ausdrückliche Auflage eingreift) und i.ü. nur über die Genehmigung vermittelt gilt.
Der hinsichtlich der deutschen Vorsorgepflicht bestehende Abänderungsbedarf
des deutschen Rechts besteht daher im englischen Recht nicht in derselben Weise.
•
Ähnliches gilt für die Energieeffizienzpflicht. Die britische Regierung beabsichtigt, daß zur Erfüllung der Energieeffizienzkriterien des PPC-Regimes für alle
IPPC-Anlagen bestimmte energiebezogene Grundanforderungen gelten, die auf
der Einführung kostengünstiger Maßnahmen gegen grobe Ineffizienz beruhen.
Darüber hinaus müssen diejenigen Anlagen, die nicht an freiwilligen Modellen
zur Reduktion von Treibhausgasen bzw. des Energieverbrauchs teilnehmen
(CCLA und ETS, dazu sogleich), weitere genehmigungsspezifische Anforderungen erfüllen.98 Damit berücksichtigt das englische Recht bereits Modifikationen
der Energieeffizienz für den Fall, daß die jeweilige Anlage an einem Emissionshandelssystem teilnimmt.
Aufgrund der unklaren Regelung des Art. 2 Abs. 2 RL-V ist jedoch offen, ob die
zweigestufte Berücksichtigung der Energieeffizienz mit den europarechtlichen
Vorgaben vereinbar ist oder ob das britische Recht insoweit abgeändert werden
muß.
5.2
Das „Climate Change Programme“ in Großbritannien
Großbritannien hat (wie Deutschland, dazu oben 4.6) auf nationaler Ebene durch das
„Climate Change Programme“ bereits umfängliche Maßnahmen zur Reduzierung von
Treibhausgasemissionen unternommen.99
5.2.1 Einzelne Maßnahmen des „Climate Change Programme“
Das „Climate Change Programme“ enthält zahlreiche Maßnahmen mit dem Ziel, die
Treibhausgasemissionen zu verringern:
98
99
IPPC: Energy Efficiency – Horizontal Guidance Note IPPC H2.
Vgl. die Veröffentlichung des UK Department for Environment, Food & Rural Affairs (DEFRA):
“Climate Change, The UK Programme”.
Seite 64
•
Maßnahmen zur Verbesserung der Energienutzung und Reduktion des Energieverbrauchs in der Wirtschaft, insbesondere durch Einführung einer Klimasteuer
(„Climate Change Levy“, CCL; dazu unten 5.2.2) und durch ein nationales Emissionshandelssystem (ETS; dazu unten 5.3); außerdem Einrichtung eines „Kohlenstoff-Fonds“ („Carbon-Trust“) zur Förderung einer Umstellung auf CO2-arme
Technologien. Die Aufgaben dieses Fonds reichen von der Beratung und Information über steuerliche Anreize bis hin zur Durchführung wissenschaftlicher Untersuchungen und Erstellung strategischer Studien.
•
Maßnahmen zur saubereren Energieerzeugung durch Förderung von erneuerbaren
Energien und Kraft-Wärme-Koppelung;
Die britische Regierung hat sich zum Ziel gesetzt, den Anteil gewonnener Elektrizität, der aus
erneuerbaren Energiequellen resultiert, von 2,8 % im Jahr 2000 auf mindestens 10 % bis zum
Jahr 2010 zu steigern. Für den gleichen Zeitraum strebt die Regierung zudem eine Verdoppelung der Produktionskapazitäten im Bereich der Kraft-Wärme-Koppelung an.
•
Maßnahmen zur Verringerung von Emissionen im Verkehrssektor (insbesondere
durch eine Reduzierung des Kraftstoffverbrauchs von Kraftfahrzeugen), im Agrarsektor sowie im öffentlichen Sektor. Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz sind zudem für den Bereich der privaten Haushalte sowie im Rahmen
der Bauvorschriften vorgesehen.
5.2.2 Die „Climate Change Levy“, CCL
Im April 2001 wurde in Großbritannien eine Klimasteuer („Climate Change Levy“,
CCL) eingeführt, die eng mit dem britischen Emissionshandel verwoben ist. Dieser
läßt sich nicht verstehen, ohne die Funktionsweise der Klimasteuer zu kennen.
Die Steuer wird auf die Nutzung von Energie aus Gas, Kohle und Elektrizität im Bereich der Wirtschaft und des öffentlichen Sektors erhoben. Ausnahmen von der Steuerpflicht sind u.a. für bestimmte
Formen erneuerbarer Energien und im Bereich der Kraft-Wärme-Kopplung vorgesehen.100
Energieintensive Industrien (also solche, die von der IPPC-Genehmigungspflicht erfaßt werden) können eine Steuerermäßigung um 80 % beanspruchen, wenn sie eine
rechtlich verbindliche Vereinbarung mit der Regierung abschließen („CCL Agreement“, CCLA), in welcher sie sich zur Durchführung bestimmter Maßnahmen mit
dem Ziel der Emissionsreduzierung oder Verbesserung der Energieeffizienz verpflichten. Die Reduktionsziele sind dabei in der Regel relativer Natur, d.h. sie werden nach
dem Energieverbrauch oder den Emissionen pro Produktionseinheit bestimmt.
Die Vereinbarungen über die einzelnen Reduktionsziele werden für jeden Sektor zwischen der Regierung und den jeweils maßgeblichen Unternehmerverbänden ausgehandelt. Anschließend übernehmen die einzelnen Unternehmen in weiteren Vereinbarungen bestimmte Reduktionsverpflichtungen. Wird das für den gesamten Wirtschaftssektor angestrebte Reduktionsziel nicht erreicht, werden die Reduktionsleistungen der einzelnen Unternehmen individuell beurteilt. Diejenigen, die das gesetzte
100
Weitere Information finden sich im Internet unter www.hmce.gov.uk./
Seite 65
Reduktionsziel verfehlt haben, erhalten keine Steuerermäßigung für die kommende
Periode, müssen aber für den gerade abgeschlossenen Zeitraum (in dem sie ihre Reduktionsverpflichtung nicht einhalten konnten) die Steuerermäßigung nicht ausgleichen. Wird das Reduktionsziel für den betreffenden Wirtschaftssektor dagegen erreicht, so können auch diejenigen Mitgliedsunternehmen des Verbandes, die ihre eigenen Reduktionsziele verfehlt haben, die Ermäßigung der Steuer um 80 % beanspruchen.
Die Unternehmen, die bestimmte Reduktionsverpflichtungen im Rahmen einer derartigen Klimasteuerermäßigungsvereinbarung (CCLA) übernommen haben, können ihre
Reduktionsziele auch durch den Handel von Emissionsberechtigungen mit anderen an
der betreffenden Vereinbarung beteiligten Unternehmen oder durch die Teilnahme am
landesweiten Emissionshandelssystem (ETS) erreichen.
5.3
Das Emissionshandelssystem (ETS)
Großbritannien hat einen nationalen Emissionshandel eingeführt, der sich in wesentlichen Punkten von dem durch den RL-V vorgesehenen Emissionshandel unterscheidet.
Daher müssen beide Systeme aneinander angepaßt werden. Wie das geschehen soll,
ist derzeit offen.
Das britische System zeigt, daß ein funktionierender Emissionshandel auch in anderer
Weise ausgestaltet werden kann, als es der RL-V vorsieht.
Bei Verabschiedung des ETS im August 2001 äußerte die britische Regierung die Erwartung, das ETS
werde der britischen Wirtschaft die weltweite Führungsrolle in diesem sich neu entwickelnden Markt
bescheren und damit auch Wettbewerbsvorteile britischer Unternehmen begründen. Man hofft, London
werde sich zum führenden Zentrum für den Handel mit Emissionsberechtigungen entwickeln. Die britische Regierung verspricht sich durch die im Rahmen des ETS bereits früh gesammelten Erfahrungen
eine Verbesserung ihrer Möglichkeiten, die Entwicklung entsprechender Handelssysteme auf internationaler und europäischer Ebene zu beeinflussen.101
Neben diesen Vorteilen wird indes auch das Risiko gesehen, später eingeführte internationale oder europäische Systeme könnten mit dem britischen System nicht vereinbar sein. Um derartige Unstimmigkeiten zu vermeiden, sollte nach Ansicht der britischen Regierung ein EU-Emissionshandelssystem
bestehende nationale Systeme lediglich ergänzen und daher nicht zu enge Vorgaben enthalten.
5.3.1 Kernpunkte des britischen ETS
Der Start des ETS ist für April 2002 vorgesehen. Das System soll zunächst auf freiwilliger Basis laufen. Dementsprechend fehlt im britischen ETS zunächst eine Begrenzung der nationalen Gesamtmenge, die emittiert und mit der gehandelt werden
kann.102
Die Teilnahme am ETS steht grundsätzlich allen Unternehmen offen. Ausgenommen
sind jedoch die Energieerzeuger und der Verkehrssektor. Von den sechs Kyoto-
101
102
UK Regulatory and Environmental Impact Assessment, 2001.
Vgl. die hieran anknüpfende Kritik von Lübbe-Wolf, Gertrude: Der britische Emissionshandel –
Vorbild für Deutschland?, in: Energiewirtschaftliche Tagesfragen (ET) 2001, S. 342-345.
Seite 66
Treibhausgasen wird zunächst nur CO2 erfaßt, bis entsprechende Überwachungs- und
Meßmöglichkeiten auch bei anderen Treibhausgasen gegeben sind.
5.3.2 Teilnahmemöglichkeiten103
Das ETS sieht vier Teilnahmemöglichkeiten vor: Die über eine freiwillige Verpflichtung zur Emissionsverringerung führende „direct route“, die den Parteien eines „CCL
Agreement“ offenstehende „agreement route“, Projekte zur Emissionsverringerung
sowie die Eröffnung eines Handelskontos.104
5.3.2.1 Die „direct route“
Bei einem freiwilligen Eintritt in das ETS („direct route“) verpflichtet sich das einzelne Unternehmen, ein absolutes Reduktionsziel zu erreichen. Um möglichst viele
Unternehmen zur Teilnahme auf diesem Weg zu bewegen, gewährt die britische Regierung im Gegenzug eine finanzielle Unterstützung. Die Teilnehmer können Anteile
an der insgesamt zur Verfügung gestellten Summe im Rahmen eines für das Frühjahr
2002 vorgesehenen Auktionsverfahrens durch Übernahme bestimmter Reduktionsziele ersteigern („descending clock auction“). Grundlage für die Festlegung der Reduktionsverpflichtungen ist das durchschnittliche Emissionsvolumen der Jahre 1998 bis
2000 einschließlich („baseline emissions“).
In der konkreten Ausgestaltung kommt die „direct route“ dem Konzept des RL-V und
dessen Instrumenten am nächsten. Den auf der „direct route“ am ETS teilnehmenden
Unternehmen werden entsprechend ihren Zielfestlegungen jeweils jährlich eine bestimmte Anzahl von Emissionsberechtigungen („allowances“) zugeteilt. Der Handel
mit Emissionsberechtigungen erfolgt nach dem System des „cap and trade“105: Die
teilnehmenden Unternehmen müssen für jeden jährlichen Verpflichtungszeitraum
nachweisen, über ausreichend „allowances“ zur Abdeckung des eigenen
Emissionsvolumens zu verfügen. Unterschreitet ein Unternehmen das vereinbarte
Reduktionsziel, kann es die insoweit nicht benötigten Emissionsberechtigungen
veräußern. Umgekehrt muß es bei Überschreitung der festgelegten Emissionsgrenzen
eine entsprechende Anzahl von Emissionsberechtigungen zukaufen.
5.3.2.2 Die „agreement route”
Unternehmen, die sich im Rahmen eines „CCL Agreement“ (dazu oben 5.2.2) bereits
zur Einführung von Energiesparmaßnahmen und zur Erreichung bestimmter Reduktionsziele verpflichtet haben (das ist bei den von Anhang I des RL-V erfaßten Unternehmen weitgehend der Fall), können das ETS nutzen, um diese Ziele zu erreichen
oder um bei einer Übererfüllung ihrer Reduktionsverpflichtungen den entsprechenden
„Überhang“ zu veräußern („agreement route“). Die Zuteilung von Emissionsberechtigungen erfolgt bei diesem Weg der Teilnahme nicht wie bei der „direct route“ vorab
und dem vereinbarten Emissionsvolumen entsprechend, sondern erst am Ende eines
103
104
105
Vgl. hierzu auch die Erläuterungen des DEFRA, “A summary guide to the UK Emissions Trading
Scheme” und “Framework for the UK Emissions Trading Scheme”.
DEFRA, “Framework for the UK Emissions Trading Scheme”, S. 8 f.
DEFRA, aaO, S. 23 (5.1).
Seite 67
jeden zweiten Jahres und nur an solche Unternehmen, die ihre Reduktionsziele übererfüllt haben. Die Zahl der zugeteilten Berechtigungen korrespondiert mit dem Volumen der Übererfüllung der Reduktionsverpflichtungen („baseline and credit“Ansatz106). Unternehmen, die ihre Reduktionsziele nicht erreicht haben, müssen entsprechende Emissionsberechtigungen zukaufen.
Die Verpflichtungen im Rahmen der „CCL Agreements“ beruhen im wesentlichen auf
Effizienzerwägungen. Die gesetzten Reduktionsziele sind – anders als bei der „direct
route“ – in der Regel nicht absoluter, sondern relativer Natur, d.h. sie werden nach
dem Energieverbrauch oder den Emissionen pro Produktionseinheit bestimmt.107 Aus
dem Fehlen einer Bindung an eine Emissionshöchstgrenze folgt, daß die an einem
„CCL Agreement“ beteiligten Unternehmen bei Erfüllung ihrer relativen Reduktionspflichten ihre Produktion und das damit verbundene Emissionsvolumen insgesamt
sogar steigern können, ohne hierfür zusätzliche Emissionsberechtigungen am Markt
erwerben zu müssen.
Ein kompliziertes System regelt den Emissionshandel zwischen dem relativen und dem absoluten Sektor („gateway“): Ein Transfer von Emissionsberechtigungen aus dem relativen in den absoluten Sektor
wird nur mit restriktiven Bedingungen zugelassen.
5.3.2.3 Projekte zur Emissionsverringerung
Ein dritter Weg der Teilnahme am ETS führt über staatlich genehmigte Projekte zur
Emissionsverringerung. Die Regeln hierfür werden derzeit noch von der britischen
Regierung erarbeitet. Dem Grunde nach ist vorgesehen, daß entsprechende Guthaben
(„credits“), die aus einer Emissionsverringerung resultieren, in das ETS verkauft werden können.
5.3.2.4 Eröffnung eines Handelskontos
Unternehmen, die weder bestimmten Reduktionszielen unterworfen noch an Projekten
zur Emissionsverringerung beteiligt sein wollen, können über die bloße Eröffnung
eines Handelskontos bei der zuständigen Registratur am ETS teilnehmen.
106
107
DEFRA, aaO, S. 23 (5.1).
DEFRA, aaO, S. 23 (5.2).
Seite 68
5.3.3 Ausgestaltung des ETS
Um Emissionsberechtigungen besitzen, kaufen oder verkaufen zu können, bedarf es eines Kontos bei
der Registratur. Auf diesem können nicht in Anspruch genommene Emissionsberechtigungen als Guthaben angespart werden („banking“). Der Registratur obliegt die Aufgabe, die von den Teilnehmern
gehaltenen Bestände an Emissionsberechtigungen zu dokumentieren und etwaige Transfers zu verfolgen. Sie wird in zwei Bereiche unterteilt sein – einen für den absoluten und einen für den relativen Sektor. Die Teilnehmer am ETS werden entweder direkt untereinander oder über vermittelnde Dritte handeln können.
Die Nichteinhaltung der Reduktionsziele wird für Teilnehmer aufgrund der „direct route“ dadurch
sanktioniert, daß sie keine finanziellen Zuschüsse erhalten und die Menge der für das nächste Jahr zuzuteilenden Emissionsberechtigungen reduziert wird. Weiter werden Bußgelder erwogen.
Parteien eines „CCL Agreement“ verlieren die Ermäßigung der Klimasteuer.
5.4
Die Wechselwirkung zwischen dem britischen ETS und der IVURichtlinie
Die IVU-RL wurde in Großbritannien durch die Pollution Prevention and Control
Regulations 2000 (PPC-Regime; dazu oben 5.1.1) umgesetzt. Um sicherzustellen, daß
die Energieeffizienzkriterien des PPC-Regimes mit dem ETS und den CCLA nicht in
Konflikt geraten, will die britische Regierung unterschiedliche Maßstäbe anwenden
(vgl. oben 5.1.2). Neben für alle IPPC-Anlagen geltenden energiebezogenen Grundanforderungen müssen diejenigen Anlagen, die weder an einem CCLA noch am ETS
teilnehmen oder ihre dort festgesetzten Reduktionsziele verfehlen, weitere genehmigungsspezifische Anforderungen erfüllen.108 Dagegen sieht der RL-V vor, die Anforderungen an die Energieeffizienz unverändert zu lassen (vgl. Art. 2 Abs. 2 RL-V). Ob
die britische Differenzierung damit vereinbar ist, ist unklar.
5.5
Unterschiede zwischen ETS und Richtlinien-Vorschlag
Das britische ETS unterscheidet sich vom RL-V in mehreren Aspekten, wodurch eine
Anpassung notwendig wird. Wie dies geschehen soll, ist derzeit offen.
5.5.1 Unterschiede im systematischen Ansatz
Für die meisten Industriezweige, deren Anlagen durch Anhang I des RL-V erfaßt
werden, besteht ein „CCL Agreement“ und so daß für die betroffenen Unternehmen
eine Teilnahme am ETS über die „agreement route“ nahe liegt. Hier entstehen zwei
potentielle Konflikte: Zum einen betrifft die „CCLA route“ hauptsächlich relative Reduktionsziele bzw. solche für bestimmte Wirtschaftssektoren, während der RL-V auf
die Verfolgung absoluter Reduktionsziele („cap“ aufgrund der nationalen Zuteilungspläne) ausgerichtet ist. Insofern wird es erforderlich werden, die relativen in absolute
Ziele umzuwandeln, was sich als schwierig erweisen kann. Zum anderen liegt der
„CCLA route“ der oben (5.3.2.2) erläuterte „baseline and credit“-Ansatz zugrunde,
nach dem das teilnehmende Unternehmen am Ende eines jeden zweiten Jahres entsprechend seiner Übererfüllung des Reduktionszieles Emissionsberechtigungen erhält,
während der RL-V dem „cap and trade“-Ansatz folgt, der zu Beginn eines jeden Jah-
108
IPPC: Energy Efficiency – Horizontal Guidance Note IPPC H2.
Seite 69
res die Zuteilung einer dem angestrebten Reduktionsziel entsprechenden Anzahl von
Emissionsberechtigungen vorsieht.
5.5.2 Unterschiedliche Teilnahmeprinzipien
Der RL-V wird für bestimmte Sektoren verpflichtend sein, so daß Anlagen der von
Anhang I des RL-V erfaßten Sektoren nur dann betrieben werden dürfen, wenn eine
Emissionsgenehmigung zum Ausstoß von Treibhausgasen vorliegt. Im Gegensatz dazu ist das britische System freiwillig, nicht zuletzt weil es sich bei ihm um ein Pilotprojekt nach der Maßgabe „learning by doing“ handelt. Zwar ist es durchaus möglich,
daß auch dieses System später verpflichtend wird. In der Zwischenzeit führt jedoch
der Umstand, daß die beiden Systeme auf grundlegend unterschiedlichen Teilnahmeprinzipien beruhen, zu erheblich divergierenden Regelungen.109 Zudem sanktioniert
das britische System Betreiber, deren Emissionen nicht durch eine ausreichende Zahl
von Berechtigungen abgedeckt sind, nicht mit Bußgeldern.
5.5.3 Divergierende Anwendungsbereiche
Der RL-V ist wesentlich enger im Anwendungsbereich und auf bestimmte Sektoren
beschränkt, während das ETS den meisten Unternehmen die Möglichkeit zur Teilnahme bietet, wenn auch bestimmte Emissionsquellen ausgeschlossen sind.
5.5.4 „downstream“ versus „upstream“ bei der Energieerzeugung
Das ETS basiert auf einem „downstream“-Ansatz, d.h. die Energienutzer sind für die
bei der Energieerzeugung verursachten Emissionen verantwortlich. Dementsprechend
sind die Stromerzeuger vom ETS ausgeschlossen. Im Gegensatz dazu beruht der RLV eher auf einem „upstream“-Ansatz, der z.B. auch Verbrennungsanlagen erfaßt.
5.5.5 Ausdehnung des Emissionshandels auf andere Kyoto-Gase
Der RL-V ist zunächst auf den Handel mit Berechtigungen für CO2-Emissionen beschränkt. Allerdings ist eine Ausdehnung auf die weiteren fünf Kyoto-Gase durch eine Änderung von Anhang I des RL-V möglich (vgl. Art. 26 Abs. 1 RL-V). Auch das
ETS wird zunächst nur auf CO2-Emissionen Anwendung finden. Im britischen System ist der Emissionshandel mit anderen Gasen jedoch möglich, ohne die britischen
Regelungen ändern zu müssen, wenn der Antragsteller geeignete Methoden für die
Messung des entsprechenden Treibhausgases vorweisen kann. Es ist deshalb denkbar,
daß der Emissionshandel mit anderen Treibhausgasen als CO2 in Großbritannien früher als in der EU eingeführt wird.
5.6.
Beurteilung des britischen ETS durch die Europäische Kommission
Die Europäische Kommission hat das britische ETS unter dem Blickwinkel des gemeinschaftlichen Beihilferechts gebilligt,110 obgleich sie die den Unternehmen ge-
109
110
Zu den entsprechenden Feststellungen der Europäischen Kommission vgl. die Presseerklärung der
Europäischen Kommission vom 28.11.2001 (IP/01/1674) sowie unten 5.5.7.
Vgl. die Presseerklärung der Europäischen Kommission vom 28.11.2001 (IP/01/1674).
Seite 70
währten finanziellen Anreize als staatliche Beihilfen wertete, weil dadurch bestimmte
Unternehmen Vorteile erhielten und potentiell der Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinflußt werden könnte.
Gleichwohl begrüßte die Kommission grundsätzlich die Initiative Großbritanniens zur
Einführung eines nationalen Emissionshandelssystems noch vor Inkrafttreten eines
europaweiten Emissionshandels, da so frühzeitig Erfahrungen mit diesem Instrument
gesammelt werden könnten. Allerdings machte die Kommission auch deutlich, daß
erhebliche Unterschiede zwischen dem britischen Modell und dem RL-V bestehen. So
befürchtet sie, daß diese von ihr als erheblich („significant“) eingestuften Unterschiede in der Zukunft zu Wettbewerbsverzerrungen führen könnten. Die Kommission behielt sich deshalb vor, rechtzeitig Änderungen für das britische ETS vorzuschlagen,
um es einem EU-Emissionshandelssystem anzupassen.
Seite 71
6.
Die Situation in Frankreich
Die Umsetzung des RL-V erfordert wegen des anders gestalteten französischen Immissionsschutzrechts nicht in derselben Weise wie in Deutschland gesetzliche Änderungen des bestehenden Rechts.
Die französische Regierung hat im Rahmen eines Klimaschutzprogramms eine Vielzahl von Maßnahmen zur Verringerung von Treibhausgasen eingeleitet. Ein nationales Emissionshandelssystem wie in England wurde diskutiert, ist aber bislang nicht
eingeführt worden. Nach Schätzungen des französischen Ministeriums für Industrie
deckt der Richtlinienvorschlag nur etwa 25 % der industriellen CO2-Emissionen in
Frankreich ab.
6.1
Das System der Emissionskontrolle in Frankreich
In Frankreich benötigen Betreiber von Industrieanlagen (in Abhängigkeit von bestimmten Schwellenwerten) eine Genehmigung. Diese ist als integrierte Genehmigung ausgestaltet. Das bedeutet, daß sie für die gesamte Anlage sowie für alle dort
verrichteten Tätigkeiten gilt, einschließlich des Emittierens in das Medium Luft. Für
die Emissionstätigkeit als solche gibt es keine speziellen Genehmigungen.
6.1.1 Überblick über das französische Anlagenzulassungsrecht
Die für industrielle Tätigkeiten maßgeblichen Regelungen des französischen Umweltrechts sind die Art. L.511-1 bis L.517-2 des französischen Umweltgesetzes (Code de
l´Environnement)111 sowie das Dekret Nr. 77-1133 vom 21. September 1977. Beide
zusammen bilden das sog. ICPE Regime. Dieses schränkt bestimmte industrielle Tätigkeiten und allgemeiner jegliche Tätigkeiten, die Gefahren oder Beeinträchtigungen
für die Nachbarschaft, Gesundheit und Sicherheit oder die Umwelt hervorrufen können, ein.
Welche Tätigkeiten im einzelnen dem ICPE Regime unterfallen, bestimmt ein Dekret
mittels der „Klassifizierungsliste“ (Nomenclature des installations classées). Die Liste unterscheidet in Abhängigkeit von bestimmten Schwellenwerten zwischen genehmigungspflichtigen („A“) und anzeigepflichtigen Tätigkeiten („D“).
Die Anlagengenehmigung (Arrêté d´autorisation) bzw. die Anzeigebestätigung benennt alle vom Betreiber einzuhaltenden Anforderungen. Wird dem Betreiber eine
Genehmigung erteilt, so regelt diese alle an einem Standort stattfindenden Tätigkeiten. Sie fordert von ihm, bestimmte Maßnahmen zu treffen, z.B. um die Auswirkungen der jeweiligen Tätigkeiten auf die Umwelt, einschließlich der Luft gering zu halten.
111
Das früher für installations classées pour la protection de l´Environnement (ICPE) geltende Gesetz
No. 76-663 vom 19. Juli 1976 wurde in Teil V des Code de l´Environnement integriert.
Seite 72
6.1.2 Luftreinhalteregelungen
Folgende Bestimmungen begrenzen die von Industrieanlagen zulässigerweise ausgehenden Luftverunreinigungen:
•
die Vorschriften des Gesetzes Nr. 96-1236 vom 30. Dezember 1996112 (nachfolgend: Gesetz von 1996), das die Reinhaltung der Luft und die effiziente Verwendung von Energie betrifft, nebst dazu ergangenen Ausführungsdekreten;
•
die ministerielle Verordnung vom 2. Februar 1998 (Verordnung von 1998).
•
die Bestimmungen der Anlagengenehmigung.
Das Gesetz von 1996 bestimmt zur Vermeidung, Verminderung und Kontrolle der
Luftverschmutzung bestimmte Luftreinhalteziele, Emissionsgrenzwerte sowie Produktionsstandards.
Die Verordnung von 1998 setzt vor allem bestimmte Grenzwerte für Wasserverbrauch
und Emissionen jeglicher Art von bestimmten genehmigungspflichtigen Anlagen fest.
Sie legt ferner den Anlagenbetreibern Überwachungspflichten113 sowie unter bestimmten Voraussetzungen besondere Berichtspflichten114 gegenüber dem Préfet (Repräsentant des Staates in einem bestimmten Bezirk) auf. Darüber hinaus müssen die
Anlagenbetreiber dem Préfet einen Bericht über Treibhausgasemissionen vorlegen,
wenn diese die in Art. 62 der Verordnung bestimmten Grenzwerte überschreiten.
Die dem ICPE Regime unterfallenden Industrieanlagen müssen zudem die in der Anlagengenehmigung enthaltenen Anforderungen an Luftemissionen erfüllen. Diese
können im Einzelfall strenger sein als die Anforderungen der Verordnung von 1998.
Das französische Recht enthält in den Bereichen der Energieeffizienz und der Vorsorge (best available techniques - BAT)115 keine dem deutschen Recht vergleichbaren,
den Betreiber in abstrakter Weise (also unabhängig von Grenzwerten etc.) gesetzesunmittelbar bindenden „Grundpflichten“. Vielmehr handelt es sich um Grundprinzipien, die die zuständige Behörde bei der Anlagengenehmigung berücksichtigen muß.
Energieeffizienzkriterien werden insbesondere bei der Erteilung einer Anlagengenehmigung sowie bei der Bestimmung von anlagenbezogenen Zielen, die der Betreiber erreichen muß, relevant. Dem Anlagenbetreiber ist es jedoch überlassen, die erforderlichen technischen Mittel auszuwählen, vorausgesetzt, er erfüllt die seitens der
Verwaltung vorgegebenen Maßstäbe. Vergleichbares gilt im Rahmen der Anlagengenehmigung für die Beachtung der besten verfügbaren Techniken, die im allgemeinen
durch Grenzwerte festgelegt werden.
112
113
114
115
Nunmehr geregelt in Teil 2, Abschnitt 2 des Code de l´Environnement, Art. L.220-1 bis L.228-2.
Art. 58, 59, 63 der Verordnung vom 2. Februar 1998.
Art. 61 der Verordnung vom 2. Februar 1998.
Das Prinzip der besten verfügbaren Techniken (BAT) findet sich im französischen Recht in Art. 11,
110-1, des Französischen Umweltgesetzes; Art. 17 des Dekrets Nr. 77-1133 vom 21. September
1977 und in Art. 21 der Verordnung von 1998.
Seite 73
Daher ergibt sich bei Umsetzung des RL-V in das französische Immissionsschutzrecht
– anders als in das deutsche – kein in derselben Weise zwingender Änderungsbedarf
des bestehenden Rechts. Die nach dem RL-V einzuführenden Instrumente der Emissionsgenehmigung und -berechtigung für Treibhausgase sind aber auch für das französische Recht neu. Ob und wieweit dadurch Änderungen im französischen Recht
hervorgerufen werden, ist offen.
6.1.3 Kontrolle von Luftverunreinigungen
Die Kontrolle von Luftemissionen führen Inspektoren durch. Diese sind gemäß Art.
L.514-1 des französischen Umweltgesetzbuchs (Code de l´Environnement) berechtigt,
die Anlagen aufzusuchen, und haben dem Préfet von der Nichteinhaltung der mit der
Anlagengenehmigung verbundenen Auflagen oder gesetzlicher Vorgaben zu berichten. Der Préfet ist befugt, bei Nichteinhaltung der mit der Anlagengenehmigung verbundenen Auflagen oder gesetzlicher Vorgaben eine Anordnung (mise en demeure)
zu erlassen, die den Anlagenbetreiber zur Beseitigung des rechtswidrigen Zustands
verpflichtet. Kommt der Anlagenbetreiber dem nicht innerhalb einer bestimmten Frist
nach, kann der Préfet weitere Maßnahmen veranlassen, u.U. sogar den Betrieb der
Anlage untersagen.
6.2
Das Programm der französischen Regierung zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen
Im Januar 2000 legte die französische Regierung ein nationales Programm116 zur Reduzierung von Treibhausgasen vor, das die meisten Quellen der Treibhausgasemissionen erfaßt. Das Programm beschreibt jedoch nur die Maßnahmen, die die staatlichen
Behörden durchführen sollen, damit Frankreichs internationale KlimaschutzVerpflichtungen erfüllt werden. Es enthält keine rechtlich bindenden Maßnahmen für
Anlagenbetreiber.
6.2.1 Inhalte des Klimaschutzprogramms
Ein Großteil der Treibhausgasemissionen (etwa 31 %) entfällt auf die Industrie und
die Energieproduktion. Hierzu sieht das Programm folgendes vor:
116
•
Bezugnahme auf bestehende gesetzliche Verpflichtungen wie das Gesetz von
1996 über Luftreinhaltung und sparsame Energienutzung;
•
Erwartung, daß durch die „besten verfügbaren Techniken“ (BAT) die Entwicklung der Kraft-Wärme-Koppelung und der erneuerbaren Energien gesteigert wird;
•
Vorschlag, daß sich die zu ergreifenden Maßnahmen insbesondere auf die Schadstoffe, die klassischen industriellen Treibhausgase HFC, PFC, SF6 und Stickstoffdioxid (NO2), beziehen sollen;
Zuständig für Fragen des Klimawandels ist die 1992 geschaffene Mission interministérielle de l´effet
des serre (MIES). Bereits im Anschluß an die Klimarahmenkonferenz in Rio de Janeiro hatte die
französische Regierung 1993 ein nationales Programm geschaffen, mit dem Ziel, die Treibhausgasemissionen in Frankreich im Jahr 2000 auf das Niveau von 1990 zu begrenzen.
Seite 74
•
Bezugnahme auf bestimmte Steuern, z.B. Energiesteuer. Wann und zu welchen
Bedingungen diese Vereinbarungen abgeschlossen werden können, wird zur Zeit
von der französischen Regierung und Industrie in einem gemeinsamen Abstimmungsprozeß bestimmt: Nach bisherigem Verhandlungsstand sollen die Emissionsreduktionsziele für jedes einzelne Unternehmen bestimmt werden. Darüber
hinaus sollen nach dem französischen Umweltminister die Vereinbarungen kontrolliert und Verstöße sanktioniert werden. Offen ist vor allem, ob die Energiesteuer sich in Zukunft auch noch an die industriellen Anlagenbetreiber wenden
sollte oder ob Steuervergünstigungen im Falle des Abschlusses einer freiwilligen
Vereinbarung möglich sind.
Das Klimaschutzprogramm befaßt sich darüber hinaus mit anderen Sektoren, die wesentlichen Anteil an den Treibhausgasemissionen Frankreichs haben (Transportsektor:
22 %; Landwirtschaft: 18 %; Bauwesen: 17,5 %; Abfallbereich: 3 %).
Das nationale Klimaschutzprogramm bezieht sich auch auf freiwillige Vereinbarungen, die zwischen Anlagenbetreibern und den Behörden zur Reduktion von Treibhausgasemissionen abgeschlossen werden sollen. Derartige freiwillige Vereinbarungen gibt es in Frankreich bislang nicht.117
6.2.2 Emissionshandelssystem in Frankreich
Im Rahmen des nationalen Klima-Programmes vom Januar 2000 wurde eine Arbeitsgruppe aus Regierungs- und Industrievertretern damit betraut, die Möglichkeiten eines
Emissionshandels in Frankreich zu untersuchen. Sie schlug in ihrem Abschlußbericht118 vor, ein Emissionshandelssystem einzuführen. Dieser Vorschlag ist jedoch
nicht bindend.
Das vorgeschlagene Handelsmodell unterscheidet sich in mehreren Punkten von dem
RL-V der Kommission, insbesondere:
117
118
•
grundsätzlich freiwillige Vereinbarungen zwischen den französischen Behörden
und den industriellen Emittenten über die Reduktionsziele; wenn eine Vereinbarung nicht zustande kommt, werden die Reduktionsziele hoheitlich festgesetzt;
•
bei Übertreffen der Reduktionsziele erhält der industrielle Emittent – nachträglich
– ein dem Volumen seiner Übererfüllung entsprechendes Guthaben in Form von
„credits“, die er entweder verkaufen oder für die Zukunft ansparen kann. Erfüllt er
sein Reduktionsziel dagegen nicht, muß er eine entsprechende Menge von „credits“ auf dem Markt ankaufen.
Zwar hat sich La Farge in einer Selbstverpflichtungserklärung zur Reduktion von CO2 verpflichtet.
Es handelt sich dabei jedoch nicht um eine derartige freiwillige Vereinbarung mit den französischen
Behörden i.S.d. französischen Klimaschutzprogrammes.
„Implementing an emission credits trading system in France to optimise industry´s contribution to
reducing greenhouse gases”;
http://www.ceps.be//Research/Workparty/cop6/March%2016/Boyd.htm#index
Seite 75
•
Die Reduktionsziele können entweder als absolute oder als relative Ziele bestimmt
werden. Unter einem absoluten Reduktionsziel wird die Festsetzung einer Emissionshöchstmenge verstanden, während ein relatives Reduktionsziel sich über das
Emissionsvolumen pro Produktionseinheit definiert.
Seite 76
7.
Summary
7.1
Inhalt des Richtlinien-Vorschlags
7.1.1 Die Europäische Kommission hat am 23. Oktober 2001 einen RichtlinienVorschlag über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionsberechtigungen in der Gemeinschaft (im folgenden RL-V) veröffentlicht. Der RL-V
unterscheidet sich grundlegend von dem von der Bundesregierung zunächst
angestrebten und von der deutschen Wirtschaft unterstützten Konzept eines
Emissionshandels mit ergebnisoffener Pilotphase ohne verpflichtende Teilnahme der Unternehmen und mit Berücksichtigung nationaler Besonderheiten
und bereits erbrachter CO2-Einsparerfolge. Statt dessen führt der RL-V für die
Emission von Treibhausgasen ein bisher nicht gekanntes System einer „Bewirtschaftung der Luft“ ein, das das deutsche Industrieanlagenrecht erheblich
ändern und das tiefgreifende Auswirkungen für die deutsche Industrie haben
wird.
7.1.2 Die Betreiber der in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallenden Anlagen
haben bei der zuständigen nationalen Behörde eine Genehmigung für das Emittieren von Treibhausgasen zu beantragen. Neben dieser Genehmigung benötigen die Anlagenbetreiber Berechtigungen für die Emissionen der Anlage.
Diese Berechtigungen, nicht hingegen die Genehmigungen, können Handelsobjekt sein. Die Mitgliedstaaten sollen eine bestimmte Anzahl Emissionsberechtigungen nach einem nationalen Zuteilungsplan für die jeweiligen Zuteilungszeiträume (2005-2007, ab 2008 alle 5 Jahre) ausgeben, wobei eine Berechtigung die Emission von einer Tonne „Kohlendioxidäquivalent“ beinhaltet.
7.1.3 Der EU-weite Gesamtausstoß der erfaßten Treibhausgase (zunächst nur CO2)
wird durch die begrenzte Anzahl auszugebender Emissionsberechtigungen beschränkt. Insoweit führt der RL-V ein europaweites „cap“ für Kohlendioxid
ein. Damit soll der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten ermöglicht werden,
ihre Minderungspflichten aus dem Kyoto-Protokoll zu erfüllen. Die Aufteilung dieses caps in einzelne (handelbare) Berechtigungen führt zu einer Bewirtschaftung des Treibhausgasausstoßes und damit eines wesentlichen Bereiches der Nutzung der Luft. Durch ein Herabsetzen des „caps“ wird eine Reduktion von Treibhausgasen bewirkt. Dadurch wird das Emittieren von Treibhausgasen einer staatlichen Bewirtschaftungsordnung mit dem Ziel der Verknappung unterstellt. Dieses System unterscheidet sich erheblich von dem bisher für Emissionen in die Luft gekannten Schutz- und Vorsorgesystem in Gestalt von Grenzwerten, die bei dem Betrieb einer Anlage einzuhalten sind.
7.1.4 Die Kommission schlägt eine dreijährige Einführungsphase vom 1. Januar
2005 bis 31. Dezember 2007 vor. Obwohl das Kyoto-Protokoll für diesen
Zeitraum noch keine Verpflichtung zur Reduktion von Treibhausgasemissionen begründet, sollen die Mitgliedstaaten bereits für die Einführungsphase das
Genehmigungs-, Zuteilungs- und Handelssystem des RL-V einführen. Im RL-
Seite 77
V ist weder für die Dauer der Einführungsphase noch im weiteren die Möglichkeit enthalten, einzelne Anlagen von den vorgeschlagenen Verpflichtungen
auszunehmen.
7.1.5 Der RL-V bezieht Emissions-Einheiten, die sich durch projektbezogene Maßnahmen (CDM und JI) ergeben und Gegenstand des nach dem KyotoProtokoll vorgesehenen Emissionshandels sein können, nicht mit ein.
7.2
Europarechtliche Einordnung und Völkerrecht
7.2.1 Der RL-V läßt sich als eine Maßnahme zur Erreichung der in Art. 174 Abs. 1
EG genannten Ziele der EU-Umweltpolitik einordnen; er ist daher grundsätzlich auf Art. 175 EG zu stützen. Allerdings dürfte die Maßnahme wohl nicht in
den Anwendungsbereich von Art. 175 Abs. 1 EG fallen, sondern in den von
Art. 175 Abs. 2 EG. Denn der RL-V wird die nationale Energieversorgung
und die Wahl zwischen verschiedenen Energiequellen in ihrem Kern betreffen.
Die Heranziehung des Art. 175 Abs. 2 EG hätte zur Folge, daß eine einstimmige Beschlußfassung durch den Rat erforderlich wird.
7.2.2 Es ist fraglich, ob das anlagenübergreifende bewirtschaftende Konzept des
RL-V mit dem Subsidiaritätsgrundsatz vereinbar ist. Denn die Einhaltung der
den einzelnen Mitgliedstaaten durch das Kyoto-Protokoll auferlegten Gesamtmenge an Emissionen verlangt keine Gemeinschaftsmaßnahme; vielmehr
kann dieses Ziel wohl ebenso gut durch mitgliedstaatliche Regelungen erreicht
werden, wie beispielsweise die erfolgreichen Klimaschutzprogramme in
Deutschland und Großbritannien zeigen. In diesem Zusammenhang ist auch zu
bedenken, dass das Kyoto-Protokoll den Handel mit Emissionsberechtigungen
nicht zwingend vorschreibt, sondern nur den Handel zwischen Staaten als eine
von mehreren Möglichkeiten ansieht, mit deren Hilfe die künftigen Vertragsparteien – u.a. die EG und die Mitgliedstaaten – ihre diesbezüglichen Verpflichtungen kosteneffizient erfüllen können.
7.2.3 Der Einwand, daß zwar einzelne Mitgliedstaaten wie Deutschland und Großbritannien in der Lage seien, ihre aus dem Kyoto-Protokoll resultierenden Reduktionsverpflichtungen zu erfüllen, andere Mitgliedstaaten dagegen nicht,
enthebt die Gemeinschaft – sofern dieser Einwand zuträfe – nicht ihrer nach
dem Subsidiaritätsgrundsatz bestehenden Pflicht, den Mitgliedstaaten Alternativen anzubieten. Eine derartige Alternative würde eine Klausel bieten, die den
Mitgliedstaaten eine „opt-in/opt-out“ Möglichkeit eröffnet, mit der aus dem
System des Handels mit Emissionsberechtigungen nach Wahl ausgestiegen
oder teilgenommen werden kann. Dies ist auf europäischer Ebene bereits in
Form des Art. 15 EG strukturell angelegt.
7.2.4 Im übrigen kann das mit der Emissionsgenehmigung verfolgte Ziel durch mitgliedstaatliche Maßnahmen ebenso gut erreicht werden. Der RL-V sollte daher
von einer verbindlichen Pflicht der Mitgliedstaaten zur Einführung einer Emissionsgenehmigung absehen und es den Mitgliedstaaten freistellen, auf welche Weise sie den Unternehmen die in Art. 6 Abs. 2 c bis e RL-V genannten
Pflichten auferlegen.
Seite 78
7.2.5 Wegen der mit der Einführung der Gemeinschaftsregelungen verbundenen
Folgekosten und der bereits ergriffenen Reduzierungsmaßnahmen einzelner
Industriezweige zur Verringerung der Treibhausgasemissionen sprechen neben
dem Subsidiaritätsgrundsatz auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dafür, eine in Ziff. 7.2.3 bereits benannte „opt-in/opt-out“-Klausel in den RL-V
aufzunehmen.
7.2.6 Der RL-V erfaßt lediglich bestimmte Industriezweige und berücksichtigt
nicht, daß andere Sektoren gleichfalls in erheblichem Maße Treibhausgase emittieren. Diese einseitige Konzentration auf einzelne Industriebranchen erscheint im Hinblick auf den im Gemeinschaftsrecht anerkannten allgemeinen
Gleichheitsgrundsatz zumindest problematisch.
7.2.7 Die Gesichtspunkte für die Zuteilung nach Anhang III müssen eindeutiger und
strenger gefaßt werden, weil ansonsten Wettbewerbsverzerrungen zwischen
den in Anhang III genannten Industrien der einzelnen Mitgliedstaaten zu befürchten sind. Das widerspräche dem Ziel eines unverfälschten Binnenmarktes.
7.2.8 Erwartungen, das Genehmigungsverfahren für Anlagen werde durch die Einführung eines Emissionshandels und die damit verbundene Überantwortung
der Klimavorsorge auf den freien Markt spürbar entlastet, werden sich nicht
erfüllen. Vielmehr wird die Umsetzung des RL-V zu einer „Doppelung“ der
Genehmigungs- und Überwachungssysteme führen, die durch die in Art. 8
RL-V vorgesehene bloße verfahrenstechnische Verbindung mit der IVU-RL
nicht beseitigt wird.
7.2.9 Der RL-V bezieht nicht in ausreichendem Maße die Bestimmungen des internationalen Emissionshandels aufgrund des Kyoto-Protokolls und dessen Fortentwicklung durch die Vertragsstaatenkonferenz in Marrakesch mit ein. Auch
schon deshalb ist eine Überarbeitung des RL-V erforderlich.
7.2.10 Der RL-V tritt neben die IVU-RL, die ein zentrales Genehmigungsregime für
Industrieanlagen enthält. Er läßt im Unklaren, wie der Emissionshandel mit
dem Prinzip der Energieeffizienz (Art. 3 lit. d IVU-RL) zu vereinbaren sein
soll. Es besteht daher die Gefahr, daß Auflagen zur Energieeffizienz zahlreichen Betreibern den Anreiz zum Handel und Gebrauch von Emissionsrechten
nehmen. Damit droht das Emissionshandelssystem schon wegen Illiquidität
des Marktes zum Scheitern verurteilt zu sein. Dies sollte durch eine Änderung
von Art. 3 lit. d IVU-RL behoben werden, so daß Anlagen im Hinblick auf
solche Emissionen als energieeffizient gelten, für die sie Emissionsberechtigungen besitzen.
Für einen Teil der Anlagen (insb. Kohlekraftwerke) entsteht außerdem ein
Konflikt mit den ordnungsrechtlichen Emissionsgrenzwerten im Hinblick auf
sog. Kuppelemissionen (u.a. nach IVU-, NEC-, Großfeuerungsanlagen- und
Luftqualitäts-RL). Für sie erscheint die Teilnahme am Emissionshandel und
der Erwerb von CO2-Berechtigungen aufgrund des „ordnungsrechtlichen Korsetts“ wenig sinnvoll. Zudem entstehen zusätzliche Kosten, weil bewährte
Seite 79
Maßnahmen zur Reduzierung der Emissionen bestimmter Schadstoffe typischerweise mit einem CO2-Mehrausstoß verbunden sind
7.2.11 Die EG ist verpflichtet, die von ihr eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen einzuhalten; dazu zählen auch die Verpflichtungen, die sich für
die EG als WTO-Mitglied aus den WTO-Übereinkommen ergeben. So müssen
Abkommen der EG mit Drittstaaten über die gegenseitige Anerkennung von
Emissionsberechtigungen mit den Regeln des GATT 1994 und des GATS vereinbar sein.
7.3
Auswirkungen des Richtlinien-Vorschlags auf das deutsche Recht
7.3.1 Das deutsche Recht steuert das Emissionsverhalten des einzelnen Unternehmens in erster Linie durch gesetzliche Schutz- und Vorsorgeverpflichtungen
(vor allem im BImSchG). Daneben bestehen finanzielle Anreize zur Energieeinsparung und damit zur Minderung der Treibhausgas-Emissionen. Die deutsche Wirtschaft trägt ferner durch freiwillige Vereinbarungen zur Klimavorsorge erheblich dazu bei, die nationalen und internationalen Ziele der Treibhausgasreduktion zu erreichen (Maßnahmenbündel zur Klimavorsorge). Die
Umsetzung des RL-V bedeutet für das deutsche Immissionsschutzrecht einen
grundlegenden Systemwechsel: von einem freiheitsgestaltenden Recht zu einer Bewirtschaftungsordnung. Ein solcher Wechsel erfordert einschneidende
Änderungen des geltenden Rechts.
7.3.2 Die Konzepte, mit denen eine Emissionsminderung durch den RL-V bzw. das
deutsche Immissionsschutzrecht erreicht werden soll, sind gänzlich verschieden. Das BImSchG enthält abstrakt formulierte Vorgaben für jede einzelne
Anlage und legt ihren Betreibern gesetzesunmittelbar geltende Pflichten auf
(anlagenbezogen vorsorgendes Konzept). Der RL-V hingegen formuliert konkrete Minderungsziele für die Gesamtheit bestimmter Großindustrie- und Energieanlagen und eröffnet den einzelnen Betreibern weitreichende Spielräume hinsichtlich des Emissionsverhaltens ihrer Anlagen (anlagenübergreifend
bewirtschaftendes Konzept). Will man diese grundlegend verschiedenen Konzepte miteinander kombinieren, müssen wesentliche Pflichten des geltenden
Rechts aufgegeben oder modifiziert werden.
7.3.3 Bei Umsetzung des Konzepts des RL-V kann die Vorsorgepflicht des § 5 Abs.
1 Nr. 2 BImSchG nicht – zumindest nicht unverändert – aufrechterhalten werden. Das Konzept des RL-V erfordert vielmehr, die Betreiberpflicht zur Vorsorge dahingehend zu ändern, daß das Emissionsvermeidungsgebot entsprechend dem Stand der Technik nicht zur Anwendung gelangt, soweit der Handel reicht, d.h. für alle Sektoren und Treibhausgase, die in den Handel einbezogen sind. Andernfalls läuft die dem bewirtschaftenden Konzept eigene Möglichkeit leer, zwischen einer Investition in emissionsmindernde Techniken und
dem Erwerb weiterer Emissionsberechtigungen zu wählen. Das bedeutet, dass
insoweit der Stand der Technik als Maßstab für den Betrieb von Industrieanlagen nicht mehr gelten kann.
Seite 80
7.3.4 Durch ein Nebeneinander der Pflicht, Energie sparsam und effizient zu verwenden, und des flexibilisierenden Konzepts des RL-V würde der Wettbewerb
verzerrt. Eine Umsetzung des RL-V erfordert, die Anwendung der Energieeffizienz- und -einsparpflicht auszuschließen, soweit der Handel reicht, d.h. für
alle Sektoren und Treibhausgase, die in den Handel einbezogen sind.
7.3.5 Durch Einfügung einer Verschonungsklausel sind nachträgliche Anordnungen
gegenüber den betroffenen Sektoren bezüglich der einbezogenen Emissionen
wegen eines Emissionsverhaltens, das den Anforderungen an eine effiziente
und sparsame Energieverwendung sowie an eine Vorsoge vor Umweltbeeinträchtigungen entsprechend dem jeweils aktuellen Stand der Technik genügt,
auszuschließen.
7.3.6 Die nach dem RL-V zwingend in nationales Recht einzuführenden Institute
der Genehmigung für das Emittieren von Treibhausgas und der Berechtigung
für die tatsächliche Emissionstätigkeit sowie die Grenzen der Zuteilung dieser
Berechtigungen führen ein dem deutschen Immissionsschutzrecht bislang
fremdes Bewirtschaftungssystem ein. Eine Verbindung mit dem geltenden
Schutz- und Vorsorgesystem ist nur sinnvoll möglich, wenn dem deutschen
Gesetzgeber entsprechender Gestaltungsspielraum bei der Umsetzung des RLV belassen bleibt.
7.3.7 Das Ziel, den Gesamtausstoß von Treibhausgas zu verringern, soll nach dem
RL-V dadurch erreicht werden, dass eine begrenzte Zahl von Emissionsberechtigungen ausgegeben wird. Die Entscheidungen darüber, wie viele
Berechtigungen in den Drei- bzw. Fünfjahresphasen insgesamt und in welcher
Anzahl sie an welche Betreiber zugeteilt werden sollen, überlässt der RL-V
den einzelnen Mitgliedstaaten. Damit obliegt es dem jeweiligen Gesetzgeber,
Regelungen für eine solche verknappende Zuteilung und Bewirtschaftung zu
treffen. Diesen Regelungen wird in der Praxis eine entscheidende Bedeutung
zukommen. Angesichts des damit verbundenen Eingriffs in den verfassungsrechtlich geschützten Freiheitsbereich der Anlagenbetreiber wird die gebotene
gesetzliche Regelung von der Festlegung der Gesamtmenge der Berechtigungen über die abstrakten Kriterien für die Zuteilung bis hin zu den Voraussetzungen für die Zuteilungsentscheidung im einzelnen den deutschen Gesetzgeber vor eine außerordentlich schwierige Aufgabe stellen. Die Vorgaben müssen so ausreichend klar sein, dass die Betroffenen rechtssicher ihr Verhalten
danach einrichten können; sie müssen auf einem langfristigen, auf eine einheitliche und gleichmäßige Durchführung angelegten Konzept beruhen.
Dementsprechend ist absehbar, dass Anlagenbetreiber hier erheblichen Risiken bei der Zuteilung ausgesetzt sein werden, bis die Kriterien dafür gerichtlich abgeklärt sind. Gegenwärtig sind die geforderten Maßstäbe, die es den betroffenen Anlagenbetreibern ermöglichen, die Rechtslage so zu erkennen, daß
sie ihr Verhalten danach einrichten können, nicht erkennbar.
7.3.8 Der Gesetzgeber hat bei der Umsetzung zu bedenken, dass im Vertrauen auf
den Fortbestand der Möglichkeit, Emissionsberechtigungen zu erwerben, Investitionen in emissionsmindernde Techniken unterbleiben könnten, die im
Seite 81
Falle eines Scheiterns des Konzepts des RL-V eine Rückkehr zum bewährten
geltenden Recht erschweren.
7.3.9 Bei Umsetzung des Bewirtschaftungskonzepts des RL-V werden die bereits
vorhandenen Maßnahmen für den Klimaschutz, namentlich das KWKG und
das EEG, abzuändern sein. Ansonsten kämen für die unter das Handelsregime
fallenden Unternehmen, die gleichzeitig ein Stromnetz betreiben, widersprüchliche Systeme zur Anwendung – Marktöffnung und Flexibilisierung einerseits, einseitige Ausrichtung auf Emissionsreduzierung bei jedem einzelnen
Unternehmen andererseits. Dies gilt in abgeschwächter Form auch für Unternehmen, die nicht direkt dem KWKG und dem EEG unterfallen, durch diese
jedoch in ihren Entscheidungen gelenkt werden. Auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit bestehen rechtliche Bedenken dagegen, den
RL-V mit seinem jetzigen Inhalt umzusetzen und daneben die vorhandenen
anlagenbezogenen nationalen Maßnahmen unverändert aufrechtzuerhalten.
7.3.10 Die Pläne der Bundesregierung, einen Teil der Emissionsberechtigungen
versteigern zu lassen, sind verfassungsrechtlich bedenklich.
7.4
Auswirkungen auf das englische und französische Recht (vgl. Anlage)
7.4.1 Die Umsetzung des RL-V in Großbritannien wird im Hinblick auf die Abänderung des bestehenden Immissionsschutzrechts mit weniger Konflikten verbunden sein als in Deutschland. Auf nationaler britischer Ebene wurden durch
das „Climate Change Programme“ bereits Anstrengungen für die Reduktion
von Treibhausgasemissionen unternommen. So wurde u. a. ein nationaler Emissionshandel eingeführt, der sich in wesentlichen Punkten von dem RL-V
unterscheidet. Das erfordert eine Anpassung beider Systeme. Wie dies geschehen soll, ist derzeit offen.
7.4.2 Die Umsetzung des RL-V stößt auch in Frankreich bezüglich der Änderung
des bestehenden Immissionsschutzrechts wohl nicht auf dieselben grundsätzlichen Schwierigkeiten wie in Deutschland. Die nach dem RL-V einzuführenden Instrumente der Emissionsgenehmigung und -berechtigung für Treibhausgase sind aber auch für das französische Recht neu. Die französische Regierung hat im Rahmen eines Klimaschutzprogramms eine Vielzahl von Maßnahmen zur Verringerung von Treibhausgasen eingeleitet. Ein nationales Emissionshandelssystem wie in England wurde diskutiert, ist aber bislang nicht
eingeführt worden.
Berlin, den 1. Februar 2002
Dr. Wolf Friedrich Spieth
Rechtsanwalt
Seite 82
Anlage
Tabellarischer Vergleich
Deutschland, England und Frankreich
Deutschland
nationales Immissionsschutzrecht
•
•
nationale
Klimaschutzpro
gramme
nationale Emissionshandelssysteme
Selbstverpflichtungserklärungen oder Vergleichbares
Seite 83
England
Immissionsgenehmigung und –berechtigung für Treibhausgasemissionen
neu: Wechsel vom
freiheitsgestaltenden
Begrenzungssystem
zum bewirtschaftenden System
•
Grundprinzipien der
IVU-Richtlinie, hier
vor allem Vorsorgepflicht (BAT) und
Energieeffizienzpflicht, sind unmittelbare Grundpflichten des Anlagenbetreibers
•
Grundprinzipien der
IVU-Richtlinie, hier
vor allem Vorsorgepflicht (BAT) und
Energieeffizienzpflicht, sind bei der
behördlichen
Entscheidung zu berücksichtigen
•
gestufte Energieeffizienzprüfung
Immissionsgenehmigung und –berechtigung
•
neu:
Bewirtschaftungssystem
⇒gesetzliche Änderungen der genannten
Grundpflichten zwingend bei Umsetzung
des RL-V
• umfangreiches Klimaschutzprogramm
vorhanden
⇒Umfang der Änderungen des bestehenden
Rechts bei der Umsetzung des RL-V offen
• umfangreiches Klimaschutzprogramm
vorhanden
•
keine
vorhanden,
aber Diskussion in
einer Arbeitsgruppe
beim BMU
•
vorhanden
•
•
Frankreich
•
vorhanden, aber in
mehreren
Punkten
vom RL-V verschieden
Umfang der notwendigen Anpassungen
offen
vorhanden, im Zusammenhang
mit
englischen Emissionshandelssystemen
Immissionsgenehmigung und –
berechtigung
neu: Bewirtschaftungssystem
•
Grundprinzipien der
IVU-Richtlinie, hier
vor allem Vorsorgepflicht (BAT) und
Energieeffizienzpflicht, sind bei der
behördlichen
Entscheidung zu berücksichtigen
⇒Umfang der Änderungen des bestehenden Rechts bei
der Umsetzung des
RL-V offen
• umfangreiches
Klimaschutzprogramm
vorhanden
• keine
vorhanden,
aber Diskussion und
Arbeitspapier über
die Einführung eines
Emissionshandels in
Frankreich
•
geplant

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